Content uploaded by Jana Costa
Author content
All content in this area was uploaded by Jana Costa on Nov 06, 2019
Content may be subject to copyright.
4'18 ZEP
20
Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik
41. Jahrgang 2018, Heft 4, S. 20-29
doi.org/10.31244/zep.2018.04.05
© 2018 Waxmann
Jana Costa/Claudia Kühn/Susanne Timm/Lina Franken
Kulturelle Lehrerbildung – Professionalität im Horizont
der Globalisierung
Zusammenfassung
Kulturelle Lehrerbildung im Horizont von Globalisierung
steht vor besonderen Professionsherausforderungen. Dieser
Beitrag widmet sich einer theoretischen und empirischen Kon-
kretisierung dieser räumlichen, sachlichen, zeitlichen und sozi-
alen Herausforderungen. Die empirischen Untersuchungen
zeigen dabei Momente eines möglichen Handlungsbedarfs auf,
der sich im Kontext des gegenwärtigen Lehrangebots und
handlungsleitender Orientierungen von Lehramtsstudieren-
den identizieren lässt. Im Zuge weiterführender Analysen
können Ansatzpunkte für zukunftsorientierte Neujustierungen
herausgearbeitet werden.
Schlüsselworte: Kulturelle Lehrerbildung, Professionalität,
Globalisierung, Dierenz, Fachdidaktik
Abstract
In a globalised world, cultural education poses specic chal-
lenges for teacher education and professionalisation. is ar-
ticle introduces a theoretical and empirical concretisation of
these spatial, factual, temporal and social challenges. e em-
pirical investigations indicate aspects of a possible need for
action concerning the current curricula of teacher education
as well as the orientations guiding students in teacher training.
In the future, further analyses may facilitate readjustments of
these constitutive aspects of teachers’ professionalisation.
Keywords: Cultural teacher training, professionalism,
globalisation, subject didactics
Längst stellt die beschleunigte Entwicklung weltweiter Aus-
tausch- und Wechselbeziehungen das Leben des Einzelnen in
einen globalen Zusammenhang. Nationalstaatliche Ord-
nungssysteme verlieren an Bedeutung und es lässt sich eine
Pluralisierung des Sozial-Kulturellen beobachten. Damit ver-
ändern sich die Bedingungen und Kontexte für kulturelle Pra-
xen. Zukunftsfähiges Lernen sollte es deshalb ermöglichen,
sich in ein reexives Verhältnis zur eigenen habitualisierten
Kultur zu setzen, um entscheidungs-, gestaltungs- und hand-
lungsfähig zu werden. Lehrkräfte spielen in diesem Prozess
eine bedeutende Rolle, denn im schulischen Setting gelten sie
als Vermittelnde und Multiplikatoren kultureller Deutungs-
muster. Dies wird bislang in der universitären Lehrerbildung
in Teilbereichen explizit bearbeitet (z.B. hinsichtlich von e-
men interkultureller Bildung und Erziehung), stellt in einer
umfassenderen Perspektive auf kulturelle Bildung im Kontext
der Lehrerbildung aber ein Desiderat dar.
Hier liegt der Ansatzpunkt für den vorliegenden Bei-
trag: Ziel ist es, die Ausgangslage für eine im Hinblick auf
Fragen der Globalisierung kulturreexiven Lehrerbildung the-
oretisch und mit ersten Forschungsergebnissen1 empirisch
fundiert zu beschreiben. Das Vorhaben rekurriert auf exem-
plarische Professionsherausforderungen, die sich als möglicher
Überschneidungsbereich des Globalen Lernens bzw. der Bil-
dung für nachhaltige Entwicklung und kultureller Bildung
identizieren lassen.
Kulturbezogene Lehrerprofessionalität im
Horizont von Globalisierung
In den nachfolgenden Ausführungen werden mit Blick auf
kulturelle Bildungsprozesse relevante Aspekte in den Sinndi-
mensionen Globalen Lernens (Lang-Wojtasik, 2008; Scheun-
pug, 2003; Stichweh, 2000; Treml, 2000) aufgegrien. Es
wird danach gefragt, welchen (Lern-) Herausforderungen
Lehrkräfte angesichts von Globalisierung bzw. Globalität ge-
genüberstehen und welche Facetten kulturbezogener Professi-
onalität vor diesem Hintergrund besonderes bedeutend er-
scheinen.
Das für diese Verhältnisbestimmung zugrundeliegende
Verständnis von Kultur schließt an kulturwissenschaftliche
Begrisbestimmungen an und liegt jenseits einer Beschrän-
kung von Kultur auf den (hoch)kulturell-ästhetischen Sektor.
Vielmehr geht es um Kultur als ein Bedeutungsgewebe verin-
nerlichter Ordnungen, Werte und Normensysteme (Eliot,
1949; Geertz, 2016; Reckwitz, 2004; Williams, 1989). Vor
dem Hintergrund der Sinndimensionen Globalen Lernens
werden im Folgenden Facetten kulturbezogener Professionali-
tät von Lehrkräften herausgearbeitet.
© Waxmann Verlag GmbH
21
Die räumliche Entgrenzung und Glokalisierung
von Kultur
Die gegenwärtigen weltgesellschaftlichen Entwicklungen spie-
geln sich in der räumlichen Dimension in einem glokalen
Raumbezug (Robertson, 1998, S. 208) über neue Medien und
Kommunikationsformen, erweiterte Mobilitätsformen sowie
weltumspannende Handels- und Warenströmen wider. Räum-
liche Entgrenzung und Glokalisierung sind dabei eingewoben
in kulturelle Deutungsmuster, die sich in kultureller Pluralisie-
rung und Diversität zeigen.
Lehrkräfte müssen Schülerinnen und Schüler auf diese
Diversität und Glokalität vorbereiten. Mit Blick auf die Ent-
grenzung des Raumes und die Allgegenwärtigkeit einer Vielfalt
von kulturellen Interpretationshintergründen stellt sich für
Lehrkräfte die Herausforderung, Orientierung im entgrenzten
Raum zu bieten ohne dabei singuläre kulturelle Deutungsmus-
ter zu privilegieren oder in den Vordergrund zu stellen. Kultur
kann dabei „die Funktion erfüllen, in einem entgrenzten und
‚glokalen‘ Raum zu begrenzen und eine sinnhafte Schließung
pluraler kultureller Bezüge zu ermöglichen, die für soziale Sys-
teme anschlussfähig ist“ (Lang-Wojtasik, 2008, S. 61). Voraus-
setzung dafür ist es, Kultur nicht als statisch und an national-
staatliche Grenzen gebunden zu begreifen, sondern vielmehr
als verhandel- und reektierbare Bezugsgröße zu verstehen.
Kultur rückt hier als „Beobachtungsstandpunkt zweiter Ord-
nung“ (Scheunpug, Franz & Stadler-Altmann, 2012, S. 102)
in den Mittelpunkt, in dem es um das reexive Beobachten von
Kultur geht. Kultur sowie die eigene Wahrnehmung, Beobach-
tung und Interpretation von kulturellen Bedeutungsgeweben
wird zum Gegenstand der Reexion. Dieses Verständnis knüpft
an ein „bedeutungs-, wissens- und symbolorientiertes Kultur-
verständnis“ (Reckwitz, 2004, S. 7) an.
Die zunehmende Kontingenz und
Beschleunigung kultureller Wissensbestände
Damit einher geht die veränderte Bedeutung kulturellen Wis-
sens. Die Steigerung der Vielfalt an verfügbaren Informationen
ist mit einer enormen Komplexitätssteigerung verbunden. Mit
dem Wachstum der Wissenspotenziale steigt die Notwendig-
keit der Auswahl und Einschätzung verfügbarer kultureller
Wissensbestände sowie die Kontingenz dieser Entscheidungen.
Gerade mit Blick auf kulturelle Lern- und Bildungspro-
zesse „stellt sich [dann] im schulischen Kontext immer das
Problem einer Legitimierbarkeit von Selektionen“ (Lang-Woj-
tasik, 2008, S. 64). Die unidirektionale Vermittlung und Re-
produktion von festgelegten kulturellen Praxen als ‚Kultivie-
rung des Kulturellen‘ wird im Horizont der Komplexität und
Kontingenz kultureller Deutungsmuster brüchig. Damit wird
es kaum noch möglich, einen klar festgelegten Kanon an Kul-
turgütern zu reproduzieren, ohne dabei einen Aus- bzw. Ein-
blick in andere Perspektiven zu ermöglichen. Gleichzeitig ist
Kultur aber auf Performanz und kulturelle Deutungen ange-
wiesen, die kollektive Wissensmuster bedingen, beispielsweise
ist gemeinsames Singen nur möglich, wenn alle das Lied ken-
nen. Die damit verbundene Spannung produktiv zu gestalten,
wird zu einer bedeutsamen Dimension von Lehrerprofessiona-
lität. In der Gleichzeitigkeit von Glokalität und der Beschleu-
nigung von Kommunikation entstehen vielfältige neue For-
men von Kulturausprägungen, die sich in vielfältigen
Jugendkulturen äußern und für die hochkulturelle Prägung der
Schule eine weitere Herausforderung darstellen. Der soziale
Wandel vollzieht sich heute deutlich schneller als die Zeitspan-
ne eines Generationenwechsels (Scheunpug & Hirsch, 2000,
S. 5).
Individualisierung und Pluralisierung
kultureller Lebenswelten
Einhergehend mit diesen Entwicklungen verliert Kultur als
Konstrukt in sich homogener und nach außen hin abgrenz-
barer Gemeinschaften, welches auf Unterschiede zwischen
Menschen, z.B. in Bezug auf Traditionen, Einstellungen, Le-
bensweisen oder Sprachen, aufbaut und damit dem Kugelmo-
del von Herder (1772/2010) folgt, dramatisch an Bedeutung.
