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Kritische Überlegungen zum Begriff des Morphs und seiner Funktion im Beziehungsgeflecht Morph – Morphem – Wort (in: Philologie im Netz (PhiN) 71, 62–92)

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Abstract

Critical considerations about the notion 'morph' and its function in the complex relationship between morph – morpheme – word The starting point of the following contribution was the consideration that in current introductions to linguistics (or morphology) the linguistic term 'morph' is often not classified and defined with the same precision as its necessary counterpart 'morpheme' or sometimes it is not used at all. Against the background of this observation has aroused the question if the structuralist notion 'morph' is still useful in modern morphology? The investigation starts therefore with an outline of the history of the terms 'morpheme' and 'morph' with the facts to keep in mind that 'morpheme' was coined pre-structuralist, but made popular by Bloomfield, whereas 'morph' and 'allomorph' are terminological products of the time when American structuralist research reached its climax. The next step was a thorough analysis of the treatment of these notions in introductory works to linguistics, with the result of often incoherent definitions. The following chapter gave an insight in current morphological and morphosyntactic theories and their treatment of the here discussed terms. Final result: The modern theories chosen as examples as well as the often fuzzy definitions in the introduction handbooks showed clearly that there is a general need to denominate a morphological unit under the level of a word, which is still useful to call 'morpheme', but the term 'morph' should be reserved to strict classical structuralist analysis.
Philologie im Netz
Herausgegeben von Paul Gévaudan, Hiltrud Lautenbach, Alexander Nebrig, Peter Schneck und Dietrich Scholler
71/2015
Aufsätze
Carlos Primo Cano: Una isotopía oceánica del deseo: [1–23]
Kim Ebensgaard
Jensen:
Beware the Beast in Black: The Cognitive Poetics of Terror in "Night
Crawler" [24–61]
Roger Schöntag /
Corina Petersilka:
Kritische Überlegungen zum Begriff des Morphs und seiner Funktion
im Beziehungsgeflecht Morph – Morphem – Wort [62–92]
Daniel Thomières: Woman Trouble in Mississippi: The Empty Symptom of
[93–113]
Rezensionen
Léonce Lupette: Irene M. Weiss (Hg.) (2014):
. Würzburg: Königshausen &
Neumann. [114–118]
Helen Perdicoyianni-
Paléologou:
Alain Blanc (2008):
Collection linguistique publiée par la Société
de linguistique de Paris XCIV. Louvain–Paris: Peeters. [119–120]
Publikation: erscheint vierteljährlich im Internet unter den Adressen
"http://www.phin.de" und "http://www.fu-berlin.de/phin". Ansicht, Download und
Ausdruck sind kostenfrei. Veröffentlicht werden ausschließlich Originalbeiträge. Alle
Rechte vorbehalten. ISSN: 1433-7177.
Herausgeber: Paul Gévaudan, Redaktion Tübingen, Romanisches Seminar,
Eberhard-Karls-Universität, Wilhelmstraße 50, 72074 Tübingen
Hiltrud Lautenbach, Redaktion Berlin, Institut für Romanische Philologie,
Freie Universität Berlin, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin
Alexander Nebrig, Redaktion Berlin (HU), Institut für deutsche Literatur,
Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 10099 Berlin
Peter Schneck, Redaktion Osnabrück, Institut für Anglistik und Amerikanistik,
Universität Osnabrück, Neuer Graben 40, 49069 Osnabrück
Dietrich Scholler, Redaktion Mainz, Romanisches Seminar, Johannes Gutenberg-
Universität Mainz, Welderweg 18, 55099 Mainz.
E-Mail: editor@phin.de
PhiN 71/2015 - Inhaltsverzeichnis | Contents http://web.fu-berlin.de/phin/phin71/p71i.htm
1 von 2 03.03.2015 08:12
PhiN 71/2015: 62
Roger Schöntag und Corina Petersilka (Erlangen-Nürnberg)
Kritische Überlegungen zum Begriff des Morphs und seiner Funktion im
Beziehungsgeflecht Morph – Morphem – Wort
Critical considerations about the notion 'morph' and its function in the complex relationship
between morph – morpheme – word
The starting point of the following contribution was the consideration that in current introductions to
linguistics (or morphology) the linguistic term 'morph' is often not classified and defined with the same
precision as its necessary counterpart 'morpheme' or sometimes it is not used at all. Against the
background of this observation has aroused the question if the structuralist notion 'morph' is still useful
in modern morphology? The investigation starts therefore with an outline of the history of the terms
'morpheme' and 'morph' with the facts to keep in mind that 'morpheme' was coined pre-structuralist, but
made popular by Bloomfield, whereas 'morph' and 'allomorph' are terminological products of the time
when American structuralist research reached its climax. The next step was a thorough analysis of the
treatment of these notions in introductory works to linguistics, with the result of often incoherent
definitions. The following chapter gave an insight in current morphological and morphosyntactic
theories and their treatment of the here discussed terms.
