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Zehn Kardinalfehler in der Personaldiagnostik

Authors:
  • Humboldt University Berlin / University of Applied Management / IQP

Abstract

erschienen in: HR Performance, 6/2018, S. 62-63 (www.hrperformance-online.de)
62 HR Performance 6/2018
Fehler 3: HR verwendet keine oder
sinnfreie Anforderungsprofile.
Ein Kompetenzmodell allein ermöglicht noch
keine fundierte Personaldiagnostik. Zunächst
muss für jede Kompetenz die Idealausprägung
bestimmt werden. Derartige Ideal- oder auch
Anforderungsprofile zu definieren, ist jedoch
aufwendig. Zu beobachten ist, dass viele Perso-
nalmanager schlicht darauf verzichten oder aber
Maximalausprägungen je Kompetenz als Ideal
definieren. Dass es auch ein Zuviel einer Kompe-
tenz geben kann, wird hierbei meist übersehen.
Fehler 4: HR setzt auf methodisch
fragwürdige Assessment Center.
Sind Kompetenzmodell und Anforderungsprofi-
le definiert, muss das Potenzial von Kandidaten
mithilfe entsprechender Instrumente beurteilt
werden. Großer Beliebtheit erfreut sich das As-
sessment Center (AC). Verkannt wird dabei jedoch
oft, dass Rollenspiele, Gruppendiskussionen etc.
meist nur auf den ersten Blick gut geeignet sind,
um Potenziale zu analysieren. Bei genauerer Be-
trachtung gibt es kaum ein Instrument, das mit
mehr methodischen Problemen behaftet ist als
das AC.
Fehler 5: HR verzichtet auf den
Einsatz von Intelligenztests.
Während ein AC durch die hohe Realitätsnähe be-
liebt ist, scheuen viele Praktiker den Intelligenz-
test. Zu abstrakt und realitätsfern erscheinen die
Aufgaben und zu hoch ist die Angst, Kandidaten
abzuschrecken. Dass dieses Instrument zum Bes-
ten gehört, was die Personaldiagnostik zu bieten
hat, wissen viele Personalmanager schlicht nicht.
Oder der Umstand ist zwar bekannt, kann jedoch
bei Entscheidern nicht platziert werden. In beiden
Fällen bleiben wichtige diagnostische Informatio-
nen ungenutzt.
Fehler 6: HR nutzt Persönlichkeits-
tests mit fehlender Validität.
Weitaus beliebter als Intelligenztests sind Per-
sönlichkeitstests. Allerdings stellt fast kein Per-
sonalmanager die Frage nach der sogenannten
Der Hype um Big Data und IT-Tools in HR ist un-
gebrochen. Täglich mühen sich Personalmana-
ger, ihre HR-Prozesse zu digitalisieren – und täg-
lich scheitern viele. Ein Grund: Das Fundament ist
brüchig. Denn bevor Digitalisierung überhaupt
Nutzen stiften kann, müssen Modelle, Instrumen-
te und Prozesse in HR ausgereift sein. Besonders
oenkundig wird dies im Bereich der Personaldia-
gnostik. In kaum einem anderen Feld klaen Ideal
und Realität so weit auseinander – und gleichzei-
tig kommt fast niemand um die Digitalisierung in
diesem Bereich herum.
So werden fragwürdige Kompetenzmodelle, halt-
lose Anforderungsprofile und qualitativ minder-
wertige Instrumente zur Potenzialdiagnostik in
Software überführt. Nach den ersten negativen
Erfahrungen wird die Software verantwortlich
gemacht. Dass im Vorfeld Fehler ganz analoger
Natur produziert worden sind, wird meist überse-
hen. Ein plakatives „Best of Fuckups“:
Fehler 1: HR kennt den Job der
eigenen Kunden nicht.
Viele Personalmanager arbeiten in konzeptionell
anspruchsvollen Projekten und vergessen dabei,
wie das Geld in ihrer Organisation ganz praktisch
verdient wird. Kaum ein Personalmanager hos-
pitiert ein paar Tage im Außendienst, nur wenige
begleiten einmal Spät- und Nachtschicht in der
Produktion oder lassen sich im Service schulen.
Das entfremdet und die Anforderungen an die
zentralen Jobs bleiben weitgehend unbekannt.
Fehler 2: HR nutzt haltlose
Kompetenzmodelle.
Wer die Anforderungen an Mitarbeitende nicht
kennt, wird sich schwer damit tun, sinnvolle Kom-
petenzen zu definieren. Schon deshalb enthalten
viele Kompetenzmodelle ein Sammelsurium an
Merkmalen, die wenig mit der Bewährung in den
Jobs der Organisation zu tun haben. Hinzu kommt,
dass viele Personalmanager die aktuelle Literatur
zur Kompetenzmodellierung schlicht nicht ken-
nen und somit psychologisch fundierte Merkmale
unberücksichtigt bleiben.
Zehn Kardinalfehler
in der Personaldiagnostik
Personalentwicklung
HR Performance 6/2018 63
tiert wird und allgemein bekannt ist, scheint die
Erkenntnis in Bezug auf die schiere Existenz der
übrigen dargestellten Fehler häufig begrenzt zu
sein. Allzu viele Personalmanager vertrauen ih-
rer Intuition, ignorieren Fachliteratur und lassen
sich von bunten Marketing-Broschüren blenden.
Solange die Fehler im Bereich Personaldiagnos-
tik gar nicht bekannt sind, ist Besserung kaum in
Sicht.
Alles honungslos?
Die bewusst plakative und provozierende Dar-
stellung der Versäumnisse von HR im Bereich Per-
sonaldiagnostik ist kein Zeugnis von Frustration
