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Uwe Schneidewind
Die Große Transformation
Eine Einführung in die Kunst des gesellschaftlichen Wandels
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rig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung
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© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
5
Inhalt
Vorwort der Her aus ge ber
Entwürfe für eine Welt mit Zukunft 7
1. »Making Utopia possible« – Eine Einführung
in das Buch 9
TEIL A: Ansatz – Nachhaltigkeit als kulturelles Projekt
2. Nachhaltige Entwicklung als kulturelle Revolution 23
3. Zukunftskunst – Ein neuer Blick
auf die Zivilisationswende 32
4. Drei Transformationsschulen und die Macht der Ideen 44
5. Doppelte Entkopplung –
Jenseits der »Grünen Ökonomie« 54
6. Nachhaltige Entwicklung und die Transformation
des modernen globalen Kapitalismus 65
7. Nachhaltige Entwicklungsziele (SDGs) –
Globaler Kompass für eine nachhaltige Welt 107
8. Von den »Grenzen des Wachstums«
zu den »planetaren Grenzen« – Angekommen
im Zeitalter des Menschen 121
9. Die Klimafrage – 2 Grad oder Auf dem Weg
zur dekarbonisierten Weltwirtschaft 136
10. Die 8-Tonnen-Gesellschaft –
Den ökologischen Rucksack verkleinern 155
6
TEIL B: Arenen – Sieben Wenden für die Große Transformation
11. Wohlstands- und Konsumwende 172
12. Energiewende – Suffizient, effizient, regenerativ 190
13. Ressourcenwende – Auf dem Weg
zu einer ressourceneffizienten Kreislaufwirtschaft 208
14. Mobilitätswende – Umsteuern in
einem umkämpften Feld 223
15. Ernährungswende – Umwelt und Gesundheit
zusammenbringen 243
16. Urbane Wende – Stadtentwicklung
zwischen Quartier und Region 261
17. Industrielle Wende – Grundstoffindustrien
zukunftsfest machen 279
TEIL C: Akteure – Transformation in geteilter Verantwortung
18. Zivilgesellschaft als Taktgeber
der Großen Transformation 301
19. Politik bewegen 328
20. Auf dem Weg zum nachhaltigen
Unternehmertum – Die Rolle von Unternehmen
in der Großen Transformation 361
21. Auf dem Weg zur Möglichkeitswissenschaft –
Konturen einer gesellschaftsorientierten Wissenschaft 429
22. Pioniere des Wandels als Motoren
der Großen Transforma tion 452
23. Kompass für die Zukunftskunst –
Das Wuppertaler Transformationsmodell 476
Anmerkungen 480
Literaturverzeichnis 481
1. »Making Utopia possible« 9
1. »Making Utopia possible«
Eine Einführung in das Buch
Wird die Welt des Jahres 2050 eine bessere und nachhaltigere
sein? Wer und was entscheidet eigent lich, in welche Richtung
sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in den nächsten
Jahrzehnten entwickeln? Werden neue Technologien oder
ein massiver kultureller Wandel die Hoffnungen auf eine
Zivilisation befeuern, die Menschen gleiche Entwicklungs-
chancen überall auf der Welt ermöglicht – trotz begrenzter
ökologischer Ressourcen? Hat angesichts zunehmender öko-
logischer und sozialer Her aus for de run gen der Kapitalismus
in seiner heutigen Form noch eine Zukunft? Oder wird er
gerade zur Lösung der Her aus for de run gen gebraucht? All
das sind Fragen, mit denen sich die Diskussion zur »Großen
Transformation« beschäftigt.
Eines scheint dabei klar: Das 21. Jahrhundert verspricht ein
weiteres Jahrhundert des massiven Umbruchs in der Mensch-
heitsgeschichte zu werden. Oft scheint uns die Zukunft dabei
»zu ereilen« – mit technologischen, ökonomischen, politi-
schen, gesellschaftlichen und ökologischen Dynamiken. Ist es
möglich, die aktuellen systemischen Dynamiken so zu ver-
stehen, dass sie sich von Akteuren in Politik, Wirtschaft und
Zivilgesellschaft in kon struk tive Impulse umwandeln lassen?