Kultur und Nation können nicht mehr als deckungsgleich be-
grien werden. Vielmehr erhalten Netzwerkstrukturen sowie
hybride und transkulturelle Bedeutungsgeechte neue Deu-
tungskraft.
Als Multiplikatoren kultureller Deutungsmuster stellt
sich für Lehrkräfte die besondere Herausforderung, den Um-
gang mit Heterogenität und Vielfalt fortwährend zu reektie-
ren und die Vorstellung von Kultur als homogenes – an natio-
nale Grenzen gebundenes – Konstrukt zu hinterfragen und zu
dekonstruieren. Insgesamt wird in allen Sinndimensionen des
Globalen Lernens eine Komplexitätssteigerung von Bedeu-
tungsverechtungen sichtbar, angesichts derer kulturelle
Handlungsfähigkeit mit gesteigerten Anforderungen für den
Umgang mit Mehrdeutigkeiten, Wertpluralismen und Ord-
nungsbildungen verbunden ist. Für einen Unterricht, in dem
Kultur in diesen komplexen Bedeutungsfacetten aufgegrien
wird, sollten Lehrkräfte sich selbst umfassend mit der Bedeu-
tung von kulturellen Deutungsmustern auseinandergesetzt
und ihre Perspektiven der Strukturierung kultureller Traditi-
onen reektiert haben. Sollen Schülerinnen und Schüler für
das Leben in einer globalisierten Weltgesellschaft vorbereitet
werden, so müssen Lehrkräfte befähigt werden, ihnen einen
Rahmen zu bieten, in dem sie sich mit der eigenen kulturellen
Prägung und den eigenen habitualisierten Normen- und Wer-
tevorstellungen im globalen Kontext selbstkritisch auseinan-
dersetzen können.
Empirische Ergebnisse zu kulturbezogener
Professionalität in der Lehrerbildung
Im Folgenden werden erste Ergebnisse der empirischen Unter-
suchungen zur Lehrerbildung im Hinblick auf die beschrie-
benen Professionalitätsanforderungen im Horizont der Globa-
lisierung fokussiert dargestellt. Es wurden Einführungswerke
der Englischdidaktik darauf hin analysiert, welches Kulturver-
ständnis angehenden Lehrkräften angeboten wird. Zudem
werden Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zu den
handlungsleitenden Orientierungen von Lehramtsstudieren-
den im Umgang mit Dierenz und Zugehörigkeit dargestellt.
Kulturverständnis in Einführungswerken
der Englischdidaktik
Im ersten empirischen Zugang stehen Kulturverständnisse im
Fokus, die in der gegenwärtigen universitären Lehrerbildung
diskursiv in Einführungswerken der Englischdidaktik präsent
sind. Mit der zunehmenden Relevanz der englischen Sprache
© Waxmann Verlag GmbH
22
wächst die Herausforderung, Lehrende darin auszubilden, dass
sie Schülerinnen und Schülern die englische Sprache und Lite-
ratur in ihrem komplexen Wissens- und Bedeutungszusammen-
hang zugänglich machen. Die Identizierung des Kulturver-
ständnisses in englischdidaktischen Konzeptionen scheint daher
im Horizont des eingangs beschriebenen theoretischen Kon-
texts erkenntnisbringend.
Zum Forschungskontext
In dieser Teiluntersuchung geht es um Kulturverständnisse in
Fachdidaktiken geistes- und kulturwissenschaftlicher Unter-
richtsfächer. Datengrundlage dieser Teilstudie stellen sieben
englischdidaktische Einführungswerke dar, die im Rahmen der
Grounded eory (Strauss & Corbin, 1996) nach dem Prozess
des eoretical Sampling (für den Projektzusammenhang siehe
Franken, Lindner & Vogt, 2019) als relevante Grundlagenlite-
ratur der gegenwärtigen universitären Lehrerausbildung identi-
ziert wurden (dies sind Böttger, 2005; Do & Klippel, 2007;
Gehring, 20103; Haß, 20062; aler, 2012; Timm, 1998 und
Volkmann, 2010).
Um Zugang zum (re-)präsentierten Kulturverständnis
in den Einführungswerken zu erhalten, wird im Horizont einer
Diskursanalyse nach „wiederkehrenden Mustern und Abwei-
chungen von Aussagepraktiken“ (Keller, 2011) mit einem in-
haltsanalytischen Fokus gesucht, die sich hinsichtlich kultur-
und bildungstheoretischer Bedeutungszuschreibungen in der
Englischdidaktik identizieren lassen. Für die Auswertung der
Daten ist die Orientierung am oben beschriebenen eorierah-
men leitend. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden räum-
lichen, sachlichen, zeitlichen und sozialen Entgrenzung wird
dabei eine glokale Präsentation des Englischen als Lingua franca,
ein reexiver Umgang mit kulturellen Dierenzsetzungen, eine
Loslösung von nationalen Kontexten, die Repräsentanz nicht
britischer und nicht amerikanischer Literatur- und Sprach-
formen, die Problematisierung der Dominanzstellung und Ver-
drängung anderer Sprachsysteme sowie transkulturelle Perspek-
tiven erwartet.
Empirische Befunde: Kultur im Diskurs
der Englischdidaktik
Glokalisierung und (inter-)kulturelle Reexivität
Die räumliche Entgrenzung des Englischen wird in den unter-
suchten Einführungswerken als bedeutsam herausgestellt. Im
Diskurs zeichnet sich dabei ein konsensuales Bewusstsein aber
zugleich auch Uneinigkeit über die Bedeutung und Relevanz
einer Glokalisierungsperspektive für den Englischunterricht ab.
Alle untersuchten Einführungswerke thematisieren die eng-
lische Sprache als Lingua franca und deren wachsende Bedeu-
tung als Verkehrs- und Weltsprache, die den Englischunterricht
in besonderer Weise legitimiert sowie mit Blick auf tradierte
Vorstellungen der Sprach- und Kulturvermittlung herausfor-
dert. Insgesamt ist der Umfang der ematisierung und insbe-
sondere die konsequente Reexion des glokalen Bedeutungszu-
sammenhang in den Werken dierent angelegt: sie reicht von
eher zusammenhangslos bleibender Erwähnung (z.B. Gehring,
2010, S. 19; Haß, 2006, S. 27), der skizzenhaften ematisie-
rung in spezischen Unterkapiteln (z.B. Böttger, 2005, S. 44.;
aler, 2012, S. 14f.; Zydatis in Timm, 1998, S. 17f.) bis hin
zu einem Argumentationsmodus, der eine Präsentation des
Englischen als Lingua franca in den Ausführungen konse-
quenter mitdenkt (z.B. Do & Klippel, 2007, insb. S. 11.,
38.; Volkmann, 2010, insb. S. 4., 17., 142.). In einigen
Einführungswerken werden skizzenhaft Positionierungen für
und gegen eine glokale Perspektive des Englischen im Unterricht
angeführt (z.B. Do & Klippel 2007, S. 38.; aler, 2012, S.
16f.) oder es wird explizit dagegen argumentiert (z.B. Böttger,
2005, S. 46). Teilweise bleibt eine reexive Perspektive auf eine
glokale Präsentation des Englischen im Unterricht damit im
Diskurs aber auch stärker ausgeblendet (z.B. Böttger, 2005;
Gehring, 2010; Haß, 2006; Timm, 1998) oder wird tendenziell
widersprüchlich präsentiert. Dies impliziert auch plurale Ausle-
gungen kulturtheoretischer Bedeutungszuschreibungen des
Englischen in der Fachdidaktik.
Der englischdidaktische Diskurs zeichnet sich durch
einen verstärkten Rekurs auf ein weites Kulturverständnis aus,
demnach Kultur „die gesamten Lebensweisen einer Gesell-
schaft“ (Gehring, 2010, S. 15) in den Blick nimmt, wozu auch
„Alltagsbereiche und Alltagswirklichkeit, Sprach- und Kultur-
gewohnheiten“ (ebd.) zählen. Die unterrichtliche Auseinander-
setzung mit englischer Sprache und Literatur wird damit kul-
turgebunden verhandelt und impliziert plurale Bedeutungs-
verechtungen. Insgesamt lässt sich die Vermeidung „national-
staatlicher“ Diskurslinien identizieren. Eine Ausnahme bildet
Volkmann, der „Mentalitäten und ‚Nationalcharakter‘“ (2010,
S. 73.) umfassend diskutiert. Trotz sprachlicher Vermeidung
werden in den diskursiven Formaten der untersuchten Einfüh-
rungswerke jedoch implizite Orientierungen an einem national-
staatlichen Charakter sichtbar. Sie zeigen sich z.B. in der über-
greifenden Dominanz angloamerikanischer Bezüge in Beispielen
(z.B. Ortsbezüge, Literaturbeispiele, Bedeutung von Mutter-
sprache und native speakern), der einheitlichen Orientierung
der Werke am British English, der Relevanzsetzung und Ree-
xion landeskundlicher Wissensaneignung (z.B. Böttger, 2005)
oder verstärkten Rekursen auf das Zielkultur(en)- und Zielspra-
che(n)-Konzept (z.B. Do & Klippel, 2007; Gehring, 2010;
Timm, 1998; Volkmann, 2010).
