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Die Nordblau - ein unterirdischer Fluss bei Berghülen

Authors:
  • Stadt Stuttgart
E
xpedition Hessenhau
Vorstoß in die Höhle ohne Ende
Arbeitsgemeinschaft Blaukarst e. V.
Expedition Hessenhau – Vorstoß in die Höhle ohne Ende
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft Blaukarst e. V.
Schriftleitung: Thilo Müller
Satz, Layout: Gerd Polikeit
Layoutentwurf: Oliver Gerstenberger (www.gografix.de)
Lektorat: Almut Miehlich
Autoren
Jürgen Bohnert
Thilo Müller
Wolfgang Ufrecht, Nico Goldscheider, Ute Lauber
Bildnachweise
Jürgen Bohnert: 5, 6, 8, 9, 27, 31, 44, 45
Peter De Coster: 29, 46
Karsten Gessert: 26, 28, 33, 35
Roland Konopac: 12, 14
Andreas Kücha: 13, 19, 24, 30, 32
Ute Lauber: 40
Nikolaus Löffelhardt: Daumenkino
Tewje Mehner: 2
Andreas Schober/Gaspard Magarinos: Titel, Rückseite, 4, 10, 11, 15,
16, 18, 20, 21, 25, 38, 43, 47, 48
Wolfgang Ufrecht: 37
Spendenkonto Arge Blaukarst:
Raiba Berghülen
BLZ 600 699 31
Konto 72226005
IBAN: DE02 6006 9931 0072 2260 05
Internetadressen
Arbeitsgemeinschaft Blaukarst: www.blauhoehle.de
Arge Höhle und Karst Grabenstetten: www.arge-grabenstetten.de
Freunde der Aachhöhle: www.aachhoehle.de
Höhlenforschungsgruppe Ostalb-Kirchheim: www.hfgok.de
Höhlen- und Heimatverein Laichingen: www.tiefenhoehle.de
Gemeinde Berghülen: www.berghuelen.de
Stadt Blaubeuren: www.blaubeuren.de
Dank
Wir danken allen Unterstützern unserer Forschungen, insbesondere
der Gemeinde Berghülen.
Titelbild: Die „Nordblau“ an der Einmündung der „Plätscherklamm“
Rückseite: Im Großen wie im Kleinen faszinierend – Kalzitkristalle
in der Hessenhauhöhle
© Arbeitsgemeinschaft Blaukarst e. V., Berghülen 2014
Bestellmöglichkeit: info@blauhoehle.de
Impressum
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Die Landschaft zwischen Laichingen und Blaubeuren hat
zwei Gesichter: Im Norden und Nordwesten erhebt sich ein
welliges, hügeliges Relief, dessen Hochpunkte 20 bis 30 m
über die Sohlen zahlreicher muldenförmiger Trockentäler
hinausragen: die Kuppenalb. Dagegen folgt südlich einer
zwischen Suppingen, Berghülen, Treffensbuch und Tem-
menhausen verlaufenden Steilstufe – der so genannten
Klifflinie, d. h. einer etwa 20 Millionen Jahre alten Mee-
resküstenlinie – ein reliefarmer Landstrich: die Flächenalb.
Beide Landschaftsformen der Albhochfläche haben jedoch
eines gemeinsam. Sie wurden vor 5 bis 8 Millionen Jahren
von einem Netz von flachmuldigen wasserführenden Tälern
Oberirdische
Einzugsgebiete
(Trockentalnetz) und
Quelleinzugsgebiete
des Blautopfs und der
Kleinen Lauter.
