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Defizitäre Populismusbegriffe: Von der Defizitperspektive zur
ideologietheoretischen Analysekompetenz
Lukas Boehnke und Malte Thran
„Es gibt keine einfache Reduktion von Politik auf Moral - es sei denn in politischen Systemen,
die politische Gegner moralisch disqualifizieren und sie mit diesem Argument aus der Politik entfer-
nen.”
(Luhmann 2008:171)
Der Begriff Rechtspopulismus hat mittlerweile eine Alltagsrelevanz erreicht,
mit ihm wird in öffentlichen Diskursen nicht nur ein bestimmtes politisches Phä-
nomen bezeichnet, vielmehr ist mit dieser Kategorie immer auch eine Delegiti-
mation impliziert. In der Regel bezeichnet sich niemand selbst als Rechtspopulist,
dies verdeutlich die normative Bedeutung dieser Kategorie. Von dieser vorrangig
normativen Begriffsverwendung grenzen sich die Sozialwissenschaften, in denen
dieser Begriff entwickelt wurde, ab. Populismus und Rechtspopulismus stellen
Kategorien dar, mit denen der Anspruch verbunden ist, ein Ergebnis wissen-
schaftlicher Analyse distanziert und unparteilich zu bestimmen. Ausgegangen
wird von den Annahmen, dass es den „Rechtspopulismus“ getrennt von seiner
bewertenden Einordnung als Gegenstand gibt und dass mit dieser Kategorie die-
ses abgrenzbare Phänomen beschrieben werden kann. Dabei wird von verschie-
denen Autoren festgehalten, dass Populismus vergleichsweise schwer zu fassen
sei; auch der zugrundeliegende Begriff des Volkes bringe theoretische Schwie-
rigkeiten mit sich (vgl. Ionescu/ Gellner 1969; Laclau 1977: 143; Canovan 1981).
In Bezug auf diese Probleme fasst Karin Priester (2012) zum Beispiel ihre theo-
retische Auseinandersetzung mit Populismus als „Annäherung an ein Chamä-
leon.” Im Unterschied zu anderen politischen Ideologien wie dem Liberalismus
vertritt der Populismus keine inhaltlich einheitliche Position, auch ist die klare
Abgrenzung von Populismus und etablierter Demokratie schwierig, da populisti-
sche Praktiken sich z.B. auch in Wahlkämpfen demokratischer Parteien finden.
Obwohl es der Wissenschaft also nicht oder zumindest nicht unmittelbar um
Legitimation und Delegitimation politischer Auffassungen, sondern um deren
Analyse geht, werden normative Logiken mit der Erklärung dieser Auffassungen
reproduziert. Neben Positionen, die ausdrücklich Normativität befürworten und
einfordern, gibt es auch Stimmen, wie die der Darmstädter Politikwissenschaftler
Dirk Jörke und Veith Selk (2017: 11), die dies als Problem darstellen, das sich
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
L. Boehnke et al. (Hrsg.), Rechtspopulismus im Fokus,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-24299-2_2
Defizitäre Populismusbegriffe
aber, aufgrund der Verortung von Wissenschaft in der Gesellschaft, nicht vermei-
den lasse. Wissenschaftler haben nicht nur eigene, subjektive Wertungen und
Standpunkte, die in die Begriffsbildung miteinfließen, sie betätigen sich auch in
einem gesellschaftlichen Umfeld, in dem bestimmte Theorien auf größere Zu-
stimmung treffen als andere. Jörke und Selk argumentieren, dass eine Bestim-
mung des Populismus als „demokratiefeindlicher Theorie“ in diesem Kontext un-
abhängig von der Frage, ob diese Charakterisierung überhaupt zutreffend ist, auf
Zustimmung trifft und damit für diejenigen, die diese These vertreten, positive
Wirkungen haben kann. Sie kritisieren, dass die Moralisierung des Phänomens
Rechtspopulismus durch die etablierte Politik kontraproduktiv sei, da dies dazu
beitrage, dass Rechtspopulisten sich in ihrer Weltsicht bestärkt sehen (ebd.: 13).
Kritische Einwände gegen gängige Formen, Rechtspopulismus normativ zu
betrachten und damit Ausgrenzungspraktiken zu verbinden, kommen auch von
anderen Seiten, so u.a. aus der Systemischen Sozialen Arbeit. Johannes Herwig-
Lempp (2017: 57) argumentiert, in delegitimierenden Diskursen würden die
Rechte und Menschenrechte von Rechtspopulisten negiert, zudem seien „Ab-
wehr, Ablehnung und Abwertung, [...] Diskriminierung und Dämonisierung“ un-
zweckmäßige, letztlich erfolglose Exklusionsstrategien. Er spricht sich für eine
systemische Haltung aus, die sich um das Verstehen der Denklogiken rechter Ar-
gumentationen bemüht. So könne die Parole „Wir sind das Volk“ auch als
Wunsch nach Aufmerksamkeit interpretiert werden; die Kritik an der „Lügen-
presse“ sei auch als verständliche Reaktion auf eine „schlechte Behandlung durch
die Presse” (ebd.: 59) zu werten. Philipp Manow (2018: 6-9) argumentiert, dass
die vorherrschende Sicht auf Populismus von einer akademischen Perspektive be-
stimmt sei, mit der sich über das ungehörige Benehmen des niederen Volkes
echauffiert werde. Dabei werde nicht nur der Inhalt der rechtspopulistischen Kri-
tik zu wenig berücksichtigt, sondern es gehe vor allem um Legitimitätsbestrei-
tung, die Populismus in Stil und Formfragen überführe. In eine ähnliche Richtung
zielen Per Leo, Maximilian Steinbeiß und Pascal Zorn mit ihrem Werk „Mit
Rechten reden“ (2017: 37), in dem sie für eine Rückkehr auf eine Gesprächs- und
Verstehensebene plädieren. Sie argumentieren, dass problematische Auffassun-
gen durch ihre Markierung ja nicht beseitigt, sondern bestenfalls nur aus dem öf-
fentlichen Raum entfernt würden. Diese Sichtweisen sind nicht unwidersprochen
geblieben, so hat beispielsweise Stephan Lessenich (2017) an diesen Standpunk-
ten die unrealistischen Erwartungen an die „Kraft des besseren Arguments” kriti-
siert und allgemein bezweifelt, „dass man mit der Macht der Logik den Rechts-
rednern den Wind aus den Segeln nehmen könne.” Diese Position impliziert, dass
man sich ohne normativen Hintergrund nicht auf rechtspopulistische Standpunkte
beziehen könne; sie plädiert insofern für Normativität.
