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© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
B. Hermeier et al. (Hrsg.), Arbeitswelten der Zukunft, FOM-Edition,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-23397-6_21
Zusammenfassung
„New Work“ als zukunftsforscherische Kategorie: In diesem Artikel plädieren wir
dafür, das Label aus dem trendorientierten Beratungsdiskurs herauszulösen und zu
einem ökonomischen Grundbegriff zu qualifizieren, an dem sich ein Leitbild-Wechsel
in Bezug auf unternehmerisch erbrachte Arbeit zeigen lässt. Im Vergleich mit der
Ursprungsidee von New Work (Frithjof Bergmann) werden Unternehmensbeispiele
aus Europa und den USA skizziert, um sowohl den Wandel des Konzepts zu verdeut-
lichen, als auch die soziokulturell jeweils unterschiedlichen Adaptionsweisen in den
Ländern herauszustellen. Abschließend geht es um Bewertungen: Einerseits darum,
New Work-Challenge – Die schöne neue
Arbeitswelt aus zukunftsforscherischer
Sicht
Friederike Müller-Friemauth und Rainer Kühn
21
F. Müller-Friemauth (!)
FOM Hochschule, Köln, Deutschland
E-Mail: friederike.mueller-friemauth@fom.de
R. Kühn
Odenthal, Deutschland
E-Mail: kuehn@denkenaufvorrat.de
Inhaltsverzeichnis
21.1 Grundlage: Das Konzept von Frithjof Bergmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
21.2 Unternehmerische Trendsetter .............................................. 395
21.3 Profil und Funktionen des Unternehmensleitbildes New Work ..................... 402
21.3.1 Machtabsicherung der Eliten ........................................ 402
21.3.2 Wissenschaftliche Anschlussfähigkeit mit moralischem Anstrich ............ 403
21.3.3 Sozialer Legitimationsschub für die Wirtschaft .......................... 403
21.4 Chancen und Risiken aus europäischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
Literatur ..................................................................... 410
392 F. Müller-Friemauth und R. Kühn
worin die breite, kulturübergreifende Akzeptanz des Konzepts begründet liegt, und
andererseits, wie es speziell aus europäischer Perspektive zu beurteilen ist bzw. wel-
che Handlungsoptionen sich für uns abzeichnen.
„New Work“ ist eines der vielen „Buzz Words“ der ökonomischen Zukunftsdebatte.
Es soll eine künftige Arbeitswelt beleuchten, die durch Digitalisierung, dichte
Kommunikationsnetzwerke und neuartige Führungsmuster, durch hohe Geschwindig-
keiten sowie den Siegeszug der Verhaltensökonomik, also durchgängig tiefen-
manipulierte „Workspaces“ gekennzeichnet sein wird.
Allerdings bündelt der Begriff nicht nur zentrale Phänomene und Trendent-
wicklungen, die für Unternehmen mit der Veränderung der Arbeitswelt in einer globa-
len, hoch technologisierten und vernetzten Ökonomie einhergehen. Daneben enthält er
eine – wenn auch verdeckte – Bedeutungsebene in Bezug auf Phänomene des Wandels in
der Gesellschaft insgesamt und profiliert damit ein neuartiges Verständnis von Leben und
Arbeiten; also auch Konsequenzen für Politik, Gesellschaft und soziale Steuerung.
Im Folgenden wird New Work deshalb als Kategorie verwendet: Als sektoren-
überspannender Grundbegriff, der einen Wechsel des Leitbildes für unternehmerisch
erbrachte Arbeit anzeigt. Das Motiv für diese theoriestrategische Entscheidung ist die
Perspektive wissenschaftlicher Zukunftsforschung. Diese kaum mehr als 70 Jahre junge
Disziplin reklamiert, im Gegensatz zum klassischen, auch betriebswirtschaftlichen
Zugriff auf Zukunft keinen prognostischen, sondern einen antezipativen1 Anspruch:
Einer solchen Forschung geht es nicht um, möglichst konkrete und genaue – Vorher-
sagen dessen, was kommt (bzw. kommen könnte), sondern um logisch konsistente Pro-
jektionen dessen, was sich jeweils gegenwärtig abzeichnet; um noch kaum beurteilbare
Fluchtpunkte, bislang unbekannte Sinnachsen oder neuartige Entwicklungskorridore, für
die Erfahrungen aus der Vergangenheit nicht vorliegen (Evaluation of Newness). Trotz-
dem lassen sich solche Entwicklungen frühzeitig abduktiv2 erschließen.
