Content uploaded by Müller Claude
Author content
All content in this area was uploaded by Müller Claude on Mar 08, 2019
Content may be subject to copyright.
85
Claude Müller und Fabienne Javet
Flexibles Lernen als Lernform der
Zukunft?
1 Einführung
Unsere Gesellschaft ist einem ständigen Transformationspro-
zess unterworfen, und Flexibilität nimmt eine zunehmend wich-
tigere Rolle in verschiedenen Lebensbereichen ein. Beispiele da-
für sind flexible Arbeitszeiten und hohe zeitliche Verfügbarkeit
im Beruf, neue Familienmodelle sowie insbesondere im Tertiär-
bereich hochgradig mobile und globalisierte Lernende. In die-
sem Zusammenhang wird auch von den Bildungsinstitutionen
mehr Flexibilität und Individualisierung gefordert, und in den
letzten Jahren ist flexibles Lernen in den Fokus der pädagogi-
schen Qualitätsentwicklung gerückt. Das flexible Lernen wurde
in den 1970er Jahren in den USA begründet, seither hat sich das
Interesse daran ständig entwickelt, was sich auch in einer stei-
genden Zahl an Publikationen in diesem Themenfeld ausdrückt
(Li & Wong, 2018). Auch die aktuelle Diskussion zur Digitalisie-
rung der Bildung ist stark vom Begriff des flexiblen Lernens ge-
prägt; flexibles Lernen, digitales Lernen, Blended oder Distance
Learning werden denn auch häufig sinngleich verwendet. In die-
sem Beitrag wird der Begriff des flexiblen Lernens geklärt, es
werden exemplarisch Umsetzungen an Bildungsinstitutionen
vorgestellt sowie Herausforderungen und Grenzen von flexiblem
Lernen als Lernform der Zukunft diskutiert.
Lehren und Lernen auf der Sekundarstufe II
86
2 Konzepte und Dimensionen des flexiblen
Lernens
Flexibles Lernen oder Flexible Learning ist ein breiter Begriff
mit unterschiedlichen Interpretationen (De Boer & Collis, 2005;
Li & Wong, 2018). Ganz allgemein formuliert, sollen flexible
Lernangebote den unterschiedlichen Bedürfnissen der Lernen-
den entsprechen und es ihnen ermöglichen, mehr Verantwor-
tung für den eigenen Lernprozess zu übernehmen (Wade, 1994).
Im Zentrum von flexiblem Lernen stehen die Lernenden mit
ihren Bedürfnissen; die Bildungsangebote sollen ihnen die Mög-
lichkeit geben, selbst zu entscheiden, was, wann, wie und wo
gelernt wird. Die British Higher Education Academy beschreibt
dieses Konzept wie folgt: «Flexible learning is about empowering
students by offering them choices in how, what, when and where
they learn: the pace, place and mode of delivery» (HEA, 2015,
S. 1).
Beim flexiblen Lernen müssen zwei Perspektiven adressiert
werden. Die institutionelle Perspektive stellt die Frage, wie die
Lernorganisation und die didaktische Ausgestaltung aussehen
müssen, um beispielsweise den zeitlich und räumlich unabhän-
gigen Zugriff auf Lernressourcen zu gewährleisten. Aus Sicht
der Lernenden muss beachtet werden, dass flexibles Lernen Ler-
nende in die Lage versetzt, einen selbstbestimmten Lernweg zu
wählen und das Lernen entsprechend selbst zu regulieren; sie
sind stärker als zuvor für den eigenen Lernprozess verantwort-
lich. Dies stellt auch höhere Anforderungen an das persönliche
Zeitmanagement und die Selbstregulation der Lernenden. Die
HEA (2015) schlägt folgende Möglichkeiten zur Flexibilisierung
des Lernens vor:
– Wie: Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Lernforma-
ten wie Präsenzlernen, Online Learning oder Blended Lear-
ning anbieten.
– Was: Bereitstellung von personalisierten Lernumgebungen
mit einem vielfältigen Angebot an Optionen, die es den Ler-
nenden ermöglichen, die Lerninhalte nach ihren Bedürfnis-
sen und Wünschen zu wählen.