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Lukas Boehnke und Malte Thran
Die normative Beurteilungsebene ist auch insofern eine Herausforderung, als
sie weder vollständig ausgeblendet werden kann und auch der vorliegende Bei-
trag sicherlich nicht frei von normativen Grundlagen und Implikationen ist, noch
unabhängig vom Standpunkt der Wissenschaftler zu denken ist. Trotzdem bedarf
es dem Anspruch nach unparteiischer, trennscharfer und präziser Begriffe, und
zwar nicht nur aus Gründen einer dem Ideal nach werturteilsfreien Wissenschaft-
lichkeit, sondern vor allem, um ein Verständnis der Eigenlogik des Phänomens
Rechtspopulismus als Grundlage für dessen kritische Behandlung in der politi-
schen Bildung zu schaffen. Insofern ist es notwendig, die in wissenschaftlichen
Begriffen des Rechtspopulismus enthaltenen moralischen Elemente von nicht-
moralischen zu trennen, also die „Prozesse der Moralisierung [...] selbst zum Ge-
genstand der Analyse” (Anhorn 2013: 257) zu machen. Roland Anhorn formuliert
dies im Rahmen eines ideologiekritischen Ansatzes in Bezug auf den „Soziale-
Probleme-Diskurs”, der sich dadurch auszeichnet, dass in ihm die „[...] in den
Strukturen gesellschaftlicher Ungleichheits- und Herrschaftsverhältnisse ange-
legten Widersprüche und Konflikte [...]” in moralisierenden Diskurslogiken „[...]
in soziale Sachverhalte, die primär unter dem Gesichtspunkt des Normbruchs, der
Abweichung von der 'guten Ordnung“ einer integrierten Gesellschaft wahrge-
nommen werden” (ebd: 262) verwandelt werden.
Normbruch als Defizit
Die normative Ebene von Rechtspopulismusbegriffen besteht im Kern darin,
dass Rechtspopulismus als Bruch von bestimmten Normen erscheint. Das bedeu-
tet zunächst einmal, dass Rechtspopulismus als etwas bestimmt wird, was er nicht
ist – nämlich als Nicht-Entsprechung zu einer Norm. Dieses negative Urteil wird
allerdings nicht als ein Verhältnis zu einem äußeren Maßstab gedacht, sondern
als die gewissermaßen „innere“ Mangelhaftigkeit des Rechtspopulismus, als sein
Defizit vorgestellt. Kurz: Das Ungenügen am äußeren Maßstab wird in eine ne-
gative Eigenschaft der Sache, in ihr inneres Defizit verwandelt. Die Mängel, die
dann dem Rechtspopulismus als seine Qualität zugeschrieben werden, drücken
allerdings nur äußerliche und insofern sachfremde Beurteilungsgesichtspunkte
aus; in ihrer Verschiedenheit sind sie Ausdruck der verschiedenen Kriterien, unter
denen Rechtspopulismus wahrgenommen wird.
Am konkreten Beispiel zeigt sich, wie dieser theoretischen Konstruktion ein
normativer Gehalt eigen sein kann: Nicht-Bestimmungen werden dadurch zu De-
fizitkonstruktionen, dass sie am Gegenstand als fehlend, als sein Mangel festge-
halten werden. So lässt sich die Argumentation von Hans-Georg Betz (1994: 107)
einordnen, der dem Populismus einen „Mangel an großen Visionen „attestiert.
Am Gegenstand wird es als Mangel festgehalten, Bestimmungen zu haben, die
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Defizitäre Populismusbegriffe
dieser– nicht hat. Dass dem auf diese Weise betrachteten Gegenstand etwas fehlt,
geht in der Regel einher mit dem Urteil einer Verfehlung.
Nicht-Bestimmungen können bei der Theoriebildung in verschiedenen Wei-
sen sinnvoll sein. Es gibt Kategorien wie z.B. „Waise”, die notwendigerweise
durch die Nichtexistenz von etwas anderem bestimmt sind. Darüber hinaus kön-
nen Nicht-Bestimmungen sinnvoll sein, da sie Differenzen zwischen ähnlichen
Gegenständen markieren und auf diese Weise einen Gegenstand vom Anderen
abgrenzen. Es kann bspw. sinnvoll sein, bei der Begriffsbestimmung des Popu-
lismus festzuhalten, dass Populisten in der Regel repräsentative Demokratie nicht
im Prinzip ablehnen, sie sich darin von faschistischer bzw. nationalsozialistischer
Politik unterscheiden (vgl. Müller 2016: 47f.; Jörke/Selk 2017: 73). Negative
Bestimmungen sind aber kein unmittelbarer Beitrag zur Analyse, sondern stellen
nur eine Voraussetzung für sie dar, da die Fokussierung des Gegenstands durch
seine Unterscheidung von anderen erleichtert wird. Problematisch wird es aller-
dings, wenn die Differenz zum Wesensmerkmal erhoben wird, da der Gegenstand
so mit seinem Unterschied zu Anderem identifiziert wird. Dies findet sich häufig
im Kontext mit Rechtspopulismus, der als Nicht-Demokratie mit den Unterschie-
den zur (etablierten) Demokratie gleichgesetzt wird, ohne die Gemeinsamkeiten
in Betracht zu ziehen, die mit der Demokratie bestehen.
Rechtspopulismus gilt in dieser theoretischen Sicht als Abweichung von einer
„eigentlichen“, „vernünftigen” oder „wahren“ Politik. Unabhängig vom jeweili-
gen Inhalt dessen, womit das Defizit konstruiert wird, rücken dadurch die logisch-
positiven Ziele in den Hintergrund. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass die Ver-
treter dieser Positionen nicht ihren defizitären Charakter als Begründungszusam-
menhang für ihr populistisches Programm anführen, sondern diese immer Kriti-
ken und Ziele formulieren, an die sie selbst glauben und die sie deshalb vertreten.
Insofern Defizite durch einen Vergleich mit etwas äußerlich Erwünschtem
konstruiert werden, geht es der Defizitperspektive nicht um die immanente Kritik
der Annahmen, Beurteilungen und Schlussfolgerungen rechtspopulistischer Auf-
fassungen. Das ist nicht nur für die politische Auseinandersetzung, sondern auch
für eine politische Bildung ein Problem, da die Abweichungslogik das theoreti-
sche Erfassen der Positionen verhindert oder zumindest erschwert. Zudem fokus-
siert die Defizitperspektive in der Regel Narrationen von Differenz, wohingegen
Gemeinsamkeiten zwischen Demokratie und Populismus aus dem Blick fallen.
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Lukas Boehnke und Malte Thran
Rechtspopulismus als Kombination dreier Teilideologien
Im Folgenden soll am Rechtspopulismusbegriff von Cas Mudde (2017) bzw.
Cas Mudde und Cristobal Kaltwasser (2017: 8; vgl. 2012b, 2013, 2017) und der
aktuellen Diskussion über diesen Begriff gezeigt werden, wie dabei begriffliche
und normative Elemente in einen widersprüchlichen Zusammenhang treten.
Mudde bzw. Mudde/Kaltwasser haben die in der Rechtspopulismusforschung
einschlägigste Definition erstellt, in dieser wird Rechtspopulismus als eine Ideo-
logie aufgefasst, die notwendigerweise drei Elemente miteinander verbinde: Po-
pulismus, Nativismus und Autoritarismus.
- Populismus ist eine „dünne“ Ideologie, sie kann rechte wie linke Positi-
onen beinhalten. Im Kern zeichne sie sich durch die Dichotomie „gutes
Volk“ – „korrupte Eliten“ aus.
- Nativismus fasst das Bedrohungsszenario, das für die eigene Nation
durch Menschen anderer Nationalität und ausländische Einflüsse im All-
gemeinen entsteht.
