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GS aktuell 142 • Mai 2018
Thema: Wozu braucht die Grundschule digitale Medien?
omas Irion
Wozu digitale Medien in der Grundschule?
Sollte das Thema Digitalisierung in Grundschulen tabuisiert werden?
Und nun soll also auch die Digi-
talisierung in der Grundschule
erfolgen! Gilt es hier nicht, die
Fenster und Türen von Grundschulen
fest zu verrammeln oder zumindest
sich möglichst ruhig zu verhalten, da-
mit der Digitalisierungssturm die Pri-
marbildung übersieht und man in der
Grundschule noch in Ruhe seine Arbeit
tun kann? Angesichts der Vielzahl an
Belastungen, die auf die Grundschule
im Zeitalter von Schulleistungsstudien,
Inklusion und Migration zukommen,
sind Skepsis und Zweifel angebracht.
Wie sollen die Grundschulen denn hier
auch noch die Digitalisierung schaen?
Sollten Grundschulen sich nicht lieber
wegducken und das ema tabuisieren?
Aus bildungstheoretischer Sicht wäre
es fatal, wenn der Allgemeinbildungs-
gedanke (und dieser schließt den Um-
gang mit der Lebenswelt der Kinder
und Zukunsthemen ein) der Grund-
schule bei diesem wichtigen ema
zum ersten Mal aufgelöst würde. Die
Frage nach der Leistbarkeit könnte ja
auch an andere Bereiche gestellt wer-
den. Doch niemand würde angesichts
der anstehenden gesellschalichen He-
rausforderungen im Ernst auf die Idee
kommen, musische oder historische In-
halte in der Grundschule abschaen zu
wollen, da die Beschäigung mit die-
sen und ähnlichen Inhalten aufgrund
der vielzähligen Anforderungen an die
Grundschule nicht leistbar ist.
Bei allem Verständnis für die man-
nigfaltigen Belastungen der Grundschu-
len: Grundschulbildung darf bei der
Prüfung der Relevanz neuer Inhaltsbe-
reiche nicht im ersten Schritt die Leist-
barkeit analysieren. Stattdessen muss
Digitale Telefone, Uhren, Brillen, Haushalte und Autos. Digitale Stadtverwal-
tungen, Wirtscha, Wahlen, Gesundheits- und Pegesysteme. Digitale Freund-
schaen, Schönheitsideale, Partnersuche, Kommunikation und Freizeitgestal-
tung. Derzeit wird alles digitalisiert, was nicht niet- und nagelfest ist – selbst
Kühlschränke, Wohnzimmerleuchten und Kaeemaschinen.
4GS aktuell 142 • Mai 2018
Thema: Wozu braucht die Grundschule digitale Medien?
sich die Grundschulbildung zuallererst
die Frage stellen, ob ein neues, gesell-
schaliches ema für die Grundschu-
le wichtig ist. Die Frage, inwiefern und
wie dieses ema in der Grundschule
inmitten all ihrer Ansprüche und Be-
lastungen realisiert werden kann, muss
dann in zweiter Linie folgen.
Aus dieser Begründung heraus ergibt
sich der Auau des folgenden Artikels:
Im ersten Abschnitt werden Gründe für
die Beschäigung mit digitalen Medien
in der Grundschule geklärt. Im zweiten
Abschnitt werden die daraus entstehen-
den Konsequenzen für die Grundschu-
le und die bildungspolitischen Rah-
mensetzungen diskutiert.
Begründungsstränge für die
Integration digitaler Medien
in der Grundschule
Döbeli Honegger (2016) benennt und
diskutiert in seinem lesenswerten Buch
zur Digitalisierung und deren Folgen
für die Bildungssysteme 1 vier mögliche
Argumente, die genannt werden könn-
ten, um digitale Medien in Schulen ein-
zuführen: das Lebensweltargument,
das Zukunsargument, das Lernargu-
ment und das Ezienzargument. Diese
Gliederung wird an dieser Stelle über-
nommen und auf die Grundschule be-
zogen.
1. Das Lebensweltargument
Schulische Bildung zielt nicht auf die
ausschließliche Förderung abstrakter
Denkprozesse ab, sondern bildet die
Grundlage für die Orientierung in der
Welt. Das Leben der Kinder bildet hier
eine zweifach orientierende Dimension:
die kindlichen Erfahrungen sind Aus-
gangs- und Zielpunkt des Unterrichts.
