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SCHULE LEITEN 14 I 2018
8
Philippe Wamper
Schule, Führung und
Design Thinking
Einem Ansatz aus der Kreativbranche folgen
Design Thinking ist ein Modebe-
griff: Der Anglizismus verbindet
auf eine lässige Weise Bildung, Füh-
rung, wirtschaftliches Denken und
Marketing und ist deswegen sehr
breit einsetzbar. Weshalb erhält das
Konzept so viel Aufmerksamkeit?
Sie liegt u. a. an einer Bildungs- und
Führungskrise: Die starre Vorgabe
von relevanten Inhalten und feste
Hierarchien erweisen sich als zu-
nehmend untauglich, um komple-
xen gesellschaftlichen Problemen
zu begegnen. Design Thinking be-
deutet Nutzerzentrierung. Abläufe
und Organisation werden von den
betroffenen Akteuren aus verstan-
den. [bitte noch Hintergrundinfos
zu Design Thinking ergänzen, evtl.
in einem Kasten]
Das lässt sich am Beispiel der
Schule gut zeigen: Was eine gute
Schule ist, ist zunächst einmal durch
die Erwartungen verschiedener An-
spruchsgruppen bestimmt – Schü-
ler und Schülerinnen, Eltern, Lehr-
personen, weiterführende Schulen,
Wirtschaft, Politik. Die Vorstellun-
gen dieser Gruppen unterscheiden
sich nicht nur, sie sind auch inner-
halb der Gruppen enorm heterogen.
Dazu kommen weitere Faktoren.
Eine gute Schule verfügt über ent-
sprechende Ressourcen: Ein zeit-
gemäßes Schulhaus, technische In-
frastruktur, gut ausgebildete, mo-
tivierte Lehrkräfte, Angestellte für
administrative und unterstützende
Arbeiten, ein ergänzendes Betreu-
ungsangebot … Sie muss zudem in
der Lage sein, für ihre Anliegen zu
lobbyieren und die Qualität ihrer
Arbeit zu kommunizieren.
Für gesellschaftliche Probleme –
wie z. B. die Frage nach der guten
Schule – gibt es zwei Ansätze: Ei-
nen analytischen, der auf wissen-
schaftliche Befunden fußt, Kon-
zepte kritisch diskutiert und sie
nach langer Abwägung umsetzt.
Die Schwäche dieses Zugangs liegt
darin, dass diese Art von Proble-
men keine eindeutigen Lösungen
kennt. Deshalb bietet sich ein nie-
derschwelliger Ansatz an, der un-
terschiedliche Perspektiven kom-
biniert, so neue Ideen generiert,
sie umsetzt und dann aufgrund der
Erfahrungen überarbeitet. Dieser
zweite Ansatz nennt sich Design
Thinking.
Er folgt einem interaktivisti-
schen Planungs- und Führungs-
verständnis: Dieses geht davon aus,
dass Menschen grundsätzlich daran
interessiert sind, Ziele zu erreichen
und Ideen umzusetzen. Die zentra-
le Aufgabe der Führung besteht da-
rin, ihnen die nötigen Mittel zu ver-
schaffen und den Prozess zu fokus-
sieren. Interaktive Führungskräfte
glauben daran, die Zukunft gestal-
ten zu können. Arbeiten sie in der
Schulleitung, bauen sie die Schule
der Zukunft – ohne genau zu wis-
sen, wie sie funktionieren wird.
Dafür bietet Design Thinking
Prinzipien und Vorgehensweisen
an, die aus einem schlau klingen-
den Managementsatz eine umsetz-
bare Handlungsanleitung machen.
Design Thinking ist in diesem Ver-
ständnis:
1.
ein Verfahren im Umgang mit
gesellschaftlichen Problemen;
2.
bei dem konkrete und umsetz-
bare Pläne (Designs) entwickelt
werden;
3.
indem verschiedene Perspekti-
ven eingebunden werden;
4.
die sich an der Gestaltung der
Zukunft orientieren;
5.
Die Erprobung der Pläne führt
zu Erfahrungen,
6.
aus denen sich eine Evaluation
des Designs ableitet.