- Autoritarismus schildert ein bestimmtes Politikverständnis, in dem
durch strikte Durchsetzung des Gesetzes die innere Ordnung, die als be-
droht wahrgenommen wird, wiederhergestellt werden muss. Man kann
dieses Element des Rechtspopulismus auch so fassen, dass in der Durch-
setzung des Rechts die staatliche Souveränität stets mit durchgesetzt
werden müsse; dazu gehört Mudde (2017: 4) zufolge auch, dass soziale
Fragen vor allem als Ordnungsfragen, als Fragen einer „harten“ Durch-
setzung des Rechts betrachtet werden.
Populismus als manichäische Dichotomie
Populismus fassen Mudde/Kaltwasser (2017) als eine Heilslehre, in der sich
zwei moralisch konstruierte Pole gegensätzlich gegenüberstehen. Auf der einen
Seite stehe das moralisch gute Volk, auf der anderen Seite die moralisch
schlechte, „korrupte Elite“. Populisten gehe es darum, gegen die „korrupten Eli-
ten“ den Willen des Volkes in der Politik zu vertreten, ihm in Staat und Gesell-
schaft überhaupt erst Geltung zu verschaffen.
Diese allgemeine Bestimmung von Populismus setzt ein Urteil einer politi-
schen Krise voraus, das der populistischen Weltsicht immanent ist. Populisten
diagnostizieren eine Entzweiung oder Entfremdung von Staat und Volk, die sich,
mit Jörke/Selk (2017: 96), als „kollektive Enttäuschungserfahrung” bezeichnen
lässt. Der populistische Cleavage-Befund lautet, dass die Volkssouveränität nicht
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Defizitäre Populismusbegriffe
verwirklicht sei. Dies ist, wie Jörke/Selk (2017: 95) argumentieren, aber in mo-
dernen Demokratien nie der Fall. Volkssouveränität werde immer auch an ande-
ren Prinzipien wie zum Beispiel Liberalismus und Republikanismus relativiert.
Populisten messen die politische Wirklichkeit an ihrer verabsolutierten Vorstel-
lung von Volkssouveränität und konstatieren eine grundlegende „Abweichung
zwischen demokratischem Ideal und politischer Wirklichkeit” (ebd.). Dabei ist
festzuhalten, dass populistische Kritik für überparteiliche Anliegen eintritt und
sich insofern auf „gültige Normen der politischen Legitimität” beruft, die gegen
systematisch begriffene Korruption ins Feld geführt werden (Jörke/Selk 2017:
67f). Populismus ist insofern weder per se undemokratisch, noch notwendiger-
weise verfassungsfeindlich. Populismus ist stets eine Form der Opposition, in
welcher der in demokratischen Auseinandersetzungen gängige Konsens konkur-
rierender politischer Interessen grundsätzlich aufgekündigt ist. Während sich in
demokratischen Diskursen Konkurrenten um Ämter und Posten in der Regel ge-
genseitig zugestehen, das allgemeine Wohl zu verfolgen, behaupten Populisten,
dass konkurrierende Parteien und Politiker dieses Wohl gar nicht anstreben wür-
den. Die regierenden Parteien scheitern in dieser Sicht nicht aufgrund von Unver-
mögen, fehlender Fähigkeiten oder Fehlern, sondern aufgrund eines falschen Wil-
lens. Populisten bestreiten ihren Konkurrenten um die Macht die „gute Absicht“
zu verantwortlicher Politik.
Die Kategorie „Korruption” ist in diesem Kontext in einem weiteren Sinne zu
fassen, es geht nicht nur um (systematische) Fälle privater Vorteilsnahme eines
„volksfernen Establishment”, womit der Bruch des Allgemeinwohls durch Ver-
folgung von Privatinteressen der Politiker angeprangert wird. Die vorgestellte
Volksfeindlichkeit der Eliten kann sich in rechtspopulistischen Erklärungsmus-
tern auch in „unnationalen” Ideologien wie z.B. einem zu kosmopolitisch gefass-
ten Allgemeininteresse manifestieren. Die Eliten würden das Volk „verraten”, sie
würden dabei mit „Fake News” von einer „Lügenpresse” flankiert, die absichtlich
die Unwahrheit sage, um dem Volk zu schaden (vgl. Müller 2016: 63). Den Eliten
wird das Volk mit einer grundsätzlich positiven moralischen Qualität gegenüber-
gestellt, es wird die „Rechtschaffenheit des kleinen Mannes“ gegen ein moralisch
verkommenes Establishment hochgehalten (Holtmann/Krappidel/Rehse 2006:
71). Diese moralisierende Erklärung ist bereits der Kern jeder Verschwörungs-
theorie, die mit Groh (1992: 304) als Ausdruck einer Bewältigung von „Krisen-
situationen” betrachtet werden kann, in denen ein als unverdient interpretiertes
Unrecht durch eine feindliche Gruppe mit „bösen“ Absichten erklärt wird. Diese
Deutung geht von der Vorstellung eines harmonischen Miteinanders in Nationen
aus, in der alle berechtigten Interessen in der Nation und die Interessen der Nation
gleichsam aufgehen. Probleme aller Art, auch soziale, werden insofern als Aus-
druck einer gestörten Harmonie eingeordnet, und diese Störung wird erklärt aus
einem volksfeindlichen Willen der Elite der Nation.
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Lukas Boehnke und Malte Thran
Populisten leiten aus dieser Krisendiagnose ihren fundamentalen Anspruch
ab, die Nation wiederherzustellen, indem sie die verlorene Volkssouveränität im
Staat wieder realisieren. Populisten sind also unabhängig von der politischen Dif-
ferenzierung nach „links“ oder „rechts“ immer national, da es ihnen um die Wie-
derherstellung der gestörten Einheit der Nation geht (vgl. Decker/Lewandowsky
2009: 2). Der aus der Krisenanalyse populistischer Opposition heraus formulierte
Claim schließt dabei mit ein, das gesamte Volk als ein einheitliches zu repräsen-
tieren. Populismus lässt sich mit Reckwitz (2017: 414) als eine „Form des Politi-
schen“ bestimmen, die eine unmittelbare Identität von Volk und Staat anstrebt.
Die populistische Vorliebe für Plebiszite kann ebenso als Beleg dafür herangezo-
gen werden wie die Parole „Wir sind das Volk”. Müller (2016: 88f) argumentiert,
dass Populisten gewissermaßen das Ideal einer differenzlosen Repräsentation ver-
folgen, in der paradoxerweise Repräsentant und Repräsentierte möglichst iden-
tisch werden wird. Die Behauptung von Volkssouveränität gegen undemokrati-
sche Strukturen oder koloniale Repression kann unter Umständen auch als Kampf
um Demokratie (wie z.B. in der Vorwendezeit in der DDR) oder als Kampf um
nationale Unabhängigkeit gefasst werden. Dies verdeutlicht, dass man Populis-
mus als begriffliche und nicht als normative Kategorie fassen muss. Denn eine
Behauptung von Volkssouveränität gegen „korrupte Strukturen“ kann unabhän-
gig von einer Beurteilung der jeweiligen politischen Ausgangslage nicht als un-
demokratisch oder anderweitig „falsch“ gekennzeichnet werden.
