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Polizei, Asyl und Migration: Problemstellungen und Potenziale an der Schnittstelle von Ehrenamt, Sozialer Arbeit und Exekutive

Authors:
Peterlini H. K., Larcher D. In: S. Blumenthal, K. Lauermann, S. Sting
(Hrsg.): Soziale Arbeit und Soziale Frage(n) (Schriftenreihe der ÖFEB-
Sektion Sozialpädagogik, Band 1). Opladen, Farmington Hills: Verlag
Barbara Budrich, 2018, S. 155 -168
1 Polizei, Asyl und Migration. Problemstellungen
und Potenziale an der Schnittstelle von Ehrenamt,
Sozialer Arbeit und Exekutive
1.1 Risiken des Helfens und Eingreifens
1.1.1 Tatort-Szenen aus der Asylrealität: Polizeieinsatz in einer
Kärntner Flüchtlingsunterkunft
Die folgende Schilderung, die auch den zuständigen Stellen vorliegt,
1
stammt von einer Studierenden der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, die
ehrenamtlich in einer Flüchtlingsunterkunft in Kärnten arbeitete. Sie war fast
immer allein mit den Flüchtlingen, da es sich um ein
Selbstversorgungsquartier handelte, bei dem die Quartiergeber (gegen
Bezahlung) lediglich eine angemessene Unterbringung zur Verfügung stellen,
24 Stunden erreichbar sein müssen und „zumindest zwei- bis dreimal pro
Woche den BewohnerInnen für die Beantwortung allgemeiner Anfragen zur
Verfügung“ stehen sollten. Das sich Quartierbetreiber kaum sehen ließ und
seiner Verpflichtung nur sporadisch nachkam, war die ehrenamtliche Helferin
mit vielfältigsten Aufgaben konfrontiert, führte die Flüchtlinge zum
Einkaufen und schaute, dass sie gelegentlich ein abwechselndes
Freizeitangebot wahrnehmen konnten. Hilfestellung kam der Studierenden
eine Zeit lang von einer alten Frau in der Nachbarschaft zu, immer wieder
auch von ihrer eigenen Mutter. Ohne die Situation verallgemeinern zu
können und zu wollen, zeigt sich die Aufnahme, Betreuung und Begleitung
von Flüchtlingen vielfach als tristes Feld einer „organisierten Desintegration“
(Stemberger/Katsivelaris/Zirkowitsch 2014).
In einem Seminar, dessen Titel und Inhalt es war, „Macht und Ohnmacht in
pädagogischen Feldern“ zu reflektieren, berichtete die Studierende von
einem Vorkommnis im Frühjahr 2016, an dem sie ihre Überforderung
besonders verspürt habe. Ein syrischer Asylwerber legte ihr eine Nachricht
des Quartierbetreibers vor, dass die Polizei im Laufe des Tages
vorbeischauen werde, um mit ihm zu reden. Da die Meldung äußerst lapidar
war, rief sie den Quartiergeber an, der aber über keine weiteren
Informationen verfügte und sich auch nicht weiter dafür interessierte. Es war
gerade die Mutter der Studierenden mit ihr in der Unterkunft zugegen, als
ohne jedes Anklopfen die Tür aufsprang und zwei Polizisten in den Raum
stürmten.
Grußlos brüllte einer: „Adel Ussa
2
mitkommen!“ Der Betroffene, ein
Asylwerber aus Syrien, hob die Hand und fragte auf Englisch, was los sei.
Die beiden Beamten gaben ihm keine Antwort, sondern sagten weiterhin auf
Deutsch, er solle sich umziehen. Die Studierende fragte daraufhin die
Polizisten, was sie von Adel wollten. „Das geht dich gar nichts an“, wurde sie
angeherrscht. Sie versuchte trotzdem den beiden Beamten zu erklären, dass
Adel noch kein Deutsch verstehe. Diese gingen nicht darauf ein, sondern
wiesen sie zurecht, sie solle ihre Arbeit nicht behindern. Auszüge aus dem
Gedächtnisprotokoll, wie es von der Studierenden auch für eine öffentliche
Verwendung verfasst wurde:
„Einer der Polizisten ging zu Adel ins Zimmer, wo dieser sich umzog, und sagte
ihm, nun in sehr gebrochenem Englisch, er möge auch seine Papiere und seine Post
mitnehmen. Adel rief mich zu sich, weil er Angst hatte, was dies bedeuten möge. Die
Polizisten hielten mich zurück, auch mit meiner Mutter schlugen sie einen groben,
angsteinflößenden Ton an. Ich beharrte auf einer Antwort, was sie mit Adel vorhaben.
1
Gedächtnisprotokoll Studierende (o.D., März 2016). Email Peterlini an Amt der Kärntner Landesregierung,
Abt. 1, 8.3.2016, Antwortschreiben Amt der Kärntner Landesregierung, Abt. 1. (Udo Puschnig,
Nicole Walter, Nadine Ruthardt, 17.3.2016)
2
Name geändert
Er müsse zu Gericht, sagten sie, es habe mich aber nicht zu interessieren, was mit ihm
geschieht. Als meine Mutter und ich auf die Rechte von Adel hinwiesen, wurde einer
der beiden immer ungehaltener und schrie uns an. Meine Mutter verlangte seine
Dienstnummer, er verweigerte dies und verlangte stattdessen unsere Ausweise und
nahm die Personaldaten auf, weil wir wie er vermerkte Widerstand gegen die
Staatsgewalt geleistet hätten. Erst auf Beharren gab er uns in der Folge die
Dienstnummer, den Namen nicht.