In den untersuchten Einführungswerken ndet die Ver-
meidung eines nationalstaatlichen Argumentationsmodus
durch den verstärkten Rekurs auf das Konzept des (Fremd-)
Verstehens englischsprachiger „Zielkultur(en)“ seinen Ausdruck
(z.B. Do & Klippel, 2007, S. 116.; Gehring, 2010, S. 167.;
aler, 2012, S. 271.; Volkmann, 2010, S. 35.). Die kultur-
theoretischen Bezüge im Kontext des (Fremd-)Verstehens von
englischsprachigen Zielkulturen implizieren dabei Dierenzset-
zungen zwischen „eigener und fremder Kultur“ (Böttger, 2005,
S. 115). Damit ist die Annahme von „grundsätzlich weiter exis-
tierenden Unterschieden von Kulturen“ (Volkmann, 2010, S.
43) in der Fachdidaktik üblich. Unter anderem bei Rekursen
auf ein Verstehen und Vertrautmachen mit kulturellen Unter-
schieden nden sich in den Ausführungen – gerade in unter-
richtspraktischer Hinsicht – häug Homogenitätsvorstellungen
von Zielkultur(en). So betont zum Beispiel Gehring, dass Ver-
ständigungskompetenzen „von Kultur zu Kultur unterschied-
lich“ (2010, S. 157) sind. Sowohl „Zielsprache“ als auch „Ziel-
kultur“ werden häug als etwas in sich homogenes präsentiert.
Dies kann auch als Hinweis dafür gesehen werden, dass trotz
des Rekurses auf einen weiten Kulturbegri, dieser implizit Be-
schränkungen unterworfen bleibt.
© Waxmann Verlag GmbH
4'18 ZEP
23
Am deutlichsten werden kulturelle Reexivität und der Um-
gang mit kulturellen Dierenzsetzungen im Kontext des inter-
kulturellen Kompetenz (Böttger, 2005, S. 114.; aler, 2012,
S. 271.; Volkmann, 2010, S. 17., 157.) und des interkultu-
rellen Lernerwerbs (Do & Klippel, 2007, S. 116.; Gehring,
2010, S. 167.; Haß, 2006, S. 180.; Timm, 1998, S. 192.;
Volkmann, 2010, S. 45.) verhandelt. Interkulturelle eorie-
bezüge werden zwar in allen analysierten Einführungswerken in
Unterkapiteln dargestellt, zugleich werden aber Abweichungen
im Umfang der ematisierung (z.B. stärkere Marginalisierung
in Böttger, 2005; Haß, 2006; aler, 2012) sowie der In-Bezie-
hung-Setzung zu hör- und sprachbezogenen Kompetenzen
sichtbar. Das Interkulturalitätskonzept wird als kulturtheore-
tische Weiterentwicklung des Landeskundekonzepts präsentiert
(Böttger, 2005; Do & Klippel, 2007; Haß, 2006; Volkmann,
2010; sowie indirekt Gehring, 2010; aler, 2012; Timm,
1998) und kann als zentrales kulturtheoretische Moment der
gegenwärtigen Fachdidaktik identiziert werden, in dem die
Loslösung nationalstaatlicher Argumentationslinien und die
Bedeutung kultureller Reexivität im Diskurs kumuliert. Mit
den Rekursen auf interkulturelle Kompetenzen wird die Bedeu-
tung einer stärker dezentralisierenden Sensibilisierung für die
eigene und fremde Kultur sowie auf einen respektvollen Um-
gang mit sprachlichen und kulturellen Unterschieden als Un-
terrichtsziel Bezug genommen (z.B. Do & Klippel, 2007, S.
117.; Haß, 2006, S. 182.; aler, 2012, S. 272f.; Volkmann,
2010, S. 165.). In diesem Zusammenhang wird in den unter-
suchten Einführungswerken auch der Umgang mit (Hetero- und
Auto-) Stereotypen verstärkt diskutiert (z.B. Böttger 2005, S.
113f.; Haß 2006, S. 182.; aler 2012, S. 273; Timm 1998,
S. 188.; Volkmann 2010, S. 84.). Deren Reexivität bleibt
aber zum Teil fraglich, wenn in beispielhaften Unterrichtsauf-
gaben vorgeschlagen wird, zunächst nationale Stereotype von
den Schülerinnen und Schülern reproduzieren zu lassen, ehe
diese in einem anschließenden Schritt decodiert werden sollen
(z.B. Timm, 1998, S. 192; Volkmann, 2010, S. 102.). Dane-
ben sind auch Argumente „gegen eine Überbetonung der Über-
windung von Stereotypen“ (aler, 2012, S. 273f.) präsent,
beispielsweise wenn ausgeführt wird, dass „in Stereotypen ein
Körnchen Wahrheit“ (Böttger, 2005, S. 114) steckt. Insgesamt
sind diskursive Formate der Dierenzsetzung zwischen eigener
und fremder Kultur – nicht aber Gemeinsamkeiten – domi-
nant, die der gewünschten „Önung gegenüber der anderen
Kultur“ (aler, 2012, S. 183) und damit einer räumlich ent-
grenzten Präsentation des Englischen entgegenstehen (können).
Vor dem Hintergrund einer räumlichen entgrenzten
Präsentation des Englischen, lässt sich für die untersuchten Ein-
führungswerke ausmachen, dass die interkulturelle Perspektive
primär mit Blick auf die imaginierten Schülerinnen und Schüler
aufzunden ist, währenddessen die interkulturelle Kompetenz
der imaginierten Lehrenden (insb. die Reexion der eigenen Kul-
turgeprägtheit) eher eine diskursive Leerstelle bleibt.
Kommunikationsorientierung und
Kultiviertheitsperspektive
Im untersuchten Diskurs ndet die Kontingenz und Beschleu-
nigung kultureller Wissensbestände Ausdruck in der emati-
sierung der größer werdenden Relevanz der englischen Sprache
als globales Verständigungsmittel und dem damit verbundenen
Bewusstsein, tradierte Vorstellungen des Englischunterrichts
„aufzuweichen“ bzw. kritisch zu reektieren. Dazu wird eine
stärker an Alltagskommunikation orientierte Justierung von
Vermittlungszielen, Unterrichtsinhalten und Lernformen kon-
zipiert, die eine reexive Auswahl und Präsentation kultureller
Wissensbestände voraussetzt und damit die Dekodierungs-
kompetenz der Lehrenden im besonderen Maße erforderlich
macht.
Dem alltäglichen Bedeutungszuwachs des Englischen
wird mit Rekurs auf die Anbahnung „kommunikativer Kompe-
tenz“ Rechnung getragen (Do & Klippel, 2007, S. 35.;
Gehring, 2010, S. 85.; Haß, 2006, S. 181f., 67.; aler,
2012, S. 22, 107f.; Timm, 1998, S. 237f.; Volkmann, 2010, S.
18., 157.). Anstelle einer exakten Grammatikbeherrschung
rückt die sprach- und hörbezogene Kommunikationsfähigkeit
als Leitziel englischer Spracherwerb-Didaktik in den Fokus
(z.B. stärkere Sprachpraxis, angemessener Umgang mit Sprach-
fehlern im Unterricht). Uneinigkeit herrscht über die Verhält-
nissetzung zwischen Kommunikations- und Sprachbeherr-
schung, die sich an der Frage eines angemessenen
Mindeststandards an Sprachregelbeherrschung (z.B. Do &
Klippel, 2007, S. 38.; Haß, 2006, S. 107.) zu entladen
scheint. International English oder Global English-Perspektiven
werden vereinzelt thematisiert (z.B. Do & Klippel, 2007, S.
39; Volkmann, 2010, S. 151.), sie werden für den Schulun-
terricht aber eher abgelehnt (z.B. Böttger, 2005, S. 46; Do &
Klippel, 2007, S. 39) oder bleiben ausgeblendet. Es zeichnet
sich hier ein gegenwärtiger Aushandlungsprozess um die Gren-
zen des Englischunterrichts im Diskurs ab. Tendenziell wird
sich von einer pluralen Sprachpraxis im Unterricht distanziert,
was lernzeitpragmatisch begründet wird: „Auf sprachliche Viel-
falt kann der Unterricht angesichts der begrenzten Zeit (…)
nur sehr oberächlich vorbereiten“ (Do & Klippel, 2007, S.
39). Dagegen lassen sich eher Argumente für eine plurale Re-
zeptionspraxis des Englischen aunden (z.B. aler, 2012, S.
15). Vereinzelt wird vorgeschlagen, kulturell bedingte Eigenar-
ten des Englischsprechens von Schülerinnen und Schülern
(z.B. Migrationshintergrund) gezielter im Unterricht einzube-
ziehen, um eine globale (Hör-)Verständigung einzuüben (z.B.
Do & Klippel, 2007, S. 44f.).