Zusammengefasst lässt sich, auf einer begrifflichen Ebene, Populismus mit
der Dichotomie „gutes Volk“ – „korrupte Eliten“ sinnvoll beschreiben. Die
Schwierigkeit der Beurteilung von Mudde bzw. Mudde/Kaltwasser liegt aber da-
rin, dass der dem Populismus immanente Gegensatz von Volk und Eliten als „ma-
nichäisch“, als Heilslehre gefasst wird. Einerseits ist mit der Kategorie „Heils-
lehre“ der moralisierende Charakter der Dichotomie „gutes Volk“ – „korrupte
Eliten“ treffend gekennzeichnet. Andererseits aber wird mit dieser Bezeichnung
der politische Gehalt sakralisiert und dadurch implizit entpolitisiert. Dies ist in-
sofern ein Problem, als damit Populismus in die Nähe eines bloßen Glaubens ge-
rückt wird, worin ihm ein unpolitisch-defizitärer Status zugewiesen wird. Popu-
lismus erscheint am Maßstab sachlich-rationaler Politik gemessen als „bloßer“
Glaube, als unsachliche Weltanschauung.
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Defizitäre Populismusbegriffe
Homogenität als „Antipluralismus“
Defizitkonstruktionen finden sich auch im Zusammenhang mit der Kategorie
der Homogenität. Im Populismus werden alle Mitglieder des Volkes als gleichar-
tige gefasst. Die Gleichartigkeit kann sozial über eine vermeintliche oder wirkli-
che identische soziale ökonomische Lage (z.B. „hard working americans“) oder
kulturell über eine (vermeintlich) einheitliche nationale Identität konstruiert wer-
den (Reckwitz 2017: 415). Populisten verstehen sich als Ausdruck dieser einheit-
lichen Volkseigenschaft, die sie gegen das Establishment verteidigen, das am
Ideal des Volkes blamiert wird.
Mudde/Kaltwasser (2013: 499) kritisieren die „monistische Perspektive” des
Populismus, in der die Vielfalt von Gruppen und gesellschaftlichen Interessen
ausgelöscht werde. Dass Populisten eine Homogenität des Volkswillens unter-
stellen, ist nicht zu bestreiten. Problematisch wird es allerdings, wenn diese Ho-
mogenitätskonstruktion als „antipluralistisch“ bestimmt wird (vgl. Manow 2018:
6f). „Antipluralismus” ist einerseits für Populisten kein Problem; wenn sie das
„gute” Volk den „korrupten” Eliten gegenüberstellen, gibt es für sie offenbar eine
moralische Gleichartigkeit im Volk. Andererseits ist fraglich, ob Populisten tat-
sächlich gegenüber dem Pluralismus grundlegend negativ eingestellt sind, oder
ob sie nicht vielmehr eine eigene Pluralismuskonzeption vertreten; zu dieser kann
eventuell auch der Ethnopluralismus zählen, der im vorliegenden Beitrag nicht
weiter untersucht wird. Insofern Populisten sich, im Unterschied z.B. zum Fa-
schismus, innerhalb demokratischer „Spielregeln” betätigen, ist die Annahme ei-
ner vollständigen Ablehnung des Pluralismus zudem unlogisch.
Das analytisch interessante Spannungsverhältnis zwischen Pluralismus und
Populismus, wie auch zwischen Populismus und demokratischer Wahl wird mit
der Kategorie „antipluralistisch“ einseitig aufgelöst. Populismus erscheint so le-
diglich als Verstoß gegen den Wert des Pluralismus. In diesem Sinne ist auch die
Argumentation von Jan-Werner Müller (2016: 44ff) zu hinterfragen: Populisten
hätten, so Müller, einen „Alleinvertretungsanspruch“ für einen Volkswillen. Da
dieser allerdings in der Realität nicht homogen, sondern pluralistisch verfasst ist,
seien Populisten immer „antipluralistisch.“ Problematisch ist an dieser Schluss-
folgerung auch, dass damit Populismus an einem Maßstab konstruktiver Konkur-
renz, konstruktiven Mitwirkens bei der Gestaltung des Allgemeinwohls gemessen
wird, den Populisten – aufgrund ihrer Krisendiagnose – gerade ablehnen. Popu-
listen argumentieren nicht selten so, dass sie ihre Position als Ausdruck der Mei-
nungsfreiheit interpretiert sehen wollen, diese Selbstlegitimation impliziert ein
Bekenntnis zum Pluralismus, nicht dessen generelle Ablehnung. Zudem begrün-
den Populisten ihren Wunsch nach Beschränkung des existenten Pluralismus
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Lukas Boehnke und Malte Thran
meist damit, dass volksfeindliche Positionen aus ihm ausgeschlossen werden soll-
ten; auch dies ist keine prinzipielle Ablehnung des Pluralismus. Man kann daher
nach beiden Seiten hin betrachtet „Antipluralismus“ nicht als Wesensmerkmal
des Populismus festhalten. Das bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass von
einem demokratischen Standpunkt die Homogenitätsvorstellungen der Populisten
nicht kritisiert werden können. Es muss vielmehr differenziert werden zwischen
einem Unbehagen mit Populismus, das aus demokratietheoretischer Sicht formu-
liert werden kann und muss, und Eigenschaften, die den Populismus an und für
sich charakterisieren.
Symbolische Repräsentation als Empiriedefizit
Populisten unterstellen einen einheitlichen, „wahren” Willen, den sie - mit
„Mut zur Wahrheit” - zu vertreten behaupten (vgl. Müller 2016: 49). Müller (ebd.)
kennzeichnet diese Form der Repräsentation als symbolische, da nicht der empi-
rische Wille des Volkes vertreten werden solle, sondern ein Bild eines „eigentli-
chen“ Volkes – ein Volksideal. Dieses ideale Volk sei keine gegebene Größe,
sondern müsse, so Müller, immer erst entlang verschiedener Unterscheidungskri-
terien definiert werden. Die notwendige Kehrseite dieses Definitionsprozesses sei
ferner, dass empirische Teile des Volks als nicht dem Volksideal entsprechendes
(Un-)Volk betrachtet würden (ebd.: 130). Wenn es „wahre“ Amerikaner und
„echte“ Deutsche gebe, dann auch „falsche“ und „unechte.“ Hier besteht tatsäch-
lich ein zentraler Unterschied zur Repräsentationsvorstellung demokratischer Po-
litik. Während demokratische Politiker ihre Repräsentationsansprüche auf das
empirische Volk beziehen und sich insofern von Wahlen als Ausdruck des Volks-
willens in ihren Ansprüchen „korrigieren“ lassen, stellen Populisten, so Müller,
bei Wahlniederlagen eher das demokratische Prozedere sowie dessen Bedingun-
gen in Frage stellen. So retten sie damit angesichts „falscher” Wahlergebnisse ihr
Ideal vom Volk gegen dessen (vermeintliche) Unterdrückung, Verführung bzw.
allgemeiner formuliert mangelhafte Realisierung (ebd: 63ff).
