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Die „Initiative Bunte Wiese“:
ein neues Mahdkonzept als Beitrag zur Reduzierung des Insektensterbens.
Philipp Andreas Unterweger
Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Institut für Evolution und Ökologie
Abstract: The initiative “Bunte Wiese Tübingen” (“colourful meadow Tübingen”) has campaigned
since 2010 for species-diversity protection in the urban area of Tübingen in order to lessen
the negative impacts of biodiversity loss. The project instigated the reduction of the intense
maintenance of selected lawns scattered all over the city into a twice-a-year programme in
order to establish colourful (i.e. species-rich) meadows. The success of these measures was
conrmed by entomological and botanical studies. The data obtained from these studies should
help to improve and create an integrated management system for a sustainable and ecological
green environment.
Key Words: Coleoptera, Diptera, Heteroptera, Hymenoptera, green land, insect conservation,
insect decline, insect hibernation, lawn, Lepidoptera, meadow, urban, urban ecology
Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, Institut
für Evolution und Ökologie, Evolutionsbiologie der Invertebraten, Auf der Morgenstelle 28E.
D-72076 Tübingen; E-Mail: philipp.unterweger@uni-tuebingen.de
Zielsetzung
Die studentische Initiative „Bunte Wiese“ (https://www.buntewiese-tuebingen.de) wurde im Jahr der
Artenvielfalt 2010 von Studierenden und Mitarbeitern der Universität Tübingen gegründet (U
n t e r w e G e r
& al. (2013); U
n t e r w e G e r
& B
r a U n
(2015); U
n t e r w e G e r
& al. (2015)). Diese Initiative greift Ideen
der weltweiten Artenschutzbemühungen auf und versucht, diese im innerstädtischen Raum umzusetzen.
Dabei strebt sie eine naturschutzfachliche Optimierung der Grünächenpege unter dem Gesichtspunkt
der Erhöhung der Biodiversität auch im Siedlungsbereich an.
Oft spielen die Art der bisherigen Nutzung, Kostengründe und ein ästhetischer Minimalkonsens
die Hauptrolle für das Anlegen und Pegen von Rasenächen und gemulchten Wiesen innerhalb der
Stadt. Das Ziel der Initiative „Bunte Wiese“ ist es daher, möglichst viele wenig genutzte innerstädtische
Flächen der Stadt Tübingen auf ein zweischüriges Mahdregime umzustellen, um so artenreiche Wiesen
zu etablieren und zu erhalten. Seit dem Winter 2009/2010 wurden Informationen gesammelt, Flächen
qualitativ erfasst und kartiert. Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung (auch anderer Städte)
wurden kontaktiert und Ideen zusammengebracht.
Das Erstellen des Pegekonzeptes beinhaltete Überlegungen aus botanischer und zoologischer Sicht.
Die botanische Optimierung (A) beinhaltet eine zweimalige Mahd mit anschließendem Abräumen des
Schnittgutes zur Förderung der Panzenvielfalt.
Neben diesem zweischürigen Konzept (A) wurden auch Flächen angelegt bzw. in der Pegeart
umgestellt, welche zum einen durch einen einmaligen Schnitt im Frühjahr (B) Überwinterungshabitat
bieten sollen, beziehungsweise durch einen einmaligen Schnitt im Herbst (C) die Imaginalentwicklung
von Spätsommerinsekten schützen sollen (zoologische Optimierung). Dieses dreigliedrige Mahdkon-
zept (A,B,C) führt mittelfristig zu artenreichen und multifunktionalen Wildblumenwiesen (U
n t e r w e G e r
(2018)).
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Wissenschaftliche Arbeiten
Um die Ziele der Initiative wissenschaftlich zu begleiten, werden im Rahmen des Projekts studentische
Abschlussarbeiten (Bachelor, Diplom, Staatsexamen) angefertigt.
Im Bereich der Zoologie wurden Arbeiten von Kandidaten der Abteilung für Evolutionsbiologie
der Invertebraten (Institut für Evolution und Ökologie) unter der Leitung von Prof. Dr. Oliver Betz
durchgeführt. In diesen Arbeiten wurde der Wert extensiv gepegter Grünächen gegenüber intensiv
gepegten Flächen im Hinblick auf die Insektenfauna verglichen.