Adel wurde zum Streifenwagen geführt. Trotz unseres Hinweises, dass er außer
uns niemanden in Österreich als Bezugsperson habe und wir deshalb wissen möchten,
wo er hingeführt wird, sagten sie, sie würden ihn nach der Verhandlung wieder
zurückbringen. So war es uns nicht möglich, Adel zu begleiten. Als letzter Kommentar
wurde uns noch gesagt: Nicht die Polizei ist das Problem, die Migranten sind es und
Leute wie ihr.“
Der Hintergrund der Polizeiaktion war, wie sich nachträglich in Erfahrung
bringen ließ, eine Vorladung zu Gericht, weil Adel bei seiner Flucht nach
Österreich einen gefälschten spanischen Ausweis gekauft hatte. Diesen hatte
er, als er in Niederösterreich von der Polizei aufgegriffen und nach illegalen
Gegenständen gefragt wurde, spontan der Polizei übergeben. Trotzdem
wurde ein Gerichtsverfahren gegen ihn eingeleitet, die Einladung dazu war
ausschließlich in deutscher Sprache verfasst, so dass er sie nicht verstand und
schließlich darauf vergaß deshalb wurde er nach dem ersten versäumten
Termin von der Polizei geholt.
In späteren, klärenden Gesprächen zwischen einem der Polizisten und der
ehrenamtlichen Flüchtlingshelferin stellte sich heraus, dass die beiden beim
Einsatz nicht genau gewusst hatten, worum es ging und was sie erwartete. Sie
waren in Hochspannung in die Wohnung gestürmt, durchaus in der
Annahme, dass Adel gefährlich sein könne. Am Seminar nahmen auch
Studierende teil, deren Verwandte in einem Fall der Partner Polizisten
waren. Diesen war das Problem fehlender Vorinformationen bei
Einsatzbefehlen bekannt vertraut.
1.1.2 Reflexion der Fallschilderung mit Blick auf Erklärungsmodelle
und Handlungsperspektiven
Die Fallbeschreibung zeigt zunächst unabhängig vom Vorgehen der
Polizei die Grenzen ehrenamtlichen Einsatzes auf. Die Studierende war sich
in ihrem idealistischen Einsatz völlig selbst überlassen. Ohne spezifische
Ausbildung und ohne jede Unterstützung leistete sie Hervorragendes, führte
die Asylsuchenden zu Ausgängen, organisierte Freizeitprogramme für sie,
schlichtete Konflikte, begleitete sie bei Behördengängen und sorgte selbst für
Beistand dies alles oft am Rande der im Seminar thematisierten Ohnmacht
und Überforderung, mit Anzeichen von Erschöpfung und Helfer-Burnout
(vgl. Schmidbauer 2001). Ehrenamtlicher Einsatzes ist einerseits eine
unverzichtbare Ressource, nicht nur, weil auf diese Weise viel geleistet wird,
was bezahlte Arbeit nur schwerlich leisten könnte, sondern weil gerade im
Migrations- und Asylbereich auch eine wichtige symbolische Aussage damit
verbunden ist. Der Einsatz der Helfer/innen kann als tätiges Sprechhandeln
betrachtet werden, das den dominanten Diskursen der Abwertung,
Problematisierung und Generalverdächtigung von Menschen migrantischer
Herkunft zivilgesellschaftliche Verantwortungsübernahme entgegensetzt.
Gerade im Jahr 2015 mit der statistischen Spitze von 88.340 Asylanträgen in
Österreich (BMI 2016, S. 3) war die überwältigende Hilfsbereitschaft von
Ehrenamtlichen eine stille, aber nicht zu übersehende Antwort auf mediale
und politische Schlagworte, die Bilder und Ängste einer nicht zu
bewältigenden, überfordernden „Flut“ heraufbeschworen. Die Schließung der
Balkangrenze, der Druck auf Verriegelung des Brennerpasses und die
Einführung einer Obergrenze waren nicht der fehlenden
Aufnahmebereitschaft der gesamten österreichischen Bevölkerung
geschuldet, sondern dem fehlenden politischen Mut angesichts des
befürchteten Rechtsrucks in Teilen der Bevölkerung. Schon in Folge der
Ungarnkrise 1956/57 (180.000 Flüchtlinge nach Österreich), des
sowjetischen Einmarsches in die damalige Tschechoslowakei 1968 (162.000
nach Österreich) und der Jugoslawien-Kriege der 1990er Jahre (90.000
Flüchtlinge nach Österreich) hatten sich Aufnahmebereitschaft und (noch
nicht so benannte) Willkommenskultur bewährt (vgl. UNHCR 2001-2017).