Die Nordblau – ein unterirdischer Fluss bei Berghülen
38 39
durchzogen, die einst zur Ur-Donau entwässerten. Sie sind
uns heute als Trockentäler erhalten. Die Ur-Donau war zur
damaligen Zeit ein gewaltiger Fluss, dessen Ursprung tief
in den Alpen lag. Für die Alb und das Alpenvorland bildete
sie fortan die Hauptentwässerungsachse. Zeugnisse der Ur-
Donau finden sich südlich der Klifflinie in Form weit verbrei-
teter Restschotter, so bei Seißen, Sonderbuch und Asch. Sie
zeigen, dass die Ur-Donau damals noch breit mäandrierend
und wenig eingetieft auf der Flächenalb floss. Die Albhoch-
fläche, die zu damaliger Zeit noch viel weniger exponiert
war als heute, war noch reich an Wasser. Die Laichinger
Alb wird zu dieser Zeit auf einer Fläche von 195 Quadrat-
kilometern vom Flusssystem der Kleinen Lauter beherrscht.
Dessen Hauptast reichte nach Nordwesten bis in den Raum
Donnstetten und verläuft talwärts nach Südosten über das
Erbsental, Himpfertal und Lange Tal schließlich zum Kleinen
Lautertal. Bedeutende Nebentäler sind die Tobelhalde zwi-
schen Suppingen, Berghülen und Bermaringen oder das von
Nellingen zum Hübschen Stein ziehende Hänglestal. Sie zei-
gen wie das Haupttal im Oberlauf einen wenig eingetieften
Muldentalcharakter und im Unterlauf einen steilen und tief
in die Jurakalke eingeschnittenen Kerbtalcharakter.
Eingabe von 100 g
Uranin in die
“Nordblau” durch Erich
Ruopp und Wieland
Scheuerle.
39
Westlich des Einzugsgebiets der Kleinen Lauter entwi-
ckelte sich in Nord-Süd-Richtung das Tiefental, das bei
Weiler in das Ur-Donautal einmündet. Nördlich und öst-
lich dieser Einzugsgebiete grenzte das der Ur-Lone an. Im
Norden nimmt heute die zum Neckar hin ausgerichtete Fils
diesen Raum ein.
Hebungsvorgänge leiteten einen Prozess ein, der das
Bild der Alb fortan veränderte. Infolge der vom Schwarz-
wald-Vogesen-Massiv ausgehenden tektonische Vor-
gänge, welche die Alb anhoben, zugleich aber auch nach
Südosten abkippten, erlangte die Donau Erosionskraft und
konnte sich so mehr als 150 m in den Weißjura-Kalkstein
einschneiden und zwischen Ehingen, Blaubeuren und Ulm
ein Kerbtal bilden. Wie uns Felsterrassen und Reste alter
Talböden zeigen, erfolgte die Eintiefung nicht gleichmäßig:
Phasen der Ruhe lösten Phasen starker Erosionsleistung
ab. Spätestens vor 200.000 Jahren – wie neuere Untersu-
chungen an Sedimenten des Schmiecher Sees zeigen viel-
leicht sogar schon vor 350.000 bzw. 450.000 Jahren – war
die heutige Talfelssohle erreicht, die im heutigen Ach- und
Blautal aber von bis zu 45 m mächtigen jüngeren Abla-
gerungen wieder überdeckt wurde. Die Zubringer von der
Albhochfläche konnten mit der Eintiefung nur kurze Zeit
Schritt halten. Die Oberläufe fielen nach und nach tro-
cken und das Wasser suchte unterirdisch einen direkteren
Weg zur Vorflut. Dabei verlagerten sich die im Talboden
entspringenden Karstquellen, aus denen das Wasser des
bereits verkarsteten und trockengefallenen Hinterlands
austrat, sukzessive talwärts. So kann man vermuten, dass
die Quelle der Kleinen Lauter einst noch viel weiter tal-
aufwärts lag und erst allmählich durch abschnittsweises
Trockenfallen mehr und mehr in der Talachse flussabwärts
wanderte. Dieser Vorgang ist noch nicht abgeschlossen
und die heutige Lage der Quelle in Lautern ist nur eine
„geologische Momentaufnahme“. Auch der Ursprung der
Blau war einst wahrscheinlich weiter nördlich im Galgental
und verlagerte sich erst viel später in das Haupttal hinein.