In diesem Diskussionszusammenhang wird auch sicht-
bar, dass Varietäten des Englischen noch keine gleichwertige
Berücksichtigung und Anerkennung in der Fachdidaktik n-
den und eine sprachbezogene Kultiviertheitsperspektive des Brit-
ish English orientierend bleibt. Insgesamt wird die Dominanz-
stellung des British (und American) English und ihre Auösung
zu Gunsten einer entgrenzten Präsentation des Englischen in
der Fachdidaktik kontrovers diskutiert (vgl. Do & Klippel,
2007, S. 11.). Volkmann weist darauf hin, dass die gegenwär-
tige Schulunterrichtspraxis „noch stark traditionelle Vorstel-
lungen zur Normhaftigkeit des britischen oder amerikanischen
Englisch“ (2010, S. 155) bedient. Auch in den untersuchten
Werken lassen sich Hinweise dafür nden, den Unterricht „im
Bereich der Grammatik an den Normen des britischen und
amerikanischen Englisch“ (Do & Klippel, 2007, S. 14) wei-
terhin auszurichten (z.B. Böttger, 2005, S. 44; Haß, 2006, S.
108; Hermes in Timm, 1998, S. 225; aler, 2012, S. 15;
Vollmer in Timm 1998, S. 241f.). In den untersuchten Einfüh-
rungswerken ndet die Dominanzstellung meist einleitend
© Waxmann Verlag GmbH
24
Erwähnung. Weitere englische und englisch-basierte
Sprachsysteme nden in den weiteren Ausführungen dann
kaum Beachtung; in illustrativen Beispielen nden sie sich gar
nicht wieder. Zudem bleibt eine Problematisierung der mit der
Dominanzstellung des Englischen verbundenen Verdrängung
weniger relevanter kultureller Sprachsysteme im Diskurs stark
ausgeklammert. Insgesamt zeichnet es sich als Argumentations-
muster ab, die Kultiviertheitsperspektive des British Englishs
aus lernzeitpragmatischen Überlegungen nicht sprach- son-
dern eher inhaltsbezogen aufzulösen, indem globale emen
stärker zum Unterrichtsgegenstand gemacht werden (Do &
Klippel, 2007, S. 14; aler, 2012, S. 15; Volkmann, 2010, S.
191.).
Der (alltags-)kommunikative Bedeutungszuwachs des
Englischen ndet z.B. auch in der Präsens handlungs- und schü-
lerorientierter Vermittlungskonzepte Ausdruck (vgl. Böttger,
2005, S. 63.; Do & Klippel, 2007, S. 270.; Haß, 2006, S.
26, 230; aler, 2012, S. 110.).
Mit Blick auf die inhaltsbezogene Präsentation kultu-
reller Wissensbestände zeichnet sich das Kulturverständnis der
Englischdidaktik-Einführungen durch eine zunehmende Los-
lösung vom Landeskundekonzept (Faktenwissen) hin zu einer
kulturwissenschaftlichen Positionierung aus. Die Englischdi-
daktik rekurriert weitestgehend auf die Cultural Studies (vgl.
Bach in Timm, 1998, S. 193; Böttger, 2005, S. 106.; Haß,
2006, S. 180; Gehring, 2010, S. 15; Volkmann, 2010, S. 45.
sowie stärker implizit Do & Klippel, 2007, S. 191; aler,
2012, S. 30, 171) und betont damit ein weites Verständnis von
Kultur als „a whole way of life“ (Williams, 1958). Damit ist ein
Kulturverständnis bedeutsam, demzufolge neben hochkultu-
rellen vor allem alltagskulturelle Wissensbestände im Unter-
richt präsentiert werden sollen. In diesem Cultural-Studies-Zu-
sammenhang wird auch die reexive Selektion von
Unterrichtsinhalten, vor allem im Kontext text- und musikbezo-
gener Materialen verstärkt verhandelt (Do & Klippel, 2007,
S. 128.; Gehring, 2010, S. 203.; Haß, 2006, S. 187.;
aler, 2012, 251.; Volkmann, 2010, S. 235.). Hier wird
weitestgehend die Bedeutung einer schülernahen Auswahl
konzipiert, die aber weitestgehend inhaltlich unbestimmt
bleibt. Konkrete Beispiele lassen sich kaum antreen. Es wer-
den aber teilweise „oene“ Kriterien für die Materialauswahl
angeboten, die angehende Lehrende im Entscheidungsprozess
unterstützen sollen (z.B. Do & Klippel, 2007, S. 137f.; Haß,
2006, S. 198. und 208f.; aler, 2012, S. 67, 261; Volkmann,
2010, S. 2). Zudem wird im Diskurs auch auf die Auswahl von
Jugendliteratur und -musik verwiesen, die ebenfalls inhaltlich
weitestgehend unbestimmt bleibt (z.B. Do & Klippel, 2007,
S. 149; Haß, 2006, S. 196., 207.; aler, 2012, S. 63.).
Hierbei deuten sich Tendenzen eines „heimlichen“ angloameri-
kanischen Jugendliteraturkanons an (z.B. Böttger, 2005; Brusch
& Caspari in Timm 1998, S. 175; vgl. Volkmann, 2010, S.
254f.) sowie hinsichtlich der verstärkten Präsentation von
Rock- und Popmusik der 1990er Jahre (z.B. Böttger, 2005, S.
69; aler, 2012, S. 65f.; Timm, 1998, S. 178.) generations-
spezische und angloamerikanische Orientierungen (vgl. Volk-
mann, 2010, S. 244f.). Insgesamt bleiben nicht-angloamerika-
nische Literatur- und Sprachformen in Beispielnennungen
sowie konkrete Hinweise für den Einbezug jugendkultureller
emen und Formen unterpräsentiert (z.B. Hip-Hop-Musik,
Comics etc.). Obwohl der Bedeutungszuwachs des Englischen
in der Fachdidaktik anerkannt wird, lassen sich zudem kaum
Hinweise ausmachen, was eine zukunftsorientierte Präsentati-
on des Englischen konkret bedeuten könnte (z.B. globale e-
men).
Eine diskursive Leerstelle bleibt also, wie und in wel-
chem Umfang die Lehrenden zukunftsorientierte und alltags-
nahe Unterrichtsinhalte angemessen er- und vermitteln kön-
nen. Konsens scheint, dass ein reexiver Umgang mit kulturellen
Bedeutungszuschreibungen eine zukunftsorientierte Unter-
richtspraxis entscheidend ankiert. Deshalb wird auch ein e-
xibler und reexiver Umgang mit dem Lehrwerk gefordert
(z.B. Do & Klippel, 2007, S. 144.; Gehring, 2010, S. 201f.;
Haß, 2006, S. 301.; Nold in Timm, 1998, S. 127.; aler,
2012, S. 80.; Volkmann, 2010, S. 235.).
Pluralität und Transkulturalität
Im fachdidaktischen Diskurs wird dem Bewusstsein um plurale
englischsprachige Sozialitäten im Kontext der Bedeutung des
Englischen als Lingua franca explizit Ausdruck verliehen, den-
noch werden voranschreitende Individualisierungs- und Plura-
lisierungsprozesse, die transkulturelle Perspektiven und eine
konsequente Reexion kultureller Dierenzsetzungen ein-
schließt, weniger thematisiert und reektiert.
Die Lehrwerke verweisen zwar auf die Bedeutung plu-
raler Sozialitäten, zugleich werden englischsprachige Gemein-
schaften in unterrichtsbezogenen Ausführungen stark auf bri-
tische und amerikanische Gesellschaften reduziert betrachtet.
Neben Großbritannien und USA, werden Australien und Ka-
nada häuger thematisiert. Weniger privilegierte englische
Sprachgemeinschaften werden ausgeblendet (insb. afrikanische
Sprachgemeinschaften). Trotz Relevanzsetzung des Englischen
als Lingua franca (siehe Glokalisierung und (inter-)kulturelle
Reexivität) bleibt in der Darstellung eine Pluralität englisch-
sprachiger Sozialitäten unterpräsentiert, womit einer tra-
dierten Kultiviertheitperspektive des Englischen weiterhin
Vorschub geleistet wird.
Mit der Orientierung an einer interkulturellen Dis-
kurslinie, die das Aneignen von kulturspezischen Wissen von
Zielkultur(en) Dierenz setzend in den Fokus stellt, bleibt
eine transkulturelle Perspektivität auf englischsprachige Ge-
meinschaften kulturtheoretisch wie auch implizit in Ausfüh-
rungen marginalisiert. Transkulturelle eoriebezüge geraten
als eine aktuelle kulturtheoretische Entwicklungslinie in nur
zwei Werken der Englischdidaktik überhaupt in den Blick
(aler, 2012, S. 275; insb. Volkmann, 2010, S. 22.).
In den unterrichtsbezogenen Ausführungen bleiben
plurale Lebensformen und -stile innerhalb englischsprachiger
Gemeinschaften (insb. Großbritannien) ausgeblendet. Impli-
zite Bezüge lassen sich am ehesten im Kontext des Kulturver-
ständnisses der imaginierten Schülerinnen und Schüler ausn-
dig machen. So wird im Horizont von Individualisierung und
Dierenzierung (z.B. Do & Klippel, 2007, S. 231.; Gehring,
2010, S. 238; Haß, 2006, S. 306.; aler, 2012, S. 129.)
die Heterogenität der Schülerinnen und Schüler mit Blick auf
eine angemessene Unterrichtsgestaltung in den Blick gerückt.
