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unpublizierte Fassung; finale Version erscheint als:
Zimmer, Christian. 2019. Deutsch als Minderheitensprache in Afrika. In Joachim Herrgen &
Jürgen Erich Schmidt (Hrsg.), Sprache und Raum ‒ Deutsch. Ein internationales Handbuch
der Sprachvariation. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 30.4).
Berlin: de Gruyter Mouton.
Christian Zimmer (FU Berlin)
Deutsch als Minderheitensprache in Afrika
1. Deutsch in Afrika
2. Die sprachlichen Repertoires der deutschsprachigen Community in Namibia
3. Deutsch als Fremdsprache
4. Literatur
1. Deutsch in Afrika
Die deutsche Sprache konzentriert sich in Afrika auf den Süden des Kontinents:
Deutschsprachige Minderheiten gibt es in Namibia und in Südafrika. In beiden Ländern sind
Afrikaans und Englisch die wichtigsten Kontaktsprachen, was sich unter anderem auch in
grammatischen und lexikalischen Parallelen der jeweiligen deutschen Varietäten
niederschlägt. Nichtsdestoweniger gibt es grundlegende Unterschiede, z. B. hinsichtlich der
sprachpolitischen Gegebenheiten, dem historischen Hintergrund und der weiteren
Kontaktsprachen. Aus diesem Grund werden die beiden Staaten im Folgenden getrennt
behandelt.
Außer in diesen beiden Ländern spielt Deutsch in Afrika (abgesehen vom
Fremdsprachenunterricht) keine nennenswerte Rolle (vgl. Böhm 2003: 503 u. 611). In den
ehemaligen deutschen Kolonien – das heutige Namibia ausgenommen – zeigt sich der
sprachliche Einfluss mitunter noch in (zum Teil) deutschsprachigen Ortsnamen wie z. B. dem
kamerunischen Lolodorf, geht aber kaum darüber hinaus (vgl. z. B. Ammon 2014: 359;
Stolz & Warnke 2015). „Entscheidend für die Besonderheit Namibias war, dass es –
begünstigt durch Klima, Größe des Landes, geringe Bevölkerungsdichte und nicht allzu große
Entfernung zu Deutschland – bevorzugte ‚Siedlungskolonie‘ wurde, im Gegensatz zu den
übrigen ‚Ausbeutungskolonien‘“ (Ammon 2014: 359).
In den folgenden Kapiteln wird die multilinguale Situation in Südafrika und Namibia
unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Minderheitensprache beschrieben (Kap. 1.1.
und 1.2.). Thematisiert werden dabei sprachpolitische Gegebenheiten, historische
Zusammenhänge sowie die aktuelle Vitalität der deutschen Minderheitensprache. Daran
anschließend werden am Beispiel Namibias die linguistische Variabilität der
deutschsprachigen Minderheit in den Fokus genommen und die sprachlichen Repertoires
dargestellt (Kap. 2.). Diese sind besonders auch unter der Perspektive von
2
Spracheinstellungen interessant. Kap. 3. ist schließlich dem Thema Deutsch als Fremdsprache
gewidmet.
1.1. Deutsch im multilingualen Südafrika
Die Republik Südafrika ist durch ein außerordentlich hohes Maß an Viel- und
Mehrsprachigkeit geprägt. Diesem Umstand trägt die Verfassung von 1996 Rechnung, indem
sie elf Sprachen zu gleichberechtigten Amtssprachen erklärt (Republic of South Africa 1996).
Tab. 47.1 gibt einen Überblick über die Verbreitung der elf Sprachen zuzüglich der
südafrikanischen Gebärdensprache. Die Daten sind dem aktuellen Census entnommen
(Statistics South Africa 2011). Dargestellt sind die Antworten auf die Frage nach der im
Haushalt am häufigsten gesprochenen Sprache.
Tab. 47.1: Sprachen in Südafrika (Statistics South Africa 2011)
Häufigste Sprache im Haushalt
Anzahl der SprecherInnen
Anteil (in %)
IsiZulu
11.587.374
22,7
IsiXhosa
8.154.258
16,0
Afrikaans
6.855.082
13,5
English
4.892.623
9,6
Sepedi
4.618.576
9,1
Setswana
4.067.248
8,0
Sesotho
3.849.563
7,6
Xitsonga
2.277.148
4,5
SiSwati
1.297.046
2,5
Tshivenda
1.209.388
2,4
IsiNdebele
1.090.223
2,1
Other
828.258
1,6
Sign language
234.655
0,5
Im öffentlichen Raum kommt Englisch und Afrikaans eine bedeutende Rolle zu. Diese beiden
Sprachen waren während der Zeit der Apartheid die einzigen offiziellen Amtssprachen und
werden noch immer als Lingua Franca verwendet. Zu den SprecherInnen, die Afrikaans oder
Englisch als Sprache im Haushalt verwenden, kommen also zahlreiche SüdafrikanerInnen, die
eine dieser Sprachen oder beide als Zweit- oder Drittsprache beherrschen und im öffentlichen
Raum verwenden. Afrikaans- oder Englischkenntnisse sind nach wie vor in vielen Situationen
notwendig oder zumindest von Vorteil, sodass de facto noch keine Gleichberechtigung der elf
Amtssprachen erreicht ist, obwohl diese theoretisch von der Verfassung gewährleistet wird
(vgl. hierzu auch Mmusi 1998 und Frydman 2011: 180–181).
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Das Deutsche ist Tab. 47.1 unter „other“ mit anderen Minderheitensprachen
zusammengefasst. Diese Sprachen sind den elf Amtssprachen untergeordnet, genießen aber
politischen Schutz, der in der Verfassung von 1996 verankert ist:
(5) A Pan South African Language Board established by national legislation must-
(a) promote, and create conditions for, the development and use of-
(i) all official languages;
(ii) the Khoi, Nama and San languages; and
(iii) sign language; and
(b) promote and ensure respect for-
(i) all languages commonly used by communities in South Africa,
including German, Greek, Gujarati, Hindi, Portuguese, Tamil,
Telegu and Urdu; and
(ii) Arabic, Hebrew, Sanskrit and other languages used for religious
purposes in South Africa.