Es manifestiert sich ein Prozess, den wir Verkarstung
nennen: Der geklüftete Kalkstein, der mit dem Nieder-
schlags- und Schneeschmelzwasser in Berührung kommt,
unterliegt der chemischen Lösung. Diese geschieht zu-
nächst an der Erdoberfläche, wird aber sukzessive in den
Albkörper hinein verlagert, wo durch gezielte Lösung ent-
lang von Klüften und Schichtflächen Röhren und Kanäle
entstehen. Manche davon werden schließlich zu begeh-
baren Höhlen erweitert. Die Alb verkarstet und nur das
große und weitverzweigte Netz an Trockentälern zeugt
von der ehemaligen oberirdischen Wasserführung. So hat
die Verkarstung das heutige Landschaftsbild der mittleren
Alb geprägt. Der Wasserarmut der Albhochfläche stehen
Karstquellen, vor allem die eindrucksvollen stark schüt-
tenden Quellaustritte, wie Blautopf, Urspringtopf, Ach-
topf und Kleine Lauterquelle, in den tief eingeschnittenen
Tälern am Albsüdrand gegenüber. Obwohl diese zunächst
nicht zum Bild der wasserarmen Karstlandschaft passen,
gehört beides dennoch untrennbar zusammen – eine Tat-
sache, die bereits der Dominikanerprior Felix Fabri Aus-
gang des 15. Jahrhunderts erkannte und beschrieb.
Die Verkarstung hat neben den Trockentälern und gro-
ßen Karstquellen aber auch charakteristische Karstfor-
menelemente entstehen lassen, so z. B. große abflusslose
Senken (Karstwannen) um Suppingen, Machtolsheim und
südlich von Berghülen um die Hessenhöfe, oder auch die
Erdfälle. Ebenso entstanden im Zuge der Verkarstung die
ausgesprochen großräumigen Höhlen, wie die Tiefenhöh-
le bei Laichingen und in besonderem Maße natürlich die
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Links: Mit den
Markierungsversuchen
nachgewiesenes
Entwässerungssystem
im Quelleinzugsgebiet
des Blautopfs mit zwei
Teileinzugsgebieten;
rechts: unterirdischer
Fließweg von „Ur-Blau”
(Blauhöhlensystem)
und „Nordblau“
(Hessenhauhöhle).
4 km lange Hessenhauhöhle und das Blauhöhlensystem,
das mit nunmehr über 11 km Länge mit Abstand die längs-
te Höhle der Schwäbischen Alb und eine der längsten in
Deutschland darstellt.
Es ist aber nicht nur die Größe, die diese beiden Höhlen
für den Karst der Alb so bedeutend macht. Viel bedeuten-
der ist die Tatsache, dass beide Höhlen von begehbaren
Höhlenflüssen – im Blauhöhlensystem die „Ur-Blau“ und
in der Hessenhauhöhle die „Nordblau“ – durchzogen wer-
den, die aufgrund ihrer großen Wassermenge weite Teile
der Albhochfläche unterirdisch drainieren. Schon immer
träumen die Höhlenforscher davon, in diese seit langem
vermuteten unterirdischen Entwässerungskanäle zu ge-
langen. Im Falle der Hessenhauhöhle ist dies gelungen,
nachdem die Höhlenforscher einer Verbruchzone folgend
einen knapp 130 m tiefen Schacht gruben und so nach
fast sechs Jahren harter Arbeit und mit hohem Durchhal-
tevermögen ans Ziel gelangten, nämlich die „Nordblau“ zu
erreichen.