Final result: The modern theories chosen as examples as well as the often fuzzy definitions in the
introduction handbooks showed clearly that there is a general need to denominate a morphological unit
under the level of a word, which is still useful to call 'morpheme', but the term 'morph' should be
reserved to strict classical structuralist analysis.
1 Vorüberlegungen
Als grundlegendste Einheit in der morphologischen Betrachtung wird meist das
Morphem angesehen, schon allein deshalb, weil das damit beschriebene Phänomen
durch einen genuin linguistischen Begriff erfaßt wird, der allerdings, wie
Luschützky (2000: 452) süffisant bemerkt, selbst als "elementarste[r] Terminus der
linguistischen Morphologie mit einem morphologischen Geburtsfehler behaftet" ist,
insofern im Altgriechischen zwar mόrphōma bezeugt ist,1 aber kein *mόrphēma (im
Gegensatz zu phnēma). Der Morphem-Begriff ist zentraler Bestandteil der
strukturalistischen Sprachwissenschaft, d.h., derjenigen Theorie, die konstitutiv für
die moderne Sprachbetrachtung an sich war und immer noch ist, während der
allgemeinsprachliche Terminus 'Wort' zunächst als unpräzise möglichst
ausgeklammert wurde und erst in jüngerer Zeit wieder mehr Platz in der
theoretischen Betrachtung zugestanden bekommt.
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
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In der vorliegenden Untersuchung soll, entgegen den üblichen Gepflogenheiten, der
ebenfalls strukturalistische Begriff 'Morph' im Fokus stehen. Auffällig ist nämlich,
daß die linguistische Einheit des Morphs, wohl nicht zuletzt wegen ihrer
Unterordnung unter das Morphem, eher selten Gegenstand des Interesses, in
manchen Abhandlungen auch gar nicht definiert oder thematisiert wird und mitunter
völlig aufgegeben wurde.
Ziel der folgenden Darstellung ist es deshalb, nach einem kurzen Überblick zur
begrifflichen Entstehungsgeschichte (Kap. 2) systematisch (romanistische)
Einführungsbücher, Nachschlagewerke und Handbücher auf ihre Behandlung des
Morphs (und Morphems) hin zu untersuchen (Kap. 3.1) sowie anhand von einigen
ausgewählten, modernen Theorien der Frage nachzugehen, ob es eine
Verwendungsweise des Begriffes jenseits des Strukturalismus gibt (Kap. 3.2).
Abschließend sollen dann, vor dem Hintergrund der gesammelten Erkenntnisse in
der einschlägigen Literatur, die grundlegenden Probleme der Anwendung des
Morph-Begriffes noch einmal erörtert werden sowie dessen Sinnhaftigkeit innerhalb
eines strukturalistischen Systems und darüber hinaus zur Diskussion gestellt werden
(Kap. 4, 5).
2 Historischer Abriß zur Entstehung der Begriffe 'Morphem' und 'Morph'
Die Vorgeschichte des sprachwissenschaftlichen Begriffes 'Morph' beginnt mit
seinem begrifflichen und inhaltlichen Bezugselement, nämlich dem 'Morphem'.
Diesen entwickelte der polnische Linguist Jan (Ignacy Niecisław) Baudoin de
Courtenay (russ. Iwan Alexandrowitsch Boduen de Kurtene; 1845–1929) aus der
Kasaner Schule in seinen Vorlesungen ab 1878/1879 (publiziert 1880) in Anlehnung
an den bereits von Saussure verwendeten Begriff des Phonems.2
Morphem = jeder, mit dem selbständigen psychischen Leben versehene und
von diesem Standpunkte (d.h. von dem Standpunkte eines selbständigen
psychischen Lebens) aus weiter unteilbare Wortteil. Dieser Begriff umfasst
also: Wurzel (radix), alle möglichen Affixe, wie Suffixe, Praefixe, als
Exponenten syntaktischer Beziehungen dienende Endungen, usw.3 (Baudouin
de Courtenay 1895: 19)
In dieser Definition sind bereits die wesentlichen Merkmale des heute noch immer
gebräuchlichen Morphem-Begriffes enthalten. Das zentrale Kriterium, nämlich, daß
es sich um eine Spracheinheit mit Bedeutung handelt, tritt deutlich hervor, wenn
formuliert wird, daß im Gegensatz zu den Phonemen "eben nur die Morpheme
semasiologisch unteilbare sprachliche Einheiten darstellen" (Baudoin de Courtenay
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
1895: 12).