Wissenschaftliche Zukunftsforschung beforscht also Relevanz, (vorerst noch) keine
Präzision: Die Disziplin fußt auf der Annahme, dass sich radikal Neues bereits in frühen
Stadien umreißen und qualitativ explorieren, derart weit im Vorhinein aber weder quanti-
fizieren noch zeitlich exakt terminieren lässt. Diese Forschungsperspektive gilt auch hier:
New Work wird in Bezug auf künftige unternehmerische sowie politische Steuerungs-
fragen profiliert und bewertet:
1Hier in etymologisch korrekter Schreibweise verwendet. Antezipieren/vorwegnehmen, von lat.
antecapio: ante = vor(her) und capere = nehmen (nicht: anti-zipieren im Sinne von etwas-ent-
gegensetzen). Zum wissenschaftstheoretischen Hintergrund vgl. Müller-Friemauth und Kühn
(2017, S. 188–204).
2Abduktion ist das für wissenschaftliche Zukunftsforschung zentrale logische Schlussverfahren,
das aus der amerikanischen Erkenntnistheorie stammt (Charles Sanders Peirce) und – im Gegen-
satz zu Induktion und Deduktion – eine erkenntniserweiternde Funktion hat (vgl. Müller-Frie-
mauth und Kühn 2016, S. 128–136).
39321 New Work-Challenge – Die schöne neue Arbeitswelt …
• Was kommt auf industrialisierte Gesellschaften – vor allem Europa – hinsichtlich des
Wandels von Erwartungen gegenüber der Art und Weise, wie Arbeit in den nächsten
Jahrzehnten verrichtet werden soll, zu?
• Was bedeutet das in puncto soziale Legitimitätszuschreibungen an unternehmerisch
getätigte Arbeit?
• Was wird zugelassen, was bejaht, gar erwünscht? Und: Welche Strukturen werden an
Akzeptanz verlieren oder gar wegbrechen?
Dieser Wechsel des Leitbildes für Arbeit in Wirtschaftsorganisationen sowie dessen
Konsequenzen sowohl für Unternehmen als auch für politische Steuerung lassen sich
inzwischen antezipieren und damit auch programmatisch operationalisieren: Mit dem
Ziel, das Phänomen zunächst von seinem Sinngehalt her plausibel und nachvollziehbar,
alsdann in seinen zentralen Bedeutungsdimensionen und Ansprüchen beschreibbar und
damit auch bewertbar zu machen.
Dazu stellen wir zunächst das ursprüngliche normative Konzept von New Work aus
den frühen 1980er-Jahren vor (Abschn. 21.1). Danach geht es um Beispiele von Unter-
nehmen, die dieses Konzept aufnehmen, mit ihm spielen, es nutzen – woraus ersicht-
lich wird, dass das Ursprungskonzept von New Work innerhalb der vergangenen 30
Jahre bereits deutlich verändert wurde (Abschn. 21.2). Im Anschluss daran stehen
die – heterogenen – Interessenlagen im Fokus, die New Work gegenwärtig befördern und
stützen (Abschn. 21.3): Warum investieren einerseits Wirtschaftsorganisationen in dieses
Konzept, obwohl es seinem ursprünglichen Tenor nach wirtschaftskritisch angelegt ist?
Und welche Anliegen und Hoffnungen verbindet andererseits die Politik mit den Ver-
sprechungen von New Work? Abschließend wird der Entwicklungstrend New Work aus
europäischer Perspektive evaluiert (Abschn. 21.4): Welche Chancen und Risiken für
Unternehmen als auch für eine soziale und politische Flankierung dieses Wandels zeich-
nen sich ab?
21.1 Grundlage: Das Konzept von Frithjof Bergmann
New Work war ursprünglich die konzeptionelle Idee für eine soziale Bewegung, die 1984
unter dem Label „New Work – New Culture“ von dem Sozialphilosophen Frithjof Berg-
mann in Flint, Michigan, ins Leben gerufen wurde. Der gebürtige Sachse Bergmann
war Professor für Philosophie und Anthropologie an der University of Michigan/Ann
Arbour. Nach einem Studienjahr in Oregon blieb er in den USA, überlebte einige Jahre
mit Gelegenheitsjobs und promovierte dann an der Universität Princeton über Hegel. Ein
zentraler Gedanke von ihm ist die „Armut der Begierde“, eine Idee, die er im Anschluss
an Hegel entwickelte: Die Menschen hätten in der kapitalistischen Wirtschaft ihre Fähig-
keit verloren zu wissen, „was sie wirklich-wirklich wollen“ – Bergmanns Mantra des
New Work-Konzepts, das die traditionelle kapitalistische Maxime beständigen Wach-
sens à la citius, altius, fortius (schneller, höher, stärker/weiter) ersetzt. New Work steht
Kapitel einzeln erwerbbar unter:
https://www.springer.com/de/book/9783658233969