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Wissenschaftliche Zeitschriften im Wandel am
Beispiel von KULT_online unter OJS 3
Frank Waldschmidt-Dietz / Marcel Wrzesinski
Abstract
Wissenschaftliche Zeitschriften nehmen eine herausragende Rolle in der Wissen-
schaftskommunikation ein, verändern sich jedoch durch die Digitalisierung der-
zeit disruptiv in allen Bereichen. Schreib- und Peer-Review-Prozesse, Produktion
und Veröffentlichung, aber auch die Lesegewohnheiten sind Gegenstand dieses
Wandels. Förderlich für ihre künftige Bedeutung sind Offenheit im Sinne von
Open-Access, die Verzahnung mit neuen Wegen der Kommunikation und der
Wissensverarbeitung sowie die Orientierung an den Nutzer_innen. Open Journal
Systems (OJS) erleichtert die Erstellung und Publikation elektronischer Zeit-
schriften sehr. Mit KULT_online erscheint ein wissenschaftliches Journal auf
Höhe der Zeit, welches die neuen Möglichkeiten erfolgreich umsetzt.
Scientific journals play an outstanding role in scientific communication, but are
currently changing disruptively in all areas as a result of digitalisation. Writing
and peer review processes, production and publication, but also reading habits are
part of this change. Openness in the sense of Open-Access, the integration with
new ways of communication and knowledge processing as well as the orientation
towards the users are conducive to their future significance. Open Journal Sys-
tems (OJS) greatly facilitates the creation and publication of electronic journals.
KULT_online is a modern scientific journal that successfully implements the new
possibilities.
2 Frank Waldschmidt-Dietz / Marcel Wrzesinski
Einleitung
Wissenschaftliche Zeitschriften nehmen seit ihren Anfängen eine herausragende
Rolle in der Wissenschaftskommunikation ein. Vor allem die Digitalisierung er-
fasst jedoch alle Bereiche, am sichtbarsten ist dies am Endprodukt, das sich von
der Printausgabe zum digitalen Journal gewandelt hat. Auch der Weg dorthin hat
sich vollständig verändert: vom Schreibprozess über die Einreichung, den Peer-
Review, das Lektorat, die Produktion und Verbreitung.
Jedoch scheint es einen Entwicklungs-Bruch bei den Lesegewohnheiten der
Leser_innen zu geben. Auch wenn mobile-first für Webseiten längst erwartet
wird, damit diese schnell und von überall aus auf dem Smartphone gelesen wer-
den können, so gilt dies noch nicht für wissenschaftliche Literatur. Eine Hypothe-
se ist, dass das Festhalten am PDF-Format hierfür neben anderen Faktoren zu-
mindest eine Mitschuld trägt. Denn die Mehrzahl der mobilen Lesegeräte – das
sind allem voran die Smartphones – sind für die Lektüre ungeeignet.
Über diese technischen Aspekte hinaus gibt es noch weitere Änderungsfakto-
ren. Zum einen rüttelt der Open-Access-Gedanke am Monopol von Wissen-
schaftsverlagen, fremdes Wissen zu verkaufen. Des Weiteren sind Parallelent-
wicklungen wie z.B. Social-Media-Angebote zu beobachten, welche die Wissen-
schaftskommunikation insgesamt verändern. Und schließlich verändern digitale
Texte auch die Art und Weise ihrer Verarbeitung und ermöglichen gänzlich neue
Formen wissenschaftlichen Arbeitens und Forschens.
Wenn wissenschaftliche Zeitschriften Ihre Bedeutung beibehalten möchten,
müssen sie sich stärker an den Bedürfnissen der Nutzer_innen ausrichten. Ent-
sprechende Möglichkeiten werden im vorliegenden Aufsatz aufgezeigt: Respon-
sive Design und mobile-first, Alternativen zum PDF-Format, das Erhöhen der
Sichtbarkeit z.B. durch social-media und die Unterstützung moderner wissen-
schaftlicher Arbeitsweisen.
Als begleitendes Software-Werkzeug für die Erstellung elektronischer Zeit-
schriften wird im zweiten Kapitel die Software Open Journal Systems (OJS) und
seine Implementation an der Universitätsbibliothek Gießen vorgestellt. Das O-
pen-Access-Rezensionsjournal KULT_online setzt als weltweit eine der ersten
Zeitschriften auf die neue Version OJS 3 und wird im dritten Kapitel vorgestellt.