Was sind wissenschaftlich basierte »Erzählungen«, die Ori-
entierung geben für die Gestaltung eines menschengerechten
21. Jahrhunderts?
10 1. »Making Utopia possible«
Das vorliegende Buch stellt sich diesen Fragen und baut mit
seinem Titel auf zwei prominenten Schlüsselpublikationen
der letzten 70 Jahre auf: Karl Polanyis »Great Transforma-
tion« und der dort gelieferten grandiosen Analyse der Entbet-
tungsmechanismen des modernen Kapitalismus sowie dem
Hauptgutachten »Welt im Wandel« des Wissenschaftlichen
Beirates der Bundesregierung Globale Umweltveränderun-
gen (WBGU) aus dem Jahr 2011. Letzteres nutzte den Begriff
der »Großen Transformation«, um die Epochenumbrüche des
21. Jahrhunderts im Lichte einer Nachhaltigen Entwicklung
zu kennzeichnen, und hat damit die Nachhaltigkeitsdebatte
der letzten Jahre sehr beeinflusst.
Der Begriff der »Großen Transformation« in der 2011 vom
WBGU eingebrachten Form wird damit zur Grundlage für
ein identitätsstiftendes transdisziplinäres Narrativ. Es ver-
dichtet ökologische, technologische, ökonomische, sozial-
und kulturwissenschaftliche Erkenntnisse zu einem Hoff-
nung gebenden Gestaltungsprogramm. Es ist eng verbunden
mit dem Selbstverständnis des Wuppertal In sti tuts, das seit
seiner Gründung Anfang der 1990er Jahre ökologische, tech-
nologische, ökonomische und gesellschaftliche Perspektiven
verbindet, um die Utopie einer Nachhaltigen Entwicklung zu
ermöglichen. Dieses Buch führt in die Erzählung der »Großen
Transformation« ein und stützt sich dabei auf zen trale Kon-
zepte und Theoriebausteine der Debatte sowie die Erfahrun-
gen des Wuppertal In sti tuts.
Mit dem Anspruch, diese unterschiedlichen Aspekte des
Nachhaltigkeits- und Transformationsdiskurses auf ein an der
zu beziehen, wagen wir ein ambitioniertes Unterfangen –
ähnlich tollkühn, wie es schon der WBGU 2011 mit seiner
Referenz auf Karl Polanyi getan hat. Die Arbeit des Wup-
pertal In sti tuts ist aber von der Überzeugung getragen, dass
1. »Making Utopia possible« 11
nur systemische Herangehensweisen, die auch einen breiten
inter- und transdisziplinären Brückenschlag nicht scheuen,
Orientierung in einer kom ple xer werdenden Wirklichkeit
bieten. Dies gilt umso mehr in einer Zeit, in der im Wissen-
schaftssystem angesichts zunehmender Spezialisierung der
Mut zu solchen Entwürfen eher ab- als zunimmt. Daher freu-
en wir uns, dass Sie sich als Leserin und Leser auf diese Reise
einlassen.
Vor diesem Hintergrund greift das Buch das Konzept der
Großen Transformation auf: Die Große Transformation be-
schreibt einen massiven ökologischen, technologischen, öko-
nomischen, institutionellen und kulturellen Umbruchprozess
zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Dieser Prozess ist keine ge-
sichtslose systemische Dynamik, sondern von Menschen ini-
tiiert und geprägt und damit grundsätzlich auch gestaltbar.
Den Kompass und die Ansatzpunkte für diese Gestaltung
zu verstehen und zu nutzen, bedarf es vieler Akteurinnen
und Akteure und einer besonderen (transformativen) »Li-
teracy«, d. h. einer Kompetenz, diese Dimensionen in ihrem
Zusammenspiel zu verstehen, und der Kunstfertigkeit, dieses
Verständnis in Beiträge zu einer Nachhaltigen Entwicklung
umzusetzen. Diese »Zukunftskunst« in ihrer Mehrdimensio-
nalität wird im Zen trum des Buches stehen.
In diesem Sinne stützen wir uns auf bestehende konzep-
tionelle und theoretische Zugänge, die einen Hinweis dar-
auf geben, wie die Umbruchphase im 21. Jahrhundert in eine
menschengerechte Vision münden kann: gleiche und hin-
reichende Entfaltungschancen für die Menschen auf diesem
Planeten, heute und zukünftig – innerhalb der bestehenden
planetaren Grenzen. Genau das steckt hinter der ursprüng-
lichen Nachhaltigkeitsdefinition der Brundtland-Kommission
aus dem Jahr 1987. Die Kommission bezeichnete Nachhaltige
12 1. »Making Utopia possible«
Entwicklung als eine Entwicklung, »die den Bedürfnissen
der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten
künftiger Generationen zu gefährden, ihre eige nen Bedürf-
nisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.« Heute
ist die Welt von einer solchen Vision noch weit entfernt: in
ökologischer Hinsicht, mit Blick auf soziale Gerechtigkeit und
in der Art des globalen Wirtschaftens.
