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Integrative Risk and Security Research
Volume 1/2018
Alexander Fekete, Alexander Michael Lechleuthner, Ompe Aimé Mudimu,
Celia Norf, Ulf Schremmer, Christiane Stephan
Forschung und Lehre am Institut für
Rettungsingenieurwesen und
Gefahrenabwehr
Beiträge aus Forschungsprojekten sowie
Perspektiven von Lehrenden und Studierenden
Herausgegeben von Christiane Stephan, Jan Bäumer, Celia Norf & Alexander Fekete
2 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Integrative Risk and Security Research
Volume 1/2018
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EDITION NOTICE
Editors of Series
Alexander Fekete (Prof. Dr.-Ing.)
Alexander Michael Lechleuthner (Prof. Dr. med. Dr. rer. nat.)
Ompe Aimé Mudimu (Prof. Dr.-Ing.)
Celia Norf (M. Sc.)
Ulf Schremmer (Prof. Dr.-Ing.)
Christiane Stephan (Dipl.-Geogr.)
TH Köln University of Applied Sciences
Institute of Rescue Engineering and Civil Protection
Betzdorfer Str. 2
50679 Cologne
Germany
www.irg.th-koeln.de
Editorship of Series - contact: alexander.fekete@th-koeln.de
Editors of this Volume
Christiane Stephan (Dipl.-Geogr.)
Jan Bäumer (B.Eng.)
Celia Norf (M. Sc.)
Alexander Fekete (Prof. Dr.-Ing.)
Contact
Celia Norf
Email: celia.norf@th-koeln.de
Phone: + 49 (0) 221 8275 2739
Web: http://riskncrisis.wordpress.com
Recommended Citation
Surname, First Name (Year of Publication): Title. In: Stephan C, Bäumer, J, Norf, C & Fekete, A, (Eds.) Forschung und Lehre
am Institut für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr. Beiträge aus Forschungsprojekten sowie Perspektiven von
Lehrenden und Studierenden. Integrative Risk and Security Research, 1/2018, Page Reference.
Köln, Januar 2018
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Forschung und Lehre am IRG
Einführung
Der vorliegende Band versucht, einen ersten Überblick über die Inhalte und Wesensmerkmale des noch
relativ jungen Studiengangs und Forschungsbereichs Rettungsingenieurwesen an der TH Köln (früher FH
Köln) zu schaffen. Damit kann der Sammelband zwar nicht für alle Ausprägungen des
„Rettungsingenieurwesens“ (oder Rescue Engineering) auch an anderen Hochschulen stehen. Jedoch soll er
einen ersten Eindruck ermöglichen und zwar für Außenstehende aber durchaus auch für Studierende und
Kollegen an der TH Köln, was „Rettungsingenieurwesen“ überhaupt ist, und welche fachlichen,
methodischen und auch anwendungsbezogenen Inhalte es beinhaltet. Abgrenzungen zu
Nachbarstudiengängen oder Aufgabenfeldern sind nicht einfach und auch dieser Sammelband kann nur
einen ersten Aufschlag anbieten. Jedoch wird es in fünf oder zehn Jahren einmal interessant sein, wie und
wohin sich dieser Studiengang, aber auch die gleichzeitig am Institut für Rettungsingenieurwesen (IRG)
stattfindende Forschung hin entwickelt haben wird. Somit dient dieser Band nicht nur der
Begriffsbestimmung und inhaltlichen weiteren Ausgestaltung; er soll auch dazu einladen, mit zu überlegen,
in welche Richtung sich Lehre und Forschung noch entwickeln könnten.
Alexander Fekete, Christiane Stephan, Jan Bäumer, Celia Norf
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Forschung und Lehre am IRG
Inhaltsverzeichnis
Zum Studiengang Rettungsingenieurwesen ............................................................................................................................. 5
Alexander Michael Lechleuthner
Rettungsingenieurwesen aus Sicht des Risiko- und Krisenmanagements mit Bezug zu Sicherheits- und
Nachhaltigkeitsforschung ................................................................................................................................................................. 7
Alexander Fekete
Zur Einrichtung des Bachelor-Studienganges „Rescue Engineering‘‘ als interdisziplinäre Ausbildung im
Katastrophen- und Notfallmanagement und erste Erfahrungen mit dem Studienbetrieb ................................... 18
Gerd Braun
Soziale Innovationen für und durch Zivile Sicherheit. Positionspapier als Beitrag zum Agendaprozess des
BMBF zur Gestaltung des 3. Rahmenprogramms „Zivile Sicherheit‘‘ .............................................................................. 29
Alexander Fekete, Celia Norf, Neysa Setiadi, Christiane Stephan, Katerina Tzavella
Fliegendes Lokalisierungssystem für die Rettung und Bergung von Verschütteten (FOUNT2) - --
Anwenderorientierte Forschung am Institut für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr .................... 34
Tim Brüstle, Johannes Weinem, Sebastian Schmitz, Ompe Aimé Mudimu
Kritische Infrastrukturen-Resilienz als Mindestversorgungskonzept: Ziele und Inhalte des
Forschungsprojekts KIRMin ............................................................................................................................................................. 38
Alexander Fekete, Neysa Setiadi, Katerina Tzavella, Alexander Gabriel, Jens Rommelmann
Berufliche Mobilität als Einflussfaktor für die Bereitschaft ehrenamtlicher Tätigkeit im Bevölkerungsschutz.
Teilstudie im Forschungsschwerpunkt „Bevölkerungsschutz im gesellschaftlichen Wandel (BigWa)‘‘ ............ 44
Christiane Stephan, Phyllis Bernhardt, Jan Bäumer, Alexander Fekete
Forschungsprojekt RiKoV - -- neuer Risikomanagementansatz für den öffentlichen Personennahverkehr --- Ein
Resümee der Projektergebnisse der TH Köln ........................................................................................................................... 61
Florian Steyer, Florian Brauner, Ompe Aimé Mudimu, Alexander Michael Lechleuthner
Blaulichtmilieu und Demokratisierung - -- Quo vadis Rettungsingenieurwesen? ....................................................... 69
Oliver Schlung, Nils Böger, Andreas Frizen, Julian Heidrich
Das Praxissemester im Bachelorstudiengang Rettungsingenieurwesen ...................................................................... 79
Lennart Landsberg, Jan Bäumer
Arbeitsbeispiel einer internationalen Praktikantin am IRG - -- Case study: Situation of people affected by the
Nepal Earthquake in 2015 and activities carried out by the Polish government and organisations in this
scope ........................................................................................................................................................................................................ 86
Patrycja Chojnowska
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Forschung und Lehre am IRG
Zum Studiengang Rettungsingenieurwesen
Alexander Michael Lechleuthner
(Das Interview wurde geführt von Alexander Fekete)
Email: alex.lechleuther(at)th-koeln.de
Fekete:
Herr Lechleuthner, vielen Dank für die Bereitschaft zum Interview. Starten wir mit einer einführenden Frage
zu Klärung für Personen, die das Institut bisher nicht kennen. Was ist Rettungsingenieurwesen?
Lechleuthner:
Ursprünglich haben wir den Studiengang als Rescue-Engineering bezeichnet, um jungen Menschen ein
Studium anzubieten, das in der abwehrenden Gefahrenabwehr angesiedelt ist und das Kompetenzen
vermitteln sollte, wenn der Schaden eingetreten ist. Das heißt, wenn der Schaden eingetreten ist, was ich
muss ich wissen, um das zu bekämpfen? Und da gehören natürlich nicht nur die unmittelbaren
Einsatztätigkeiten dazu, sondern eben auch alle vorbereitenden, organisatorische, fachliche und
Managementaufgaben. Und wir wollen ein Studium machen, was auf ein Ingenieurstudium gründete und
sozusagen das ingenieurmäßige Denken vermittelt und dann darauf aufsetzend interdisziplinär aufgestellte
fachliche Themen, die sich in dem Bereich operative Gefahrenabwehr drehen und die Leute in die Lage
versetzen, mehr oder weniger als Generalisten verschiedene Themenfelder zu bearbeiten und zu erkennen,
wo vielleicht noch Spezialistenbedarf ist. Das war sozusagen der ursprüngliche Gedanke, weil wir eben im
Bereich der operativen Gefahrenabwehr, also Rettungsdienst, Feuerwehr usw., gesehen haben, dass die
Ausbildung dort regelmäßig bei null anfängt. Das heißt, die kommen aus irgendeinem Studium raus und
fangen oder fingen bei null an, hatten überhaupt keine Vorstellung, was sich in diesem Bereich tut und mit
diesem Studiengang wollten wir erreichen, dass die Leute herangeführt wurden, so dass, wenn sie das
Studium abgeschlossen haben, auch arbeitsfähig in diesem Bereich sind. Weiterer Hintergedanke war, dass
bereits Ende der 90er Jahre, als wir begonnen haben diesen Studiengang sozusagen aufzubauen, die
demografische Entwicklung klar war und wir wussten, es reicht später nicht mehr mit der Industrie, mit allen
um die Absolventen von Studiengängen zu kämpfen, sondern wenn man sie frühzeitig sozusagen in diese
Richtung bringt, dass sie sich dann auch für den Bereich interessieren und sozusagen dann auch, nach
Abschluss des Studiums, dabeibleiben. Sozusagen als Nachwuchsgenerierung für den Bereich der operativen
Gefahrenabwehr. Das ist letztendlich Rettungsingenieurwesen.
Fekete:
Dankeschön. Die nächste Frage: Wohin werden sich die Studiengänge RIW klassisch und auch die
Vertiefungsrichtung Brandschutzwesen zukünftig entwickeln?
Lechleuthner:
Also der operative Gefahrenabwehrbereich, in dem RIW sozusagen klassisch beheimatet ist, wird halt sich
halt sowohl technisch als auch organisatorisch den Weiterentwicklungen anpassen und sozusagen auch
neue Verfahren, neue Kompetenzen mitnehmen. Bei der Vertiefungsrichtung Brandschutzingenieurwesen ist
es so, dass wir hier nicht im Bereich operative Gefahrenabwehr, sondern vorbeugende Gefahrenabwehr
aufgestellt sind, das heißt, wir verlassen den Bereich der operativen Gefahrenabwehr und erschließen uns
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Forschung und Lehre am IRG
den Bereich vorbeugende Gefahrenabwehr damit und wir haben auch noch einige Teile in der
Sicherheitstechnik, so dass sozusagen der Gefahrenabwehrkreis dann schließt und die Technische
Hochschule am Institut eben alle drei Gefahrenabwehrrichtungen vertritt.
Fekete:
Aus Ihrer Sicht als Lehrender und als Leiter des Instituts, welche Personen spricht dieser Studiengang
besonders an?
Lechleuthner:
Also es sind zwei, so war es auch ursprünglich vorgesehen, zwei Gruppen. Die eine Gruppe sind bereits im
Bereich der operativen Gefahrenabwehr tätig, sie sind im Rettungsdienst tätig, sie sind bei der Feuerwehr
tätig, sie sind im Katastrophenschutz tätig oder bei einer entsprechenden Behörde oder auch industriell und
möchten sich weiterqualifizieren. Das heißt, die haben in dem Bereich eine ganz normale Ausbildung, sind
dort tätig und sagen sich irgendwann: „ich möchte mich akademisch weiterqualifizieren.“ Die steigen dann
sozusagen in den Bachelor ein, um sich hier weiter zu qualifizieren.
Die zweite Gruppe ist die, das sind die Absolventen, das heißt, die kommen direkt nach dem Abi zu uns,
haben vielleicht schon vorher Erfahrungen in der freiwilligen Feuerwehr oder im Sanitätsdienst oder im
Rettungsdienst gemacht, wollen auch zu uns. Und es gibt welche, die sagen: „Ich finde das ganze Thema
interessant“, die machen das sozusagen ohne entsprechende Vorkenntnisse und sich, wie die Abiturienten
dafür interessieren.
Fekete:
Herr Lechleuthner, wir haben hier vor uns dann einen Sammelband liegen, der zum ersten Mal vielleicht auch
beschreibt: „Was ist Rettungsingenieurwesen?“ Wenn sie noch in ein, zwei Sätzen kurz sagen könnten, was
ein Kernaspekt ist, was Rettungsingenieurwesen gegenüber allen anderen Disziplinen und Fachrichtungen
auszeichnet.
Lechleuthner:
Dass es sich hier um Leute handelt, die an Einsatzstellen kommen, wo zur Bewältigung keine Infrastruktur
vorhanden ist, wo eine unübersichtliche Lage ist, die die von ihrer Ausbildung her und von ihren
Kompetenzen her in der Lage sind, zur Erkennen was es ist, zu ermitteln, was an Informationen fehlt, zu
planen und zu organisieren, was zur Bewältigung erforderlich ist und das dann letztlich so umzusetzen. Das
ist das, was im Kern Rettungsingenieurwesen ist.
Fekete:
Ein herzliches Dankeschön, Herr Lechleuthner
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Forschung und Lehre am IRG
Rettungsingenieurwesen aus Sicht des Risiko- und
Krisenmanagements mit Bezug zu Sicherheits- und
Nachhaltigkeitsforschung
Alexander Fekete
Email: alexander.fekete(at)th-koeln.de
Einführung
Rettungsingenieurwesen ist ein relativ junger Studiengang und Fachbereich. Er beinhaltet viele Anteile aus
anderen sowohl wissenschaftlichen Disziplinen als auch praxisnahen Fachbereichen. Der folgende Artikel
versucht eine kurze Einordnung des Rettungsingenieurwesens hinsichtlich Begriff, Inhalt, und
Anwendungsfeldern. Die folgende Darstellung ist insofern begrenzt als sie aus Sicht eines Dozenten einer
Hochschule, der TH Köln, mit einer Spezialisierung im Bereich Risiko- und Krisenmanagement enthält. Zudem
ist der Autor ursprünglich fachfremd und erst seit Ende 2012 im Bereich Rettungsingenieurwesen tätig.
Somit erfasst der Artikel, aus Sicht eines Geographen geschrieben, nur eine bestimmte Perspektive und
ausgewählte Aspekte und muss durch die Sicht anderer Hochschulen, Dozenten und Praktiker komplettiert
werden.
Herkunft des Rettungsingenieurwesens
Rettungsingenieurwesen an der Technischen Hochschule Köln (bis 2015 Fachhochschule Köln) gibt es in der
Lehre seit 2002, ursprünglich unter der Bezeichnung Rescue Engineering, aktuell als
Rettungsingenieurwesen, am Institut für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr (IRG). An der
Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg besteht seit 2006 ebenfalls einen
Studiengang Rescue Engineering. Es gibt eine ganze Reihe verwandter Studiengänge und
Forschungseinrichtungen im Themenfeld Sicherheit, Risiko und Gefahrenabwehr (Übersichten finden sich
auf KatNet; www.Katatstrophennetz.de oder beim Forschungsforum Öffentliche Sicherheit;
http://www.sicherheit-forschung.de). Für die Vorgeschichte sind in Deutschland u.a. die Studiengänge
Sicherheitstechnik in Wuppertal seit 1975 und die Katastrophenforschungsstelle in ehemals Kiel, nun Berlin,
(seit 1987) bedeutend. Im Ausland wäre als Beispiel das Disaster Research Center in Ohio, USA zu nennen, das
seit 1963 besteht, aber es gibt eine Vielzahl weiterer bedeutsamer Einrichtungen. Inhaltlich wie sprachlich ist
der international gebräuchliche Bereich Emergency Management (Alexander 2002), aber auch Contingency
Management mit Rettungsingenieurwesen besonders verwandt. Rettungsingenieurwesen hat somit
inhaltlich Vorläufer. Im Folgenden wird versucht herauszustellen, was Besonderheiten gegenüber
verwandten Fachgebieten sind.
Studieninhalte Rettungsingenieurwesen
Rettungsingenieurwesen befasst sich mit einer großen Spannbreite - von alltäglichen Notfällen wie etwa
Unfällen, die zu Rettungseinsätzen führen, über sogenannte Großschadenslagen, bei denen viele Menschen
gleichzeitig betroffen sind, bis hin zu großen Krisen und Katastrophen, die nicht mehr leicht oder nicht mehr
mit den gängigen Mitteln und Ressourcen bewältigt werden können. Bei großen Hochwasserlagen kann, als
Beispiel für eine größere Krise, ein Katastrophenalarm ausgelöst werden, wenn eine Gemeinde die Situation
nicht mehr alleine bewältigen kann.
Rettungsingenieurwesen ist ein Forschungs- und Studienfeld, das bestimmte disziplinäre Anteile und Inhalte
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Forschung und Lehre am IRG
umfasst. Die Zusammensetzung in einer Studienrichtung hat sich dabei teilweise über den Alltag in der
Lehre und Forschung etabliert, der Studiengang ist auch aus den Anforderungen der Realität und ihren
beruflichen Anforderungen heraus entstanden (siehe Interview mit Herrn Lechleuthner in diesem Band).
Zum anderen ändern sich nicht nur in der Realität die Gefahrenlagen und-arten und damit die
Herausforderungen an Fachkräfte wie auch die betroffene Öffentlichkeit ständig – auch die Forschung
reagiert darauf und Rettungsingenieurwesen ist damit ein sehr dynamisches und innovatives Feld. Es fehlt
bislang jedoch noch an begrifflichen Festlegungen und Erläuterungen, was Rettungsingenieurwesen
eigentlich ist. Auch haben viele Studierende Schwierigkeiten zu erklären, was Rettungsingenieurwesen ist.
Rettungsingenieurwesen enthält zum einen eine große Reihe an Fächern, die Ingenieursgrundlagen
darstellen, die auch in anderen Bereichen wie etwa Maschinenbau üblich sind; Mathematik, Physik und
Chemie. Hintergrund dieser Fächerkombination war der Wunsch, Studierende für einen Arbeitsmarkt so
auszubilden, dass sie in vielen Bereichen eingesetzt werden können; im Rettungswesen, Feuerwehren, der
sog. nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr, aber zunehmend auch in Behörden mit Katastrophen- oder
Zivilschutzaufgaben, Bevölkerungsschutz oder Firmen, die sich intern oder als Beratungsleistung mit
Business-Continuity oder Risikomanagement befassen. Weitere Studienfächer zielen auf die
Interdisziplinarität und den Praxisbezug ab; Einsatz- und Führungslehre, Betriebswirtschaftliche Grundlagen,
Logistik, Rechtswesen usw. sollen auf künftige vielfältige Aufgaben im realen Arbeitsleben im Umgang mit
Verwaltung, Finanzierung und Management vorbereiten. Praxissemester und Vorpraktika ergänzen die
Ausbildung um sehr angewandte Erfahrungen aus der Praxis. Damit werden interdisziplinäre und praxisnahe
Kompetenzen für eine Vielzahl möglicher Ausgabengebiete vermittelt. Diese Breite einerseits und die für die
Öffentlichkeit noch ungewohnte Kombination aus Ingenieurswesen mit dem Begriff Rettung bedürfen oft
einer Erklärung. Die Problematik der Außendarstellung und inhaltlichen Abgrenzung eines relativ neuen
Fachbereichs mit interdisziplinären, heterogenen und vielfältigen Inhalten teilt sich das
Rettungsingenieurwesen mit anderen Hochschulfächern. Die Anforderungen an interdisziplinäre Fächer sind
oft sehr hoch, da sie sich gegenüber den einzelnen (oft klassischen) Disziplinen beweisen und dann auch
noch abgrenzbar und identifizierbar ausgestalten müssen. Auch ernten angewandte Fachbereiche häufig
Kritik von etablierten Disziplinen. Wichtiger als die akademische Einordnung ist beim
Rettungsingenieurwesen jedoch insbesondere der Bezug zum Bedarf in der Berufswelt, und dahingehend
werden Inhalte als auch Kompetenzen ausgewählt, die den Studiengang und damit einen großen Teil von
Rettungsingenieurwesen ausmachen. Die Studierenden bekommen in einem Einführungsmodul die
Aufgabe, eigenständig ein Szenario auszuwählen und zu beschreiben, bei dessen Bearbeitung
Rettungsingenieurwesen benötigt wird. Sie sollen weiterhin anhand dieses Beispiels die Vielfalt der
benötigten Akteure und Kompetenzen, aber auch die Möglichkeiten und Grenzen der Ausbildung an der
Hochschule darstellen.
Forschung zu Rettungsingenieurwesen am Institut
Die Inhalte des Studiengangs Rettungsingenieurwesen lassen aus der gelebten oder besser gesagt,
gelehrten Realität die Inhalte des Begriffs Rettungsingenieurwesen erkennen. Anhand der Betrachtung der
Module des Studiengangs, aber auch anhand der am Institut durchgeführten, drittmittelfinanzierten
Forschungsprojekte wird deutlich, dass Rettungsingenieurwesen viele weitere Inhalte und Kompetenzen
umfasst, als was gemeinhin mit dem Begriff Rettung oder Ingenieur verbunden wird. Nicht nur Brandschutz
und Risiko- und Krisenmanagement deuten hier weitere Themenbereiche an, auch die Inhalte von
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Forschung und Lehre am IRG
Forschungsprojekten zum Beispiel zu Arbeits- oder Veranstaltungssicherheit, Bevölkerungsschutz, Kritischen
Infrastrukturen oder Naturgefahren, sind weniger mit dem Begriff Rettung allein assoziiert, sondern auch mit
Sicherheitsmanagement und -technik, Katastrophenvorsorge oder anderen Fachgebieten. Daneben lassen
sich aber auch eine ganze Reihe an Projekten erkennen, die eng mit dem Begriff Rettung verknüpft sind, wie
etwa Projekte zur Rettung Verschütteter oder Luftrettung, Evakuierungen, Biomedizin, usw.
Das Institut für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr (IRG) selbst stellt relevante Fachgebiete in
einem Schaubild dar, welches unter dem Gesamtbegriff „Gefahrenabwehr und Sicherheit“ drei Hauptgebiete
ausweist:
1. Operative Gefahrenabwehr: Feuerwehr, Rettungsdienst, technische Hilfeleistung und
Katastrophenschutz
2. Vorbeugende Gefahrenabwehr: Brandschutz, Umwelt. und Bevölkerungsschutz,
Managementsysteme
3. Sicherheitstechnik: Anlagen- und Prozesssicherheit, Maschinensicherheit, Arbeitsschutz
„Das IRG fokussiert sich bei seiner Arbeit besonders auf die Bereiche der operativen & vorbeugenden
Gefahrenabwehr“ heißt es auf der Institutswebseite. Diese Fachbereiche spannen also ein
Fachgebietsspektrum auf, in dem einzelne Teile von Rettungsingenieurwesen enthalten sind. Jedoch ist
Rettungsingenieurwesen selbst nicht explizit ausgewiesen oder definiert. Auch dies ergibt einen Hinweis auf
die Notwendigkeit, Rettungsingenieurwesen weiter zu erläutern und begrifflich wie konzeptionell
einzuordnen.
Begriffsbestimmung Rettungsingenieurwesen
Der folgende Abschnitt nähert sich dem Begriff Rettungsingenieurwesen mittels Hypothesenbildung und
mag von den Lesern unterschiedlich Zustimmung oder Ablehnung erfahren. Rettungsingenieurwesen hängt
einerseits eng mit Rettungswesen zusammen und betrachtet somit Situationen und Fähigkeiten, die bei
Einsätzen des Rettungsdienstes vorkommen. Das sind Notfälle, die überwiegend in ähnlicher Weise regulär
vorkommen und für die es viele etablierte Verfahren, Vorschriften und Handlungsabläufe gibt. Andererseits
gibt es auch die nichtalltäglichen Notfälle oder Lagen, die durch ihre Seltenheit, Komplexität und Dimension
spezielle Anforderungen stellen.
Man könnte also die Hypothese aufstellen, dass der Begriff Rettungsingenieurwesen mit Rettungswesen und
damit mit eher alltäglichen Notfällen assoziiert wird. Nichtalltägliche Situationen werden (auch) mit anderen
Begriffen belegt, z.B. Krisen oder Katastrophen und sie erfordern häufig andere, zusätzliche Kompetenzen
und Ressourcen. Ist z.B. der Rettungsdienst einer Kommune überfordert, da es zu viele Verletzte sind, werden
andere zur Hilfe gerufen. Je nach Gefahrenart und Situation kann dies eine Aufgabe des
Katastrophenschutzes, der polizeilichen Gefahrenabwehr oder anderer Organisationen werden. Zusätzlich
zum Rettungsdienst werden also weitere Akteure beteiligt, da gerade Krisenereignisse größerer Dimension
neben den im Alltagsfall üblicherweise agierenden Einsatzkräften wie Feuerwehr und Polizei auch noch
weitere Stellen und Organisationen und vor allem Kompetenzen benötigen. Rettungsingenieurwesen
beinhaltet nicht nur Rettungsdienste, wäre die nächste Hypothese, sondern auch Feuerwehren und viele
weitere Akteure und Fachgebiete, wie es oben unter dem Gesamtbegriff „Gefahren und Sicherheit“ bereits
angedeutet ist. Was beinhaltet Rettungsingenieurwesen aber nun und wie lässt es sich abgrenzen?
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Forschung und Lehre am IRG
Der Begriff Rettung
Es stellt sich vor allem die Frage, wie weit der Begriff Rettung hier zu fassen ist, bzw. wie er einzugrenzen ist.
