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Auf lebendigen Brachen unter extremen Bedingungen. Industrietypische Flora und Vegetation des Ruhrgebietes. – Praxis der Naturwissenschaften - Biologie in der Schule 2/56

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Abstract

Industriebrachen zählen zu den artenreichsten Lebensgemeinschaften in Deutschland. Mit Artenzahlen von 500 und mehr Pflanzenarten auf wenigen Hektar Fläche besitzen sie eine enorme Bedeutung für die Biodiversität des Landes. Zudem hat hier eine Vielzahl von lokal seltenen bis gefährdeten Pflanzenarten einen Ersatzlebensraum gefunden, den es in der modernen Agrarlandschaft in dieser Form nicht mehr gibt. Vor allem das Nebeneinander unterschiedlichster Wuchsbedingungen und Sukzessionsstadien begründet diese Artenvielfalt. Die Flächen stellen zudem aufgrund ihrer Größe und Lage im Ballungsraum ein sehr wichtiges Bindeglied im innerstädtischen Biotopverbund dar.Im Ruhrgebiet ist die vielfältige Bedeutung dieser Brachflächen längst erkannt und mit Schlagwörtern wie IndustrieNatur und IndustrieWald belegt worden. Da diese komplexen Lebensräume durch die Jahrzehnte anhaltende eher als „lebensfeindlich“ eingeschätzte industrielle Nutzungentstanden sind, greifen für deren Schutz und Erhalt keine Methoden und Maßnahmen des traditionellen/klassischen Naturschutzes. Ohne weitere Eingriffe wird sich zweifellos eine Waldentwicklung einstellen, die viele interessante, insbesondere Wärme liebende Pionierarten wieder zurückdrängen wird.
Landschaft im Wandel 2 – Kulturlandschaft im Spannungsfeld von Natur und Wirtschaft PdN-BioS 2/56. Jg. 2007
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1 Einleitung
Weit verbreitet ist die Meinung, dass
Industrieflächen – und selbst brach gefallene
Gelände – eher problematische Standorte
für Pflanzen darstellen: Schlagworte wie
Schwermetallbelastung oder Bodenkonta-
mination durch komplexe organische Ver-
bindungen lassen Nichtkundige oft daran
zweifeln, dass auf solchen Flächen außer
Allerwelts-„Un“Kräutern überhaupt etwas
dauerhaft wachsen kann.
Dass eine derartige Meinung nicht mehr als
ein Gerücht ist, belegen die umfangreichen
Studien zum Thema der industrietypischen
Flora und Vegetation, wobei im Fokus der
Untersuchungen insbesondere das Ruhr-
gebiet steht [z.B. 1, 2, 3, 4]. Nach dem
weitgehenden Rückzug von Bergbau und
Schwerindustrie (Eisen- und Stahlindustrie)
gibt es hier ausgedehnte Brachflächen
(< 10.000 ha), die überwiegend mittel- bis
langfristig in keine wirtschaftlich darstell-
bare Nutzung überführt werden können.
Hieraus leiten sich neue Chancen für eine
aus Sicht der Naherholung und des Biotop-
und Artenschutzes veränderte Flächennut-
zung ab.
Insbesondere für Flora und Vegetation stel-
len diese Brachflächen einen wertvollen Le-
bensraum dar, da hier oftmals kleinsträu-
mig unterschiedliche Wachstumsbedin-
gungen und Sukzessionsstadien nebenein-
ander existieren, wodurch z. T. beachtliche
Artenzahlen und Pflanzengesellschaften zu
beobachten sind. Viele der Arten, die in der
frühen Phase des Brachfallens solche Flä-
chen besiedeln, profitieren von den noch
offenen, meist nährstoffarmen Flächen, wie
sie in der bäuerlichen Kulturlandschaft
weitestgehend verschwunden sind. So ist
es nicht verwunderlich, dass sich hier eine
Vielzahl von Arten nachweisen lässt, die in
den Roten Listen der gefährdeten Tier- und
Pflanzenarten geführt werden. Besonders
interessant scheinen solche noch offenen
Flächen mit sehr jungen Sukzessionssta-
dien für Wärme liebende Tier- und Pflanzen-
arten zu sein, da gerade die „dunklen“ Sub-
strate wie Bergematerial und Schlacken oft
Bodentemperaturen in den Sommermona-
ten von über 60°C erreichen. Hiervon pro-
fitieren oftmals gebietsfremde Pflanzenar-
ten, die ähnliche Wuchsbedingungen aus
ihren Heimatarealen gewohnt sind, wie
z. B. Arten aus dem Mittelmeerraum (ein
typischer Vertreter ist der Klebrige Alant,
Dittrichia oder Inula graveolens, s. Informa-
tionsblatt 3; die Benennung der Arten im
vorliegenden Beitrag orientiert sich an [6]).
Mit fortschreitender Sukzession nehmen
zunächst Hochstauden und ausdauernde
Gräser (wie z. B. Goldruten: Solidago gigan-
tea (serotinoides), S. „canadensis(anthro-
pogena) oder das Land-Reitgras: Calama-
grostis epigejos) das Bild ein, diese werden
jedoch nach einigen Jahren von Gehölzen
(Sommerflieder: Buddleja davidii, verschie-
denen Weidenarten wie vor allem Salix alba,
S. caprea und schließlich Hänge-Birken, Be-
tula pendula) verdrängt.
Nachfolgend werden die charakteris-
tischen Standort- und Wachstumsbedin-
gungen auf Industriebrachen des Ruhr-
gebietes erörtert und die wichtigsten Suk-
zessionsstadien mit ihren typischen Pflan-
zengesellschaften und charakteristischen
Pflanzenarten vorgestellt.
2 Kurze Industriegeschichte
des Ruhrgebietes
Bereits in der vorindustriellen Phase wurde
vermutlich seit dem Mittelalter in kleinen
Tagebauen und in horizontalen Stollen vor-
nehmlich im Ruhrtal und seinen Seiten-
tälern Steinkohle abgebaut. Hauptenergie-
lieferant war die Wasserkraft der Ruhr und
ihrer Seitenbäche, die zahlreiche Korn-,
Öl-, Walk- und Lohmühlen antrieb. Mit dem
Einsatz der ersten Dampfmaschinen und
der Erschließung des Ruhrgebiets durch die
Eisenbahn beginnt ab ca. 1840 die Indus-
Auf lebendigen Brachen
unter extremen Bedingungen
Industrietypische Flora und Vegetation des Ruhrgebietes
P. Keil, R. Fuchs und G. H. Loos
Abb. 1. Typische Industriebrache mit Gebäuderesten, Sinteranlage in Duisburg
(Foto: BSWR)
Abb. 2. Primäres Sukzessionsstadium einer typischen Industriebrache in
Oberhausen (Foto: M. Tomec)
Landschaft im Wandel 2 – Kulturlandschaft im Spannungsfeld von Natur und Wirtschaft 21
PdN-BioS 2/56. Jg. 2007
trialisierung. Durch die nun nutzbare ver-
besserte Technik gelingt das vertikale Ab-
teufen der Schächte in größere Tiefen. Nun
beginnt mit dem Durchstoß durch die tief-
liegende Mergelschicht das Vorrücken des
Bergbaus in die Emscherregion. Zeitgleich
setzt mit der groß dimensionierten Ver-
hüttung von Eisen das Zeitalter der Schwer-
industrie ein. Mit der Kohle- und Stahlkrise
in der Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts
schließen zahlreiche Zechen und Stahlwerke.
Einige der Flächen finden durch den einset-
zenden Strukturwandel im Ruhrgebiet eine
Wiederverwertung. Hier entstehen Gewer-
beansiedlungen, Wohngebiete oder große
Einkaufszentren (Rhein-Ruhr-Zentrum in
Mülheim an der Ruhr, CentrO. in Oberhau-
sen). Im Rahmen der in den 1990er Jahren
durchgeführten Internationalen Bauaus-
stellung (IBA Emscher Park) lassen sich auf
einigen Flächen Parkideen verwirklichen,
die im Konzept die Industriekulisse und die
Brachflächenvegetation aufgreifen und so
eine neue Parkform, den Industriepark
schaffen (z.B. Landschaftspark Duisburg-
Nord, Zeche Zollverein in Essen oder Zeche
Hansa in Dortmund; als Ruhrgebietsüber-
sicht s. Abb. 2 im Beitrag von Gausmann et
al. in diesem Heft [2]).