Sie bereichern den Unterricht und si-
chern ab, dass die Handlungskompe-
tenzen der Kinder in den für sie rele-
vanten Lebenssituationen erhöht wer-
den. So steht der Sachunterricht vor
der Aufgabe, Kinder bei der Erschlie-
ßung ihrer Umwelt zu unterstützen,
der Deutschunterricht zielt auf die Er-
höhung der kommunikativen Hand-
lungs- und Reexionskompetenz ab
und der Mathematikunterricht bildet
die Grundlage für die mathematische
Orientierung in der Welt.
Aktuelle Studien zeigen, dass Kin-
der und Jugendliche in komplett ande-
ren Medienwelten aufwachsen als Kin-
der der Generationen zuvor. Während
in der KIM-Studie 1999 (mpfs 2000)
nur 21 % der 6- bis 13-Jährigen sich für
Computer und Computerspiele interes-
sierten, ist das Interesse an der inzwi-
schen dierenzierter abgefragten Digi-
talisierung deutlich höher: 68 % der
Kinder interessieren sich für Handys
oder Smartphones, 66 % für Internet /
Computer / Laptop, weitere 66 % für
Computer-/Konsolen-/Onlinespiele. Die-
ses Interesse entsteht in einem medial
und insbesondere digital reichhaltig
ausgestatteten Umfeld, denn die Haus-
halte der Kinder sind inzwischen mit
Fernseher, Handy / Smartphone, Inter-
netzugang und Computer / Laptop voll
ausgestattet. Dabei besitzen 98 % der
Kinder zwischen 6 und 13 Jahren in-
zwischen selbst ein eigenes Smartphone
oder Handy. Das Handy / Smartphone
wird von 42% der Kinder täglich ge-
nutzt, insbesondere für Nachrichten,
Apps und Internet (mpfs 2017). Neben
besonderer Potenziale für neue Lern-
kulturen entstehen durch diese Ent-
wicklungen auch spezische Gefah-
ren für das Aufwachsen von Kindern
( Peschel 2016).
Die Problematik der Nutzung digita-
ler Medien wird dabei von Eltern und
Erziehungsberatungseinrichtungen
durchaus erkannt. In der MoFam-Stu-
die des JFF (Institut für Medienpäda-
gogik) wurden im Herbst 2015 53El-
tern und 35 Fachkräe aus dem Berufs-
feld der Erziehungsberatung zur Rolle
mobiler Medien (z. B. Handys, Smart-
phones und Tablets) in der Familie be-
fragt. In der Analyse der qualitativen
Daten aus Einzel- und Gruppeninter-
views wird deutlich, dass Eltern bei der
Erziehung ihrer Kinder für die Nut-
zung digitaler Medien stark verunsi-
chert sind. Insbesondere sehen sie nur
wenig Möglichkeiten, zentrale Erzie-
hungsziele, wie etwa die Vermittlung
eines souveränen Umgangs mit Smart-
phones, umzusetzen, obwohl dies ein
häug genanntes Anliegen ist. Erzie-
hungsberater berichten zudem von Pro-
blemen der Eltern, den Zugang zu be-
stimmten Inhalten zu regulieren (Wag-
ner et al. 2016). Die Eltern benötigen
somit Unterstützung und Beratung.
Selbstverständlich sind aus schulischer
Sicht Kooperationen mit den Eltern von
zentraler Bedeutung, doch ein Vertrau-
en auf die Wahrnehmung der elterli-
chen Fürsorge und deren Kompeten-
zen zur Vermittlung einer Medienbil-
dung grei zu kurz. Medienbildung ist
ein Element schulischer Grundbildung
und damit notwendigerweise ein e-
ma von Grundschulen. Es darf nicht
dem Zufall überlassen bleiben, ob und
wie Grundschulkinder im Umgang mit
den vielfältigen Potenzialen und Ge-
fahren begleitet werden.
2. Das Zukunftsargument
Da Kinder ihr Leben noch vor sich ha-
ben, kann es in Bildungsprozessen nie
nur um die gegenwärtige Welt gehen.
Vielmehr ist zu beachten, welche Kom-
petenzen Kinder für künige Lebens-
aufgaben erwerben müssen. Mit einem
Blick zurück lässt sich absehen, dass
sich die digitale Welt in den nächsten
12 Jahren (bis zur Volljährigkeit der
jetzigen Erstklasskinder) noch einmal
immens verändern wird. Doch auch
jetzt schon sind die wissenschaliche
und beruiche Welt von digitalen Me-
dien geprägt. Kinder benötigen digitale
Kompetenzen, um sich in ihrer küni-
gen Lebenswelt zurechtzunden.