Rettung beschreibt als Begriff einen Zustand, der erreicht wird, in dem etwas „abgeschüttelt“
(etymologischer Wortstamm von Lateinisch excutere; vgl. etymonline.com) wird oder anders ausgedrückt,
überwunden wurde. Ob dieser Zustand durch eigene Kraft oder Fremdeinwirkung geschieht, lässt sich zwar
nicht direkt aus dem Wortstamm erkennen, jedoch ist die Assoziation aus dem Alltagsgebrauch weitaus
häufiger mit Rettung durch andere verbunden als Begriffe wie „Selbstrettung“ oder „Eigenrettung“. Wenn
man die Vorgehensweise zur Bestimmung von strategischen Schutzzielen heranzieht, muss man mit den W-
Fragen unterteilen, was wovor gerettet werden soll, und wo, wann, durch wen, warum und wie. In
Angliederung an Methoden zur Bestimmung von Schutzzielen im Bevölkerungsschutz könnte man festlegen,
dass Rettung, und damit Rettungsingenieurwesen, eng mit dem Schutzziel „Leben und Gesundheit“
zusammenhängt und weniger mit der Rettung der Umwelt, Wirtschaft oder anderer gesellschaftlicher Werte
(vgl. Fekete et al. 2012). Es sollen also Menschen vor den negativen Auswirkungen von Gefahrenereignissen
„gerettet“ werden. Im Prinzip ähnelt das sehr den Zielen, die auch Katastrophen- und Bevölkerungsschutz,
Disaster Risk Reduction oder Disaster Risk Management anführen. Unterschiede zu diesen lassen sich ggf.
über eine genauere Untersuchung des Begriffs Rettung weiter annähern.
Man kann anhand der üblichen Einteilung von Systemabläufen im Risiko- und Krisenmanagement, z.B.
anhand eines Katastrophenkreislaufs, oder auf einem Zeitpfeil den typisierten Ablauf einer Rettung
darstellen. Zu untersuchen ist nun, in welchen Zeitphasen Aktivitäten für eine Rettung durchgeführt werden.
Rettung ist zunächst einmal ein Vorgang, der unmittelbar bei bzw. kurz nach dem Beginn eines
Notfallereignisses stattfindet (vgl. Abb. 1). Um eine Rettung aber erfolgreich durchführen zu können, also mit
entsprechenden Ressourcen rechtzeitig vor Ort sein zu können, bedarf es auch der Vorplanung weit vor dem
Notfallereignis. Es bleiben aber Fragen offen; bezieht sich eine Rettung nur auf die Aktivität, sobald etwas
Negatives bereits passiert ist? Oder kann man etwas im Vorfeld verhindern, damit es zum Notfallereignis gar
nicht kommt? Rettet man zum Beispiel jemanden auch dadurch, dass man die Person gar nicht in die
Gefahrensituation gelangen lässt? Oder ist das bereits durch einen anderen Begriff belegt, z.B.
Gefahrenabwehr oder Schutz? Innerhalb der Risikoterminologie würde man in diesem Beispiel im Vorfeld
verhindern, dass eine Exposition mit einer Gefahrenquelle stattfindet.
Abbildung 1: Phasen der
Rettung
Die Gefahrenabwehr dagegen hat eine Verhinderung des Eintretens eines Schadens zum Ziel (vgl. Abb. 2).
Gefahrenabwehr, insbesondere polizeilich verstanden, beschreibt die Abwehr einer Gefahrenquelle für ein
Schutzobjekt. Rettung hat dies weniger zum Ziel, es geht tendenziell mehr um die Phase der Rettung, sobald
etwas eingetreten ist.
11 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Abbildung 2: Phasen der Gefahrenabwehr
In der Praxis sind solche Wortklaubereien weniger direkt bedeutsam; denn sowohl Rettungsingenieurwesen
als auch nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr erfassen de facto viele Bereiche vor, während und nach einem
möglichen Notfallereignis. Für eine Festlegung von Zuständigkeiten innerhalb der Gesetzgebung und von
Verwaltungsaufgaben sind solche Unterscheidungen aber ggf. schon relevant.
Rettungsingenieurwesen weist viele Bezüge insbesondere zum Notfallmanagement auf (vgl. Alexander
2002), das wiederum viele Bezüge zu Disaster Risk Management (vgl. Coppola 2011) und Disaster Risk
Reduction (vgl. Twigg 2004) hat. Ein integriertes Risiko- und Krisenmanagement umfasst Ressourcen und
Handlungen vor, während und nach einem Ereignis (vgl. Abb. 3). Diese Phasen werden auch mit den
Begriffen Vorsorge, Vorbereitung, Reaktion und Wiederherstellung bezeichnet.
Abbildung 3: Phasen im integrierten Risiko- und Krisenmanagement
Rettung ist wie Gefahrenabwehr und Schutz nur jeweils eine von mehreren möglichen Handlungsformen. Es
gibt u.a. noch Erholungsfähigkeit, Anpassung, Verwundbarkeit, Resilienz, Risikoakzeptanz, -reduktion, -
transfer und viel andere Arten, das Risiko insgesamt oder durch Betrachtung der Gefahren oder der
Auswirkungen zu behandeln. Aber auch der Risikobegriff ist wiederum nur ein Teil der Vielzahl der Aspekte
der Sicherheit. Die Darstellung auf einem Zeitpfeil wird zudem als simplifizierend und insofern falsch
kritisiert, als der Zeitpfeil suggeriert, dass es sich um ein lineares Vorgehen handelt. An dieser Stelle geht es
jedoch nur um eine schematische Darstellung zum Nachdenken, was Rettung beinhaltet.
12 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Abbildung 4: Strukturierungsschema der Positionierung von Rettung als einer
der Bewältigungsfähigkeiten innerhalb der Bestandteile eines Risikos
Eine andere Möglichkeit ist die Strukturierung der Bestandteile eines Risikos, wie es in Risikoanalysen
verwendet wird. Darin ist Rettung eine von vielen Bewältigungsfähigkeiten (oder –kapazitäten), die hilft, die
Anfälligkeiten und Expositionen innerhalb der Verwundbarkeit betroffener Werte (hier vor allem Menschen)
zu reduzieren (vgl. Abb. 4 und Twigg 2004). Diese Fähigkeiten bedürfen vielerlei Kapazitäten (Ressourcen)
um umgesetzt werden zu können, dazu zählen organisatorische wie technische Ressourcen und
Maßnahmen.
Die Fähigkeiten zur Rettung liegen bei verschiedenen Akteuren; es gibt den Rettungsdienst in der großen,
mittleren und kleinen Stadt, in der ländlichen Gemeinde, auf hoher See, im Gebirge usw. Sie unterscheiden
sich in vielerlei Hinsicht; hinsichtlich Ressourcen, Finanzierung, Hilfsfristen, reale Ausgestaltungen der
Hilfsleistungen usw. Hier kann man zur Einordnung drei generelle Kriterien nutzen, die bei der Bestimmung
und Abgrenzung der Relevanz von Risiken, bezeichnet mit dem Begriff Kritikalität, genutzt werden können
(Fekete 2011).
Rettungskapazitäten lassen sich einteilen nach:
• Größe
• Zeitfaktoren und
• Qualität.
Beispiele für Größenordnungen sind u.a. Anzahl der Wachen und Gerätehäuser, Einsatzfahrzeuge,
Mannschaftsgrößen und Marschbesetzungen.
Zeitfaktoren sind u.a. Hilfsfristen und Schichtdienstbesetzungen. Aber auch der Zeitraum, innerhalb des
Zeitpfeils, in dem Rettung vorbereitet und durchgeführt wird.
Qualitätsfaktoren sind die Art und Zusammensetzung der angebotenen Dienstleistungen; bezahlte oder
ehrenamtliche, für einzelne Spezialbereiche oder umfassend, usw.
Es lässt sich an dieser Stelle resümieren, dass es die eine Rettung nicht gibt, sondern eine Differenzierung der
Rettung nötig ist, nach den Kriterien von Rettungskapazitäten; Größenordnung, Zeitfaktoren und
Qualitätsart. Weiterhin, welche Rettungsziele; von was, wovor, von wem, wie; analog zu den Definitionen
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Forschung und Lehre am IRG
eines strategischen Ziels (vgl. Schutzziele). Schließlich gilt es noch zu bestimmen, welche Phasen auf dem
Handlungszeitpfeil als zugehörig zu einer Rettung betrachtet werden. Damit nähert man sich der Rettungsart
und damit dem Verständnis der Bandbreite an Dimensionen und Handlungsfeldern des
Rettungsingenieurwesens an.
Einige subjektive Beobachtungen aus Sicht des Risiko- und Krisenmanagements
Die dargelegten Überlegungen sind, wie anfangs eingeleitet, begrenzt und aus einer bestimmten
Perspektive entworfen. Innerhalb dieser Perspektive, aus einem integrierten Verständnis eines umfassenden
Risiko- und Krisenmanagements heraus (siehe auch Abb. 5), lassen sich folgende Aspekte und Beiträge für
das Rettungsingenieurwesen erkennen.
Innerhalb der Lehre gilt es, das Rettungsingenieurwesen um eines seiner Kernmerkmale zu schärfen; die Inter-
und Transdisziplinarität. Während Rettungsingenieurwesen bereits multidisziplinär aufgestellt ist und einen
hohen Praxisbezug hat, ist hier noch viel zu tun, um ein wirklich interdisziplinäres Verständnis auf Seiten der
Studierenden aber auch in der Öffentlichkeit zu erzeugen. Damit sind vor allem Verständnis und Akzeptanz
anderer Disziplinen und Geisteshaltungen gemeint; im späteren Berufsleben wird man als Führungskraft wie
auch als Mitarbeiter in komplexen Krisensituationen immer auf eine Vielzahl unterschiedlich ausgebildeter
Menschen treffen. Bei Eintritt und in der Vorplanung auf solche Situationen sind ein
disziplinenübergreifendes Verständnis (Interdisziplinarität) und ein Verständnis der Transfermöglichkeiten
und Grenzen von Wissen aus der Theorie in die Praxis (Transdisziplinarität) notwendig. Kompetenzen wie
Akzeptanz, Zuhören und (Selbst-)Reflektion sind hier nötig, um keine einseitig qualifizierten Ingenieure
auszubilden, die nur den einen Lösungsweg kennen oder eine Berechnungsweise akzeptieren, sondern
Ingenieure und Ingenieurinnen, die ein selbstständiges und kritisches Denken zu komplexen Problemlagen
entwickeln.
Jedoch prägt die starke ingenieurlastige Grundausbildung das Grundverständnis der Ausgebildeten. Einige
Module wurden in der Anfangszeit gelehrt und danach nicht mehr angeboten, unter anderem Fächer wie
Psychologie und Soziologie. Diese vertragen sich nicht leicht mit der klassischen Ingenieursausbildung und
einem gewissen Selbstverständnis eines typischen Ingenieurs. Jedoch sind genau solche
sozialwissenschaftlichen Module, aber nicht nur sie sondern auch andere, im Berufsleben sehr bedeutsam.
Ein Rettungsingenieur ist ohnehin kein klassischer Ingenieur, daher wäre eine noch breitere und stärkere
Ausrichtung nach den Anforderungen im späteren Beruf wichtig und auch bzgl. solcher vermeintlich
„weicher“ sozialwissenschaftlicher Fächer noch einmal zu überdenken. Es geht aber nicht nur um
Sozialwissenschaften, auch könnten Programmierfähigkeiten und andere Nebenfächer aus dem technischen
wie auch aus dem nichttechnischen Bereich für die spätere Arbeit hilfreich sein. Rettungsingenieurwesen
besteht wie auch Risiko-und Krisenmanagement und Bevölkerungsschutz aus geisteswissenschaftlichen,
ingenieurwissenschaftlichen, naturwissenschaftlichen (Fekete 2017) und noch vielen weiteren Disziplinen
wie Medizin, Jura usw. und je nach Änderungen der Anforderungen aus der Praxis und Berufswelt muss auch
Rettungsingenieurwesen anpassungsfähig bleiben.
Insgesamt ist Rettungsingenieurwesen ein noch recht junger Bereich und ein Feld, in dem es an empirischer
Forschung noch grundsätzlich fehlt. Daher ist der Bedarf an Kompetenzen zum Erheben primärer Daten
(insbesondere Befragungen aber auch Messungen) groß, wie auch der professionelle Einsatz von Methoden
der Datenerhebung und Verarbeitung.
Ein großes Manko ist die fehlende Wahlmöglichkeit und Wahlfreiheit von Nebenfächern, die aber nicht
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Forschung und Lehre am IRG
Rettungsingenieurwesen-spezifisch ist, sondern durch die Angleichung an anglophone Bachelor- und
Masterprogramme eingeführt wurde. Dadurch dass Studierende einen vollen Stundenplan haben, und keine
eigene Nebenfächerwahl treffen können, bestehen weitaus weniger Möglichkeiten für eigene
Entscheidungen und damit zur Herausbildung eines Verantwortungsgefühls bei der Fächerwahl. Auch wurde
durch die Einführung der Credit points zwar die Sicherheit der Studierenden erhöht, nicht erst bei der
Diplomprüfung zu erfahren, ob man durchgefallen ist oder nicht. Jedoch hat sich der Planungshorizont
dadurch auch stärker auf das Bestehen der einzelnen Module verschoben, und es wird dadurch indirekt und
ungewollt insgesamt weniger Wert auf das Abrufen des gesamten Wissens und den Zusammenhang
zwischen den Modulen gelegt.
Dabei sollen am Schluss nicht alle Studierende über einem Kamm geschoren werden und nur für eine Art
von Aufgabe, z.B. Führung und Management, ausgelegt werden. Je nach Neigung kann und soll auch ein
Datenanalyst oder eine Managerin eine Betätigung gemäß seiner oder ihrer Kompetenzen suchen. Die
Diversität der Kompetenzen wird und sollte jedoch auch weiterhin derart gefördert werden, dass sowohl
eine große Bandbreite an Kompetenzen erlernt und erweitert wird. Nach Benjamin Bloom sollten also
Kompetenzen erlangt oder gefördert werden, die vom reinen Wissenserwerb bis hin zur selbständigen
Umsetzung und Übertragung reichen. Damit soll vermieden werden, dass gerade Ingenieure nur auf eine
Arbeitsanweisung warten, eine vorgefertigte Aufgabe in die Hand bekommen und dann die Lösung
ausrechnen. Denn in der modernen komplexen Arbeitswelt sind nicht nur Softskills und Fachwissen gefragt.
Auch wird immer mehr vorausgesetzt, dass man selbständig nicht nur Lösungswege sucht, sondern sogar
die Probleme selbstständig erkennt und bearbeitet.
Innerhalb der Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis ist Rettungsingenieurwesen hervorragend
geeignet, Transfer von Konzepten und Produkten aber auch Dialoge zwischen Forschung und Praxis
herzustellen. Das liegt zum einen an der Praxisnähe, aber auch am Thema, das sich mit realen
Lebensbedingungen der Menschen, neuen Technologien und Konzepten befasst, die auch in vielen anderen
Bereichen zu finden sind, z.B. Projektmanagement, Qualitätsmanagement, Risikomanagement oder
Technikfolgenabschätzung. Zudem sind vielen Berufstätige in diesem Feld, wie auch bereits viele der
Studierenden, die ehrenamtlich oder gar beruflich bereits in Hilfsorganisationen oder der Industrie
gearbeitet haben, oft ausgesprochene „Kümmererpersönlichkeiten“, d.h. sie packen gerne an und versuchen
zu vermitteln, strukturiert Lösungen zu entwickeln und Probleme zu erkennen. Nicht nur für die
Forschungsarbeit sind dies gute Hintergrundbedingungen, um mit Praxispartnern zusammenzukommen,
sondern sie können auch eine reale Umsetzung neuer Ansätze in der Praxis fördern.
Der Transfer von Forschung findet auch in die Lehre statt und umgekehrt. Forschendes Lernen ist zwar nicht
leicht in der Umsetzung, da Lehrende auf der einen Seite in der Parallelbearbeitung von Lehre, Forschung
und Projektmanagement Ressourcenprobleme haben und auf der anderen Seite Studierende eine hohe
Erwartungshaltung haben, gerade auch im Bachelor nicht nur für die Wissenschaft sondern auch für die
Praxis Lerninhalte und Aufgaben vermittelt zu bekommen. Jedoch zeigt sich auch hier deutlich, dass viele
Studierende ihr Fachwissen bereits direkt einsetzen können. Die zahlreichen Rückfragen aus der Praxis nach
Verwendung der Forschungsergebnissen, teilweise sogar aus Projektarbeiten der Studierenden, zeigt auch
den Erfolg auf, Forschung in die Lehre zu integrieren. Einschränkend muss aber auch hervorgehoben
werden, dass nicht die Erwartungshaltung entstehen darf, dass jedes studentische Projekt so gut sein wird
und kann, dass es in der Praxis nachgefragt wird.
Innerhalb der Forschung und Lehre zeigt sich, dass sich Risiko- und Krisenmanagement hervorragend in
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Forschung und Lehre am IRG
bestimmten Aspekten mit Rettungsingenieurwesen und auch mit Brandschutzingenieurwesen verbinden
lässt (siehe auch Abb. 5). Da Risiko- und Krisenmanagement als Profil und durch eine eigene Arbeitsgruppe
noch relativ jung am Institut ist (seit 2012), lassen sich die Anknüpfungspunkte und thematische Einordnung
zu Rettungs- und Brandschutzingenieurwesen, wie auch zu den Sicherheits- und Mensch-Umweltthemen in
Forschung und Forschungsförderung nur erst vorläufig skizzieren. Zum einen ist Risiko- und
Krisenmanagement, das sich genauer gesagt, in der aktuellen Ausprägung vor allem mit Desaster Risiko und
Krisenmanagement befasst, ein Bestandteil, der fachlich dem Rettungs- wie Brandschutzingenieurwesen
zuarbeitet (Abb. 5). Zum anderen hat Risiko- und Krisenmanagement eine noch ganzheitlichere
• konzeptionelle Bandbreite (bearbeitet den kompletten Management-Kreislauf, ein All-Hazard
Ansatz, All-of-society Ansatz, Verwundbarkeit du Resilienz, neben der reinen Gefahrenbetrachtung),
• thematische Bandbreite (von A wie Amoklauf oder Arbeitsschutz bis Z wie Zyklone behandelt es alle
Arten und Dimensionen von Gefahren, Risiken und Verwundbarkeiten, Resilienz und Maßnahmen,
Strategien),
• methodische Bandbreite (quantitative und qualitative wissenschaftliche Grundlagenmethoden bis
hin zu Spezialmethoden wie räumliche Risikoanalyse oder Kritikalitätsanalyse von Infrastrukturen)
und kann daher auch als verbindendes Element über Rettungs-, Brandschutzingenieurwesen hinaus
auch mit weiteren Nachbardisziplinen und Themenfeldern wirken (Abb. 5).
Abbildung. 5: Themenfelder mit Bezug zu Rettungs- und Brandschutzingenieurwesen
Die Verknüpfungspunkte zu Rettungsingenieurwesen wie Brandschutzingenieurwesen liegen aktuell vor
allem in der Lehre vor; im Themenspektrum werden Aspekte von Naturgefahren ergänzt, die in klassischen
Rettungsdienst- und Feuerwehrfeldern sonst nur aus der Praxis bekannt sind und dort an Bedeutung
zunehmen. Methodisch wird durch die Vermittlung von Risikoanalysemethoden wie auch
Risikomanagement-Modellen, aber auch durch das Spezialthema Kritische Infrastrukturen und
Bevölkerungsschutz ein Brücke geschlagen, die in vielen anderen Themen und Lehrmodulen des RIW/BIW
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Forschung und Lehre am IRG
Anknüpfungen erhält. Verknüpfungen zu klassischen, an Universitäten etablierten Disziplinen sind auch
vielfach vorhanden, z.B. zur geographischen Risikoforschung, zur Ökosystemforschung, Risikomanagement
in Unternehmen usw. Durch die internationale Ausrichtung entstehen auch viele Kooperationen,
Forschungsvorhaben, Publikationen und Austausche von Experten und Studenten (u.a. auch dokumentiert
auf unserem Blog; http://riskncrisis.wordpress.com und in unserer Schriftenreihe: Integrative Risk and
Security Research, z.B. Norf et al. 2014, Fekete et al. 2017 und in diesem Band der Beitrag von Chojnowska).
Der Bezug zwischen Hochschule und Praxis wird auch durch die seit 2014 laufende öffentliche
Abendvortragsreihe „Risky Monday“ deutlich; hier tragen sowohl Behörden, Hilfsorganisationen, Firmen oder
Hochschulen zu aktuellen Themen vor, und zum Teil sind dies auch ehemalige IRG-AbsolventInnen (Norf,
Stephan, Fekete 2017).
Es haben sich viele Zusammenarbeiten ergeben, im Institut, in der Fakultät und sogar fakultätsübergreifend
in der TH Köln (z.B. im aktuellen Forschungsschwerpunkt BigWa -Bevölkerungsschutz im gesellschaftlichen
Wandel, siehe Beitrag von Stephan et al. in diesem Band)). Weiterhin ist eine Zusammenarbeit mit einer
Vielzahl von Partnern an anderen Hochschulen, Behörden und Wirtschaft entstanden. Die Praxisnähe von
Rettungsingenieurwesen hilft sehr, angewandte Themen und lokale Praxispartner zu identifizieren. Damit
wird auch im Sinne der internationalen Rahmenempfehlung des Sendai Rahmenwerks zur Reduktion von
Katastrophen (UN 2015) gehandelt, in dem Aktivitäten zu Stärkung des Wissen um Risiken (Priority 1),
Einbindung von Verwaltungen und Management (Priority 2) Investitionen (Priority 3) und Vorsorge vor
Katastrophenauswirkungen (Priority 4) gefordert werden. Umsetzungen auf nationaler Ebene aber
insbesondere vor Ort, in den Kommunen, werden gefordert und hier werden viele Projekte im Bereich
Rettungsingenieurwesen durchgeführt. Thematisch haben sich im Bereich Risiko- und Krisenmanagement
Forschungsaktivitäten insbesondere in Themenfeldern wie
• Bevölkerungsschutz
• Kritische Infrastrukturen
• Risikoanalysen, inkl. Verwundbarkeit und Resilienz
ergeben. Dazu siehe auch andere Beiträge in diesem Band, die einzelne Forschungsvorhaben im Bereich
KRITIS (KIRMin) und Bevölkerungsschutz (BigWa) darstellen.
Folgende Forschungsgebiete sind noch zu ergänzen:
Räumliche Risikoanalysen: Aktuell wird der Einsatz von Geographischen Informationssystemen (GIS) und
die Erhebung empirischer Daten sowohl qualitativer als auch quantitativer Art verfolgt, um (räumliche)
Analysen von Risiken für die Bevölkerung durchführen zu können. Aktuell werden solche Analysen u.a. in
NRW, aber auch in Ländern wie Iran und Myanmar durchgeführt. Darin werden u.a. Standortfaktoren von
Gefahren und Verwundbarkeiten, sowie Resilienz (siehe Abb. 3) untersucht und zusammengefügt.
Evaluierungen von Maßnahmen: Ein anderes Gebiet ist die Evaluierung von Hilfseinsätzen im
internationalen Bereich, u.a. wurden in Surveys Daten zu Erfolg und Nachhaltigkeit von Hilfseinsätzen und
Wiederaufbauprogrammen nach Tsunami und anderen Extremereignissen erhoben (Stephan, Norf, Fekete
2017). Auch nach dem Hochwassereinsatz 2012 wurden solche Daten erhoben. Eine studentische Umfrage
zur Zufriedenheit der Helfer nach dem Einsatz hat sogar derart Interesse hervorgerufen, dass über 3000
Fragebögen online komplett beantwortet wurden (Baumgarten und Bentler 2015).
Kommunikation und Wissensmanagement: Im Rahmen unseres Forschungsschwerpunkts BigWa
(Bevölkerungsschutz im gesellschaftlichen Wandel), oder in Zusammenarbeit mit Organisationen im Bereich
social media, aber auch in der Zusammenarbeit mit dem BMUB (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,
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Forschung und Lehre am IRG
Bau und Reaktorsicherheit) im Bereich Strahlenschutz wird der Bedarf nach Transfer zwischen Wissen aus der
34Forschung oder Berufspraxis und der Bevölkerung immer wieder deutlich. Kommunikation ist hier nicht
nur ein technisches oder organisatorisches Problem, sondern auch oft eine Frage, wie Dialog und Akzeptanz
hergestellt werden können. Aber auch die Aufbereitung und Bereitstellung von Wissen ist in einem breiten
interdisziplinären Feld nicht einfach. Im Projekt Atlas der Verwundbarkeit und Resilienz (Fekete und
Hufschmidt 2016) haben wir einen Dialog aufgebaut und schließlich ein Übersichtswerk über verschiedene
Zugänge und Studien erstellt, das unterschiedlichste natürliche Risiken wie Hochwasser oder Hitzewelle,
sowie menschlich-technische Gefahren wie Amoklauf oder Ausfall Kritischer Infrastrukturen beleuchten.