und Honungslosigkeit des Autors. Im Gegen-
teil: Der Umstand, dass immer mehr Zeitschrif-
ten der deutschen HR Community bereit sind, kri-
tische Beiträge zu drucken und der Wissenschaft
eine Stimme zu geben, motiviert und beruhigt
zugleich. Klar ist jedoch auch, dass die HR-Pra-
xis Zwängen unterliegt, die der HR-Forschung oft
unbekannt sind. So ist nicht zu erwarten, dass zu-
künftig vor der Digitalisierung die methodische
Optimierung in vollem Umfang erfolgt. Doch jeder
Schritt zählt, jeder vermiedene Fehler ist wichtig.
Denn es steht viel auf dem Spiel – für Mitarbei-
tende und Organisationen gleichermaßen.
Literaturempfehlungen:
Praktische Hilfestellungen zur Vermeidung der
beschriebenen zehn Fehler in der Personaldiag-
nostik sind in Form von praxisnahen Fachbeiträ-
gen hier zu finden:
https://www.researchgate.net/project/
Bridging-research-practice-gap-in-HR
externen Validität. Fast nie wird ein Testanbieter
gefragt, welche Nachweise es dafür gibt, dass die
Persönlichkeitsmerkmale seines Tests belastbare
Zusammenhänge mit Leistung, Erfolg, Zufrieden-
heit und anderen berufsrelevanten Faktoren auf-
weisen. So haben sich Instrumente durchgesetzt,
die ein starkes Marketing, jedoch schwache bis
keine methodische Fundierung haben.
Fehler 7: HR evaluiert die eigene
Praxis nicht.
Was in Produktion, Vertrieb und Service ein Muss
ist, wird im Bereich der Personaldiagnostik fast nie
praktiziert: Evaluationen. Ist ein Kompetenzmodell
erst einmal im Einsatz und werden beispielsweise
AC flächendeckend durchgeführt, wird nahezu nie
geprüft, ob sie halten, was sie versprechen. Eine
einfache Korrelation von Assessment-Ergebnis
und beruflicher Bewährung oder auch die simple
Berechnung der Beurteilerübereinstimmung in In-
terviews sind kaum zu finden.
Fehler 8: HR kennt die DIN 33430
nicht.
Modelle und Instrumente der Personaldiagnostik
sind nicht alles – entscheidend ist auch der Pro-
zess. Die Frage wie Eignungsdiagnostik besten-
falls gestaltet sein sollte, wird durch eine Indus-
trienorm bereits seit vielen Jahren beantwortet.
Allerdings ist diese DIN 33430 den meisten Per-
sonalmanagern nicht bekannt. Folglich werden
viele Prozesse der Potenzialbeurteilung von A wie
Anforderungsdefinition bis Z wie Zielevaluation
unsauber implementiert, was letztlich personelle
Fehlbesetzungen provoziert.
Fehler 9: HR setzt sich im Board
nicht durch.
Selbst wenn die ersten acht Fehler vermieden
werden, bleibt HR bei der Geschäftsleitung all-
zu oft ungehört. Einer von vielen Gründen ist die
Sprache. Viele Personalmanager argumentieren
aus ihrer eigenen Perspektive und sind dadurch
nur bedingt anschlussfähig. Dass Personaldiag-
nostik Nutzen stiftet, der sich auch in Euro grob
abschätzen lässt, ist meist unbekannt. Die Nähe
zu den Entscheidern fehlt, der Rückhalt im Busi-
ness ist zu schwach und der wirtschaftliche Nut-
zen von HR bleibt Randnotiz.
Fehler 10: HR fehlt das Fehlerbe-
wusstsein.
Während die mangelnde Durchsetzungskraft bei
Entscheidern in der HR-Community heiß disku-
PROF. DR.
JENS NACHTWEI
ist Personalpsychologe,
forscht an der HU Berlin,
lehrt an der HAM
und leitet das IQP.
Personalentwicklung
... Es empfiehlt sich daher, diese Integration strukturiert vorzunehmen. Ganz praktisch bietet sich für Personaler eine Hospitation im Außendienst an (Nachtwei, 2018). Gleichzeitig können auch Synergien entstehen, wenn Vertriebsmanager tiefer in die Welt des Personalwesens eintauchen. ...
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erschienen in: HR Consulting Review, Band 10 (2019) Oft wird beim Thema Personalauswahl und -entwicklung die Kluft zwischen Wissenschaft und Praxis diskutiert. Zudem scheint es, dass sich in vielen Unternehmen die Personalabteilung und Vertriebsorganisation in verschiedenen Welten bewegen. Um am Markt bestehen zu können und sich im Wettbewerb um die besten (Vertriebs-)Talente durchzusetzen, sollten jedoch Synergien geschaffen werden und sich HR und Sales stärker verzahnen. In beiden Feldern forschend möchten wir zum Brückenbau zwischen Personal und Vertrieb ermutigen.
Technical Report
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Die Veröffentlichungsreihe für Qualitätssicherung in Personalauswahl und-entwicklung (VQP) baut eine Brücke zwischen Theorie und Praxis im Bereich Human Resources. Im jährlichen Herausgeberband "HR Consulting Review" stellen Praktiker*innen aktuelle Projekte, innovative Modelle und Sichtweisen sowie wissenschaftliche Studien aus der Unternehmenspraxis vor. Die Themen stammen aus den Bereichen Führung, Personalauswahl, Personalentwicklung und Organisationsentwicklung.
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