Während Afrikaans massiv als Lingua Franca verwendet wurde und heute nicht nur
Erstsprache von Nachfahren niederländischsprachiger Einwanderer ist (vgl. hierzu auch den
Census; Statistics South Africa 2011), wird Deutsch (abgesehen von
Fremdsprachenkenntnissen) beinahe ausschließlich von Nachfahren deutschsprachiger
Einwanderer gesprochen. Diese stammten mehrheitlich aus dem niederdeutschen Sprachraum,
weshalb zunächst auch Niederdeutsch in Südafrika gesprochen wurde, das dann aber
zugunsten von Hochdeutsch zurückgedrängt wurde und heute keine Rolle mehr spielt (de
Kadt 1998: 7). Die heutigen Mitglieder der deutschsprachigen Minderheit sind in der Regel
mindestens dreisprachig. Vor allem in ländlichen Gebieten beherrschen Deutschsprachige
neben Afrikaans und Englisch oft auch IsiZulu (de Kadt 2002: 150). Dass Deutschsprachige
je nach Region mit unterschiedlichen linguistischen Kontexten interagieren, spiegelt sich auch
in verschiedenen Ausprägungen der deutschen Minderheitensprache in Südafrika wider:
There is a general awareness that a number of different varieties of South African German
exist, with the differences depending largely on their linguistic context. Wartburg German
(together with other versions spoken in Southern KwaZulu-Natal) has been largely
influenced by English, whereas the German spoken in Northern KwaZulu-Natal (e.g.
Vryheid) shows massive transfer from Afrikaans. People in Wartburg are aware that their
variety is somewhat different: ‚We laugh about the way the others speak,‘ was said on
several occasions, with reference to speakers from Northern KwaZulu-Natal. (de Kadt
2000: 75)
Die genaue Anzahl an Deutschsprachigen lässt sich nur schwer bestimmen. Der Census-
Fragebogen von 2011 (Statistics South Africa 2011) erlaubte nur eine der in Tab. 47.1
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dargestellten Antwortmöglichkeiten. Aktuelle Census-Zahlen zu den einzelnen
südafrikanischen Minderheitensprachen sind deshalb nicht verfügbar. Bei der Census-
Befragung von 1991 gaben etwa 30.000 TeilnehmerInnen Deutsch als wichtigste Sprache im
Haushalt an, darunter allerdings auch zahlreiche nur kurzzeitig in Südafrika lebende Deutsche
(de Kadt 1998: 2). Bei der Interpretation dieser Daten muss darüber hinaus berücksichtigt
werden, dass die Mehrsprachigkeit der Befragten bei dieser Art der Befragung nicht in allen
Fällen abgebildet wird. So ist anzunehmen, dass einige SüdafrikanerInnen Deutsch zwar
beherrschen, dies aber bei der Befragung zugunsten einer anderen im Haushalt gesprochenen
Sprache nicht angegeben haben. Unter Berücksichtigung dessen kommt de Kadt (1998: 2–3)
zu der Schätzung von 30.000 bis 60.000 in Südafrika lebenden Deutschsprachigen (vgl. zu
diesem Thema auch Bodenstein 1993: 118–119). Die Zahl der Deutschsprachigen ist
rückläufig. Ob ein Sprachwechsel stattfindet oder bereits stattgefunden hat, hängt mit
verschiedenen historischen, gesellschaftlichen und geographischen Faktoren zusammen.
So sind aus historischer Perspektive zwei wichtige Phasen der Emigration aus Europa
zu unterscheiden. Bereits 1652 begleitete eine Reihe von Deutschsprachigen den
niederländischsprachigen Jan van Riebeeck, der die Kapkolonie gründete. In den folgenden
Jahrzehnten wanderten daraufhin zahlreiche Deutschsprachige gemeinsam mit Französisch-
und Niederländischsprachigen dorthin aus. „Man schätzt, daß über die Hälfte der weißen
Siedler im Kapgebiet am Ende des 18. Jahrhunderts deutscher Herkunft war“ (de Kadt 1998:
1). Innerhalb dieser Gruppe wurde die deutsche Sprache allerdings aufgegeben.
Niederländisch war die einzige Amtssprache, was in Kombination mit zahlreichen Ehen
zwischen Deutsch- und Niederländisch- bzw. Afrikaanssprachigen zum Sprachwechsel führte
(Bodenstein 1993: 115–116; de Kadt 1998: 1–2).
Im Gegensatz dazu wurde die deutsche Sprache mehrheitlich beibehalten in einer
Minderheit, die auf die zweite wichtige Einwanderungsphase Deutschsprachiger zurückgeht.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gründeten mehrere Missionsgesellschaften
Siedlungen im heutigen KwaZulu-Natal, dem östlichen Kapgebiet und im südöstlichen Teil
des heutigen Transvaal. In den Gemeinden wurden Kirchen und Schulen erbaut, in denen das
Deutsche verwendet und aktiv gepflegt wurde (vgl. Bodenstein 1993: 117–118; de Kadt 1998:
2; Böhm 2003: 611–612). In diesen Gemeinden wurde das Deutsche über Generationen
hinweg beibehalten. Dabei spielte die Kirche eine besonders wichtige Rolle (vgl. z. B. Stielau
1980: 3; de Kadt 2000: 75). Noch heute gibt es deutschsprachige Kirchengemeinden. Da die
Zahl der Gemeindemitglieder sinkt, wird der Gottesdienst aber immer häufiger auch in
Englisch oder Afrikaans angeboten (Böhm 2003: 614–615).
