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Volker Hagemeister: Unterrichtsmethoden, die Schwierigkeiten im Rechnen entstehen lassen. S. 1
Aus: Heilpädagogik online, 2010, 01/10, S. 74-90. Überarbeitete Fassung: November 2020
Hagemeister, Volker (2010): Eine Dokumentation: Unterrichtsmethoden, die
Schwierigkeiten im Rechnen entstehen lassen. Heilpädagogik online 01/10,
S. 74-90. Überarbeitete Fassung, November 2020
https://www.researchgate.net/publication/328785568
Eine Dokumentation:
Unterrichtsmethoden, die Schwierigkeiten im
Rechnen entstehen lassen
Zusammenfassung
Besonderheiten beim Kind stehen bislang im Zentrum des Interesses,
wenn nach Ursachen für Schwierigkeiten im Rechnen gesucht wird.
Dagegen fehlt eine breite, empirisch fundierte Auseinandersetzung mit
Unterrichtsmethoden, die die Entstehung von Schwierigkeiten im Rechnen
begünstigen.
Mit Hilfe von Kopien aus Übungsheften und aus Klassenarbeiten, die
Kinder in der Schule angefertigt haben, wird hier dokumentiert, dass
ständiger Zeitdruck vielen Kindern in der Grundschule große Probleme
bereitet. Durch eine Überbetonung des schnellen Im-Kopf-Rechnens und
die Vernachlässigung der sorgfältigen schriftlichen Präsentation von
Lösungswegen werden viele Kinder im Mathematikunterricht systematisch
benachteiligt.
1 Dokumentation problematischer
Unterrichtsmethoden
Die hier zusammengestellte Dokumentation enthält Kopien aus Tests und
Hausaufgaben, die von Kindern angefertigt wurden, die an einer
Rechentherapie teilnehmen. Diese Dokumentation von Schülerarbeiten
zeigt, dass im Mathematikunterricht der Grundschule und der
Sekundarstufe verfehlte Unterrichtsmethoden weit verbreitet sind:
1.1 Mit Aufgaben überladene Klassenarbeiten
Tests und Klassenarbeiten enthalten sehr häufig zu viele Aufgaben (siehe
Beleg 1).
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Aus: Heilpädagogik online, 2010, 01/10, S. 74-90. Überarbeitete Fassung: November 2020
Beleg 1
Kopfrechentest, 120 Grundaufgaben in 10 Minuten, Klasse 4 12.01.09
Dieser Test, bei dem 120 Aufgaben in 10 Minuten zu lösen waren, ist ein
sehr schlechtes Instrument zur Messung von Kenntnissen im Fach
Mathematik ist, wie man an folgenden Beispielen ablesen kann:
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Aus: Heilpädagogik online, 2010, 01/10, S. 74-90. Überarbeitete Fassung: November 2020
Aus Beleg 1, 1. Beispiel:
Warum fehlt bei 4 – 0 in der 1. Spalte des 1. Feldes die Antwort,
wohingegen 0 + 8 und 5 - 0 in der 2. Spalte des 2. Feldes richtig gelöst
wird? Hätte unser Therapiekind Gabriele* womöglich alle Aufgaben richtig
gelöst, wenn sie bei diesem Test nicht so sehr unter Zeitdruck gestanden
hätte?
Im Test fehlt auch das Ergebnis bei 5*8 in der 4. Zeile des 3. Feldes.
Andererseits werden viele Aufgaben zum Einmal-Acht richtig gelöst. Z. B.:
Aus Beleg 1, 2. Beispiel:
Wenige Tage vor diesem Test hatte Gabriele zu Hause auf die Frage,
welches Ergebnis 7*8 habe, geantwortet (wie in der Einzel-Therapie
besprochen):
7*8 = 5*8 + 2*8 = 40 + 16 = 56
14 Tage nach dem Test hat Gabriele bei einer Übung zum Einmal-Acht
das beste Ergebnis ihrer Klasse erzielt. Warum fehlt trotzdem im Test vom
12.1.2009 bei 5*8 die Lösung? Ursachen sind Zeitmangel, Stress und
Aufregung. Dieser Test liefert keine konkreten Hinweise auf Defizite, die
die Grundlage sinnvoller Fördermaßnahmen sein könnten.