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Dazu gehört das ebenfalls heute noch valide Kriterium, daß das Morphem das
kleinste Element der Sprache mit einer Bedeutung ist, also "semasiologisch
unteilbar". Bezüglich der Extension des Begriffes wird mit Wortwurzel, Affix
(Suffix, Präfix) und Flexionsendung ebenfalls auf die immer noch gültigen
Erscheinungsformen eines Morphems verwiesen. Abgesehen von dem
psychologisierenden Moment bei Courtenay, insofern er in seiner Definition
Bedeutung als "psychisches Leben" charakterisiert, legt er mit seiner
Begriffsbestimmung den Grundstein für das heutige Verständnis von Morphem. In
gleicher Weise ergeben sich aber auch bereits ab ovo die dieser Charakterisierung
innewohnenden Probleme. Zum einen operiert er mit dem allgemeinsprachlichen
Begriff 'Wort' (hier: "Wortteil"), der offensichtlich trotz der unübersehbaren Vielzahl
der von den Kasaner Linguisten geprägten Fachtermini immer noch nötig erscheint
und bis in unsere Tage zu oft zirkulären Definitionen im Zusammenhang mit den
davon abhängigen Begriffen 'Morphem' und 'Lexem' führt; zum anderen ist, wie die
weiteren Ausführungen und seine Beispiele zeigen, nicht ganz eindeutig, ob er unter
'Morphem' ein "minimales Sprachzeichen" versteht oder eine "Menge
inhaltsgleicher minimaler Sprachzeichen" (Mugdan 1986: 31). Die Frage, wie
morphematische Alternationen begrifflich einzuordnen sind, ist nach wie vor nicht
einheitlich geklärt und hat uns eine Vielzahl von voneinander abweichenden
Vorstellungen des Morphembegriffes beschert.
Eingang in die französische Linguistik hat das 'Morphem' durch eine Übersetzung
von Karl Brugmanns (1849–1919) Kurze[r] vergleichende[r] Grammatik der
indogermanischen Sprachen (1902–1904) durch Antoine Meillet (1866–1936)
gefunden, der dessen elementum formans, welches Affixe und
Wurzeldeterminationen umfaßte, mit morphème übersetzte (Brugmann 1904: 285;
Übersetzung Meillet 1905: 301). Hierbei wurde jedoch das Morphem auf rein
grammatische Sprachelemente reduziert. Diese Auffassung setzt sich dann in der
bekannten Unterteilung von André Martinet (1908–1999) fort, der zwischen 'Lexem'
(lexikalisch) und 'Morphem' (grammatisch) unterscheidet und diese Dichotomie in
dem zusammenfassenden Oberbegriff 'Monem' auflöst (1960: §1.9). Eine sich von
dem grammatischen Aspekt ableitende Auffassung von 'Morphem' vertrat Louis
Hjelmslev (1899–1965), der darunter ein unselbstständiges Sprachelement mit einer
grammatischen Bedeutung verstand, welches sich mit einem Semantem (später:
Plerem) verbinden muß (Hjelmslev 1928: 230; Hjelmslev 1938). Für ihn ist ein
Morphem dementsprechend ein relationales Element, welches nur dann existiert,
wenn ihm inhaltlich ein Semantem zugeordnet wird und auf der Ausdrucksseite ein
oder mehrere Phoneme (hier: eine beliebige Lautkette) das Morphem verkörpern.4
Einen wichtigen Beitrag zur Bestimmung des Morphembegriffes und seiner
Anwendung leistete im Weiteren Leonard Bloomfield (1887–1949), nicht zuletzt
aufgrund seiner Bedeutung für den amerikanischen Strukturalismus und seiner
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
daraus folgenden weltweiten Rezeption. Bloomfield zerlegt in seinem bis heute
grundlegenden Werk Language (1933) die Sprache zunächst in eine Anzahl von
signals, die er linguistic forms nennt, bestehend aus signaling-units, den phonemes
und dem linguistic meaning der sprachlichen Form.
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Dabei unterscheidet er weiterhin bound forms (z.B. -ing) und free forms (z.B. run),
vorausgesetzt es handelt sich dabei um sprachliche Einheiten mit einer constant
phonetic form und einem constant meaning (Bloomfield 1984: 159–160).
Ausgehend von diesen Überlegungen definiert er ein Morphem folgendermaßen:
A linguistic form which bears no partial phonetic-semantic resemblance to any
other form, is a simple form or morpheme. Thus, bird, play, dance, cran-, -y,
-ing are morphemes.5 Morphemes may show partial phonetic resemblances, as
do, for instance, bird and burr, or even homonymy, as do pear, pair, pare, but
this resemblance is purely phonetic and is not paralleled by the meanings.
(Bloomfield 1984: 161)6
Das von Bloomfield hier postulierte sprachliche Element ist also in seiner
phonetisch-semantischen Korrelation einmalig, weshalb ein Morphem nicht mit
lautlicher Ähnlichkeit (hier: bird vs. burr) oder gar Homonymie (genauer:
Homophonie, hier z.B.: pair vs. pare) verwechselt werden darf.