Konzepte und Dimensionen des flexiblen Lernens
87
– Wann: Anbieten einer Ausbildungsstruktur mit der Möglich-
keit, die Lernzeiten selbst zu wählen, die Lernzeiten an das
Arbeits- und Privatleben anzupassen sowie die Intensität und
das Lerntempo zu bestimmen; von Vollzeit und beschleunigt
bis hin zu Teilzeit und zeitlich gestreckt.
– Wo: Gestaltung einer Lernumgebung, die es ermöglicht, an
verschiedenen Orten zu lernen, sei es zu Hause, am Arbeits-
platz oder im Ausland.
Das von der HEA (2015) entwickelte Framework versucht, flexib-
les Lernen für die Hochschulbildung umfassend abzubilden, und
umfasst auch die Rolle der Institution beim Bildungszugang oder
die organisatorischen und administrativen Bildungsaspekte.
Beispielsweise sollen durch institutionelle Agilität eine hohe
Durchlässigkeit der verschiedenen Bildungsstufen und offene
Bildungszugänge für Lernende mit verschiedenen Lernbiogra-
fien und unterschiedlichem sozialem Hintergrund ermöglicht
werden. Eine wichtige Frage ist dabei, wie non-formal (z. B. in
betriebsinternen Kursen) und informell (z. B. durch berufliche,
private Aktivitäten) erworbene Kompetenzen anerkannt werden
können. Dieser Aspekt steht in Europa auf der Tertiärstufe mo-
mentan im Fokus (Cedefop, 2015), die Umsetzung stellt aber hohe
Anforderungen sowohl an ein Bildungssystem als auch an die
jeweiligen Bildungsanbieter. Der Ansatz des «Recognition of
prior Learning» wurde darum in vielen europäischen Ländern
nur teilweise respektive noch gar nicht umgesetzt (European
Commission, EACEA & Eurydice, 2018).
Aus pädagogischer Sicht können verschiedene Dimensionen
von flexiblem Lernen identifiziert werden. Gemäß dem vielzitier-
ten Artikel von Chen (2003) muss für flexibles Lernen in mindes-
tens einer der folgenden Lerndimensionen Flexibilität vorhan-
den sein: Zeit, Ort, Geschwindigkeit, Lernsti l, Inhalt, Assessment
oder Lernpfad. Li und Wong (2018) haben die bisherigen Publi-
kationen analysiert und sind zu ähnlichen Komponenten von
flexiblem Lernen gekommen: Zeit (tim e), Inhalt (content), Zu-
gangsvoraussetzungen (entry requirement), Bereitstellung (del i-
very), didaktische Gestaltung (instructional approach), Beurtei-
Lehren und Lernen auf der Sekundarstufe II
88
lung und Bewertung (assessment), Lernressourcen und Support
(resources and support) sowie Orientierung und Ziele (orient a-
tion and goal). Über die Flexibilisierung dieser Aspekte durch
die Bildungsorganisation respektive die Lehrenden können den
Bedürfnissen der Studierenden angepasste Lernumgebungen
angeboten werden. Die Zeitdimension bezieht sich nicht nur auf
das Datum und die Uhrzeit eines Kurses oder eines Moduls (z. B.
Abendunterricht), sondern auch auf das Lerntempo innerhalb
eines Kurses. Die Inhalte umfassen die Studienthemen – z. B. fle-
xible Curricula, deren Reihenfolge und Schwierigkeitsgrad vari-
iert werden kann, ohne die Bildungsziele insgesamt zu beein-
trächtigen. Der Aspekt der Zugangsvoraussetzungen fragt nach
den Voraussetzungen für die Teilnahme an Bildungsangeboten.