Zu allem Überfluss tauchen in diesem überfüllten Test auch noch
Aufgaben auf, die in einer 4. Klasse wenig Sinn ergeben:
Dass 9:0 nicht lösbar ist, ist zwar richtig, für 0:0 kann es jedoch sehr
wohl endliche Lösungen geben. Was wurde hierzu im Unterricht
besprochen? Welche Funktion hat eine solche Aufgabe in dem Schnell-
Rechen-Test einer 4. Klasse?
Welche Wirkung hat ein solcher Test?
Der Schnell-Rechen-Test signalisiert Gabriele, dass sie in Mathematik
nie ein „Gut“ „Sehr Gut“ erreichen wird, auch wenn sie den
Unterrichtsstoff perfekt beherrscht. Dieses Signal und die Stress-
Erfahrung aus dem Test hatten weitere Wirkungen: Gabriele zeigte in
* Die Namen wurden alle geändert.
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Aus: Heilpädagogik online, 2010, 01/10, S. 74-90. Überarbeitete Fassung: November 2020
der nächsten Therapiestunden nach dem Test Rückfall-
Erscheinungen: Sie zählte plötzlich wieder an den Fingern ab und sie
hatte wieder Probleme 100-ter, Zehner und Einer auseinander zu
halten.
Für die Schule und für den Lehrer hat ein solcher, mit Aufgaben
überfüllter Test übrigens eine wichtige Funktion: Er sorgt für eine
Gleichverteilung der Noten. Die Zahl guter Noten bleibt begrenzt.
Oft enthalten Klassenarbeiten nicht nur zu viele Aufgaben, sondern sie
sind zusätzlich auch noch mit Anforderungen überladen:
In der Klassenarbeit für eine 5. Klasse muss nicht nur viel
gerechnet, sondern auch viel geschrieben und gezeichnet werden.
Siehe Beleg 2 (im Anhang): Übervolle Klassenarbeit, 5. Schuljahr.
Der Bruchrechen-Test für eine 6. Klasse enthält einerseits zu viele
Aufgaben. Außerdem enthalten viele Aufgaben unnötig große
Zahlen, womit das Kürzen und Erweitern mit erheblichem
Rechenaufwand verbunden ist. Siehe Beleg 3 (im Anhang):
Überladener Bruchrechen-Test, 6. Schuljahr.
Ist eine Klassenarbeit mit Aufgaben und Anforderungen überladen, so
hängt das Ergebnis der Arbeit in erheblichem Maße von der Belastbarkeit
des Schülers unter Stress ab. Durch solche Klassenarbeiten werden
Schülerinnen und Schüler, denen das schnelle Im-Kopf-Rechnen nicht
liegt, immer wieder entmutigt.
Mit der Überbetonung des schnellen Kopfrechnens und der Vernach-
lässigung der schriftlichen Darstellung von Lösungswegen werden z. B.
solche Kinder systematisch benachteiligt, bei denen der Abruf von
Gedächtnisinhalten noch nicht voll entwickelt ist.
1.2 Wettrechnen
Eine repräsentative Umfrage unter volljährigen Bundesbürgern, die Emnid
im Juli 1995 interviewt hatte, hat ergeben, dass die Mathematik das
Fach ist, das es am meisten gehasst wurde:
Siehe im Anhang Beleg 4: Umfrageergebnisse
Fragt man nach den Gründen, warum Mathematik in der Schule gehasst
wurde, so wird immer wieder – auch nach vielen Jahrzehnten - gesagt,
dass das Wettrechnen in der Grundschule schrecklich und demütigend
war. Auf der anderen Seite gibt es Lehrer, die das Wettrechnen vehement
verteidigen. „Wettrechnen macht allen Schülern Spaß“. - Dass es
demütigend ist, immer wieder zu den Letzten beim Wettrechnen zu
gehören, lassen sich offenbar viele der betroffenen Kinder nicht anmerken.
Sie machen gute Miene zum (für sie) bösen Spiel. Der Lehrer gewinnt so
den Eindruck, dass niemand mit dem Wettrechnen Probleme hat.