Der vorliegende Artikel kann als erweiterter Rahmen zu einem thematisch ähnli-
chen Poster betrachtet werden, welches unter anderem im Rahmen des Work-
Wissenschaftliche Zeitschriften im Wandel 3
shops „Zeitschriften als Wissens- und Bildungsmedien“ präsentiert wurde (siehe
Waldschmidt-Dietz 2017).
1. Wissenschaftliche Zeitschriften im Wandel
Seit der Entstehung wissenschaftlicher Zeitschriften in der zweiten Hälfte des 17.
Jahrhunderts hat sich diese Publikationsform in den darauffolgenden 300 Jahren
relativ wenig verändert (Keller 2005, 3–4). Als nächste wirklich bedeutende
Neuerung kann ihre Kommerzialisierung in der Mitte des 20. Jahrhunderts be-
trachtet werden. Seither sind jedoch eine Vielzahl einschneidender disruptiver
Entwicklungen zu beobachten, die weder abgeschlossen sind, noch unabhängig
voneinander betrachtet werden können – allen voran die Digitalisierung (Gröner
2016).
1.1. Zur Rolle wissenschaftlicher Zeitschriften
Vor der Etablierung des wissenschaftlichen Zeitschriftenwesens ab dem 17. Jahr-
hundert fand Wissenschaftskommunikation zwischen den Gelehrten weitestge-
hend verbal in Kollegien, Akademien und wissenschaftlichen Gesellschaften
statt, wo man sich regelmäßig zum Austausch traf. Protokolle und Berichte von
solchen Treffen, Buchbesprechungen und Briefwechsel sorgten für die Beteili-
gung Abwesender (Keller 2005, 2).
Mit der Erfindung des Buchdrucks stand nun endlich auch eine Technologie
bereit, die den nächsten Schritt in der Wissenschaftskommunikation ermöglichte.
Mit Hilfe wissenschaftlicher Zeitschriften konnten Forschungsergebnisse in
strukturierter Form in einem regelmäßig erscheinenden Medium verbreitet wer-
den, begleitet von einer Qualitätsprüfung (Peer-Review). Auch die Urheberschaft
von Ideen, Entdeckungen und Erfindungen konnte so gleich mit festgehalten
werden.
„Zu den Hauptfunktionen einer Zeitschrift zählen der Aufbau einer kollektiven
Wissensbasis, die Vermittlung von Information, die Qualitätsbewertung von For-
schungsergebnissen durch bewährte Begutachtungsverfahren und der Aufbau wis-
senschaftlicher Gemeinschaften mit Systemen zur gegenseitigen Anerkennung.“
(Keller 2005, 4)
Bis heute haben (fach-)wissenschaftliche Zeitschriften eine überragende Bedeu-
tung für die Dokumentation wissenschaftlicher Forschung und den raschen Er-
kenntnisaustausch (Sühl-Strohmenger 2008, 118).
4 Frank Waldschmidt-Dietz / Marcel Wrzesinski
1.2. Von Print zu Digital
Die erste elektronische Zeitschrift „Mental Workload“ erschien im Jahre 1980
und hatte noch experimentellen Charakter (Keller 2005, 16). Den von diesem
Zeitpunkt an unaufhaltsam fortschreitenden Weg der Zeitschrift vom Print-
Medium zur elektronischen Ausgabe kann man unter mehreren Gesichtspunkten
betrachten: Dem Schreibprozess, dem Peer-Review, der Produktion, der Veröf-
fentlichung und Verbreitung mittels Trägermedien und schließlich am Ende der
Kette der Ausgabe- bzw. Lesemedien. Jeder dieser Bereiche hat sich durch die
Digitalisierung massiv verändert:
1. Der Schreibprozess: Textverarbeitungsprogramme und Desktop-
Publishing-Software vereinfachen die Textproduktion massiv und die digi-
talen Artikel können von Herausgeber_innen und Verlagen mit geringem
Aufwand weiterverarbeitet werden. Das kollaborative Erstellen von Arti-
keln wird durch Dokumenten-Clouds sehr erleichtert.