Die Stimmungswende, vor allem von den Silvesterereignissen 2015/16 in
Köln und Hamburg eingeleitet, zeigt zugleich, wie wichtig eine
sozialpädagogische, inter-/transkulturelle orientierte Betreuung und
Ausbildung auch der freiwilligen Helfer/innen ist. Sie sind nicht nur im
konkreten Praxisfeld extrem gefordert, sondern auch den nicht zu
unterschätzenden Beargwöhnungen auf einem „politisch umkämpfte[n] Feld“
(Stemberger/Katsivelaris/Zirkowitsch 2014) ausgesetzt. Die Helfer/innen
geraten ob ihres Einsatzes ebenso wie ihre Schützlinge unter Anklage, ja
werden mit diesen in das institutionelle Misstrauen einbezogen: „Nicht die
Polizei ist das Problem, die Migranten sind es und Leute wie ihr.“ (siehe
oben)
Dies erfordert im sensiblen Bereich der Asyl- und Migrationsbegleitung
qualifizierende Aus- und Weiterbildungen auf unterschiedlichen Ebenen (vgl.
Peterlini/Sting 2017, Auernheimer 2013, Sprung 2009), die den
Erschöpfungs- und Überforderungstendenzen entgegenwirken und zu einer
auch für Ehrenamtliche wichtigen Professionalisierung beitragen. Auf diese
Weise kann die wertvolle Ressource des Ehrenamtes nicht nur geschützt,
sondern auch valorisiert werden. Ebenso wichtig sind Supervision und
professionelle Betreuung der Betreuenden, um sowohl mit belastenden
Anforderungen als auch nur mit den vielfach von Traumatisierung und
existenzieller Not zeugenden Lebensgeschichten der Asylsuchenden
umgehen zu lernen.
1.1.3 Pädagogik kann Polizei nicht ersetzen, aber
Auf der der Ebene der Exekutive tut sich allein bei der Reflexion dieses
einen Falles eine Fülle von Problematiken und Handlungsnotwendigkeiten
auf. In der Vorgangsweise der Polizisten zeigt sich zum einen die
Notwendigkeit von klarer Information bei Erteilung eines Einsatzbefehls. Die
Polizisten wussten nicht, was genau Adel Ussa angestellt hat so stürmten
sie die Wohnung, als müssten sie mit gewalttätigem Widerstand rechnen.
Dies verweist nun aber nicht nur auf operativ und kommandotechnisch zu
behebende Mängel, sondern auch auf tieferliegende Grundhaltungen und -
dynamiken: Wenn nämlich unzureichende Informationen für den Einsatz in
einer Flüchtlingsunterbringung nahezu automatisch mit Fantasien vom
gefährlichen Ausländer aufgefüllt werden, verrät sich darin die verbreitete
Präsenz von ebensolchen „Vorannahmen mit Zuschreibungstendenz“
(Völschow, Janßen, Bajaa 2012). Diese entstehen nicht zwingend aus realen
Erfahrungen oder, was ebenfalls gern vermutet wird, aus Überforderung der
Polizistinnen und Polizisten. Dies mag zwar auch zutreffen, reicht aber als
ursächliche und damit auch alles entschuldigende Begründung nicht aus.
Vielmehr deuten sozialwissenschaftliche Befunde deutlich auf eine der
Institution Polizei innenwohnende und unreflektierte strukturelle Anfälligkeit
für rassistische und ausländerfeindliche Haltungen (vgl. Leenen 2005, S. 29).
Gründe dafür werden bereits in der Entscheidung darüber vermutet, wer
überhaupt zur Polizei geht und den Aufnahmekriterien entspricht.
Wenngleich dies nicht absolut gesetzt werden kann, dürfte es sich um
Personen mit klaren Ordnungsvorstellungen handeln, die umgekehrt mit
Ambivalenzen und Abweichungen erst zurechtkommen müssen. Die
kontinuierliche mediale und polit-diskursive Konstruktion „des
Ausländers/der Ausländerin“ als potentiell gefährlich (und zwar schon vor
den Amokläufen im Sommer 2016), als gewalttätig und parasitär, wirkt
zusätzlich verstärkend, wo Relativierung nötig wäre. Was die Minister
überfordert, was die Parteien nicht mehr verkraften, kann auch für
Polizistinnen und Polizisten an der Front nur überfordernd sein. So erfährt
die „Stress- und Überlastungsthese“ (ebd,) kontinuierliche mediale und
politische Bestätigung, sofern sie nicht überhaupt weitgehend diesen
Diskursen entspringt. Dass Polizistinnen und Polizisten vielfach nur
deliktbezogene Erfahrungen mit migrantischer Bevölkerung machen, trägt
erschwerend und bestätigend dazu bei. Es ist überdies zu vermuten, dass
solche Erfahrungen im oft tatsächlich oder zumindest potentiell gefährlichen
Einsatz tiefer haften als die unreflektierte und weniger in die
Aufmerksamkeit dringende Begegnung mit tüchtigen, arbeitssamen,
friedlichen, freundlichen, erfolgreichen Migrantinnen und Migranten.