Durch die Möglichkeit, diese unterirdischen Drainageäs-
te zumindest abschnittsweise begehen zu können, erhält
der Höhlenforscher und Hydrogeologe erstmals einen ver-
tieften Eindruck über die Vorgänge und die Struktur der
unterirdischen Entwässerung. Sofort stellen sich aber Fra-
gen: Wie hängen „Ur- und Nordblau“ zusammen? Woher
kommt das Wasser der „Nordblau“, das am Nordende der
Hessenhauhöhle aus einem Siphon austritt und bei Nor-
malwasserbedingungen mit etwa 1.000 Liter pro Sekunde
durch die Höhle Richtung Süden fließt. Wasserstands-
41
marken in der Höhle zeigen, dass unter Hochwasserbe-
dingungen weite Teile der Höhle geflutet werden können
und dann die Schüttung viele tausend Liter pro Sekunde
beträgt. Dann ist es ein reißender Fluss, der am südlichen
Höhlenende wieder in einem Siphon ins Nirwana ver-
schwindet. Hier haben die Höhlentaucher zwar zuvor fünf
Siphone durchtauchen oder umgehen können, der letzte
verhindert derzeit jedoch ein Weiterkommen.
Erste Hinweise auf die Herkunft der „Nordblau“ lie-
fern die schlechte Wasserqualität oder auf Bakterienak-
tivität zurückgehende Schleimfäden in den Siphonen und
schließlich auch der intensive Geruch nach Abwasser. All
dies lässt auf eine Verbindung zur sieben Kilometer ent-
fernten Kläranlage von Laichingen schließen, wo über
Jahrzehnte hinweg – wie auf der Alb allgemein üblich –
das geklärte Abwasser in einen Karstschacht eingeleitet
und dem Karstgrundwasser zugeführt wurde. Wie können
diese Überlegungen in den bisherigen Kenntnisstand der
unterirdischen Entwässerung eingebunden werden?
Die Karsthydrogeologen führen schon seit Jahrzehnten
Markierungsversuche durch. Mehr als 65 sind zwischen-
zeitlich allein auf der Laichinger und Blaubeurer Alb durch-
geführt und ausgewertet worden. Dabei wurde Wasser
meistens mit fluoreszierenden Farbstoffen markiert und
in Erdfällen oder Karstspalten versickert und deren Aus-
trittsorte in Quellen und Brunnen im weiten Umfeld der
Versickerungsstelle beobachtet. So konnten zwischen Ver-
sickerungsort und Austrittsstelle Verbindungen hergestellt
und durch eine Vielzahl solcher Versuche schließlich auch
die unterirdischen Einzugsgebiete der großen Karstquellen
ausgewiesen werden. Heute ist bekannt, dass das Einzugs-
gebiet des Blautopfs 165 Quadratkilometer groß ist und sich
nach Nordwesten bis in den Raum
Zainingen–Westerheim,
nach Norden bis in den Raum Hohenstadt–Widderstall
und nach Osten bis Machtolsheim erstreckt. Das unter-
irdische Einzugsgebiet der Kleinen Lauter fügt sich nach
Osten und Südosten an und nimmt den Raum nördlich
Treffensbuch und Machtolsheim bis hinauf nach Aichen
ein. Zwischen beiden Quelleinzugsbereichen gibt es ein
ca. 30 Quadratkilometer großes Überlappungsgebiet, aus
dem der Hauptanteil zwar zum Blautopf entwässert, aber
näherungsweise zehn Prozent noch zur Kleinen Lauter-
quelle gelangen. Das ist das Relikt einer langen Entwick-
lungsgeschichte und Zeugnis einer anders gestalteten
fossilen Entwässerung, als das Einzugsgebiet der Kleinen
Lauter zunächst noch die Albhochfläche dominierte und
sich das Einzugsgebiet des Blautopfs erst sukzessive nach
