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Wenn HR die Falschen sucht. (HR Performance 4/2018, www.hrperformance-online.de).

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Abstract

Im Zeitalter von Industrie 4.0 sind Daten der „Rohstoff für wirtschaftliche Wertschöpfung“ (BMWi, 2017). Unternehmen und Fachbereiche müssen sich heute daran messen lassen, wie gut und schnell sie relevante Kennzahlen erheben, auswerten und zur Sicherung von Wirtschaftlichkeit und Existenz nutzen können. Prüfende Blicke dürften dabei auf die HR-Abteilungen fallen.
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Special HRP Compensation & Benefits
ließen sich Fehlentscheidungen drastisch reduzieren und dabei
Erfolg und Anerkennung von Personalarbeit, vermutlich ebenso
drastisch, steigern. Zum Beispiel: Wie viele der Eingestellten ver-
lassen wie schnell und weshalb das Unternehmen wieder? Welche
Personen neigen aufgrund bestimmter Persönlichkeitsausprägun-
gen oder Fähigkeiten eher zu Fehltagen, Jobwechseln, zu über-
oder unterdurchschnittlicher Zielerreichung? Inwiefern lassen sich
durch ein bestimmtes Instrument zur Personalauswahl Produktivi-
tät, Zufriedenheit oder Retention in einem Team erhöhen?
Datenanalysen zur Optimierung von Personal-
entscheidungen sind wirtschatlich notwendig
Ausgerechnet Personalabteilungen gehören jedoch noch immer
zu jenen Abteilungen, die kaum datengetrieben sind (Davenport,
2014). Der überwiegende Anteil an Personalverantwortlichen setzt
maßgeblich auf das Bauchgefühl, um die Eignung von Personen,
eine ja nicht gerade triviale Angelegenheit, zu beurteilen (Nacht-
wei, von Bernstorf, Uedelhoven & Liebenow, 2013).
Die Kosten falscher Personalentscheidungen
Personalentscheidungen gehören zu den kostspieligsten eines Un-
ternehmens und fallen (dennoch!) in einem Drittel der Fälle falsch
oder nicht ideal aus; die direkten und indirekten Kosten solcher
Fehlentscheidungen betragen dann das Zwei- bis Dreifache eines
Jahresgehalts (Bierwirth & Nagengast, 2005). In einer eigenen
aktuellen Studie an der Business School Berlin mit 1.100 deutsch-
sprachigen Führungskräten geben 418 von diesen ihr Brutto-Jah-
resgehalt mit durchschnittlich rund 95.000 Euro an. Weitere 411
Führungskräte, deren Gehalt sich aus einem fixen und variablen
Anteil zusammensetzt, nennen ein Brutto-Jahresgehalt von durch-
schnittlich rund 181.000 Euro. Nach der oben genannten Daumen-
regel lassen sich die Fluktuationskosten bei Führungskräten somit
im Schnitt auf zwischen 237.000 und 452.000 Euro bezifern.
Solche Kosten sind nicht nur wirtschatlich bitter, sondern auch
unnötig. Zöge man gezielt Daten heran, um die wirtschatlich re-
levanten Fragen der Personalauswahl und -entwicklung zu prüfen,
Wenn HR die Falschen sucht
Im Zeitalter von Industrie 4.0 sind Daten der „Rohstof für wirtschatliche Wertschöpfung“ (BMWi, 2017).
Unternehmen und Fachbereiche müssen sich heute daran messen lassen, wie gut und schnell sie relevante Kennzahlen
erheben, auswerten und zur Sicherung von Wirtschatlichkeit und Existenz nutzen können.
Prüfende Blicke dürten dabei auf die HR-Abteilungen fallen.
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ten diese nach eigener Aussage doch im Vorjahr „Millionen für das
Teambuilding im Vertrieb investiert“.
Es wird deutlich: Wie hoch oder gering eine Kompetenz ausge-
prägt sein sollte (und wie hoch sie bei einem Kandidaten tatsäch-
lich ausgeprägt ist), ist weniger eine Frage des Bauchgefühls, son-
dern eine Frage systematischer Datenauswertung. Mit Blick auf die
immensen Kosten, welche personelle Fehlentscheidungen mit sich
bringen, ist es an der Zeit, Datenanalysen nicht mehr als bedroh-
lich und auch nicht als „nice to have“ anzusehen, sondern als das,
was sie längst sind: wirtschatlich notwendig.
Ausgewählte Quellen
von Bernstorf, C. & Nachtwei, J. (2016). Weniger big, mehr smart – Möglichkeiten evidenzba-
sierter Potenzialanalysen. HR-Performance 3/2016, 26–27.
Liebenow, D., von Bernstorf, C., Uedelhoven, S. & Nachtwei, J. (2017). Der Dreiklang fundier-
ter Potenzialanalysen: KAI. In: J. Nachtwei & C. von Bernstorf (Hrsg.). HR Consulting Review
08/2017. VQP.