Die Bereitstellung bezieht sich auf den Verteilungsmodus der
Lernressourcen. Mit Webtechnologie und Breitbandinfrastruk-
tur lassen sich heute vielfältige Online-Lernumgebungen mittels
Lernvideos, Vorlesungsstreaming oder Webkommunikations-
und Kollaborationstools gestalten, womit der Zugriff auf die be-
nötigten Lernressourcen und Kommunikationstools heute fast
überall möglich ist. Viele Projekte zu flexiblem Lernen beziehen
sich auf diese Dimension, mit der das Lernen zeitlich und örtlich
flexibilisiert wird. Auch die didaktische Gestaltung kann in Be-
zug auf Umfang, Sprache, soziale Organisation, Zeitpunkt und
Art und Dauer der Lernaktivitäten vielfältig und flexibel gestal-
tet werden. Bei der Beurteilung und Bewertung kann mittels
unterschiedlicher Prüfungsmodi (z. B. schriftlich vs. mündlich,
eine große Prüfung vs. mehrere kleinere Prüfungen) sowie alter-
nativer Möglichkeiten, ein Zertifikat zu erhalten (z. B. Prüfung,
Präsentation, Gruppe- vs. Einzelarbeit), auf die unterschiedli-
chen Bedürfnisse der Lernenden eingegangen werden. Andere
Formen der Flexibilität bei der Beurteilung und Bewertung be-
ziehen sich auf die Gewichtung der verschiedenen Leistungs-
nachweise und auf die Anforderungen bezüglich Terminen und
Fristen von Leistungsnachweisen. Flexibles Lernen ist kein auto-
nomes Lernen, sondern erfordert vielfältige Lernressourcen mit
verschiedenen Zugängen sowie zeitlich und örtlich flexible
Unterstützung und Beratung. Die Festlegung der Lernziele kann
Implementation von flexiblem Lernen
89
als weiterer wichtiger Faktor für die Lernflexibilität angesehen
werden.
Die genannten Dimensionen geben einen Orientierungsrah-
men zu den Aspekten von flexiblem Lernen und bieten zudem
eine Möglichkeit, den Grad der Flexibilität eines Bildungsange-
botes zu bewerten. Heutzutage wird flexibles Lernen vor allem
durch den Einsatz neuer Technologien realisiert (Tucker & Mor-
ris, 2012). Die oben genannten Dimensionen zeigen jedoch, dass
flexibles Lernen weit mehr ist als nur der Einsatz von neuen
Technologien (Li & Wong, 2018). Diese dienen aber als wichtige
Enabler, mit denen flexible Lernumgebungen gestaltet werden
können. Im Kern geht es beim Konzept des flexiblen Lernens
darum, dass Lernende durch verschiedene Optionen beim Lern-
angebot die Möglichkeit haben, ihre Aus- und Weiterbildung und
damit ihren Lernprozess bestmöglich an die eigenen Bedürfnis-
se und damit ihrem spezifischen Lebenskontext anzupassen.
3 Implementation von flexiblem Lernen
Bisher wurde flexibles Lernen hauptsächlich auf der Tertiärstu-
fe implementiert, weil die Vereinbarkeit von Familie, Studium
und Beruf immer mehr in den Vordergrund rückt und einen
wichtigen Anspruch der Studierenden an die Hochschule dar-
stellt. Traditionell wurde die Vereinbarkeit von Studium und Be-
ruf mittels Teilzeitstudien ermöglicht, die in vielen europäischen
Ländern existieren; teilweise stehen diese aber nur Studieren-
den mit einer nachgewiesenen Beschäftigung in einem bestimm-
ten Umfang offen (Eurydice, 2014). Dass das Bedürfnis nach fle-
xiblen Studienangeboten besteht, zeigt der Erfolg von meist
privaten Fernfachhochschulen, welche sich im Vergleich mit
staatlichen Hochschulen trotz höherer Studiengebühren durch
besonders flexible Studienangebote im Hochschulmarkt behaup-
ten können. Unterdessen setzen aber auch staatliche Hochschu-
len auf flexibles Lernen. So erproben deutsche Hochschulen fle-
xible Studienformate, um auf die zunehmende studentische
Diversität zu reagieren (Zervakis & Mooraj, 2014). Die FH Süd-
Lehren und Lernen auf der Sekundarstufe II
90
westfalen hat beispielsweise ein «Studium flexibel» für ihre Stu-
diengänge der Ingenieurwissenschaften eingeführt, bei wel-
chem die beiden ersten Semester in vier Semestern durchlaufen
werden können und das Studium mit verpflichtenden Gesprä-
chen zur Studiensituation und unterstützenden Angeboten er-
gänzt wird. Mit diesem Studienformat möchte die Hochschule
die in den MINT-Fächern hohe Abbrecher- und Durchfallquote
reduzieren sowie gleichzeitig das selbstverantwortliche Han-
deln der Studienanfänger fördern (FH Südwestfalen, 2018). Ähn-
liche Ansätze zur Flexibilisierung der Studiengangszeit und -or-
ganisation werden momentan auch in den Niederlanden verfolgt
(Cinop, 2017).