Damit rekurriert die Englischdidaktik zwar auf ein diversitäts-
sensibles Verständnis der Lerngemeinschaften, übersieht des-
sen Bedeutung aber zugleich hinsichtlich der ematisierung
© Waxmann Verlag GmbH
4'18 ZEP
25
englischsprachige(r) „Zielkultur(en)“. Ferner bleiben auch
hier die pluralen Bedeutungsgeechte, in denen die imagi-
nierten Lehrenden selbst biograsch verwoben sind, ausgeblen-
det.
Diskussion der Ergebnisse und Perspektiven
für die Englischdidaktik
In der Untersuchung wird deutlich, dass sich spezische kul-
turtheoretische Konzepte in der Englischdidaktik etabliert ha-
ben, in denen Momente eines entgrenzten Verständnisses des
Englischen Ausdruck nden. Zwei Werke zeichnen sich durch
eine kulturtheoretische Perspektive aus (Do & Klippel,
2007; Volkmann, 2010), in der stetig Bezüge zu einer Globa-
lisierungsperspektive hergestellt werden. Zu einem Großteil
klammern die untersuchten Einführungswerke eine reexive
Entgrenzungsperspektive aber stärker aus. Als Muster des Dis-
kurses zeichnet sich insgesamt ab, dass (inter-)kulturelle Kom-
petenzen hinter denen sprach- und hörbezogener im ema-
tisierungsumfang deutlich zurücktreten. Für die
Englischdidaktik lässt sich daher der Bedarf einer ausgewo-
generen Verhältnissetzung ausmachen.
Orientierungsgehalte englischer Sprach- und Litera-
turformen werden in ihrer räumlichen (z.B. Lingua franca,
Loslösung nationalstaatlicher Argumentationslinie, interkul-
turelles Lernen, Fremdverstehen von Zielkulturen), sachlichen
und zeitlichen (z.B. Kommunikationsfähigkeit, Sprach- und
Rezeptionspraxis, Medieneinsatz, Authentizität von Quellen,
Jugend- und Alltagsbezug) sowie in ihrer sozialen Dimension
(z.B. Verweise auf Pluralität englischsprachiger Sozialitäten)
durchaus mitgedacht. Es lassen sich aber auch erhebliche Dif-
ferenzen in der Relevanzsetzung und der konsequenten Ree-
xion in den untersuchten Einführungswerken identizieren.
So lässt sich beispielsweise das Potenzial ausmachen,
Dierenz setzende kulturtheoretische Perspektiven vor dem Hin-
tergrund pluraler Bedeutungszuschreibungen umfassender zu
reektieren sowie interkulturelle Lerninhalte zu konkretisie-
ren (z.B. stärker als querliegende Perspektive zu Unterrichtsin-
halten konzipieren). Ein weiterer Potenzial lässt sich mit Blick
auf implizite Orientierungen einer sprachbezogenen Kultiviert-
heitsperspektive im imaginierten Unterricht (z.B. Festhalten an
British und American English-Orientierung, Ausblendung
weiterer englischbasierter Sprachformen, keine plurale Sprach-
praxis, Konsens über Verhältnissetzung von Kommunikation
und Sprachbeherrschung) als auch einer inhaltsbezogenen Kul-
tiviertheitsperspektive ausmachen (z.B. Literatur- und Musik-
kanon, mediale Relevanzsetzung, Umgang mit jugendkultu-
rellen Inhalten, reexive Unterrichtsgestaltung in
Unbestimmtheit). Darüber hinaus könnten transkulturelle
Perspektiven mehr Beachtung nden (z.B. Präsentation der
Pluralität und Individualisierung englischsprachiger Soziali-
täten). Ein blinder Fleck des Diskurses ist es auch, dass die
Einführungswerke die imaginierten Lehrenden (sowie Autor-
schaft) hinsichtlich ihrer eigenen tradierten Kulturgebunden-
heit nicht umfassend mitdenken (z.B. wie Do & Klippel,
2007; Volkmann, 2010). Dies erscheint deshalb problema-
tisch, weil fraglich ist, wie Lehrende Schülerinnen und Schü-
lern ein reexives Verhältnis zur eigenen habitualisierten Kul-
tur in angemessener Form vermitteln können, wenn ihnen die
eigene Kulturgeprägtheit nicht zugänglich ist. Die Herausforde-
rung besteht darin, angehende Lehrende für eine reexive Un-
terrichtspraxis umfassender vorzubereiten und ihnen Gestal-
tungsspielraum im Umgang mit Lehrplänen einzuräumen,
damit beispielsweise zukunftsorientierte, alltagsnahe und ju-
gendkulturelle Inhalte stärker verankert werden können.
Abschließend lässt sich festhalten, dass sich die Not-
wendigkeit einer kulturreexiven Lehrerausbildung in der
Englischdidaktik durchaus diskursiv niederschlägt. Wenn sich
die Fachdidaktik den Herausforderungen der Globalisierung
umfassend stellen möchte, dann müsste sie sich in den nächs-
ten Jahren einer Weiterentwicklung fachdidaktischer Konzepti-
onen und damit verbunden Konkretisierungen für die Unter-
richtsgestaltung widmen.
Orientierungen angehender Lehrkräfte im
Umgang mit Differenz und Zugehörigkeit
Im Folgenden wird ein weiterer empirisch gestützter Zugang
zur Professionalität von Lehramtsstudierenden im Horizont
der Globalen Welt vorgestellt. In dieser Studie geht es um die
Orientierungen angehender Lehrkräfte. Diese Orientierungen
werden im Zuge der Professionalisierung im Studium mehr
oder weniger zur Ausprägung eines professionellen Habitus
transformiert (vgl. Helsper, 2018). Für die Untersuchung wur-
den mit Lehramtsstudierenden einem eoretical Sampling
(Glaser & Strauss, 1967/1999; Strauss, 1994) folgend 26
Gruppendiskussionen mit insgesamt 101 Teilnehmenden
durchgeführt. Die Gruppen wurden hinsichtlich des fachspe-
zischen Zugangs zu Kultur, ihrer kulturellen Praxen und ih-
rer Partizipations- bzw. Stellvertretungserfahrungen, z.B. in
pädagogischen Tätigkeitsfeldern und zivilgesellschaftlichen
Gruppen, ausgewählt. Die Diskussionen wurden mit der Do-
kumentarischen Methode (Bohnsack, 2010) ausgewertet. Mit
dieser praxeologischen Perspektive werden die zugrundelie-
genden, die Handlung strukturierenden Orientierungen als
implizite Wissensbestände (Mannheim, 1964) rekonstruiert.
Aus dem Material lässt sich hinsichtlich einer kultu-
rellen Bildung im Horizont der Globalisierung der Umgang
mit Dierenz und Zugehörigkeit als zentrales ema heraus-
arbeiten: Dierenz(setzung) äußert sich demnach sowohl in
ihrer Prozesshaftigkeit wie auch als Produktion sozialer Zuge-
hörigkeit (vgl. Hirschauer, 2014). Es wird eine doppelte Per-
spektive einbezogen: Die der Konstruktion der eigenen Zuge-
hörigkeit und die der Zuschreibung von Zugehörigkeiten
Anderer, insbesondere Letztere durch Dierenzsetzung.
Die rekonstruierten Orientierungsaspekte tragen inso-
fern zur Konturierung von kultureller Lehrerprofessionalität
in weltgesellschaftlicher Perspektive bei, als in der thema-
tischen Zuspitzung auf Dierenz und Zugehörigkeit hand-
lungsleitende Orientierungen im Umgang mit Mehrdeutig-
keit, Pluralisierung und Ordnungsbildung sowie für die
Anbahnung eines reexiven Zugangs zu kulturellen Prägungen
wie habitualisierten Norm- und Wertvorstellungen sichtbar
werden. Zugleich wird über den thematischen Fokus insofern
an die herausgearbeiteten Kernelemente für Lehrerprofessio-
nalität in weltgesellschaftlicher Perspektive angeschlossen, als
dass die räumlichen, sachlichen, zeitlichen und sozialen Di-
mensionen auch in der Entfaltung von Orientierungsgehalten
im Kontext von Dierenz und Zugehörigkeit herausgearbeitet
werden können.
© Waxmann Verlag GmbH
26
Empirische Befunde
Im oenen Eingangsimpuls für die Gruppendiskussionen
wird nach dem Zugang zum Studium, zum Fach und den
konkreten Lernsituationen gefragt. In den meisten Gruppen-
diskussionen wird das ema Dierenz und Zugehörigkeit
durch die Studierenden selbst als bedeutsam eingebracht. Dif-
ferenzsetzungen nden sich in Bezug auf Fachkulturen und
Schulformen, auf Wissensgefälle und pädagogische Arbeits-
formen. Sie sind zumeist mit bewertenden Anordnungen ver-
knüpft, wodurch die sozialen Felder hierarchisch angeordnet
konstruiert werden. Orientierend ist dann der Entwurf sozi-
aler Strukturierung, die in klar umrissene Positionen hierar-
chisch gegliedert ist.