Kaufeld, S. & Grohmann, A. (2014). Personalauswahl. In: S. Kaufeld (Hrsg.). Arbeits- und Orga-
nisationspsychologie für Bachelor (S. 93–111). Berlin: Springer.
Nachtwei, J., von Bernstorf, C., Uedelhoven, S. & Liebenow, D. (2013). Segen oder Fluch – Intui-
tion bei Personalauswahlentscheidungen. Zeitschrit Personalführung, 11/2013, 34–41.
Nachtwei, J., Uedelhoven, S., von Bernstorf, C. & Liebenow, D. (2017). Evidenz statt Voodoo. Per-
sonalmagazin 12/17, 34–37.
Vollständige Quellenangaben erhalten Sie auf Anfrage:
charlotte.bernstorf@businessschool-berlin.de
Nur jedes zehnte deutsche Unternehmen verwendet tatsächlich
Datenanalysen zur Optimierung von Personalentscheidungen;
rund zwei Drittel der 408 befragten deutschen Unternehmen ha-
ben sich noch nicht einmal mit der HR-bezogenen Datennutzung
beschätigt (LinkedIn & Bitkom Research, 2015). Als Begründung
werden mangelnde Kenntnisse oder unzureichende Expertise im
Umgang mit Daten angeführt (von Bernstorf & Nachtwei, 2016).
Zudem gehört die eigene Intuition zu den urmenschlichsten und
auch gesellschatlich stark akzeptierten Entscheidungsgrundla-
gen. Menschen um ihr Bauchgefühl zu bringen, und sei es mit aus-
sagekrätigen empirischen Befunden, führt daher verständlicher-
weise zunächst einmal zu Skepsis.
Problematisch wird es jedoch, wenn deswegen vermeintlich be-
währte – weil vertraute – Ansätze zur Personalauswahl beibehal-
ten werden, die nachweislich Fehlentscheidungen im Unterneh-
men begünstigen. Zu solchen scheinbar erfolgversprechenden
Ansätzen gehört es zum Beispiel, Stellenanforderungen nach dem
Viel-hilt-viel-Prinzip zu definieren (Liebenow, von Bernstorf,
Uedelhoven & Nachtwei, 2017).
Die Frage, wie hoch oder gering bestimmte Kompetenzen, das heißt
Persönlichkeitsmerkmale, Fähigkeiten oder Fertigkeiten (Liebenow
et al., 2017), ausgeprägt sein sollen, scheint über unterschiedlichste
Stellen hinweg immer nach derselben Devise beantwortet zu wer-
den: möglichst hoch. Typischerweise werden dann „kommunikati-
onsfreudige Teamplayer“ gefordert, ungeachtet der Tatsache, dass
die Stelle möglicherweise gar nicht darauf ausgerichtet ist, mit an-
deren zusammenzuarbeiten oder gar zu kommunizieren.
Auf eine grundsätzliche Debatte zur Wirksamkeit von Stellenanzei-
gen soll an dieser Stelle verzichtet werden. Hier geht es zunächst
einmal um den schlichten und nachdrücklichen Aufruf an HR, nicht
nach den Besten, sondern nach den Richtigen oder Passenden
(Kaufeld & Grohmann, 2014) zu suchen. Wie Passung entsteht, hat
Csikszentmihalyi (1990) mit seinem „Flow“-Modell visualisiert.
Systematische Datenauswertung ist erforderlich
Die Aussage des Modells: „Der Beste ist häufig nicht der Geeignets-
te“ (FAZ, 2005). Passung bzw. Person-Job-Fit sind gegeben, wenn
Challenges und Capabilities, wenn also Anforderungen an eine
Kompe tenz und Aus prägunge n d ieser Ko mpetenz , ü berein stim-
men. Ist es auf einer Stelle erforderlich, allein zu arbeiten und indi-
viduelle Ziele zu erreichen, wären Kandidaten mit einer hoch ausge-
prägten Teamorientierung fehl am Platze, weil sie ihr Bedürfnis nach
Arbeit in Gruppen und Harmonie hier kaum ausleben könnten.
So fanden wir bei 1.638 Vertrieblern, dass die jährliche Umsatz-
zielerreichung von sehr gering teamorientierten Vertrieblern um
durchschnittlich 12 Prozent über der von hoch teamorientierten
lag (Nachtwei, Uedelhoven, von Bernstorf & Liebenow, 2017) –
bei einem durchschnittlichen individuellen Umsatzziel von einer
Million Euro entspricht dies einem Unterschied von 120.000 Euro
pro Vertriebler und Jahr! Mit dem Befund auf einem Kongress
konfrontiert, zeigten sich die Vertriebler im Plenum selbst wenig
überrascht, dagegen zwei Personalverantwortliche bestürzt, hat-
Autorin:
PROF. DR.
CHARLOTTE VON BERNSTORFF
ist Personalpsychologin. Sie forscht
und lehrt an der Business School
Berlin.
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