Nicht eindeutig positioniert sich Bloomfield in Bezug auf sein Verständnis von
'sprachlichem Zeichen', also seiner linguistic form, woraus sich entsprechende Kritik
ergab (cf. z.B. Mugdan 1977: 41). Es wird ihm unterstellt, daß er die "sprachliche
Form" und damit auch das Morphem nicht streng im Saussureschen Sinne als
bilaterales Zeichen auffasse, sondern als eine Folge von Lauten, der eine Bedeutung
zukommt. Daraus ergäbe sich der Konflikt zwischen einem Morphembegriff, der
einerseits nur auf die Ausdrucksseite verweist und andererseits durch den Ausschluß
von Homonymie aber durchaus als ein minimales Sprachzeichen zu verstehen sei
(Mugdan 1986: 33). Die behaviouristisch inspirierte Auffassung Bloomfields sollte
an dieser Stelle aber vielleicht nicht zu sehr als Gegenentwurf zum Strukturalismus
Saussurescher Prägung stilisiert werden – der Zeichenbegriff scheint im
Wesentlichen doch der gleiche zu sein.7
Ein größeres Feld für berechtigte Diskussionen im Bereich der morphologischen
Analyse bietet vielmehr die Frage nach den Varianten. Für Bloomfield ergeben sich
sogenannte Alternanten durch phonetic modification,8 die unter bestimmten
Umständen auftritt, immer vorausgesetzt die Bedeutung bleibt konstant:
Strictly speaking, we should say that the morpheme in such cases has two (or,
sometimes, more) different phonetic forms, such as not [nɔt] and [nt], do [duw]
and [dow], duke and duch-, and that each of these alternants appears under
certain conditions. In our examples, however, one of the alternants has a much
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
wider range than the other and, accordingly, is a basic alternant. (Bloomfield
1984: 164)
Spätestens an dieser Stelle ergibt sich jedoch dann das Problem, daß ein
Sprachzeichen zwar eine Inhaltsseite hat, aber dazu mehrere lautliche
Ausdrucksseiten. Wo das Kriterium anzusetzen ist, welche phonetische Variation
dazu berechtigt, am Ende noch von einem Morphem zu sprechen oder, ob bei starker
Alternation nicht doch zwei oder mehrere Morpheme vorliegen, ist bis heute
Gegenstand von Diskussionen.
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Bloomfield (1984: 168) betrachtet dabei phonetic modification als mögliche Ursache
für Allomorphie, d.h. die Endungen [-z], [ ez] und [-s] (z.B. in knives, houses, cliffs)
gehören aufgrund ihrer lautlichen Modifikation zu dem Morphem {Plural}. In einem
Fall aber wie ox vs. oxen, wo der Plural durch [-n] angezeigt wird,9 handelt es sich
um eine suppletive alternant (Bloomfield 1984: 215), und es wird nicht explizit klar,
ob die suppletiven Formen direkt einem bestimmten Morphem, also einer basic
alternant (hier z.B. [-s]) zugeordnet werden. Das gleiche gilt auch für die zero-
alternants (z.B. Plural: sheep vs. sheep; Vergangenheit: be vs. was, go vs. went).
Ausgehend von dem Problem, daß mitunter Wörter aufgrund ihrer völlig
divergierenden Lautfolgen verschiedenen Morphemen zugeordnet werden müssen,
obwohl sie grammatisch zusammengehören, postuliert Zellig Harris (1909–1992) in
einer Modifizierung der Bloomfieldschen Terminologie morpheme units und
morpheme alternants. Dabei funktioniert seine morphologische Analyse – bei ihm
vor allem anhand des Hebräischen – zunächst wie bei Bloomfield:
We divide each expression in the given language into the smallest sequences of
phonemes which have what we consider the same meaning when they occur in
other expressions, or which are left over when all other parts of the expression
have been divided off. This is identical with the criterion of §1.0.10 The
resultant minimum parts we call not morphemes, but MORPHEME
ALTERNANTS. (Harris 1942: 170)
Das Kriterium der lautlichen Ähnlichkeit zwischen den Alternanten, wie es
Bloomfield annimmt, wird im Weiteren dann fallengelassen, zugunsten eines
grammatischen Zusammenhaltes bei gleichbleibender Bedeutung/Funktion:
From the list of morpheme alternants which results from the preceding step, we
take any two or more alternants which have what we consider the same
meaning (but different phonemes) and no one of which ever occurs in the same
environment as the others. The two or more alternants which meet these
conditions are grouped together into a single MORPHEME UNIT: am, which
occurs only in phrases with I, and are, which never occurs with I, are put into
one morpheme unit. (Harris 1942: 171)
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
Ergänzt wird dieses Verfahren durch den Hinweis, daß es natürlich auch sein kann,
daß man zu einer Lautfolge keine Alternanten findet (wie z.B. bei walk oder rain),
weshalb diese dann als eine morpheme unit für sich klassifiziert werden.
Auf diese nun noch weiter konkretisierte Unterscheidung der morphologischen
Variation von Harris baut nun der 1947 von Charles Hockett (1916–2000)
eingeführte Begriff des 'Morphs' auf. Auch er operationalisiert seine Begrifflichkeit
anhand eines konkreten morphologischen Analyseverfahrens:
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The utterances of a language are examined. Recurrent partials with constant
meaning (ran away in John ran away and Bill ran away) are discovered;
recurrent partials not composed of smaller ones (-way) are alternants or
morphs. (Hockett 1947: 322)
An dieser Stelle verweist Hockett in einer Fußnote (FN 7) auf die Vorteile des
Begriffes 'Morph' im Verhältnis zu dem bisher gebräuchlichen 'Morphem
Alternante', denn neben der Kürze des Ausdruckes, der zugleich auch das von Harris
entworfene morpheme unit überflüssig macht, evoziert das neue Begriffspaar morph
vs. morpheme die Analogie zu (allo)phone vs. phoneme. Mit diesem scheinbar so
nebensächlichen Verweis auf die Situation in der Lautlehre öffnet Hockett jedoch in
gewisser Weise die wissenschaftliche Büchse der Pandora (cf. infra).