Der im Polizeidienst hervorgebrachte Habitus, von Herrnkind (2003: 139)
als „Korpsgeist“ thematisiert, führt innerhalb von Einsatzgruppen und
Diensteinheiten dazu, dass fehlerhaftes Verhalten eines Kollegen/einer
Kollegin nicht kritisch reflektiert wird, sondern hinter einer „Mauer des
Schweigens“ (ebd.) verhüllt bleibt. Damit entfällt eine wichtige
Selbstkontrolle, da es die Kultur der „Kameraderie“ (ebd.) nicht ermöglicht,
dass Fehler angesprochen, geschweige denn eingestanden werden. Auch im
skizzierten Fallbeispiel war nur einer der beiden Polizisten besonders
aggressiv, der andere war ruhiger, griff aber nicht ein. Anstelle einer internen
Selbstkontrolle wirkt sich der stillschweigende „Ehrenkodex“ (ebd.) eher
noch verstärkend auf Gewalt- und Aggressionsverhalten aus, ein Ausbrechen
aus dieser Ordnung wird mit Mobbing und Isolation bestraft (vgl. Leenen
2005b: S. 59).
Mit der Habitus-Theorie von Bourdieu (vgl. 1982, 1997) lassen sich leicht
Elemente für solches Verhalten erkennen, das zugleich die Haltung prägt
und umgekehrt: Die gemeinsame Uniform, die berufliche Sozialisation in
einem Milieu, das geradezu berufsspezifisch dichotom zwischen richtig und
falsch, gut und böse, ehrenwert und unehrenwert unterscheidet, gemeinsame
Körpersprache, der Fahrstil im Auto auf der Fahrt zum Einsatz, die im Dienst
sich herausbildende Sprache (Jargon) führen dazu, dass Polizisten im
Einsatzfall nicht als sich reflektierende, von ihrer (in anderen Situationen
durchaus vorhandenen) Empathie geleitete Individuen dastehen, sondern als
Vertreter sozialer Positionstypen, als die sie sich zugleich reduktiv von außen
wahrgenommen fühlen, was sie in ihrer Selbstwahrnehmung und
Selbstdefinition zusätzlich stärkt.
Wenn Pädagogik (frei nach Franz Hamburger et. al, 1981) weder Politik
noch Polizei ersetzen kann, so obliegt ihr nach Benner jedenfalls die
Aufgabe, die anderen gesellschaftlichen Praxen (u.a. die Politik) und deren
gesellschaftlichen Anforderungen zu überprüfen und in pädagogisch legitime
Anforderungen überzuführen (Benner 2010, S. 108). Dazu, als theoretischer
Übergang zum praxeologischen Teil dieses Beitrages, einige mögliche
pädagogische Ansatzpunkte:
- Reflexion des formellen und informellen politischen Auftrags an die
Exekutive in Bezug auf Migration und Flüchtlingsbewegungen, insbesondere
vor dem Hintergrund einer politischen und medialen Sprache, die aus
Flüchtlingsbewegungen eine „Flut“ macht und Menschen aufgrund ihrer
Herkunft oder religiösen Zugehörigkeit pauschal kriminalisiert.
- Kritische Auseinandersetzung mit dem medial vermittelten
Selbstverständnis der Exekutive und den Auswahlkriterien für die Aufnahme
in den Polizeidienst.
- Eine stärkere Repräsentanz von Menschen aus migrantischer Herkunft
bei der Polizei (vgl. Hunold et al. 2010), wobei dies vor allem von der
symbolischen Aussage her von Bedeutung ist, aber nicht ausschließt, dass
auch Migrantinnen und Migranten in rassistische Denk- und
Handlungsmuster verfallen (die Gleichung Migrant/in guter Mensch ist
letztlich positiver Rassismus).
- Initiativen zur Herausbildung eines Reflexionsvermögens zuallererst gar
nicht in Bezug auf Inter-/Transkulturalität, Flucht und Migration, sondern auf
Sensibilisierung für zwischenmenschliche Kommunikation, Feedback- und
Fehlerkultur (Peterlini 2008), Reflexion des eigenen Verhaltens in sozialer
Interaktion: Wie kommuniziere ich verbal und nonverbal, was ich will ich
sagen oder zeigen, was kommt beim Gegenüber an? Was kann mein
Verhalten, mein Kommunizieren bei dem/der je Anderen auslösen,
bewirken? Auf welche Projektionen treffe ich, welche provoziere ich? Mit
welchen Ängsten gehe ich im Einsatzfall auf Menschen zu? Welche
Sicherheitsmaßnahmen sind nötig, welche kann ich nach Klärung der
Lage wieder zurücknehmen? Wie kann ich mich innerlich aus der im
Ernstfall nötigen Hochalarm-Haltung wieder herauslösen?
In der Auseinandersetzung mit der Arbeit von Polizei an Schnittstellen zu
Sozialer Arbeit, Sozialpädagogik und inter-/transkultureller Bildung kann die
Skandalisierung über Missbräuche zwar das soziale Bewusstsein schärfen,
reicht aber für einen Bewusstseinswandel bei den Betroffenen nicht aus (vgl.
Leenen 2005a: S. 37). Es bedarf unterschiedlicher Qualifizierungsstrategien,
die den besonderen Situationen und Haltungen von Menschen im
Polizeidienst Rechnung tragen. Wie der nachfolgende Abschnitt zeigt, ist
pädagogisches Handeln dabei ohne das Risiko des Scheiterns nicht zu haben.