Vielfach wird hier das Argument
eingebracht, dass Kinder ja mit digita-
len Medien aufwachsen und den Um-
gang als »Digital Natives« von Kin-
desbeinen an beherrschen und somit
auch die grundlegenden Kompeten-
zen für ihr zuküniges Leben automa-
tisch erlernen. Genauere Beobachtun-
gen (Schulmeister 2012) zeigen, dass
auch bei älteren Schülern und Studie-
renden vielfach sehr oberächliche und
unkritische Nutzungsformen digitaler
Dr. Thomas Irion
Professor für Grundschulpädagogik
und Direktor des Zentrums für Medien-
bildung an der Pädagogischen Hoch-
schule Schwäbisch Gmünd,
Fachreferent des Grundschulverbands
für den Bereich Medienbildung.
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GS aktuell 142 • Mai 2018
Thema: Wozu braucht die Grundschule digitale Medien?
Angebote vorherrschen. Eine kritische
Durchdringung digitaler Informations-
und Kommunikationsangebote erfolgt
kaum, weshalb Schulmeister eher von
»Digital Naives« sprechen würde. Für
die Grundschulbildung entsteht hie-
raus der Anspruch, Kinder systema-
tisch und altersgerecht auf zukünige
Anforderungen vorzubereiten. Da Kin-
der dabei keinesfalls nur an die digitale
Welt anzupassen sind, ist insbesondere
zu beachten, dass Kinder in der Grund-
schule erleben können, dass sie die Di-
gitalisierung der Welt – aber auch ihre
Verhinderung – mitgestalten können
(Kammerl/Irion 2018).
Die Digitalisierung führt allerdings
nicht nur zu Veränderungen im indivi-
duellen Aufwachsen von Kindern, son-
dern birgt auch die Gefahr der Entste-
hung und Verstärkung bestehender so-
zialer Ungerechtigkeiten. In der Digital-
Divide-Forschung wird seit Mitte der
1990er Jahre untersucht, inwiefern di-
gitale Medien soziale Ungleichheiten
verstärken oder überhaupt erst entste-
hen lassen. In den vorliegenden Unter-
suchungsergebnissen wird deutlich,
dass soziale Ungerechtigkeiten weni-
ger im Zugang zu digitalen Medien als
in deren Nutzung entstehen. Kinder be-
gegnen digitalen Medien derzeit noch
überwiegend im Rahmen der familiä-
ren Sozialisation, und die Entwicklung
der erforderlichen Nutzungskompeten-
zen steht in starker Abhängigkeit von
den Einstellungen und Kompetenzen
der Eltern, die wiederum in Zusam-
menhang mit dem kulturellen Kapital
der Eltern stehen (Kutscher 2014). Ein
Verzicht auf die Vermittlung der für
die kritisch-selbstbestimmte Medien-
nutzung erforderlichen Kompetenzen
würde daher auch zu einer Vertiefung
bestehender und zu einer Entstehung
neuer sozialer Ungerechtigkeiten füh-
ren (Irion/Sahin 2018). Grundschulbil-
dung als basale Bildung für alle Kinder
kann es nicht dem Zufall überlassen,
ob ein Kind die für sein weiteres Leben
wichtigen Kompetenzen und Einstel-
lungen in dieser wichtigen Phase seiner
Entwicklung entfalten kann.
3. Das Lernargument
Digitale Medien bieten nicht unerhebli-
che Entwicklungspotenziale für Kinder
im Grundschulalter. Kinder eignen sich
bspw. über Youtube-Videos neue Skate-
board- und Schminktricks an, Lernen
in Museen mit digitaler Unterstützung
und werden von ehrgeizigen Eltern
mittels Lern-Apps für die Schule trai-
niert. Auch hier steht die Grundschule
vor der Herausforderung, soziale Un-
gleichheiten zu reduzieren, denn es darf
nicht sein, dass nur Kinder bildungsna-
her Eltern pädagogisch begleitet lernen,
digitale Medien für ihre Bildungspro-
zesse zu nutzen.