2. Peer-Review und Lektorat: Der Austausch von Dokumenten via E-Mail,
Clouds sowie Systemen mit Kommunikationsmöglichkeiten (wie z.B. OJS)
beschleunigen und vereinfachen das Peer-Review-Verfahren und Lektorat.
Eine noch relativ neue Variante ist der Open-Peer-Review, bei dem die Be-
gutachtung offen einsehbar im Internet stattfindet (vgl. Mumenthaler 2014)
und somit die interaktiven Möglichkeiten des Web 2.0
1
nutzt.
3. Produktion: Einen für gedruckte Zeitschriften erforderlicher, mehr oder
weniger großer Maschinenpark kann nur von größeren Verlagen oder Dru-
ckereien vorgehalten werden. Für elektronische Zeitschriften ist hingegen
im Wesentlichen lediglich gute Software und Knowhow für eine an-
spruchsvolle Produktion erforderlich.
4. Veröffentlichung und Verbreitung: Während für Print-Zeitschriften nun
der Transport und die Verteilung bzw. der Verkauf inklusive Werbung or-
ganisiert werden muss, haben es die reinen Online-Zeitschriften auch hier
leichter. Elektronische Systeme erlauben die Veröffentlichung im Internet
inklusive Benachrichtigung der Abonnenten auf Knopfdruck. Auch die
Werbung kann online einfacher und preisgünstiger erfolgen. Hinzu kommt,
dass Artikel meist über wissenschaftliche Datenbanken oder direkt über
Google gesucht und gefunden werden, also ebenfalls digital.
1
Unter Web 2.0 versteht man keine neue Technologie, sondern den Ansatz, die Beteili-
gung der Nutzer_innen von Internetangeboten zu fördern. Soziale Medien, Kom-
mentarfunktionen, Wikis etc. sind typische Beispiele für Web 2.0-Angebote.
Wissenschaftliche Zeitschriften im Wandel 5
Viele Zeitschriftenverlage bringen Zeitschriften parallel als Print- und On-
line-Variante heraus. Aus der ursprünglichen Intention, zusätzliche Absatz-
kanäle zu generieren, entwickelte sich jedoch schnell das Prinzip „online-
first“, d.h. die Online-Fassung erscheint bereits vor der gedruckten Ausga-
be.
5. Trägermedien: Das Trägermedium Papier ist im Bereich der wissenschaft-
lichen Zeitschriften weitestgehend durch digitale Ausgaben abgelöst. Bevor
das Internet zum dominierenden digitalen Angebot wurde, nahm kurzzeitig
die CD-ROM die Rolle des digitalen Trägermediums ein. Der Bestand ge-
druckter Zeitschriftenabonnements in Deutschland lag im Jahr 2017 in den
Universitätsbibliotheken bei ca. 155.000, während elektronische Abonne-
ments mit einer Größenordnung von 2.263.000 angegeben werden (hbz
2018).
6. Flexibilität und Veränderbarkeit: Reine Online-Zeitschriften können die
Flexibilität des Mediums nutzen, beispielsweise indem sie neue Artikel oh-
ne künstliches Warten auf die Vollständigkeit einer Gesamtausgabe veröf-
fentlichen. Ausgaben werden dann nach neuen Kriterien gebildet und zu
bestimmten Zeitpunkten zusammengestellt und abgeschlossen. Digitale
Medien können zudem relativ leicht verändert/nachgebessert werden. Im
Falle von notwendigen Korrekturen könnte dies als weiterer Vorteil gewer-
tet werden, jedoch stellen sich damit sofort neue Fragen bezüglich der Zu-
verlässigkeit solcher Dokumente. Quellennachweise könnten plötzlich un-
gültig werden, so dass klare Regeln und Versionskontrollen als Mindestan-
forderungen gelten müssen.
7. Ausgabe-/ Lesemedien: Trotz der Dominanz elektronischer Zeitschriften
und der Allgegenwart von Mobilgeräten, welche mobile-first zum neuen
Standard im World-Wide-Web gemacht haben, zeigen neuere Studien eine
Präferenz Studierender für das Print-Format bei akademischer Literatur.
Befragte geben an, besser fokussiert zu sein und sich die Informationen
besser behalten zu können (Aharony und Bar-Ilan 2018; Mizrachi et al.