3 Industriebrachen als Lebensraum
für Pflanzen
3.1 Lebensbedingungen
und Lebensstrategien
Industriebrachen haben allesamt gemein-
sam, dass sich die Böden mehr oder weni-
ger ausschließlich aus technogenen Sub-
straten zusammensetzen. Natürliche bzw.
naturnahe Böden fehlen vollständig. Als
Ausgangssubstrate liegen je nach Indus-
trietyp (Zeche, Kokerei, Eisenhütte, Che-
miewerk u. a.) Bergematerial, Kohlenreste,
Schlacken, Stäube, unterschiedliche Schot-
ter oder auch Bauschutt vor. Da diese Sub-
strate unterschiedliche physikalische und
chemische Eigenschaften haben, wechseln
so kleinsträumig nebeneinander oder von
Industriebrache zu Industriebrache die
Wuchsbedingungen für Pflanzen (s. Tab. 1).
Diese „Standortdiversität“ ist typisch für
die Brachen und oftmals auch ein Grund für
die hohe Artenvielfalt.
Während z. B. Hochofenschlacken der Ei-
senverhüttung, verschiedene Aschen, Bau-
schutt und Kalkschotter hohe pH-Werte
aufweisen, die deutlich im alkalischen Be-
reich liegen, weist verwittertes Bergemate-
rial einen sehr niedrigen pH-Wert auf, der
das stark saure Milieu anzeigt. Unterschiede
liegen auch im Wasserspeichervermögen,
in der Nährstoffversorgung, im Wärme-
speichervermögen und in der Toxizität, die
von Altlasten ausgehen kann. Da alle diese
Faktoren direkten Einfluss auf das Pflanzen-
wachstum haben, bilden sie die Rahmen-
bedingungen für das Pflanzenleben auf
Industrieflächen (s. auch Tab. 1). Insbeson-
dere die Erstbesiedlung dieser technoge-
nen Substrate bereitet den meisten einhei-
mischen Pflanzenarten große Schwierig-
keiten. Extreme Nährstoffarmut bei noch
fehlender Humusauflage, extreme Boden-
temperatur bei dunklen Substraten (in den
Sommermonaten an Sonnentagen > 60 °C),
extreme Wasserarmut durch die oft poröse
oder großkörnige Struktur der Substrate
oder ein extremer Wechsel zwischen tro-
ckenen Wuchsbedingungen und nach
einem kräftigen Niederschlagsereignis oft
tagelange Überstauung durch Pfützenbil-
dung über dem verdichteten Material, las-
sen eine Erstbesiedlung nur durch Spezia-
listen, in der Regel gebietsfremde Pionier-
arten, zu. Die Eigenschaften, um solche ex-
tremen Lebensräume zu besiedeln, bringen
die Pflanzen aus ihrem Heimatareal (z.B.
dem Mittelmeergebiet) mit, wo sie unter
natürlichen Bedingungen ähnlich schwie-
rige Wuchsbedingungen meistern müssen.
So kann ein Verdunstungsschutz durch
ausgeprägte Wachsüberzüge (verdickte
Cuticula), starke und dichte Behaarung
(zur Reflexion von Strahlung), Reduktion
der Blattoberfläche durch Einrollen der
Blätter oder Ausbildung extrem schmaler
Blätter sowie durch Bildung von Polstern
gewährleistet werden. Eine Alternative
hierzu ist die Ausbildung von Wasserspei-
chergewebe, wodurch die betroffenen
Pflanzenteile verdickt sind (Sukkulenz).
Auch kann das Wurzelsystem weitläufig
sein, um so in Kapillaren des Bodens ein-
zudringen. Auf diese Weise kann zudem
eine günstigere Nährstoffversorgung be-
werkstelligt werden. Die einjährige Le-
bensweise bei vielen Pionierarten be-
schränkt die Vegetationsperiode nahezu
auf die klimatisch günstigeren Monate. Als
Anpassung gegen Überstauung weisen
einige Pflanzen stark zerteilte Blätter auf,
andere besitzen Lufttransport- und -spei-
chergewebe (Aerenchyme), wie sie bei vie-
len Sumpfpflanzen typisch sind, die an
regelmäßig überfluteten Standorten ste-
hen, an denen der Gasaustausch durch
wassergefüllte Poren im Boden erschwert
ist. Tatsächlich haben einige gewöhnlich in
Feuchtgebieten wachsende Arten ausge-
rechnet die extremen Industriebrachen als
Sekundärlebensräume besiedelt (s. auch
Informationsblatt 2, z. B. Wasserdost,
Eupatorium cannabinum, Ufer-Wolfstrapp,
Lycopus europaeus oder Sumpf-Rispengras,
Poa palustris).
Beispiele für Arten mit ausgeprägten
Einrichtungen zum Verdunstungsschutz
sind Klebriger Alant (Inula graveolens) und
Unterbrochener Windhalm (Apera inter-
rupta; beide s. Informationsblatt 3), die auf
vielen Brachflächen im Ruhrgebiet auf of-
fenen Rohböden und meist in großen Be-
ständen anzutreffen sind. Neben Blüten-
pflanzen leiten vor allem Moos- und Flech-
tenarten die Primärbesiedlung ein. Als
poikilohydrische Organismen sind sie aus-
trocknungstolerant, zusätzliche Sonder-
strukturen in der Morphologie (z. B. bei
Moosen Glashaare, Polsterwuchs) erleich-
tern zudem die Besiedlung der Extrem-
standorte. Typische Beispiele sind das Horn-
Tab. 1: Übersicht über die wesentlichen Substrate auf Industriebrachen und deren Eigenschaften
in der Bewertung für die Besiedlung mit Wärme liebenden Pflanzenarten
Bewertung: ++ sehr günstig; + günstig; 0 neutral; – ungünstig; – – sehr ungünstig
Substrat Eigenschaft
pH-Wert Wasser- Nährstoff- Wärme- Toxizität
speicher- versorgung speicher-
vermögen vermögen
Schlacke + + + ++ –
Bergematerial – 0 + ++ +
Kohle – – – – ++ +
Bauschutt ++ +
Sinter + 0 + + 0
Kalkschotter ++ – – 0 + 0
Basaltschotter + – – 0 + 0
Informationsblatt 1
Landschaft im Wandel 2 – Kulturlandschaft im Spannungsfeld von Natur und Wirtschaft PdN-BioS 2/56. Jg. 2007
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Das Vegetationsprofil zeigt verschiedene Stadien der Vege-
tationsentwicklung (Sukzession), ausgehend von den Pio-
nierfluren von rechts nach links bis zu einer Vorwaldgesell-
schaft, exemplarisch an der Industriebrache „Waldteichge-
lände“ in Oberhausen (zur Lage s. Abb. 2 bei Gausmann et al.
im vorliegenden Heft, S. 28). Bei der Fläche handelt es sich
um ein ehemaliges Lager der Nationalen Steinkohlenreserve,
d. h. hier waren Steinkohlenvorräte für Notzeiten in Form ei-
ner Halde gelagert. Aufgegeben wurde diese Kohlenreserve
in den 1980er Jahren, sodass die Vegetationsentwicklung auf
dieser Brache seit etwa 20 Jahren andauert. Die jeweiligen
Stadien müssen nicht unmittelbar auseinander hervor-
gegangen sein – wie auch andere Industriebrachen eine im
Detail abweichende Entwicklung aufweisen können. Die Sta-
dien können auch mosaikartig ineinander verzahnt sein und
teilweise Übergangsbereiche aufweisen.