Nach wie vor sind die Deutschsprachigen vor allem im Osten des Landes zu finden,
den die Missionare im 19. Jahrhundert besiedelten. Inzwischen leben aber die meisten
Deutschsprachigen in den Städten der Region, z. B. in Johannesburg. Die deutschsprachige
Community setzt sich hier zusammen aus Nachfahren der damaligen Siedlerfamilien, die aus
beruflichen Gründen die ländlichen Gegenden verlassen haben, im 20. Jahrhundert
5
ausgewanderten Deutschsprachigen und nur kurzfristig, aus beruflichen Gründen, im Land
lebenden sogenannten Expats. (Darüber hinaus gibt es auch in Kapstadt eine relativ große
Gruppe an Expats. Vgl. de Kadt 1998: 3). Während für letztere ein Sprachwechsel kein
Thema ist, ist bei den anderen beiden Gruppen die Wahrscheinlichkeit, dass Deutsch in naher
Zukunft aufgegeben wird, relativ hoch (de Kadt 1998: 3–4).
Etwas weniger hoch ist die Sprachwechsel-Wahrscheinlichkeit auf dem Land. In
einigen Siedlungen – vor allem in KwaZulu-Natal – stellen Nachfahren der SiedlerInnen aus
dem 19. Jahrhundert einen verhältnismäßig großen Teil der Bevölkerung. Im Gegensatz zu
den Städten vollzieht sich das gesellschaftliche Leben hier zum Teil noch auf Deutsch.
Nichtsdestoweniger sinkt auch hier die Anzahl an Deutschsprachigen. Wenn nicht beide
Eltern deutschsprachig sind, sprechen Kinder in der Regel Afrikaans und/oder Englisch. Auch
ein Umzug aus ländlichen Siedlungen in eine Stadt zieht häufig Sprachwechsel nach sich (de
Kadt 1998: 2–4).
Neben der Kirche gehört die Schule zu den zwei wichtigsten Domänen außerhalb der
Familie, in denen mitunter noch Deutsch gesprochen wird und die zum Erhalt der deutschen
Minderheitensprache beitragen. In Südafrika gibt es vier Schulen, die aus Deutschland
finanzielle und personelle Unterstützung erhalten. Diese befinden sich in Hermannsburg,
Johannesburg, Pretoria und Kapstadt. In Hermannsburg wird Deutsch als Unterrichtssprache
in den Klassen 1 bis 4 angeboten sowie daran anschließend das Fach Deutsch als
Muttersprache (DaM). In den anderen drei Schulen wird Deutsch durchgängig als
Unterrichtssprache angeboten, und das deutsche Abitur kann erworben werden. An allen vier
Schulen werden sowohl südafrikanische Staatsangehörige (mit unterschiedlichen
Erstsprachen) als auch Kinder von deutschsprachigen Expats unterrichtet. Darüber hinaus gibt
es fünf private Primarschulen, an denen DaM unterrichtet wird. Diese werden ebenfalls
finanziell aus Deutschland unterstützt – allerdings in geringerem Umfang. In erster Linie
werden diese Privatschulen durch die deutschsprachige Community in Südafrika finanziert.
Schließlich existieren auch staatliche Primarschulen, an denen auch auf Deutsch unterrichtet
wird (vgl. zu DaM in Südafrika ausführlich Böhm 2003: 616–620).
Neben der Sprachpflege in vielen Familien, in der Kirche und an Schulen ist sicherlich
auch die jüngere Geschichte Südafrikas ein Faktor, der für den Erhalt der deutschen Sprache
ursächlich ist: „The enormous stress placed on ethnicity and on ‚difference‘ between societal
groups under apartheid may well have contributed to the retention of German“ (de Kadt 2000:
70). Im Gegensatz zu de Kadt (2000) sieht Schweizer (1982: 205) in der Kolonialpolitik und
der darauf folgenden Apartheidszeit, in der Sprachpolitik ein zentrales Instrument der
Unterdrückung von Bevölkerungsgruppen war, sogar als entscheidenden Grund für den
Fortbestand der deutschen Sprache in Südafrika: „Allein der seit weit über hundert Jahren
durchgesetzten weißen Kolonial- und Rassenpolitik ist es zu verdanken, daß sich die deutsche
Sprache zum Teil in vierter und fünfter Generation als mündliches und schriftliches
Kommunikationsmittel erhalten konnte.“
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1.2. Deutsch im multilingualen Namibia
Auch in Namibia gibt es eine große Vielfalt an Sprachen. Tab. 47.2 gibt diesbezüglich einen
Überblick. Die dargestellten Daten sind dem Census von 2011 entnommen (Namibia
Statistics Agency 2011). Erfragt wurde die „main language spoken in the household“. Bei
mehrsprachigen Haushalten musste also eine Sprache gewählt werden. Die durchschnittliche
Haushaltsgröße wird mit 4,4 Personen beziffert.
Tab. 47.2: Sprachen in Namibia (Namibia Statistics Agency 2011)
Wichtigste Sprache im Haushalt
Anzahl der Haushalte
Anteil (in %)
Oshiwambo languages
227.103
48,9
Nama/Damara
52.450
11,3
Afrikaans
48.238
10,4
Otjiherero
40.000
8,6
Kavango
39.566
8,5
Caprivi languages
22.484
4,8
English
15.912
3,4
Other African languages
5.795
1,3
German
4.359
0,9
San languages
3.745
0,8
Other European languages
3.306
0,7
Setswana
1.328
0,3
Asian languages
461
0,1
Oshivambo-Sprachen (dazu gehören unter anderem Oshindonga und Oshikwanyama) wurden
mit Abstand am häufigsten genannt. Daneben gibt es vier weitere Sprachen, die jeweils in
mindestens 5 % der Haushalte als wichtigste Sprache angesehen werden: Nama/Damara,
Afrikaans, Otjiherero und Kavango. Allerdings ist keine dieser Sprachen Amtssprache in
Namibia. Englisch wurde nach Namibias Unabhängigkeit von Südafrika in der Verfassung
von 1990 zur alleinigen Amtssprache erklärt, ist aber nur in 3,4 % der Haushalte wichtigste
Sprache. Anfang der 1990er Jahre war der Anteil der Englischsprachigen sogar noch geringer,
und auch als Zweit- bzw. Fremdsprache war Englisch nicht besonders weit verbreitet (Pütz
1995a: 160). Daraus resultierende Probleme zeigen sich z. B. im schulischen Unterricht, der
in den höheren Klassenstufen in der Regel auf Englisch stattfindet und von zahlreichen
LehrerInnen angeboten wird, die nicht ausreichend kompetent in der Amtssprache sind (vgl.
z. B. Pütz & Dirven 2013: 338–340).