Es wären hier noch einige weitere Schwerpunkte zu nennen, u.a. Strukturwandel im Bevölkerungsschutz
(demographischer und technischer Wandel usw. – siehe Beitrag zu BigWa). Aber auch im Bereich
Veranstaltungssicherheit gibt es eine seit Jahren etablierte sehr aktive Arbeitsgruppe mit über 20
Teilnehmern aus der Praxis und anderen Hochschulen, den Arbeitskreis Naturgefahren und Naturrisiken,
Aktivitäten im Bereich Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit und weitere Themenfelder.
Als Fazit kann gesagt werden, dass nicht nur der Studiengang Rettungsingenieurwesen sehr erfolgreich ist,
was Bewerbungen aber auch berufliche Einstiege der Studierenden zeigen. Auch in der Forschung ergeben
sich weiterhin viele relevante und anwendungsbezogene Themen, für die in Zukunft Nachwuchs gebraucht
wird.
Literaturverzeichnis
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Baumgartner, C & Bentler, C 2015, 'Analyse der persönlichen Zufriedenheit von Einsatzkräften während der
Hochwasserkatastrophe 2013 in Deutschland. Eine Umfrage zur Steigerung der Motivation von
Helfern im Bevölkerungsschutz', Integrative Risk and Security Research, no. 2.
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe 2010, Neue Strategie zum Schutz der Bevölkerung
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Fekete, A 2011, 'Common criteria for the assessment of critical infrastructures', International Journal of
Disaster Risk Science, vol. 2, no. 1, pp. 15–24.
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Managementhandbuch Sicherheitswirtschaft und Unternehmenssicherheit, ed R Stober, Boorberg,
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und Krisenmanagement in Theorie und Praxis, H Karutz, W Geier & T Mitschke (eds.), Springer Berlin
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Fekete, A, Garschagen, M, Norf, C & Stephan, C (eds.) 2017, Recovery after extreme events. Lessons learned
and remaining challenges in Disaster Risk Reduction.
Fekete, A & Hufschmidt, G 2016, Atlas der Verwundbarkeit und Resilienz – Pilotausgabe zu Deutschland,
Österreich, Liechtenstein und Schweiz. Atlas of Vulnerability and Resilience – Pilot version for
Germany, Austria, Liechtenstein and Switzerland, Köln & Bonn. Available from: http://atlasvr.web.th-
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Norf, C, Stephan, C & Fekete, A (eds.) 2017, Interdisziplinäre Perspektiven des Risiko- und Krisenmanagements
– Beiträge aus Wissenschaft und Praxis im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Risky Monday“.
Stephan, C, Norf, C & Fekete, A 2017, 'How “Sustainable” are Post-disaster Measures? Lessons to Be Learned a
Decade After the 2004 Tsunami in the Indian Ocean', International Journal of Disaster Risk Science, vol.
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Twigg, J 2004, Disaster risk reduction. Mitigation and preparedness in development and emergency
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Forschung und Lehre am IRG
Zur Einrichtung des Bachelor-Studienganges „Rescue
Engineering“ als interdisziplinäre Ausbildung im Katastrophen-
und Notfallmanagement und Erfahrungen mit dem
Studienbetrieb
Prof. Dr. Gerd Braun
Email: gerd.braun(at)th-koeln.de
Anmerkung der Redaktion: Dieser Bericht spiegelt Erfahrungen und Meinungen aus der Enstehungs- und Einführungsphase des
Studiengangs Rettungsingenieurwesen wider. Manche Sachverhalte haben sich in den letzten Jahren verändert, weshalb sich
Anmerkungen zu Aktualisierungen in Fußnoten wiederfinden.
Einführung
Der Rettungsdienst ist eine öffentliche Aufgabe der Gefahrenabwehr und Daseinsfürsorge. Neben der
direkten Durchführung im Sinne der medizinischen Dienstleistung am Patienten, muss der Rettungsdienst
organisiert und „gemanagt“ werden. Dazu gehören neben der Verwaltung und Organisation auch die
Bedarfsplanung, die Aus- und Weiterbildung, eine Kosten-Leistungsrechnung, Vertragsverhandlungen mit
Kostenträgern bzw. Leistungserbringern, Qualitätsmanagement, Personalführung, Einsatz bei
Großschadensereignissen, der Katastrophenschutz, das Beherrschen bestimmter Rechtsfragen, der Einsatz
verschiedener Technikdisziplinen, deren Weiterentwicklung für den Rettungsdienst und die
Berücksichtigung des wissenschaftlichen Fortschrittes in das Handeln.
Durch die hohe Entwicklungsdynamik in diesem Bereich sowie den zunehmenden Kostendruck und die
Verflechtung mit anderen Bereichen des Gesundheitswesens und der Gefahrenabwehr sind umfangreiche
Kenntnisse und Kompetenzen auf Managementebene erforderlich. Hier ergibt sich aber ein gewisser
Widerspruch zwischen den hohen fachlichen und stark interdisziplinären Anforderungen an die
Leitungsebene und der bisher fehlenden zielgerichteten Ausbildung für diese komplexe Führungsaufgabe.
Im Folgenden wird zunächst das Umfeld des Rettungswesens dargelegt, um die vielfältigen Aufgaben und
Anforderungen an das Leitungspersonal aufzuzeigen. Danach folgt eine Betrachtung des
Qualifikationsprofils des derzeitigen Personals im Rettungswesen, und zwar sowohl im Bereich des
Einsatzdienstes als auch im Bereich des Managements. Aus dieser Problematik heraus werden die Motivation
für die Einführung des Studiengangs Rescue Engineering (Bachelor of Engineering) im Jahr 2002 abgeleitet
und Erfahrungen aus dem Studienbetrieb geschildert.
Die Aufgaben und das Umfeld des Rettungswesens
Das Umfeld des Rettungsdienstes wird wesentlich durch seine Aufgaben geprägt, die nach stehend skizziert
werden:
• Die Gefahrenvorbeugung: Zur Gefahrenvorbeugung gehören alle Sicherheitsmaßnahmen, die zur
Vermeidung von Unfällen und sonstigen Gefahren führen, beispielsweise in der Bauplanung die
Anlage und Einrichtung von Sanitätsstationen, Bemessung von Treppenaus- und -zugängen,
Fluchtwegen etc. Dazu gehört aber auch die Etablierung von Präventionsprogrammen in Erster Hilfe
für die Bevölkerung.
• Einsatz bei Großunfällen: Die Besonderheiten von Großunfällen bedürfen einer präzisen Planung
für den Ernstfall, einer speziellen Aufbauorganisation und nach einem Einsatzfall einer akribischen
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Forschung und Lehre am IRG
Nachbereitung zur Qualitätsverbesserung und -sicherung.
• Einsatz bei Großveranstaltungen: Im Rahmen von Großveranstaltungen ist eine zusätzliche
sanitätsdienstliche und rettungsdienstliche Versorgung erforderlich. Diese geht über die übliche
Grundvorhaltung des öffentlichen Rettungsdienstes hinaus und kann in besonderen Fällen das
Mehrfache der Grundvorhaltung betragen. Speziell bei wiederkehrenden Großveranstaltungen oder
wandernden Großveranstaltungen (z.B. Open-Air-Konzerte auf Tourneen, Rockkonzerte etc.) sind
frühere Erfahrungen und Besonderheiten bereits im Vorfeld zu berücksichtigen.
• Einsatz bei Chemie-, Bio- und Strahlenunfällen: Gefahrstoffe (chemische, biologische,
radiologische) können durch Unfälle oder Fehlbetrieb in die Umwelt gelangen und damit die
Gesundheit von Menschen nachhaltig schädigen. Dies kann durch den Erzeugerbetrieb (z.B.
chemische Fabrik, ein Gefahrguttransport auf der Straße oder Schiene) oder im Rahmen der
Anwendung gefährlicher Stoffe durch Störungen und Unfälle bedingt sein. Dabei kommen neben
der direkten Giftigkeit auch organisatorische Aspekte zum Tragen im Hinblick auf
Gefahrenerkennung, Gefahrenvorbeugung, Evakuierung usw.
• Einsatz bei Naturkatastrophen: Die Bedeutung von Naturkatastrophen als Bedrohung für
Menschen nimmt weltweit zu. Dies liegt vor allem daran, dass sich immer mehr Menschen in
gefährdeten Gebieten ansiedeln (Erdbeben gefährdete Gebiete, Vulkane etc.). Speziell die
Zerstörung der Infrastruktur macht eine medizinische Regelversorgung für eine Übergangszeit
häufig unmöglich. Hier müssen spezielle Methoden und Konzepte entwickelt werden, um den
Menschen in diesen Regionen zu helfen.
• Die überregionalen Aufgaben: Im Rahmen von humanitären Auslandseinsätzen kommen sowohl
rettungsdienstliche als auch andere medizinische Aspekte zum Tragen. Dabei spielen die Logistik,
aber auch die technische Anwendbarkeit von medizinischen und rettungsdienstlichen Methoden im
Hinblick auf eine Abstimmung auf die lokalen Besonderheiten (z.B. Tropen, Dürregebiete,
Epidemiegebiete etc.) eine große Rolle.
Die zur Bewältigung der Aufgaben gewählten Methoden spiegeln den technischen Stand und die sozialen
Randbedingungen der Gesellschaft wider. Die Eingliederung des Rettungsdienstes in die Gesellschaft wird an
folgenden Punkten deutlich:
• Die Stellung des Rettungsdienstes im Gesundheitssystem: Die Stellung des Rettungsdienstes im
Gesamtgesundheitssystem mit seinen zahlreichen Verzahnungen und Schnittstellen wird bislang
nicht immer ausreichend berücksichtigt. Zuständigkeiten, Abgrenzungen, Schnittstellenpflege und
Besonderheiten müssen besser erkannt und erlernt werden.
• Die Bedarfsplanung: Rettungsdienst ist in Deutschland und vielen anderen Staaten nach wie vor
eine gesetzlich verankerte Aufgabe des Staates. Da die Refinanzierung hier durch Nutzerentgelte
erfolgt, ist der Kostendruck so groß, dass eine exakte Bedarfsplanung für die Anzahl der Standorte
der Rettungsmittel aufgestellt werden muss. Diese Bedarfsplanung ist in den meisten
Rettungsgesetzen der Länder verankert und unterliegt einer strengen Überprüfung. Aus diesem
Grunde haben sich die Methoden dieser Bedarfsplanung innerhalb der letzten Jahre ständig
verfeinert. So kommen heute aufwendige statistische Verfahren, Computerprogramme und
Systemanalysen zum Einsatz. Da die Bedarfsplanung eng mit Qualitätskriterien verknüpft sind,
orientiert sich der Bedarfsplan in der Regel an Struktur und Aufbau des örtlichen Rettungsdienstes,
20 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
dem Risikopotenzial (z.B. Flughäfen, chemische Industrie, Autobahnen etc.) und an gesetzten
Standards (Eintreffzeiten, Ausstattung, Laufzeit von Fahrzeugen, Trainingszustand des Personals
etc.).
• Die Organisation des Rettungsdienstes: Der Rettungsdienst besitzt eine Aufbauorganisation, die
sich im Wesentlichen ähnlich der eines normalen Betriebes verhält, jedoch den besonderen
Charakter einer Sicherstellung besitzt. Die dazu erforderlichen Elemente, Personalplanung,
Personalvorhaltung, Schichtdienstmodelle, Ausfallsicherheiten, Personalführung usw., sind für einen
funktionierenden Rettungsdienst als Aufbauorganisation erforderlich. In der Ablauforganisation
kommen einsatztaktische Konzepte zum Tragen. Dazu gehören Alarm- und Ausrückordnungen,
Einsatzstichwortgestaltung, Entsendestrategien usw.
• Die Leitstelle: Die Leitstellen sind das Herzstück eines jeden Rettungsdienstes. In ihnen laufen die
Notrufe auf, die Leitstellenmitarbeiter disponieren, koordinieren und lenken die Einsätze. Die
Arbeitsweise in Leitstellen ist heute extrem Technik geprägt. Spezielle Computersysteme,
Computerprogramme, Auswertestatistiken etc. dominieren die Leitstellenarbeit. Das
Dispositionsverhalten bei gestaffelten Rettungssystemen ist sehr viel aufwendiger als bei einfachen
Systemen. Zusätzlich gibt es weitere Aufgaben im Bereich der Leitstellen wie Brandschutz,
technische Hilfeleistung, Hausnotrufe, Bürgertelefon etc.
• Die Rettungsdienstgesetze und verwandte Gesetzgebung: Die Rettungsdienstgesetze der
Länder spiegeln die unterschiedlich gewachsenen Strukturen wider. Zusätzlich haben diese Gesetze
des Öffentlichen Rechtes Verknüpfungen zu zahlreichen anderen Gesetzeswerken, beispielsweise zu
den Polizeigesetzen, zu den Feuerschutz- und Hilfeleistungsgesetzen, zum Sozialversicherungsrecht,
zum Gesetz für den öffentlichen Gesundheitsdienst, aber auch zum europäischen Recht und zu
Spezialgesetzen wie dem Medizinproduktegesetz.
• Das Qualitätsmanagement und die Qualitätssicherung: Im Rahmen des Rettungsdienstes sind
besondere Qualitätssicherungsverfahren erforderlich. Hier müssen unterschiedliche Organisationen,
Organisationsstrukturen, Vorstellungen und Arbeitsweisen zu einem Gesamtkonzept geführt,
überwacht und finanziert werden. Zahlreiche Schnittstellen müssen bedient werden, ein
gleichwertiger Ausbildungsstand muss gewährleistet sein und Fehler müssen aufdeckbar und
abstellbar sein. Dies alles führt dazu, dass eine sehr aufwendige Qualitätssicherung betrieben
werden muss, die von der Entwicklung, Vorgabe und Überwachung von Standards, Qualitätszielen,
Dokumentation, statistischen Methoden, Fehlererfassung und -auswertungen, Analyse bis zu
Verbesserungskonzepten reicht.
Vorhandene Qualifikationen im Rettungsdienst
Bislang gibt es eine qualifizierte Ausbildung nur im Bereich des Einsatzdienstes, und zwar bis zum Jahr 2014
nur mit einer zweijährigen Ausbildung zum „Rettungsassistenten“. Andere Bezeichnungen wie
„Rettungssanitäter“ oder „Rettungshelfer“ sind keine qualifizierten Berufsausbildungen, sondern Schulungen,
die lediglich durch Stundenumfänge und Inhaltsvereinbarungen der ausbildenden Organisationen
charakterisiert sind.1 Eine Facharztausbildung für diesen Bereich hat sich bislang nicht durchsetzen können2.
1 Anm. d. Red.: 2014 wurde mit dem „Notfallsanitäter“ eine weitere qualifizierte Berufsausbildung eingeführt, welche den
Rettungsassistenten als bis dahin höchste nichtärztliche Qualifikation im Rettungsdienst abgelöst hat (Deutscher Bundestag 2014).
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Forschung und Lehre am IRG
Im Managementbereich des Rettungsdienstes gibt es bislang keine spezielle Qualifizierung. Die dort Tätigen
sind entweder aus dem Einsatzdienst übernommene Rettungsassistenten oder besitzen höherwertige
Qualifikationen wie eine betriebswirtschaftliche, volkswirtschaftliche, juristische oder auch eine
ingenieurwissenschaftliche oder naturwissenschaftliche Ausbildung. Aber auch völlig andere Ausbildungen
sind anzutreffen. Insgesamt handelt es sich um Führungskräfte, die häufig fachfremd angelernt sind.
Positionen im Bereich Management
Geschäftsführer eines Rettungszweckverbandes einer
Rettungsdienstorganisation
Abteilungsleiter in den Bereichen Verwaltung, Technik, Schule und Ausbildung
Rettungsdienst, Rettungsleitstelle
Auslandeinsätze: Planung, Leitung, Organisation
Fahrdienstleiter
Sachgebietsleiter Bedarfsplanung, Beschaffung, Budget
Schichtführung im Einsatzdienst
Tabelle 1: Positionen im Bereich Rettungsdienst-Management
Führungspersonen benötigen jedoch für die Leitung von Rettungsdiensten neben spezifischen
rettungsdienstlichen Kenntnissen umfangreiche Kenntnisse in den Bereichen Technik, Betriebswirtschaft,
Personalführung, Rechtskunde, Sozialmedizin und Psychologie.
Die derzeitige Personalstruktur im Bereich der Feuerwehr zeigt die Abbildung 1. Im mittleren und oberen
Management fehlen häufig rettungsdienstliche Qualifikationen. In der Abbildung 2 sind die entsprechenden
Personalstrukturen im Bereich der Hilfsorganisationen dargestellt. Hier fehlen im mittleren Management
fachliche Managerqualifikationen und im Topmanagement (häufig) rettungsdienstliche Fachkenntnisse.
2 Anm. d. Red In der Ausbildung von Notärzten fehlen bis zum heutigen Tage bundesweit einheitliche Qualifikationsanforderungen
(Bundesärztekammer n.d.). Während eine Reihe von Anforderungen bundesweit anzutreffen ist, zeigen sich deutliche Unterschiede
beispielsweise bei der Dauer einzelner Weiterbildungseinheiten
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Forschung und Lehre am IRG
Abbildung 5: Personalstruktur in der Feuerwehr3 (Lechleuthner n.d.)
Abbildung 6: Personalstruktur in den Hilfsorganisationen4 (Lechleuthner n.d.)
Das Personal, das im Rettungsdienst arbeiten und diesen gestalten will, kommt derzeit häufig nur über eine
Ausbildung im Einsatzdienst, also z.B. zum Rettungsassistenten oder Notfallsanitäter (entspricht dem
mittleren Dienst) dazu. In der Regel bleibt diesen Mitarbeitern der Aufstieg versperrt und es kommt zu einem
Karriereproblem. Diejenigen, die von Anfang an im Rettungsdienst-Management arbeiten wollen, besitzen
häufig eine andere, mehr oder weniger fachfremde Qualifikation. Ihnen fehlen allerdings dann häufig die
spezifischen rettungsdienstlichen Kenntnisse und es kommt zu einem Qualifizierungsproblem. Mit dem
Bachelor-Studiengang „Rescue Engineering“ (heute: „Rettungsingenieurwesen“) und dem darauf
aufbauenden Master-Studiengang soll ein Beitrag geleistet werden, diese Problematiken zu lösen.
3 Anm. d. Red.: Seit 2014 zählt auch der Notfallsanitäter zu dem Einsatzpersonal (siehe Fußnote 1)
4 Anm. d. Red.: Seit 2014 zählt auch der Notfallsanitäter zu dem Einsatzpersonal (siehe Fußnote 1)
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Forschung und Lehre am IRG
Studienprogramm
In Zusammenarbeit mit dem Institut für Notfallmedizin der Berufsfeuerwehr der Stadt Köln und
verschiedenen Instituten der Fachhochschule Köln wurde das vorliegende Konzept für den Bachelor-
Studiengang „Rescue Engineering“ ausgearbeitet.5 Dies belegt, dass Rettungsingenieurwesen ein stetig
wachsendes Aufgabenfeld bedient und ein ständig steigender Bedarf nach sachgerecht und auf hohem
Niveau ausgebildeten Rettungsfachleuten besteht.
Als Lösungsansatz für die beschriebene Problematik wurde zum Wintersemester 2002/2003 ein gestufter
Fachhochschul-Studiengang „Rescue Engineering“ mit einer ersten Qualifikation zum Bachelor of
Engineering (B.Eng.) in sechs Semestern (heute: sieben Semester) eingeführt. Der konsekutive Studiengang
zum Master of Science (M.Sc.) mit weiteren 3 Semestern wurde 2006 eingeführt. Der Studiengang ist nach
dem internationalen Bachelor/Master-System aufgebaut und der Abschluss Bachelor of Engineering
qualifiziert entsprechend den „Ländergemeinsame Strukturvorgaben gemäß § 9 Abs. 2 HRG für die
Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen“ (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom
10.10.2003) für Führungspositionen im Gehobenen Dienst; der Studiengang Master of Science qualifiziert für
Führungspositionen im Höheren Dienst.
Der siebensemestrige Bachelor-Studiengang gibt fundierte Einblicke in die nichtpolizeiliche
Gefahrenabwehr, seine Struktur, seine vielfältigen Aufgaben und seine zahlreichen Schnittstellen auf
nationaler und internationaler Ebene. Der Abschluss dazu befähigt, im Rahmen von Rettungsdienstträgern, -
organisationen und anderen Institutionen als verantwortlicher Ingenieur Führungsaufgaben im Gehobenen
Dienst zu übernehmen. Dazu gehören neben einer breiten ingenieurtechnischen Ausbildung z.B. die
eigenständige Bedarfsplanung, Personalwesen, Kosten-Leistungsrechnung, Budgetbewirtschaftung,
technische Organisation, Zusammenarbeit mit anderen Dienststellen und Umsetzung von
Qualitätsmanagement-Programmen. Im Studium werden die dafür erforderlichen Kenntnisse, basierend auf
mathematisch/naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Grundlagen und speziell für das
Rettungswesen ausgewählten Fachgebieten verschiedener Ingenieurdisziplinen, für die Aufgaben der
nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr vermittelt.
Semester
Studieninhalte Bachelor of Rescue-Engineering (zum Zeitpunkt
der Einführung)
1
Mathematik, Technische Mechanik I, Allgemeine Chemie, Physik,
Werkstoffkunde, Elektrotechnik
2
Technische Mechanik II, Messtechnik im Rettungswesen
Arbeitssicherheit, Logistik, Gefahrenabwehr I,
Psychologie, Sozialmedizin, Logistik,
Mediation/Gesprächstechnik/Präsentation, Informationsverarbeitung,
Personalführung
3
Allgemeine Betriebswirtschaftslehre,
Verwaltung von Non-Profit-Unternehmen, Soziologie
5 Anm. d. Red.: Während es zur Zeit der Einführung dieses Studiengangs kein vergleichbares Studienangebot in
Deutschland gab, finden sich heute eine ganze Reihe an ähnlichen oder fachlich nahen Studiengängen in Deutschland
(Gerhold, Peperhove & Jäckel 2016)sowie im Europäischen Ausland.
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Forschung und Lehre am IRG
Grundlagen der Bautechnik, Fahrzeugtechnik,
Grundlagen von Kommunikationssystemen,
Grundlagen des Zivil- und Vertragsrechtes, Rechtsfragen im Rettungswesen,
4
Großschadensfall/Katastrophenschutz, Qualitätsmanagement I,
Gefahrenabwehr II, Umwelt und Gesundheit
Buchführungs- u. Abschlusstechnik,
Investitions- und Finanzierungsrechnung
Grundlagen des Rechnungswesens, Steuern, Materialwirtschaft
5
Qualitätsmanagement II, Kostenrechnung, Wirtschaftsstatistik
Stadt-, Verkehrs- und Versorgungsplanung, Biomedizinische Technik,
Sozialrecht, Arbeits- u. Bildungsrecht, Strahlenschutz
Epidemiologie, Fremdsprachen
6
Tropentechnik, Organisations- u. Projektmanagement,
Bachelor-Seminar,
Bachelor-Arbeit
Tabelle 2: Studieninhalte Bachelorstudiengang “Rescue-Engineering” (zum Zeitpunkt der Einführung)6
Das Studium ist ein Vollzeitstudium, kann aber durch die strikte Modularisierung quasi auch als
Teilzeitstudium absolviert werden. Dieses ist vor allem für solche Studierende wichtig, die während des
Studiums weiterhin ihren Beruf im Rettungswesen ausüben wollen. Die Studieninhalte sind mit starkem
Bezug zur Praxis ausgerichtet.7
Erste Erfahrungen aus dem Studienbetrieb
Wegen der großen Nachfrage zum Wintersemester 2002/2003 musste ein örtliches Auswahlverfahren zur
Vergabe der 60 Studienplätze durchgeführt werden. Da zu diesem Zeitpunkt ca. 360 Bewerbungen für einen
Studienplatz vorlagen, wurden ausnahmsweise auch zum Sommersemester 2003 60 Studierende zugelassen.
Im Laufe der vergangenen Jahre wurde das Angebot stetig angepasst8.
In den folgenden Abbildungen sind einige Ergebnisse zusammengestellt, die aus einer Befragung der
Studierenden im Rahmen einer Lehrveranstaltung durchgeführt wurde. Es nahmen 84 Studierende des
zweiten, dritten und vierten Fachsemesters daran teil. In Abbildung 3 ist die Altersverteilung der
Studierenden dargestellt. Deutlich wird der erhebliche Anteil an Studierenden, die 26 Jahre und älter sind9.
6 Anm. d. Red.: Der heutige Studienverlauf unterscheidet sich heutzutage teilweise erheblich von dem, der hier aus der Anfangszeit
abgebildet ist. Zudem wurden die zwei Vertiefungsrichtungen „Brandschutzingenieurwesen“ (Bachelor) und „Rettungsingenieurwesen“
eingeführt. Das aktuelle Modulhandbuch findet sich unter: https://www.th-
koeln.de/mam/downloads/deutsch/studium/studiengaenge/f09/rettungswesen_bachelor/bachelor_rettungsingenieurwesen.pdf
7 Anm. d. Red.: In seiner heutigen Form gilt das Studium generell als Vollzeitstudium. Der starke Praxisbezug ist weiterhin gegeben.