2018). Es darf vermutet werden, dass wissenschaftliche Artikel zur Lektüre
daher häufig ausgedruckt werden. Format der Wahl in elektronischen Zeit-
schriften ist meist das für den A4-Ausdruck optimierte, statische und nur
auf großen Displays gut lesbare PDF-Format. Es wurde bereits 1993 einge-
führt und bleibt in der verwendeten Form weit hinter den sich heute bieten-
den Möglichkeiten zurück. Mobile-first beispielsweise endet meist am PDF.
In Kapitel 1.5 wird dieser Aspekt genauer aufgegriffen.
6 Frank Waldschmidt-Dietz / Marcel Wrzesinski
1.3. Open-Access (OA)
Open-Access steht für den freien Zugang zu wissenschaftlicher Literatur und
anderen Materialien im Internet (Wikipedia 2018). Als ursächlich für die sich zu
Beginn der 1990er Jahre bildende Open-Access-Bewegung sind vor allem zwei
Entwicklungen hervorzuheben: Einerseits führte die sogenannte Zeitschriftenkri-
se zur Verknappung der zur Verfügung stehenden wissenschaftlicher Literatur
durch starke Konzentrationsbewegungen und einen rasanten Preisanstieg aufsei-
ten der Verlage bei gleichzeitig steigendem Publikationsaufkommen (Bundesin-
stitut für Berufsbildung 2017, 16). Auf der anderen Seite sorgten die im vorheri-
gen Abschnitt beschriebenen Entwicklungen für einen prinzipiell leichten Zugriff
auf wissenschaftliche Literatur über das Internet.
„Das Internet hat die praktischen und wirtschaftlichen Bedingungen für die Ver-
breitung von wissenschaftlichem Wissen und kulturellem Erbe grundlegend ver-
ändert. Mit dem Internet ist zum ersten Mal die Möglichkeit einer umfassenden
und interaktiven Repräsentation des menschlichen Wissens, einschließlich des
kulturellen Erbes, bei gleichzeitiger Gewährleistung eines weltweiten Zugangs
gegeben.“ (Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem
Wissen 2003, 1)
Warum sollte die Kommerzialisierung des Zeitschriftengeschäftes weiter hinge-
nommen werden, wenn aus öffentlichen Geldern bezahlte Wissenschaftler_innen
nicht nur den Content in Form von Forschungsergebnissen für die Zeitschriften
liefern, sondern auch noch die Qualitätskontrolle in Form des Peer-Reviews ma-
chen? Aus dieser Sicht wirkt es tatsächlich befremdlich, wenn das von der All-
gemeinheit finanzierte Wissen zur Lektüre von den Verlagen zurückgekauft wer-
den muss.
Eine der Lösungen lag in der Gründung von Open-Access-Zeitschriften wie
z.B. das hier vorgestellte KULT_online und institutioneller Repositorien für O-
pen-Access, so wie beispielsweise die Giessener Elektronische Bibliothek, in der
dieses Sammelwerk erscheint.
1.4. Parallelentwicklungen
Zu den Veränderungen im Bereich der klassischen wissenschaftlichen Literatur
und Wissenskommunikation gesellen sich weitere, deren enorme Bedeutung sich
für die Zukunft der Wissenschaft bislang nur erahnen lässt. Die neuen digitalen,
meist internetgestützen Kommunikationsmedien des Web 2.0 wie Blogs, Wikis,
Social-Media-Plattformen, Cloudanwendungen etc. erlauben schnellere, direktere
Wissenschaftliche Zeitschriften im Wandel 7
und offenere Kommunikation und vor allem Interaktion. Bereits vor der Veröf-
fentlichung in wissenschaftlichen Zeitschriften findet ein reger Ideen- und Ergeb-
nisaustausch statt, im Falle von Twitter sogar in Echtzeit. Auch die vollständige
Umgehung der alten Strukturen wird praktiziert und sogar Forschungsergebnisse,
welche den Verlagen als nicht veröffentlichungswürdig erschienen, finden so
noch eine Öffentlichkeit.
Freilich stecken in diesen Entwicklungen viele Chancen und Möglichkeiten,
jedoch auch Gefahren. Die Umgehung von Kontrollinstanzen und -strukturen wie
dem Peer-Review öffnet Fake-Science Tür und Tor.