Die Gründe dafür, Englisch zur alleinigen Amtssprache zu erklären, liegen zum einen
darin, dass für einen Großteil der Bevölkerung Afrikaans und Deutsch mit dem
Apartheitsregime bzw. der Unterdrückung während der Kolonialzeit verbunden sind, während
Englisch neutral oder (im Zusammenhang mit dem Befreiungskampf) sogar positiv konnotiert
7
ist. Zum anderen wurde als Argument gegen die Wahl einer der zahlreichen autochthonen
Sprachen die angestrebte Einheit des Landes angeführt, die auf die aufgezwungene
Fragmentierung durch das Apartheidsregime folgen sollte (vgl. verschiedene Beiträge in Pütz
1995c sowie Böhm 2003: 528–532; Frydman 2011; Pütz & Dirven 2013: 340–344 und
Shah & Zappen-Thomson, 2018). Diese Entscheidung wurde von der Mehrheit der
Gesamtbevölkerung und jeweils einer Mehrheit innerhalb verschiedener Sprachgruppen
begrüßt (Pütz 1995b). Dazu trug die Tatsache, dass Englisch als Erstsprache so gut wie keine
Rolle im Land spielte, sogar bei: Durch die Wahl des Englischen als Amtssprache wurde
keine Bevölkerungsgruppe bevorteilt.
Neben der offiziellen Amtssprache gibt es zwölf weitere „Nationalsprachen“
Namibias, zu denen auch das Deutsche zählt (vgl. hierzu Ammon 2014: 360; Shah & Zappen-
Thomson 2018). Im Gegensatz zur südafrikanischen Verfassung wird Deutsch allerdings –
ebenso wie die anderen „Nationalsprachen“ – in der namibischen Verfassung nicht genannt.
Diesen Sprachen werden einige Rechte eingeräumt. So können Eltern (im Rahmen der lokal
gegebenen Möglichkeiten) z. B. entscheiden, in welcher dieser Sprachen ihre Kinder in den
ersten vier Klassenstufen unterrichtet werden sollen (Böhm 2003: 532).
Die Zahl der Deutschsprachigen beträgt aktuell etwa 20.000. Diese Minderheit geht im
Wesentlichen auf Emigration aus Europa im Zuge der Kolonialisierung des heutigen Namibia
unter dem Namen Deutsch-Südwestafrika zurück (1884‒1915). Aber auch im Anschluss
daran gab es – und gibt es bis heute – Zuwanderung aus Europa. „Die Deutschsprachigen in
Namibia stammen […] nicht schwerpunktmäßig aus einem bestimmten deutschen
Dialektgebiet. Wenn man überhaupt einen regionalen Schwerpunkt ihrer Herkunft ausmachen
kann, so den norddeutschen Raum“ (Böhm 2003: 564).
Während der deutschen Kolonialherrschaft war Deutsch einzige Amtssprache. Als
Lingua Franca wurde allerdings Afrikaans verwendet, das durch Migration aus dem Süden
bereits vor der Ankunft der deutschen KolonialistInnen von einer Minderheit im Land
gesprochen wurde (Pütz 1991: 461–462; Böhm 2003: 526; Deumert 2009: 355 u. 366;
Shah & Zappen-Thomson 2018). Nach dem Ersten Weltkrieg musste das Deutsche Reich alle
Kolonien abtreten, die Verwaltung Südwestafrikas ging an Südafrika über, das das Land
zuvor besetzt hatte (Böhm 2003: 526). Der Großteil der Deutschsprachigen musste das Land
verlassen, ein Teil der Ausgewiesenen kam später allerdings zurück (Deumert 2009: 357;
Ammon 2014: 359–360). Deutsch wurde als Amtssprache von Englisch und Afrikaans (bzw.
zunächst Niederländisch) abgelöst. Die in Südafrika offiziell ab 1948 eingeführte
Apartheidspolitik wurde auch auf Südwestafrika übertragen. Unter dem Apartheidsregime
hatte Deutsch einige Privilegien (Shah & Zappen-Thomson 2018) sprechen von einem Status
als semi-offizieller Sprache ab 1984), war den Amtssprachen aber untergeordnet. Mit der
Unabhängigkeit von Südafrika wurde im Jahr 1990 dann Englisch einzige Amtssprache in
Namibia und Deutsch zu einer der 13 „Nationalsprachen“.
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Als interethnische Kommunikationssprachen dienen vor allem Englisch und
Afrikaans. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielte Deutsch in dieser Hinsicht eine wesentlich
größere Rolle als heute. Um das Jahr 1900 wurde der Deutschunterricht in Missionsschulen
durch die Kolonialregierung verstärkt gefördert. Darüber hinaus waren deutschsprachige
Farmer damals häufig einsprachig und bestanden darauf, dass am Arbeitsplatz Deutsch
gesprochen wurde. Das führte dazu, dass zahlreiche Angestellte Deutschkenntnisse erwarben,
was die Basis für die sich entwickelnde Kontaktvarietät Kiche Duits (ʻKüchendeutschʼ)
darstellte (vgl. hierzu ausführlich Deumert 2009). Diese Varietät war in erster Linie auf den
Gebrauch am Arbeitsplatz beschränkt, was sich auch in ihrer Bezeichnung niederschlägt.
Aber auch gruppenintern wurde Kiche Duits verwendet, häufig im Zusammenhang mit „post-
colonial ‚crossing‘ in Namibia; that is, the sometimes playful and always socio-symbolically
meaningful appropriation of linguistic and cultural out-group practices“ (Deumert 2009: 353).