Darüber hinaus muss sich die Grund-
schulbildung mit der Frage auseinan-
dersetzen, wie sie ihre eigenen Unter-
richtsprozesse im Sinne eines moder-
nen Unterrichts – auch mit digitalen
Medien – unterstützen kann. Selbstver-
ständlich muss hier vermieden werden,
dass der ungeeignete Einsatz digitaler
Medien zeitgemäßen Grundschulunter-
richt etwa durch die Überbetonung von
Drill-and-Practice-Apps oder durch die
umständliche Bedienung nicht grund-
schulgerechter Computerlösungen, die
den Unterricht dominieren statt ihn
zu unterstützen, zurückwir. In jedem
Fall muss sich Grundschulunterricht
aber mit der Frage auseinandersetzen,
wie digitale Medien ergänzend zu tra-
ditionellen Medien und Originalerfah-
rungen lernförderlich eingesetzt wer-
den können. Wenngleich eine Revolu-
tion des Lernens durch digitale Medien
in den nächsten ein bis zwei Jahren
kaum anstehen wird, müssen Grund-
schulen jetzt die Voraussetzung dafür
schaen, dass Grundschulbildung mit-
tel- und langfristig nicht von den digi-
talen Entwicklungen abgehängt wird. 2
4. Das Ezienzargument
Das vierte von Döbeli Honegger ge-
nannte Argument – das Ezienzargu-
ment – soll hier etwas kritischer dis-
kutiert werden. Bei der Ezienz geht
es nicht in erster Linie um das häug
diskutierte ema Lernerträge. Hier
geht es darum, wie bei immer höheren
Leistungsanforderungen an Schulen
und pädagogisches Personal Arbeits-
erleichterungen erreicht werden kön-
nen. Ezienz ist ein bei pädagogischen
Maßnahmen der Grundschule häu-
g vernachlässigter Faktor. Während
die Unterrichtseektivität in pädago-
gischen Diskussionen neuer Bildungs-
konzepte sehr häug im Mittelpunkt
steht, wird der Aufwand zum Erreichen
des Ertrags häug vernachlässigt. Ge-
rade die Bildungspolitik scheint darauf
spezialisiert zu sein, hochtrabende Pro-
grammatiken zur Outputverbesserung
zu entwickeln (sei es für die Inklu-
sion oder die Verbesserung der Recht-
schreibleistungen der Kinder), ohne da-
bei in gleichem Maß den zu leistenden
Input (Lehrerstellen, Ausstattung mit
Medien, Investition in die Forschung
oder gar die Erhöhung des nanziellen
Engagements in der Lehrerbildung …)
im Auge zu behalten.
Obwohl sich einige kleinere Arbeits-
erleichterungen durch digitale Medien
verzeichnen lassen (welche Lehrkra
schätzt es nicht, mal schnell eine sach-
liche Frage zur Unterrichtsvorbereitung
im Internet zu recherchieren, statt in
die Bibliothek fahren zu müssen), sind
die Potenziale bei Weitem noch nicht
ausgeschöp. So wären deutlich um-
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Thema: Wozu braucht die Grundschule digitale Medien?
fangreichere Maßnahmen zur Reduk-
tion des Lern- und Vorbereitungsauf-
wands denkbar. Durch die leichte Dis-
tribuierbarkeit digitaler Unterrichtsma-
terialien könnten immense Druck- und
Distributionskosten gespart werden.
Hierzu wäre allerdings eine verlässli-
che Hard- und Sowarebasis an den
Grundschulen zu schaen, wobei be-
achtet werden muss, dass sowohl An-
schaungs-, Unterhalts- und Schu-
lungsaufwand kaum dazu führen wer-
den, dass digitale Medien kurz- und
mittelfristig zur Aufwandsreduktion
beitragen. Insbesondere für Grund-
schullehrkräe steht zu befürchten,
dass die Integration digitaler Medien
zu Beginn eher zu einer höheren Belas-
tung führen wird. Vor diesem Hinter-
grund sind hinsichtlich des Ezienz-
arguments klare Forderungen an die
Bildungspolitik zu formulieren, um zu
vermeiden, dass Grundschulen und
das in diesen tätige Personal bei diesem
wichtigen, aber komplexen ema aus-
geblutet werden.
Konsequenzen für
die Grundschulbildung
Aus grundschulpädagogischer Sicht
führen angesichts der weiten Verbrei-
tung digitaler Medien in Gesellscha
und Kindheit alleine schon das Lebens-
weltargument und das Zukunsargu-
ment dazu, dass sich die Grundschu-
le mit der digitalen Welt in Bildungs-
zusammenhängen beschäigen muss.