Die Pionierfluren sind artenreich und umfassen zahlreiche,
volle Belichtung bevorzugende Pflanzenarten, auch Flech-
ten und Moose, die vorzugsweise an offenen Stellen vor-
kommen. Die Lebensformen sind vielfältig: Von Fluren ein-
jähriger, vor allem im Frühjahr blühender Arten reicht das
Spektrum über Zweijährige (im ersten Jahr Blattrosetten,
im zweiten blühende Sprosse) zu mehr oder weniger auf
den Standort spezialisierten Stauden wie dem Schmalblät-
trigen Greiskraut (Senecio inaequidens) und auch ersten Ge-
hölzkeimlingen. Das Land-Reitgras (Calamagrostis epigejos)
bildet eine der zeitlich darauf folgenden Staudengesell-
schaften in Form von Dominanzbeständen dieser Art, die
nur von wenigen weiteren Arten (hier der Behaarten Segge,
Carex hirta) durchzogen sind. Ein ausgedehntes, fast un-
durchdringliches Gebüsch entwickelt die Armenische
Brombeere (Rubus armeniacus), die wegen ihres zweijähri-
gen Entwicklungszyklus als Scheinstrauch einzustufen ist.
Eine echte Strauchgesellschaft wird durch den Sommer-
flieder (Buddleja davidii) bestimmt, an anderen Stellen oder
sich daraus entwickelnd finden sich Strauchweiden-Pappel-
Gesellschaften, bei denen keine Art wirklich vorherrscht,
sondern sich ein Mosaik an Gehölzarten einstellt, darunter
viele Produkte spontaner Kreuzungen. Die Hänge-Birken-Sal-
Weiden-Vorwaldgesellschaft schließlich leitet die eigent-
liche Waldentwicklung ein. Auf dem Waldteichgelände er-
scheinen die ersten Stiel-Eichen (Quercus robur) in diesen
Beständen. Die Entwicklung der Industriewälder und ihre
Physiognomie sind Gegenstand des nachfolgenden Beitra-
ges (s. S. 27–29).
Eine Besonderheit des Waldteichgeländes ist das Berg-
senkungsgewässer. Derartige Gewässer sind im Ruhr-
gebiet häufig. Sie entstehen in Folge des Abbaus der Stein-
kohlenlagerstätten, die nachfolgend nicht mehr aufgefüllt
werden, wodurch das Deckgebirge nachbricht und die
oberflächennahen Bodenschichten unter den Grundwas-
serspiegel geraten. Entsprechend entstehen an der Ober-
fläche Mulden, die sich mit Grundwasser füllen und so ste-
hende Gewässer bilden.


Dominant:
Hänge-Birke
Subdominant:
Sal-Weide
Bastard-Birke
Berg-Ahorn
Robinie (meist
ursprünglich angepflanzt)
Vorhanden:
Draht-Schmiele
Selten:
Stiel-Eiche
Rot-Eiche
Gewöhnlicher Wurmfarn


Subdominant:
Hybriden der Grau- und der Sal-Weide
Korb-Weide und ihre Hybriden
Zitter-Pappel
Hybriden unter Beteiligung von
Balsam-Pappel-Arten und -Kreuzungen
Vorhanden:
Silber-Weide
Pyramiden-Pappel-Hybride
Späte Traubenkirsche








Sommer-
flieder
Pflaumen-
blatt-
Weißdorn
Hybrid-
Stauden-
knöterich
Selten:
Mahonie

 
 
Dominant:
Land-Reitgras
Vorhanden:
Behaarte
Segge
Klebriger Alant
Schmalblättr. Greis-
kraut, Geruchlose
Kamille, Graugrüner
Gänsefuß
Weißes Straußgras
Raues Straußgras
Mittleres Fingerkraut
Mäuseschwanz-
Federschwingel
Gewöhnl. Säulen-
flechte, Gewöhnl.
Becherflechte
  



Schlammling
Kleines Flohkraut
Gewöhnlicher
Froschlöffel
Dreiteiliger Zweizahn
Sumpfquendel
Gewöhnliche Teichsimse
Strand-Ampfer
Dominant:
Armenische
Brombeere



Querprofil durch eine typische Industriebrache im Ruhrgebiet (vgl. auch Online-Ergänzung zu diesem Profil)
WWW
Vegetationsprofil durch die Industriebrache „Waldteichgelände“
in Oberhausen (westliches Ruhrgebiet)
NE
Informationsblatt 2_Pionierpflanzen auf Industriebrachen – Herkunft und Standortansprüche
Landschaft im Wandel 2 – Kulturlandschaft im Spannungsfeld von Natur und Wirtschaft 23
PdN-BioS 2/56. Jg. 2007
Erläuterungen des Schemas
Auf Industriebrachen siedeln sich Pionierpflanzen
unterschiedlicher Herkunft an. Ein Teil der Arten
stammt aus heimischen primär-natürlichen Le-
bensräumen wie Flusskiesbänken und Feucht-
gebieten. Als Apophyten haben sie Industriege-
lände als Sekundärlebensraum besiedelt. Weitere
Arten haben zuvor andere kulturbedingte Stand-
orte besiedelt: Äcker und Siedlungen. Von hier
aus sind sie auf Industriegelände gelangt, oftmals
entlang von Bahnstrecken.
Bei den Neophyten spielen neben den einge-
schleppten und eingewanderten Arten auch aus
Gärten verwilderte Arten eine bedeutende Rolle,
wenn auch mehr in den fortgeschrittenen Stadien.
Die bevorzugten
Standortfaktoren [hier ange-
geben, wenn bedeutsam: Belichtung (offen),
Feuchtegrad (trocken), Temperatur (warm)] der
Vertreter der jeweiligen Gruppen sind in der Ab-
bildung in Kästen angeführt. Grundsätzlich han-
delt es sich um Arten offener Standorte. Vor al-
lem die eingeschleppten und eingewanderten
Neophyten sind außerdem wärme- und tro-
ckenheitsliebend.
Zur Einteilung der Pflanzen eines Gebietes nach
Indigenat und standörtlichem Vorkommen
siehe den Neophytenbeitrag von Sukopp und
Gerhardt-Dircksen in diesem Heft [5].
Farbfotos der betreffenden Arten finden sich in
der Online-Ergänzung zu diesem Artikel.
WWW
offen
trocken
(warm)
offen
trocken
(warm)
offen
trocken
(warm)
offen
offen
offen
offen
Primär-natürlicher
Lebensraum
(Salzwiese)
Primär-natürlicher
Lebensraum
(Röhricht/Feuchtgebiet)
Primär-natürlicher
Flusslebensraum
(Kiesbank/Ufer)
offen
(warm)
offen
trocken
Eingeschleppter
Neophyt aus
anderen
Kontinenten
Eingeschleppter
und
eingewanderter
Neophyt aus
anderen Teilen
Europas
Dreifinger-
Steinbrech
Salzschwaden
Kleines Flohkraut
Wasserdost Gewöhnlicher
Beifuß
Spontane Siedlungsflora
Ackerbegleitflora
Geruchlose Kamille
Klebriger Alant
Rotkelchige
Nachtkerze
Aus Gärten verwilderter NeophytPrimär-natürlicher Lebensraum
(Felsflur)
Schmalblättriges
Greiskraut
Landschaft im Wandel 2 – Kulturlandschaft im Spannungsfeld von Natur und Wirtschaft PdN-BioS 2/56. Jg. 2007
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Tab. 2: Charakteristische Industriophyten im Ruhrgebiet und ihre Herkunft
Industriophyten sind Neophyten, die im Zuge der Industrialisierung mit dem Ausbau der Verkehrswege und Umschlagplätze sowie der Expansion der Siedlungs-,
Eisenbahn- und Industriebetriebsflächen seit etwa 1840 im Ruhrgebiet angekommen sind. Die Tabelle nennt charakteristische Arten mit Schwerpunkt der Vor-
kommen auf Industriebrachen. Einige der genannten Arten sind in der Online-Ergänzung abgebildet.