Kiche Duits weist typische kontaktsprachliche Merkmale auf wie z. B. starke morphologische
Reduktion (Deumert 2009: 392–405). Unter dem Apartheidsregime wurde Afrikaans stark
gefördert, woraufhin Kiche Duits merklich an Bedeutung verlor, sodass es heute nur noch
einige ältere SprecherInnen dieser Varietät gibt.
Deutschsprachige leben heute in beinahe allen Teilen des Landes, die meisten von
ihnen in den zentralen Regionen Khomas und Otjozondjupa sowie der benachbarten Region
Erongo, die bis zur Atlantikküste reicht (vgl. Namibia Statistics Agency 2011). Innerhalb
dieser Regionen sind die Städte Windhoek, Swakopmund und Otjiwarongo wichtige Zentren
für die deutsche Sprache, was sich unter anderem auch darin manifestiert, dass sich hier
aktuell die einzigen namibischen Sekundarschulen befinden, in denen DaM belegt werden
kann. Neben den StadtbewohnerInnen gibt es auch einen nicht zu vernachlässigenden Anteil
Deutschsprachiger, die eine der über das Land verteilten, vereinzelten Farmen bewohnen.
(Laut Census [Namibia Statistics Agency 2011: 172] befinden sich mehr als 700
deutschsprachige Haushalte in ländlichen Gebieten.) Viele deutschsprachige Kinder und
Jugendliche, deren Eltern auf einer Farm leben, besuchen eine Schule, an der DaM-Unterricht
angeboten wird, in einer der Städte. Aufgrund der zum Teil sehr großen Entfernungen zu den
Städten leben diese Kinder und Jugendlichen häufig in einem der Schule angegliederten
Internat und verbringen häufig nur ihre Ferien und gegebenenfalls Wochenenden auf der
Farm. Die Verkehrssprache in den Internaten ist in der Regel Deutsch. Böhm (2003: 545)
wertet diese unter anderem deshalb als „wichtige Zentren der Deutschsprachigkeit und
deshalb bedeutsam für den Erhalt des Deutschen insgesamt.“
Neben fünf Schulen, die DaM in der Sekundarstufe anbieten (zwei in Windhoek, zwei
in Swakopmund und eine in Otjiwarongo; sowohl Privatschulen als auch staatliche Schulen.
Zu Unterschieden zwischen staatlichen Schulen und Privatschulen s. Böhm 2003: 540–545.),
gibt es neun Primarschulen, in denen dieses Fach belegt werden kann (Shah & Zappen-
Thomson 2018). In diesen Schulen wird Deutsch in den unteren Klassenstufen häufig auch als
Unterrichtssprache für die anderen Fächer verwendet. Ab der 5. Klasse bis zum Anfang der
9
7. Klasse wird Deutsch dann schrittweise durch Englisch ersetzt (vgl. Shah & Zappen-
Thomson 2018). Eine Ausnahme stellt hier die einzige deutsche Auslandsschule in Namibia
dar, die Deutsche Höhere Privatschule in Windhoek (DHPS). Hier können alle Fächer auch
nach der 7. Klasse auf Deutsch belegt werden und das deutsche Abitur als Schulabschluss
erworben werden. Ein erheblicher Anteil des Unterrichts wird von LehrerInnen durchgeführt,
die aus Deutschland entsandt sind.
Innerhalb der Community wird viel Wert auf deutschsprachigen Unterricht gelegt. Das
äußert sich unter anderem in der Gründung von Privatschulen mit dem Ziel, das Fach DaM zu
erhalten, und in finanzieller Unterstützung der entsprechenden Schulen. Die Motivation, auch
kleine Privatschulen mit deutschsprachigem Unterricht – anders als die deutschsprachigen
Schulen in Lüderitz (1972 geschlossen) und Karibib (1986 geschlossen) – trotz rückläufiger
SchülerInnenzahlen zu erhalten, ist groß (vgl. hierzu auch Böhm 2003: 542; zu den
rückläufigen SchülerInnenzahlen vgl. Shah & Zappen-Thomson 2018). Das betrifft z. B. die
Deutsche Privatschule Omaruru, an der sich im Jahr 2016 weniger als 40 SchülerInnen auf die
sieben Klassenstufen verteilten.
Die deutschsprachige Community ist insgesamt sehr um den Spracherhalt bemüht, gut
vernetzt und kulturell aktiv. Pütz (1995b: 261–262) betont die identitätsstiftende Funktion der
Erstsprachen. In seiner Umfrage gaben über 98 % der befragten Deutschsprachigen an, der
Aussage „Knowledge of my mother tongue makes me feel proud“ zuzustimmen oder stark
zuzustimmen. Es gibt Musik- und Sportvereine, in denen Deutsch gesprochen wird,
regelmäßige (auch) deutschsprachige Karnevalsveranstaltungen in verschiedenen Teilen des
Landes, Oktoberfeste, deutschsprachige Literatur aus Namibia und aktuelle deutschsprachige
Popmusik, eine deutschsprachige Tageszeitung (die Allgemeine Zeitung), den
deutschsprachigen privaten Radiosender Hitradio Namibia sowie ein deutschsprachiges
Angebot der Namibian Broadcasting Corporation (NBC) (vgl. Gretschel 1995: 301–302
sowie Shah & Zappen-Thomson 2018). Deutschsprachige Gottesdienste gibt es nach wie vor
in mehreren Gemeinden, allerdings nicht wöchentlich. Am einflussreichsten ist die Deutsche
Evangelisch-Lutherische Kirche in Namibia, vereinzelt gibt es auch katholische Gottesdienste
in deutscher Sprache. Ebenfalls weitgehend deutschsprachig sind assoziierte Kindergärten
und Altersheime (Shah & Zappen-Thomson 2018; zur Rolle der Kirchen vgl. Kleinz 1984:
98–106).