Angesichts der veränderten aktuellen
und künigen Lebenswelten der Kin-
der, samt aller Chancen und Gefah-
ren der digitalen Medien, ist die Ein-
führung in einen kritisch-reektierten
Umgang mit digitalen Medien heut-
zutage unerlässlich (Irion 2016). Doch
auch das Lern- und das Ezienzargu-
ment sind im Auge zu behalten. Einer-
seits darf auf keinen Fall der direkte
zwischenmenschliche Austausch zwi-
schen Schulkindern und Lehrperso-
nen, aber auch der Austausch zwischen
den Schulkindern selbst und die Aus-
einandersetzung mit Primärerfahrun-
gen zurückgedrängt werden. Auf der
anderen Seite darf sich die Grundschu-
le bei der sinnvollen Nutzung digitaler
Medien nicht von der Implementierung
an anderen Schularten abdrängen las-
sen. Insbesondere Grundschulkinder
8 Forderungen des GSV
an die Bildungspolitik
Der Grundschulverband fordert, dass jedes Kind die basalen Kompetenzen und
einen persönlichkeitsfördernden Umgang mit digitalen Medien in der Grund-
schule erlernen muss. Kein Kind darf von der Grundschulbildung mit digitalen
Medien alleingelassen werden!
Hieraus ergeben sich aus Sicht des Grundschulverbandes 8 Forderungen:
1. Entwicklung von spezischen
Grundschulstandards
Grundschulen benötigen grundschul-
gerechte, also schulartspezische
Kompetenzstandards auch für das
Lernen in der digitalen, vernetzten
Welt.
2. Wissenschaftliche und
praxisnahe Lehrerbildung
Grundschulen benötigen eine wissen-
schaftliche, praxisnahe Lehrerbildung
(Aus- und Weiterbildung) in den Be-
reichen grundschulgerechte Medien-
bildung und Fachdidaktik mit dem
Schwerpunkt Digitalisierung / Digitali-
tät in allen drei Phasen der Lehrerbil-
dung. Technikschulungen sind nicht
ausreichend!
3. Schaung von Qualitäts-
sicherungsmaßnahmen
Technologische und gesellschaftliche
Entwicklungen und die für mündiges
Handeln erforderlichen Kompeten-
zen entwickeln sich mit einer hohen
Dynamik und weisen eine hohe Kom-
plexität auf. Grundschulbildung muss
bei der Schaung der grundlegenden
Kompetenzen in diesem Feld gewähr-
leisten, dass sowohl die dynamischen
Veränderungen als auch die hohe
Komplexität bei der Umsetzung der
oben genannten Maßnahmen be-
rücksichtigt werden. Der Grundschul-
verband fordert die zeitnahe Einrich-
tung eines Expertenrates, speziell für
die Grundschule.
4. Netzausbau
Grundschulen benötigen eine schnelle
Netzanbindung und ächendecken-
des, lokal abschaltbares WLAN.
5. Hard- und Softwareausstattung
Grundschulen benötigen benutzungs-
freundliche, zuverlässige, hervorra-
gend in den Grundschulunterricht
integrierbare und altersgerechte Hard-
und Softwarelösungen.
6. Wartungsstrukturen
Grundschulen benötigen grundschul-
gerechte Supportstrukturen und pro-
fessionell ausgebildetes Personal.
7. Einbezug von Eltern
Viele Eltern benötigen Fortbildungs-
angebote zum Umgang mit digitalen
Medien. Diese sollten als Foren zum
Kompetenzerwerb gestaltet werden,
idealerweise gemeinsam mit Lehr-
kräften.
8. Etatplanung
Grundschulen benötigen einen an-
gemessenen Anteil (mind. 70 %) der
vorgesehenen Fördermittel. In der
Grundschule werden die grundlegen-
den Kompetenzen für alle Kinder ge-
schaen. Deshalb kommt der Grund-
schule bzgl. der Chancengerechtigkeit
eine besondere Bedeutung zu. Da in
den Grundschulen Deutschlands hin-
sichtlich Ausstattung, Lehrerweiterbil-
dung und Wartungskonzepten noch
ein besonders großer Nachholbedarf
besteht und »Bring-Your-Own-Devi-
ce-Konzepte« (BYOD) im Hinblick auf
das Alter der Kinder nicht umsetzbar
und pädagogisch zweifelhaft sind,
müssen ausreichend Mittel für die
Grundschulen reserviert werden. Fast
die Hälfte aller Schulen in Deutsch-
land sind Grundschulen und deren
infrastrukturelle Situation stellt eine
besondere Herausforderung dar.