Zunächst soll aber die von ihm vorgeschlagene Definition im Zuge der
morphologischen Spracherfassung näher beleuchtet werden:
By definition, a morph has the same phonemic shape in all its occurrences.
Because we operate with whole utterances, morphs are not always composed
of continuous uninterrupted stretches of phonemes, but they are always
composed of phonemes. Every utterance is entirely composed of morphs. [...]
Two or more morphs are grouped into a single MORPHEME if they (a) have
the same meaning; (b) never occur in identical environments, and (c) have
combined environments no greater than the environments of some single
alternant in the language, e.g. -en in oxen, /z/ in cows, and various others, all
meaning 'noun plural', with combined environments, or RANGE, paralleling
the range of zero with meaning 'noun singular'. (Hockett 1947: 322)
Im Gegensatz zum Morphem ist das Morph also in seiner Lautung unveränderlich.
Es ist eine minimale, nicht weiter zerlegbare Einheit der Sprache mit der
Charakteristik, daß sie rekurrent ist und unabhängig von ihrer Umgebung die gleiche
Bedeutung aufweist. Voraussetzung für die Zuordnung eines bzw. mehrerer Morphe
zu einem Morphem ist die Bedeutungsgleichheit und die (je) nicht identische
Distribution in der Sprache.
Neben der etwas großzügigen Beschreibung der Distributionsbedingungen
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
("combined environments no greater than the environments of some single
alternants") ergeben sich Probleme vor allem auch aus der Postulierung von empty
morphs und der Möglichkeit Morphe verschiedenen Morphemen zuzuordnen (cf.
dazu Hockett 1947: 342).11
In einer Aufarbeitung und Weiterentwicklung der vorhergehenden Konzepte führt
schließlich Nida (1948) den Begriff des 'Allomorphs' ein, um morphologische
Alternanten zu beschreiben, die einem Morphem zuzuordnen sind:
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Morphemic alternants can conveniently be called allomorphs. Accordingly,
allomorphs are related to morphemes as allophones are related to phonemes. In
the process of analyzing a language there might be occasion to use the term
morph to designate a structural unit which had not as yet been assigned to any
morpheme; but in the description of a language (as distinct from the procedure
of analyzing it) every structural element except features of arrangement is
either a morpheme or part of a morpheme. Hence every element is also an
allomorph or part of an allomorph. (Nida 1948: 420, FN 13)
Diese begriffliche Neupositionierung, mit der wir die heute noch gängige
strukturalistische Trias 'Morphem – Morph – Allomorph' haben, sieht Nida aber
offensichtlich nicht als zentrales Element seiner Analyse, da die diesbezüglichen
Ausführungen nur in einer Fußnote vorgenommen werden. Nichtsdestoweniger
werden hier zwei für uns heute noch zentrale Aspekte angesprochen: Zum Einen
wird die Parallele zur Lautlehre, deren Begrifflichkeit ('Phonem' – 'Allophon') und
auch explizit zu deren konzeptionellem Verhältnis gezogen (allomorphes are related
to morphemes as allophones are related to phonemes), zum Anderen werden die
beiden Aspekte des Morphs beschrieben: In der Sprachanalyse ist das Morph als
vorklassifikatorische Einheit zu verstehen (a structural unit which had not yet been
assigned to any morpheme), solange es noch nicht definitiv einem Morphem
zugeordnet werden kann bzw. als solches erkannt wird; in der Sprachbeschreibung
(sozusagen aus der ex-post Perspektive) ist jedes structural element ein Morphem,
welches wiederum aus mindestens einem Allomorph (also einem Morph) besteht.
Dieses janusköpfige Verständnis von Morph ist dem des Phons entlehnt, mit der
zusätzlichen Problematik, daß diese Sichtweise in der Lautlehre noch funktionieren
kann, in der Morphologie aber die physischen Realitäten zu einer
vorklassifikatorischen Sicht fehlen (cf. infra).
3 Verankerungen und Rezeption des 'Morphs' in der aktuellen Literatur
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
3.1 Die Verwendungsweise von 'Morph' und 'Morphem' in
Einführungsbüchern und Nachschlagewerken
Anhand einer Auswahl an einschlägigen Monographien zur Einführung in die
romanistische Sprachwissenschaft sowie weiteren Handbüchern und
Nachschlagewerken, auch germanistischer Provenienz,12 soll versucht werden, die
verschiedenen Arten der Verwendungsweise der morphologischen Grundbegriffe
herauszufiltern.