WWW
Wissenschaftlicher Deutscher Name Familie Erstmals in das Ruhr- Schwerpunkt Herkunftsraum
Name gebiet gelangt als … des Vorkommens
Apera interrupta Unterbrochener Süßgräser Eingeschleppt mit Industriebrachen Südosteuropa,
Windhalm der Eisenbahn? Naher Osten,
Zentralasien
Berteroa incana Graukresse Kreuzblütler Eingewandert mit Hafen- und Osteuropa
der Eisenbahn? Bahngelände
Bromus tectorum Dach-Trespe Süßgräser Eingeschleppt mit Bahngelände, Osteuropa,
der Eisenbahn Industriebrachen Mittelmeergebiet
Buddleja davidii Sommerflieder Schmetterlings- Verwilderter Bahngelände, Ostasien
blütler Zierstrauch Industriebrachen
Bunias orientalis Orientalische Kreuzblütler Eingewandert ent- Kanalufer Ost- und
Zackenschote lang der Eisenbahn Bahngelände Südeuropa
Carduus acanthoides Weg-Distel Korbblütler Eingeschleppt mit Industriebrachen Osteuropa
Schiffsverkehr? Hafengelände
Chenopodium Australischer Gänsefußgewächse Eingeschleppt mit Industriebrachen, Australien
pumilio Gänsefuß der Eisenbahn? Rheinufer
Diplotaxis tenuifolia Schmalblättriger Kreuzblütler Eingeschleppt mit Industriebrachen, Südeuropa
Doppelsame der Eisenbahn Bahngelände Mittelmeergebiet
Inula graveolens Klebriger Alant Korbblütler Eingeschleppt Industriebrachen Mittelmeergebiet
oder eingewandert?
Erigeron annuus Einjähriges Korbblütler Eingewandert mit Bahngelände, Nordamerika
i. w. S. Berufkraut der Eisenbahn, Industriebrachen
auch verwildert
Geranium Rundblättriger Storchschnabel- Eingewandert ent- Industriebrachen, südliches
rotundifolium Storchschnabel gewächse lang der Eisenbahn? Bahngelände Mitteleuropa
Hirschfeldia incana Grau-Senf Kreuzblütler Eingeschleppt mit Industriebrachen Mittelmeergebiet
der Eisenbahn?
Hordeum jubatum Mähnen-Gerste Süßgräser Verwilderte Industriebrachen Nordamerika,
Zierpflanze? Ostasien
Isatis tinctoria Färber-Waid Kreuzblütler Eingewandert ent- Industriebrachen, Ost- und
lang der Eisenbahn Bahngelände Südeuropa
Oenothera Chicago-Nachtkerze Nachtkerzen- Eingewandert mit Industriebrachen, Nordamerika
pycnocarpa gewächse der Eisenbahn? Bahngelände
Parthenocissus Fünfblättrige Weingewächse Verwilderte Industriebrachen, Nordamerika
inserta Jungfernrebe Zierpflanze Bahngelände
Potentilla Mittleres Rosengewächse Eingewandert mit Industriebrachen Osteuropa
intermedia Fingerkraut der Eisenbahn?
Potentilla Norwegisches Rosengewächse Eingewandert mit Industriebrachen Nordost- und
norvegica Fingerkraut der Eisenbahn? Osteuropa
Sisymbrium Ungarische Rauke Kreuzblütler Eingewandert mit Bahngelände, Osteuropa
altissimum der Eisenbahn? Industriebrachen
Sisymbrium loeselii Loesels Rauke Kreuzblütler Eingewandert mit Straßenränder, Ost- und östliches
der Eisenbahn? Hafengelände etc. Mitteleuropa
Solanum Argentinischer Nachtschatten- Eingeschleppt? Industriebrachen, Südamerika
nitidibaccatum Nachtschatten gewächse Rheinufer
Verbascum Windblumen- Rachenblütler Eingewandert ent- Industriebrachen Europa (zunächst
phlomoides Königskerze i. w. S. lang der Eisenbahn in Ostwestfalen?)
Landschaft im Wandel 2 – Kulturlandschaft im Spannungsfeld von Natur und Wirtschaft 25
PdN-BioS 2/56. Jg. 2007
zahnmoos (Ceratodon p urpureus) oder ver-
schiedene Becherflechtenarten (z.B. Cla-
donia furcata, C. gracilis).
3.2 Phasen der Besiedlung
3.2.1 Pionierphase
Die Erstansiedlung von Moos- und Flechten-
arten (Abb. U4.2 Heftrückseite), insbeson-
dere auf stark verdichteten Substraten, er-
leichtert durch die in den Polstern sedimen-
tierten Feinsubstrate die Entwicklung von
Rohhumus. Die Vegetation bleibt zunächst
lückig (Abb. U4.1). Erste Bodenbildungspro-
zesse setzen ein und bilden die Grundlage für
die weitere Vegetationsentwicklung. Es fol-
gen einjährige, recht unscheinbare und nie-
drigwüchsige Arten wie Dreifinger-Stein-
brech (Saxifraga tridactylites), Hügel-Vergiss-
meinnicht (Myosotis ramosissima), Frühlings-
Hungerblümchen (Erophila verna) oder Klei-
nes Filzkraut (Filago minima). Trockene Be-
reiche, sogar Asphaltdecken, werden von
Sukkulenten wie der Weißen Fetthenne
(Sedum album) und dem Scharfen Mauer-
pfeffer (Sedum acre) besiedelt. Solche Be-
stände erinnern in ihrer Zusammensetzung
an Sandtrockenrasen (Sedo-Scleranthetea).
Schließlich folgen Gräser wie Dach-Trespe
(Bromus tectorum) sowie Unterbrochener
Windhalm (Apera interrupta) und weitere
Blütenpflanzen wie Klebriger Alant (s. oben),
Gewöhnlicher Natternkopf (Echium vulgare)
und Schmalblättriges Greiskraut (Senecio
inaequidens; beide in Informationsblatt 3),
die den Übergang zur Hochstaudenphase
einleiten (Abb. U4.3 und 5).
3.2.2 Hochstaudenphase
Nach einigen Jahren gelangen ausdauernde
(mehrjährige) Hochstauden zur Dominanz
innerhalb der immer noch krautigen Vege-
tation, die dadurch deutlich artenärmer
wird. Hier treten häufig Dominanzbestände
von gebietsfremden Arten wie die beiden
nordamerikanischen Goldrutenarten (Soli-
dago gigantea u. S. „canadensis“), diverse
Nachtkerzen (Oenothera spp.) oder Flügel-
knöteriche (Fallopia spp.) auf, aber auch
Apophyten (s. Glossar auf S. 14) wie das
Land-Reitgras (Calamagrostis epigejos, Abb.
U4.4).
3.2.3 Verbuschungsphase
In dieser Phase ist ein erstes Aufkommen
von Pioniergehölzen wie Hänge-Birke (Be-
tula pendula), Sal-Weide (Salix caprea),
Sommerflieder (Buddleja davidii) u. a. zu
verzeichnen (Abb. U4.6). Lokal bilden sich
kleine Gebüsche; die einjährige Pionierve-
getation und die Hochstaudengesellschaf-
ten weichen örtlich zurück.
3.2.4 Vorwaldphase
Nach Jahren der Vegetationsentwicklung
(Zwischenstadium in Abb. U4.7) setzen sich
die Gehölze schließlich durch und bilden ei-
nen mehrere Meter hohen waldähnlichen
Bestand aus Hänge-Birke, Sal-Weide, ver-
schiedenen Pappeln (Populus spp.) sowie
Robinie (Robinia pseudoacacia; Abb. U4.8).
In der Krautschicht zeigen sich die ersten
„Waldarten“ wie der Gewöhnliche Wurm-
farn (Dryopteris filix-mas) oder die Draht-
Schmiele (Deschampsia flexuosa). Beim Ge-
hölzjungwuchs treten Stiel-Eiche (Quercus
robur), Hainbuche (Carpinus betulus) sowie
Eberesche (Sorbus aucuparia) auf und lassen
erahnen, in welche Richtung die Waldent-
wicklung einmal gehen wird. Die Gehölz-
entwicklung der Brachflächen wird im
nachfolgenden Artikel eingehend bespro-
chen (s. S. 27–32).