Die von Müller (2016: 88, 130) charakterisierte symbolische Repräsentation
bezieht sich letztlich nicht auf einen empirischen Willen, sondern auf eine wil-
lensunabhängige Wesenheit, einen moralisch intakten „Volksgeist“, der in einem
„Heartland” (vgl. Taggart 2000; Mudde/Kaltwasser 2017: 9) verortet wird. Popu-
listen charakterisieren den Volkswillen meist über Zuschreibungen wie „Tugend
und harte Arbeit” (Müller 2016: 52), sie argumentieren für moralische Werte (De-
cker 2017: 16). Es ist an dieser Stelle wichtig, darauf hinzuweisen, dass es tat-
sächlich auch und gerade in liberalen Demokratien eine gelebte Moral bzw. Sitt-
lichkeit gibt, im Sinne einer wahrgemachten Fiktion eines einheitlichen Volks-
willens, eines gelebten und insofern auch in bestimmten Formen wahrgemachten
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Defizitäre Populismusbegriffe
Glaubens an eine nationale Gemeinschaft. Auf diese Vorstellungen beziehen sich
Populisten als Berufungsinstanz. Die Betonung, dass die von Populisten zu reprä-
sentierende Größe rein konstruiert sei oder sogar überhaupt nicht existiere (vgl.
Mudde/Kaltwasser 2013: 501), widerspricht auch dem Umstand, dass Teile des
Volkes diesen Repräsentationsansprüchen durch die Wahl recht geben. In der ge-
lebten Sittlichkeit eines Volkes sieht sich der Glaube an einen vorstaatlichen
Volksgeist bestätigt, auf den sich Populisten als Legitimation für ihre Politik be-
ziehen. Diese besondere Form der Legitimation von Populisten gilt, gemessen an
normativen Vorstellungen der etablierten Demokratie, als defizitäre Repräsenta-
tion. Der Hintergrund dieser Defizitkategorisierung liegt in der mit ihr geleisteten
Legitimationsbestreitung. Zusammengefasst beanspruchen Populisten somit, ein
(gelebtes) Volksideal, die Moralität des Volkes zu vertreten, wohingegen die
etablierten demokratischen Repräsentationsvorstellungen ihre Legitimität aus ei-
nem (messbaren) Wählerwillen beziehen. Allerdings sollte dabei nicht vergessen
werden, dass auch die etablierte demokratische Repräsentationsidee nicht moral-
frei ist, was sich zum Beispiel an den nur ihrem „Gewissen”, also einer morali-
schen Kategorie, verpflichteten Parlamentariern illustrieren lässt.
Populistische Politik beansprucht für sich, der Ausdruck eines Volksideals zu
sein und aus diesem konkrete Politik abzuleiten. Die besondere Fähigkeit des po-
pulistischen Politikers liegt diesem Selbstverständnis zufolge weniger in der Füh-
rung eines Volkes, als darin, den im Grunde guten Willen des Volkes zu erken-
nen, abzubilden, ihn zu artikulieren und im Staat geltend zu machen (Müller 2016:
47). Bereits an dieser Deutungsnotwendigkeit eines offenbar der Deutung noch
bedürftigen Volkswillens zeigt sich, dass Populisten sich auf eine ‚symbolische
Substanz‘ beziehen. Dass die Deduktion einer konkreten Politik aus dieser ‚Sub-
stanz‘ nicht nur von Populisten, sondern auch ihren Wählern geglaubt wird, ver-
weist aber eben auch darauf, dass diese Substanz offenbar ideologisch existent
sein muss. Dies wird von der Vorstellung des Empiriedefizits bestritten – es wird
die kontrafaktische Behauptung aufgestellt, dass das Repräsentationsverhältnis
von Populisten und ihren Wählern eigentlich gar keines sei.
Dass der populistische Repräsentationsanspruch ideologischer Natur ist, be-
deutet also, dass er nicht nur eine bloße „falsche Annahme” ist – er ist vielmehr
„wahr und zugleich falsch” (Eagleton 2000: 25). Das Volk, auf das er sich bezieht,
begreift sich schließlich selbst als ein durch eine nationale Identität bestimmtes –
die Konstruktion einer jenseits von Schicht und Klasse liegenden Gemeinschaft-
lichkeit ist kein bloßes Hirngespinst populistischer Ideologen. Bezogen wird sich
auf einen tatsächlich vorhandenen Glauben des Volkes, das dieses Homogenitäts-
konstrukt in verschiedenen Handlungen, nicht nur anlässlich von Fußballwelt-
meisterschaften, im gesellschaftlichen Alltag lebt (vgl. Eagleton 2000: 27-31ff.;
vgl. Billig 1995).
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Lukas Boehnke und Malte Thran
Nativismus als besondere Form des Nationalismus
Aus Populismus wird Cas Mudde (2017a: 4) zufolge Rechtspopulismus, wenn
zum Gegensatz Volk-Elite noch zwei weitere Bestimmungen hinzutreten, näm-
lich Nativismus und Autoritarismus.
Der Begriff Nativismus wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt,
um das Paradoxon zu charakterisieren, dass ein Einwanderungsland feindlich ge-
genüber Einwanderern sein kann (vgl. Peter 2015: 797). Nativistische Konstruk-
tionen der Nation werden dabei meist als Gegenteil von vermeintlich „offeneren”
nationalen Identitätskonstruktionen vorgestellt. Jeder Nationalismus ist allerdings
insofern ausgrenzend, als er Menschen entlang des Kriteriums der Zugehörigkeit
zur Nation einteilt und damit auch Privilegierungen und Diskriminierungen ver-
bindet. Durch seinen notwendig exklusiven Charakter wird Nationalismus aller-
dings noch nicht zum Nativismus, denn erst die Feindseligkeit gegenüber fremden
Nationszugehörigen ist dafür konstitutiv (Mudde 2017: 4). Nativismus enthält
stets die Beurteilung fremder Nationen bzw. nationaler Identität als Bedrohung
für die eigene Nation bzw. die eigene nationale Identität und strebt daher Verhält-
nisse an, in denen Nationalstaaten rein von Mitglieder der jeweiligen Nation be-
völkert sind (Mudde/Kaltwasser 2013: 502).
Ein Kernelement von Nativismus ist nationale Identität. Diese stellt die Kon-
struktion einer willensunabhängigen Zugehörigkeit zu einer Nation dar, die inso-
fern immer einen naturalisierenden und determinierenden Charakter aufweist.
Dabei ist keine einfache Entscheidung zur Zugehörigkeit gemeint, die sich von
Kalkulationen oder Argumenten leiten lässt, sondern vielmehr „ist“ man Deut-
scher, Amerikaner usw., die Zugehörigkeit zur Nation ontologisiert. Nationale
Identität enthält somit zwar eine Parallele zum Hoheitsakt, der mit Staatsbürger-
schaft verbunden ist, und diese liegt in der bedingungslosen Zurechnung zu einem
politischen Kollektiv. Hier ist mit Thorsten Mense (2016: 93) darauf hinzuwei-
sen, dass in Bezug auf Flucht und Migration mit dem Pass „ein bedrucktes Stück
Papier über Leben und Tod entscheiden kann.“ Während Staatsbürgerschaft aber
eine Bestimmung der Relation Staat-Bürger ist, wird in der nationalen Identität
die Zugehörigkeit zur Nation als Bestimmtheit des Nationszugehörigen selbst
imaginiert.