Design Thinking verwandelt unbe-
stimmbare und komplexe Probleme
in konkrete und überschaubare Si-
tuationen.
Design-Thinking-Prinzipien
für die Schulleitung
Im Umgang mit Kreativität, etwa
bei Architekturprojekten, hat De-
sign Thinking eine lange Geschich-
te, die bis in die 1960er Jahre zu-
rückreicht. Seitdem haben sich ei-
nige konkrete Verfahrensweisen
herausgebildet, die im Folgenden
auf die Arbeit von Schulleitungen
angepasst werden. Gleichwohl ist
an dieser Stelle eine Warnung an-
gebracht: Design Thinking ist, an-
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PRAXIS
ders als es der Titel dieses Beitrags
suggeriert, kein beliebig einsetzba-
res Werkzeug. Es ist ein umfassen-
der Prozess, welcher die Strukturen
und die Führung von Institutionen
verändert.
Die konkreten Eckpunkte des
Verfahrens können an einem Bei-
spiel gut gezeigt werden: Nehmen
wir an, die Zusammenarbeit mit den
Eltern sei an einer Schule für vie-
le Lehrkräfte unbefriedigend. Das
schlägt sich im Klima nieder, führt
aber auch zu Abwesenheit bei El-
ternveranstaltungen sowie zu offe-
nen Konikten. Wie begegnet man
gemäß dem Design-Thinking-An-
satz diesem Problem?
1. Viele Perspektiven und Er-
fahrungen einbinden
Ein Beginn für die Arbeit könnten
offene Austauschmöglichkeiten mit
unterschiedlichen Beteiligten sein:
Lehrkräfte, Schüler und Schüle-
rinnen, Eltern, Schulleitungsmit-
glieder, Fachpersonen teilen ihre
Sicht auf die Zusammenarbeit mit.
Sie werden ermutigt, Vorschläge
zu machen und ihre Erfahrungen
einzubringen – sind Lehrpersonen
auch Eltern, sprechen auch aus der
dieser Perspektive.
2.. Fragen stellen
In der Unternehmenskultur von
Toyota ist das „Fünf-Warum-Ver-
fahren“ tief verankert: Tritt ein un-
erwünschtes Ergebnis auf, werden
seine oft komplexen Ursachen auf-
gedeckt, indem in fünf Schritten
Warum-Fragen formuliert werden
An einem Beispiel:
•
Warum ist es am Elternabend der
3 b zu einem Streit zwischen El-
tern und der Lehrerin gekom-
men? – Die Eltern waren unzu-
frieden mit den Noten der letz-
ten Deutscharbeit.
•
Warum waren sie unzufrieden?
– Weil sie nicht verstanden, wes-
halb Ümits Note schlechter war
als die von Max aus der 3a.
•
Warum haben sie das nicht ver-
standen? – Weil die Begründung
der Note nicht nachvollziehbar
war.
•
Warum war sie nicht nachvoll-
ziehbar? – Weil die Lehrerin ei-
nen anderen Erwartungshori-
zont als andere Lehrkräfte im
Jahrgang verwendet hat.
•
Warum hat die Lehrerin einen
abweichenden Erwartungshori-
zont verwendet? – Weil es zwi-
schen den Deutschlehrkräften
wenig Absprachen diesbezüg-
lich gab.
Diese Fragen zeigen Faktoren auf,
die zum Konikt geführt haben.
Diese werden erst aus mehreren
Perspektiven deutlich.
3. Offenheit und Mehrdeutig-
keit erhalten
Werden Fragen gestellt – gut ist et
-
wa auch diese: „Warum haben wir
das bisher immer so gemacht?“ –,
dann dürfen die Antworten nicht
zu stark xiert werden. Es muss im
Prozess erhalten bleiben, dass es
unterschiedliche Sichtweisen gibt,
dass keine eindeutigen Ursachen
ausgemacht werden können, dass
einzelne Beteiligte vieles nicht wis-
sen können, was für die Schule als
Institution bedeutsam wäre.