Die deutsche Sprache ist – im Verhältnis zur vergleichsweise geringen
SprecherInnenzahl – insgesamt sehr präsent im öffentlichen Raum Namibias. Diese besondere
Stellung ist zum einen historisch bedingt und zum anderen mit der sozialen Stellung der
meisten Deutschsprachigen zu erklären. „Many German settlers remained in the territory after
World War I and their descendents continued to form an economically and politically
influential, as well as privileged, minority within Namibian society throughout the 20th
century“ (Deumert 2009: 350). Dies vereinfacht die Sprachpflege. Als Beispiel sei hier die
Hörerinitiative genannt, die sich in den 1990er Jahren gründete, um die befürchtete
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Einstellung des deutschsprachigen Radioprogramms zu verhindern und dessen Fortbestand
unter anderem mithilfe von Mitgliedsbeiträgen und finanziellen Spenden zu sichern (Böhm
2003: 561; Shah & Zappen-Thomson 2018). Auch die Gründung und der Betrieb von
Privatschulen sind nur bei ausreichender Finanzkraft möglich. Sowohl hinsichtlich des
sozioökonomischen Status als auch hinsichtlich Bildung gehören Deutschsprachige in
Namibia zu einer höheren Sozialschicht, was nicht nur die Sprachpflege, sondern auch die
Netzwerkbildung untereinander erleichtert (Ammon 2014: 362). Darüber hinaus profitiert die
deutsche Sprache in Namibia von Unterstützung aus Deutschland, z. B. in finanzieller und
personeller Hinsicht an der DHPS, sowie von offizieller namibischer Seite, z. B. in Form von
deutschsprachigen Angeboten der NBC (vgl. Shah & Zappen-Thomson 2018).
All das sind Gründe dafür, dass das Deutsche in Namibia trotz der geringen Anzahl an
SprecherInnen vergleichsweise vital ist. Zum Sprachwechsel kann es allerdings bei Kindern
kommen, deren Eltern nicht beide deutschsprachig sind. Dies ist aber keinesfalls zwangsläufig
so. Deutsch wird mitunter auch (als eine von mehreren Sprachen) an die nächste Generation
weitergegeben, wenn nicht beide Elternteile deutschsprachig sind. Zudem werden Ehen
häufig innerhalb der deutschsprachigen Community geschlossen (vgl. Pütz 1991: 470 zur
Situation vor bzw. kurz nach der Unabhängigkeit).
Mitglieder der deutschsprachigen Community sind in aller Regel mindestens
dreisprachig und sprechen neben Deutsch auch Afrikaans und Englisch. Ob und wie gut auch
Bantu- (z. B. Oshivambo oder Otjiherero) oder Khoisansprachen (z. B. Nama/Damara)
beherrscht werden, hängt stark vom Individuum ab. Diesbezüglich gibt es in der Community
große Unterschiede. Kenntnisse dieser Sprachen gibt es vor allem bei Deutschsprachigen, die
auf einer Farm leben oder aufgewachsen sind: Dort leben neben den FarmbesitzerInnen in der
Regel auch Angestellte, die eine Bantu- oder Khoisansprache sprechen. So lernen z. B. Kinder
beim gemeinsamen Spielen mitunter die jeweils andere Erstsprache. Die Intensität des
Kontakts und die resultierenden Sprachkenntnisse variieren – oft sogar innerhalb einer
Familie – allerdings stark (vgl. hierzu auch Wiese et al. 2017).
Neben den namibischen Sprachen spielen auch europäische Varietäten des Deutschen
eine Rolle für das Deutsche in Namibia. So sind via gebührenpflichtigem Satellitenfernsehen
in einigen Haushalten deutsche Fernsehsender verfügbar. Außerdem ist Namibia ein beliebtes
Reiseziel deutscher TouristInnen, und eine Reihe von Deutschsprachigen betreibt
Gästefarmen. Infolgedessen ist die Mehrheit der deutschsprachigen NamibierInnen entweder
durch die Medien oder direkten Kontakt regelmäßig mit europäischen Varietäten des
Deutschen konfrontiert.
2. Die sprachlichen Repertoires der deutschsprachigen Community in Namibia
Im Folgenden wird am Beispiel der deutschsprachigen Minderheit in Namibia die Variabilität
der deutschen Sprache in Afrika dargestellt. Die thematisierten Registerunterschiede und das
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daraus resultierende Spannungsfeld von Standardsprache und Substandard sind dabei auch
aus der Perspektive von Spracheinstellungen und Sprachideologie besonders interessant.
Dabei gibt es zweifelsohne Parallelen zwischen den deutschsprachigen Minderheiten in
Namibia und Südafrika, auch hinsichtlich grammatischer und lexikalischer Merkmale. Hier
spielen die beiden jeweils wichtigsten Kontaktsprachen Afrikaans und Englisch natürlich eine
wichtige Rolle. Allerdings sind die Erkenntnisse zum Deutschen in Namibia nicht in Gänze
auf Südafrika zu übertragen. Ein Grund dafür sind z. B. die unterschiedlichen historischen
Hintergründe, die im vorigen Kapitel bereits ausgeleuchtet wurden, sowie unterschiedliche
sozioökonomische Voraussetzungen der deutschsprachigen Minderheiten in den jeweiligen
Staaten (vgl. z. B. Schweizer 1982: 225).