8 Anm. d. Red.: Zuletzt wurde das Angebot so angepasst, dass im Wintersemester 2016/2017 100 Studienplätze zur Verfügung standen
wobei es eine Bewerberzahl von 458 Personen gab. Der Notendurchschnitt im Bewerbungsverfahren lag in demselben Semester bei 2,7
(TH Köln 2016).
9 Anm. d. Red.: Schon im Jahr 2005 waren ca. 62 % der Studierenden jedoch 26 Jahre alt oder jünger (Horst 2005)
25 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Abbildung 7: Altersverteilung der Studierenden
Ein weiteres Indiz für diese Tatsache ist auch, dass ca. 80 % aller Studierenden über einschlägige
Berufserfahrungen mit einem Mittelwert von 5,3 Jahre verfügen. Mehr als zehn Jahre Berufserfahrung
können ca. 13 % der Befragten vorweisen. Die gesamte Verteilung zeigt Abbildung 4.
Abbildung 8: Berufserfahrung der Studierenden
Bei den Studierenden zeigt sich auch hier der allgemeine Trend der erforderlichen Erwerbstätigkeit neben
dem Studium. Neben einer Gruppe von einem Drittel, die gar nicht während des Semesters berufstätig sind,
beträgt die wöchentliche Arbeitszeit der Berufstätigen im Mittel ca. 20 Stunden. Eine Vollzeitbeschäftigung
üben 6 % der Studierenden aus. Die gesamte Verteilung zeigt Abbildung 5.
26 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Abbildung 9: Zeitaufwand pro Woche für das Studium
Interessant ist jedoch die in Abbildung 6 dargestellte Korrelation zwischen wöchentlicher Berufstätigkeit und
dem wöchentlichen Zeitaufwand für das Studium. Hier sieht man deutlich die hohe Belastung, die die
Mehrheit der Studierenden auf sich nimmt.10 Darin drückt sich die hohe Motivation der Studierenden aus, die
durch das Studium ihr Fortkommen gestalten wollen. Diese Motivation spiegelt sich nicht nur in den
geleisteten Stunden wider, sondern auch im konkreten Einsatz bei den Lehrveranstaltungen.
Abbildung 10: Korrelation Belastung durch Berufstätigkeit und Studium
Abschließend ist in Abbildung 7 die Korrelation zwischen dem Alter der Studierenden und der
wöchentlichen Arbeitszeit dargestellt. Deutlich wird, dass die älteren Studierenden in der Regel eine höhere
wöchentliche Arbeitszeit haben.
10 Anm. d. Red: 2005 gaben 69,2% der Studierenden an, dass sie neben dem Studium arbeiten (Eckermann 2005)
27 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Abbildung 11: Korrelation Alter und wöchentliche Berufstätigkeit
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Konzept und die Zielrichtung des Studienganges und der
Adressatenkreis richtig waren und dass das Studienangebot erfolgreich angenommen wurde. Seit
Einführung des Studiengangs haben Absolventen sowohl im öffentlichen Bereich bei Feuerwehren und
Rettungsdiensten eine Anstellung gefunden wie auch in der Privatwirtschaft, beispielsweise in den Bereichen
Sicherheit von Unternehmen, Werken und kritischen Infrastrukturen oder in Tätigkeiten, die eine
sicherheitstechnische Begutachtungen von Anlagen umfassen.
Bachelorstudiengang „Rescue Engineering“
bzw. Rettungsingenieurwesen im Überblick (Stand 2017)
•
Studienabschluss: Bachelor of Engineering (B.Eng.)
• Fachgebiet: Maschinenbau und Produktionstechnik • Wärme- und
Verfahrenstechnik
• Studienschwerpunkte:
Rettungsingenieurwesen, Brandschutzingenieurwesen
• Studienplätze: 100
• Zulassungsbeschränkung: Ja (Orts-NC)
• Regelstudienzeit: 7 Semester
• Studienbeginn: Wintersemester
• Webadresse:
www.th-koeln.de/studium/rettungsingenieurwesen-bachelor_1908.php
28 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Literaturverzeichnis zu den Anmerkungen der Redaktion
Bundesärztekammer n.d., Notarzt. Available from:
http://www.bundesaerztekammer.de/aerzte/versorgung/notfallmedizin/notarzt/ (25 July 2017).
Eckermann, B 2005, Befragung von Studenten im WS 2005/06 im Studiengang Rettungsingenieurwesen. In
wieweit ist das Alter und/oder die Berufserfahrung des Studenten in Verbindung zu bringen mit den
Beweggründen das Studium aufzunehmen? TH Köln.
Gerhold, L, Peperhove, R & Jäckel, H 2016, Sicherheit studieren. Studienangebote in Deutschland 2.0, Freie
Universität Berlin, Forschungsforum Öffentliche Sicherheit, Berlin.
2014, 'Gesetz über den Beruf der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters. NotSanG' in Bundesgesetzblatt
I, p. 1348.
Horst, B 2005, Befragung von Studenten im WS 2005/06 im Studiengang Rettungsingenieurwesen. In
wieweit ist das Alter und/oder die Berufserfahrung des Studenten in Verbindung zu bringen mit den
Beweggründen das Studium aufzunehmen? TH Köln.
Lechleuthner, A n.d., Einführung in das Rettungsingenieurwesen. Folien zur Vorlesung/unveröffentlicht, Köln.
TH Köln 2016, Notendurchschnitte im Bewerbungsverfahren. Available from: https://www.th-
koeln.de/mam/downloads/deutsch/studium/bewerbung_zulassung/notendurchschnitte_im_bewerb
ungsverfahren_nc_20162.pdf.
29 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Soziale Innovationen für und durch Zivile Sicherheit.
Positionspapier als Beitrag zum Agendaprozess des BMBF zur
Gestaltung des 3. Rahmenprogramms „Zivile Sicherheit“
Alexander Fekete, Celia Norf, Neysa Setiadi, Christiane Stephan, Katerina
Tzavella
Email: alexander.fekete(at)th-koeln.de; celia.norf(at)th-koeln.de; neysa.setiadi(at)th-koeln.de;
christiane.stephan(at)th-koeln.de; katerina.tzavella(at)th-koeln.de
Einleitung
Für die Weiterentwicklung anwendungsnaher Forschung ist es erforderlich, aktuelle Herausforderungen in
Technik und Gesellschaft zu identifizieren und so aufzubereiten, dass daraus Ansätze für zukunftsfähige
Lösungen erarbeitet werden können. Am Institut für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr (IRG)
arbeiten unterschiedliche Arbeitsgruppen mit je eigenen Schwerpunktthemen und Expertisen. Dieser Artikel
gibt wissenschaftliche Positionen der Autoren zu sozialen Innovationen im Bereich ziviler Sicherheit wider
und repräsentiert einen Teil der am IRG vorhandenen Positionen und Ansätzen. Diese Positionen, die in
ähnlicher Form dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zur Verfügung gestellt worden
sind, werden hier dokumentiert und sollen somit einer breiteren Öffentlichkeit als Grundlage für
wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Diskussionen und Arbeiten dienen.
Im Zeitraum bis 2030 und auch darüber hinaus wird sich die Zivile Sicherheit aufgrund der Zunahme von
verschiedenartigen Gefahren und ihren gesellschaftlichen Auswirkungen weiter als Politik-, Forschungs- und
Bildungsfeld etablieren. Gleichzeitig wird die Gesamtkonzeption ziviler Sicherheit, wie auch die daran
beteiligten Akteure und insbesondere die Gesellschaft insgesamt, einem Wandel unterworfen sein. Das
folgende Positionspapier möchte Kernpunkte dieses Wandels aufzeigen und Impulse geben, inwiefern
soziale Innovationen durch die künftige Zivile Sicherheitsforschung generiert werden können.
Soziale Innovationen sind Transformationen der Gesellschaft oder von Teilen der Gesellschaft, die durch
Reformen der Lebensumstände, der Lebensumwelt und der darin angewendeten Technologien angetrieben
werden. Diese Innovationen können beispielsweise im Umgang mit neuen Technologien wie „autonomem
Fahren“, Drohnen oder auch aktuell schon, durch die Verfügbarkeit von BigData z.B. für präzise
Staumeldungen, generiert werden. Ähnlich der Technikfolgenabschätzung erfolgt in der Zivilen Sicherheit
auch eine Sicherheitsfolgenabschätzung. Das Zusammenspiel Mensch und Technik bedarf der
Betrachtung der Möglichkeiten und Grenzen von Technologien ebenso wie der Wahrnehmung und
Nutzungsgewohnheiten der Menschen. Um soziale Innovationen anzustoßen ist es essentiell, dass sowohl
Bedürfnisse als auch Ängste von Menschen wahrgenommen und integriert werden. Hier klafft bislang eine
große Lücke zwischen Theorie und Umsetzung, und damit auch zwischen Technologien und
Individuen/Sozialgruppen. Eine Entwicklung hin zu Industrie 4.0 oder gar 5.0 muss auch eine Entwicklung
einer Zivilgesellschaft 4.0, bzw. 5.0 begleiten.
Als Teil der Zivilen Sicherheit ist der Katastrophen- und Bevölkerungsschutz dem gesellschaftlichen Wandel
unterworfen. Dies bedeutet, dass gesamtgesellschaftliche Transformationsprozesse (z.B. Veränderungen in
gesellschaftlichen Netzwerken oder Zunahme der Mobilität) damit auch alle damit verbundene Akteure;
sowohl die professionellen und freiwilligen Kräfte von Feuerwehren, Rettungsdiensten und
Hilfsorganisationen, Behörden, Verwaltungen, Städte und Kommunen, als auch die Industrie und Wirtschaft
30 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
betreffen. Dieser Wandel steht in direktem Zusammenhang mit dem demographischen Wandel, der Alterung
der Gesellschaft, Wandel durch Einwanderung, Wandel der Lebensumstände und Arbeitszeitmodelle usw.
Gleichzeitig haben gegenwärtig die sozialen Medien und mobile Kommunikationssysteme und -geräte einen
großen Einfluss auf den Erhalt von und den Umgang mit Informationen. Dies zeichnet sich in der jüngeren
Vergangenheit insbesondere bei der Aktivierung von ehrenamtlichen sog. „ungebundenen“ Helfern in
Katastrophenfällen aber auch in der Veränderung sozialer Interaktionen im Alltag ab. All diese Faktoren
ändern das Kommunikationsverhalten, die Motivation und Möglichkeit einer Teilhabe am
Katastrophenschutz und seinen Organisationen, und zeigen zugleich die Notwendigkeit zu einem anderen
Umgang mit personenbezogenen oder sensiblen Daten auf.
Die Zivile Sicherheit ist nicht nur selbst vom gesellschaftlichen Wandel betroffen, sie ist auch ein Motor für
Veränderungen. Innovationen bestehen zum einen aus neuen technischen Maßnahmen, jedoch auch in
bedeutendem Maße aus Konzepten und Methoden. Konzepte wie das Freiwilligensystem, Methoden der
Risikoanalyse und andere sind neben der Technologie wichtige Exportprodukte, und werden international
als Expertise nachgefragt. Weiterhin eignen sie sich für die Aus- und Fortbildung der Akteure der Zivilen
Sicherheit und setzen hier neue Akzente - als Beispiel seien Nachhaltigkeit und Resilienz genannt. Zivile
Sicherheit treibt nicht nur soziale Innovationen an, sie kann auch dazu dienen, in komplexen
Krisensituationen innerhalb der Gesellschaft Veränderungen zu vermitteln. So sind beispielsweise
Hochwasserereignisse gleichzeitig gesellschaftliche Schlüsselereignisse, in denen gerade der Charakter des
Nichtalltäglichen neue Möglichkeiten schafft um akteur- und sektorübergreifendes Denken und Handeln zu
etablieren.
Tätigkeitsfelder
Um den Prozess sozialer Innovationen im Feld der Zivilen Sicherheit zu gestalten ist es erforderlich inter- und
transdisziplinäre Ansätze in einem integrativen Risiko- und Krisenmanagement-Konzept zu verankern. Dieses
Konzept umfasst die soziale Verwundbarkeit und Resilienz gegenüber Naturgefahren und menschlich-
technischen Gefahren und Risiken, und damit auch die Fähigkeiten der Menschen und der
gesellschaftlichen Institutionen, mit bekannten und unbekannten Risiken umgehen zu können. Selbsthilfe
und individuelle Souveränität werden durch Bildung, Teilhabe an Risikomanagementprozessen, und
Aktivierung gefördert. Diese Souveränität basiert auf einer Risikomündigkeit der Menschen, die ein gewisses
Maß an „neuer Ehrlichkeit“ im Umgang mit den Grenzen eigener Fähigkeiten sowie staatlicher Vorsorge
beinhaltet. Ein breites Risikobewusstsein und eine Risikomündigkeit der Akteure erfordern daher einen
breiten gesellschaftlichen Dialog über Möglichkeiten und Grenzen des Risikomanagements. Dies umfasst
auch neue Bildungs- und Lernkonzepte, die noch stärker die Alltagsbedingungen, die Heterogenität der
Gesellschaft und die Vielfalt an Fähigkeiten und Kompetenzen beachten. Lebenslanges Lernen umfasst
Schul- und Hochschulbildung, aber auch außerberufliche Weiterqualifikationen, die im Bereich Risiko- und
Krisenmanagement bis 2030 noch stärker ausgebaut und differenziert werden.
Der Wandel der Gesellschaft bis 2030 muss dahingehend begleitet werden, dass sich Katastrophen- und
Krisenresilienz-Ansätze noch stärker mit Alltagsthemen, und Lebensbedingungen der Menschen befassen
und diese sich behutsam in bereits etablierte Risiko- und Krisenmanagement-Konzepte einbetten. Dazu
gehört auch eine kritisch reflektierte Untersuchung der Grenzen des Nutzens am Zuwachs weiterer
Sicherheitsmaßnahmen. In einigen Bereichen werden Sicherheitssättigungseffekte zu beobachten sein, z.B.
bei bereits existierenden Lösungen oder lange bekannten Gefahren und Risiken wie Hausbränden. Die
31 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Herausforderungen liegen z.T. in neuartigen Risiken und sich verändernden globalen Bedingungen. Dies
können z.B. ein erhöhtes Risiko von Terroranschlägen, Unsicherheiten in Bezug auf das Auftreten von
Extremwetterereignissen (im Zusammenhang mit dem Klimawandel) oder auch in Bezug auf das Auftreten
von Epidemien und Ausbreitungen neuer (biologischer wie technologischer) Viren in zuvor unbekannten
Regionen sein. Diese können gleichzeitig durch einen globalen Wandel von Umwelt und Gesellschaft, z.B.
durch Klimawandelfolgen, Verstädterungsprozessen, Landflucht und Zusammenwachsen der Lieferketten
wie auch multilokale Pendlergesellschaften neue Ausbreitungsmuster erfahren.
Der globale Wandel und der zunehmende Bedarf an Verbindung, Überlagerung und Integration von
globalen Prozessen, untergleichzeitiger Beachtung der Bedeutung spezifischer lokaler Bedürfnisse, ist auch
Teil des Human Security Konzepts der Vereinten Nationen. In diesem Konzept, das verschiedene
menschlich-technische und natürlich bedingte Risiko- und Sicherheitsthemen vereint, sind sehr enge Bezüge
zu den Zielen und der künftig stärker international ausgelegten Prägung des Programms Zivile Sicherheit
des BMBF zu erkennen. Synergien aus den beiden Feldern und auch in der Zusammenarbeit mit
internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen werden daher ein wichtiger Innovationstreiber
des künftigen Forschungsrahmenprogramms werden. Mit dem globalen Wandel besteht auch noch stärker
ein Bedarf an Technologie- und Wissenstransfer sowie Austausch zwischen Ländern des Globalen Nordens
und Südens. Als Beispiel sei der Themenbereich neuer Vulnerabilitäten zu nennen. Im Zusammenhang mit
verschiedenen globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Migration und Urbanisierung treten Prozesse
einer zunehmenden Fragmentierung und Differenzierung vulnerabler Gruppen in den Vordergrund. Die
Antizipation dieser neuen Vulnerabilitäten und anderer Herausforderungen kann nur in engem Austausch
zwischen internationalen Ansätzen und nationalen Forschungsprogrammen erfolgreich sein.
Der weitgehende Verzicht auf 100prozentige Sicherheitsversprechen im Rahmen Ziviler
Sicherheitsforschung erkennt auch die Existenz von Unsicherheit und Ungewissheit an. In Anbetracht der
zu erwartenden Zunahme von bekannten und unbekannten Gefahren und Risiken bis 2030 und darüber
hinaus ist die Akzeptanz von Unsicherheit ein nicht zu unterschätzender Bestandteil zukünftiger
Sicherheitsforschung. Möglichkeiten einer effektiven Kommunikation dieser Unsicherheitslevel von
Entscheidungsträgern an die Bevölkerung, ohne den Anspruch diese vollständig aufzulösen, sind sowohl bei
der Prävention, als auch bei der Bewältigung zu bedenken. Dabei ist auch die fehlende Übereinstimmung
wachsender objektiver Sicherheit und sinkender subjektiver Sicherheit zu adressieren (Stichworte
„Risikowahrnehmung“ und „Selbsthilfefähigkeit“/“Selbstschutz“).
Soziale Innovationen sind im Bereich der Digitalisierung und globalen Vernetzung der Gesellschaft weiterhin
auch bis 2030 und darüber hinaus zu erwarten. Hier sind Kritische Infrastrukturen wie etwa digitale
Infrastruktur, Wasserversorgung, Energieversorgung, Verkehr und Logistik wichtige Teilsysteme, über die
Menschen Veränderungen erleben, nutzen und davon zunehmend unbewusst abhängig werden. Mit dem
Konzept der Resilienz wird hier auch ein Perspektivwechsel begleitet, der sich von den traditionellen
Schutzversprechen und einer hierarchischen Steuerung („top-down“) verabschiedet und den Nutzen von
flexiblen, anpassungsfähigen Lösungen auch im Sinne eines „bottom-up“ Ansatzes untersucht.
Konzeptionell ist es z.B. bei der Resilienz Kritischer Infrastrukturen weniger wichtig, wodurch der Ausfall
provoziert wird (Terrorangriff, Hochwasser o.ä.) sondern es tritt die Frage auf, welche Teile der Gesellschaft
und der täglichen Prozesse bei einem Stromausfall oder IT-Ausfall besonders betroffen sein und empfindlich
reagieren könnten, und wie damit umgegangen wird, um dies zu bewältigen, sich zu erholen und
anzupassen. Hier sind auch Untersuchungen zum sog. Plan B noch weiter zu denken, bis hin zu einem Plan Z
32 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
und einer Lage wie bei einer langandauernden flächenhaften Krise wie z.B. ein Stromausfall über 4 Tage, an
dem die Erwartungshaltung an vollständige Versorgung nicht mehr erfüllt werden kann. Hier sind
Mindestversorgungskonzepte, Notfallmanagement und flexibler Umgang mit einem Mangel an
Ressourcen nötig.
Hinsichtlich der geographischen Auswahl von Fallstudien wird es zunehmend wichtiger, bislang weniger
beachtete Akteure und weniger beachtete Verknüpfungen stärker zu betrachten. So gibt es gegenwärtig
eine starke Förderung der Resilienz von Städten, insbesondere Großstädten, wie auch smarten (Groß-
)städten. Jedoch müssen auch Städte der sog. zweiten Reihe, mittelgroße Städte, Stadtrandregionen,
ländliche Räume und vor allem, deren gegenseitige Abhängigkeiten stärker betrachtet werden. Ebenso
müssen Sicherheitskonzepte und -maßnahmen noch stärker nicht nur für Kleinere und mittlere
Unternehmen (KMU) sondern auch für Behörden und Organisationen aller Art innovativ gestaltet werden,
damit das Thema Sicherheit auch mit geringen finanziellen wie personellen Ressourcen gestemmt und
modernisiert werden kann. Ein anderes Beispiel für neue Themenfelder stellt die Veranstaltungssicherheit
dar, bei der teilweise große Personengruppen für begrenzte Zeiträume an teilweise wenig vertrauten Orten
zusammenkommen. Auch hier stellen sich die Herausforderungen für etablierte Großveranstaltungen mit
entsprechender Expertise und Ressourcenausstattung anders dar als für kleinere Feste, die jedoch auch
Konzepte für Unfälle, Naturkatastrophen oder Terrorangriffe benötigen.
Die Fortschreibung des Rahmenprogrammes „Forschung für die zivile Sicherheit“ bedarf also der
Berücksichtigung einer zunehmenden Überlagerung und Integration von Schwerpunkten und Themen, um
die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger gegenüber verschiedenen Gefahren und Risiken zu erhöhen.
Jedoch ist allen Themen eines gemein: Sicherheit als Gemeingut/als gesellschaftlicher Wert sollte der
Gesellschaft und all ihren Mitgliedern dazu dienen, sich frei und individuell entwickeln und entfalten zu
können - nicht umgekehrt. Die Anerkennung und Einbindung (Stichworte: Bürgerbeteiligung und Co-
design) dieser individuellen Entwicklung und Entfaltung und der daraus resultierenden gesellschaftlichen
Heterogenität ist zeitweilen eine Herausforderung, die die Komplexität von Sicherheitsstrategien erhöht und
auch nicht in allen hier vorgestellten Themen gleichwertig bearbeitet werden kann. Dennoch liegt in
Individualität und Heterogenität eine große Chance für die Innovationen der zivilen Sicherheit: Jedes
Mitglied der Gesellschaft besitzt Fähigkeiten, die er oder sie in die Prävention von Schäden und auch in die
Bewältigung von Krisenlagen einbringen kann. Diese Fähigkeiten sind somit bei der Fortschreibung des
Rahmenprogramms nicht nur zu berücksichtigen, sondern im größtmöglichen Sinne zu fördern.
33 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Abbildung 12: Themengebiete für soziale Innovationen für und durch Zivile Sicherheit (Quelle: Eigener Entwurf)
34 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Fliegendes Lokalisierungssystem für die Rettung und Bergung
von Verschütteten (FOUNT²) – Anwenderorientierte Forschung
am Institut für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr
Tim Brüstle, Johannes Weinem, Sebastian Schmitz, Ompe Aimé Mudimu
Email: tim_niklas.bruestle(at)th-koeln.de, johannes.weinem(at)th-koeln.de, sebastian.schmitz1(at)th-koeln.de,
ompe_aime.mudimu(at)th-koeln.de
Einleitung
Ziel des Forschungsprojektes FOUNT² ist die Entwicklung einer leistungsstarken, unbemannt fliegenden
Plattform, welche Rettungskräfte bei ihrer Suche nach Überlebenden nach Einsturzereignissen entlasten soll.
Dazu soll ein „unmanned aerial vehicle“ (UAV) aus der Luft das Trümmerfeld hochaufgelöst und
dreidimensional kartographieren. Zusätzlich setzt das UAV ein spezielles Bioradar zur Detektion von
Lebenszeichen auf dem Trümmerhaufen ab.
Unter der Leitung von Herrn Prof. Reindl, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg,
hat das Institut für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr (IRG) diese
Thematik zusammen mit sieben weiteren Verbundpartnern entwickelt.
Grundlage hierfür sind die Erkenntnisse aus bereits erfolgreich
abgeschlossenen Forschungsprojekten des IRG. Die Thematik der
Verschüttetensuche und Einsatzorganisation bei Einsturzereignissen wurde
bereits in den Projekten „Vernetzte Einsatzführung zur Rettung Verschütteter“
(VERVE) und „Intelligentes Sicherndes Lokalisierungssystem für die Rettung
und Bergung von Verschütteten“ (I-LOV) thematisiert.
Bisherige Forschung am IRG
Bei der Rettung von Verschütteten muss immer der Aspekt der Sicherheit der Einsatzkräfte berücksichtigt
werden. Im Projekt I-LOV wurde deswegen eine Grundlagenforschung zur Thematik der Verschüttetensuche
durchgeführt, mit dem Ziel verschiedene Konzepte zusammenzuführen. Beispiele hierfür sind
einsatzunterstützende Informationstechnik (IT) und die Vorhaltung modernster Ortungstechnik bei
spezialisierten Einheiten der Gefahrenabwehr. (Mudimu, Peters & Lechleuthner 2012, S. 43-44)
Aufbauend auf den Forschungsergebnissen aus I-LOV steht als Ergebnis im Projekt VERVE ein
Informationsprofil, das anhand des Gesundheitszustandes des Verschütteten und der Trümmerstruktur
relevante Daten für die gezielte Rettung zusammenstellt. Dieses Informationsprofil kann durch eine genaue
Lagedarstellung die Entscheidungsfindung der Einsatzleitung verbessern. Diese Informationen werden so
dargestellt, dass die Einsatzkräfte sie erfassen und weiterverarbeiten können. (Mudimu et al. 2016, S. 22)
Im Forschungsprojekt FOUNT² werden nun die Erkenntnisse aus den beiden Vorgängerprojekten
zusammengeführt. Dazu wird ein auf das UAV abgestimmtes System entwickelt, welches vom Start bis zur
Landung teilautonom arbeitet und die ermittelten Daten an die verantwortlichen Führungskräfte
weiterleitet. Es stellt somit ein unterstützendes IT-System dar, dass sowohl den Patientenzustand als auch die
Trümmerstruktur kombiniert betrachtet.