3.3 Sonderstandorte
Lokale Besonderheiten auf Industriebrachen
sind Standorte, die durch eine gewisse
„Salzbelastung“ gekennzeichnet sind. Dies
sind entweder Standorte, die unmittelbar
durch salzartige Industrieabfälle kontami-
niert sind – oder solche, an denen sich ver-
stärkt Salze aus dem abgelagerten Substrat,
z. B. Berg ematerial auswaschen u nd austre-
ten. Hier finden sich einige (fakultative) Salz-
pflanzen, so genannte Halophyten, wie
Strand -Aster (A ster tripolium), Gewöhnliche
Strandsimse (Bolboschoenus maritimus) oder
Gewöhnlicher Salzschwaden (Puccinellia
distans) neben solchen, die zumindest als
salzverträglich gelten, wie z.B. Mähnen-
Gerste (Hordeum jubatum) oder Ukraini-
sches Salzkraut (Salsola australis).
Es ist davon auszugehen, dass sich die aller-
meisten Pflanzenarten bereits schon wäh-
rend des Betriebes der Industrieanlage an-
gesiedelt haben und mehr oder weniger
durch die Dynamik des Betriebsablaufes
gefördert wurden oder sich mit diesem ar-
rangiert haben.
4 Fazit
Industriebrachen zählen zu den arten-
reichsten Lebensgemeinschaften in Deutsch-
land. Mit Artenzahlen von 500 und mehr
Pflanzenarten auf wenigen Hektar Fläche
besitzen sie eine enorme Bedeutung für die
Biodiversität des Landes. Zudem hat hier
eine Vielzahl von lokal seltenen bis gefähr-
deten Pflanzenarten einen Ersatzlebens-
raum gefunden, den es in der modernen
Agrarlandschaft in dieser Form nicht mehr
gibt. Vor allem das Nebeneinander unter-
schiedlichster Wuchsbedingungen und
Sukzessionsstadien begründet diese Ar-
tenvielfalt. Die Flächen stellen zudem auf-
grund ihrer Größe und Lage im Ballungs-
raum ein sehr wichtiges Bindeglied im
innerstädtischen Biotopverbund dar.
Im Ruhrgebiet ist die vielfältige Bedeutung
dieser Brachflächen längst erkannt und mit
Schlagwörtern wie IndustrieNatur und
IndustrieWald belegt worden. Da diese
komplexen Lebensräume durch die Jahr-
zehnte anhaltende eher als „lebensfeind-
lich“ eingeschätzte industrielle Nutzung
entstanden sind, greifen für deren Schutz
und Erhalt keine Methoden und Maßnah-
men des traditionellen/klassischen Natur-
schutzes. Ohne weitere Eingriffe wird sich
zweifellos eine Waldentwicklung einstel-
len, die viele interessante, insbesondere
Wärme liebende Pionierarten wieder zu-
rückdrängen wird.
Dank
Für Hinweise zum Manuskript danken wir recht herz-
lich den Herren Dr. W. Kricke (Mülheim an der Ruhr),
Dr. R. Kricke, Dipl.-Biologe M. Schlüpmann (beide Ober-
hausen) und Frau Prof. Dr. A. Gerhardt-Dircksen (Biele-
feld), bei der Gestaltung unterstützten uns Herr A. Spans
(Münster) und Frau L. Trein (Oberhausen/Bonn).
Literatur
[1] Dettmar, J.: Industrietypische Flora und Vegetation
im Ruhrgebiet. – Dissertationes Botanicae 191, 1992.
[2] Gausmann, P., Weiss, J., Keil, P. u. Loos, G. H.:
Wildnis kehrt zurück in den Ballungsraum – Die neuen
Wälder des Ruhrgebietes. – PdN-BioS, 56 (2/56) (2007),
S. 27–29.
[3] Keil, P . u. Loos, G. H.: Dynamik der Ephemerophy-
tenflora im Ruhrgebiet – unerwünschter Ausbreitungs-
pool oder Florenbereicherung? – Neobiota (Berlin) 1
(2002), S. 37–49.
[4] Rebele, F. u. Dettmar, J.: Industriebrachen –
Ökologie und Management. – Stuttgart 1996.
[5] Sukopp, H. u. Gerhardt-Dircksen, A.: Neophyten.
Ihre Rolle in Flora und Vegetation der Kulturland-
schaft. – PdN-BioS, 56 (2/56) (2007), S.13–19.
[6] Wisskirchen, R. u. Haeupler, H.: Standardliste der
Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands. – Stuttgart
1998.
Eine ausführliche kommentierte Literaturliste finden
Sie in der Online-Ergänzung.
WWW
Anschriften der Verfasser
Dr. Peter Keil, Dipl.-Geogr. Götz H. Loos, Biologische
Station Westliches Ruhrgebiet, Ripshorster Str. 306,
46117 Oberhausen. Home: www.bswr.de, E-Mail:
peter.keil@bswr.de
Dipl.-Umweltwiss. Renate Fuchs, Ruhr-Universität
Bochum, Geographisches Institut, AG Landschafts-
ökologie, Universitätsstr. 150, 44780 Bochum
Informationsblatt 3_Steckbriefe wichtiger Industriepflanzen
Landschaft im Wandel 2 – Kulturlandschaft im Spannungsfeld von Natur und Wirtschaft PdN-BioS 2/56. Jg. 2007
26
Inula graveolens L. Asteraceae (Korbblütler)
Klebriger Alant
syn.: Dittrichia graveolens,
Pulicaria graveolens
Merkmale: Einjährige
Pflanze, im Herbst
absterbend und sich
durch flugfähige Früchte
ausbreitend. Kleine gelbe
Blütenköpfchen. Stängel
und Blätter stark aroma-
tisch riechend
Wuchshöhe: Bis ca.
100 cm hoch; meist zwi-
schen 15 und 40 cm.
Giftigkeit:
(Wohl) ungiftig
Herkunft: Mittelmeergebiet
Erstnachweis im Ruhrgebiet: 1913, Essen-Kettwig
Einbürgerungszeitraum: Seit 1984
Wuchsort/Gesellschaftsanschluss: Lückige Ruderalgesellschaften,
schwerpunktmäßig auf offenem Bergematerial, oft verdichtet und
somit z. T. staunass. Namengebende Art der Inula graveolens-
Tripleurospermum perforatum-[Klebriger-Alant-Geruchlose-Kamille]-
Gesellschaft
Aktuelle Verbreitung/Häufigkeit: Im Ruhrgebiet zerstreut auf Indus-
triebrachen, sehr vereinzelt an Straßenrändern. Außerhalb des Ruhr-
gebietes vor allem in Süddeutschland an Autobahnen
Senecio inaequidens DC. Asteraceae (Korbblütler)
Schmalblättriges Greiskraut
Merkmale: Ausdauernde,
an der Basis häufig
verholzende Staude bis
Halbstrauch. Stark ver-
zweigt, mit zahlreichen
gelben Blütenköpfchen,
bis in den Winter hinein
blühend
Wuchshöhe: Bis 120 cm
Giftigkeit: Alle Pflanzen-
teile sind giftig
Herkunft: Südafrika
Erstnachweis im Ruhrgebiet: 1922, Essen-Kettwig
Einbürgerungszeitraum: Seit 1976
Wuchsort/Gesellschaftsanschluss: Trockene Ruderalgesellschaften auf
offenem Schotter, Sand, Kies und Bergematerial. Bestände des Schmal-
blättrigen Greiskrautes werden derzeit vegetationskundlich nicht als
eigenständige Gesellschaft benannt, sondern lediglich als Dominanz-
bestände gefasst
Aktuelle Verbreitung/Häufigkeit: Im Ruhrgebiet auf offenen Indus-
triebrachen, Bergehalden, Bahnanlagen, Bahnhöfen, Baustellen, Ver-
kehrsinseln, Straßenrändern und Autobahnen sehr häufig
Apera interrupta (L.) P. B. Poaceae (Süßgräser)
Unterbrochener Windhalm
Merkmale: Einjähriges,
(sehr) unscheinbares
Gras. Auffällig erst im
Dominanzbestand
Wuchshöhe: Bis 40 cm,
seltener höher, oft sehr
klein
Giftigkeit:
(Wohl) ungiftig
Herkunft: Mittelmeergebiet
Erstnachweis im Ruhrgebiet: Ca. 1985
Einbürgerungszeitraum: Seit 1985
Wuchsort/Gesellschaftsanschluss: Lückige Ruderalgesellschaften, vor
allem auf offenem Schottermaterial, z.B. auf aufgelassenen Bahnglei-
sen und in Pflasterfugen. Namengebende Art der Apera interrupta-
Arenaria serpyllifolia [Unterbrochener-Windhalm-Quendelblättriges-
Sandkraut]-Gesellschaft
Aktuelle Verbreitung/Häufigkeit: Im Ruhrgebiet oft massenhaft auf
offenen Industriebrachen, Bergehalden, Bahnanlagen, Bahnhöfen, Bau-
stellen und Verkehrsinseln
Echium vulgare L. Boraginaceae (Raublattgewächse)
Gewöhnlicher Natternkopf
Merkmale: Zweijährige
krautige Pflanze. Im
ersten Jahr wird eine
Blattrosette gebildet,
im zweiten Jahr erfolgt
die Blüte; danach stirbt
die Pflanze ab. Stängel
und Blätter sehr rau.