Norden und Nordwesten ausdehnte. Beim Vergleich des
Verlaufs der Trockentäler, die die Richtung der ehemaligen
oberirdischen Entwässerung konservierten, und der durch
die Markierungsversuche vorgegebenen Ausrichtung der
unterirdischen Entwässerung erkennt man den großen
Unterschied. Auch an dem 3,5 km langen Ast der etwa
Nord-Süd verlaufenden „Ur-Blau“ sieht man die gegenüber
der Ur-Lauter und dem nur wenig nördlich der Hessenhau-
höhle nach Osten verlaufenden Tobeltal die geänderte
unterirdische Entwässerungsachse. Die sich im Pleistozän
(also vor weniger als 2,6 Millionen Jahren) stetig fortset-
zende Hebung, aus der eine ca. 200 m tiefen Einschnei-
dung der Vorflut resultierte, führte also allmählich zu einer
Neuorientierung der unterirdischen Entwässerung. Das
Karstgrundwasser folgte neuen Wegen, die dem hydrau-
lisch gesehen kürzesten Weg zur Vorflut entsprachen und
durch günstig dazu verlaufende tektonische Strukturen
vorgegeben war. Dies leitete einerseits die Ausweitung
des anfangs in der Fläche so unbedeutenden und zwischen
Tiefental und System der Kleinen Lauter eingezwängten
42 43
Ur-Blautopf-Einzugsgebiets nach Nordwesten ein als auch
die großräumige Entwicklung des Blauhöhlensystems und
wahrscheinlich auch des Hessenhau-Systems. Gleichzeitig
verlor die Kleine Ur-Lauter stetig an Fläche.
Obwohl das Einzugsgebiet des Blautopfs außerordent-
lich gut untersucht ist, bestanden keine detaillierten Vor-
stellungen, wie die beiden Höhlenflüsse in dieses Entwäs-
serungsregime konkret einzubeziehen sind. Dieser Frage
sollte 2012 mit zwei kombinierten Markierungsversuchen
(mit der Eingabe von insgesamt vier Markierungsstoffen)
nachgegangen werden, welche die Höhlenforscher der
Arge Blaukarst und Blautopf sowie Wissenschaftler des In-
stituts für Angewandte Geowissenschaften am Karlsruher
Institut für Technologie in enger Zusammenarbeit durch-
geführt haben. Das Konzept ist hierarchisch aufgebaut. Ein
Versuch mit zwei Eingaben von Markierungsstoffen wurde
im lokalen Maßstab zur detaillierten Erkundung der Höh-
lenflüsse im Blauhöhlensystem und in der Hessenhauhöhle
und zur fraglichen Verbindung beider Höhlenäste durch-
geführt. Ein (regionaler) Versuch mit zwei weiteren Einga-
ben fand im Einzugsgebietsmaßstab statt, wobei Markie-
rungsstoffe in Laichingen (Luftlinie zum Blautopf 10 km)
und Zainingen (19 km) eingegeben wurden. Von beiden
Eingabestellen war seit langem bekannt, dass der Markie-
rungsstoff hauptsächlich im Blautopf austritt. Hier sollte
durch Beobachtung und Beprobung von „Nordblau“ und
„Ur-Blau“ der mögliche unterirdische Weg über die beiden
Höhlenäste und deren Einzugsgebiete abgeklärt werden.
Die Ergebnisse waren sehr vielschichtig. So wurde
das in die Hessenhauhöhle eingegebene Uranin im
Blauhöhlensystem im Bereich des „Mörikedoms“ und
am Blautopf nachgewiesen. Es trat sehr wahrscheinlich
über den wassererfüllten „Speleonautengang“ in das
Blauhöhlensystem ein. Das in der Laichinger Kläranlage
eingegebene Uranin wurde sowohl in der Hessenhauhöhle
als auch im Blauhöhlensystem (im „Mörikedom“) und
am Blautopf mit sichtbarer Grünfärbung festgestellt.