In der Schweiz hat die Zürcher Hochschule für Angewandte
Wissenschaften (ZHAW) einen FLEX-Studiengang entwickelt, bei
dem die Präsenzzeit gegenüber dem Teilzeitstudium um mehr
als die Hälfte reduziert und durch eine Online-Lernumgebung
ersetzt wurde (Müller, Stahl, Lübcke & Alder, 2016). Die bisheri-
gen Befunde zeigen, dass Studierende und Dozierende den Stu-
diengang positiv aufgenommen haben und Studierende des
FLEX-Studiengangs im Vergleich mit Studierenden des konven-
tionellen Studienformats zumindest gleichwertige Leistungen
erzielen (Müller, Lübcke & Alder, 2017). Ob flexibles Lernen all-
gemein zu äquivalenten Lernergebnissen im Vergleich mit tradi-
tionellen Lernansätzen führt, wurde bisher wenig untersucht.
Am ehesten können dazu die Metaanalysen zu Blended Learning
(z. B. Vo, Zhu & Diep 2017) herangezogen werden; diese unter-
scheiden aber bisher nicht, ob der klassische Unterricht zusätz-
lich durch E-Learning-Angebote angereichert wird oder ob die-
ser durch solche Angebote ersetzt und damit flexibles Lernen
ermöglicht wird.
Auch in der beruflichen Bildung auf der Sekundarstufe II be-
steht wie auf der Tertiärstufe eine Doppelbelastung von Beruf
(resp. privaten Verpflichtungen) und Ausbildung, und es sind fle-
xible Lernformen gefragt, die zeit- und ortsungebundenes Ler-
nen ermöglichen. Obwohl das schweizerische Berufsbildungs-
system bezüglich horizontaler und vertikaler Durchlässigkeit
bereits eine hohe Flexibilität aufweist, werden momentan Mög-
Herausforderungen und Grenzen des flexiblen Lernens
91
lichkeiten zur weiteren Flexibi lisierung diskutiert (Seufer t, 2018),
und es wurden verschiedene Projekte zur Flexibilisierung der
beruflichen Grundbildung sowie der Berufsmaturitätsschule in-
itiiert.
An Gymnasien steht beim flexiblen Lernen nicht primär die
zeitliche und örtliche Flexibilisierung im Vordergrund, sondern
das Angebot von personalisierten Lernumgebungen, mit denen
die Schülerinnen und Schüler gemäß ihren Lernvoraussetzun-
gen und -präferenzen selbstbestimmte Lernwege wählen kön-
nen. Damit kann die Abhängigkeit von der Lehrperson reduziert
und den Lernenden mehr Verantwortung für den eigenen Lern-
prozess übertragen werden. Ob und in welchem Ausmaß auch
eine zeitliche und örtliche Flexibilisierung mit einer entspre-
chenden Reduktion der Präsenzzeit sinnvoll ist, bleibt offen, weil
die Schule nicht nur Bildungsraum, sondern auch Lebensraum
ist und die Bildungsinstitution dementsprechend auch Funktio-
nen der Betreuung und Aufsicht übernimmt. Die Präsenzpflicht
könnte durch flexibles Lernen jedoch den individuellen Bedürf-
nissen angepasst werden, um außerschulische Aktivitäten (z. B.
Sport, Kunst, gesellschaftliches Engagement) zu fördern. Dies
gilt verstärkt auch für die vorgelagerten Bildungsstufen (Primar-
schule und Sekundarstufe I), bei denen eine zeitliche und örtli-
che Flexibilisierung inklusive Reduktion von Präsenzzeiten aus
pädagogischen Gründen von Lehrpersonen wie auch Eltern-
schaft kaum akzeptiert würde.