Eine rasche und sichere Gewinnung und Verifizierung der Informationen sind notwendig, um den
Einsatzerfolg bei der Verschüttetensuche zu gewährleisten. Damit während eines Einsatzes die
Abbildung 1: Verbundlogo FOUNT²
(Quelle: Universität Freiburg 2016)
35 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Informationen nicht verloren gehen, weil z. B. Zuständigkeiten unklar sind, ist die Speicherung aller
relevanten Informationen notwendig. (Gebauer et al. 2003, S. 376)
Nach Mudimu et al. müssen Informationen während eines Einsatzes mit den Kenntnissen, Methoden und
Gerätschaften der Einsatzkräfte erfassbar, verwendbar und verwertbar sein (Mudimu et al. 2016, S. 22-23).
Durch die neu entwickelte Technik wird diese Datendarstellung und –speicherung in Echtzeit auf
verschiedenen Medien möglich. Insbesondere die Darstellung in einem 3D-Kartensystem, in dem alle
relevanten Daten zur Ortung und zur gezielten Rettung aufbereitet visualisiert werden, eröffnet der
Gefahrenabwehr neue Möglichkeiten der Einsatzabwicklung. Die Erkenntnisse aus vorangegangenen
Forschungsprojekten machen den Bedarf an dieser Technik deutlich. (Mudimu et al. 2012, S. 24–26)
Mit dem neuen FOUNT²-System werden die Grenzen der Verschüttetensuche ausgeweitet. Zum einen ist das
System im Gegensatz zu Menschen und Hunden unabhängig von Einsturzgefahren, Atemgiften und
Gefahrstoffen einsetzbar. Es kann also Bereiche anfliegen, die für Einsatzkräfte und Hunde nicht zu betreten
sind. Das vom FOUNT²-System eingesetzte Bioradar ist in der Lage, Verschüttete zu lokalisieren, wenn diese
sich nicht eigenständig bemerkbar machen oder Hunde keine Witterung aufnehmen können. Da das System
teilautonom arbeitet, sind in der Bedienung dementsprechend nur wenige Eingriffe durch den Nutzer
notwendig. Um das FOUNT²-System in den Einsatz zu bringen, ist daher ein geringer Personalaufwand
ausreichend. Zusätzlich soll der Einsatz des FOUNT²-Systems durch eine neu zu entwickelnde Schulung des
Anwenders werden.
Aufgaben des IRG in FOUNT²
Das Institut für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr bearbeitet und koordiniert die Arbeitspakete
„Bedarfsanalyse“, „Schnittstellendefinition“, „Szenarioentwicklung“ sowie die Evaluation im Labor- und
Realmaßstab. Das System wird zunächst in einem Endanwender- und Schnittstellen-Workshop definiert.
Dabei werden aus dem Bedarf der Endanwender (Feuerwehr, Hilfsorganisationen etc.) Anforderungen an die
neue Technologie ermittelt. Die Kenntnisse des IRG im Bereich der Einsatzorganisation in besonderen Lagen
der Gefahrenabwehr ermöglichen hier ein zielgerichtetes Vorgehen.
Die Kernkomponente des FOUNT²-Systems ist ein UAV, das ein Bioradar und Module zur autonomen
Landeplatzsuche mit sich führt. Während des Einsatzes werden durch die mitgeführten Systeme die Position
eines Verschütteten mittels seiner Atemfrequenz sowie Daten zu den Trümmerstrukturen im Umfeld des
Verschütteten ermittelt. Dazu kann unter anderem die 3D-Kartographierung der Landeplatzsuche hilfreich
sein. Die erhobenen Daten werden mittels High-Speed-Data-Link direkt an eine Bodenstation weitergeleitet.
Die übermittelten Parameter werden dann in einem User-Interface dargestellt. Dieses steht den
Einsatzkräften zur Verfügung, ist an deren Anforderungen angepasst und unterstützt bei der
Entscheidungsfindung. Außerdem kann mit dem User-Interface Einfluss auf die teilautonome Aktivität des
UAV genommen werden. Deshalb wird als ein Aspekt des Forschungsprojektes durch das IRG auch ein
Schulungskonzept für Endanwender, die das System später in den Einsatz bringen sollen, entwickelt. Ebenso
wird vom IRG untersucht, wie das System in die Einsatzstellenorganisation implementiert werden kann.
Aufgrund der Vielschichtigkeit des Systems ergeben sich zwischen den einzelnen Komponenten sowie
zwischen Komponenten und Endanwendern verschiedene Schnittstellen. Diese werden unter Leitung des
IRG ebenfalls gemeinsam von den Projektpartnern herausgearbeitet. Die Schnittstellendefinition ist
notwendig, weil die einzelnen Systemkomponenten auf hohem technischen Niveau entwickelt werden. Ihre
Kombination und Zusammenarbeit stellt somit eine große Herausforderung für spezialisierte Entwickler dar.
36 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Allerdings sind die Schnittstellen für eine reibungslose Zusammenarbeit der Komponenten und somit der
Leistungsfähigkeit des FOUNT²-System von besonderer Bedeutung. Nur Technologie, die den Endanwender
störungsfrei unterstützt, ermöglicht letztendlich die erfolgreiche Lokalisierung von Verschütteten. Deren
Rettung kann so schneller, zielgerichteter und sicherer durchgeführt werden.
Die Schnittstellendefinition muss aufgrund der breit gefächerten fachlichen Anforderungen und der damit
verbundenen Komplexität ganzheitlich erfolgen. Rettungsingenieure sind in der Lage, verschiedene
Fachrichtungen methodisch, kommunikativ und fachlich zusammenzubringen. Aufgrund der breiten
Aufstellung ihres Studiums verstehen sie die Grundzüge einzelner Fachbereiche und deren
Zusammenhänge. Dadurch werden sie befähigt, alle spezialisierten Bereiche im Rahmen einer
Gesamtkoordination zu berücksichtigen. Eine wichtige Voraussetzung dafür bildet eine gute
Projektorganisation, die ein Bestandteil ihrer Ausbildung ist. Die Expertise des IRG im Bereich der
Einsatzorganisation in der Gefahrenabwehr ist insbesondere beim Zusammenspiel von Technik, Taktik und
Anwender des FOUNT²-Systems hilfreich, um alle Arbeitsschritte zielführend zu gestalten.
Das Ende des Forschungsprojektes bildet die Evaluation des Gesamtsystems und des Zusammenspiels mit
den Einsatzkräften. Hierzu werden von einer Arbeitsgruppe am IRG verschiedene, realistische
Einsatzszenarien definiert. Anhand dieser wird das Schulungskonzept für Endanwender interdisziplinär
entwickelt und das FOUNT²-System in bestehende Strukturen der Gefahrenabwehr implementiert. Hierfür
entwickelt die Arbeitsgruppe objektive Konzepte zur Evaluation der spezialisierten Komponenten und des
Gesamtsystems. Diese werden sowohl im Labor- bzw. Planübungsmaßstab als auch im Rahmen einer
Realübung angewendet.
So wird es möglich, die Ergebnisse des Forschungsprojektes zielgerichtet an den Anforderungen, die zu
Anfang und im Projektverlauf von den Endanwendern definiert worden waren, zu messen. Diese Ergebnisse
können technischer oder organisatorischer Natur sein. Sie verdeutlichen beispielsweise das Potential einer
drohnengestützten Verschüttetensuche in der Gefahrenabwehr. Weiterhin ermöglicht die Evaluation
allgemeine Aussagen über teilautonome Drohnenflüge, die auch außerhalb der Gefahrenabwehr,
weiterverfolgt werden können. Der dynamische Prozess der Zusammenarbeit von Mensch und Technik wird
bei der Evaluation ebenso beurteilt und kann im Rahmen weiterer Forschungsprojekte genauer untersucht
werden. Durch die interdisziplinäre und endanwenderorientierte Forschung und das Zusammenspiel
verschiedener spezialisierter Komponenten wird durch das IRG ein teilautonomes System maßgeblich
mitentwickelt und so die Verschüttetensuche nachhaltig verbessert.
Abbildung 2: Drohneneinsatz bei der Verschüttetensuche (Fotomontage) (Quelle: eigene Darstellung)
37 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Fliegendes Lokalisierungssystem für die Rettung und Bergung von
Verschütteten (FOUNT²)
Prof. Dr.-Ing. Ompe Aimé Mudimu, Tim Brüstle, B.Eng., Sebastian Schmitz, B.Eng.
Johannes Weinem, B.Eng.
• Projektpartner: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg;
Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg; TH Köln; MEDER
CommTech GmbH, Singen; HerSi Electronic Development GmbH & Co. KG,
Regensburg; contagt GmbH, Mannheim; Reco Service Robert Schmidkonz,
Nittenau
• Assoziierte Partner: Institut für Notfallmedizin der
Berufsfeuerwehr Köln; Deutscher Rettungshundeverein DRV e.V.,
Waldmünchen; Feuerwehr und Katastrophenschutz Stadt Mannheim,
Bundesanstalt Technisches Hilfswerk
• Gefördert von: Bundesministerium für Bildung und
Forschung, Programm: Forschung für die zivile Sicherheit, Bekanntmachung:
„Zivile Sicherheit – Innovative Rettungs- und Sicherheitssysteme“
(Förderkennzeichen 13N14163)
• Laufzeit: 10/2016 – 10/2019
Literaturverzeichnis
Gebauer, F, Markus, M, Fiedrich, F, Gentes, S & Schweier, C 2003, 'Forschungsarbeiten zur technischen und
organisatorischen Bewältigung von Katastrophen mit Gebäudeschäden', Bauingenieur, Jg. 78, Nr. 7, S.
369–379.
Mudimu, OA, Lechleuthner, A, Barth, K & Lotter, A 2016, VERVE. Prozessmodellierung, empirische Analyse und
Standardisierung des Informationsmanagements bei Großschadenslagen mit Gebäudeeinstürzen.
Sachstandsbericht, Köln.
Mudimu, OA, Peters, M & Lechleuthner, A 2012, Intelligentes sicherndes Lokalisierungssystem für die Rettung
und Bergung von Verschütteten (I-LOV), Teilvorhaben: Gewinnung von Umgebungsinformationen,
ihre Dokumentation sowie die psychologische Betreuung bei Einsätzen mit Verschütteten ;
Abschlussbericht zum Verbundvorhaben I-LOV, Fachhochsch; Technische Informationsbibliothek u.
Universitätsbibliothek, Köln, Hannover. [Online] http://edok01.tib.uni-
hannover.de/edoks/e01fb13/733744079.pdf [10.01.2017].
Universität Freiburg - IMTEK 2016, Verbundlogo Fount².
38 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Kritische Infrastrukturen-Resilienz als
Mindestversorgungskonzept: Ziele und Inhalte des
Forschungsprojekts KIRMin
Alexander Fekete, Neysa Setiadi, Katerina Tzavella, Alexander Gabriel, Jens
Rommelmann
Email: alexander.fekete(at)th-koeln, neysa.setiadi(at)th-koeln.de, katerina.tzavella(at)th-koeln.de,
alexander.gabriel(at)th-koeln.de, jens.rommelmann(at)th-koeln.de
Einleitung
Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Elektrizität und Wasser ist ein wesentlicher Stützpfeiler des
gesellschaftlichen Lebens bzw. des wirtschaftlichen Systems in Deutschland. Als solche werden diese beiden
Sektoren den sog. Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) zugerechnet, aus deren Teil- oder auch Totalausfall
weitreichende Folgen u.a. für die Bevölkerung und die Bundesrepublik entstehen könnten (Petermann et al.
2011). Vor dem Hintergrund zunehmender Bedrohung der KRITIS durch Anschläge, asymmetrische Konflikte,
die zunehmende Gefährdung von cyber-physischen Elementen oder aber auch durch Naturereignisse oder
menschlich-technisches Versagen zeigt sich die steigende Notwendigkeit, einen Diskurs über die
Auswirkungen eines Ausfalls der KRITIS anzustoßen und weiterzuführen (vgl. Geier 2016; Lauwe 2016).
Hierzu werden im Forschungsprojekt KIRMin insbesondere die Kaskadeneffekte betrachtet, die durch die
Vernetzungen der KRITIS untereinander entstehen können. Der Fokus liegt hierbei auf der Versorgung der
Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen, um eine notwendige Mindestversorgung
(Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) 2016) zu etablieren, sofern eine
Grundversorgung nicht mehr vollständig geleistet werden kann. Mit Partnern aus Forschung und Praxis
sowie KRITIS-Betreibern wird ein anwenderorientierter Ansatz verfolgt. Neben der Untersuchung der
Vulnerabilität der Sektoren Strom- und Wasserversorgung werden Risiko- und Resilienzanalysen zur
Erstellung eines Konzeptes zur Mindestversorgung Kritischer Infrastrukturen während eines Stromausfalls
erarbeitet.
Ziele und erwartete Erkenntnisse
Das Projekt KIRMin soll in der Projektlaufzeit von 2016 bis 2019 die Anforderungen an die Sicherstellung
einer Mindestversorgung für den Fall eines Ausfalls der Normalversorgung der KRITIS Strom und Wasser
herausstellen sowie essentielle Elemente und Prozesse sowie Interdependenzen der KRITIS in Deutschland
sichtbar machen. Darüber hinaus sollen Schwachstellen und Optimierungsmöglichkeiten im
Krisenmanagement von Betreibern und Behörden aufgezeigt und Bewältigungs- und
Wiederherstellungsfähigkeiten der übrigen Akteure (Bevölkerung, Industrie) im Krisenfall hervorgehoben
werden.
Durch das Projekt sollen somit verbesserte Methoden für die Analyse der Interdependenz und der Resilienz
im Bereich der KRITIS und hier insbesondere ein Mindestversorgungskonzept mit Maßnahmenkatalog für die
Versorgungssektoren Strom und Wasser im Falle eines flächendeckenden Stromausfalls unter Einbeziehung
des gesamten “Disaster Risk Management”-Kreislaufs” (DRM) bereitgestellt werden. Die Erarbeitung eines
Leitfadens für die Zusammenarbeit und Kommunikation von Unternehmen und Behörden im Sektor der
Kritischen Infrastrukturen soll hierzu beitragen.
39 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Methodik
Die Projektziele werden in vier Arbeitspaketen erarbeitet (Abbildung 1). Zu Projektbeginn werden
konzeptionelle Ansätze zur Resilienzbewertung von KRITIS erfasst und im Rahmen des Projektes
weiterentwickelt, mit dem Ziel Kriterien zur Bestimmung der Resilienz von KRITIS zu identifizieren. Darauf
aufbauend werden national als auch international „Best und Worst Practice“-Beispiele gesammelt und
anhand der vorher entwickelten Kriterien bewertet. Hieraus lassen sich somit Indikatoren für Erfolg oder aber
auch Misserfolg für den Umgang mit einem KRITIS-Ausfall ableiten und ggf. die Kriterien frühzeitig den
Anforderungen der Endanwender anpassen.
Begleitend dazu wird im Rahmen eines umfassenden Dialog- und Kommunikationskonzeptes der ständige
Kontakt und Austausch mit Experten, Praktikern und Endanwendern gesucht, um die relevanten Faktoren für
oder gegen die Erstellung von Mindestversorgungskonzepten zu ermitteln und eine Rückmeldung zum noch
zu erstellenden Übungskonzept für die Interdependenzanalyse und Mindestversorgung im Zusammenspiel
von Ersthelfern, Zivilschutz-Einrichtungen und KRITIS-Betreibern zu erhalten.
Anhand dreier konkreter Fallbeispiele soll dann – ebenfalls unter Einbindung der relevanten Akteure aus
Katastrophenschutz, Bevölkerung und KRITIS – eine praktische Anwendung der Interdependenzanalysen
erfolgen. Basierend auf diesen Erkenntnissen können die genutzten Methoden zur Resilienzanalyse zu einer
neuen, verbesserten und interdisziplinären Methodik zur Resilienzanalyse von KRITIS weiterentwickelt
werden.
Abbildung 13: Arbeitspakete im Projekt KIRMin (Quelle: Kritische Infrastrukturen-Resilienz als
Mindestversorgungskonzept (KIRMin) 2016a)
Gegen Ende der Projektlaufzeit soll somit ein holistisches Risiko- und Krisenmanagementkonzept bzw. ein
Mindestversorgungskonzept für die Branchen Strom und Wasser entwickelt werden. Um diese Konzepte zu
überprüfen werden die einzelnen Prozessschritte der Risikoanalyse und Notfallvorsorgeplanung in
ausgewählten Regionen unter Anwendung von geographischen Informationssystemen durchlaufen.
Das Forschungsteam im Institut für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr hat die Aufgabe der
Koordination des Projektes. Zudem befasst es sich inhaltlich v.a. mit der Einbeziehung von Akteuren in
Kommunikation, Wissensmanagement & Dissemination (Arbeitspaket II) und Analyse der Resilienz der
Kritischen Infrastrukturen (Arbeitspaket III) (Kritische Infrastrukturen-Resilienz als
40 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Mindestversorgungskonzept (KIRMin) 2016b).
Beitrag der TH Köln zu Kommunikation, Wissensmanagement & Dissemination (AP II)
Ein ganzheitlicher Partizipations- und Kommunikationsprozess während der kompletten Projektlaufzeit dient
als Grundlage des Gesamtvorhabens. Hierunter wird der Dialog mit den Akteuren als offener
Gedankenaustausch und kontinuierliche Dokumentation und das Teilen wesentlicher inter- und
transdisziplinär erarbeiteter Inhalte verstanden. Ein Kommunikationskonzept für Akteurs-Dialoge und
Wissensmanagement wurde erarbeitet. Das Konzept umfasst sowohl die interne Kommunikation und das
Projektmanagement mit den Verbundpartnern (Konsortialpartner), als auch den externen Austausch mit den
praktischen und wissenschaftlichen Akteuren (assoziierte Partner von KRITIS-Betreibern und der
Gefahrenabwehr und weitere Experten), sowie der Bevölkerung.
Anhand bestehender Netzwerke des IRG, der Verbund- / assoziierten Partner und aus weiterer eigener
Recherche, wurden relevante Akteure bzw. Experten identifiziert und im Projekt eingebunden. Die
Einbeziehung der Akteure ist in Form von Expertengesprächen sowie (Spezial-)Workshops geplant und
ausgeführt. Auf der einen Seite dient der Austausch als Mittel, um vorhandenes Wissen und Erfahrung der
Akteure zu akquirieren (Wissensmanagement). Auf der anderen Seite sollten die Akteure die Möglichkeit
bekommen, ihre Anforderungen und Bedarfe in Bezug auf Mindestversorgung zu äußern und bei der
Analyse aktiv teilzunehmen (partizipativer Forschungsansatz). So können sie die bestehenden
Abhängigkeiten ihrer Infrastrukturen deutlicher erkennen, ihre Resilienz besser abschätzen und Maßnahmen
im Falle einer geminderten Versorgung ableiten. Um einen Austausch mit der Zivilbevölkerung anzustoßen
und zu unterhalten wird zudem eine virtuelle Plattform entwickelt und betreut.
Im Laufe des Projektes werden die Ergebnisse sowie die Methodik des Projektes KIRMin im Rahmen von
wissenschaftlichen Konferenzen im In- und Ausland sowie durch Publikationen der TH Köln sowie der
Projektpartner verbreitet und in den Diskurs der wissenschaftlichen Gemeinschaft eingebracht.
Beitrag der TH Köln zu Analyse der Resilienz KRITIS (AP III)
In Zusammenarbeit mit den Betreibern KRITIS und Akteuren des Katastrophenschutzes werden Fallstudien
durchgeführt, bei der die Resilienz KRITIS unter Berücksichtigung bestehender Interdependenzen (siehe z.B.
Rinaldi, Peerenboom & Kelly 2001; Lenz 2009; Kröger 2008; Lauwe & Riegel 2008) analysiert wird.
In Rahmen dessen werden zur Analyse der Resilienz von KRITIS Expertengespräche und Interviews mit den
Projektpartnern in Fallstudien in NRW durchgeführt. Als Methode wurden leitfadengestützte Interviews
(Gläser & Laudel 2010) ausgewählt, die qualitativ ausgewertet werden. Das Ziel der ersten Interviews ist es,
ein besseres Verständnis der Technologien, räumlichen Elemente und Systemstrukturen KRITIS, sowie
Funktionsprinzipien der Systeme (Handlungsweisen und Beziehungen) zu bekommen, um die
Abhängigkeiten zwischen diesen Elementen in verschiedenen KRITIS-Sektoren einschließlich der
Gefahrenabwehr auszuwerten und Schwachstellen zu identifizieren. Darüber hinaus ermöglichen die
Interviews, den Bedarf der Endnutzer an ein Mindestversorgungskonzept zu erheben und weiteren
Kontakten bzw. Daten anzufragen.
Die Resilienzanalyse wird im nächsten Schritt anhand der qualitativen Ergebnisse und weiterer quantitativer
Daten, die öffentlich und von den Partnern zu Verfügung gestellt werden, durchgeführt. Diese ist mittels
eines systemischen Resilienzverständnisses (Dierich et al. 2012) des Projektpatners Inter 3 und abgeleiteter
Resilienzkriterien (vgl. Bruneau et al. 2003) umgesetzt.
41 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Beitrag der TH Köln in GIS-Anwendung (AP III)
Innerhalb der Interdependenz- und Resilienzanalyse (AP III) hat die GIS-Analyse eine bedeutende Rolle, da sie
verschiedene KRITIS und Interdependenzen (insbesondere geographische, vgl. Rinaldi, Peerenboom & Kelly
2001) abbilden und analysieren kann. Im KIRMin Projekt ist es vorgesehen, eine GIS-basierte Anwendung zur
Identifizierung der wichtigsten Zusammenhänge von KRITIS und Gefahrenabwehr sowie GIS-basierte
Darstellungen zu Kaskadenereignissen unter verschiedenen Szenarien durchzuführen. Beispiele der GIS-
Anwendungen sind u.a. die Erreichbarkeit der betroffenen Gebiete durch Feuerwehrfahrzeuge,
Wasserverfügbarkeit und Rettungsdienst, Dauer der Wiederherstellung betroffener KRITIS-Elemente wie
etwa technischer Objekte der Stromversorgung unter Einfluss räumlicher Faktoren wie Distanzen,
Hochwasserbarrieren usw. Eine exemplarische Analyse für die Stadt Köln wurde hierzu durchgeführt (Fekete,
Tzavella & Baumhauer 2017). Die Erkenntnisse aus dieser Analyse werden für die weiteren Analysen der Stadt
Köln und in andere Fallstudien miteinbezogen und mit den Partnern als Dialoggrundlage verwendet. Dabei
hat das AP III als ein Ziel die Identifizierung der am stärksten gefährdeten Gebiete für spezifische
Krisenszenarien (Ein Beispiel in Abbildung 2).
Abbildung 2: Von einem extremen Hochwasser betroffene Kritische Infrastrukturen (Hier als Beispiel:
Krankenhäuser, Schulen, und ausgewählte Einrichtungen der Gefahrenabwehr) in Köln (Quelle: eigene Darstellung)
Diese Identifizierung wird weiter die Kombination einer Interdependenzanalyse der Kritischen
Infrastrukturen in komplexen städtischen Umgebungen mit einem Vulnerabilitätsindex sein. So werden
Indikatoren für effektive und rechtzeitige Notfalleinsätze durch statistische Methoden und GIS Techniken
entwickelt.
42 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
KIRMin – Kritische Infrastrukturen-Resilienz als Mindestversorgungskonzept
Prof. Dr.-Ing. Alexander Fekete, Prof. Dr.-Ing. Ompe Aimé Mudimu, Dr. Neysa Jacqueline
Setiadi, Katerina Tzavella, Jens Rommelmann, Alexander Gabriel
Projektpartner:
• BBK – Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
• inter 3 Institut für Ressourcenmanagement
• IREUS – Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung der
Universität Stuttgart
• UNU-EHS – Institute for Environment and Human Security der
United Nations University
• Gefördert von: Bundesministerium für Bildung und Forschung
(Förderkennzeichen 13N13989)
• Laufzeit: 06/2016 – 05/2019
• Projekthomepage: http://www.kirmin.de/
• Kontakt für weitere Info: neysa.setiadi@th-koeln.de
Literaturverzeichnis
Bruneau, M, Chang, SE, Eguchi, RT, Lee, GC, O?Rourke, TD, Reinhorn, AM, Shinozuka, M, Tierney, K, Wallace,
WA & Winterfeldt, D von 2003, 'A Framework to Quantitatively Assess and Enhance the Seismic
Resilience of Communities', Earthquake Spectra, vol. 19, no. 4, pp. 733–752.
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) 2016, Gesamtkonzept zur
Mindestversorgung. unveröffentlicht- in Entwicklung.
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), BMBF-Foschungsvorhaben KIRMin.
Teilvorhaben IV des BBK - Ziele, Aufgaben und Umsetzung.
Dierich, A, Schön, S, Bartels, M & Hahne, M 2012, 'Szenarioanalyse für intersektorales Infrastruktur-
Management', DVGW Energie Wasser-Praxis, no. 6, pp. 20–23.