Die Wahl, hier auf einschlägige Einführungswerke und gängige Handbücher zu
rekurrieren, ist keine solution de facilité, sondern dezidierter Teil der Analyse.
Gerade diese Werke neben Spezialliteratur zur Morphologie ausführlich
abzuhandeln, ist deshalb legitim und wichtig, weil sie den höchsten
Verbreitungsgrad haben und damit ganz wesentlich die Grundlage für die
Weitergabe bestimmter Auffassungen im universitären Betrieb legen. Da es sich bei
'Morph' und 'Morphem' inzwischen ganz unzweifelhaft um Begriffe handelt, die
jenseits einer einzelnen Theorie gebraucht werden, finden sie in zahlreichen
Publikationen zu den verschiedensten linguistischen Aspekten Verwendung, und
zwar in der Regel ohne, dass dabei verständlicherweise jedesmal eine begriffliche
Grundsatzdiskussion geführt oder eine entsprechende Definition geliefert wird. Die
einführenden Überblickswerke und Handbücher sind letztlich Spiegel einer
impliziten communis opinio, auf die man gängigerweise zurückgreift, entweder
explizit oder im Bewußtsein Begriffe im dort wiedergegeben allgemeinen
Verständnis zu gebrauchen, und genau deshalb ist es notwendig, dort die
Verwendung der hier zur Disposition stehenden Begriffe in den Fokus der
Untersuchung zu stellen.
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Bei der Durchsicht der Einführungswerke, Handbücher und Nachschlagewerke kann
nun vorab bereits Folgendes konstatiert werden:
In dem Bestreben, Terminologisches auf den Punkt zu bringen, kommen die Autoren
der Morphologie-Kapitel der romanistischen und germanistischen Einführungs-,
Handbücher und Nachschlagewerke nicht umhin, die schon bei Courtenay,
Bloomfield und Hockett angelegten Widersprüche bei der Verwendung der Begriffe
Morphem und Morph deutlich zu Tage treten zu lassen.
3.1.1 konkret vs. abstrakt, parole vs. langue
In der Nachfolge Hocketts, der als "valid analogy" die Entsprechung "(allo)phone :
phoneme = morph : morpheme" (1947: 322) einführte, wird das Morph in sehr
vielen Überblicksdarstellungen zur Morphologie als konkret, das Morphem als
abstrakt bezeichnet, wobei manche Autoren in diesem Zusammenhang zusätzlich
auf die Dichotomie langue und parole zurückgreifen. So schreiben
Gabriel/Meisenburg (2007: 151) in ihrer Romanische[n] Sprachwissenschaft:
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
Die in konkreten grammatischen Wörtern, also auf der Ebene der Performanz
oder parole vorkommenden kleinsten bedeutungstragenden Einheiten
bezeichnet man als Morphe (Singular: Morph). Auf der Ebene der Kompetenz
oder langue lassen sich all die Morphe, die dieselbe Bedeutung bzw. Funktion
tragen, wiederum zu einer Einheit zusammenfassen, durch die sie im
Sprachsystem repräsentiert werden. Diese abstrakten zugrundeliegenden
Einheiten nennt man Morpheme. (Hervorhebungen im Original)
Als Beispiel führen Gabriel/Meisenburg das Morphem {ten-} an, das den
Stammformen der Verben frz. tenir, ital. tenere, sp. tener zugrunde liege.
Auch Anja Platz-Schliebs, Katrin Schmitz, Natascha Müller und Emilia Merino
Claros bezeichnen das Morphem in ihrer Einführung in die Romanische
Sprachwissenschaft als eine "abstraktere Einheit auf der langue-Ebene. […] eine
Menge von Morphen, die die gleiche Bedeutung und die gleiche grammatische
Funktion haben." (Platz-Schliebs/Schmitz/Müller/Merino Claros 2012: 93) Daß die
Anzahl der Elemente dieser Menge auch 1 sein kann, wird in dieser Definition
allerdings nicht präzisiert.
Einige Verfasser von Morphologie-Kapiteln in Einführungs- und Handbüchern, die
sich dafür entscheiden, das Morph zu erwähnen (was nicht immer der Fall ist, cf.
infra), rekurrieren auf die Unterscheidung 'konkret' (Morph) vs. 'abstrakt'
(Morphem), vermeiden es jedoch in ihren Erklärungen, die Dichotomie langue
parole ins Spiel zu bringen. Auf diese Weise verfahren Martin Glessgen (22012:
195)13 in seiner Linguistique romane, Pöckl/Rainer/Pöll (32003) in ihrer Einführung
in die romanische Sprachwissenschaft und Nikolaus Schpak-Dolt (32010) in seiner
Einführung in die französische (respektive spanische) Morphologie.14
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3.1.2 Das Morph als kleinstes sprachliches Zeichen
Sowohl das Morph als auch das Morphem werden z.B. bei Gabriel/Meisenburg als
"kleinste bedeutungstragende Einheit" (2007: 151) benannt, einmal auf der parole-
Ebene, einmal auf der Ebene des Sprachsystems. Auf die Frage nach der kleinsten
bedeutungstragenden Einheit geben Pöckl/Rainer/Pöll (32003: 108) in ihrer
Einführung in die romanische Sprachwissenschaft eine sehr salomonische Antwort:
Die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten […] Elemente wie Haus, -es
(Genitiv), -lich usw. heißen in der Linguistik gewöhnlich Morpheme.