Wir werden unter Rückgriff auf aktuelle Debatten auf-
zeigen, wie ein Umsteuern dennoch gelingen kann, wie sich
Wirtschaftsordnung und technologische Möglichkeiten wei-
terentwickeln können, wie diese Veränderungen in geeignete
institutionelle Rahmen und insbesondere in einen kulturel-
len Wandel einzubetten sind. Wir werden einen Blick auf die
Rolle werfen, die dabei Politik, Unternehmen, Wissenschaft
und Zivilgesellschaft zukommen, und darauf, mit welchen
Ressourcen und welcher Haltung sich jeder individuell als
Pionierin und Pionier des Wandels in den Prozess der Großen
Transformation einbringen kann.
TECHNOLOGISCH ÖKONOMISCH
KULTURELL INSTITUTIONELL
ZUKUNFTS-
KUNST
Abb. 1.1: Die vier
Dimensionen der
Zukunftskunst.
Quelle: Eigene Darstellung
in Anlehnung an
Schneidewind, 2013, S. 83
1. »Making Utopia possible« 13
Drei Besonderheiten zeichnen das Buch als Beitrag zur ak-
tuellen Nachhaltigkeitsdebatte aus:
1. Es ist integrativ: Es liefert einen übergeordneten Rahmen,
aus dessen Blickwinkel eine große Zahl bestehender Kon-
zepte der aktuellen Nachhaltigkeits- und Transformations-
debatte auf ein an der bezogen werden.
2. Es ist ökonomisch pluralistisch: Es setzt sich – hier ganz im
Sinne Karl Polanyis – aktiv mit der Zukunft unserer Wirt-
schaftsordnung als einem Kernelement einer gelingenden
Nachhaltigkeitstransformation aus ein an der.
3. Es ist akteursorientiert: Es stellt aufbauend auf seiner
Analyse am Ende Akteure ins Zen trum und definiert die
Anforderungen an Politik, Unternehmen, Wissenschaft
und Zivilgesellschaft in der Großen Transformation.
Das Buch versteht sich als Beitrag zu einer »transformativen
Wissenschaft«. Damit ist eine Wissenschaft gemeint, die Ver-
änderungsprozesse informieren und auch aktiv anstoßen
möchte. Es liefert ein »Narrativ«,1 einen hermeneutischen
Versuch, der aufbauend auf sehr unterschiedlichen Theorie-
ansätzen Akteuren in der Transformation eine Orientierung
gibt.
Das Buch gliedert sich in drei Teile, um seinen Anspruch
einzulösen (vgl. Abb. 1.2):
(1) Teil A entwickelt den spezifischen Ansatz des Buches:
Er führt in Nachhaltigkeit als eine kulturelle Revolution und
als ein zen tra les Zivilisationsprojekt des 21. Jahrhunderts ein.
Auf dieser Grundlage entwickelt er das den Leser durch das
gesamte Buch begleitende Konzept der »Zukunftskunst«.
Schließlich legt er die theoretischen Grundlagen dafür,
Transformationsprozesse zu verstehen, und zeigt in diesem
Lichte, war um die aktuelle Wirtschaftsordnung ein Dreh-
14 1. »Making Utopia possible«
1 EINFÜHRUNG
23 DAS WUPPERTALER
TRANSFORMATIONSMODELL
PERSPEKTIV-
WECHSEL
NACHHALTIGKEIT
KONKRET
2Nachhaltigkeit
als kulturelle
Revolution
3Zukunftskunst
4Transformations-
schulen
5Doppelte Ent-
kopplung
6
Nachhaltigkeit
und moderner
Kapitalismus
7Nachhaltige
Entwicklungs-
ziele (SDGs)
8Planetare
Grenzen
9Dekarboni-
sierung
10 Die 8-Tonnen-
Gesellschaft
SIEBEN
WENDEN
11 Wohlstands-
und
Konsumwende
12 Energiewende
13 Ressourcen-
wende
14 Mobilitätswende
15 Ernährungs-
wende
16 Urbane Wende
17 Industrielle
Wende
GETEILTE
VERANTWORTUNG
AKTEURE
Transformation
in geteilter Ver-
antwortung
18 Zivilgesellschaft
19 Politik
20 Unternehmen
21 Wissenschaft
22 Individuum
C
ARENEN
Sieben Wenden
für die Große
Transformation
B
ANSATZ
Nachhaltigkeit als
kulturelles Projekt
A
Abb. 1.2: Aufbau des Buches
1. »Making Utopia possible« 15
und Angelpunkt für eine »Große Transformation« ist. Die
dann folgenden Kapitel ordnen die Eckpunkte der aktuellen
Nachhaltigkeitsdebatte in den entwickelten Bezugsrahmen
ein. Es wird deut lich, war um die Nachhaltigen Entwick-
lungsziele (SDGs) den zen tra len Kompass für den Nachhal-
tigkeitsdiskurs markieren, war um das Denken in »planetaren
Grenzen« so wichtig für eine »Zukunftskunst« ist und wie
sich dies in Visionen auf der Energie- (»Dekarbonisierung«)
und Ressourcen-Ebene (»8-Tonnen-Gesellschaft«) überset-
zen lässt.