1.2 Kiss of life: Praxisbeispiele einer inter-
/transkulturell orientierten pädagogischen Arbeit mit der
Exekutive
Die Analyse der Fallgeschichte (durch H.K. Peterlini) im ersten Abschnitt
hat gezeigt, dass polizeiliches Handeln im hochsensiblen Bereich von Flucht
und Migration alle Beteiligten in Situationen bringt, die ihren
Erfahrungshorizont überschreiten. Die staatlichen Institutionen, aber auch die
NGOs haben diesbezüglich wenig Routinewissen. Vor allem was die Polizei
betrifft, ist die Organisationsstruktur und sind die institutionellen
Rollenvorschriften für die einzelnen Akteure nicht unbedingt der völlig neuen
Situation angemessen. Wie bereits im vorigen Kapitel erläutert, sind die
Erfahrungen der Einsatzkräfte mit Zugewanderten meist beschränkt auf das
kriminelle Milieu. Manche von ihnen haben traumatisierende Erfahrungen
bei der Ausübung ihres Berufes machen müssen., wie Betroffene des im
Folgenden geschilderten Lehrgangs berichten.
Flüchtlinge und MigrantInnen sind meist von einem ganz bestimmten,
völlig konträren Bild der Institutionen und von ganz konträren
Rollenerwartungen geprägt: Polizei ist gefährlich, ist der Zivilgesellschaft
und dem schutzbedürftigen Individuum gegenüber feindlich gesinnt (vgl.
Gatti 2007). In der Kriminalsoziologie wird dies als Labeling bezeichnet, die
Labeling Theory (zu deutsch Etikettierungsansatz) behauptet, dass die
Selbstdefinition und das Verhalten von Individuen von jenen Begriffen
bestimmt oder zumindest beeinflusst werden können, mit denen sie
wahrgenommen und klassifiziert werden (vgl. Goffman 2010). Es liegt nahe,
dass Stigmatisierung bzw. Etikettierung auch Self fulfilling prophecies
produziert, die diesen Teufelskreis noch schwerer auflösbar machen. Die
Voraussetzung für konflikthafte Begegnungen ist damit vorprogrammiert.
Der folgende Abschnitt berichtet von persönlichen Erfahrungen des
Autors (D. Larcher) mit Lehrgängen für Polizei und Personen migrantischer
Herkunft, die Möglichkeiten zur Veränderung dieser vorprogrammierten
konflikthaften Konstellation auszuloten und zu nutzen versuchten.
3
1.2.1. Lehrgang für Polizei und MigrantInnen mithilfe von Mund-zu-
Mund-Beatmung
Zu Beginn der 2000er Jahre begann der vom Innenministerium geförderte
Lehrgang “Die Polizei in der Migrationsgesellschaft - Vom Umgang mit
Vielfalt”, dessen Ziel es war, Führungskräfte der Polizei aus ganz Österreich
auf die speziellen Herausforderungen vorzubereiten, die polizeiliches
Handeln in der neuen Migrationsgesellschaft vom traditionellen
Rollenhandeln unterscheiden sollte. Das Prinzip des Lehrgangs war der
Dialog, nicht das dozierende Lernen, denn auch die Vermittlungsform sollte
ausdrücken, was der zu vermittelnde Inhalt ist: Sensibilisierung für
zwischenmenschliche Kommunikation, Feedback- und Fehlerkultur. Lernen
sollte in diesem Lehrgang hauptsächlich durch themenzentrierte Interaktion
erfolgen, und zwar mit der Tandemmethode, also mit Mund-zu-Mund-
Beatmung zwischen je einem Polizisten und einem Migranten. Es sollte
durch diese intensiven Begegnungen einerseits eine Dekonstruktion der
Etikettierungen (des Labeling) eingeleitet, eine realitätsnähere Sicht des
jeweils Anderen gefördert, andererseits aber auch die tief sitzende, oft
unbewusste Angst vor dem Fremden, der latente Rassismus, von dem
niemand gänzlich frei ist, reduziert werden.
3
Es handelt sich um den Lehrgang "Die Polizei in der Migrationsgesellschaft - Vom Umgang mit Vielfalt",
der von Susanna Gratzl und Maria Hirtenlehner als Tandemlehrgang eingerichtet, organisiert und
geleitet wurde. (Vgl. auch Gratzl/Hirtenlehner 2008) Ein YouTube Video (IZKS 2009)
informiert anschaulich über diese Veranstaltungsfolge
https://www.youtube.com/watch?v=HLag6SKgy8s
Auch ich als Referent musste mir meiner eigenen Angst bewusstwerden,
nicht jener vor Migrantinnen und Migranten, sondern vor der Polizei, deren
Corps d’ésprit und deren persönlichem Habitus. Diese Ängste rührten nicht
von schlechten Erfahrungen her, ich hatte so gut wie keine Erfahrung mit der
Polizei, sondern auf Grund von unrealistischen Vorannahmen. Meine Angst
war also nicht Realangst, sondern, zumindest Freud würde das so sehen,
neurotische Angst (vgl. Freud 1926/2000).