Die Coleopteren (Käfer) wurden von aD e & al. (2012) untersucht; wa s t i a n & al. (2016) untersuch-
ten die Wildbienenfauna; Kr i c K e & al. (2014) untersuchten die Tagfalterzönose; hi l l e r & Be t z (2014)
untersuchten die Auswirkung der Mahdhäugkeit auf die Heuschreckenzönosen; U
nterweGer
& al.
(2017) untersuchten die Wanzen (Heteroptera).
Alle Ergebnisse zeigen deutlich quantitative Unterschiede der Fänge zwischen den Flächenpaaren
(Rasen versus Wiese). Betrachtet man die Rasenächen, so sind hier nur sehr geringe Fangzahlen zu
verzeichnen. Diese Befunde belegen, dass häuges Mähen zu einem starken Rückgang der Insekten auf
den Flächen führt. Die Zahl seltener Arten ist auf den untersuchten Wiesenächen der Stadt Tübingen
höher als auf den Rasenächen. Rote Liste Arten traten ausschließlich auf Wiesenächen auf.
Dieses Ergebnis zeigt, dass sich der eigentliche Nutzen dieser Arbeit mittel- und langfristig ein-
stellen wird. Dazu ist eine dauerhafte Etablierung des extensiven Mahdregimes auf Grünächen nötig.
Die weitere Optimierung der naturschutzfachlichen Grünlandpege konnte in einer umfangreichen
entomo-ökologischen Freilandstudie untermauert werden. Insektenschutz ist eine Herausforderung auf
verschiedenen Ebenen. Ein weitgehend unbearbeitetes Feld ist die Qualität von ungestörten Wiesenä-
chen als Überwinterungslebensräume für Insekten. Daher wurden Wiesen untersucht (Unterweger et
al. 2018), die im Herbst nicht gemäht wurden und den Winter als Altwiesenbestände überdauerten. In
standardisierten Eklektorversuchen wurden 13511 Insekten gesammelt, die den Ordnungen Heterop-
tera (Wanzen), Hymenoptera (Hautügler, hier: Bienen und Wespen), Coleoptera (Käfer) und Diptera
(Fliegen) zugeordnet werden konnten. Dabei konnten 120 Familien, 140 taxonomische Arten und
324 Morphotypen unterschieden werden, die in den Monaten Februar bis Juni in zunehmender Masse
schlüpften. Die Daten unterstreichen den Wert von Winterbrachen für die Insektenüberwinterung, da
die Schlupfrate auf ungemähten Beständen höher ist. Ungemähte Wiesen bieten zusätzliche Panzen-
strukturen (Blütenköpfe, Stängel), die auf gemähten Wiesen fehlen. Diese erhöhte Strukturdiversität
führt zu höheren Arten-, Morphotypen- und Individuenzahlen während des Frühlings. Die Ergebnisse
dieser Freilandstudie beweisen, dass ungemähte Strukturen von Wiesen für das Überleben von Insekten
jeglicher Entwicklungsstufen notwendig sind. Sie empfehlen zumindest eine Mosaikmahd auf Wiesen,
Wegrändern, Flussufern und anderer grüner Infrastruktur.
Die Kombination dieser Ergebnisse zeigt, dass ein neues Verständnis der Grünächenpege etabliert
werden muss. Dieses „neue Verständnis“ ist eigentlich nicht neu. Es erfordert die Rücknahme mensch-
lichen Handelns mit dem Ziel des Stehenlassens und der Akzeptanz von Brachen und ungepegten
Säumen, Rändern und Rainen. Die klassischen Überwinterungshabitate waren nie auf den großen Wiesen
zu nden, sondern in den vielen ungemähten Rainen, Rändern, Böschungen, Hinterhöfen und Ufern.