Man kann nationale Identität als eine Form fassen, wie „unabhängig von realer
Ungleichheit und Ausbeutung“ ein „kameradschaftlicher Verbund von Gleichen“
vorgestellt wird (Anderson 1996: 17), somit als abstrakte Gemeinschaft. Auch in
der Frage, ob sich die Politik der Pflege und Betreuung dieser Identität annehmen
solle, besteht keine Differenz zu etablierter demokratischer Politik. Auch wenn
es konkurrierende Annahmen über den Inhalt von Identität und mitunter auch die
19
Defizitäre Populismusbegriffe
Vielfältigkeit als der Inhalt dieser Identität gedacht wird, was die Identität ausma-
chen soll, so muss jede Identitätskonstruktion der Form nach homogen sein - denn
schließlich soll sie das einigende Band aller Zugehörigen zur Nation sein, muss
also allen gleichermaßen und als gleiche Qualität zukommen.
Natur als Form und Gesellschaft als Inhalt
Insofern nationale Identität immer eine Gleichförmigkeit aller Mitglieder der
Nation postuliert, und diese Gleichförmigkeit nicht in Willensakten, sondern in
Eigenschaften gegeben sei, ist nationale Identität immer homogen. Es ist hier
sinnvoll, zwischen der Form der nationalen Identitätskonstruktion und ihrem In-
halt zu unterscheiden. Während der Form nach jede Identitätskonstruktion als Na-
turkonstruktion gedacht wird, sind moderne Vorstellungen von Identität dem In-
halt nach meist nicht naturalistisch. Liberale bzw. demokratische Identitäts-
konstruktionen, zu denen auch (rechts-)populistische zu zählen sind, unterschei-
den sich von faschistischen bzw. rechtsextremistischen darin, dass im engeren
Sinne rassistische Kategorien (z.B. „Blut”) nicht gewählt werden. Mense (2016:
47) unterscheidet zwischen einer „ethnic nation“ und einer „civic nation“, wobei
er in der ethnischen Nation auch Kultur als Merkmal fasst, wohingegen in der
politischen Nation – wie sie nach der Revolution in Frankreich vorgestellt wurde
– die Zugehörigkeit als Willensleistung betont werde, die auf der Einsicht in die
Notwendigkeit einer politischen Organisation der Gesellschaft gründe.
Kultur als Kriterium der nationalen Identität ist einerseits, im Vergleich zu
rassischen Identitätskonstruktionen, eine veränderliche Größe (vgl. Le-
wandowsky 2017: 7). Allerdings bekommt Kultur, wenn sie Identität begründen
soll, notwendigerweise eine neue Qualität, und zwar nicht nur, weil damit Best-
immungen von gesellschaftlicher Subjektivität naturalisiert werden, sondern
auch, weil damit ein nationaler Kulturbegriff gedacht wird. Welsch (2010) hat
diesen als „Kugelmodell” gekennzeichnet, mit dem eine reine, von äußeren Ein-
flüssen uninspirierte „Nationalkultur”, eine Homogenitätsfiktion” gedacht werde.
Auch Steinfeld (2018) kritisiert die Essentialisierung von Kultur, er argumen-
tiert, dass dadurch „etwas gesellschaftlich Erworbenes, also Kultur, in etwas na-
türlich Vorausgesetztes” umgedeutet werde. Das „Branding”, das sich Nationen
aufgrund ihrer Gleichartigkeit als unterscheidendes „Alleinstellungsmerkmal”
suchten, sei mit dem Bestreben von Marketingexperten zu vergleichen, aus-
tauschbaren Waren im Interesse ihrer Vermarktung eine vermeintlich einzigartige
Besonderheit anzuhängen.
20
Lukas Boehnke und Malte Thran
Das Bestreben, eine nationale Identität zu definieren, die unverwechselbar die
besondere Eigenart der jeweiligen Nation darstelle, sei insofern immer auch als
Reflex auf die Austauschbarkeit von modernen Nationen hin zu betrachten, die in
ihren allgemeinen Wesenszügen gerade nicht einzigartig seien.
Bedrohte Identität
Demokratische und rechtspopulistische Sichtweisen auf nationale Identität
unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich des Inhalts, sondern auch in Bezug da-
rauf, inwieweit diese Identität als verwirklicht bzw. gefährdet betrachtet wird.
Während in demokratischen Nationskonzepten die Identität des Volkes als erfolg-
reich verwirklicht gesehen wird, betrachten Rechtspopulisten diese Gemeinschaft
als bedroht. Der Nativismus begreift Identität dabei nicht nur als durch innere,
sondern vor allem durch äußere Einflüsse bedroht. Eine wesentliche Besonderheit
rechtspopulistischer Betrachtung von nationaler Identität liegt darin, dass das
Verhältnis der eigenen zu anderen Nationen als ein tendenziell gegensätzliches
gefasst wird. Rechtspopulisten gehen von einer feindlichen „Umwelt” aus, in der
das Volk durch ein feindliches Ausland bzw. Ausländer bedroht werde, dass es
also um Verteidigung bzw. Selbstbehauptung des Volkes in verschiedenen Poli-
tikfeldern gehen müsse.
Rechtspopulisten ergreifen daher für die Verteidigung der Grundlagen der Na-
tion Partei. Sie plädieren generell für die Selbstbehauptung des eigenen Volkes
und „seines“ Staates gegen schädliche Elemente, die mit ihrer abweichenden Ei-
genart die Ordnung und das Volk in seiner Reinheit stören. Dabei zeichnet sich
der Nativismus durch einen inneren Widerspruch aus. Schädliche äußere Ein-
flüsse bedrohen die Identität, die insofern als flexibel und fluktuierend, als durch
Äußeres beeinflussbare gedacht wird. Probleme und Störungen der Nation erklä-
ren sich in dieser Sichtweise aus einer identitätsstörenden oder -zerstörenden An-
wesenheit von Individuen mit der falschen, nicht-eigenen Identität (Vgl.
Boehnke/Thran 2015: 195). Zugleich aber ist sie so starr, unabänderlich und
nicht-übertragbar, dass Vorstellungen der Integration als nur schwer möglich oder
sogar als unmöglich beurteilt werden. Die Widersprüchlichkeit einer Identität, die
ihre Mitglieder nicht nur immer noch suchen, sondern auch beständig verteidigen
müssen, zeigt sich auch darin, dass es staatliches Wirken braucht, um sie im In-
neren zu schützen. Wenn nämlich nur aufgrund hoheitlicher Politik das „Wesen“
des Volkes realisiert werden kann, dann ist es offenbar nicht an und für sich be-
reits dies „Wesen“, dann handelt es sich gerade nicht um ein staatsunabhängiges
„so-sein“ einer bestimmten Gruppe.
21
Defizitäre Populismusbegriffe
Nativismus als defizitärer Nationalismus
Es gibt verschiedene Formen, in denen die spezifisch rechtspopulistische
Identitätskonstruktion als defizitär gefasst wird. Zum einen wird betont, dass der
moderne Nationsbegriff über Vorstellungen von Rasse bzw. Natur hinaus sei.