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GS aktuell 142 • Mai 2018
Thema: Wozu braucht die Grundschule digitale Medien?
Anmerkungen
1) Döbeli Honegger, Beat: Mehr als O und 1.
Schule in einer digitalisierten Welt.
2) Eingehendere Analysen zu den Lern-
potenzialen digitaler Medien für den Grund-
schulunterricht und den zur Ausschöpfung
erforderlichen Voraussetzungen nden sich
im Artikel von Irion und Scheiter in diesem
He.
3) https://www.kmk.org/leadmin/Dateien/
pdf/PresseUndAktuelles/2016/Bildung_
digitale_Welt_Webversion.pdf (27.2.2018).
4) https://www.dstgb.de/dstgb/Homepage/
Aktuelles/2017/DStGB%20zu%20den%20
Eckpunkten%20der%20Bund-Länder%20
Ver e i n b a r u ng %2 0 »Dig ita l P a k tSchu le « /
Ergebnis_Eckpunkte_St-AG_230517.pdf
(27.2.2018)
5) In einer Berechnung für die Bertelsmann-
Stiung zeigen Andreas Breiter et al. vom
Institut für Informationsmanagement
Bremen GmbH (ib) auf, dass die geplanten
Mittel des Bundes (Wanka-Milliarden) für
eine langfristige Absicherung dieser Kos-
ten nicht ausreichen können: https://www.
bertelsmann-stiung.de/leadmin/les/
BSt/Publikationen/GrauePublikationen/
IB_Impulspapier_IT_Ausstattung_an_
Schulen_2017_11_03.pdf (27.2.2018).
Literatur
Döbeli Honegger, B. (2016): Mehr als 0 und 1:
Schule in einer digitalisierten Welt. Bern:
hep, der Bildungsverlag.
Eickelmann, B. (2016): Eine Bilanz zur
Integration digitaler Medien an Grund-
schulen in Deutschland aus international
vergleichender Perspektive. In M. Peschel &
T. Irion (Hg.), Neue Medien in der Grund-
schule 2.0. Grundlagen – Konzepte –
Perspektiven. Frankfurt a. M.: Grundschul-
verband, 79–90.
Irion, T. (2016): Digitale Medienbildung in
der Grundschule. Primarstufenspezische
und medienpädagogische Anforderungen. In
M. Peschel & T. Irion (Hg.), Neue Medien in
der Grundschule 2.0. Grundlagen – Konzep-
te – Perspektiven. Frankfurt a. M.: Grund-
schulverband, 16–32.
Irion, T. / Sahin, H. (2018): Digitale Bildung
und soziale Ungleichheit. Grundschule (2),
33–35.
Kammerl, R. / Irion, T. (2018): In der digitalen
Welt. Digitalisierung und medienpädagogi-
sche Aufgaben der Schule. Grundschulzeit-
schri, 307 (Februar), 6–11.
Kutscher, N.: Soziale Ungleichheit. In:
Tillmann, A. et al. (Hg.): Handbuch Kinder
und Medien. Wiesbaden: 2014, 101–112.
haben höchste Ansprüche an alters-
und kindgerechte Lernmedien. Kei-
nesfalls darf zugelassen werden, dass
Grundschulkinder auf multimediale,
interaktive Veranschaulichungen und
Übungen ebenso verzichten müssen
wie auf die Potenziale digitaler Medien
als Werkzeuge zur aktiven Durchdrin-
gung ihrer Lebenswelt. Selbstverständ-
lich kann die Aufgabe einer Medien-
bildung für den Umgang mit digitalen
Medien nicht alleine der Grundschule
überlassen werden: Eltern, Kinderhor-
te, Päd. Beratungsstellen, weiterführen-
de Schulen usw. sind ebenso gefordert.
Ferner sind insbesondere auch Gesetz-
geber und Medienunternehmen (z. B.
durch Ausweitung des Kindermedien-
schutzes) gefordert, die Bestrebungen
der Grundschulen zu unterstützen.
Doch ist die Grundschule als erste ver-
bindliche Pichtschule verpichtet, die
Basis im Umgang mit digitalen Medien
zu legen.