1.3 Schnell-Schreib-Techniken
Weil viele Kinder im Mathematikunterricht von dem Gefühl dominiert
werden, unter Zeitdruck zu stehen, gewöhnen sie sich Schnell-Schreib-
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Techniken an. So wird z. B. die Vier in einem Zug geschrieben. Die Vier
sieht dadurch häufig einer Neun zum Verwechseln ähnlich:
Beleg 5, aus Leonhards Hausaufgabenheft, 6. Klasse
Die Fünf sieht oft aus wie ein S, weil die Zeit für rechte Winkel (im oberen
Teil) eingespart wird:
Beleg 6, aus Raphaels Hausaufgabenheft, 8. Klasse
1.4 Vernachlässigung der schriftlichen Darstellung von
Rechenwegen
Nur das Ergebnis zählt. Der Rechenweg spielt keine Rolle. Es ist also nicht
verwunderlich, wenn Schüler, unbemerkt vom Lehrer, unangemessene
Methoden anwenden, in dem sie z. B. alle Aufgaben „schriftlich im Kopf“
lösen. Bei Hausaufgaben, auf unzähligen Arbeitsblättern und in Tests
zählt nur das Ergebnis:
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Beleg 7, aus Corinnas Übungsheft, 5. Klasse:
Anstelle einer sorgfältigen, mathematik-gemäßen schriftlichen Darstellung
von Rechenwegen steht das Schnell-Rechnen im Mittelpunkt: „Rechne
möglichst schnell im Kopf“. - In welchem Ausmaß in Grundschulklassen
das sorgfältige, schriftliche Darstellen von Rechenwegen vernachlässigt
wird, zeigt ein Vergleich von Beleg 7 und 8 mit Beleg 11 (hier in Abschnitt
2). Hinzu kommt, dass der Umgang mit dem Gleichheitszeichen, das für
die Mathematik von zentraler Bedeutung ist, unzureichend eingeübt wird:
1.5 Unzureichende Anwendung des Gleichheitszeichens
Die fehlerhafte Verwendung des Gleichheitszeichens wird oft von den
Lehrern nicht bemerkt:
Beleg 8, aus Angelas Hausaufgabenheft, 6. Klasse
(a)
(b)
(c)
Hier ging es darum, folgende Aufgaben zu lösen:
(a)
12
7 von 120 kg (b)
12
5 von 96 € (c)
12
11 von 144 g
Angelas Aufzeichnungen wurden in der Schule als richtig abgehakt,
obwohl keines der Gleichheitszeichen seine Berechtigung hat. – Auch bei
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Aus: Heilpädagogik online, 2010, 01/10, S. 74-90. Überarbeitete Fassung: November 2020
Angela kommt die Schnell-Schreib-Vier, die einer Neun zum Verwechseln
ähnlichsieht, zum Einsatz.
Unsicherheiten in der korrekten Anwendung des Gleichheitszeichens
bereiten vielen Schülern in der Sekundarstufe große Probleme: Beim
Lösen von Gleichungen mit mehreren Unbekannten ist das
Gleichheitszeichen von zentraler Bedeutung. Die gewohnten Schnell-
Rechen-Techniken mit
„möglichst viel im Kopf rechnen“,
„möglichst wenig hinschreiben“
führen hier zum Scheitern:
Beleg 9, aus Raphaels Hausaufgabenheft
zu Beginn der 8. Klasse
Raphael fasst zwar oben in der 3. Zeile (bei I = II:) die Terme mit x im Kopf
richtig zusammen, aber ansonsten hat er den Überblick verloren. Das
fehlende Verständnis für die Bedeutung des Gleichheitszeichens lässt
Raphael zu Beginn der 8. Klasse immer wieder scheitern (siehe auch
Beleg 10)
Korrekt wäre in der 3. und in den nachfolgenden Zeilen gewesen:
I = II: 7x – 12 = 27 – 6x | + 6x + 12
13x = 39 | :13
x = 3
4 Monate später löst Raphael analoge Aufgaben fehlerlos (siehe unten
Beleg 11), nachdem das korrekte Aufschreiben aller Zwischenschritte (im
Rahmen der Einzel-Therapie) intensiv geübt wurde.
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2 Kurze Tests ohne Zeitdruck sind sinnvoller als
übervolle Klassenarbeiten
Wenn eine Klassenarbeit mit Aufgaben überfüllt ist (wie hier in Beleg 1
und im Anhang Beleg 2 und Beleg 3). so kann man aus dem schlechten
Abschneiden eines Schülers nicht ablesen, ob Stress und Aufregung oder
unzureichende Mathematikkenntnisse zum Versagen geführt haben.