In diesen Bereichen konnten Insekten ungestört auf die nächste Vegetationsperiode warten. Moderne
Pegemaschinen, die „Lust am Mähen“, die Hochtechnisierung der Gesellschaft führten zu einem
übersteigerten Ordnungs- und Fleißbewusstsein. Ein Sinneswandel tut not, der die Natur wieder in all
Ihren Erscheinungsformen akzeptiert werden lässt.
Empfehlung zur Nachahmung:
Die Initiative „Bunte Wiese – für Artenvielfalt in öffentlichem Grün“ strebt an, Nachahmer und Partner
auch an anderen (Universitäts-) Standorten und Städten zu nden und gibt ihre Erfahrungen gerne an
Interessierte weiter.
Zudem rät die Initiative Bunte Wiese die Einbindung von extensiver Grünächenpege in allen
Grünlandökosystemen (ländliche und städtische Wiesen, Wegränder, Feldraine und Randhabitate) in
die Aktionspläne zur Verringerung des Biodiversitätsverlusts.
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Referenzen:
aD e , J., wo l f -sc h w e n n i n G e r , K. & Be t z , o. (2012). Auswirkungen der Wiesenmahd auf verschiedene
Käferarten ausgewählter Grünächen im Stadtgebiet Tübingens. – Jahreshefte der Gesellschaft für
Naturkunde in Württemberg. 168: 199-216.
hi l l e r , D. & Be t z , o. (2014). Auswirkungen verschiedener Mahdkonzepte auf die Heuschreckenfauna
städtischer Grüächen. – Naturschutz und Landschaftsplanung. 46(8): 241-246.
Kr i c K e , c., Ba M a n n , t. & Be t z , o. (2014). Einuss städtischer Mahdkonzepte auf die Artenvielfalt der
Tagfalter. – Naturschutz und Landschaftsplanung. 46: 052-058.
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(2013): Langfristige Etablierung extensiver Grünächenpege in Stadtgebieten. Die Initiative „Bunte
Wiese“ der Stadt Tübingen. – Treffpunkt Biologische Vielfalt XII: interdisziplinärer Forschungs-
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eit
, K
orn
, h.).
BfN, Außenstelle Vilm, Insel Vilm.
Un t e r w e G e r , P. & Br a U n , a. (2015). Die Initiative Bunte Wiese: Machen wir’s bunt. – Natur und Garten.
1/2015: 54-55.
Abb. 1: Zur Reduzierung des Nährstoffhaushalts ist eine zweimalige Mahd für viele Blütenpanzen unverzichtbar.
Diese zweifache Mahd orientiert sich an der klassischen Heuwirtschaft und sorgt mit zwei Schnittperioden (A:
Ende Mai – Ende Juli sowie B: Anfang August – Ende Oktober) für Blütenvielfalt. Die Herbstmahd (B: Anfang
August – Ende Oktober) ermöglicht es „Spätsommerinsekten“ den Lebenszyklus durch die verschiedenen Lar-
venstadien hindurch ungestört zu absolvieren. Die späte Mahd erlaubt es den nun mobilen, erwachsenen Tieren zu
üchten. Die Sommermahd (A: Ende Mai – Ende Juli) entnimmt der Fläche lediglich im Sommer die Biomasse.
Überwinternde Insekten sind zu diesem Zeitpunkt bereits ausgeschlüpft und können auf den anderen Flächen
Schutz vor der Mahd nden. Die Pfeile symbolisieren Migrationsbewegungen, mit denen mobile Insekten den
Mähereignissen ausweichen können. Schnittperioden sollen das synchrone Mähen vermeiden. Die Bezugslinie
zeigt, dass auch die Schnitthöhe variabel sein sollte, um Amphibien und größeren Insekten die Möglichkeit des
Wegduckens zu ermöglichen und zugleich offene Stellen für Samen und erdabhängige Insekten zu schaffen.
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Un t e r w e G e r , P., Br a U n , a., Bo e s s , r., Ko l t z e n B U r G , M. & Be t z , o. (2015). Langfristige Etablierung
extensiver Grünächenpege in Stadtgebieten. Vorstellung der Initiative „Bunte Wiese“ der Stadt
Tübingen. – DGaaE-Nachrichten. 29(2): 73-80.
U
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w
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, P.a. & B
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