Blüten an den Kopf einer
Natter erinnernd
Wuchshöhe: Bis 80 cm
Giftigkeit: Nur die
Wurzel ist schwach
giftig, sonst ungiftig
Herkunft: Vermutlich Mittelmeergebiet
Erstnachweis im Ruhrgebiet: Vermutlich Alteinwanderer, bereits in der
Römerzeit
Einbürgerungszeitraum: Seit der Römerzeit
Wuchsort/Gesellschaftsanschluss: Trockene Ruderalgesellschaften,
auf offenem Schotter, Sand, Kies und Bergematerial. Namengebende
Art des Echio-Melilotetum (Natterkopf-Steinklee-Gesellschaft)
Aktuelle Verbreitung/Häufigkeit: Im Ruhrgebiet auf Bahnanlagen,
Bahnhöfen, offenen Industriebrachen, Bergehalden, Baustellen und an
Weg- und Straßenrändern zerstreut bis lokal häufig
... To begin with, both the landscape park Duisburg-Nord and the garden Hermannshof have been widely published about. This notwithstanding, Duisburg-Nord has typically been presented as a post-industrial landscape scar (Storm, 2014), as an example of revitalization of a former industrial area (Loures & Panagopoulos, 2007), or as a biodiversity hotspot (Keil, 2019;Keil et al., 2007). Instead, only a work report (Danielzik + Leuchter Landschaftsarchitekten BDLA, 2009) and two articles (Bodmann, 2022;Kühn, 2006) have been published, which address the daily practices and management of the 180-hectare large site. ...
... There is a specialist for nearly every condition. One example of such a specialist is the Aster tripolium: originally growing on sandy beaches it can cope with salty industrial soils that would kill most other plants (Keil et al., 2007). For the Aster tripolium, it eventually does not matter if the saltiness is present because it finds itself in a beach or in an industrial wasteland. ...
Article
Full-text available
This article looks at the ecological turn in the landscape professions and argues that such a shift requires a new conception of the role of the landscape practitioner: Drawing on landscape ecology and phenomenology, I am proposing that landscape practitioners adopt the posture of participants within dynamic, evolving milieus. To this end, I offer two examples: Egbert Bodmann, from the landscape park Duisburg-Nord, and Cassian Schmidt, head of the garden Hermannshof. I argue that the way of seeing and working they embody requires capacities that are currently dispersed across different disciplines and roles within the professional field, such as ecology, horticulture, and landscape architecture. Drawing on practice-led research, I specify my proposal using detailed scenes that flesh out an approach that not only bridges, but mingles these disciplines, and is thus receptive to the dynamic development of ecologies.
... Urbane Wildnis, unversiegelte Brachen und Sukzessionsflächen Urbane Brachflächen zeichnen sich durch besondere Standortbedingungen für Flora und Fauna aus, die durch das Vorherrschen überwiegend anthropogener Substrate und das städtische Lokalklima geprägt sind. Durch die besonderen chemisch-physikalischen Eigenschaften dieser typisch urbanen Substrate (Bauschutt, Stäube, Schlämme, Aschen, Bergematerial usw.) bilden die Brachen neuartige Ökosysteme (im Sinne ortsspezifischer Neuartigkeit nachHeger et al. 2019), die es in der Naturlandschaft sowie in der land-und forstwirtschaftlich geprägten Kulturlandschaft nicht gibt(Keil, Fuchs & Loos 2007). Insbesondere Brachflächen der Montanindustrie sowie Gleis-und Gewerbebrachen weisen eine außerordentlich hohe biologische Vielfalt auf (auch als »Industrienatur« bezeichnet). ...
Chapter
Kapitel über die Bedeutung urbaner Räume für die Biodiversität aus dem Faktencheck Artenvielfalt. Download unter https://www.feda.bio/de/das-ist-faktencheck-artenvielfalt/ oder https://www.oekom.de/buch/faktencheck-artenvielfalt-9783987260957
... , Schmitt/Gausmann (2020),Keil/Guderley (2017),,,Brosch et al. (2008),Keil et al. (2007),Weiß et al. (2005).Abb. 1: Industrienatur auf der Fläche der ehemaligen Schachtanlage 4/8 im Bereich des Landschaftsparks Duisburg-Nord mit sehr artenreicher Ruderalvegetation (Foto: PeterKeil, eigene Abbildung, 2019) Die große Arten-, Biotop-und Standortvielfalt der Industrienatur ist auch aufgrund ihrer Robustheit gegenüber Besucher:innen und Exkursionsgruppen sowie ihrer räumlichen Nähe zu den Schulstandorten im Stadtquartier als außerschulischer Lernort für Umweltbildung und Naturerfahrung in besonderem Maße geeignet(Knapp et al. 2016, Schneider/Keil 2018 Niehuis et al. 2019).Abb. ...
Chapter
Wir berichten über ein Projekt (LELINA) in dem wir Industrienaturflächen im Ruhrgebiet als außerschulische Lernorte qualifizieren wollen. Weitere Informationen sind auf unserer webpage https://www.lelina.ruhr/ abrufbar.
... Neben der hohen Arten-und Biotopvielfalt zeichnen sich die Flächen auch durch ihren hohen naturschutzfachlichen Wert aus, da sie häufig eine Vielzahl gefährdeter, seltener und sogar streng geschützter Taxa (nach BNatSchG) aufweisen. Das hohe ökologische Potenzial dieser Standorte konnte in einer Vielzahl an Untersuchungen belegt werden (Brosch et al. 2008, Hamann & Schulte 2002, Keil & Guderley 2017 (Keil et al. 2007. ...
Article
Als Industrienatur werden Biozönosen definiert, die sich eigenständig auf ehemals industriell genutzten Flächen etablieren konnten. Aus naturschutzfachlicher Sicht sind Industrienaturstandorte besonders wertvoll aufgrund ihrer hohen Biodiversität, die sie durch vielfältige und extreme Standortbedingungen auf technogenen Substraten erreichen. Die Ausprägung von Industrienatur ist im Ruhrgebiet im deutschlandweiten Vergleich qualitativ und quantitativ einzigartig. Gleichzeitig bestehen ein hoher Flächennutzungsdruck sowie Interessenskonflikte, die den Bestand und den naturschutzfachlichen Wert der Brachflächen gefährden. Als Teilprojekt der Regionalen Biodiversitätsstrategie Ruhrgebiet soll das Ziel geprüft und qualifiziert werden, 5.500 ha Industrienaturflächen dauerhaft zu sichern. Es wurden Quellen zu Bestandsdaten von Industrienaturflächen, potenziellen Industrienaturflächen sowie Vernetzungsflächen akquiriert und ausgewertet. Eine umfängliche Aus- und Bewertung der Daten und Ergebnisse wird in einem zweiten Projektabschnitt umgesetzt und separat veröffentlicht. Insgesamt konnten im Rahmen der Erfassung 272 Industrienaturflächen identifiziert werden. Sie umfassen eine Gesamtgröße von 7.015 ha und setzen sich aus 96 Halden, 88 Industriebrachen, 34 Gleisbrachen, 48 Deponien und sechs Bergsenkungsgewässern zusammen. Die räumliche Verteilung der Industrienaturflächen zeigt einen Schwerpunkt im dichtbesiedelten Kernbereich des Ruhrgebiets. 95 Flächen mit 2.472 ha weisen in Teilen einen Schutzstatus auf. Somit konnten ausreichend Raumpotenziale identifiziert werden, um das Ziel, 5.500 ha Industrienaturflächen zu sichern, zu realisieren.