Deshalb sollten in der Schule häufiger kurze Tests, deren Aufgaben ohne
Zeitdruck bearbeitet werden können, eingesetzt werden (siehe weiter
unten den Beleg 11, und im Anhang Beleg 12 und Beleg 13).
Die Leistungskontrolle, die am 16.01.2009 in der 8. Klasse unseres
Therapie-Kindes Raphael eingesetzt wurde, bestand aus 3 Aufgaben
(Beleg 11). Die sorgfältige Darstellung aller Rechenschritte stand im
Mittelpunkt dieser Arbeit. Dazu gehörte, dass bei jeder Aufgabe die
„Probe“ durchgeführt wurde. Es war auch ausreichend Zeit für einen Neu-
Anfang bei Aufgabe 3 vorhanden. Raphaels hatte Aufgabe 3 zunächst
falsch abgeschrieben (auf Seite 1 unten). „Auf der Rückseite“ bearbeitet er
dann die richtige Variante von Aufgabe 3:
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Beleg 11, Seite 1
Test mit 3 Aufgaben, Klasse 8,
16.01.2009
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Beleg 11, Seite 2
Raphaels Lösung zu Aufgabe 3 „auf der Rückseite“ von Seite 1:
Mit einem solchen kurzen Test wird in erster Linie die Beherrschung
mathematischer Methoden und Kenntnisse getestet. – Wer Fertigkeiten im
Fach Mathematik und nicht die Belastbarkeit unter Stress mit einem Test
erfassen will, darf keine Klassenarbeiten schreiben lassen, bei denen die
Schüler unter Zeitdruck stehen.
Raphael, dessen Testergebnis hier mit „sehr gut“ bewertet wurde, erhält
seit einem Jahr Einzeltherapie-Stunden wegen (zunächst) großer
Schwierigkeiten im Fach Mathematik. Diese Schwierigkeiten werden
durch Beleg 9 und 10 (im Anhang) eindrucksvoll dokumentiert. Dass es
sich jedoch nicht um unabänderliche Defizite handelt, die das Kind daran
hindern, in der Schule erfolgreich zu sein, belegt das Testergebnis vom 16.
Januar 2009. Die Erfahrung, dass Mathematik eine Philosophie ist, bei
der sorgfältig begründete Gedankengänge besonders wichtig sind, hat
Raphael geholfen, die Verunsicherung und Resignation zu überwinden,
Volker Hagemeister: Unterrichtsmethoden, die Schwierigkeiten im Rechnen entstehen lassen. S. 11
Aus: Heilpädagogik online, 2010, 01/10, S. 74-90. Überarbeitete Fassung: November 2020
die das permanente Schnell-Rechnen und Im-Kopf-Rechnen der
Grundschule bei im erzeugt hatte.
Ähnlich wie bei Raphael verläuft auch die Entwicklung bei unserem
Therapiekind Leonhard, der in den vorangehenden Schuljahren immer
wieder „Vieren“ und „Fünfen“ in Mathematik-Arbeiten erhalten hatte.
Inzwischen besucht Leonhard die 7 Klasse. Sein neuer Mathematiklehrer
legt nicht mehr Wert auf Tempo, sondern auf Verständnis mathematischer
Zusammenhänge. Im Mathematikunterricht erhält Leonhard nun sehr viel
bessere Zensuren (siehe Beleg 12 und Beleg 13 im Anhang). Er kann jetzt
seine mathematischen Fähigkeiten ungestört entfalten, da er nicht mehr
in Tests und Klassenarbeiten gezwungen ist, möglichst schnell möglichst
viele Aufgaben zu bewältigen.
3 Resümee
Unsere Dokumentation spiegelt nicht die Ergebnisse repräsentativer
Erhebungen wider. Allerdings sind alle von mir betreuten Therapie-Kinder
im Mathematikunterricht der Grundschule von den problematischen
Unterrichtsmethoden, die mit Hilfe dieser Dokumentation beschrieben
werden, betroffen. Man kann also vermuten, dass diese Unterrichts-
methoden einen gravierenden Einfluss auf die Entstehung von Schwierig-
keiten im Rechnen haben. Deshalb wäre es sehr wünschenswert, dass in
empirischen Studien untersucht wird, ob Schwierigkeiten im Rechnen
seltener entstehen,
wenn auch in der Grundschule Rechenwege korrekt aufgeschrieben
werden,
wenn Klassenarbeiten nicht mit Aufgaben und mit Anforderungen
überfüllt werden und
wenn auf Wettrechnen (im Klassenverband) verzichtet wird.