(2) Teil B beschreibt die Arenen der Großen Transformation.
Sieben spezifische »Wenden« bilden den Kern der Großen
Transformation: Die Kombination aus einer (1) »Wohl-
stands- und Konsumwende« auf der einen sowie einer (2)
»Energiewende« und einer (3) »Ressourcenwende« auf der
anderen Seite bilden die grundlegenden Sphären der Großen
Transformation. Diese übergeordneten Transformationen
vollziehen sich in oft eng mit ein an der vernetzten Sektor-
wenden, wie insbesondere der (4) Mobilitätswende und der
(5) Ernährungswende sowie in zen tra len Transformations-
räumen – hier insbesondere der (6) Urbanen Wende sowie
der (7) Industriellen Wende. In all diesen Wenden gilt es nach
dem kunstvollen Zusammenspiel von Kultur-, Institutionen-,
Technologie- und ökomischem Wandel zu suchen.
(3) Teil C wendet sich den Akteuren der Großen Transforma-
tion zu: Was bedeutet Zukunftskunst für Politik, für Unter-
nehmen, für die Wissenschaft, für die Zivilgesellschaft, aber
auch für jede einzelne Pionierin und jeden einzelnen Pionier
des Wandels, die den Prozess der Großen Transformation
mitgestalten wollen? Welche geteilte Verantwortung kommt
16 1. »Making Utopia possible«
diesen Akteuren zu? Was sind relevante Ansatzpunkte für ihr
Handeln?
Einer Wissenschaft, die durch ihr Wirken Wege zu einer
Nachhaltigen Entwicklung aufzeigt, ist das Wuppertal In-
sti tut seit über 25 Jahren verpflichtet. Insofern gibt dieses
Buch auch einen Einblick in die »Transformations-DNA« des
Wuppertal In sti tuts. Sie hat uns lange Zeit eher als ein im-
pliziter Kompass begleitet und wird mit diesem Buch explizit
entwickelt. Dar um mündet das Buch am Ende auch in einen
thesenförmigen »Wuppertaler Kompass der Großen Trans-
formation«.
Das Buch ist in engem Austausch mit vielen Wissenschaft-
lerinnen und Wissenschaftlern des Wuppertal In sti tuts in
den letzten Jahren entstanden. Die wichtigsten Mitwirken-
den sind vorne aufgeführt. Dar über hin aus hat unsere Arbeit
durch intensive Diskussionen mit vielen Köpfen im In sti tut
und seinem Umfeld an Klarheit gewonnen. Hier geht ein
Dank an die Mitglieder und die Geschäftsstelle des Wissen-
schaftlichen Beirates der Bundesregierung Globale Umwelt-
veränderungen (WBGU) für den in spi rie ren den Austausch
in den letzten Jahren, an Maja Göpel, Manfred Linz, Hans-
Jochen Luhmann, Wolfgang Sachs, Gerhard Scherhorn,
Uta von Winterfeld und viele weitere Inspiratorinnen und
In spiratoren. Ein besonderes Dankeschön gebührt dem Kern-
team für dieses Buchprojekt – bestehend aus Katharina Boh-
nenberger, Hans Haake, Laura Machler und Annika Rehm,
die den Diskussionsprozess im In sti tut sowie die Fertigstel-
lung des Manuskriptes in den letzten Monaten ermöglicht
haben.
Insbesondere dankt das Wuppertal In sti tut mit diesem
Buch aber allen, die in den zurückliegenden knapp 30 Jahren
1. »Making Utopia possible« 17
mit dem und im Wuppertal In sti tut an der Vision einer Nach-
haltigen Entwicklung gearbeitet haben, und lädt dazu ein, uns
dabei weiterhin aktiv zu begleiten.
Uwe Schneidewind
Wuppertal, im April 2018