Innerhalb der deutschsprachigen Community in Namibia hat das Standarddeutsche
generell einen hohen Stellenwert. Dabei gilt der Standard in Deutschland als sprachliches
Ideal und als „gutes Deutsch“. Allerdings genießen auch einige (lexikalische) Namibismen
eine große Akzeptanz. Diese können zum Kernwortschatz des namibischen Deutschen
gerechnet werden und werden nicht stigmatisiert. Zu diesen Wörtern gehören z. B. Rivier
(ʻTrockenflussʼ bzw. ʻTrockenflussbettʼ) oder braaien (ʻgrillenʼ). (Die in Klammern
gegebenen Übersetzungen sind Annäherungen an die namibischen Konzepte, aber keineswegs
tatsächlich synonym.) Kellermeier-Rehbein (2016: 224–226) geht aufgrund dieser in der
Community gemeinhin nicht stigmatisierten Spezifika des Deutschen in Namibia von einer
namibischen Standardvarietät aus, die z. B. in Texten der Allgemeinen Zeitung verwendet
werde. Die genannten Lexeme, die nicht der deutschen Standardsprache in Deutschland
zuzurechnen sind, werden dort regelmäßig verwendet und akzeptiert. Allerdings sind die
Unterschiede zwischen einer so verstandenen namibischen Variante des Standarddeutschen
und dem Standard in Deutschland minimal und beziehen sich auf eine überschaubare Menge
an Lexemen. Demgegenüber gibt es namibiaspezifische Merkmale des Deutschen
(grammatische wie lexikalische), die stigmatisiert und als Substandard klassifiziert werden.
Für namibisch geprägten Sprachgebrauch gibt es mehrere Bezeichnungen, sowohl in
der Forschungsliteratur als auch in der Community selbst. Im Rahmen der Datenerhebung für
ein systematisches Korpus des Deutschen in Namibia (vgl. hierzu Wiese et al. 2017) wurden
die TeilnehmerInnen per Fragebogen Folgendes gefragt: „Wie nennst du [bzw. nennen Sie]
das, was du [Sie] mit Freunden/Freundinnen im Alltag normalerweise sprichst [sprechen]?“.
Als Antwort darauf wurden diese Begriffe genannt: Südwesterdeutsch, Namsläng/Namslang,
Namlish und Namdeutsch. Der Begriff Südwesterdeutsch überwiegt bei den älteren
SprecherInnen, wird wegen der Konnotation mit der Kolonialzeit („Deutsch-Südwest“) vor
allem von jüngeren Mitgliedern der Community inzwischen aber häufig gemieden. Die
Bezeichnung Nam-Släng wurde vom Musiker und Autor des populärwissenschaftlichen Nam
Släng-Wörterbuchs Eric Sell (Künstlername EES) geprägt. (In diesem Wörterbuch findet sich
auch eine kurze Erläuterung, warum Südwesterdeutsch vermieden wird [vgl. Sell 2011: 6]).
Dieser wird mit der medial stilisierten namibisch-deutschen Jugendsprache verbunden, die in
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zahlreichen Youtube-Videos zelebriert und von SprecherInnen in der Regel als übertrieben
und unauthentisch charakterisiert wird (zu Nam-Släng s. auch Kellermeier-Rehbein 2015).
Namlish als Kofferwort aus Namibia und English bezieht sich ursprünglich auf die
namibische Varietät des Englischen. Namdeutsch gilt schließlich als relativ neutrale und
allgemeine Bezeichnung für namibisch geprägtes Deutsch ohne zu starke Konnotation in eine
bestimmte Richtung. Dieser Begriff wird im Folgenden verwendet.
Namdeutsch ist geprägt durch intensiven Sprachkontakt. Dieser manifestiert sich am
auffälligsten in Entlehnungen. Quantitativ scheinen afrikaanse Fremdwörter zu dominieren,
aber auch aus dem Englischen gibt es zahlreiche Entlehnungen (vgl. Böhm 2003: 568;
Zimmer i. V.). Beispiele sind Pad (ʻStraßeʼ oder ʻWegʼ) und moeg (ʻmüdeʼ, beide aus dem
Afrikaans) sowie Story (ʻGeschichteʼ) und alright (ʻin Ordnungʼ, beide aus dem Englischen).
Vereinzelt werden auch Wörter aus Bantu- und Khoisansprachen übernommen, so z. B.
Mariva (ʻGeldʼ, Otjiherero) oder das einen Click enthaltende nxa (ʻgutʼ, vermutlich
Nama/Damara). Aufzählungen von Entlehnungen finden sich in Nöckler (1963), Pütz (2001)
und Sell (2011). Fremdwörter scheinen generationsübergreifend in großer Anzahl verwendet
zu werden und sind nicht auf die Jugendsprache beschränkt (Zimmer i. V.).
Das entlehnte lexikalische Material wird in der Regel morphosyntaktisch integriert,
was in (1) veranschaulicht wird. Hier kongruiert das ursprünglich afrikaanse Adjektiv kwaai
(ʻböseʼ) mit Gänse und wird so in einer Wortform realisiert, die es im Afrikaans nicht gibt
(Zimmer i. V.; s. auch Shah 2007: 23–24 u. Kellermeier-Rehbein 2015: 49).
(1) die kwaaien Gänse
Manche Wörter werden auch phonetisch und/oder graphematisch assimiliert. So entspricht die
Artikulation von alright im Namdeutschen üblicherweise nicht der Aussprache in der
Gebersprache Englisch, was z. B. Sell (2011: 129) durch die Schreibweise <oreit> kenntlich
macht. Besonders die Schreibung unterliegt hier aber starker Variation. Neben Entlehnungen
lexikalischen Materials, das dann in der Regel integriert wird, kommt es mitunter auch zu
Code-Switching.
Auch in anderen Bereichen als der Lexik ist das Namdeutsche durch intensiven
Sprachkontakt geprägt. So gibt es z. B. Interferenzen aus dem Afrikaans (vgl. (2) und das
afrikaanse Äquivalent in (3); Beispiele aus Shah 2007: 25).
(2) Ich habe keine Lust, um morgen in der Schule zu gehen.
(3) Ek het nie lus om môre skool toe te gaan nie.