4 Literatur
Gerster, Hans-Dieter (2004):
„Helfen »basale Trainings«? Hilft die Neuropsychologie?“ Im Internet unter:
http://www.irtberlin.de/download/Gerster-Broschuere.pdf
Schipper, Wilhelm / Klewitz Gudrun / Köhnke Angelika, (2008):
„Rechenstörungen als schulische Herausforderung“, LISUM Berlin-
Brandenburg, Ludwigsfelde-Struveshof
von Aster, Michael / Schweiter, Monika / Zulauf, Weinhold (2007):
„Rechenstörungen bei Kindern, Vorläufer Martin, Prävalenz und
psychische Symptome“ Im Internet unter: http://www.drk-kliniken-
berlin.de/uploads/media/von_aster_et_al._2007.pdf
Volker Hagemeister: Unterrichtsmethoden, die Schwierigkeiten im Rechnen entstehen lassen. S. 12
Aus: Heilpädagogik online, 2010, 01/10, S. 74-90. Überarbeitete Fassung: November 2020
Über den Autor:
Dr. Volker Hagemeister
Bis 2005:
Wissenschaftlicher Direktor am Berliner Landesinstitut für Schule und
Medien, zuständig für Rahmenpläne und Fortbildungsplanung im Bereich
Mathematik und Naturwissenschaften und für die Durchführung und
Auswertung von TIMSS und PISA.
Seit 2005:
Therapeut für Schwierigkeiten im Rechnen.
E-Mail: volker@hagemeister.name
Zu zitieren als:
Hagemeister, Volker (2010). Eine Dokumentation: Unterrichtsmethoden,
die Schwierigkeiten im Rechnen entstehen lassen. Heilpädagogik online
01/10, S. 74-90
http://www.heilpaedagogik-
online.com/2010/heilpaedagogik_online_0110.pdf
Die nachfolgenden Seiten enthalten die Belege Nr. 2, 3, 4, 10,
12 und 13, die in den Text auf den vorangehenden Seiten nicht
eingebunden sind.
Volker Hagemeister: Unterrichtsmethoden, die Schwierigkeiten im Rechnen entstehen lassen. S. 13
Aus: Heilpädagogik online, 2010, 01/10, S. 74-90. Überarbeitete Fassung: November 2020
Beleg 2, Seite 1
2. Leistungsfeststellung Mathematik 5. Schuljahr 16.12.08
Volker Hagemeister: Unterrichtsmethoden, die Schwierigkeiten im Rechnen entstehen lassen. S. 14
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Beleg 2, Seite 2
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Beleg 2, Seite 3
Aufgabe 5a ist die leichteste Teilaufgabe bei Aufgabe 5) und 6). Trotzdem fehlt
ausgerechnet bei 5a die Lösung. Zeitdruck dürfte die Ursache dafür gewesen
sein, dass ¼ der Fläche bei 5a nicht eingezeichnet wurde. - Analoges gilt für
die Lösungen bei Aufgabe 8: Hier ist ein Schüler am Ende seiner Kräfte.
Während z. B. die Zeichnungen für 7/8 bei Aufgabe 5 und für ¾ bei Aufgabe
6 richtig sind (siehe oben), gelingen die entsprechenden rechnerischen
Lösungen bei Aufgabe 8c und 8e nicht mehr (siehe unten). Ob Stress und
Erschöpfung oder ob fehlende Mathematikkenntnisse daran Schuld sind, dass
z. B. bei 8c die Lösung fehlt und bei 8e ein falsches Ergebnis steht, kann bei
diesem Test nicht beurteilt werden.
Volker Hagemeister: Unterrichtsmethoden, die Schwierigkeiten im Rechnen entstehen lassen. S. 16
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Beleg 3, Seite 1
Mathematik
-
Test
11.02.200
9
Das Therapie-Kind Patrik, dessen Lösungsblätter hier folgen, beherrscht alle
wichtigen Regeln und Gesetzte, die für das Bruchrechnen benötigt werden.