Fekete, A, Tzavella, K & Baumhauer, R 2017, 'Spatial exposure aspects contributing to vulnerability and
resilience assessments of urban critical infrastructure in a flood and blackout context', Natural Hazards,
vol. 86, S1, pp. 151–176.
Geier, W 2016, 'Konzeption Zivile Verteidigung: Motiv, Programm und Zielsetzungen',
Bevölkerungschutzmagazin, no. 4, pp. 2–4.
Gläser, J & Laudel, G 2010, Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse. Als Instrumente
rekonstruierender Untersuchungen, VS Verlag, Wiesbaden.
Kritische Infrastrukturen-Resilienz als Mindestversorgungskonzept (KIRMin) 2016a,
Gesamtvorhabenbeschreibung zum Verbundprojekt KIRMin (nicht veröffentlicht). Ein
Forschungsvorhaben im Rahmen der Bekanntmachung Zivile Sicherheit – Erhöhung der Resilienz im
Krisen- und Katastrophenfall. Gefördert vom BMBF.
Kritische Infrastrukturen-Resilienz als Mindestversorgungskonzept (KIRMin) 2016b,
Teilvorhabenbeschreibung zum Verbundprojekt KIRMin: Resilienz Kritischer Infrastrukturen:
Akteursbeteiligung, Kommunikation und Analysen (nicht veröffentlicht). Ein Forschungsvorhaben im
Rahmen der Bekanntmachung Zivile Sicherheit – Erhöhung der Resilienz im Krisen- und
Katastrophenfall. Gefördert vom BMBF.
Kröger, W 2008, 'Critical infrastructures at risk. A need for a new conceptual approach and extended
analytical tools', Reliability Engineering & System Safety, vol. 93, no. 12, pp. 1781–1787.
Lauwe, P 2016, 'Konzeption Zivile Verteidigung - Auswirkungen auf Kritische Infrastrukturen', Crisis
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Lenz, S 2009, Vulnerabilität Kritischer Infrastrukturen, Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
Katastrophenhilfe, Bonn.
43 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Petermann, T, Bradke, H, Lüllmann, A, Poetzsch, M & Riehm, U 2011, Was bei einem Blackout geschieht.
Folgen eines langandauernden und großflächigen Stromausfalls, Nomos Verlag (Studien des Büros für
Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Bd. 33), Berlin.
Rinaldi, SM, Peerenboom, JP & Kelly, TK 2001, 'Identifying, understanding, and analyzing critical infrastructure
interdependencies', IEEE Control Systems Magazine, vol. 21, no. 6, pp. 11–25.
44 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Berufliche Mobilität als Einflussfaktor für die Bereitschaft
ehrenamtlicher Tätigkeit im Bevölkerungsschutz. Teilstudie im
Forschungsschwerpunkt „Bevölkerungsschutz im
gesellschaftlichen Wandel (BigWa)“
Christiane Stephan, Phyllis Bernhardt, Jan Bäumer, Alexander Fekete
Email: christiane.stephan(at)th-koeln.de, alexander.fekete(at)th-koeln.de, jan.baeumer(at)th-koeln.de
Einleitung
In den Kommunen, Landkreisen und Städten des Bundesgebietes zeigt sich, dass der gesellschaftliche
Wandel in Deutschland eine Reihe neuer Herausforderungen und dringender Zukunftsfragen an den
Bevölkerungsschutz stellt. Der demographische Wandel, Zuwanderung und Flucht nach Deutschland, aber
auch Auswirkungen des Klimawandels, technologischer Wandel und Digitalisierung und neue
Bedrohungslagen repräsentieren nur eine kleine Auswahl der neuen Rahmenbedingungen, die dynamische
Veränderungen in der Gesellschaft mit sich bringen und Anpassungen in den bestehenden Strukturen
erforderlich machen. Die vorangegangene Forschung am Institut für Rettungsingenieurwesen und
Gefahrenabwehr (IRG) hat aufgezeigt, dass es trotz einer Reihe an Initiativen rund um die Themen
demographischer Wandel und Bevölkerungsschutz ein breites Feld an Forschungsthemen gibt, die noch
nicht erschlossen, wenig verknüpft oder sogar gänzlich unbearbeitet sind.
Konkret für Deutschland stellen sich für den Bevölkerungsschutz beispielsweise Fragen nach der Zukunft des
Ehrenamtes, nach der Einbeziehung neuer Bevölkerungsgruppen in Hilfsorganisationen, nach der
Entwicklung von Schutzkonzepten und Kommunikation mit neuen Medien und Technologien. Um dies zu
konkretisieren müssen tiefergehende Fragen formuliert werden, welche die gesellschaftlichen und
technologischen Trends mit lokalen und regionalen Kontexten verknüpfen und so ein Spektrum an
differenzierten Herausforderungen erkennen lassen. Fragen, wie beispielsweise solche nach einer
verbesserten Einbindung von Frauen, von älteren Bevölkerungsgruppen oder von Menschen mit
Migrationshintergrund in den ehren- oder hauptamtlichen Bevölkerungsschutz erfordern zunächst
Kenntnisse über lokale und regionale Gegebenheiten, soziale Anfordernisse und kulturelle Kontexte der
Zielgruppen und Zielregionen.
Wie kann Forschung dazu beitragen, diese gesellschaftsrelevanten Fragen zu beantworten und welche
sozialen Innovationen können daraus entstehen? Wie können neue und lokal angepasste Lösungsansätze
erarbeitet werden, die auf lokale, nationale und teilweise internationale Herausforderungen reagieren? Der
Forschungsschwerpunkt „BigWa – Bevölkerungsschutz im gesellschaftlichen Wandel“ zielt darauf ab neue
Ansätze zur Beantwortung dieser Fragen zu entwickeln und neben einem Beitrag zur Forschung an der TH
Köln auch einen fassbaren Beitrag zur Weiterentwicklung des Bevölkerungsschutzes und gesellschaftlicher
Teilhabe zu leisten.
BigWa – Förderung, Kooperation und Fragestellungen
Der Forschungsschwerpunkt BigWa wurde im Januar 2016 mit einer geplanten Dauer von vier Jahren in
Zusammenarbeit mehrerer Fakultäten der Technischen Hochschule Köln gegründet. Unter Leitung eines
interdisziplinären Teams um Prof. Dr. Alexander Fekete und Prof. Dr. Ompe Aimé Mudimu des Instituts für
Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr (IRG) der Fakultät 09 arbeiten Professoren, Wissenschaftliche
45 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Mitarbeiter und Studierende aus vier Fakultäten zusammen. Beteiligt sind neben dem IRG das Institut für
Angewandtes Management und Organisation in der Sozialen Arbeit (IMOS) der Fakultät 01 unter Leitung von
Prof. Dr. Herbert Schubert und Holger Spieckermann, das Institut für Translation und Mehrsprachige
Kommunikation (ITMK) der Fakultät 03 unter Leitung von Prof. Dr. Christiane Brand, sowie das Institut für
Nachrichtentechnik (INT) der Fakultät 07 unter Leitung von Prof. Dr. Andreas Grebe und Prof. Dr. Carsten
Vogt.
Drei wesentliche Handlungsfelder wurden identifiziert, in denen neue Fragestellungen erarbeitet werden
und praktische Forschungsarbeit des BigWa-Teams geleistet wird (Abbildung 1).
Abbildung 14: Handlungsfelder von BigWa, Quelle: Eigene Darstellung
Aus der Darstellung der Handlungsfelder und Fragestellungen lassen sich verschiedene Zielgruppen des
Forschungsschwerpunktes erkennen. Zu einer dieser Zielgruppen zählen Personen, die eine berufliche
Tätigkeit in Feuerwehren, Rettungsdiensten und Hilfsorganisationen im Katastrophenschutz ausführen. Die
tägliche Arbeit in der Gefahrenabwehr und im Bevölkerungsschutz dieser Zielgruppe ist direkt durch aktuelle
gesellschaftliche und technische Herausforderungen und Dynamiken geprägt. Der Forschungsschwerpunkt
soll dazu beitragen, die Perspektiven und Erfahrungen dieser Personengruppen aufzunehmen und in
Zusammenarbeit Lösungsansätze zu erarbeiten.
Eine weitere Zielgruppe sind ehrenamtliche Helfer, die z.B. in Freiwilligen Feuerwehren und
Hilfsorganisationen tätig sind. Sie stellen eine wesentliche Ergänzung der hauptamtlichen Kräfte dar, ohne
die das System des Bevölkerungsschutzes in Deutschland nicht funktionsfähig wäre. Auch hier sind
spezifische Erfahrungen und Motivationen präsent, die für das Forschungsprojekt von Interesse sind. Neue
Dynamiken wie z.B. vermehrte berufliche und private Mobilität erschweren das ehrenamtliche Engagement
für diese Personengruppen. Um Ehrenamt auch in Zukunft attraktiv zu machen, ist eine enge
Zusammenarbeit mit dieser Zielgruppe in der Entwicklung von Forschungsfragen und Lösungsansätzen
erforderlich.
Neben Personengruppen, die bereits im Bevölkerungsschutz tätig sind, ist eine weitere Zielgruppe die
Gesellschaft (in der Sprache des Bevölkerungsschutzes aus nationaler Sicht auch „die Zivilbevölkerung“), die
bisher nicht oder ohne offizielle Mitgliedschaft im Bevölkerungsschutz tätig waren. In jüngeren
Hilfseinsätzen wie z.B. während des Hochwassers 2013 haben sich ungebundene Helfer, sog.
„Spontanhelfer“, organisiert um Hilfsorganisationen zu unterstützen oder direkt bei der betroffenen
Bevölkerung Hilfe zu leisten. Die angemessene Organisation ungebundener Helfer in Krisensituationen wirft
bislang eine Reihe ungelöster Fragen auf. Dabei gewinnen vor allem der Einsatz neuer Medien und die
46 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Abstimmung verschiedener Gesellschaftsteile in Krisensituationen an Bedeutung. Wie es auch schon vor der
„Digitalisierung der Gesellschaft“ keine einheitliche „Zivilbevölkerung“ gab, sondern unterschiedlichste
Individuen und Gruppen, die sich nach Interessensgebieten, Anschauungen und jeweiligem örtlichen
Kontext zusammenfinden, so ist das auch bei Nutzern des Internets nicht grundsätzlich anders; jedoch
ergeben sich neue Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe ohne räumlich vor Ort zu sein. Sogar in
Hilfseinsätzen können Personen nun von zu Hause aus, sozusagen „vom Sofa“, mithelfen indem sie wichtige
Daten zusammenstellen (Fekete 2016; Tzavella, Fekete & Fiedrich 2017). Die Einbeziehung von potentiellen
Spontanhelfern in die Forschung ist daher von Bedeutung, aber auch für die Nachwuchsgewinnung als
ehrenamtliche und hauptamtliche Helfer des Bevölkerungsschutzes der Zukunft. Mit einer Zunahme der
Heterogenität der Gesellschaft durch eine Vielzahl demographischer Prozesse in Deutschland, ist es
erforderlich, die Einbindung unterschiedlicher Gruppen in den Bevölkerungsschutz zu ermöglichen und zu
fördern. Die Gesellschaft in den Forschungsschwerpunkt einzubeziehen, ist daher von hoher Relevanz für
eine realitätsnahe Erarbeitung von Lösungsansätzen.
Neben den genannten Zielgruppen ist es notwendig, weitere Akteure und Organisationen in den
Forschungsschwerpunkt einzubinden. Dazu gehören Behörden für Soziales, für Migration, für Jugend ebenso
wie Behörden und Einrichtungen des Bevölkerungsschutzes, Katastrophenschutzes und der nicht-
polizeilichen (und ggf. auch polizeilichen) Gefahrenabwehr. Es ist von hoher Relevanz für den
Forschungsschwerpunkt, erarbeitete Lösungsansätze mit den gesetzlichen und behördlichen
Rahmenbedingungen abzugleichen und die zukünftigen Bedingungen für einen modernen
Bevölkerungsschutz mit zu prägen. Neben Bundes- und Landesbehörden sind kommunale Einrichtungen des
Sozial- und Gesundheitswesens (Sozialdienste, Altenheime, etc.) und des Bevölkerungsschutzes
einzubeziehen, um Organisationsstrukturen und Organisationskulturen zu analysieren und die
Voraussetzungen für einen zukunftsfähigen Bevölkerungsschutz auf allen administrativen Ebenen zu
identifizieren.
Teilstudie „Neue Dynamiken der beruflich aktiven Bevölkerung - Auswirkungen auf das Ehrenamt und
Ansätze zu modernen Ehrenamts- und Einbindungskonzepten“
In der dargestellten Bandbreite an Forschungsthemen und Zielgruppen ist es zu Beginn der Forschung
relevant, strategische Startpunkte für die Zusammenarbeit im interdisziplinären Team der TH Köln und mit
den Zielgruppen zu setzen. Der Aufbau von langfristigen Kooperationen mit Vertretern der Zielgruppen
erfordert ein abgestimmtes Vorgehen des BigWa-Teams und den Beitrag sowohl von der jeweiligen
fachlichen Expertise als auch der interdisziplinären Formulierung unkonventioneller, neuartiger
Fragestellungen. Ein Startpunkt hierfür war die Durchführung eines Workshops mit ausgewählten
Zielgruppen und Experten im Juni 2016.
Ergebnisse des Auftakt-Workshops in 2016
Als Zielgruppen dieses Workshops wurden haupt- und ehrenamtliche Akteure, Behörden und private
Unternehmen im Bereich Bevölkerungsschutz und Experten im Bereich innovativer
Informationstechnologien ausgewählt. Ziel dieses Workshops war es, positive Ansätze (sog. Best Practices)
und aktuelle Herausforderungen im Bereich der Nachwuchsgewinnung im Bevölkerungsschutz sowie
aktuelle Ansätze in der Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien kennenzulernen, die Relevanz für
den Bevölkerungsschutz haben. Durch Kurzvorträge und Arbeit in Themengruppen konnten innovative
47 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Denk- und Handlungsansätze aufgezeigt sowie neue Fragestellungen entwickelt werden. Vier
Arbeitsgruppen ermöglichten eine intensive Auseinandersetzung mit folgenden Themen:
• Nachwuchsgewinnung im Bevölkerungsschutz,
• Integration von Bürgern mit Migrationshintergrund,
• Stärkung und Förderung des Ehrenamts und
• Neue Technologien im Bevölkerungsschutz.
Die Aufarbeitung der Ergebnisse hat zu einer Formulierung von neuen Fragestellungen und Denkansätzen
geführt, die richtungsweisend für die Arbeit des BigWa-Teams in den kommenden Monaten und Jahren sind.
Neben der Planung einer Reihe von Forschungsaktivitäten in interdisziplinärer Zusammensetzung ist es
zunächst angestrebt, die etablierten Kontakte zu Vertretern von Zielgruppen auszubauen und die
Identifikation relevanter Kontakte zu den anderen Zielgruppen durchzuführen. Die sich daraus ergebenden
Ideen und Lösungsansätze werden den Forschungsschwerpunkt BigWa langfristig prägen.
Exemplarisch für die vielseitigen Arbeiten der BigWa Forschungsgruppe soll in diesem Beitrag eine Teilstudie
herausgegriffen und die Bearbeitung überblickshaft dargestellt werden. Es werden Schnittstellen zu anderen
Fragestellungen und Arbeiten aufgezeigt und abschließend der integrierte Ansatz des
Forschungsschwerpunkts erläutert.
Problem und Fragestellung der Teilstudie
Wie von verschiedenen Akteuren des Bevölkerungsschutzes wiederholt betont wird, ist die deutsche
Gesellschaft grundlegend auf das zivilgesellschaftliche und ehrenamtliche Engagement ihrer Bürger
angewiesen. Der Freiwilligensurvey 2014 ergab, dass über 40% der Wohnbevölkerung ab 14 Jahren freiwillig
engagiert ist und jede zweite Person, die nicht ehrenamtlich aktiv ist, dazu bereit ist, sich zukünftig zu
engagieren (Simonson, Vogel & Tesch-Römer 2017, p 22ff.). Trotz dieser positiven Bilanz stellt die
Nachwuchsgewinnung in allen Bereichen des ehrenamtlichen Engagements und insbesondere im
Bevölkerungsschutz eine Herausforderung dar. Ein starker Zuwachs ehrenamtlicher Helfer im Rahmen der
Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen in Deutschland (Karakayali & Kleist 2015, p 21) hat zwei
Tendenzen aufgezeigt: Auf der einen Seite besteht hohe Bereitschaft in der Bevölkerung, sich ehrenamtlich
zu engagieren. Ein hoher Anteil derjenigen, die derzeit ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit tätig sind, hat
nach dem Jahr 2011 ihr Engagement begonnen (Ibid). 42 Prozent dieser Personen bringen sich in
selbstorganisierten Gruppen, d.h. nicht in Vereinen oder Verbänden ein (Karakayali & Kleist 2015, p 24f.). Auf
der anderen Seite hat die „Flüchtlingskrise“ in Deutschland aufgezeigt, dass das System Bevölkerungsschutz
nicht immer ausreichend auf aktuelle gesellschaftliche Dynamiken eingehen kann (Roth 2016). Neben den
Herausforderungen einer pluralisierten Gesellschaft zeigt sich jedoch eine Vielzahl von Chancen. So zeigt der
Freiwilligensurvey u.a. eine hohe Engagementbereitschaft bei allen Gruppen mit Migrationshintergrund auf,
so dass ein hohes Potenzial für künftiges freiwilliges Engagement bei Menschen mit Migrationshintergrund
gesehen wird (Simonson, Vogel & Tesch-Römer 2017, p 27). Motivationsfaktoren, die für das Engagement im
Ehrenamt und insbesondere für ehrenamtliche Tätigkeiten im Bevölkerungsschutz eine Rolle spielen, werden
in einer Reihe jüngerer Publikationen und Erhebungen adressiert (u.a. Kietzmann et al. 2015; BIK, Aschpurwis
und Behrens GmbH 2013; Wenzel, Beerlage & Springer 2012). Motivationsfaktoren von Spontanhelfern
wurden in einer Umfrage der TH Köln in Zusammenarbeit mit der Bergischen Universität Wuppertal erhoben.
Dabei zeigte sich, dass gesellschaftliche Werte wie Hilfsbereitschaft eine wichtige Rolle spielen, der Faktor,
neben dem Alltag etwas Besonderes zu erleben, dagegen weniger bedeutsam war (Fathi et al. 2015).
48 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Eine relevante Dynamik in der Gruppe der beruflich aktiven Bevölkerung in Deutschland ist eine allgemeine
Zunahme der Mobilität. Wie ein Bericht des Deutschen Gewerkschaftsbundes darstellt, ist die Zahl der
Berufspendler in den letzten 20 Jahren deutlich angestiegen (DGB Bundesvorstand 2016, p 1). Ein Bericht des
DGB beschreibt insbesondere die Zunahme von Fernpendlern, die regelmäßig zwischen Bundesländern
pendeln (DGB Bundesvorstand 2016, p 1). Wie Erhebungen des Statistischen Bundesamtes darlegen, sind
Strecken von mindestens 25 Kilometern für 17 Prozent aller Erwerbstätigen die Regel und immerhin 4
Prozent legen 50 Kilometer oder mehr an einfacher Strecke auf dem Weg zum Arbeitsplatz zurück (Wingerter
2014, p 1). Demgegenüber beschreibt ein Bericht des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung
(BBSR), dass sich die „Aktionsräume der Beschäftigten zwar noch vergrößern (…) (und) immer mehr
Beschäftigte zwischen den Zentren pendeln“ aber zugleich „Pendelströme zwischen Umland und Stadt (…)
an Bedeutung verlieren und durchschnittliche(n) Pendeldistanzen bundesweit stagnieren“ (Pütz 2015, p 3).
Während vonseiten offizieller Quellen keine einheitlichen Einschätzungen zu Fernpendlern und regionalen
Aktionsräumen vorliegen, ist jedoch davon auszugehen, dass die allgemeine Veränderung von
Erwerbsverläufen in Zukunft weitergehende Auswirkungen auf die Möglichkeiten ehrenamtlichen
Engagements haben wird. Eine zunehmende berufliche Mobilität bringt eine Reihe von zusätzlichen
Belastungen für die Arbeitnehmer, ihre Familien und die weiteren sozialen Einbindungen mit sich und wird
sich voraussichtlich zunehmend im System des Ehrenamts widerspiegeln.
Um die Herausforderungen der Gewinnung und Bindung ehrenamtlicher Helfer im Bevölkerungsschutz in
einem realistischen Bild skizzieren zu können und die Relevanz des Themas für das Land Nordrhein-
Westfalen sowie angrenzende Bundesländer darzulegen, ist es ein Ziel dieser Teilstudie, aktuelle statistische
Daten zu Pendlermobilität und zu Engagement in Organisationen des Bevölkerungsschutzes zu gewinnen
und aufzubereiten. Darüber hinaus soll eine Bevölkerungsumfrage Aufschluss geben über Bereitschaft und
Erfahrung im ehrenamtlichen Engagement im Bevölkerungsschutz. Diese Daten sollen ergänzt werden durch
ausgewählte Fallstudien und Befragungen von ehrenamtlichen Mitarbeitern im Bevölkerungsschutz. In
Verbindung mit Expertenbefragungen von Schlüsselpersonen aus den Hilfsorganisationen und
Bevölkerungsforschern (z.B. Bevölkerungssoziologie und -geographie, Wirtschaftswissenschaften) geht diese
Teilstudie u.a. folgenden Forschungsfragen nach:
• Wie hat sich das Pendlerverhalten in NRW in den letzten 10-15 Jahren verändert? Welche Prognosen
werden von Experten für die nächsten 5-10 Jahre diskutiert?
• Welchen Zusammenhang gibt es zwischen der Zunahme der beruflichen Mobilität und den
Möglichkeiten, sich ehrenamtlich im Bevölkerungsschutz zu betätigen?
• Welche statistischen Korrelationen zwischen Pendlermobilität und ehrenamtlichem Engagement
lassen sich erkennen?
• Wie haben sich Berufs- und Ehrenamtsbiographien in den letzten 10-15 Jahren verändert?
• Welche Lösungsansätze gibt es in Kommunen und Landkreisen, um ehrenamtliches Engagement
trotz beruflicher Mobilität zu fördern (z.B. Doppelmitgliedschaften, Bereitschaften am Arbeitsplatz,
etc.)?
• Welche Herausforderungen – z.B. juristischer, wirtschaftlicher und sozialer Art - gibt es bei diesen
Lösungsansätzen?
• Können neue Bevölkerungsgruppen für ehrenamtliches Engagement im Bevölkerungsschutz in Köln
identifiziert werden? Welche „Typen“ ehrenamtlicher Helfer lassen sich hier identifizieren?
49 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Methodischer Aufbau der Teilstudie
Um diese Teilstudie und die unterschiedlichen oben skizzierten Fragestellungen zu bearbeiten, sollen
verschiedene quantitative und qualitative Methoden angewendet werden. Die Aufbereitung aktueller
statistischer Daten zu Pendlermobilität soll mithilfe eines quantitativen Ansatzes erfolgen, in dem von
offiziellen Quellen (u.a. Bundesagentur für Arbeit, Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, DGB)
bezogene Daten unter Zuhilfenahme statistischer Auswertungsprogramme (z.B. SPSS) analysiert werden. Des
Weiteren sollen die ausgewerteten Daten in einem Geographischen Informationssystem (GIS) aufbereitet
werden.
Für die eigene statistische Erhebung in Köln wird das BigWa-Forschungsteam einen Fragebogen formulieren,
der die Bereitschaft, Motivation und Erfahrung mit ehrenamtlichen Engagement generell und insbesondere
im Bevölkerungsschutz abfragen wird und weitere relevante Aspekte wie Pendlerverhalten, soziale Milieus
und Technikaffinität einschließen wird. Der Fragebogen wird zum Großteil geschlossene Antwortkategorien
umfassen sowie einige wenige offene Antwortkategorien. Bei der Formulierung des Fragebogens werden
insbesondere die Mitarbeiter von Fakultät 01 und Fakultät 09 zusammenarbeiten, um Expertise in der
Durchführung einer repräsentativen Umfrage, der Formulierung von Fragebögen und den spezifischen
Hintergründen des Ehrenamts im Bevölkerungsschutz zu bündeln. Die Fragebögen sollen im Rahmen einer
repräsentativen Umfrage in der Stadt Köln, welche für Ende 2017 geplant ist, eingesetzt werden. Die
Auswertung der Umfrage erfolgt mithilfe des statistischen Auswertungsprogramms SPSS.