Zugehörigkeitsräume zwischen statischen
Ausformungen und relationaler Mehrfachzugehörigkeit
Die Orientierungen der Lehramtsstudierenden zeigen sta-
tische, klar begrenzte Konstruktionen von Kultur, die hin-
sichtlich ihres Anteils an Sozialität stiftender Bedeutungsgene-
rierung eindimensional strukturiert sind: sie umfassen ein
tradiertes Set an Normen und Werten, das seine Kontur auch
durch klare Abgrenzung zu weiteren Kulturen, die in ihrer
Binnenstruktur ebenfalls homogen entworfen sind, gewinnt.
Das Verhältnis verschiedener Kulturen im Raum ist dabei un-
terschiedlich akzentuiert, teils hierarchisch, teils parallel ange-
ordnet. Dieser Orientierungsgehalt ist zumeist damit verbun-
den, dass die eigene Verwobenheit in unterschiedliche
Bedeutungszusammenhänge und kulturelle Prägungen nicht
zugänglich ist. Es wird die Orientierung daran sichtbar, den
Bezugsraum der eigenen Sozialisation zu verfestigen. Dies
zeigt sich daran, dass kognitive Grenzüberschreitungen abge-
lehnt werden, und der Relationierung verschiedener Bedeu-
tungssysteme keine Dynamik oder ein Status des Fluiden zu-
geordnet wird. Zumeist ist diese Orientierung auch damit
verbunden, dass eine interne Variablität der vertrauten Bedeu-
tungssysteme oder ihre Verochtenheit als Ausgangspunkt
keine Relevanz entfalten. In diesen Fällen manifestiert sich der
Umgang mit Dierenz als Reproduktion vorgängiger Set-
zungen, woraus eine essentialistische Etablierung der Zugehö-
rigkeit resultiert. Dierenzen zeigen sich dann vor allem hin-
sichtlich der Anordnung der essentialisierten Kulturen (wie es
beispielsweise im nachfolgenden Transkkriptausschnitt deut-
lich wird).
Im Spektrum der Orientierungen nden sich aber auch
solche Gehalte, die von einer dynamischen Kulturkonzeption
der Pluralität und Mehrdeutigkeit durchzogen sind. Sie sind
mit der Reexion einer relationalen Mehrfachzugehörigkeit
und der Veränderung von Kultur durch kontextualisierte Va-
riationen verknüpft. Das Ineinandergreifen verschiedener Be-
deutungssysteme am konkreten Ort, die aus unterschiedlichen
Bezügen resultieren, ist damit der Reexion der Studierenden
zugänglich. Habituell ist ein Umgang mit Dierenzen und
Zugehörigkeit, der kontingente und dynamische Anordnung
einbezieht.
Bw Ja-was ich glaub ich auch interessant nde,-s
fällt mir jetzt grad so ein,-in Naumburg ist
doch dieses Wochenende dieses Afrikafestival;
mit Kin-also
Aw └ Ehem
Bw mit Grundschulkindern oder zw-vielleicht auch
mit Erwachsnen -ich weiß nicht könnte man
Aw └ °Ehem°
Bw vielleicht auch einfach sowas besuchn dass
Cw └ Ja;
Bw man ebn wirklich-also da war ich schon öfters
des is wirklich richtig cool; da (.) gibts denn
auch die Musik und den Tanz und die Sachen was
die so herstelln; und so traditionelle Küche
und sowas;-dass man ebn nochmal nen ganzheit-
lichen Zugang ebn da zu schafft, ehm (.)
Cw └ °Mhm°
Bw die Kultur wirklich auch zu erfahrn;-weil ich
nd des immer noch was andres irgendwie drüber
zu sprechn oder drüber nachzudenken, dann blei-
ben trotzdem immer irgendwie so rudimentäre
Teile von Vorurteiln wahrscheinlich zurück-dass
das irgendwie (.) ja keine Ahnung dass die Hunde
essen oder @sowas@ (.) solche Sachn irgendwie
so k-ganz falsche Vorstellungen einfach;
Haribo 675–688
Wissen in seiner Kontextualität
Im Orientierungshorizont der Lehramtsstudierenden lässt sich
aufzeigen, dass der Umgang mit Kontingenz und der daraus
resultierenden Legitimationsherausforderung von Wissen ein
hohes Anforderungspotential an sie richtet. Der Schwerpunkt
heteronomer Orientierungen, die das Handeln und auch das
pädagogische Handeln als Erfüllung externer Normen kon-
struiert, leitet eine Praxis an, die sich als wiederholender Voll-
zug vermeintlich vorgängiger Zugehörigkeitsordnungen äu-
ßert, sowohl in Bezug auf das zu vermittelnde Wissen, dessen
kontingente historische und kulturelle Einbettung nur in we-
nigen Fällen reexiv zugänglich ist, als auch auf damit verbun-
dene Entscheidungen und Dierenzsetzungen. Es ist weder die
Vielfalt von Interpretationsfolien im Umgang mit Bedeu-
tungen erkennbar, noch eine Anerkennung verschiedener Wis-
sensbestände und Interpretationshintergründe. Kennzeich-
nend ist eine habituelle Fremdheit zur Universität als Ort der
Wissensproduktion und der Einübung einer reexiven Haltung
als Fremdheit, die Wissensinhalte in ihrer Kontextualität und
Kontingenz unterschätzt.
Dm Aber ich mein des is vor allm unsere Aufgabe
als Lehrkraft dass wir da bestimmte Sachen wo
wir sagen ey wisst ihr was,
Cw └ Zum Grundverständnis
einfach aufzubauen.
Fw └ Genau (quasi) die Basis legen.
Dm └ Genau. (.) des gehört zum Erwachsenwerden dazu
ich mein klar dass des allen Schülern nicht
gefällt, allen nicht passt oder manche gar net
des ist immer so, aber des ist doch in jedem
Fw °Ja des stimmt.°
Dm Fach so.Weil so der eine mag Mathe total
intressiert sich nich für Geo der andre intres-
siert sich für Geo aber nich für Mathe, aber
© Waxmann Verlag GmbH
4'18 ZEP
27
Gw └ Ja.
Dm machen müssen sies ja trotzdem beide.
Cw Was jetzt nich verkehrt ist.
Dm Ja.
Apfelkuchen 1271–1281
Es lassen sich aber auch kontrastierende Orientierungen rekon-
struieren, die mit einem reexiven Habitus, der um die Bedingt-
heit und Begründungsbedarfe von Wissen und Dierenzset-
zungen weiß, einhergehen. Diese Orientierung ist mit einer
Fragehaltung verbunden, die Veränderungen der eigenen Per-
spektive nicht ausschließt, und mit den Grenzen des eigenen
Wissens rechnet. Diese Ausprägung der Orientierung ist mit
einer Anerkennung divergenter Interpretationsfolien verbun-
den. Es zeigt sich dabei, dass Grenzerweiterungen und die Er-
fahrung von Partizipation und Selbstwirksamkeit in unter-
schiedlichen Kontexten Reexionsfreiräume für den Umgang
mit Kontingenz, vor allem im Blick auf Dierenz und Zugehö-
rigkeit, ermöglicht.
Zugehörigkeit zwischen homogenen Kollektivsubjekten
und Pluralisierungen
In den Gruppendiskussionen werden Phänomene, die sich mit
Erscheinungen und Folgen von Individualisierung und Plurali-
sierung in Verbindung bringen lassen, häug thematisiert. In
dieser Häufung zeigt sich, dass der Umgang mit Dierenz und
Zugehörigkeit für die Studierenden besondere Relevanz besitzt.
Der Modus, in welchem das ema verhandelt wird, verweist
dabei auf ein hohes Irritationspotential. Es werden mehrheitlich
Gehalte sichtbar, die auf eine kulturalistisch fundierte, essenti-
alistische Zugehörigkeitsordnung verweisen. Diese zeigen sich
in konsensualen Exotismen, Stereotypisierungen, Banalisie-
rungen in den kultur-ethnischen Zuschreibungen, Diskursele-
menten, wie sie bereits für die räumliche Dimension relevant
wurden.
Dw Es fängt ja schon bei der Frage an was eigent-
lich die eigene Kultur is; also (.) es kommt ja
Bw └ Ja.
Dw immer mehr auf dass äh (.) man diesn Begriff ja
gar nich so wirklich fassn kann und (.) viel-
leicht auch grad durch ähm Migranten die eben
ihre eigene Kultur sehr pegen oder auch ihre
eigene Religion (.) sehr pegen, erstmal wieder
auf den Gedanken kommt ok was- also was hab ich
eigentlich für nen Background.
Bw °Mhm.°
Milchreis 38–44
Es zeigt sich eine Orientierung am Bedürfnis einer eindeutig
erkennbaren Zugehörigkeit zu einem Kollektivsubjekt, zu-
meist als Beibehaltung und Reproduktion des in der eigenen
Sozialisation erworbenen Habitus.