Eine weitere Herausforderung sind multimediale Anreicherungen, welche sich
in den klassischen wissenschaftlichen Publikationsmedien bislang nicht abbilden
lassen. Die Möglichkeiten enden hier bei der Integration von Abbildungen, Gra-
fiken und Tabellen. Moderne digitale Publikationen hingegen erlauben die Ein-
bettung von Videos, Animationen, Audio, Quizzes u.v.m.
Erwähnt werden soll auch die mittlerweile recht einfache Möglichkeit, jenseits
der klassischen Verlagswege Zeitschriften oder Bücher zu publizieren. Bei-
spielsweise bieten viele Hochschulen entsprechende Repositorien oder Journal-
Systeme an. Unter Verwendung von Print-on-demand-Angeboten können von
elektronischen Publikationen schließlich auch mit geringem Aufwand Druckaus-
gaben erzeugt werden.
1.5. Entwicklungen unter dem Aspekt der Nutzerorientierung
„Aus Nutzersicht wünschenswert ist also ein umfassender, einheitlicher und dau-
erhafter Zugang, eine hohe Publikationsgeschwindigkeit, die einfache Handha-
bung, effizientere Such- und Browsing-Möglichkeiten, der Mehrwert durch ver-
netzte Information – beispielsweise durch Aggregatoren - und die Integration des
E-Journal-Angebots in bestehende Informationsinfrastrukturen und Dienstleis-
tungsangebote der Bibliotheken.“ (Sühl-Strohmenger 2008, 120)
Mobile-first
Erkennbar ist eine deutliche Verlagerung von Desktoprechnern hin zu Mobilgerä-
ten, allen voran dem Smartphone – auf die „digital natives“ folgen die „mobile
natives“. Damit – und mit der Digitalisierung generell – geht einher, dass die So-
zialisation Jugendlicher mit Printmedien nicht mehr wie früher stattfindet, als
Zeitungs- oder Zeitschriften-Abonnements im Haushalt noch die Regel waren.
Social Media hat in vielen Fällen die Rolle des Zeitvertreibs und des Informie-
rens übernommen (Gröner 2016).
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Das Gebot des mobile-first für Internet-Content hat seine Ursache in diesem
Wandel und sorgt dafür, dass auch journalistische Inhalte immer stärker auf die
mobile Nutzung zugeschnitten werden. Alle Seitenelemente müssen geräteüber-
greifend leicht bedienbar sein und der Inhalt leicht lesbar.
Abb. 1: Startseite von KULT_online auf Tablet und Smartphone
Problematisches Festhalten am PDF-Format
Während die Veränderungen bei der Hardware und auch bei zeitgemäßen Web-
seiten deutlich zutage treten, zeigen sich die Dateiformate von Artikeln in wis-
senschaftlichen Zeitschriften erstaunlich resistent. Dort dominieren nach wie vor
PDF-Dokumente, welche nur auf größeren Bildschirmen angenehm lesbar sind.
Hinzu kommt, dass auch die Annotations- und anderen Verarbeitungsmöglichkei-
ten meist wenig komfortabel sind. So verwundert die im Abschnitt 1.2 geschil-
derte Präferenz Studierender für das Print-Format deutlich weniger. Möglicher-
weise sind die dort geschilderten Befunde schlicht den fehlenden Alternativen
oder auch der fehlenden Kenntnis geeigneter Verarbeitungswerkzeuge geschul-
det.
Dabei hat sich das XML-Format in Verbindung mit Formatierungssprachen
wie XSL oder CSS eigentlich schon durchgesetzt, so dass die Trennung zwischen
Inhalten, Struktur und Layout prinzipiell auch in elektronischen Zeitschriften
möglich wäre. Somit stünde einer flexiblen Darstellung sowie einer getrennten
Wissenschaftliche Zeitschriften im Wandel 9
Verarbeitung in Abhängigkeit vom Ausgabemedium und der Zielplattform nichts
im Wege. Neben der damit möglichen Berücksichtigung von mobile-first könnten
Artikel damit auch barrierefrei angeboten werden. Die Gründe des Festhaltens am
PDF-Format sind vielschichtig: Fehlendes Bewusstsein und technisch-
methodisches Wissen, das Fehlen einfach zu bedienender Autoren- und Verarbei-
tungstools aber auch die bewusste Zugänglichkeitsbeschränkung zum Schutz von
Möglichkeiten zur Monetarisierung durch Verlage spielen unter anderem eine
Rolle.