Dies zeigen die drei folgenden Seiten. Trotzdem wird das Testergebnis lediglich
mit „noch Vier“ bewertet.
Auch beim Kürzen von Brüchen beherrscht Patrik die entscheidende Regel,
dass Zähler und Nenner durch die gleiche Zahl geteilt werden müssen. Um
allerdings bei diesem Test bei jeder Aufgabe jeweils alle Kürzungsmöglichkeiten
zu finden, ist viel Kopfrechenarbeit zu leisten. Es müssen Teilungsmög-
lichkeiten erkannt und es muss vorher richtig Addiert oder Subtrahiert
werden. Dabei schleichen sich bei Patrik immer wieder Fehler ein. Z. B. wird
bei Aufgaben 2e im Kopf falsch addiert: Anstelle von 117 (aus 60+57) steht bei
2e 107. Für diesen Rechenfehler werden 2½ Punkte abgezogen, weil nun auch
die korrigierende Lehrerin den Überblick verloren hat.
Obwohl es sich hier vordergründig betrachtet um einen Test der Fertigkeiten
im Bruchrechnen handelt, werden mit diesem Bruchrechen-Test in erster Linie
die Kopfrechen-Fertigkeiten erfasst, weil zu viele Aufgaben zum Einsatz
kommen, bei denen die Zahlen so gewählt wurden, dass relativ aufwendige
Nebenrechnungen erforderlich sind (wie z. B. bei 1b oder 2e).
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Aus: Heilpädagogik online, 2010, 01/10, S. 74-90. Überarbeitete Fassung: November 2020
Beleg 3, Seite 2
Einerseits zeigt Patrik bei den Aufgaben 1a, 1e, 1f und bei 2a bis 2d, dass er
das Kürzen formal richtig beherrscht. Trotzdem scheitert er beim Kürzen vor
allem dann, wenn es darum geht, große Zahlen zu kürzen. So erkennt Patrik
bei Aufgabe 1b nicht, dass 98 durch 7 und 144 durch 12 teilbar ist und bei
Aufgabe 1d übersieht er, dass 84 durch 3 teilbar ist. Dieses spezielle Defizit
führt auch in den nachfolgenden Aufgaben immer wieder zu Problemen und zu
Fehlern.
Bei Aufgabe 3 zeigt Patrik zunehmend Ausfallerscheinungen. Der Überblick ist
ihn abhanden gekommen. Bei Aufgabe 3a wird nur der Nenner „erweitert“ (ein
Fehler, der bei keiner der vorangehenden Aufgaben gemacht wird). Und bei
Aufgabe 3b wird ein Term von 3a eingebaut. – Auch die korrigierende Lehrerin
hat bei Aufgabe 3 den Überblick verloren. Sie übersieht, dass Patrik sowohl bei
3a wie auch bei 3b das Gleichheitszeichen fehlerhaft verwendet.
Volker Hagemeister: Unterrichtsmethoden, die Schwierigkeiten im Rechnen entstehen lassen. S. 18
Aus: Heilpädagogik online, 2010, 01/10, S. 74-90. Überarbeitete Fassung: November 2020
Beleg 3, Seite 3
Bei einem kurzen Test, bei dem das Bruchrechnen im Mittelpunkt steht, weil
nicht immer wieder relativ aufwendige Kopfrechen-Arbeit geleistet werden
muss, hätte Patrik die faire Chance gehabt, besser abzuschneiden. (wie die
Therapie-Kinder, deren Tests in Beleg 11, Beleg 12 und Beleg 13 enthalten
sind).
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Beleg 4
Viele Menschen
haben das Fach Mathematik gehasst.
Eine repräsentative Umfrage unter volljährigen Bundesbürgern, die Emnid im
Juli 1995 interviewt hat, hat ergeben, dass die Mathematik das Fach ist, von
dem am häufigsten gesagt wird, dass es am meisten gehasst wurde.