... Für thermophile Pflanzenarten finden sich vielfach Anmerkungen hinsichtlich der Vorkommen auf Industriebrachen (z. B. Keil et al. 2007, Scholz et al. 2018. M. acervorum konnte auch andernorts in Deutschland in Bergbaufolgelandschaften nachgewiesen werden (Klaus 1995, Junker 1997.Häufig finden sich Angaben, dass die Art ganzjährig in allen Stadien nachweisbar ist (Fischer et al. 2016). ...
Article
Full-text available
Kurzfassung: Die Ameisengrille Myrmecophilus acervorum (Panzer, 1799) wurde in den vergangenen Jahren in Nordrhein-Westfalen zunehmend häufiger nachgewiesen. Im Ballungsraum Ruhrgebiet erfolgten dabei mehrfach Funde auf Industriebrachen. Gezielte Kartierungen in den Jahren 2017 bis 2019 ergaben zahlreiche neue Nachweise von M. acervorum für die Region. Insgesamt erfolgten 18 Nachweise auf 7 Messtischblättern und die Art konnte erstmals für den Naturraum Niederrheinisches Tiefland belegt werden. Im Ballungsraum Ruhrge-biet besiedelt die Ameisengrille wärmebegünstigte Kulturlandschaften, Industriebrachen und sogar Gärten. Die Fundlokalitäten zeigen in vielen Fällen eine starke Verinselung inmitten versiegelter städtischer Flächen. Wir schlussfolgern daraus, dass die Art im Ruhrgebiet weit verbreitet ist und eine stärkere Dispersionsfähigkeit besitzen muss, als bislang angenommen. Sie verhält sich in der Region als thermophile Hemerophile. Die starke Zunahme von Nachweisen der Ameisengrille in Nordrhein-Westfalen muss aktuell als Ausbreitung gewertet werden, da sie unserer Ansicht nach historisch, trotz der geringen Körpergröße, nicht vollständig übersehen werden konnte. Die Verbrei-tungsschwerpunkte in Nordrhein-Westfalen liegen aktuell im Ballungsraum Ruhrgebiet und dem Weserbergland mit dem angrenzenden Nordwest-hessischen Bergland. Obwohl die Bestimmung von Arten der Gattung Myrmecophilus Berthold, 1827 diffizil ist, eignet sich M. acervorum aktuell für Meldungen auf Meldeplattformen und der Berücksichtigung in Citizen Science-Projekten, da sie nach bisheriger Kenntnis die einzige mitteleuropäische Art der Ameisengrillen darstellt. Für die Kartierung im Ballungsraum Ruhrgebiet eignet sich nach unseren Ergebnissen vor allem der Monat September, da die gezielte Suche zu vielen anderen Zeitpunkten negativ verlief. Als neue Nach-weismethode kann das nächtliche Ableuchten der Bodenoberfläche genannt werden, was im Rahmen einer Kartierung auf einem zuvor ermittelten Nachweisstandort erstmals erfolgreich eingesetzt werden konnte. Abstract: The ant-loving cricket Myrmecophilus acervorum (Panzer, 1799) has been increasingly proven in North Rhine-Westphalia during the past years. Several records were made on post-industrial brownfields in the Ruhr metropolitan area. Targeted recordings in the years 2017 to 2019 resulted in numerous new records for M. acervorum in this area. A total of 18 records were made and the species was documented for the area "Niederrheinisches Tiefland", a part of the Lower Rhine area, for the first time. In the Ruhr metropolitan area, the ant-loving cricket colonizes favorable warm industrial and cultural landscapes such as fallow land and even gardens. The localities show strong islan-dization effects in the middle of sealed urban areas in many cases. We conclude that the species is widespread in the Ruhr area and must have a higher dispersibility than previously assumed. It behaves as a thermophilic hemerophile in the region. The increasing frequency of records of the ant-loving cricket in North Rhine-Westphalia has currently to be regarded as a range expansion, as in our opinion it could not been completely overlooked despite its small size. Although the determination of species of the genus Myrmecophilus Berthold, 1827 is difficult, M. acervorum is suitable for recording on reporting platforms and a consideration in Citizen Science projects, as it is known to date the only Central European species of ant-loving crickets. According to our results, the month of September is most suitable for recording in the Ruhr metropolitan area as field records at many other times where negative. As a new recording method, the nocturnal illumination of the ground surface can be named, as it was successfully used for the first time on a previously detected location. 2 Einleitung
Book
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Wir berichten über 20 Jahre Naturschutz- und Bildungsarbeit der Biologischen Station im westlichen Ruhrgebiet. Dabei zeigen wir die Veränderungen in Flora und Fauna und in der urban geprägten Landschaft des Ruhrgebiets auf, berichten über erfolgreiche Projekte und die Umsetzung von Maßnahmen.
Research Proposal
Bereits mit dem Beitrag zum Wettbewerb IDEE.NATUR wurde deutlich, dass insbesondere die Of-fenland-Brachflächen des Ruhrgebietes eine hohe bundesweite Bedeutung für den Erhalt der Ar-tenvielfalt im Ballungsraum aufweisen. In Kooperation zwischen dem Regionalverband Ruhr und der Biologischen Station Westliches Ruhrgebiet wurde deshalb ein Forschungs- und Entwicklungs- (F+E-)Vorhabens beim Bundesamt für Naturschutz (BfN) durchgeführt, mit dem Ziel den Wettbe-werbsbeitrag weiter zu qualifizieren. Hauptziel ist hierbei die Identifizierung geeigneter Brachflä-chen im Ruhrgebiet, welche für den Erhalt der außergewöhnlich hohen Biodiversität besonders geeignet sind, wobei der Schwerpunkt auf den Bereichen offener Industriebrachen mit einer Viel-zahl an Ziel- und Leitarten urban-industrieller Landschaften liegt. Eine Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen dokumentiert die außergewöhnliche Artenvielfalt von Industriebrachen. So siedeln beispielsweise auf den vergleichbar kleinflächigen ehemaligen Industriearealen des Landschaftsparks Duisburg-Nord, der Brache Vondern in Oberhausen, des ehemaligen Zechengeländes Alma in Gelsenkirchen oder auf dem Gelände der Zeche Zollverein gut ein Viertel der Flora Nordrhein-Westfalens. Die Qualität der Artenvielfalt wird zudem durch den hohen Anteil seltener, gefährdeter und geschützter Arten unterstrichen. Dabei handelt es sich vor allem um hochspezialisierte Organismen, die in ihren ursprünglichen Lebensräumen, wie bei-spielsweise naturnahe Flussauen, gefährdet vom Aussterben bedroht sind. Offene Brachen im Ruhrgebiet sind daher ein bundesweit bedeutender Ersatzlebensraum. Darüber hinaus hat sich hier auch ein eigenständiges synökologisches Gefüge entwickelt, welches so in der Naturland-schaft nicht existiert und demzufolge einzigartig und charakteristisch ist. Allerdings ist die Artenvielfalt hier im zunehmenden Maße gefährdet. Neben der Wiedernutzung durch Wohnen oder Gewerbe ist insbesondere auch die Sukzession auf den Flächen als Ursache für den Verlust der Artenvielfalt zu nennen, da mit der zunehmenden Verbuschung und Wald-entwicklung die gesamte Biozönose eine Veränderung – hin zu artenärmeren Lebensgemeinschaf-ten – erfährt. Ab einem bestimmten Punkt in der Sukzession sind durch die Bodenentwicklung die Standortverhältnisse so stark verändert, dass eine Rückentwicklung zu industriebrachentypischen Offenlandbiotopen, z. B. durch Rodung, insbesondere für wärmeliebende oder auf nährstoffarme Bedingungen angewiesene Organismen, nicht mehr zielführend ist. Da viele der im Ruhrgebiet auf 10.000 ha