Es wurden also Tandems gebildet, indem je ein/ePolizist/in unein/e
Migrant/in nach Zufallsprinzip einander zugeordnet wurden und während des
gesamten Lehrgangs beisammenblieben, um durch gemeinsame Projektarbeit
voneinander zu lernen. Etwas salopp könnte man das als didaktische Mund-
zu-Mund-Beatmung, als ”Kiss of Life” bezeichnen. Für die Gruppe der
Polizist/innen gab es aber auch intensiven Lehrbetrieb in Seminarform mit
Referaten, Diskussionen und Übungen. Aus der Lehrgangsevaluation geht
jedoch hervor, dass die Tandemerfahrung von allen Teilnehmern als das
nachhaltigste Lernerlebnis des gesamten Lehrgangs beschrieben wurde. Es
waren vor allem die Projekte, die sich die Tandempaare miteinander
ausdachten und durchführten, welche im Sinne der oben genannten
Projektziele intensive Lernerfahrungen ermöglichten. Sie waren der konkrete
Anlass, miteinander zu kooperieren, und zwar sowohl auf der Inhalts- als
auch auf der Beziehungsebene. Dabei entstanden Projekte, die zwar keinen
wissenschaftlichen Zweck erfüllten, wohl aber die Menschen einander
näherbrachten.
Doch zunächst soll vom Eröffnungsseminar die Rede sein, an dem
zunächst nur Polizeibedienstete teilnahmen. Im Vorfeld ging es darum, aus
einer bunt zusammengewürfelten Schar von 25 Personen aus allen
Bundesländern eine Gruppe zu machen und sie dafür zu sensibilisieren,
worauf sie sich durch die Anmeldung für diesen Lehrgang eingelassen hatten.
Das lief in den meisten Lehrgängen recht ähnlich ab. Da standen 25 Personen
im Kreis, Personen, die zwar keine Uniform trugen, deren Körperhaltung
aber schon signalisierte: “Achtung, da bin ICH!” Ich hatte in meiner
universitären Laufbahn und auch bei externen Lehrtätigkeiten (zum Beispiel
Lehrerfortbildungsseminare) nie erlebt, dass eine ganze Gruppe so viel
körperliche Präsenz zeigte. Als ich das erste Mal mit den Polizistinnen und
Polizisten arbeitete, fühlte ich mich dadurch irritiert. Was tun? Ich war
verunsichert, warf meine Vorbereitung über den Haufen und überlegte kurz.
Spontan entschied ich mich, ihnen die Erfahrung, selbst ein Fremder zu sein
und sich in einer fremden Sprache, die ihnen aufgezwungen wird, stotternd
und radebrechend zu äußern. Zugleich sollte aber auch ein
Gruppenbildungsprozess eingeleitet werden. Das zwang mich zum
Improvisieren. Ich probierte ein Vorstellungsspiel in französischer Sprache.
Es verlief chaotisch, es wurde viel gelacht, aber das Lachen war kein
befreiendes Lachen, sondern eher ein Lachen aus Verlegenheit. Ich vermute,
dass hier Angst weggelacht wurde, die Angst, sein Gesicht zu verlieren, weil
man in dieser fremden Sprache nur stottern und stammeln konnte. Ohne
große Belehrung wurden beim eigenen Stottern die Parallelen zu den
Sprachproblemen von Zugewanderten entdeckt.
Als wir über die Erfahrungen aus diesem linguistischen Überfall
diskutieren, stellt sich heraus, dass ich mit meinen Vorannahmen über die
fremdsprachliche Totalabstinenz der Polizei keineswegs richtig lag, denn
einerseits gab es einige, die von sich aus Türkisch lernten, einen sogar, der
bereits relativ gut Türkisch sprach, außerdem auch andere, die ganz begeistert
und neugierig auf weitere Sprachexperimente warteten. Deshalb probierten
wir in einem späteren Seminar das Sprachlernen mit der Simulation globale,
einer sehr ungewöhnlichen Methode mit experimentellem Charakter, von der
ich mir erhoffte, dass sie bei der Begegnung und der intensiven Kooperation
mit den migrantischen Tandempartner/innen Früchte tragen würde.
Die Beobachtung und Reflexion dieser ersten Übung half bei der Auswahl
der weiteren Schritte, welche die Begegnung der Polizistinnen und Polizisten
mit ihren migrantischen Tandempartnern vorbereiten sollten. Sie brauchten
meiner Einschätzung nach die glichkeit zum Probehandeln, zum
Durchspielen heikler Situationen interkultureller Begegnung im Schonraum
des Seminars, um die Ambivalenzen und Mehrdeutigkeiten, die Über-
raschungen und Fallstricke interkulturellen Handelns ohne den Druck einer
Ernstsituation zu spüren, bevor sie die Probebühne verlassen und mit ihren
Tandempartnern die eigentliche Seminaraufgabe, die Durchführung eines
gemeinsamen Projektes in Angriff nehmen würden. In ihrem beruflichen
Alltag hatten sie nicht die Möglichkeit des Probehandelns, sondern waren
gezwungen, wie schon im ersten Abschnitt geschildert, rasch einzugreifen,
oft ohne viel Hintergrundinformation und ohne Sensibilisierung für die
Problematik des Intervenierens in interkulturellen Situationen. Umso
wichtiger schien es mir daher, ihnen ohne den Stress einer solchen
Amtshandlung die Möglichkeit zu bieten, Aspekte interkulturellen Handelns
absichtlich langsam und zeitverzögert durchzuspielen und quasi durch ein
Vergrößerungsglas zu sehen, was solche Handlungen bei einem selbst und
bei Interaktionspartnern auslösen können.