Das Karstwasser ist also nicht von Laichingen aus direkt
nach Süden geflossen, sondern zunächst nach Osten bis
Südosten, um dann die Hessenhauhöhle zu durchlaufen
und an deren Südende einen bislang unbekannten
Weg nach Südsüdosten zum Blautopf einzuschlagen –
sicherlich das Ergebnis einer mehrphasigen Entwicklung,
die möglicherweise nicht von Anfang an auf den Blautopf
ausgerichtet war. Die Versuche mit Sulforhodamin G
belegen den direkten Zusammenhang von „Ur-Blau“ und
Blautopf. Auch das gesamte Hinterland bis hinauf nach
Zainingen entwässert direkt über die „Ur-Blau“. Somit
muss das 165 Quadratkilometer große Quelleinzugsgebiet
des Blautopfs unterteilt und der „Ur-Blau“ und „Nordblau“
jeweils ein eigenes Teileinzugsgebiet zugeordnet werden.
Jeder Teilbereich wird von einer wasserführenden Höhle
durchzogen in der Funktion eines Hauptdrainageasts,
dem zahlreiche kleine und hierarchisch untergeordnete
Wasserzubringer zugeordnet werden. Beide Drainageäste,
von denen wir nur kleine Teile mit „Ur-Blau“ und „Nordblau“
kennen, laufen knapp oberhalb des Wasseraustritts am
Blautopf zusammen. Daraus ergibt sich ein hierarchisch
angelegtes Drainagesystem. Beide Teileinzugsgebiete
sind etwa gleich groß. Das ergibt sich aus Messungen des
Abflusses beider Teilströme.
Mit den Markierungsversuchen kann erstmals auch die
Fließgeschwindigkeit des unterirdischen Wassers gemes-
sen werden. Früher waren nur mittlere Angaben von der
Eingabestelle bis zur Quelle möglich. Diese beinhalteten
aber auch noch die vertikale Durchsickerung des Kalkge-
birges, bis das Wasser den Karstwasserspiegel erreicht.
43
Eingabe von
Sulforhodamin G in
eine Schluckstelle am
Ortsrand von
Zainingen.
Die Messungen in der „Ur-Blau“ belegen sehr verschie-
dene Fließgeschwindigkeiten: zwischen dem nördlichen
Höhlenende und der „Halle des verlorenen Flusses“ floss
das Wasser der „Ur-Blau“ mit 275 Meter pro Stunde (m/h).
Im weiteren Verlauf ging die Geschwindigkeit auf unter
100 m/h zurück und im vorderen, ganz gefluteten Ab-
schnitt bis zum Blautopf lag die Fließgeschwindigkeit bei
unter 50 m/h. Bei den zahlreichen früheren Markierungs-
versuchen im Einzugsgebiet wurden im Mittel Fließge-
schwindigkeiten um 110 m/h festgestellt, bei Hochwasser-
bedingungen ergaben sich allerdings bis zu 350 m/h. Das
sind mit die höchsten Werte, die im Karst der Schwäbi-
schen Alb überhaupt ermittelt wurden.
Die Bemühungen der Höhlenforscher und Hydrogeolo-
gen haben sich gelohnt. Die interdisziplinäre Zusammenar-
beit hat dem Blautopf, der wahrscheinlich bestuntersuch-
ten Karstquelle der Schwäbischen Alb, wieder ein weiteres
Geheimnis entlockt. Der Karsthydrogeologe konnte sein
Verständnis über das Grundwasser im Karst weiter verbes-
sern und als Erfahrungswerte bei angewandten Fragestel-
lungen, insbesondere bei seinen Bemühungen zum Schutz
des Karstwassers, einbringen. Dem Höhlenforscher erweist
das markierte Wasser den Weg für weitere Forschungen,
um die bisher noch unbekannten Teile der Hessenhauhöhle
zu erkunden. Wird es gelingen, eine begehbare Verbindung
zwischen der Hessenhauhöhle und dem Blauhöhlensystem
zu finden oder gar eine solche zwischen der Hessenhau-
höhle und den Höhlen bei Laichingen? Die Zukunft wird
es zeigen.
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