4 Herausforderungen und Grenzen des
flexiblen Lernens
Wie unsere bisherigen Ausführungen zeigen, haben Bildungs-
institutionen auf verschiedenen Bildungsstufen in den letzten
Jahren versucht, flexibles Lernen zu implementieren, wobei es
weder sinnvoll noch praktikabel ist, in allen Dimensionen Flexi-
bilität anzubieten. Aktuelle Studien zeigen, dass sich Lernende
dessen durchaus bewusst sind und keine maximale Flexibilität
in allen Dimensionen wünschen (Li, 2014; Tucker & Morris, 2012).
Lehren und Lernen auf der Sekundarstufe II
92
Auf negative Effekte von zu viel Flexibilität wird auch von Ver-
tretern der Kognitionspsychologie verwiesen (Corbalan, Kester
& van Merriënboer, 2009). Wie Erfahrungen mit sehr offenen
Lernumgebungen wie Discovery Learning zeigen (Kirschner,
Sweller & Clark, 2006), sind sich insbesondere jüngere und we-
nig erfahrene Lernende nicht immer bewusst, was für ihren
Lernprozess am besten ist, und treffen dadurch suboptimale
Entscheidungen. Viele Optionen in sehr flexiblen Lernumgebun-
gen können diesen Effekt – auch als Problem der Untersteuerung
des Lernprozesses bezeichnet – verstärken. Zusätzlich sind
durch viele Optionen auch laufend Entscheidungen nötig, was
kognitive Ressourcen beansprucht und zu einer hohen kogniti-
ven Belastung durch die Selbststeuerung im Lernprozess führen
kann (Sweller, 1994).
Die Einführung von flexiblem Lernen ist durch die Individua-
lisierung und Personalisierung des Lernprozesses für eine Bil-
dungsinstitution und die involvierten Personen häufig mit weit-
reichenden Veränderungen verbunden, die mit entsprechenden
Maßnahmen begleitet werden müssen. Für Lehrende hat flexib-
les Lernen insbesondere an Hochschulen eine Rollenerweiterung
Richtung «Facilitators des Lernens» zur Folge, indem sie elekt-
ronische Lernressourcen wie Lernvideos produzieren, On-
line-Lernumgebungen konzipieren sowie individuelle Lernpro-
zesse ermöglichen, unterstützen und begleiten. Für diese neuen
Aufgaben müssen Lehrende mit Kursen, Coaching und Support
sorgfältig vorbereitet und begleitet werden, damit keine negati-
ven Veränderungseffekte wie Konfusion, Angst, Frustration oder
Widerstand auftreten. Weiter kann die Implementation von fle-
xiblem Lernen durch die Individualisierung und Personalisie-
rung des Lernprozesses für eine Bildungsinstitution und die in-
volvierten Personen aufwendig sein und deren Ressourcen
übersteigen. Beispielsweise zeigen die Erfahrungen an der
ZHAW bei der Entwicklung des FLEX-Studienformates, dass für
eine Veranstaltung von 3 ECTS mit einem Initialaufwand von
über 100 Stunden zu rechnen ist.
Nicht zuletzt ist flexibles Lernen auch für die Lernenden an-
spruchsvoll, da eine hohe Expertise im Bereich Selbstregulation
Ausblick
93
erforderlich ist. Im FLEX-Studiengang der ZHAW wurden von
Studierenden beispielsweise als größte Schwierigkeiten beim
flexiblen Lernen «Probleme beim selbstgesteuerten Lernen»,
«Fehlende direkte Interaktion mit Dozenten/Studenten» und
«Schwierigkeiten beim Zeit-Management» genannt (Müller, Lüb-
cke & Alder, 2017). Samarawickrema (2005) weist auch darauf
hin, dass Lernende «seem to be extremely teacher reliant, a trait
that is counter to flexible, off-campus learner requirements»
(ebd., S. 63). Da nicht alle Lernenden über die benötigten perso-
nalen Kompetenzen verfügen, um ihren eigenen Lernprozess
beim flexiblen Lernen effektiv zu planen, zu organisieren und zu
reflektieren, sollten von der Bildungsinstitution entsprechende
Fördermaßnahmen wie Kurse und Coaching angeboten werden.