Dierenziert werden kann der genannte Fokus in den
Orientierungsgehalten in der Verknüpfung mit einer gleich-
zeitigen Anerkennung pluraler Werthorizonte, oder einer
Ausprägung im Paradigma der Selbstverwirklichung, die in
einer unterschiedslosen Beliebigkeit gegenüber Anderen
mündet. Allen diesen Varianten ist gemeinsam, dass den pri-
mären sozialisierenden Instanzen eine hohe Bedeutung, der
Schule als Sozialisationsinstanz dagegen eine geringe Bedeu-
tung beigemessen wird, und pädagogisches Handeln an der
Aufrechterhaltung der vorndlichen Zugehörigkeitsordnung
durch die Einsozialisation in ein Kollektivsubjekt orientiert
ist. Vor diesem Hintergrund wird die Rolle des Professionellen
als armativer Agent der institutionellen Reproduktion ent-
worfen. Ein reexiver Zugang zu Dierenzen und Zugehörig-
keit, der in einem weiteren Schritt die eigene Professionsrolle
für deren Konstruktion einbezieht, ist in keiner der Varianten
gegeben.
Auch für die soziale Dimension zeigen sich kontrastie-
rende Beispiele, deren Orientierungsgehalte eine reexive
Haltung zur eigenen Sozialisation erkennen lassen. Als Modus
der Weltbegegnung lässt sich Ausprobieren rekonstruieren,
der sich bis zu einem gezielten Aufsuchen befremdender Er-
fahrungen steigert: Der Rahmen des bisherigen wird überstie-
gen. Dierenzsetzungen und Zugehörigkeit geraten in den
Fluss, Wandlung wird nicht als prekär erlebt, die Handlungs-
fähigkeit kann über verschiedene Kontexte hinweg aufrecht-
erhalten werden. Dierenzen und Zugehörigkeit werden plu-
ral und temporär entworfen, sowohl in Bezug auf die eigenen
Bezugskontexte, wie auf deren Relationen zu einem dyna-
mischen Außen.
Diskussion der Ergebnisse
Angesichts der hohen Herausforderungen, die für eine kultur-
bezogene Lehrerprofessionalität im Horizont von Globalisie-
rung eingangs theoretisch entwickelt wurden, fällt der Blick
in die Empirie ernüchternd aus. Rekonstruiert werden Orien-
tierungsrahmen von Lehramtsstudierenden, die sich darin
äußern, dass Dierenzen ontologisch gerahmt werden, und
die Konstruktion von Zugehörigkeit naturalisierend und es-
sentialisierend ausfällt. Dieser Habitus lässt sich mit einem
reexiven und geläugen Umgang mit hybriden Bedeutungs-
chiren, Netzwerkstrukturen, und einer Ordnungsbildung
im Wertepluralismus kaum in Einklang bringen und zeigt die
Grenzen der Handlungsfähigkeit der angehenden Lehrkräfte.
An den Orientierungsgehalten im Blick auf Dierenz und
Zugehörigkeit zeigt sich, dass die Strukturierung der eigenen
kulturellen Einbettung kaum reexiv zugänglich ist, die eige-
nen habitualisierten Norm- und Wertvorstellungen eben ge-
rade nicht, wie es für den globalen Kontext zwingend notwen-
dig ist, einer kritischen Revision unterzogen werden. Diesem
Ergebnis können aber weitere Aspekte beigefügt werden, die
zumindest Anregungspotenziale für weitere Überlegungen
zur Prolierung und Zukunftsfähigkeit der Lehrerbildung
liefern können. Gruppen, die die geringe Anzahl der Kon-
trastfälle bilden und an dynamischen Kulturkonzeptionen
orientiert sind, die den uiden und relationalen Charakter
von Dierenzen reektieren und in deren Orientierungsrah-
men eine ausdierenziert entfaltete Konzeption von Mehr-
fachzugehörigkeit eingelassen ist, zeichnen sich dadurch aus,
dass sie in unterschiedlichen und damit auch in fremden Kon-
texten in einer aktiven Haltung Partizipationserfahrungen
aufweisen, die mit Verantwortung und Selbstwirksamkeit
verknüpft sind. Die Studierenden steuern gezielt neue Situa-
© Waxmann Verlag GmbH
28
tionen und Wissenskontexte an, setzen sich immer wieder
reexiv mit der multiplen Bedeutung kultureller Gegeben-
heiten auseinander und beteiligen sich an ihrer Weiterent-
wicklung. Die aktive Haltung und die damit verbundenen
Erfahrungen scheinen dazu zu führen, der Kontingenz und
Komplexitätssteigerung reexiv und produktiv begegnen zu
können.
Für solche Erfahrungen könnten in der Lehrerbildung
mehr Anlässe und Herausforderungen entwickelt werden,
auch wenn sie als curriculare Verpichtung, und dann in einer
heteronomen Orientierung abzuarbeitenden Aufgabe, kaum
die gewünschten Eekte haben dürfte. Interessant sind auch
Gruppen mit Orientierungsrahmen, deren Einzelaspekte zu
kognitiven Dissonanzen führen, also etwa die Orientierung
an einer eindeutig kultur-essentialistischen Zugehörigkeits-
ordnung wie an einer unhinterfragten Normerfüllung, deren
Koniktpotenzial dann zu Tage tritt, wenn es um Fragen der
Anerkennung und Förderung eines konstruktiven Zusam-
menlebens von Menschen unterschiedlicher Hintergründe
geht. Möglicherweise führen derartige Dissonanzen zu Lern-
prozessen, die als kriseninduzierte, transformatorische Bil-
dung (Koller, 2012) aufgefasst werden können. Von dort aus
ist es nicht auszuschließen, dass sie Eingang in einen Profes-
sionshabitus nden, der zu einem angemesseneren Umgang
mit den Herausforderungen von Globalisierung führt.
Fazit
Die Zusammenschau der Ergebnisse verdeutlicht, dass insbe-
sondere die Reexion der eigenen Kulturgeprägtheit einen
Handlungsbedarf markiert. So werden kulturelle Dekodie-
rungskompetenzen in den Einführungswerken primär mit
Blick auf eine schülernahe Auswahl und Präsentation von Un-
terrichtsinhalten diskutiert, kaum aber kulturelle Tradie-
rungen der imaginierten Lehrenden selbst. Problematisch er-
weist sich das, weil rekonstruiert werden konnte, dass bei
Lehramtsstudierenden gerade hier enormer Reexionsbedarf
besteht. In beiden Untersuchungen dokumentiert sich, dass
Kultur in der gegenwärtigen Lehrerbildung häug als etwas
Dierenz setzendes zwischen Eigenem und Fremden verhandelt
wird und eigene kulturelle Tradierungen nicht umfassend ree-
xiv zugänglich sind. Wenn die Angebotsstruktur der universi-
tären Lehrerausbildung hierauf nicht reagiert, dann wird einer
Reproduktion tradierter Kulturverständnisse von Lehramts-
studierenden systematisch Vorschub geleistet.
Eine zentrale Herausforderung liegt darin, Lehramts-
studierenden aufzuzeigen, inwiefern sie sich selbst an exklusi-
ven Distinktionen und an ethnisch-kulturell sowie stereotypi-
sierenden Entwürfen von Zugehörigkeit orientieren. Die
Gruppendiskussionen verweisen darauf, dass Neugierverhal-
ten, Partizipationserfahrungen, bewältigte Fremdheitserfah-
rungen oder auch kognitive Dissonanzen förderliche Momente
eines kulturreexiven Professionalitätsverständnisses sind, die
durch ihre systematische Berücksichtigung für eine Zukunfts-
ausrichtung einer kulturellen Lehrerbildung stehen können.
Die Vorstellung, tradierte Orientierungen von Lehramtsstu-
dierenden im Rahmen einzelner Lehrangebote an eine kultur-
reexive Perspektive „anpassen“ zu können, lässt sich nicht
halten. Fraglich ist deshalb, wie eine solche Einübung durch
das universitäre Lehrangebot überhaupt ermöglicht werden
kann. Eine stärkere transkulturelle Neujustierung des Lehr-
amtsstudiums könnte sich sinnvoll erweisen, weil mit ihr auf
die „globalen Umwälzungen – multikulturelle Gesellschaften,
Pluralisierung der Lebenswelten- und formen, Tendenz zum
postnationalen Weltbürgertum“ (Volkmann, 2010, S. 22) un-
mittelbar reagiert wird und die Notwendigkeit „ständiger
Neudenition der eigenen kulturellen Position, sogar der kul-
turell geprägten Identität im Austausch mit Anderen“ (ebd.)
in den Fokus rückt. Damit erönet diese Perspektive einen
stärkeren Zugang zur Reexion der eigenen pluralen Kultur-
geprägtheit. Fachdidaktiken können z.B. stärker auf eine plu-
ralitäts- und heterogenitätssensible Präsentation von Unterrichts-
inhalten sowie einen reexiven Umgang mit Dierenzsetzungen,
Homogenitätsvorstellungen und eigenen tradierten Kultiviert-
heitsperspektiven rekurrieren. Sinnvoll wäre hier auch, den (in-
ter-)kulturellen Kompetenzerwerb stärker im Selbstverständ-
nis zu verankern, ihn als eine querliegende Vermittlungs-
perspektive zu Unterrichtsinhalten zu konzipieren und sich
gegenüber zukunftsorientierten, jugendkulturellen und medien-
bezogener Inhalten weiter zu önen. Insgesamt müssen ange-
hende Lehrende im Studium darauf vorbereitet werden, dass
kulturbezogene Professionalität eine konsequente forschungs-
theorie- und praxisbezogene Aus- und Weiterbildung voraussetzt.