Ich erwähne zwei von vielen Szenarien des Seminars, um ein wenig
deutlicher zu machen, wie gearbeitet wurde, um interkulturelle Begegnungen
probehandelnd vorzubereiten. Alle diese Handlungsentwürfe orientierten sich
in ihrer Zielperspektive an Schlüsselqualifikationen interkulturellen Handelns
wie Empathiefähigkeit, Rollendistanz, Ambiguitätstoleranz, kommunikative
Kompetenz; Konzepte, die bereits seit langem in der Sozialpsychologie
diskutiert wurden (vgl. Krappmann 1971/3000), sowie Cultural Awareness,
verstanden als Sensibilisierung für kulturspezifische Unterschiede.
Durchaus erfolgreich waren Simulationsspiele, bei denen die Gruppe der
Polizisten/Polizistinnen aufgeteilt wurde in “Flüchtlinge”, die wegen einer
schrecklichen Umweltkatastrophe aus Österreich fliehen mussten. Im
Ankunftsland mussten sie die Bewohner eines Dorfes - gespielt von den
übrigen Gruppenmitgliedern - um Asyl bitten. Das wurde von manchen
Gruppen mit sehr großem Ernst gespielt. Es wurde jedoch bei einer anderen
Gelegenheit eher zur Tragikomödie, als ich die Vorgaben für die
Teilnehmer/innen umdrehte: Eine Gruppe musste die Rolle von
ausländischen Flüchtlingen übernehmen, die andere spielte die Bewohner
eines österreichischen Dorfes. Das war die Gelegenheit, genussvoll alle
Stehsätze freiheitlicher und grüner Lokalpolitiker durch den Kakao zu ziehen.
Großer Lacherfolg, aber es ist fraglich, wie tief diese Erfahrung ging, ob sie
kathartische Wirkung hatte.
Empathie stand bei einer anderen Übung im Mittelpunkt, die allen
Teilnehmern und Teilnehmerinnen besonders nachhaltige Eindrücke
vermittelte: Auf dem Boden des Seminarraumes lagen an die 50 Fotos von
Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen dieser Welt. Die Polizeileute
wurden aufgefordert, sich eines dieser Bilder herauszusuchen, sich mit der
dargestellten Person zu identifizieren und dieser Person eine
Lebensgeschichte zu erfinden, einen Grund für die Flucht aus der Heimat
nach Österreich auszudenken und das neue Leben hier zu schildern. Diese
Geschichte sollte in Ich-Form gebracht und im Plenum vorgetragen werden.
Anschließend die eigentliche Übung, Meditationsübung und
Phantasiereise in einem: Alle sitzen mit geschlossenen Augen bequem auf
ihren Stühlen und versuchen sich zu entspannen. Sie sollen imaginieren, sie
säßen nach einem anstrengenden Tag zu Hause auf der Couch und würden
sich erholen. Plötzlich klopft es an der Türe. Herein kommt genau jene
Person, mit der sie sich zuerst identifiziert hatten, und bittet um Rat und
Hilfe. Es gibt ein Problem mit den Behörden. Sie soll keinen Status als
anerkannter Asylwerber erhalten und muss die Abschiebung fürchten. Zu
imaginieren ist nun das Gespräch zwischen den beiden. Nach einiger Zeit
steht die Person auf, dankt sehr herzlich, und verabschiedet sich. Bevor sie
den Raum verlässt, überreicht sie noch ein Geschenk, das in Papier
eingewickelt ist.
Hohe Konzentration, absolute Stille. Die Moderation erfolgt langsam und
eindringlich. Am Ende bleiben alle noch stumm sitzen, erst nach einiger Zeit
öffnen sie nacheinander wieder die Augen. Dann erzählt jeder, was er bei
dieser Übung erlebt hat. Eine Nachbesprechung direkt im Anschluss an die
Übung scheint nicht notwendig. Man sieht mit freiem Auge, dass jeder mit
seinen Eindrücken beschäftigt ist. Es folgt die Pause. Selten habe ich die
Teilnehmer/innen so schweigsam aus dem Raum gehen sehen.
Reflektiert werden die Erfahrungen aus dieser und anderen Übungen erst
im nächsten Seminar des Lehrgangs, wobei diese Reflexion weniger in
theoretischer Verallgemeinerung, sondern hauptsächlich in praxisbezogener
Diskussion erfolgt. Bei dieser Gelegenheit wird auch viel über eigene private
Erfahrungen im Kontakt mit Migranten erzählt. Mich erstaunt, dass manche
von ihnen sehr eng mit migrantischen Zirkeln vernetzt sind. Einer erzählt,
dass ihn seine muslimischen Freunde sogar zum Fastenbrechen am Ende des
Ramadan eingeladen haben. Und er ist stolz darauf. Ein anderer spricht vom
gemeinsamen Musizieren in einer Band.