5 Ausblick
In Zukunft werden Lernende verstärkt selbst darüber entschei-
den, wie sie den Lernprozess gestalten, wo und wann sie lernen,
und die Lerninhalte nach ihren Interessen und Bedürfnissen
ausrichten (Major, 2016). Die Bildungsinstitutionen haben das
notwendige Setting zur Verfügung zu stellen, um flexibles Ler-
nen zu ermöglichen. Allerdings ist aufgrund der hohen Investi-
tionskosten bei den Online-Lernumgebungen fraglich, ob eine
Bildungsinstitution dazu alleine in der Lage ist, oder ob nicht
vielmehr Kooperationen nötig sein werden, um den steigenden
Ansprüchen der Lernenden zu genügen (Adams Becker et al.,
2018). Hilfreich kann dabei die Tendenz zur Harmonisierung der
Lernziele und Curricula sein, wie sie momentan beispielsweise
in der Schweiz zu beobachten ist (Lehrplan 21 auf Primarstufe
und Sekundarstufe 1, basale Kompetenzen auf Gymnasialstufe).
Flexibles Lernen kann die Deinstitutionalisierung von Bildung
fördern, indem es Lernenden ermöglicht, Ausbildungselemente
an verschiedenen Bildungsinstitutionen im Sinne eines Patch-
works zu kombinieren (Ehlers, 2018). Dies heißt aber nicht, dass
traditionelle Ausbildungsgänge in der Zukunft nicht mehr nötig
sind. Die Erfahrungen mit dem FLEX-Studiengang an der ZHAW
Lehren und Lernen auf der Sekundarstufe II
94
haben beispielsweise gezeigt, dass die Bedürfnisse der Lernen-
den sehr verschieden sind und ein Teil der Studierenden klar
vorgegebene Strukturen schätzt. Gerade aufgrund dieser Diver-
sität an Bedürfnissen ist flexibles Lernen in der Zukunft gefragt.
Literatur
Adams Becker, S., Brown, M., Dahlstrom, E., Davis, A., DePaul, K., Diaz,
V., & Pomerantz, J. (2018). NMC Horizon Report: 2018 Higher Education
Edition. Louisville: EDUCAUSE. Online: www.educause.edu/horizon-
report [30.8.2018].
Boer, W. de, & Collis, B. (2005). Becoming more systematic about flexible
learning: beyond time and distance. ALT-J , 13(1), 33–48. DOI: 10.3402/
rlt.v13i1.10971.
Cedefop (2015). European Guidelines for validating non-formal and infor-
mal learning. Luxembourg: Publications Office. DOI: 10.2801/008370.
Chen, D.-T. (2003). Uncovering the Provisos behind Flexible Learning.
Journal of Educational Technology & Society, 6(2), 25–30.
Cinop (2017). Discover new ways to make education more flexible. s-Her-
togenbosch: Cinop. Online: ww w.cinopadvies.nl/94_3956_Brochure_
FlexScan.aspx [30.8.2018].
Corbalan, G., Kester, L., & Merriënboer, J. J. G. v. (2009). Combining sha-
red control with variability over surface features: Effects on transfer
test performance and task involvement. Computers in Human Behavi-
or, 25(2), 290–298. DOI: 10.1016/j.chb.2008.12.009.
Ehlers, U.-D. (2018). Die Hochschule der Zukunft: Versuch einer Skizze. In
U. Dittler & C. Kreidl (Hrsg.), Hochschule der Zukunft: Beiträge zur
zukunftsorientierten Gestaltung von Hochschulen (S. 81–100). Wies-
baden: Springer VS.
Eurydice (2014). Modernisierung der Hochschulbildung in Europa: Zugang,
Studienerfolg und Beschäftigungsfähigkeit 2014. Eurydice-Bericht.
Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union.
DOI:10.2797/71701.