Neben der quantitativen Erhebung und Auswertung, werden verschiedene qualitative Interviews
durchgeführt. Ein erster Typ von qualitativen Interviews wird mit ehrenamtlich im Bevölkerungsschutz
aktiven Personen in NRW im Regierungsbezirk Köln durchgeführt. Aufbauend auf den Ergebnissen der
repräsentativen Bevölkerungsumfrage sollen durch narrative Interviews verschiedene Berufs- und
Ehrenamtsbiographien skizziert werden. Anhand ausgewählter Beispiele soll so dargestellt werden, wie sich
diese Biographien in den letzten 10-15 Jahren verändert haben. Der zweite Typ von qualitativen Interviews
soll mit Mitgliedern von Organisationen des Bevölkerungsschutzes in NRW im Regierungsbezirk Köln
durchgeführt werden, die spezifische Lösungsansätze für Herausforderungen des demographischen
Wandels in ihren Kommunen entwickelt haben. Diese Interviews, die als halbstrukturierte
Leitfadeninterviews konzipiert werden, sollen Aufschluss geben über Bedingungen und Erfolgsfaktoren der
Realisierung von Lösungsansätzen zur Modernisierung des Ehrenamts und der Vereinbarkeit von Beruf und
Ehrenamt. Der dritte und letzte Typ qualitativer Interviews wird mit Experten aus den Bereichen
Bevölkerungsschutz und demographischer Wandel in Deutschland durchgeführt. Die Identifizierung und
Befragung solcher Experten, die aktuelle Dynamiken und Tendenzen der Weiterentwicklung des Ehrenamtes
im Bevölkerungsschutz skizzieren können (Leiter und Personalexperten von Hilfsorganisationen, etc.) und
solcher Experten, die einen Ausblick hinsichtlich des demographischen Wandels und der Entwicklung
sozialer Kohäsion in der deutschen Gesellschaft geben können (Bevölkerungssoziologie und -geographie,
Wirtschaftswissenschaften, etc.), dient der Formulierung von Lösungsvorschlägen, welche die
Herausforderungen des gesellschaftlichen Wandels adressieren.
Erste Ergebnisse der Teilstudie
Der folgende Abschnitt stellt erste Ergebnisse der Teilstudie vor, die durch eine Auswertung aktueller
statistischer Daten für Nordrhein-Westfalen und durch Literaturrecherche zu bestehenden
Ehrenamtsmodellen in Kommunen desselben Bundeslandes von Mitarbeitern der BigWa-Forschungsgruppe
50 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
und Studierenden des IRG erarbeitet wurden. Diese vorläufigen Ergebnisse dienen dazu, erste aktuelle
Tendenzen in der beruflichen Mobilität in NRW und Köln und einzelne kontextangepasste Lösungsansätze zu
identifizieren. Aufbauend darauf können Forschungsfragen weiter angepasst werden und eine optimale
Auswahl der Methoden zur weiteren Bearbeitung getroffen werden.
Pendlerbewegungen mit Relevanz für NRW und Köln
Die Auswertung von Daten des Landesbetriebs Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW) zu
Pendlerbewegungen in NRW und Köln hat eine Reihe von Tendenzen aufgezeigt, die im Rahmen der
Teilstudie für eine eingehendere wissenschaftliche Auswertung herangezogen werden sollen. Es zeigt sich
u.a., dass Köln als bevölkerungsreichste Stadt in NRW im Jahr 2015 eine Einpendlerquote von rund 44
Prozent und eine Auspendlerquote von 26,5 Prozent besitzt (Abb. 2 und 3).
Abbildung 2: Einpendlerquoten der zehn bevölkerungsreichsten NRW-Städte (2015)
(Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW) 2017)
51 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Abbildung 3: Auspendlerquoten der zehn bevölkerungsreichsten NRW-Städte (2015)
(Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW) 2017)
Während die höchsten Einpendlerquoten in Düsseldorf (58%) und Bonn (55,4%) zu verzeichnen sind, stechen
insbesondere Duisburg (43,7%) und Bochum (42,4%) mit hohen Auspendleranteilen in der Gruppe der zehn
Städte hervor.
Um eine Veränderung im Zeitverlauf beschreiben zu können, vergleichen Abbildung 4 und Abbildung 5 die
absoluten Ein- und Auspendlerzahlen der Stadt Köln zwischen 2010 und 2015.
Abbildung 4: Tages-Einpendler aus der Stadt Köln für die Jahre 2010-2015 in absoluten Zahlen
(Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW) 2017)
52 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Abbildung 5: Tages-Auspendler aus der Stadt Köln für die Jahre 2010-2015 in absoluten Zahlen
(Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW) 2017)
Während bei den Einpendlern eine Zunahme um 2.500 Einpendler erfolgt ist, sind nur 1.500 Auspendler
zusätzlich zwischen den Jahren 2010 und 2015 zu verzeichnen. Diese Zunahme relativiert sich jedoch, wenn
man den generellen Bevölkerungszuwachs in der Stadt Köln in diesem Zeitraum berücksichtigt. Während die
absoluten Werte einen Anstieg der Pendlerströme darlegen, zeigt sich bei einer Berechnung des Anteils von
Pendlern an der Summe der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit Wohnort in Köln, dass der
Pendleranteil nahezu stagniert (Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW) 2017).
Abbildung 6: Distanz Wohn- und Arbeitsort von a) Tageseinpendlern nach Köln und b) Tagesauspendlern aus Köln (2015)
(Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW) 2017)
Bei einer Betrachtung der Distanzen, die Tagespendler nach Köln und aus Köln auf dem Weg zum
Arbeitsplatz zurücklegen, zeigt sich ein arithmetischer Mittelwert von rund 59 Kilometern bei den
Einpendlern nach Köln und ein Mittelwert von knapp 54 Kilometern bei den Auspendlern aus Köln. Im
Vergleich zum arithmetischen Mittelwert bezieht sich der gewichtete Mittelwert auf die
Häufigkeitsverteilung der einzelnen Distanzen (die Gewichtung erfolgt hier also anhand der relativen
Häufigkeiten der zurückgelegten Strecken). Es zeigt sich hier, dass bei einer gewichteten Berechnung die
Pendlerdistanzen deutlich geringer sind. Sowohl für die Tageseinpendler nach Köln als auch für die
53 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Tagesauspendler ergibt sich ein gewichteter Mittelwert von circa 27 Kilometern.
Lösungsansätze zur Bindung und Gewinnung von ehrenamtlichen Kräften in Freiwilligen
Feuerwehren
Nicht in allen Kommunen ist das ehrenamtliche System des Bevölkerungsschutzes gleich stark aufgestellt.
Die Verfügbarkeit von ehrenamtlichen Kräften kann zwischen Kommunen im ländlichen und städtischen
Raum sowie zwischen strukturschwächeren und stärkeren Regionen sowie nach einer Reihe anderer
Vergleichsfaktoren stark variieren. Insbesondere in Kommunen, in denen das Fehlen ehrenamtlicher Kräfte in
den vergangenen Jahren am stärksten spürbar war, mussten schnelle und pragmatische Lösungen gefunden
werden. Als Beispiel kann die Einführung von sog. „Pflichtfeuerwehren“ genannt werden, beispielsweise in
Kommunen in Schleswig-Holstein (List auf Sylt, Friedrichstadt, Burg (Dithmarschen)) aber auch zeitweise in
anderen Bundesländern wie beispielsweise in Rheinland-Pfalz (Nagar 2016; Jakat 2012). Daneben gibt es eine
ganze Reihe an Lösungsansätze, die eine Bindung von ehrenamtlichen Kräften und eine Gewinnung von
Mitgliedern auch aus neuen Zielgruppen fördern. Neben den Möglichkeiten für eine Doppelmitgliedschaft,
wie sie Freiwillige Feuerwehren beispielsweise in NRW (Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes
Nordrhein-Westfalen 2017) aber auch in anderen Bundesländern bieten, werden gezielte Aktivitäten
unternommen, um einen höheren Frauenanteil in Freiwilligen Feuerwehren zu erzielen oder auch neue
Zielgruppen wie z.B. Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchtete anzusprechen (Wetterer &
Poppenhusen 2007; Deutscher Feuerwehrverband 2006; Deutscher Feuerwehrverband 2013).
Als Ausgangspunkt für die Arbeiten der Teilstudie in BigWa werden im folgenden Abschnitt exemplarisch
drei Gemeinden des Regierungsbezirks Köln dargestellt, in denen die Freiwilligen Feuerwehren Modelle
entwickelt haben, um mit der vorhandenen Tagesbevölkerung den Brandschutz in der operativen
Gefahrenabwehr sicherzustellen. Die Herausforderungen der Gemeinden werden kurz skizziert und daran
anschließend die spezifischen Lösungsansätze vorgestellt.
Modell der Freiwilligen Feuerwehr der Stadt Sankt Augustin
Den Brandschutz in der operativen Gefahrenabwehr übernimmt eine Freiwillige Feuerwehr, die sich auf
sechs Standorte verteilt. An den Standorten Mülldorf und Menden ist je ein Löschzug stationiert. Die
Standorte Hangelar, Meindorf, Niederpleis und Buisdorf verfügen jeweils über eine Löschgruppe. Des
Weiteren wurden zwei Tagesalarm-Einheiten (TA) eingerichtet. In der „TA Stadt“ wirken städtische
Bedienstete mit, während die „TA Hochschule“ von Studierenden und Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der
Hochschule Bonn-Rhein-Sieg gestellt wird (Freiwillige Feuerwehr der Stadt Sankt Augustin n.d.). Über den
„Tagesalarm I“ wird die „TA Stadt“ alarmiert. Die Angestellten der Stadt, die in Folge dieser Alarmierung
ausrücken, sind mehrheitlich beim Bauhof oder in der Feuerwehrtechnischen Zentrale (hauptamtliche
Gerätewarte) angestellt. Zudem sind sie alle Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Sankt Augustin. Ihre
Einsatzbereitschaft zeichnet sich durch hohe Flexibilität aus, da sie ihre persönliche Schutzausrüstung (PSA)
am Arbeitsplatz vorhalten und von dort direkt zum Einsatzort fahren können. Sie werden unabhängig vom
Standort im gesamten Stadtgebiet eingesetzt und unterstützen die dort zuständige Einheit der Freiwilligen
Feuerwehr (Freiwillige Feuerwehr der Stadt Sankt Augustin n.d.). Der „Tagesalarm II“ setzt sich aus
Beschäftigten und Studierenden der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg zusammen.
54 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Abbildung 7: Lage der Stadt Sankt Augustin im Regierungsbezirk Köln
(Quelle: Eigene Abbildung erstellt mit ArcGIS (version 10.1/2012))
Die Voraussetzung zur Teilnahme ist die Mitgliedschaft in einer Freiwilligen Feuerwehr. Um dieses Konzept
für alle Beteiligten sinnvoll zu gestalten, wird diese Tagesalarm-Einheit erst ab einem gewissen
Schadensausmaß alarmiert. Die Freiwilligen rücken gesammelt mit einem dort stationierten
Mannschaftstransportwagen aus. Es handelt sich folglich um eine Einheit, die ausschließlich tagsüber die
Löschgruppen/-züge der Freiwilligen Feuerwehr Sankt Augustin unterstützen kann (Freiwillige Feuerwehr
der Stadt Sankt Augustin n.d.).
Modell der Feuerwehr Radevormwald
Die Feuerwehr der Stadt Radevormwald setzt sich aus freiwilligen und hauptamtlichen Einsatzkräften
zusammen. Zur Feuerwehr Radevormwald gehören drei Löschzüge. Sie verteilen sich auf neun Standorte.
Der erste Löschzug umfasst die Standorte Stadtmitte und Herbeck. Der zweite Löschzug verfügt über die
Standorte Herkingrade, Remlingrade und Önkfeld. Die Standorte Landwehr, Wellingrade, Borbeck und
Hahnenberg gehören zum dritten Löschzug (Freiwillige Feuerwehr Radevormwald n.d.a).
55 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Abbildung 8: Lage der Stadt Radevormwald im Regierungsbezirk Köln
(Quelle: Eigene Abbildung erstellt mit ArcGIS (version 10.1/2012))
Gestellt wird die Feuerwehr Radevormwald, größtenteils von freiwilligen Bürgern und Bürgerinnen. Zur
Sicherstellung des Brandschutzes am Tag sind am Standort „Stadtmitte“ vier hauptamtliche Einsatzkräfte
stationiert. Ihre Aufgabe ist es unter anderem die Drehleiter zu besetzen. Ihre Schicht beginnt um 7 und
endet um 17 Uhr. Während dieser Zeit rücken sie zu jedem Einsatz im Stadtgebiet aus. (Freiwillige Feuerwehr
Radevormwald n.d.b). Wolfgang Scholl zitiert in seinem Artikel „Hauptamtliche sichern Brandschutz
tagsüber“, der am 15.02.2014 auf RP ONLINE veröffentlicht wurde, den Wehrführer Wilfried Fischer. Dieser
erklärt sinngemäß, dass der Einsatz der hauptamtlichen Kräfte die Ehrenamtlichen entlaste und so die
erforderliche Freistellung durch die Arbeitgeber/innen seltener in Anspruch genommen werden müsse.
(Scholl 2014). Weiterhin gehört zum Konzept der Feuerwehr Radevormwald eine Station im Gewerbegebiet
Mermbach, in dessen näherem Umkreis einige freiwillige Feuerwehrleute arbeiten. (Scholl 2014).
Modell der Freiwilligen Feuerwehr der Stadt Lohmar
Den Brandschutz in der operativen Gefahrenabwehr übernimmt eine Freiwillige Feuerwehr, welche sich auf
fünf Standorte verteilt. Je ein Löschzug ist an den Standorten Lohmar und Wahlscheid stationiert. Die
Standorte Breidt, Birk, und Scheiderhöhe sind mit je einer Löschgruppe ausgestattet (Freiwillige Feuerwehr
der Stadt Lohmar 2017d). Vervollständigt wird die Freiwillige Feuerwehr der Stadt Lohmar durch zwei
Tagesalarm-Einheiten: „Tagesalarm 1“ - Stadthaus und „Tagesalarm 2“ - Emitec/ (Freiwillige Feuerwehr der
Stadt Lohmar 2017c).
56 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Abbildung 9: Lage der Stadt Lohmar im Regierungsbezirk Köln
(Quelle: Eigene Abbildung erstellt mit ArcGIS (version 10.1/2012))
Mit dem „Tagesalarm 1“ werden Einsatzkräfte alarmiert, die in den Ämtern der Stadtverwaltung arbeiten und
ehrenamtlich für die Freiwillige Feuerwehr der Stadt Lohmar tätig sind. Unabhängig vom
Zuständigkeitsbereich der einzelnen Einheiten der Freiwilligen Feuerwehr verstärkt der „Tagesalarm 1“ die
Löscheinheiten im gesamten Stadtgebiet. Des Weiteren ist es ihre Aufgabe, kleinere Ölspuren abzusichern
und zu beseitigen (Freiwillige Feuerwehr der Stadt Lohmar 2017a) .Im Gegensatz zum „Tagesalarm 1“ wird
der „Tagesalarm 2“ erst ab einer bestimmten Einsatzgröße alarmiert. Das Stichwort ist hier „kritische
Schadensereignisse“ (z.B. Wohnungsbrand, Verkehrsunfall). Die Mitglieder dieser Einheit sind ebenfalls bei
Freiwilligen Feuerwehren engagiert, jedoch i.d.R. bei auswärtigen Wehren. Für sie ist Lohmar ihr Arbeitsort.
Die Firmen, die Teil dieses Systems sind, also ihre Arbeitnehmer/innen zum benannten Zweck freistellen, sind
die Firmen Emitec, GKN Driveline und GKN Walterscheid. Ausgestattet mit einem Satz persönlicher
Schutzausrüstung und dem Mannschaftstransportfahrzeug der Feuerwehr Lohmar, welches auf dem
Gelände der Firma Emitec abgestellt ist, können die Einsatzkräfte des „Tagesalarms 2“ flexibel ausrücken
(Freiwillige Feuerwehr der Stadt Lohmar 2017b; Stadt Lohmar n.d.). Die drei Firmen sind mit dem Titel
„Partner der Feuerwehr“ ausgezeichnet (Förderverein Löschzug Lohmar n.d.).
Wie die Darstellung der drei Beispielkommunen in NRW zeigt, können bei gleichen demographischen Trends
die spezifischen Herausforderungen von Kommunen sehr unterschiedlich sein. So sind auch die
Lösungsansätze, die lokal erarbeitet wurden, unterschiedlich. Anstelle einer voreiligen Übertragung eines
Lösungsansatzes von einer Kommune auf die andere, müssen daher die spezifischen Charakteristika des
Systems des Katastrophenmanagements, die Gesellschaftsstruktur sowie weitere infrastrukturelle, soziale
und ökonomische Faktoren berücksichtigt werden. Im Rahmen der Teilstudie im Forschungsschwerpunkt
BigWa sollen weitere innovative Lösungsansätze in Kommunen, Landkreisen und Bundesländern identifiziert
werden und ein Konzept sowie Handreichungen zur Zukunftsplanung des Katastrophenmanagements,
57 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
basierend v.a. auf der Förderung ehrenamtlicher Strukturen, erarbeitet werden. Das Konzept und die
praktischen Handreichungen sollen es Kommunen und Ortsgruppen der Hilfsorganisationen und
Feuerwehren ermöglichen, Herausforderungen frühzeitig lokal und regional zu erkennen und in einen
transparenten Prozess Entscheidungen über die zukünftige lokale Gestaltung des Bevölkerungsschutzes zu
treffen.
Stadt
Art der
Feuerwehr
Unterstützende Einheiten
Sankt Augustin
freiwillig
Tagesalarmeinheit 1
Tagesalarmeinheit 2
„TA Stadt“: besetzt durch
städtische Bedienstete;
mehrheitlich beim Bauhof oder in
der Feuerwehrtechnischen
Zentrale (hauptamtliche
Gerätewarte) angestellt; Mitglieder
der Freiwilligen Feuerwehr Sankt
Augustin
„TA Hochschule“: besetzt durch
Studierende und
Mitarbeiter/innen der
Hochschule Bonn-Rhein-Sieg;
Mitglieder einer Freiwilligen
Feuerwehr
Radevormwald
freiwillig und
hauptamtlich
Besetzung der Feuerwache
„Stadtmitte“ durch vier
hauptamtliche Kräfte (7:00 bis
17.00 Uhr) zur Unterstützung der
Freiwilligen Feuerwehr
Station im Gewerbegebiet
Mermbach; Anlaufstelle für die
freiwilligen Feuerwehrleute mit
Arbeitsstätte im näheren Umkreis
Lohmar
freiwillig
Tagesalarmeinheit 1
Tagesalarmeinheit 2
„TA Stadthaus“: besetzt durch
Personen, die in den Ämtern der
Stadtverwaltung arbeiten;
Mitglieder der Freiwilligen
Feuerwehr der Stadt Lohmar
„TA Emitec/GKN“: besetzt durch
Arbeitnehmer/innen der Firmen
Emitec, GKN Driveline und GKN
Walterscheid; Mitglieder einer
Freiwilligen Feuerwehr (i.d.R.
auswärtige Wehren)
Tabelle 3: Unterstützende Einheiten der Feuerwehren in den drei Beispielkommunen
Zusammenfassung und Ausblick
Dieser Artikel stellt laufende und geplante Aktivitäten im Forschungsschwerpunkt BigWa –
Bevölkerungsschutz im gesellschaftlichen Wandel überblickshaft dar. Die Beschreibung der Teilstudie, die im
Rahmen von BigWa derzeit bearbeitet wird, zeigt dabei exemplarisch auf, welche konkreten Fragestellungen
innerhalb dieses Forschungsschwerpunkts bearbeitet werden und in Zukunft bearbeitet werden sollen. Wie
sich im Rahmen einer ersten Literaturanalyse und Auswertung statistischer Daten zeigt, sind eine
zunehmende berufliche Mobilität und eine Veränderung von Erwerbsverläufen wichtige Faktoren für die
zukünftige Entwicklung des Ehrenamts im Bevölkerungsschutz.
In der Zusammenschau dreier Informationsquellen, erstens der Ergebnisse des Freiwilligensurveys 2014,
zweitens der Auswertung statistischer Daten für NRW und Köln sowie drittens der exemplarischen
Skizzierung von Herausforderungen und Lösungsansätzen in drei Kommunen im Regierungsbezirk Köln,
lassen sich eine Reihe von Tendenzen erkennen, auf die im Rahmen dieser Teilstudie durch eigene
58 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Erhebungen näher eingegangen werden soll. An dieser Stelle werden zwei Herausforderungen exemplarisch
dargestellt:
Herausforderung 1: Cluster Berufsmobilität – Zeitliche Verfügbarkeit für Ehrenamt – Zeitaufwand für
Ehrenamt im Bevölkerungsschutz
Welcher Zeitaufwand ist für eine ehrenamtliche Aktivität im Bevölkerungsschutz wirklich notwendig?
Inwiefern stellt ein hoher und regelmäßiger Zeitaufwand ein Hindernis für ehrenamtliche Aktivität dar? Wie
können ehrenamtliche Tätigkeiten im Bevölkerungsschutz flexibler gestaltet werden ohne die Qualität und
Zuverlässigkeit der Aufgabenerfüllung zu gefährden?
Die Fragen in diesem Cluster sollen u.a. im Rahmen der geplanten empirischen Erhebungen in BigWa
adressiert werden. Wie weiter oben beschrieben, werden die Erhebungen sowohl quantitative als auch
qualitative Ansätze miteinander verbinden, um aussagekräftige Ergebnisse für die Forschungsregion Köln
(Stadt und Regierungsbezirk) zu erarbeiten und sowohl fallspezifische als auch stärker generalisierbare
Tendenzen und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Herausforderung 2: Organisationsstrukturen im ehrenamtlichen Bevölkerungsschutz
Inwiefern stellen Organisationsstrukturen und -kulturen ein Hindernis für die Gewinnung neuer Mitglieder
und Adressierung neuer Zielgruppen dar? Auf welchen Organisationsebenen lassen sich Innovations- und
Motivationsträger (d.h. Personen, die Innovationen in Organisationen umsetzen oder selbst entwickeln)
identifizieren? Wie können Organisationstrukturen angepasst werden um das System Bevölkerungsschutz
attraktiv zu machen für Menschen, die eine generelle Bereitschaft für ehrenamtliches Engagement besitzen?
Hindernisse für die Gewinnung neuer Mitglieder, die aus der Organisationsstrukturen und
Organisationskulturen resultieren, sollen in den eigenen empirischen Erhebungen dieser Teilstudie adressiert
werden. Die übrigen erwähnten Fragen verweisen auf Forschungsfragen einer anderen Teilstudie von BigWa,
die unter der Leitung des Instituts für Angewandtes Management und Organisation in der Sozialen Arbeit
(IMOS) bearbeitet wird. In Zusammenarbeit der beiden Teilstudien sollen die organisationellen
Herausforderungen im ehrenamtlichen Bevölkerungsschutz von verschiedenen Seiten beleuchtet werden.
59 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Forschungsschwerpunkt BigWa
Bevölkerungsschutz im gesellschaftlichen Wandel
Institut für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr (IRG)
Prof. Dr. Alexander Fekete, Prof. Dr. Ompe Aimé Mudimu
Institut für Angewandtes Management und Organisation in der Sozialen Arbeit
(IMOS)
Prof. Dr. Herbert Schubert, Holger Spieckermann
Institut für Translation und Mehrsprachige Kommunikation (ITMK)
Prof. Dr. Christiane Brand
Institut für Nachrichtentechnik (INT)
Prof. Dr. Andreas Grebe, Prof. Dr. Carsten Vogt
•
Gefördert von: Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung,
NRW
• Laufzeit: 1.1.2016 – 31.12.2019
• Projekthomepage: http://bigwa.web.th-koeln.de
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61 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Forschungsprojekt RiKoV – neuer Risikomanagementansatz für
den öffentlichen Personennahverkehr - Ein Resümee der
Projektergebnisse der TH Köln
Florian Steyer, Florian Brauner, Ompe Aimé Mudimu, Alexander Michael
Lechleuthner
Email: florian.steyer(at)smail.th-koeln.de, Brauner(at)uni-wuppertal.de, ompe_aime.mudimu(at)th-koeln.de,
alex.lechleuthner(at)th-koeln.de
Die zunehmende Herausforderung „Terrorismus“
Seit der Jahrtausendwende herrscht bei Vielen das subjektive Bewusstsein, dass wir in unserem Alltag
verstärkt mit Sicherheitsthemen konfrontiert werden. Auf der einen Seite vermitteln Medien und das
unmittelbaren Umfeld ein Realitätsbild folgenschwerer Vorfälle, wie Raub, sexuellen Übergriffen,
Vandalismus oder sogar Amok- und Terrorangriffen in Deutschland. Auf der anderen Seite nimmt jedeR
BürgerIn wahr, wie die Sicherheit zunehmend den Alltag mitbestimmt. Sicherheitspersonal steht
beispielsweise vor großen Einkaufszentren oder auch bei öffentlichen Großveranstaltungen, auf einem
Weihnachtsmarkt oder Stadtfest prägt die hohe Präsenz von Polizei und Sicherheitspersonal das Bild der
feiernden Gäste. Der Ausbau technischer Maßnahmen wie z.B. die Videoüberwachung finden zunehmend
politischen und gesellschaftlichen Zuspruch. Nicht zuletzt ist das Thema Sicherheit auch fester Bestandteil in
den täglichen Nachrichten und Social Media Chroniken geworden. Von großem gesellschaftlichen Interesse
ist insbesondere das Thema Terrorismus geworden. Die Anteilnahme und der Identifizierungsgrad während
und nach Anschlägen sind außerordentlich hoch und auch die Diskussionen nach Ereignissen sind sehr
weitläufig.