Sichtbarkeit von Journals und Artikeln
Egal in welchem Format ein wissenschaftliches Journal oder ein Artikel er-
scheint, sie müssen sichtbar, d.h. mit gängigen Suchmethoden auffindbar sein.
Dazu müssen diese nicht nur in den einschlägigen wissenschaftlichen (Fach-) Da-
tenbanken gelistet sein, sondern möglichst auch in den Bibliothekskatalogen und
den häufig integrierten Discovery-Systemen. Fast wichtiger noch ist jedoch die
Suchmaschinenfreundlichkeit, da wissenschaftliche Artikel immer häufiger via
Google
2
und nicht mit Hilfe wissenschaftlicher Datenbanken gesucht und gefun-
den werden (Lewandowski 2015, 3–4, 249).
Auch die Rolle von Social Media ist in diesem Zusammenhang nicht zu unter-
schätzen, da neu erschienene Artikel oder Journal-Ausgaben von Herausge-
ber_innen, Autor_innen und anderen auf den verschiedenen Plattformen bewor-
ben werden. Aufmerksamkeit in der Wissenschaftscommunity generieren hier vor
allem das Wissenschaftsnetzwerk ResearchGate sowie Twitter.
Hürden tun sich oft zwischen der jeweiligen Landing-Page eines Artikels und
dem Volltext auf, insbesondere wenn die Artikel nicht offen als Open-Access-
Werke lizenziert sind.
Neue Möglichkeiten wissenschaftlichen Arbeitens und Forschens
Modernes wissenschaftliches Arbeiten und Forschen wird durch die formatbe-
dingten Einschränkungen bei wissenschaftlicher Literatur klar behindert. Längst
gibt es Möglichkeiten und Werkzeuge, die über das reine Lesen von Texten hin-
ausgehen. Im Bereich der Forschung kann beispielsweise auf die Auszeichnung
von Textkorpora mit der auf XML basierenden Auszeichnungssprache TEI in den
2
Die Suchergebnisse des auf wissenschaftliche Literatur spezialisierten Google Scholar
werden mittlerweile in die normale Google-Suche integriert
10 Frank Waldschmidt-Dietz / Marcel Wrzesinski
Geisteswissenschaften verwiesen werden. Solche in den Digital Humanities etab-
lierte Methoden weisen in die Richtung eines neuen Umgangs mit Texten.
Doch auch weit niedrigschwelliger kann Literatur im Rahmen wissenschaftli-
chen Arbeitens besser gefunden, gelesen, genutzt und weiterverarbeitet werden.
Bereits das Auffinden hochwertiger wissenschaftlicher Literatur lässt sich durch
Zitationsanalysen mit Diensten wie dem Web Of Science oder dem frei verfügba-
ren Google Scholar auf ein neues Niveau heben. Relativ leicht lassen sich so
nicht nur die renommiertesten, meistzitierten Artikel finden, sondern auch darauf
aufbauende, neuere Publikationen. Hierzu müssen jedoch mindestens die Metada-
ten und idealerweise auch die Volltexte durchsuchbar sein.
Liegen die Dokumente digital vor und können heruntergeladen werden, kann
mit Werkzeugen wie beispielsweise einer Wissens- und Literaturverwaltung wie
Citavi die Auswertung erfolgen. Lesen wird dort durch Annotationsmöglichkei-
ten erleichtert und Zitate können entnommen werden. Auch eine Volltextsuche ist
möglich – bei Bedarf sogar dokumentübergreifend. So könnten beispielsweise
sämtliche Artikel nach bestimmten Begriffen durchsucht werden, welche von der
Software im jeweiligen Satzkontext übersichtlich dargestellt werden. Eine solche
Form der Textanalyse war mit Print-Publikationen noch undenkbar.
Auch die Textproduktion verändert sich mit solchen Werkzeugen. Anstatt von
Beginn an in einer Textverarbeitung zu arbeiten, kann das entnommene und
durch eigene Gedanken angereicherte Wissen zunächst organisiert und struktu-
riert werden. Eine Gliederung lässt sich bereits in Citavi oder einem MindMap-
ping-Tool wie Docear entwickeln und Wissenselemente können direkt zugeord-
net werden. So braucht ein Textverarbeitungsprogramm erst ganz am Ende des
Schreibprozesses ins Spiel zu kommen.