European Commission, EACEA & Eurydice. (2018). The European Higher
Education Area in 2018: Bologna Process Implementation Report. Lu-
xembourg: Pu blication Office of the European Union. Online: http://
ec.europa.eu/eurydice [30.8.2018].
FH Südwestfalen (2018). Studium Flexibel: Aus zwei mach’ vier. Iserlohn:
FH Südwestfalen. Online: www4.fh-swf.de/cms/studium-flexibel/
[30.8.2018].
Ausblick
95
HEA (2015). Framework for flexible learning in higher education. Hesling-
ton: Higher Education Academy. Online: www.heacademy.ac.uk/sys-
tem/files/downloads/flexible-learning-in-HE.pdf [30.8.2018].
Kirschner, P. A., Sweller, J., & Clark, R. E. (2006). Why minimal guidance
during instruction does not work: an analysis of the failure of cons-
tructivist, discover y, problem-based, experiential, and inquiry-based
teaching. Educational psychologist, 41(2), 75–86.
Li, K. C. (2014). How flexible do students prefer their learning to be? Asian
Association of Open Universities Journal, 9(1), 35 – 46.
Li, K. C., & Wong, B. Y. Y. (2018). Revisiting the Definitions and Implemen-
tation of Flexible Learning. In K. C. Li, K. S. Yuen & B. T. M. Wong
(Eds.), Innovations in Open and Flexible Education (pp. 3–13). Singa-
pore: Springer Singapore.
Major, D. (2016). The Lifelong Learning University of the Future. In E.
Cendon, A. Mörth & A. Pellert (Hrsg.), Ergebnisse der wissenschaftli-
chen Begleitung des Bund-Länder-Wettbewerbs «Aufstieg durch Bil-
dung: offene Hochschulen» (S. 267–268). Münster: Waxmann.
Müller, C., Lübcke, M., & Alder, M. (2017). Wissenschaftliche Begleitfor-
schung FLEX, Report Assessment-Stufe 2015–2017. Winterthur: Zür-
cher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Online: https://di-
gitalcollection.zhaw.ch/handle/11475/2183 [30.8.2018].
Müller, C., Stahl, M., Lübcke, M., & Alder, M. (2016). Flexibilisierung von
Studiengängen: Lernen im Zwischenraum von formellen und infor-
mellen Kontexten. Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 11(4) , 93 –10 7.
Samarawickrema, R. G. (2005). Determinants of student readiness for
flexible learning: Some preliminary findings. Distance education,
26(1), 49 – 6 6.
Seufert, S. (2018). Flexibilisierung der Berufsbildung im Kontext fort-
schreitender Digitalisierung. Bern: SBFI. Online: ww w.sbfi.admin.ch/
dam/sbfi/de/dokumente/2018/06/2030flexibilisierung.pdf.download.
pdf/Bericht _SR_BB2030_Flexibilisierung.pdf [30.8.2018].
Sweller, J. (1994). Cognitive load theory, learning difficulty, and instruc-
tional design. Learning and Instruction, 4(4), 295–312.
Tucker, R., & Morris, G. (2012). By Design: Negotiating Flexible Learning
in the Built Environment Discipline. Research in Learning Technology,
20(1). DOI: 10.3402/rlt.v20i0.14404.
Vo, H. M., Zhu, C., & Diep, N. A. (2017). The effect of blended learning on
student performance at course-level in higher education: A meta-ana-
lysis. Studies in Educational Evaluation, 53(Supplement C), 17–28.
DOI: 10.1016/j.stueduc.2017.01.002.
Lehren und Lernen auf der Sekundarstufe II
96
Wade, W. (1994). Introduction. In W. Wade, K. Hodgkinson, A. Smith & J.
Arfield (Eds.), Flexible Learning in Higher Education (pp. 12–17). Ab-
dington: Routledge.
Zervakis, P., & Mooraj, M. (2014). Der Umgang mit studentischer Hetero-
genität in Studium und Lehre. Chancen, Herausforderu ngen, Strate-
gien und gelungene Praxisansätze aus den Hochschulen. Zeitschrift
für Inklusion, (1–2). Online: www.inklusion-online.net/index.php/in-
klusion-online/article/view/222 [12.9.2018].