Dort, wo Rechtspopulisten nicht kulturalistisch, sondern naturalistisch argumen-
tieren, wird ihnen dies als Abweichung von einem modernen Begriff von Nation
entgegengehalten. Zugleich gilt das Bild einer grundsätzlichen Gegensätzlichkeit
von nationalen Identitäten als defizitär, da Vielfalt als Wert anerkannt zu werden
habe, obwohl Vielfalt und deren Begrenzung in der Nationszugehörigkeit sich
notwendig widersprechen. Problematisch werden diese Defizitkonstruktionen,
weil sie zum einen die Gemeinsamkeiten zwischen demokratischen und populis-
tischen Identitätsvorstellungen übersehen und zum anderen dem Rechtspopulis-
mus Bestimmungen anlasten, die demokratischen Vorstellungen ebenso imma-
nent sind.
Dass kulturessentialistische Vorstellungen gar nicht so weit entfernt sind von
Vorstellungen des Deutsch-seins als Einheit in Vielfalt, wird auch in Defizitkon-
struktionen übersehen, die „chauvinistische“ Abwertungen als zu kritisierende
Bestimmungen in den Vordergrund rücken (vgl. Wodak 2016: 64). Nativismus
erscheint in dieser Perspektive nicht als eigenlogische Konstruktion von nationa-
ler Identität, sondern als Abweichung von einer „richtigen” Identität und einem
„richtigen“ Verhältnis von nationalen Identitäten, das in einem Anerkennungs-
verhältnis anstelle eines Gegensatzverhältnisses bestünde. Von der Kritik ausge-
klammert wird damit die als selbstverständlich gedachte Differenzierung von
Menschen nach Nationszugehörigkeit und die Verwandlung der nationalen Dif-
ferenzkategorie in eine Identität, in ein gruppenspezifisches Wesensmerkmal der
so unterteilten Menschheit.
Autoritarismus
Das dritte Element, das Mudde (2017: 4) zufolge für den Rechtspopulismus
konstitutiv ist, ist der Autoritarismus. Dieser wird als Glauben an eine hart durch-
gesetzte Ordnung verstanden, in der mittels „law and order policies” (ebd.) Ver-
gehen hart bestraft werden. Auch bei diesem Element sind begriffliche und defi-
zitorientierte Sichtweisen miteinander verschränkt. Auf begrifflicher Ebene lässt
sich festhalten, dass der Wunsch nach restriktiver Durchsetzung der Ordnung von
einer Lagebeurteilung ausgeht, in der die Ordnung – und die sie schützende In-
stanz – als bedroht betrachtet werden. Der autoritäre Politiker, der autoritäre Staat
soll deshalb mit seiner Macht die Ordnung nach innen durchsetzen und vor äuße-
ren Einflüssen schützen, die Macht ist insofern kein Selbstzweck, sondern Not-
wendigkeit der Verteidigung einer Ordnung, die in der Demokratie nicht bzw.
22
Lukas Boehnke und Malte Thran
nicht in dieser grundsätzlichen Weise in Frage gestellt gesehen wird. Dass es an
dieser Ordnung im Volk ein Bedürfnis gibt, lässt sich, angesichts der Betrachtung
einer gefährdeten Ordnung, dann auch als Sehnsucht nach einer „harten Hand“
von unten denken, die die Ordnung gegen widerständige Elemente durchsetzt.
Dieses Bedürfnis, dies haben die Mitte Studien gezeigt (Decker/Kies/Brähler
2015: 14), ist in der Bevölkerung weit verbreitet. Es kann also zusammengefasst
von Autoritarismus auf zwei Ebenen gesprochen werden, zum Einen gibt es einen
politischen Autoritarismus, der auf der Ebene des Staates vorliegt, zum Anderen
den psychologischen Autoritarismus bzw. „autoritären Charakter“, der auf der
Ebene der Individuen verortet liegt.
So wie auch im Kontext mit Nativismus eine mangelhafte Identitätsvorstel-
lung als Defizit der Rechtspopulisten konstruiert wird, so wird auch der Autorita-
rismus als mangelhaftes Verhältnis von Volk und Staat gedeutet. Der Konflikt
zwischen der Aufrechterhaltung einer bestehenden und der Durchsetzung einer
nicht oder nur teilweise bestehenden Rechtsordnung, der sich u.a. auch im Straf-
maß („drakonische Strafen“) geltend machen kann, wird in dieser Sicht dann als
Unrecht bzw. als Verstoß gegen Rechtsstaatlichkeit gedeutet. Dadurch wird die
Infragestellung der Ordnung, die Rechtspopulisten als gegebene Lage sehen, im-
plizit abgestritten.
Defizitperspektiven in der politischen Bildung
In der politischen Bildung gibt es die Tendenz, Rechtspopulismus als Defizit-
phänomen zu betrachten. Am Beispiel des Leitfadens „Rechtspopulismus durch-
schauen und Paroli bieten“ von Katrin Matuschek und Sarah Morcos (2016: 1)
lässt sich verdeutlichen, wie Rechtspopulismus im Sinne einer Defizitperspektive
problematisiert wird.
„Rechtspopulistische Argumentationsstrategien sind häufig antidemokratisch, antielitär, antiplu-
ralistisch und menschenfeindlich und berufen sich meist auf Verschwörungstheorien. Populismus
ist u.a. ein Phänomen gesellschaftlicher Modernisierungskrisen und gibt vereinfachende Antwor-
ten auf komplexe Probleme. Dabei funktioniert Populismus emotional und nicht rational. [...]
Denken, Handeln und Sprache von Rechtspopulist_innen richten sich gegen unsere pluralistische,
demokratische und offene Gesellschaft. Rechtspopulist_innen markieren die Grauzone zwischen
demokratisch-konservativ und rechtsextrem. Populisten benutzen eine aggressive Rhetorik und
konstruieren ein »Wir gegen die!«, das verschiedene Bevölkerungsgruppen gegeneinander aus-
spielt.” (Matuschek/Morcos 2016: 1
)
Der Leitfaden argumentiert mit einer deutlichen Konfrontation von Demokra-
tie, Rationalität und Wahrheit auf der einen und Rechtspopulismus, Emotionalität
und Lüge auf der anderen Seite. Am Rechtspopulismus wird der Bruch von Nor-
men der Demokratie festgehalten, er wird mit Defizitkategorien als feindseliges
23
Defizitäre Populismusbegriffe
und weltfremdes Gegenteil demokratischer Politik gefasst. Jene erscheint in die-
ser dichotomischen Zuschreibung als grundsätzlich rational, der Komplexität der
Gesellschaft angepasst und tolerant. Auf diese Weise wird ein unkritisches Bild
von „unserer“ Gesellschaft gezeichnet. Denn es ist in Frage zu stellen, ob in jener
nicht ebenfalls „Bevölkerungsgruppen gegeneinander“ ausgespielt werden wie
zum Beispiel „jung“ gegen „alt“ oder „beschäftigt“ vs. „arbeitslos“. Zudem wer-
den auch in der Demokratie sehr geschlossene Vorstellungen von Wertebewusst-
sein und Integration vertreten usw.