Objektiv betrachtet ist derzeit ein Anstieg terroristischer Bedrohungen im Verkehrssektor in Deutschland und
Europa zu verzeichnen, wie in dem aktuellen Forschungsprojekt RE(H)STRAIN11 am Institut für
Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr (IRG) bei einer Analyse von historischen Anschlägen auf den
Schienenverkehr festgestellt werden konnte. Seit 2004 sind die europäischen Anschlagszahlen terroristischer
Bedrohungen auf den Verkehr insbesondere durch islamistisch-motivierten Terrorismus angestiegen. Die
Madrider Zuganschläge im März 2004 sowie die Terroranschläge in London im Juli 2005, u.a. in den U-
Bahnen der Metropole, markieren hier einen Wendepunkt der europäischen Sicherheitsphilosophie, der zu
zahlreichen Gesetzesänderungen und Initiativen der Behörden mit Sicherheitsaufgaben geführt hat. In den
Jahren 2015 und 2016 traf es insbesondere das Nachbarland Frankreich schwer, wie der Anschlag auf die
Redaktionsräume des Satiremagazins Charlie Hebdo in Paris im Januar 2015, der Anschlagsversuch in einem
industriellen Gaswerk bei Lyon im Juni 2015, in einem Thalys Zug im August 2015, die Anschlagsserie in Bars
und öffentlichen Plätzen in Paris im November 2015 und der Anschlag in einer Kirche in Saint-Étienne-du-
Rouvray im Juli 2016, zeigen. Nicht zuletzt dürfen bei dieser Aufzählung die Anschläge im Nachbarland
Belgien nicht unerwähnt bleiben, welche sich im März 2016 im Brüsseler Flughafen und im U-Bahnhof
Maalbeek ereigneten.
Auch in Deutschland sind in diesen Jahren vermehrt Anschläge zu verzeichnen: der Angriff in einer
11 Projekt RE(H)STRAIN: Resilience of the Franco-German High Speed Train Network - Verbesserung der Resilienz im Französisch-
Deutschen Hochgeschwindigkeitssystem als Teil der kritischen Infrastruktur „Verkehr“ vor dem Hintergrund terroristischer Bedrohung.
BMBF Forschungsprojekt vom 10/15-01/18
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Forschung und Lehre am IRG
Regionalbahn bei Würzburg im Juli 2016, der Anschlag auf einem Festival in Ansbach im selben Monat, der
Sprengstoffanschlag in Dresden im September 2016, sowie der LKW-Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in
Berlin im Dezember 2016, zeigen ebenfalls eine zunehmende Entwicklung.
Diese Aufzählungen zeigen, dass auch der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) in jüngerer
Vergangenheit vermehrt zum Anschlagsziel terroristischer Aktivitäten geworden ist und sich die Betreiber
zunehmend mit der Sicherheit ihrer offenen Systeme beschäftigen müssen. Als Antwort auf die veränderte
Sicherheitslage konnte beobachtet werden, dass viele Unternehmen eine Professionalisierung der
Sicherheitsabteilungen anstreben, indem z.B. eigene Sicherheitsabteilungen gegründet und Personal
akquiriert wurde. Ein besonderer Fokus liegt hier auf dem Risiko- und Krisenmanagement, welches dazu
dient die Bedrohung durch Terrorismus zu erfassen, zu bewerten und Maßnahmen zu entwickeln. Während
sich das Krisenmanagement mit der Bewältigung eines bereits eingetretenen Ereignisses beschäftigt, sollen
im Risikomanagement bereits durch präventive Maßnahmen die Eintrittswahrscheinlichkeit im Fall von
terroristischen Handlungen gesenkt werden. Dies führt jedoch zu der Frage, wie ÖPNV Betreiber
terroristische Bedrohungen erfassen, bewerten und mit welchen präventiven Maßnahmen sie diese
verhindern können.
Mit der Fragestellung, wie ein möglicher Ansatz für ein Risikomanagementsystem gegenüber terroristischen
Bedrohungen aussehen könnte, beschäftigte sich das Forschungsprojekt RiKoV12 (Risiken und Kosten der
terroristischen Bedrohungen des schienengebundenen ÖPV). Im Folgenden wird der Ansatz eines
ganzeinheitlichen Risikomanagements, welcher in dem Projekt RiKoV entwickelt wurde, vorgestellt und
erläutert. Insbesondere liegt der Fokus hier auf der Entwicklung einer Methode zur Bestimmung der
Verletzlichkeit (Vulnerabilitätsmethode), welche das IRG der TH Köln in dem Projekt entwickelt hat. Dieser
Ansatz ist eine Methode, um die Verwundbarkeit von Haltestellen und U-Bahnstationen gegenüber
verschiedenen terroristischen Angriffsszenarien zu erfassen und verschiedene Sicherheitsmaßnahmen in
ihrer präventiven Wirkung zu evaluieren. Ein besonderes Augenmerk liegt hier auf den technischen und
personellen Sicherheitsmaßnahmen, die dazu beitragen können, die Sicherheit im ÖPNV zu erhöhen. Im
Folgenden werden eine Auswahl an Untersuchungsergebnissen der TH Köln aus dem Forschungsprojekt
RiKoV dargestellt, welche das Ziel verfolgen kritische Infrastrukturen am Beispiel des schienengebundenen
öffentlichen Personenverkehrs (ÖPNV) durch ein ganzeinheitliches Risikomanagement für den ÖPNV besser
vor terroristischen Bedrohungen zu schützen.
Der Stand von Security Risikomanagement Ansätzen vor 2015
Als im Jahr 2012 das Verbundprojekt RiKoV in der Ausschreibung des BMBF „Zivile Sicherheit – Schutz
kritischer Infrastrukturen“ bewilligt wurde, bestätigte sich bei einer tieferen Recherche die Annahme, dass
das Forschungsfeld „Risikomanagement von terroristischen Anschlagsszenarien“ für kritische Infrastruktur-
Unternehmen (KRITIS)13 ein noch sehr junges Forschungsfeld ist. Erste Forschungsprojekte und Studien im
deutschensprachigen und europäischen Raum sind nach den Madrider und Londonern Anschlägen in den
Jahren 2004 und 2005 initiiert worden. Auf europäischer Ebene ist besonders das vor dem Start von RiKoV
bereits abgeschlossene EU-Projekt COUNTERACT (2006-2009) zu erwähnen. Dieses Projekt befasste sich
12 Projekt RiKoV: Risiken und Kosten der terroristischen Bedrohungen des schienengebundenen ÖPV: Eine Planungslösung für die
ökonomische und organisatorische Optimierung präventiver und abwehrender Maßnahmen. BMBF Forschungsprojekt vom 11/12-01/16
13 Bundesministerium des Innern, Definition: „Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sind Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger
Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe,
erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden.“ (Bundesministerium des Inneren
2009, p 3)
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Forschung und Lehre am IRG
bereits mit Strategien im Umgang mit terroristischen Bedrohungen für KRITIS, sodass die Erkenntnisse in das
Projekt RiKoV einfließen und weiterentwickelt werden konnten. Thematisch enge Schnittstellen gab es auch
mit dem EU Projekt SECUR-ED und den nationalen BMBF Projekten TERAS-INDEX und InREAKT, deren
gegenseitiger Austausch zu einer positiven Weiterentwicklung des eigenen Forschungsprojekts beitrug.
Neben der wissenschaftlichen Bearbeitung des Themas war auch ein stetig wachsendes Interesse der
Betreiber des ÖPNVs zu beobachten. Mit der fortschreitenden Bearbeitung des Themas wurden Inhalte
übertragbar und Sicherheit als Teil der Kundenzufriedenheit und Erfolgsfaktor guten Services immer
nutzbarer.
Die gesellschaftliche Akzeptanz sowie die Wahrnehmung von Sicherheit und Unsicherheit mussten ebenso
berücksichtigt werden und eine neue Sicherheitsarchitektur entwickelt werden, welche die Besonderheiten
terroristischer Bedrohungen umfasste. Es stellte sich heraus, dass es an schlüssigen
Risikobewertungsansätzen fehlte, die den Betreibern helfen die Bewertung von Maßnahmen zur
Risikoreduzierung (z.B. von neuen Sicherheitsmaßnahmen) in Relation zur tatsächlichen Reduzierung von
kriminellen Gefahren zu stellen.
Das Projekt RiKoV hatte sich zum Ziel gemacht, die Auswahl von Sicherheitsmaßnahmen auf Basis von
Aufwand-, Nutzen- und Akzeptanzbewertungen zu analysieren und so dem ökonomischen Aspekt gerecht
zu werden. Diese Maßnahmen wurden schließlich in den Kontext des Risikomanagements gestellt und in
Form eines Entscheidungsunterstützungs-Tools den Betreibern zur Verfügung gestellt.
Ein Risikomanagement Ansatz für den ÖPNV
Das übergeordnete Ziel des Verbundprojektes war es, ein ganzeinheitliches Risikomanagement für den
ÖPNV gegenüber terroristischen Bedrohungen zu generieren. Dabei standen insbesondere die technischen
und organisatorischen Möglichkeiten von Sicherheitsmaßnahmen, die Wirtschaftlichkeit und die
gesellschaftliche Akzeptanz im Mittelpunkt der Betrachtung. Die TH Köln übernahm dabei u.a. die
ingenieurmäßige Betrachtung und Bewertung des objektiven Risikos, sowie die Erfassung und Bewertung
von potentiellen präventiven Sicherheitsmaßnahmen gegenüber terroristischen Bedrohungen im ÖPNV.
Für eine Risikobeurteilung wird im klassischem Sinne, wie es beispielsweise im Bereich Arbeitssicherheit oder
auch im Bevölkerungsschutz vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenvorsorge (BBK)
erfolgt, wie folgt vorgegangen: Durch die Erstellung von verschiedenen Szenarien werden mögliche
Gefahren ermittelt. Diese Gefahren werden anhand ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und möglichen
Schadensausmaßes bewertet (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe 2010). Mit diesen
zwei Kenngrößen können Gefahren in eine sogenannte Risikomatrix eingeordnet werden. Mit Hilfe der
Risikomatrix können nun auf Basis objektiver Werte ursachenbezogene Strategien zur Risikovermeidung und
zur Risikominderung diskutiert werden oder ggf. wirkungsbezogene Strategien entwickelt werden, wie der
Risikotransfer oder die Risikovorsorge.
Bei terroristischen oder anderen anthropogenen Bedrohungen ist diese Herangehensweise jedoch nicht
praktikabel; dies liegt daran, dass diese Ereignisse für einzelne Strukturen statistisch selten auftreten, jedoch
ein sehr hohes Schadensausmaß erzeugen. Aus der statistischen Grundgesamtheit lassen sich keine
prognostizierenden Aussagen über zukünftige Ereignisse in bestimmten Strukturen (Anschlagsziele) treffen.
Zudem handelt es sich bei diesen Bedrohungen um menschlich verursachte Ereignisse, die nicht unbedingt
statistischen Mustern, wie beispielsweise einem hundertjährigen Hochwasser (HQ100) folgen müssen. So
haben zum Beispiel Ausrichtungen und Äußerungen der Politik, wirtschaftliche Entwicklungen und
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Forschung und Lehre am IRG
gesellschaftliche Entwicklungen ebenso einen Einfluss auf die Intention und Motivation eines Täters oder
einer Tätergruppe und damit auf ein mögliches Anschlagsrisiko.
Das Ergebnis des Verbundprojekts RiKoV ist ein Ansatz, der die Bedrohung in Form der Motivation und
Fähigkeit eines Täters in Kombination mit der Vulnerabilität des Systems und möglicher Konsequenz einer
terroristischer Bedrohungen verbindet. Die wissenschaftliche Herausforderung liegt in der methodischen
Beschreibung der einzelnen Faktoren und der Möglichkeit teils auch subjektive Inhalte quantifizierbar und
berechenbar zu machen. Die Aufgabe der TH Köln war es im Speziellen eine Methode zu entwickeln, die die
Vulnerabilität des ÖPNVs bezüglich terroristischer Bedrohungen beschreiben kann. Das Ergebnis ist eine
Methode zur Bestimmung der Verletzlichkeit von Bahnstationen auf der einen Seite sowie eine Methode zur
Bestimmung der Wirkung von Sicherheitsmaßnahmen auf der anderen Seite.
Die Vulnerabilität wird im Projekt in drei Stufen beschrieben. Zuerst werden mit Hilfe eines Kriterienkatalogs
mögliche gefährdungsfördernde Faktoren einer betrachteten Station ermittelt. Zu diesen Faktoren gehören
sowohl bauliche Faktoren als auch das Fahrgastaufkommen, Umfeld der Haltestelle und Bedeutung für das
System. Die Aussagen aus dem strukturierten Kriterienkatalog werden anschließend zu einem gemeinsamen
Indikator (indikator-basierte Methode) verrechnet. Der zweite Schritt ist eine Wirkungsabschätzung der
Sicherheitsmaßnahmen an der betrachteten Station für definierte Szenarien durch eine Expertengruppe. Hier
werden bisherige, aber auch mögliche neue Sicherheitsmaßnahmen anhand ihrer Wirkung in verschiedenen
Phasen bewertet. Anhand eines eigens entwickelten Prozessmodells, welches den „modus operandi“ des
Täters beschreibt, können Interventionsstellen identifiziert werden, an denen die präventive Wirkung
spezifischer Sicherheitsmaßnahmen bestimmt werden. Diese semi-quantitativen Ergebnisse werden in
einem dritten Schritt zu einem Maßnahmenbündel zusammengefasst, sodass die Gesamtwirkung quantitativ
darstellbar wird. In Verbindung mit der ermittelten Gefährdung entsteht so ein Zahlenwert für die
Vulnerabilität der untersuchten Station und das untersuchte Szenario.
Die Methode der TH Köln wird unterstützt durch einen Demonstrator, der den Experten durch die
verschiedenen Schritte der Methode führt und den Zugriff auf die Sicherheitsmaßnahmendatenbank
ermöglicht. Die Sicherheitsmaßnahmendatenbank wurde im Vorfeld der Methode erstellt und beinhaltet
bereits etablierte Maßnahmen, aber auch mögliche neue Maßnahmen für den ÖPNV, wie beispielsweise
Sprengstoffdetektoren oder Körperscanner. Hierbei entstand eine Datenbank mit rund 80 möglichen
Maßnahmen zur Terrorismusprävention. Darüber hinaus wurde anhand einer mehrstufigen Befragung mit
2152 Fahrgästen des ÖPNV die Akzeptanz von zahlreichen Maßnahmen aus dieser Datenbank erhoben. In
der Auswertung konnte so die mögliche subjektive Wirkung von Sicherheitsmaßnahmen auf die Fahrgäste
ermittelt werden.
Die Evaluation der Methode und die Übertragung der Ergebnisse in die Praxis erfolgten in einem
zweistufigen Anwendungstest. Hierzu organisierte das Institut sowohl mehrere Workshops und Table-top
Exercises, als auch eine Realübung zur Validierung der Forschungserkenntnisse. Es wurden außerdem
Experten aus Unternehmen des ÖPNV eingeladen um gemeinsam während der Übung die
Forschungserkenntnisse zu diskutieren und auf Anwendbarkeit zu prüfen.
Großübung als wichtiges Instrument zur Evaluation von Forschungsergebnissen
Die Übung für das Forschungsprojekt RiKoV wurde vom Labor für Großschadensereignisse (LFG) des Instituts
für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr (IRG) unterstützt. Durch die langjährige Expertise im
Bereich der Planung, Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von Großübungen war es möglich eine
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Forschung und Lehre am IRG
Plattform für die Evaluation der Forschungsergebnisse aus dem Projekt RiKoV zu schaffen. Das Labor existiert
seit 2007 und beinhaltet umfangreiche Technik zur Messung von Prozessen. Das lokale
Positionierungssystem (LPS) beispielsweise kann während einer Übung die exakten Bewegungsmuster von
Übungsteilnehmern erfassen, dokumentieren und zur Auswertung wiedergeben. Zudem sind Mitarbeiter mit
weitreichender Erfahrung in der Durchführung großer Übungen ein wichtiger Bestandteil des Labors, da sie
Übungen vorbereiten, wissenschaftlich begleiten und methodisch auswerten können.
Für das Projekt RiKoV wurde die Umgebung einer Kölner U-Bahnstation gewählt, um die Erkenntnisse aus der
Forschung praktisch zu üben und zu validieren. An zwei Tagen wurde sowohl das RiKoV
Risikomanagementsystem angewendet als auch die Fähigkeiten einer interorganisationalen
Krisenbewältigung aller beteiligten Organisationen geübt.
Abbildung 1: Großübung im Projekt RiKoV 2015 (Bild: Steyer/TH Köln)
Als Teil des Risikomanagements wurde getestet, wie bereits etablierte Sicherheitsmaßnahmen in der Station
als auch für den ÖPNV neuartige Sicherheitsmaßnahmen, wie beispielsweise Sprengstoffdetektoren unter
Realbedingung in einer Station und deren Fahrgastströme wirken. Hierzu wurde ein Testaufbau mit
verschiedenen Technologien in der Station installiert. Im Eingangsbereich befanden sich
Sicherheitsmaßnahmen, die bereits das Tatmittel von Tätern entdecken sollten, wie z.B. Metalldetektoren
(Körper und Schuh-/Beinscanner), Sprengstoffdetektoren für Flüssigkeiten und Feststoffe und
Strahlungssensoren. Im weiteren Aufbau der Station wurden Maßnahmen getestet, die den Täter
identifizieren sollten. Hierzu gehörte sowohl eine intelligente Kameraüberwachung, als auch
Sicherheitspersonal.
Insgesamt wurden mit 100 Statisten, die Fahrgäste der Haltestelle nachstellten, in mehreren Durchgängen
die verschiedenen Einstellungen der Sicherheitsmaßnahmen untersucht. Bei jedem Durchgang wurden
jeweils einzelne Statisten mit nachgestellten Tatmitteln ausgestattet, wie z.B. Messer, Waffenstähle oder
sogar Sprengstoffproben. Das Ziel war es herauszufinden, wie sich die Sensibilität der
Sicherheitsmaßnahmen auf die Entdeckungsquote und den Fahrgaststrom in der realen Umgebung
auswirken.
66 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Diese Ergebnisse der Wirkung der Sicherheitsmaßnahmen wurden schließlich mit den zuvor erhobenen
Werten der Experteninterviews innerhalb des Projekts verglichen. Die Praxisübung hat gezeigt, dass die
ermittelten Werte der Experten in der RiKoV Methode mit den ermittelten Werten der Realübung im Einklang
stehen.
Ergebnisse und Ausblick
Am 27. Januar 2016 endete das Verbundprojekt RiKoV mit einem Abschlussworkshop an der Universität der
Bundeswehr in München. Neben den wissenschaftlichen inhaltlichen Erfolgen, wie oben beschrieben,
wurden in dem Projekt RiKoV am Institut für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr mehr als zehn
Bachelorarbeiten, drei Masterarbeiten, mehrere Masterprojekte und eine Doktorarbeit erfolgreich
durchgeführt.
Die Abschlussübung mit hoher medialen Präsenz zeigt die Wichtigkeit der Thematik und das Hand-in-Hand-
Gehen von Wissenschaft und Praxis, um die Themen der Gefahrenabwehr zu adressieren. Mit dem BMBF
Projekt RE(H)STRAIN forscht die TH Köln weiterhin in diesem Bereich mit dem Ziel, nun den
schienengebundenen Fernverkehr zwischen Frankreich und Deutschland sicherer zu machen.
RiKoV
Projektmitarbeiter: Prof. Dr. Dr. Alex Lechleuthner, Prof. Dr.-Ing. Ompe Aimé
Mudimu, Dr.-Ing. Florian Brauner, Christian Baumgarten (M.Sc.), Christian Bentler
(M.Sc.), Tobias Kornmayer (M.Sc.), Julia Maertens (B.Eng.), Florian Steyer (B.Eng.)
• Projektpartner: Universität der Bundeswehr München, TH
Köln, Karlsruher Institut für Technologie, AIRBUS Defence & Space
• Assoziierte Partner: Deutsche Bahn AG, Hochschule der
Polizei Rheinland-Pfalz, Bundespolizeipräsidium, Kölner Verkehrs-Betriebe AG,
Münchener Verkehrsgesellschaft mbH
• Gefördert von: Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF)
• Laufzeit: November/2012 – Januar/2016
Folgende Publikationen entstanden aus den Arbeiten oder unter Beteiligung der TH Köln im Rahmen des
Forschungsprojektes RiKoV (Stand: 01.07.17):
Brauner, F.; Mudimu, O.A.; Lechleuthner, A. (2013) RiKoV – Risk and Costs of terrorist Threats To Public Transit.
In Hollricher, K.; Garwood, J.; Schwarz K.; Koch, H. (Ed.) SAFETY & SECURITY. Safety & Security
InnovationsAllianz; InnovationsAllianz der NRW-Hochschulen e.V. & VDI Technologiezentrum GmbH,
2013, Düsseldorf, Germany, pg. 14, ISBN: 978-3-00-041075-8
Lin, L.; Brauner, F.; Muenzberg, T.; Meng, S.; Moehrle, S. (2013) Prioritization of security measures against
terrorist threats to public rail transport systems using a scenario-based multi-criteria method and a
knowledge database. In: Lauster, M. (Ed.): 8th Future Security, Security Research Conference; Sept. 17-19,
2013 in Berlin/Germany; Fraunhofer Verlag Stuttgart; ISBN 978-3-8396-0604-9; pg. 195-204.
Brauner, F.; Fiedrich, F.; Lechleuthner, A. (2013) Integration of customers' perception of security and
uncertainties into risk management concepts for public transportation providers. Poster und Beitrag In:
Lauster, M. (Ed.): 8th Future Security, Security Research Conference; Sept. 17-19, 2013 in Berlin/Germany;
Fraunhofer Verlag Stuttgart; ISBN 978-3-8396-0604-9; pg. 465-467.
Brauner, F.; Baumgarten, C.; Schmitz, W.; Neubecker, K.A.; Mudimu, O.A.; Lechleuthner, A. (2013) RiKoV Risk
analysis of terrorist threats to rail-bound public transportation: Development of an integrated planning
solution for efficient economic and organisational measures. In: 10th World Congress on Railway Research
2013; Nov. 25-28, 2013 in Sydney/Australia; paper ID 112 Conference Proceedings
67 Integrative Risk and Security Research 1/2018
Forschung und Lehre am IRG
Brauner, F.; Fiedrich, F.; Lechleuthner, A.; Mudimu, O.A. (2013) Terror threats in public transportation - A study
about customers perception of security measures. In: 10th World Congress on Railway Research 2013; Nov.
25-28, 2013 in Sydney/Australia; paper ID 132 Conference Proceedings
Baumgarten, C.; Brauner, F.; Bentler, C.; Mudimu, O.A.; Lechleuthner, A. (2014) A methodology to compare risk
management (RM) systems for the application and validation of specific threats in public transportation.
In: Brebbia, C.A. (Ed.): RISK ANALYSIS IX, WIT Transactions on Information and Communication
Technologies, DOI: 10.2495/RISK140191, Vol 47, ISSN 1743-3517 (online), pg. 219-228.
http://www.witpress.com/elibrary/wit-transactions-on-ecology-and-the-environment/47/26347
Brauner, F.; Baumgarten, C.; Bentler, C.; Kornmayer, T.; Mudimu, O.A.; Lechleuthner, A. (2014) Vulnerability
analysis for terrorist attacks on public transportation systems based on process modelling. Poster PB 054 /
Short abstract published in: Ammann, W. J. (Ed.) Global Risk Forum GRF Davos, 5th International Disaster
and Risk Conference - IDRC Davos 2014; "Integrative Risk Management - The role of science, technology &
practice" – Programme & Short Abstracts, Aug. 24.-28., 2014; Davos, Switzerland, ISBN 978-3-033-04701-3,
pg. 206-207.
Extended abstract published in Ammann, W. J. (Ed.) Global Risk Forum GRF Davos, 5th International Disaster
and Risk Conference - IDRC Davos 2014; "Integrative Risk Management - The role of science, technology &
practice" – Poster Collection, Aug. 24.-28., 2014; Davos, Switzerland, pg. 48-52;
http://idrc.info/programme/conference-proceedings/
Bentler, C.; Baumgarten, C.; Brauner, F.; Kornmayer, T.; Mudimu, O.A.; Lechleuthner, A. (2014) An integrated
risk and crisis management approach for terrorist attacks in public transport networks. Short abstract
published in: Ammann, W. J. (Ed.) Global Risk Forum GRF Davos, 5th International Disaster and Risk
Conference - IDRC Davos 2014; "Integrative Risk Management - The role of science, technology & practice"
– Programme & Short Abstracts, Aug. 24.-28., 2014; Davos, Switzerland, ISBN 978-3-033-04701-3, pg. 113.
Extended abstract published in Ammann, W. J. (Ed.) Global Risk Forum GRF Davos, 5th International Disaster
and Risk Conference - IDRC Davos 2014; "Integrative Risk Management - The role of science, technology &
practice" – Extended Abstracts, Aug. 24-28, 2014; Davos, Switzerland, pg. 89-92
http://idrc.info/programme/conference-proceedings/
Brauner, F.; Baumgarten, C.; Kornmayer, T.; Bentler, C.; Mudimu, O.A.; Lechleuthner, A.