Fragt man nach den Gründen, warum Mathematik in der Schule gehasst
wurde, so wird immer wieder – auch nach vielen Jahrzehnten - gesagt, dass
das Wettrechnen in der Grundschule schrecklich und demütigend war. Auf der
anderen Seite wird von vielen Lehrern das Wettrechnen vehement verteidigt,
mit Aussagen wie: „Das macht allen Schülern Spaß“. Dass es demütigend ist,
immer wieder zu den Letzten beim Wettrechnen zu gehören, wird offenbar von
den betroffenen Kindern nicht offen gezeigt. Der Lehrer gewinnt so den
Eindruck, dass niemand mit dem Wettrechnen Probleme hat.
Welche Fächer haben Sie am meisten gehasst?
Nennungen in Prozent:
Männer Frauen Haupt-
schule
mittlere
Reife
Abitur,
Uni
Mathematik
18 29 22 30 19
Chemie
18 11 11 18 18
Physik
12 15 10 17 17
Deutsch
16 11 17 10 10
Englisch
11 7 8 14 5
Sport
4 9 7 2 9
Erdkunde
4 7 7 4 5
Kunst-
erziehung
4 7 7 4 5
Biologie
6 3 5 5 3
Musik
5 4 5 2 6
Sozialkunde
4 5 3 7 3
Die Umfrage wurde im Auftrag der Zeitschrift DER SPIEGEL durchgeführt
(SPIEGEL SPECIAL, Heft 9, 1995, Seite 139)
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Beleg 10
Kopie aus dem Hausaufgabenheft Raphaels zu Beginn der 8. Klasse
Das Gleichheitseichen hätte in der 3. Zeile zwischen -2 und +6x stehen
müssen. Das Gleichheitszeichen, das stattdessen in der 3. Zeile bei x = steht,
bedeutet offenbar soviel wie
„nun wird x berechnet.“
Auch in der 4. Zeile steht das Gleichheitszeichen an der falschen Stelle, was
zum falschen Resultat führt. Nicht x = 24, sondern x = 1 ist die richtige
Lösung:
Korrekt wäre in der 3. und in den nachfolgenden Zeilen gewesen:
I = II: -4x – 2 = 6x - 12 | + 4x + 12
10 = 10x | :10
x = 1
Nachdem im Rahmen der Einzel-Therapie das korrekte Aufschreiben aller
Zwischenschritte beim Bearbeiten solcher Gleichungssysteme intensiv geübt
worden war, löst Raphael 4 Monate später entsprechende Aufgaben fehlerlos
(siehe Beleg 11).
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Beleg 12
Kurzer Test, 7. Klasse
18.12.2008
Testergebnis eines 7-Klässlers. Leonhard erhält seit 2½ wegen
Schwierigkeiten im Rechnen neben der Schule Einzeltherapie-
Stunden.
Sofern ein solcher Test, der nur wenige Aufgaben enthält, nicht
unter Zeitdruck geschrieben wird, wird nicht die Belastbarkeit
unter Stress, sondern in erster Linie die Beherrschung mathe-
matischer Methoden und Kenntnisse getestet. Leonhard, der in den
vorangehenden Schuljahren immer wieder „Vieren“ und „Fünfen“ in
Mathe-Arbeiten erhalten hatte, erhält hier eine „Eins“, weil er nun
seine mathematischen Fähigkeiten ungestört entfalten kann, da er
nicht mehr gezwungen ist, möglichst schnell möglichst viele Auf-
gaben zu bewältigen.
Dass das Abschneiden in der „Lernerfolgskontrolle“ am 18.12.2008
nicht nur ein Zufallsergebnis war, zeigt der Test, den Leonhard am
13.02.2009 geschrieben hat. Auch in diesem Test erhält Leonhard
wiederum eine „Eins“ (siehe auch auf der nachfolgenden Seite den
Beleg 13).
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Beleg 13, Seite 1
kurzer Test 7. Klasse 13.02.2009
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Beleg 13, Seite 2
Testergebnis des 7-Klässlers Leonhard, der seit gut 2½ wegen Schwierigkeiten
im Rechnen neben der Schule Einzeltherapie-Stunden erhält (siehe auch die
nächste Seite mit Aufgabe 3):
Leonhards Arbeit wurde wiederum mit „sehr gut“ bewertet.
Es wäre wünschenswert, dass in der Schule häufiger solche kurzen Tests
eingesetzt würden, anstelle der vielfach mit Aufgaben überfüllten
Mathematikarbeiten.