Flächengröße bezifferten Industriebrachen seit mehren Jahren, häufig schon seit eini-gen Jahrzehnten aus der Nutzung sind, ergibt sich somit eine besondere Handlungsdringlichkeit. Zur Identifizierung eines engeren Flächenpools wurde zunächst eine Methode entwickelt. Dabei erfolgte die Eingrenzung der Flächenauswahl auf 30 Brachflächen aus den ehemals 100 im Wett-bewerb IDEE.NATUR vorgeschlagenen Flächen zunächst durch konkrete Auswahlkriterien wie z. B. die Lage im Emscher Landschaftspark, Urbanität des Umfeldes, Mindestflächengröße, der Offen-landanteil sowie das Vorhandensein von Zielbiotopen und Substraten. In einem zweiten Schritt wurden zur finalen Auswahl der Zielflächen, neben der Feststellung der Flächenverfügbarkeit, ein intensiver Blick auf die biotische Ausstattung der Fläche selber und ihres Umfeldes gerichtet (Be-deutung für die Biodiversität, Ausprägung junger Sukzessionsstadien, Offenlandanteile, Zielarten auf den Flächen und in der Umgebung sowie die Bedeutung für den Biotopverbund). Gleichzeitig wurden sozio-ökonomische Aspekte wie die Nutzungsmöglichkeiten (Naturerleben und Umwelt-bildung, Naherholung) und mögliche Konflikte (Verkehrssicherungspflicht, Nutzungsverträglich-keit) analysiert und bewertet. Als Bestandteil der urbanen Landschaft erhöhen offene Brachen mit ihren Freiraumfunktionen die Lebensqualität der Menschen, in dem sie Möglichkeiten naturverträglicher Naherholung im direk-ten Umfeld bieten und zugleich das gesellschaftliche Naturbewusstsein fördern. So werden Syner-gieeffekte bei zielverträglichen Nutzungen, insbesondere bei der naturverträglichen Erholung und im Bereich der Umweltbildung erwartet, da hier das Naturerlebnis und die Naturerfahrung mit Maßnahmen der Besucherlenkung und Kommunikation sinnvoll verbunden werden können. Um eine bessere Vergleichbarkeit der Flächen hinsichtlich ihres biotischen Potentials herzustel-len, wurden konkrete Zielarten definiert (u. a. Flussregenpfeifer, Kreuzkröte, Golddistel, Zierliches Tausendgüldenkraut, Unterbrochener Windhalm). Einerseits stehen diese stellvertretend für eine Reihe weiterer industrietypischer Arten und werden an ihren Standorten in der Regel von zahlrei-chen weiteren, sich ökologisch ähnlich verhaltenden, seltenen und gefährdeten Arten begleitet. Andererseits repräsentieren die Arten jeweils verschiedene Zielbiotope (bzw. Artengemeinschaf-ten). Die benannten Zielarten sind ausschließlich solche, die nicht nur innerhalb des Ruhrgebie-tes, sondern auch landes- oder bundesweit einen deutlichen Verbreitungsschwerpunkt auf In-dustriebrachen besitzen. Im Ergebnis konnten so 17 Industrieflächen identifiziert werden, die als Zielflächen einzeln hin-sichtlich der Fragestellung bewertet wurden. Mit der zukünftig zu entwickelnden Umsetzungsstra-tegie der Projektziele, wird der Erhalt von Industriebrachflächen einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt im Ruhrgebiet leisten können. Die Zielsetzung des Projektes spiegelt wesentliche Ziele und Aktionsfelder der Nationalen Strate-gie zur Biologischen Vielfalt wider. Die dargestellte Methodik sowie die zu erarbeitende Umsetzungsstrategie werden auch auf ande-re Ballungsregionen in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa übertragbar sein. Dabei kann das Ruhrgebiet mit seinem Potential und mit seiner besondern Verantwortung im Bereich der urban-industrieller Natur als „best-practice“-Beispiel eine Vorreiterrolle einnehmen.
Article
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Inhalt: Einleitung. Bergbau- und industriegeschichtlicher Kontext. Landschaftssukzession auf industriellen Brachlächen: Abiotische Standorteigenschaften (Böden auf Bergematerial, Eisenhüttenschlacken, Aschen, Gichtgasschlamm, Bauschutt, Gleisschotter), Boden- und Vegetationsentwicklung. Bedeutung für den Arten- und Biotopschutz. Planerischer Umgang mit industriellen Brachflächen: Sanierung kontaminierter Flächen, Rekultivierung von Bergehalden, Schutz und Erhalt der Industrienatur, Beispiel: BIomassepark Hugo
Article
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Abstract. The willowherb hawkmoth (Proserpinus proserpina) (Pallas, 1772) is a moth in the family Sphingidae which is strictly protected in the European Union listed in Annex IV of the Habitats Directive. As a mediterranean faunal element, it was rarely recorded north of the Alps but showed a larger range expansion in the recent years, especially in North Rhine-Westphalia. The records of immature stages of P. proserpina were reported on post-industrial brownfields in Oberhausen and Dortmund and confirm the status of the species as a pioneer for post-industrial brownfields in the Ruhr metropolitan area. We recommend a stronger considering in planning practice especially on post-industrial brownfields. The larva is distinctive and ideally suited for recordings on reporting platforms and a consideration in citizen science-projects. Zusammenfassung. Der Nachtkerzenschwärmer Proserpinus proserpina (Pallas, 1772) ist eine dämmerungsaktive Schmetterlingsart aus der Familie der Schwärmer (Lepidoptera: Sphingidae), die als Anhang IV-Art der FFH-Richtlinie europarechtlich geschützt ist. Nachdem sich die Art bereits historisch in südlichen Schürfungsarealen ansiedelte, als mediterranes Faunenelement jedoch nur selten nördlich der Alpen auftrat, ist in den letzten Jahren insbesondere in Nordrhein-Westfalen eine deutliche Ausbreitungstendenz zu verzeichnen. Getätigte Nachweise der Präimaginalstadien von P. proserpina aus den Jahren 2015 und 2019 auf Industriebrachen in Oberhausen und Dortmund bestätigen den Status der FFH-Art als Pionierart für diesen Lebensraum im Ruhrgebiet. Wir empfehlen, die geschützte Schmetterlingsart bei Kartierungen in der Planungspraxis deutlich stärker zu berücksichtigen. Die unverwechselbare Raupe von P. proserpina eignet sich zudem hervorragend für Meldungen auf Meldeplattformen und der Berücksichtigung in Citizen Science-Projekten.
Article
Full-text available
Seit der Steinkohlen- und Stahlkrise sind im Ruhrgebiet große Bereiche brach gefallen. Im Projekt „Industriewald Ruhrgebiet“ werden auf ausgewählten Flächen vegetations- und bodenkundliche, faunistische und waldstrukturelle Untersuchungen bezüglich Zeitdauer und Verlauf der Entwicklung für eine Modellierung des Sukzessionsablaufes durchgeführt. Neue, artenreiche und regionsspezifische Waldtypen entstehen. Hybridisierung, Introgressionen und Einnischungsprozesse sind Ausdruck hier ablaufender Evolution, an deren Ende neu entstandene Arten stehen (Anökophyten).
Industrietypische Flora und Vegetation im Ruhrgebiet
  • J Dettmar
Dettmar, J.: Industrietypische Flora und Vegetation im Ruhrgebiet. -Dissertationes Botanicae 191, 1992.
Industriebrachen -Ökologie und Management
  • F U Rebele
  • J Dettmar
Rebele, F. u. Dettmar, J.: Industriebrachen -Ökologie und Management. -Stuttgart 1996.
Ihre Rolle in Flora und Vegetation der Kulturlandschaft
Ihre Rolle in Flora und Vegetation der Kulturlandschaft. -PdN-BioS, 56 (2/56) (2007), S.13-19.
  • P Gausmann
  • J Weiss
  • P U Keil
  • G H Loos
Gausmann, P., Weiss, J., Keil, P. u. Loos, G. H.: Wildnis kehrt zurück in den Ballungsraum -Die neuen Wälder des Ruhrgebietes. -PdN-BioS, 56 (2/56) (2007), S. 27-29.