Neben solchen Interferenzen gibt es auch Entwicklungen, die bereits im System des
Deutschen angelegt sind, die im stark multilingual geprägten Kontext eine besondere
Dynamik entwickeln und deshalb von konservativeren Varietäten abweichen, aber nicht auf
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eine direkte Übernahme aus einer Kontaktsprache zurückzuführen sind. Auf diese Weise
interpretieren Wiese et al. (2014: 286–289) Beispiele wie in (4):
(4) ich wusste nich, dass sowas gibs hier in namibia, ich dachte immer, das gibs nur in
australien oder so
Hier gibt es Parallelen zu anderen multilingual geprägten Varietäten, wie z. B. Kiezdeutsch,
einer urbanen Varietät in Deutschland (vgl. z. B. Wiese 2012). Die Kontaktsprachen von
Kiezdeutsch sind gänzlich andere (vornehmlich Türkisch, Arabisch und Kurdisch). Dass es
dennoch auffällige Ähnlichkeiten zwischen Namdeutsch und Kiezdeutsch gibt (vgl. das
Kiezdeutsch-Beispiel in (5); Wiese et al. 2014: 286), spricht dafür, dass es sich hier um eine
im System des Deutschen angelegte Entwicklung handelt und keine unmittelbare Transferenz
aus einer Kontaktsprache.
(5) guck ma, was hier alles noch alles gibs
Bei Mitgliedern der deutschsprachigen Community in Namibia sind in aller Regel
Registerdifferenzierungen zu beobachten. In formellen Situationen sowie im Kontakt mit
europäischen Deutschsprachigen wird üblicherweise sehr standardnah gesprochen, während
man sich in informellen Situationen in der In-Group vom Standard entfernt. Auch wenn im
standardnahen Register vereinzelt grammatische Muster beobachtet werden können, die
zumindest nicht dem Standard in Deutschland entsprechen (auffällig sind z. B. Strukturen wie
in (2)), kommt der Sprachgebrauch diesem Standard häufig außerordentlich nahe. Ein Grund
dafür ist der DaM-Unterricht, der diesbezüglich eine besondere Rolle spielt. Hier wird in aller
Regel der Standard Deutschlands propagiert und Namibismen werden sanktioniert
(Deutschsprachige berichten, dass es bei manchen Lehrkräften sogar üblich war, dass
SchülerInnen für jeden geäußerten Namibismus einen kleinen Geldbetrag in ein im
Klassenraum aufgestelltes Sparschwein werfen mussten.).
Die Wahrnehmung von Namdeutsch ist nun gegenüber dem idealisierten Standard
einerseits geprägt durch Stigmatisierung als „schlechtes Deutsch“ und „Sprachmischung“.
Andererseits haben die linguistischen Namibismen identitätsstiftende Funktion (vgl. z. B.
Schmidt-Lauber 1998: 308–309). Sie dienen zur Abgrenzung von Europa und „sind ein Mittel
neben anderen, die namibische Spezifik zu demonstrieren“ (Schmidt-Lauber 1998: 309). In
diesem Kontext sind auch die Aktivitäten von EES zu sehen, der den von ihm so getauften
Nam-Släng über verschiedene Kanäle promotet (populäre Musik, das Nam-Släng-Wörterbuch,
Youtube-Videos usw.). „Die Varietät kommt dem Bedürfnis nach einem Symbol für die
Identität als deutschsprachige Namibier entgegen“ (Kellermeier-Rehbein 2015: 60).
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3. Deutsch als Fremdsprache
Der Status von Deutsch als Fremdsprache (DaF) unterscheidet sich in Afrika von Land zu
Land sehr stark. Während Deutsch z. B. in einigen frankophonen Ländern Westafrikas (Côte
d’Ivoire, Kamerun, Mali) ein wichtiges Schulfach ist, gibt es in anderen Ländern kaum oder
gar keinen Deutschunterricht (so z. B. in Angola). Für einen ausführlichen Überblick hierzu
vgl. Böhm (2003) sowie verschiedene Beiträge in Krumm et al. (2010).
In Südafrika hat DaF in den vergangenen Jahrzehnten an Bedeutung verloren. Seit den
1970er Jahren ist sowohl die Zahl der Lernenden als auch die der Lehrenden stark
zurückgegangen. 1982 lag die Zahl der DaF-SchülerInnen bei 32.000, 2008 nur noch bei
8.406, die Zahl der LehrerInnen ist im gleichen Zeitraum von 511 auf unter 100 gesunken
(Maltzan 2010: 1806). Ein Grund dafür ist, dass Deutsch aus der Liste der Schulfächer
gestrichen wurde, die Relevanz für die Universitätszulassung haben. In der jüngeren
Vergangenheit wurden zudem verstärkt Stellen im Bereich DaF gestrichen, da diesem Fach
keine besondere Bedeutung beigemessen wird − DaF wird in der Regel aufgrund einer
gewissen Affinität zum Deutschen gewählt, das mitunter als Bildungs- und Kultursprache
wahrgenommen wird, während lebenspraktische Gründe kaum eine Rolle spielen (Böhm
2003: 622–623; Maltzan 2010: 1806). Diese Entwicklung im Bereich der Schule schlägt sich
auch im universitären DaF-Unterricht nieder. Auch hier ist die Zahl der Lernenden im
Vergleich zu den 1970er Jahren zurückgegangen, Stellen wurden gestrichen und German
Departments wurden mit anderen Fächern zu größeren Fachverbünden zusammengelegt
(Böhm 2003: 625−628; Maltzan 2010: 1807−1808).
Anders stellt sich die Situation in Namibia dar: Seit der Unabhängigkeit steigt die
Anzahl der DaF-SchülerInnen kontinuierlich. Im Jahr 2000 lag sie bei 4.126 (Böhm 2003:
547), 2016 bei 8.630 (Shah & Zappen-Thomson 2018). Dies ist in erster Linie damit zu
erklären, dass Deutschkenntnisse die Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen. Vor allem im
Tourismus, der einen zentralen Wirtschaftsfaktor in Namibia darstellt, spielt Deutsch eine
wichtige Rolle. Aber auch in anderen Bereichen gibt es ArbeitgeberInnen, die bevorzugt
BewerberInnen mit Deutschkenntnissen einstellen (Shah & Zappen-Thomson 2018). Seit der
Gründung der ersten Universität Namibias in Windhoek kann auch im universitären Bereich
DaF belegt werden.
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