2. OJS – Software für elektronische Zeitschriften
Viele im World-Wide-Web verfügbaren elektronischen Zeitschriften wurden in
der Vergangenheit kurzerhand in HTML selbst programmiert und meist auf insti-
tutionellem Webspace bereitgestellt. Dabei wurden allerlei Hilfsmittel genutzt,
welche auch bei der generellen Erstellung von Webseiten im Einsatz waren, seien
es HTML-Editoren oder Content-Management-Systeme (CMS). Relativ früh
setzte jedoch auch die Entwicklung spezieller Software für wissenschaftliche
Zeitschriften ein, um den Bedürfnissen aller im Produktionsprozess Beteiligten
und auch der Leser_innen gerecht zu werden.
Wissenschaftliche Zeitschriften im Wandel 11
2.1 Open Journal Systems (OJS)
Ein solch spezialisiertes System bildete sich mit Open Journal Systems (OJS)
heraus, dessen erste Version im Jahr 2001 erschien. OJS ist eine Open Source
Software zur Verwaltung und Veröffentlichung von wissenschaftlichen Zeit-
schriften, die vom amerikanischen Public Knowledge Project (PKP) entwickelt
wird. OJS bildet den vollständigen Redaktionsworkflow wissenschaftlicher Zeit-
schriften inklusive Peer-Review ab. Die meisten mit OJS gehosteten Zeitschriften
erscheinen im Open-Access (Public Knowledge Project 2018).
2005 kam Version 2 und erfuhr für viele Jahre nur relativ kleine Anpassungen.
Erst 2016 erschien das grundlegend überarbeitete OJS 3 und griff damit die ver-
änderten Web-Standards des Responsive Design und der Anpassung an Mobilge-
räte in allen Programmteilen auf. Das Lesen und Verwalten von Zeitschriften und
Artikeln ist seither geräteübergreifend möglich.
2.2 Der Redaktions-Workflow in OJS 3
Abb. 2: Screenshot Redaktionsworkflow in OJS
Die Oberfläche für den Redaktionsworkflow ist mit OJS 3 von der Online-
Präsentation der Zeitschrift abgekoppelt worden. Für das Redaktionsteam ergibt
sich so eine klare und am Redaktionsworkflow wissenschaftlicher Zeitschriften
orientierte Struktur für Einreichung, Peer-Review, Lektorat und Produktion.
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Die Erstellung der Artikel erfolgt hingegen ausdrücklich nicht in OJS, sondern
bleibt den Software-Vorlieben der Autor_innen vorbehalten. OJS erzeugt
Landing-Pages, welche auf die Artikel in unterschiedlichen Formaten verweisen
können. Somit können Artikel-Dateien im Redaktionsworkflow im Format der
Standard-Textverarbeitung ausgetauscht werden, bevor final in den für das Lesen
besser geeigneten Formaten veröffentlicht wird. Neben dem klassischen PDF-
Format können das z.B. HTML-Seiten oder auch beliebige andere Formate sein.
2.3 OJS an der Universitätsbibliothek Gießen
An der Universitätsbibliothek Gießen gab es schon länger Überlegungen, das
Hosting für wissenschaftliche Zeitschriften mit OJS anzubieten. Das nicht mehr
zeitgemäße Erscheinungsbild von OJS 2 schreckte jedoch Interessierte ab. Als
2016 endlich OJS 3 erschien, war die Universitätsbibliothek Gießen eine der ers-
ten Einrichtungen, die das neue System bereitstellten. OJS wird hier als soge-
nannte Multi-Journal-Installation betrieben, d.h. mit einem System können meh-
rere Zeitschriften betrieben werden.
Mit KULT_online (siehe Kapitel 3) fand sich ein erstes wissenschaftliches
Journal, welches den neuen Weg gemeinsam mitzugehen bereit war. Mit
KULT_online erschien damit weltweit eine der ersten Zeitschriften mit OJS 3 im
Produktivbetrieb.
Die von der Universitätsbibliothek Gießen gehosteten Zeitschriften basieren
auf dem OJS 3-Standard-Layout. Dennoch lässt sich das Corporate Design einer
Zeitschrift in OJS über verschiedene Wege abbilden: Über die Weboberfläche
lassen sich z.B. Logo, Titelgrafik oder Fußzeile verändern. Das Verwenden eige-
ner Style sheets (CSS) erlaubt weitergehende, unkomplizierte Anpassungen.