Manchmal werden sie auch als Morphe bezeichnet, um den Begriff Morphem
für eine Klasse von bedeutungs- bzw. funktionsgleichen Morphen zu
reservieren. (Hervorhebungen im Original)
Zur Illustration nennen sie das Morphem {Plural} im Deutschen mit seinen
zahlreichen Realisierungsvarianten bzw. Morphen bzw. Allomorphen, wie z.B. -er
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
(vgl. Häus-er), -e (vgl. Berg-e), -n (vgl. Hase-n).
Für Nikolaus Schpak-Dolt (32010) ist in seiner Einführung in die französische
Morphologie die kleinste bedeutungstragende Einheit ganz klar das Morph. Seiner
Meinung nach wird in der Literatur oft von Morphem gesprochen, wo es eigentlich
Morph heißen müsste, was er folgendermaßen rechtfertigt: "Wenn eine
Unterscheidung vollkommen klar ist, darf man sie ruhig etwas nachlässig
handhaben." (Schpak-Dolt 32010: 24) Er definiert das Morph so, wie Bloomfield
(1933) das Morphem definierte, nämlich als "eine minimale sprachliche Form, d.h.
eine Form, die nicht vollständig in kleinere sprachliche Formen zerlegt werden
kann" (Schpak-Dolt ³2010: 5). Unter sprachlichen Formen versteht er Phonem- bzw.
Graphemfolgen mit einer Bedeutung bzw. grammatischen Funktion (³2010: 7), und
das Morphem versteht er als eine "abstraktere Einheit als das Morph; es ist eine
Menge von Morphen, die unter einem bestimmten Gesichtspunkt besonders eng
zusammengehören."15 (Schpak-Dolt ³2010: 9) So gehören die Morphe /sε-/, /sav-/,
/so-/, /saʃ-/ und /s-/ zum gleichen Morphem {/sav-/}; sie sind Allomorphe des
gleichen Morphems oder Varianten des gleichen Morphems.
Auch Andreas Michel (2011: 122) in seiner Einführung in die italienische
Sprachwissenschaft und Platz-Schliebs/Schmitz/Müller/Merino Claros (2012: 92) in
ihrer Einführung in die Romanische Sprachwissenschaft behalten die Definition
"kleinste bedeutungstragende Einheit" dem Morph als tatsächlicher Verbindung von
signifié und signifiant vor.16
3.1.3 Das Morphem als kleinstes sprachliches Zeichen
In den Darstellungen, die zwischen Morphem und Morph unterscheiden, hat das
Morphem nicht nur eine Formseite. Um aber die Formseite des Morphems dennoch
benennen zu können, "ist es im Prinzip unerheblich, welches Morph für die
Repräsentation des entsprechenden Morphems genutzt wird" (Gabriel/Meisenburg
2007: 151).
PhiN 71/2015: 71
So werden zum Teil sehr unterschiedliche Formseiten (z.B. ital. decentralizzare,
decolorare, discolorare, disgusto, disunire, scolorare, sgradevole, sfiducia) zu
einem Morphem zusammengefasst, welches dann entweder nur mit seiner Funktion
beschrieben wird (z.B. {privativ}) oder zusätzlich noch mit einem aus der Fülle der
Morphe ausgewählten, repräsentativen Morph – meist das frequenteste, was aber
nicht immer leicht zu bestimmen ist (z.B. {de, privativ}). Somit werden als
Morpheme Abstraktion auf der (hauptsächlich grammatischen) Inhaltsseite
beschrieben, die auf der Formseite keine Einheit bilden und also keine bilateralen
sprachlichen Zeichen im engeren Sinne sind. Dennoch wird im gleichen Atemzug
das Morphem als "kleinste bedeutungstragende Einheit" im Sprachsystem
bezeichnet (z.B. Wesch 2001: 62, Gabriel/Meisenburg 2007: 151, Geckeler/Dietrich
42007: 82, Flohr/Pfingsten 22009: 119) sowie in den Lexika von Bußmann (42008:
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
453), Glück (42010: 441f.) und Lewandowski (51994 II: 726)).17 So schreibt auch
Gaudino Fallegger (1998) in ihrem Grundkurs Sprachwissenschaft Französisch:
Ein Morphem wird demzufolge als das kleinste bedeutungstragende Zeichen
einer Sprache verstanden […]. Morpheme stellen die Synthese eines signifiant
und eines signifié dar. (Gaudino Fallegger 1998: 131, Hervorhebungen im
Original)
Als Beispiel für Morpheme führt sie dabei hoch abstrakte Kategorien an wie {passé
simple} und {2e personne verbale, plurielle}, bei denen man sich fragen kann,
welchen Nutzen der Morphembegriff bei solchen grammatischen Kategorien
erbringt. (Gaudino Falleger 1998: 132)
Die Definition "kleinstes sprachliches Zeichen" für Morphem findet sich auch in
Achim Steins (³2010: 29) und Monika Sokols (²2007: 101) Einführungsbüchern,18
die sich dafür entschieden haben, das Morph gänzlich unerwähnt zu lassen.