Wegeweisend können vermehrte Reexionslehrangebote sein,
die theoretisches Wissen und eigene Praxiserfahrungen umfas-
sender in Beziehung setzen als auch verstärkte lehrveranstal-
tungs- und fächerübergreifende Diskussionszusammenhänge
im Studium. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Frage, wie
Lehrende, die ihre universitäre Ausbildung bereits abgeschlos-
sen haben, auf die gegenwärtigen Herausforderungen ange-
messen „nachbereitet“ werden können (z.B. Weiterbil-
dungsstruktur).
Anmerkung
1 Die Daten stammen aus dem Projekt „KulturLeBi / Kultur in der Lehrerbildung
– Grundlagen einer kulturbezogenen Professionalisierung angehender Lehrkräfte“,
dankenswerter Weise unter dem Förderkennzeichen 01JK1602 im Förderschwer-
punkt „Forschung zur kulturellen Bildung“ vom BMBF gefördert.
Literatur
Bohnsack, R. (2010). Dokumentarische Methode. In I. Miethe & K. Bock (Hrsg.),
Handbuch Qualitative Methoden in der Sozialen Arbeit (S. 247–258). Opladen/
Farmington Hills: Budrich.
Böttger, H. (2005). Einführung in die Didaktik der englischen Sprache. (Basiswissen
Englischstudium, Bd. 1). Tönning/Lübeck/Marburg: Der andere Verlag.
Eliot, T. S. (1949). Beiträge zum Begri der Kultur. Berlin: Suhrkamp.
Franken, L.; Lindner, K. & Vogt, S. (2019): Methoden zur Erforschung kultureller
Lehrerbildung im Diskurs. (im Erscheinen)
Geertz, C. (2016). e interpretation of cultures: Selected essays (EPub edition). New
York: Basic Books.
Gehring, W. (2010). Englische Fachdidaktik. eorien, Praxis, Forschendes Lernen.
(Grundlagen der Anglistik und Amerikanistik, Bd. 20, 3. Au.). Berlin: Erich
Schmidt.
Glaser, B. & Strauss, A. L. (1967). e discovery of grounded theory: strategies for
qualitative research. London: Weidenfeld and Nicolson.
Gnutzmann, C. & Intemann, F. (2005). e Globalisation of English and the English
Classroom. Tübingen: Narr.
Haß, F. (Hrsg.). (2006). Fachdidaktik Englisch: Tradition. Innovation. Praxis (2.
Au.). Stuttgart: Ernst Klett Sprachen.
© Waxmann Verlag GmbH
4'18 ZEP
29
Helsper, W. (2018). Lehrerhabitus. Lehrer zwischen Herkunft, Milieu und Profes-
sion. In A. Paseka et al. (Hrsg.), Ungewissheit als Herausforderung für pädagogisches
Handeln (S. 105–140). Wiesbaden: Springer. doi.org/10.1007/978-3-658-17102-
5_6
Herder, J. G. (1772/2010). Abhandlung über den Ursprung der Sprache. In R.
Borgards (Hrsg.), Texte zur Kulturtheorie und Kulturwissenschaft. (S. 44–57). Stutt-
gart: Reclam.
Hirschauer, S. (2014). Un/doing Dierences. Die Kontingenz sozialer Zugehörig-
keiten. Zeitschrift für Soziologie, 43(3), 170–191. doi.org/10.1515/zfsoz-2014-0302
Keller, R. (2011). Diskursforschung. Eine Einführung für SozialwissenschaftlerInnen
(Qualitative Sozialforschung, Bd. 14, 4. Au.). Wiesbaden: VS.
KMK (2004). Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/Französisch) für
den Mittleren Schulabschluss. München: Wolters Kluwer.
Koller, C. (2012). Bildung anders denken. Einführung in die eorie transformato-
rischer Bildungsprozesse. Stuttgart: Kohlhammer. doi.org/10.1007/978-3-531-
92085-6
Lang-Wojtasik, G. (2008). Schule in der Weltgesellschaft: Herausforderungen und
Perspektiven einer Schultheorie jenseits der Moderne. Weinheim: Juventa.
Luhmann, N. (1984). Soziale Systeme: Grundriß einer allgemeinen eorie. Frank-
furt a. M.: Suhrkamp.
Mannheim, K. (1964). Wissenssoziologie: Auswahl aus dem Werk. Berlin: Luchter-
hand.
Reckwitz, A. (2004). Kulturbegri. In F. Jaeger & J. Rüsen (Hrsg.), Handbuch der
Kulturwissenschaften (S. 1–20). Stuttgart: Metzler. doi.org/10.1007/978-3-476-
05012-0_1
Robertson, R. (1998). Glokalisierung, Homogenität und Heterogenität in Raum
und Zeit. In U. Beck (Hrsg.), Perspektiven der Weltgesellschaft. (S. 192–220). Frank-
furt a. M.: Suhrkamp.
Scheunpug, A. (2003). Globalisierung als Bildungsherausforderung. In J. Beil-
lerot & C. Wulf (Hrsg.), Erziehungswissenschaftliche Zeitdiagnosen: Deutschland und
Frankreich. (European Studies in Education, Bd. 20, S. 262–278). Münster: Wax-
mann.
Scheunpug, A., Franz, J. & Stadler-Altmann, U. (2012). Zur „Kultur“ in päda-
gogischen Zusammenhängen. In T. Fink (Hrsg.), Kulturelle Bildung: Die Kunst,
über kulturelle Bildung zu forschen. (S. 99–109). München: kopaed.
Scheunpug, A. & Hirsch, K. (Hrsg.). (2000). Globalisierung als Herausforderung
für die Pädagogik. Frankfurt a. M.: IKO.
Stichweh, R. (2000). Die Weltgesellschaft: Soziologische Analysen. Frankfurt a. M.:
Suhrkamp.
Strauss, A. L. (1994). Grundlagen qualitativer Sozialforschung. München: Fink.
aler, E. (2012). Englisch unterrichten. Grundlagen. Kompetenzen. Methoden. Ber-
lin: Cornelsen.
Timm, J.-P. (Hrsg.). (1998). Englisch lernen und lehren: Didaktik des Englischunter-
richts. Berlin: Cornelsen.
Treml, A. K. (2000). Allgemeine Pädagogik: Grundlagen, Handlungsfelder und Per-
spektiven der Erziehung (Kohlhammer-Urban-Taschenbücher, Bd. 441). Stuttgart/
Berlin/Köln: Kohlhammer.
UNDP (2004). Bericht über die menschliche Entwicklung 2004. Kulturelle Freiheit
in unserer Welt der Vielfalt. Berlin.
Volkmann, L. (2010). Fachdidaktik Englisch: Kultur und Sprache. Tübingen: Narr.
Williams, R. (1989). Resources of hope: Culture, democracy, socialism. London: Ver-
so.
Jana Costa, M. A.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt Kultur in der Lehrerbildung (Kultur-
LeBi), Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Kulturbezogene Aktivitäten als
Lern- und Erfahrungsraum für Professionalität von Lehrkräften; Bedeutung von
Globalisierungsprozessen für die Lehr- und Lernprozesse.
Claudia Kühn, M. A.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt Kultur in der Lehrerbildung (Kultur-
Lebi), Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: biographie- und diskursanalytische
kulturelle/ästhetische Bildungsforschung, soziale Ungleichheit, Jugend(kultur)
forschung.
Dr. Susanne Timm,
Wissenschaftliche Mitarbeiterin Projekt Kultur in der Lehrerbildung (KulturLeBi),
Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Kultur als Reexionsfolie von Professiona-
lität, Internationalisierungsprozesse von Bildung und Bildungssystementwicklung.
Dr. Lina Franken,
Wissenschaftliche Mitarbeiterin Universität Hamburg, Institut für Volkskunde/
Kulturanthropologie, ehemals KulturLeBi, Arbeits- und Forschungsschwerpunkte:
Bildungskulturen und -politik, Kulturelle Bildung, Immaterielles Kulturerbe.
Christina Hansen, Kathrin Eveline Plank (Hrsg.)
Vom Nachdenken zum Vordenken
Chinas Weg zu nachhaltiger Umweltbildung
Bereits in der Lehrerbildung müssen jene Voraussetzungen geschaffen wer-
den, mit denen angehende Lehrkräfte Kompetenzen erwerben, die sie in
die Lage versetzen, Fragen nachhaltiger Entwicklung unter globaler Perspek-
tive zu refl ektieren und didaktisch aufzubereiten. Dies stellt aber eine große
Herausforderung für die Lehrerbildung dar, denn es bedarf dafür mehr-
perspektivischer und fachübergreifender Konzepte, die auch anschlussfähig
sind an unterschiedliche nationale Studienstrukturen. Schließlich gilt es, diese
Konzepte für die Schule transferfähig zu machen. Wie eine solche Umset-
zung auf allen Ebenen der Lehrerbildung zu realisieren ist, zeigt diese deutsch-
chinesische Forschungsarbeit, in der ein solches Konzept entwickelt und an-
schließend mit 19 Schulen aus drei Provinzen in die nationale Lehrerbildung in
China implementiert wurde.
UNSERE BUCHEMPFEHLUNG
2019, 142 Seiten, br., 29,90 €,
ISBN 978-3-8309-3889-7
E-Book: 26,99 €,
ISBN 978-3-8309-8889-2
© Waxmann Verlag GmbH