Schließlich bieten zahlreiche PlugIns zusätzliche Möglichkeiten.
Wissenschaftliche Zeitschriften im Wandel 13
Abb. 3: Design-Anpassungen bei KULT_online
An einigen Stellen wurde an der OJS-Installation der Universitätsbibliothek Gie-
ßen nachjustiert, beispielsweise um die HTML-Ansicht von Artikeln besser in
das Journal- Design zu integrieren.
3. KULT_online
KULT_online ist das interdisziplinäre Open-Access-Rezensionsjournal des Gie-
ßener Graduiertenzentrums Kulturwissenschaften (GGK) und des International
Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC). KULT_online erscheint seit
2003 mit zwei Ausgaben pro Semester und veröffentlicht Rezensionen sowie
Veranstaltungsberichte. Dabei sichert ein wissenschaftlicher Beirat die Exzellenz
der Veröffentlichungen. KULT_online richtet sich vor allem an Nachwuchwis-
senschaftler_innen und bietet den idealen Einstieg ins wissenschaftliche Publizie-
ren. Seit der im Mai 2017 erschienenen 50. Jubiläumsausgabe wird KULT_online
unter OJS 3 und mit Creative-Commons-Lizenzen bereitgestellt.
14 Frank Waldschmidt-Dietz / Marcel Wrzesinski
Im Web ist KULT_online zu finden unter
https://journals.ub.uni-giessen.de/kult-online.
4. Fazit
Nimmt man die im ersten Kapitel geschilderten Aspekte des durch die Digitali-
sierung getriebenen Wandels zusammen, so wagen wir folgende Hypothese: Die
Erhöhung der Sichtbarkeit (z.B. durch OA) in Verbindung mit der Lesefreund-
lichkeit (durch PDF-Alternativen) und besseren Weiterverarbeitungsmöglichkei-
ten (durch bessere Werkzeuge) dürfte die Akzeptanz und Reichweite wissen-
schaftlicher Zeitschriften positiv beeinflussen.
Die Rolle wissenschaftlicher Zeitschriften wird sich im Zuge neu aufgekom-
mener und künftig aufkommender Kommunikationsmöglichkeiten verändern.
Ihre Stärken müssen klar herausgearbeitet werden und es sollten sich vielfältige
Verbindungen zu neuen Formen der Wissenskommunikation herausbilden. Dabei
gilt es immer, einen offenen Blick für die Nutzer_innen und ihre Bedürfnisse und
Gewohnheiten zu bewahren.
Journals, denen es gelingt mit dem Wandel Schritt zu halten, haben gute Chan-
cen, dass ihre Artikel in Zukunft auch auf Smartphone oder Tablet zwischen so-
zialen Medien, Blogs & Co gelesen werden. Eben auch einfach einmal zwischen-
durch, wenn Zeit ist – vielleicht während der Fahrt in Bus oder Bahn.
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16 Frank Waldschmidt-Dietz / Marcel Wrzesinski
Biografische Notiz
Frank Waldschmidt-Dietz ist Diplom-Pädagoge und arbeitet an der Universitäts-
bibliothek der JLU Gießen in den Bereichen E-Learning, Informationskompetenz
sowie digitalem Publizieren. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich
der Didaktik: Mit dem Konzept des Bedürfnis-orientierten Lern-Designs (BoLD)
sowie dem Didaktikrad verbindet er digitale, analoge und personale Vermitt-
lungsressourcen. Weitere Interessen sind Open Educational Resources (OER) und
Open Access (OA).
Marcel Wrzesinski (M.A.) war von 2013 bis 2018 Mitherausgeber und Redakteur
von KULT_online am International Graduate Centre for the Study of Culture in
Gießen. Gegenwärtig forscht er im Projekt „Open Gender Platform“ am Marghe-
rita-von-Brentano-Zentrum der Freien Universität Berlin zu Publikationsinfra-
strukturen und Open Access in der Geschlechterforschung. Er ist Redakteur des
OA-Journals „Open Gender Journal“ und Mitglied im Vorstand der Fachgesell-
schaft Geschlechterstudien. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich Open
Access und eJournals, sowie politische Manifeste, soziale Utopien und Nach-
kriegsavantgarden.