In der kritischen Diskussion des Ef-
zienzarguments wurde deutlich, dass
digitale Medien langfristig durchaus
Potenziale zur Aufwandsreduktion von
Lehr-Lern-Anstrengungen bergen kön-
nen, dass kurzfristig aber auch beson-
dere Belastungen auf Grundschulen
und Schulträger zukommen.
Die Bildungspolitik hat die Bedeu-
tung von Bildungsmaßnahmen ange-
sichts der veränderten Bildungsanfor-
derungen erkannt. So hat die Kultusmi-
nisterkonferenz ein Strategiepapier zur
Bildung in der digitalen Welt 3 veröf-
fentlicht, in dem Inhalte und Maßnah-
men für allgemeinbildende Schulen, be-
ruiche Schulen und Hochschulen vor-
geschlagen werden. Zugleich wurde von
der letzten Bildungsministerin Johanna
Wanka, gemeinsam mit der Kultusmi-
nisterkonferenz, ein mit mehreren Mil-
liarden unterstützter Digitalpakt Schule
von Bund und Ländern 4 angekündigt,
der sich auch im Koalitionsvertrag der
großen Koalition wiederndet.
Die prekäre Finanzierungssituation
von Grundschulen, die häug überse-
hene verhältnismäßig sehr hohe Zahl
von Grundschulen und deren ächen-
mäßige Ausbreitung, die bisher dezi-
täre Ausstattung und Infrastruktur und
die hohe Bedeutung der Basiskompe-
tenzen und -einstellungen bei Grund-
schulkindern erfordern, darauf hinzu-
weisen, dass die Grundschule bei den
aktuell anstehenden Bemühungen, bei
denen es in einem ersten Schritt um die
Grundausstattung mit technischer In-
frastruktur (u. a. Netzwerkanbindung
von Schulen und Klassenzimmern)
geht 5, keinesfalls eine Randrolle spielen
darf. Aus Perspektive der Grundschul-
bildung ist es nun von zentraler Bedeu-
tung, dass die Grundschule nicht wie in
anderen Bildungsmaßnahmen eher am
Rande von den Maßnahmen protiert
und die Umsetzung mit nur kleinem
nanziellem Aufwand nebenbei reali-
siert wird.
Aufgrund der großen Gefahr, dass
wieder einmal bei Grundschulen ge-
spart werden soll und diese mit veralte-
ten Geräten in langsamen Netzwerken
auf die immer drängenderen Heraus-
forderungen der Digitalisierung re-
agieren sollen, hat der Grundschulver-
band in der Landesdelegiertenkonfe-
renz vom 25.11.2017 acht Forderungen
an die Bildungspolitik verabschiedet.
In diesen wird nicht nur auf die Bedeu-
tung einer zeitgemäßen Versorgung der
Grundschulen mit der technischen In-
frastruktur hingewiesen, sondern auch
eine grundschulgerechte Umsetzung
der Maßnahmen eingefordert. Andern-
falls besteht die Gefahr, dass ausgerech-
net die Grundschule, in der die Basis-
kompetenzen für das Leben in und mit
der digitalen Welt gestellt werden, noch
weiter vom internationalen Standard
abgehängt wird (Eickelmann 2016).
mpfs – Medienpädagogischer Forschungs-
verbund Südwest (2000): Kinder und Medien
– KIM ’99. Verfügbar unter: www.mpfs.de/
studien/kim/KIM99.pdf (13.2.2018)
mpfs – Medienpädagogischer Forschungsver-
bund Südwest (2017): KIM-Studie 2016.
Kindheit, Internet, Medien. Basisuntersu-
chung zum Medienumgang 6- bis 13-Jähriger.
Verfügbar unter: www.mpfs.de/leadmin/
les/Studien/KIM/2016/KIM_2016_Web-
PDF.pdf (13.2.2018)
Peschel, M. (2016): Medienlernen im Sach-
unterricht – Lernen mit Medien und Lernen
über Medien. In M. Peschel & T. Irion (Hg.),
Neue Medien in der Grundschule 2.0.
Grundlagen – Konzepte – Perspektiven.
Frankfurt a. M.: Grundschulverband, 33–49.
Wagner, U. / Eggert, S. / Schubert, G. (2016):
MoFam – Mobile Medien in der Familie.
Verfügbar unter: www.j.de/j/leadmin/
user_upload/Projekte_Material/mofam/
JFF_MoFam_Studie.pdf (13.2.2018)