In diesem Ansatz wird Rechtspopulismus als moralisch mangelhaftes Phäno-
men bestimmt. Die Handlungsstrategie gegen Rechtspopulismus orientiert sich
an dieser Logik. Die Mängel von „Lügen und rechtspopulistischen Gesprächs-
strategien” sollen erstens durch Faktenchecks überführt werden, also im Rahmen
einer Entlarvungsstrategie (Matuschek/Morcos 2016: 6). Zweitens solle in der
politischen Bildung vor allem der eigene Standpunkt konfrontativ gegen rechts-
populistische Auffassungen gestellt werden und dabei soll an „gemeinsame
Werte“ appelliert werden (ebd.). Gerade in dieser Kombination von Entlarvung,
Konfrontation und moralischer Einvernahme erweist sich das skizzierte Vorge-
hen als ein defizitorientiertes. Zwar konstruieren Rechtspopulisten in der Tat be-
stimmte Fakten, dies muss in der politischen Bildung selbstverständlich auch the-
matisiert und richtiggestellt werden. In den Fokus der politischen Bildung sollte
aber die Deutung der Fakten, treten. Diese sollte in ihrer inneren Logik rekonstru-
iert und in ihrer Widersprüchlichkeit offengelegt wird. Die Argumentationen, mit
denen Rechtspopulisten aus Arbeitslosigkeit und demographischem Wandel eine
von Geflüchteten bzw. der Migrationspolitik verursachte Krise der Nation kon-
struieren, können nicht durch den Verweis auf die Empirie widerlegt werden, son-
dern nur durch die Rekonstruktion der inneren Widersprüchlichkeit der vorge-
brachten ideologischen Deutungen. Dabei sollte natürlich die eigene Position, von
der aus Akteure der politischen Bildung argumentieren, offengelegt und für die
Teilnehmenden in Bildungsprozessen transparent gemacht werden. Aber mit dem
Beziehen einer Gegenposition sind rechtspopulistische Positionen gerade nicht
widerlegt, da ihnen auf diese Weise kein immanenter Mangel nachgewiesen wird.
Politische Analysekompetenz durch Ideologietheorie
Die politische Bildung verfolgt unterschiedlichste Ziele, eine übergeordnete
Stellung nimmt dabei aber die Mündigkeit des Bürgers ein (vgl. Bremer/Gerdes
2012: 683). Dabei geht es neben der Vermittlung eines demokratischen Wertebe-
wusstsein vor allem um den Erwerb von Orientierungswissen und analytischer
Fähigkeiten, mithilfe derer sich der Mensch politisch entfalten kann (Rothe 1999:
24
Lukas Boehnke und Malte Thran
97). Im Zentrum der Bemühungen steht damit ein eigenständig denkendes Indi-
viduum, das aufgrund eigener Kenntnisse, Haltungen und Interessen sich als po-
litisches Subjekt zu betätigen vermag. Die politische Bildung will diese Selbstbe-
stimmtheit fördern, sie versteht sich selbst insofern als eine „Anstiftung zur
Freiheit“ (Sander 2007, 43). In Bezug auf das Phänomen Rechtspopulismus be-
deutet dies, dass der Ermöglichung von Analysekompetenz in der politischen Bil-
dung eine zentrale Bedeutung zukommt.
Markus Gloe und Tonio Oeftering (2017: 26) schlagen unter dem Titel „poli-
tische Bildung meets politische Theorie” vor, dass politische Theorie in „Bildung
zur Demokratie“ transformiert werden solle. Ihnen zufolge müsse es Aufgabe der
politischen Theorie sein, demokratische Alternativen aufzuzeigen, die als solche
wiederum „höchst relevant für den politischen Bildungsprozess” (ebd.) und von
der Politischen Bildung sowohl nach Seiten der Theorie als auch ihrer Objekte
(die Lernenden) zu reflektieren wären.
In diesem Sinne kann die politische Bildung erstens versuchen, die Analyse-
kompetenz der Bürger zu fördern und zu diskutieren, was Populismus und insbe-
sondere Rechtspopulismus ist. Es geht insofern um das Verständnis der Logik des
Rechtspopulismus im Allgemeinen und rechtspopulistischer Standpunkte in be-
sonderen Politikfeldern – Ideologietheorie muss zum Bestandteil von politischer
Bildung werden. Zugleich muss zweitens in Betracht gezogen werden, dass
Rechtspopulismus ein Ausdruck tiefer liegender Probleme ist und in rechtspopu-
listischen Auffassungen reale gesellschaftliche Phänomene ideologisch gedeutet
werden. Es bedarf daher nicht nur der ideologietheoretischen Aufklärung über
Gründe von rechtspopulistischen Denkmustern, sondern auch gesellschaftswis-
senschaftliche Aufklärung über strukturelle Problemlagen und deren Ursachen.
Ideologie- und Gesellschaftstheorie stellen die Grundlage dafür da, dass drittens
mittels argumentativer Ideologiekritik den rechtspopulistischen Auffassungen
der Boden entzogen werden kann.
Während politische Analysekompetenz also eine Distanz zu eigenen Auffas-
sungen einnehmen muss, damit sie sich auf die Eigenlogik der rechtspopulisti-
schen Ideologie zum Ziel ihrer Rekonstruktion und Kritik einlassen kann, ist darin
nicht eingeschlossen, dass Normativität unterbleiben müsse. Vielmehr kann poli-
tische Analysekompetenz als Grundlage für fundiertes Argumentieren für demo-
kratische Normen verstanden werden. Dabei ist allerdings wichtig, dass Norma-
tivität nicht, wie im Rahmen der Defizitlogik ausgeführt, unter der Hand in
Bestimmungen des Rechtspopulismus verwandelt und somit gewissermaßen „un-
bewusst“ zum Vermittlungsgegenstand der politischen Bildung gerät. Vielmehr
ist es notwendig, dass Normativität auch zum Gegenstand politischer Analyse
werden muss, sie selbst thematisiert wird. Indem Normativität offengelegt wird,
25
Defizitäre Populismusbegriffe
wird überhaupt erst ein aufgeklärtes Verhältnis zu ihr ermöglicht, wird ein demo-
kratisches Wertebewusstsein auch für jene begründbar, bzw. verständlich, die
diese Werte aufgrund von populistischen Wahrnehmungsmustern in anderer
Weise betrachten, sie wie gezeigt einerseits überhöhen und andererseits negieren.
Dabei muss zudem berücksichtigt werden, dass politische Bildung nicht nur
dem Indoktrinationsverbot verpflichtet ist, sondern dass rechtspopulistische Auf-
fassungen überwiegend – im Unterschied zu rechtsextremen Ideologien – inner-
halb des Pluralismus der Demokratie verortet sind. Die politische Bildung muss
Differenz in den politischen Auffassungen zulassen: Es gibt in Demokratien kein
Recht darauf, dass Andere die „richtige Meinung“, also meistens die eigene, tei-
len. Rechtspopulismus muss daher zwar innerhalb der Grenzen des Meinungsplu-
ralismus anerkannt werden. Rechtspopulistische Äußerungen sind zudem nicht
erst dann zu kritisieren, wenn sie diese Grenzen überschreiten. Dass Rechtspopu-
lismus durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist, bedeutet jedoch nicht, dass sich
die politische Bildung mit einer vermeintlich werturteilslosen Haltung auf Belie-
bigkeit verpflichten lassen müsse. Vielmehr halten wir es für geboten in einem
herrschaftsfreien Diskurs offen zu argumentieren und die widersprüchlichen Lo-
giken rechtspopulistischer Auffassungen zu kritisieren.
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