Doch das Allerwichtigste, die eigentliche Seminarerfahrung, kam dann,
wenn die Migrantinnen und Migranten dazu stießen und wenn Tandempaare
gebildet wurden. Am ehesten bekommt man eine konkrete Vorstellung von
diesem Tandem, wenn man erfährt, um welche Projekte es ging. Ich wähle
einige wenige aus, die exemplarisch zeigen können, worum es dabei ging.
Zunächst einmal berufspraktischen Projekte:
- Ein Polizist hilft einem Migranten, eine Arbeitsstelle zu finden. Sie
schreiben mehrere Dutzend Bewerbungsschreiben und bekommen nur
negative Antworten. Irgendwann, nach Monaten, gelingt es tatsächlich, eine
halbwegs passende Arbeitsstelle zu finden. Der Bericht der beiden im Plenum
berührt alle.
Dann die künstlerischen:
- Zwei Migranten, genauer ein Migrant und eine Migrantin, beide in ihrer
Heimat Aktionskünstler, die mit ihren Interventionen durchaus
gesellschaftskritische Absichten verbinden, überzeugen ihre beiden
Tandempartner, also die beiden Polizisten, dass sie ihre Kleidung tauschen
sollen, und zwar vor laufender Kamera. Die Migranten entkleiden sich und
ziehen sich die Polizeiuniformen an, die Polizisten entkleiden sich ebenfalls
und ziehen die schon etwas derangierten Kleider der Migranten an. The
medium is the message.
Und schließlich Projekte, die ich als Öffnen intimer Bereiche bezeichnen
möchte.
- Ein Polizist lädt seinen migrantischen Partner aus Nigeria samt dessen
Familie am Sonntag in die eigene Familie ein. Sie machen mitsammen eine
Wanderung. Im Plenum zeigen sie Fotos und erzählen, wie dieses Erlebnis
bei ihren Angehörigen angekommen ist. Es sind Freundschaften entstanden,
auch unter den Jugendlichen.
Die Ziele einer jeden interkulturellen Kommunikation, nämlich
Rollendistanz, Empathiefähigkeit, Ambiguitätstoleranz und kommunikative
Kompetenz (vgl. Krappmann 1971/2004) wurden mit solchen
Projekterfahrungen ziemlich gut erreicht, denn all diese Kompetenzen
entwickelten sich zumindest ansatzweise nebenbei, ohne dass irgendjemand
gesagt hätte, sie seien anzustreben. In der Medizin nennt man das
unbeabsichtigte Nebenwirkungen. Nun, unbeabsichtigt waren sie von der
Lehrgangsplanung natürlich nicht. Genau deshalb hatte man ja die
Tandemmethode gewählt, nämlich, weil sie unbewusstes, oder genauer,
vorbewusstes Lernen ermöglicht.
Dieser Lehrgang umfasste in der Laufzeit eines Jahres insgesamt 8
Module, die auf vier mehrtätige Seminare und eine Abschlussveranstaltung
mit Verleihung der Lehrgangsdiplome verteilt waren. Was ich im Verlauf
meiner viele Jahre währenden Tätigkeit beobachtete und erlebte, lässt sich
zusammenfassen als Entwicklung einer erfahrungsoffenen Perspektive, die
differenziert wahrnimmt statt zu dichotomisieren und in schwierigen
interkulturellen Konflikten reflektiert handelt. In einer meiner
Abschlussreden anlässlich der Diplomverleihung sagte ich zu den
Anwesenden aus Polizei und Migrationsgesellschaft, ich würde es für eine
der wichtigsten demokratischen Errungenschaften Österreichs halten, dass
Sicherheit keine Ware sei, die man kaufen könne, sondern ein öffentliches
Gut. Wer in diesem Land lebt, der könne von der Annahme ausgehen, dass
die Polizei sich an die Gesetze halte und Individuen vor Unrecht schütze und
dass sie, als demokratische Institution der Republik, für ihr Handeln auch zur
Verantwortung gezogen werden könne. Dass dies die migrantischen
Teilnehmer/innen so zu sehen gelernt hatten, dass auch sie ihre Vorbehalte
und ihre Ängste vor der Polizei abbauen konnten, kam in den abschließenden
Gesprächen deutlich zum Ausdruck. Dass die Polizisten während des
Lehrgangs im stressfreien Raum positiv besetzte Kontakte zu Migrantinnen
und Migranten entwickeln konnten, mit ihnen kooperierten und gemeinsam
Arbeitsergebnisse erzielten, war das erhoffte positive Ergebnis, welches das
Leitbild des polizeilichen Handelns ein Stück weit vom “worst case scenario”
und der Leitfigur des Kriegers für Recht und Ordnung hin zu subjekt- und
situationssensibler Konfliktlösung verschob.
Der Lehrgang, der im Jahr 2009 vom Unterrichtsministerium mit dem
Staatspreis für Erwachsenenbildung ausgezeichnet wurde, ist allerdings
letztlich gescheitert. Er wurde ausgerechnet im Jahr der Flüchtlingswelle
2015 vom Innenministerium ohne Angabe von Gründen eingestellt.
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