4. Prototypen entwickeln
Das ist die Design-Phase: Aus den
Ideen der unterschiedlichen Be-
teiligten werden Vorschläge gene-
riert, die dann umgesetzt werden.
Aus den Schritten 1 bis 3 kann so
die Möglichkeit von neuen Formen
der Elternzusammenarbeit entste-
hen: Die Eltern organisieren den
Elternabend außerhalb der Schu-
le; die Kinder sind für die Leitung
des Elternabends zuständig; wer am
Elternabend teilnimmt, verpichtet
sich, vorher drei Schulstunden be-
sucht zu haben; der Elternabend
wird durch eine ständig laufende
Chat-Gruppe ersetzt usw.
Hier ist es wichtig, auch Ide-
en gegenüber offen zu bleiben, de-
nen man wenig Erfolgschancen
einräumt: Die Chat-Idee mag ge-
gen Datenschutzvorschriften ver-
stoßen; den Eltern traut man nicht
zu, dass sie gewillt oder fähig sind,
einen Elternabend durchzuführen.
Entscheidend ist hier, dass man
die Prototypen als Wege sieht, um
mehr Erfahrungen zu sammeln – sie
sind Kommunikationswerkzeuge,
nicht fertige Lösungen.
5. Testen und evaluieren
Die Prototypen werden recht
schnell in der Praxis umgesetzt.
Hier braucht es keine großen Kon-
zepte, weil es sich nicht um deni-
tive Lösungen handelt, sondern die
Prototypen und Tests ein Weg sind,
um neue Einsichten zu generieren
und Perspektiven zu verbinden. Die
Auswertung ist zwingend wieder
mit den Schritten 1 bis 4 verbun-
den; insbesondere behandelt auch
sie wieder die Nutzerprioritär.
Vom Chaos
zum Aha-Moment
Man stelle sich nun die Schule vor,
die im offenen Austausch mit El-
tern, Lernenden und Lehrkräften
neue Formen der Elternarbeit ent-
wirft und sie konzeptlos auspro-
biert, auswertet und dann den Pro-
zess von vorn beginnt. Das Szenario
wirkt chaotisch: Wie sollen neu ein-
tretende Lehrpersonen die Abläu-
fe verstehen, wie kann ein ständig
wechselnder Versuch Eltern oder
Behörden so kommuniziert wer-
den, dass das professionell und qua-
litativ überzeugend wirkt?
Dazu gibt es zwei Sichtweisen
aus der Design-Thinking-Schule:
Erstens ist das Chaos gewollt. Ge-
rade weil unterschiedliche Haltun-
gen aufeinanderprallen und nicht
klar ist, welche sich durchsetzt, ist
das Vorgehen weniger strukturiert
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als eine analytische, hierarchische
Konzeption, bei der ausgewählte
Personen entscheiden. Das macht
die kreative Stärke des Verfahrens
aus. Daraus ergibt sich in der De-
sign-Thinking-Vorstellung ein Aha-
Moment, wenn sich eine Lösung
durchsetzt und dann plötzlich sehr
plausibel erscheint. Zweitens ist
die Kommunikation des Prozesses
nicht von ihm zu trennen. Sind El-
tern, Kinder, Lehrer und Lehrerin-
nen und die Schulleitung an einem
Re-Design eines Verfahrens betei-
ligt, dann sind Absprachen unab-
dingbar. Es müssen dann nicht fer-
tige Konzepte mitgeteilt werden,
sondern es erfolgt eine gemeinsa-
me Arbeit.
Sichtbar wird das an einer Me-
thode mit dem Namen „Design
Sprint“. Sie verdichtet und struk-
turiert den Design-Thinking-Pro-
zess; indem sie dafür nur eine Wo-
che Zeit vorgibt: Die damit verbun-
denen Übungen gehen auf ein Buch
von Jake Knapp zurück, das sich
primär an Web-Startups richtet, die
Webinhalte formal oder technisch
gestalten. Der Rhythmus an Schu-
len funktioniert anders. Gleichwohl
können sie sich in ihrer Entwick-
lung an dieser Verdichtung orien-
tieren. Entscheidend sind folgende
Aspekte:
•
Zeitdruck fördert Kreativität
und Austausch.
•
In einer kreativen Kultur ent-
werfen alle Lösungen und alle
entscheiden darüber mit, wel-
che umgesetzt werden. Die Rol-
le der Nörgelnden oder der Ver-
antwortlichen werden aufgelöst.
•
Der Prozess führt möglichst
schnell zu einem Vorschlag, der
umgesetzt und getestet werden
kann. Weil er schnell verläuft, ist
wenig verloren, wenn die Tests
ein negatives Resultat ergeben.
Konkret wäre also denkbar, in ei-
nem Entwicklungsbereich die Vor-
gabe zu machen, im nächsten Jahr
ein neues Verfahren einzuführen.
Alle sind eingeladen, Vorschläge
zu machen und daraus auszuwäh-
len. Das Verfahren wird im Laufe
des Schuljahrs evaluiert. Bewährt es
sich nicht, wird es verworfen.
Führungsaufgaben
der Schulleitung
Design Thinking führt zu einem
zeitgemäßen Verständnis von Füh-
rung, das sich von etablierten Vor-
stellungen stark abhebt. Wie schon
erwähnt, geht es primär darum,
den Menschen in einer Organisa-
tion die Möglichkeiten zu geben,
komplexe Probleme zu bearbei-
ten. Neben der Elternzusammen-
arbeit kann man eine Reihe kom-
plexer Probleme aufzählen, welche
Schulen heute bewältigen müssen:
z .B. Individualisierung, Integrati-
on, Unterrichtsentwicklung, Parti-
zipation, Umgang mit Standardisie-
rung, Förderung von Kompetenzen
fürs lebenslange Lernen, Einsatz di-
gitaler Endgeräte. Ein konsequen-
ter Design-Thinking-Ansatz lädt
bei all diesen Fragen verschiedene
Anspruchsgruppen ein, ihre Pers-
pektiven und Ideen einzubringen;
macht Lösungen dann fassbar, in-
dem Prototypen konkret getestet
werden und re-evaluiert die Ideen
aufgrund dieser Erfahrungen.
Sieht man diese Vorstellung kri
-
tisch, dann scheint sie eine Füh-
rungshaltung zu fördern, die in ei-
nem Quartal etwas ausprobiert, es
im nächsten wieder umwirft und
so jede Form von Verlässlichkeit
und Verbindlichkeit auöst. Kon-
sequentes Design Thinking setzt
eine Organisation voraus, die den
Prozess trägt und mitverantwor-
tet. Dazu sind heute wenige Schu-
len in der Lage. Deshalb ist es wohl
realistisch, die Methode des Design
Sprints zunächst einmal in Berei-
chen einzuführen, wo neue Lösun-
gen gesucht werden. Ist sie etabliert,
können von da aus umfassendere
Entwicklungsprojekte angegangen
werden.1
Eine Design-Thinking-Schul-
leitung legt also Prozesse und Lö-
sungen nicht fest, sondern hilft al-
len an der Schule Beteiligten dabei,
Ideen umzusetzen und sie auszu-
werten. Sie muss dafür sorgen, dass
sich Hierarchien nicht durch die
Hintertür wieder einschleichen,
dass Ambiguitäten erhalten bleiben,
die unterschiedlichen Sichtweisen
produktiv und empathisch zusam-
mengeführt werden, statt einzelne
Ansichten bei der Lösungsndung
auszuschließen. Sie verhindert zu
-
dem, dass Schul- und Unterrichts-
entwicklung zu langwieriger Kon-
zeptarbeit werden, sondern führt
schnell zu konkreten Änderungen
im Alltag, die für die ganze Schule
erlebbar werden.
Anmerkung
1 Die Youtube-Videos der Berliner Agentur
AJ&Smart erklären alle Aspekte von De-
sign Sprints sehr anschaulich: https://bit.
ly/2qduJLA
Philippe Wamper ist Kulturwissen-
schaftler, Experte für Lernen mit Neuen
Medien und Lehrer an XXX (bitte prü-
fen und ergänzen)