Glessgen (22007: 195) formuliert vorsichtig zu Morphem: "unité abstraite qui reflète
la plus petite unité de son porteuse de signification dans une langue".
3.1.4 Segmentiert vs. klassifiziert
Ebenfalls in der Tradition der viel bemühten Analogie Phon ̵ Morph heben einige
Autoren von Einführungs- oder Überblicksliteratur auf die Unterscheidung Morph
als (vorklassifikatorische) segmentierte Einheit und Morphem als klassifizierte
Einheit ab. So formulieren Geckeler/Dietrich (42007: 84) in ihrer Einführung in die
französische Sprachwissenschaft: "Noch nicht einem Morphem oder Lexem
zugeordnete Segmente nennt man Morphe (frz. morphes)" (Hervorhebungen im
Original).19
Kabatek/Pusch (2009) erklären in ihrer Einführung Spanische Sprachwissenschaft,
wie sich spanische Tapas blitzschnell von Morphen in Morpheme verwandeln
folgendermaßen:
PhiN 71/2015: 72
Tapa ist nach dem Alltagsverständnis ein Wort: nach strukturalistischem
Verständnis ist es eine komplexe, aus mehreren Lauten aufgebaute Einheit und
damit ein Morph, das heißt: ein Kandidat für ein Morphem, wenn ihm im
System der Sprache (auf der Ebene der langue, […]) eine Funktion zugewiesen
werden kann. Im Fall von tapa besteht die Funktion darin, auf ein Objekt […]
in der Realität zu verweisen, nämlich auf die erwähnten imbissartigen Speisen.
Tapa ist damit ein Morph, das referentielle Funktion hat […] und Bestandteil
des inhaltsvermittelnden Wortschatzes der spanischen Sprache ist. Wenn man
das erkannt hat, dann hat man tapa bereits als lexikalisches Morphem
klassifiziert. (Kabatek/Pusch 2009: 77)
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
Doch wo liegt der Unterschied zwischen dem Segmentierungs- und dem
Klassifizierungsvorgang, wenn man, um segmentieren zu können, doch auf die
Bedeutung zurückgreifen muß? Eine grundlegende Differenzierung 'Morph vs.
Morphem' läßt sich auf diese Weise bei lexikalischen Morphemen nicht begründen
und ist allerhöchstens, wenn überhaupt, bei sogenannten Formativen
(Wortbildungsaffixen, Flexionsendungen) oder Fugenelementen, bei grammatischen,
gebundenen Morphemen, also bei dem, was Martinet (1960: §1.9) als 'Morpheme'
bezeichnet hat, nachvollziehbar.
Horst Flohr und Friederike Pfingsten betonen im von Horst G. Müller (22009)
herausgegebenen Arbeitsbuch Linguistik ebenfalls stark den Aspekt, daß beim
Segmentieren der Morphe durch Minimalpaaranalysen die Bedeutung oder
funktionalen Eigenschaften der gefundenen Segmente noch unberücksichtigt
gelassen werden. Entsprechend bezeichnen sie Morphe als "erstes Zwischenergebnis
der morphologischen Analyse" (Flohr/Pfingsten 22009: 120). Im nächsten Satz
definieren sie jedoch das Morph als "eine minimale lautliche oder graphemische
Sequenz auf der Ausdrucksseite von Sprache, der eine selbstständige Bedeutung
zugeschrieben werden kann. Jedes Morph ist die formale Realisierung mindestens
eines Morphems, wobei es zunächst jedoch lediglich als segmentale Einheit
identifiziert worden ist […] ". (Flohr/Pfingsten 22009: 120)
Man fragt sich bei diesen Definitionen, wie ein Segment als Segment und als
bedeutungstragend erkannt werden kann, ohne es beim Segmentierungsvorgang und
dem ihm zugrundeliegenden Verstehensprozess bereits klassifiziert zu haben. Die
Unterscheidung Morph vs. Morphem erscheint hier nurmehr als theoretisches
Konstrukt.
Im Lexikon der Sprachwissenschaft von Hadumod Bußmann (42008) liest man unter
dem Lemma Morph: "Kleinstes bedeutungstragendes lautliches Segment einer
Äußerung auf der Ebene der Parole, das noch nicht als Repräsentant eines
bestimmten Morphems (auf der Ebene der Langue) klassifiziert ist." (Hervorhebung
von uns) Parallel zum Phon wird in dieser Definition das Morph auf lautliche
Segmente der parole-Ebene eingeschränkt.20
3.1.5 Morph – Morphem – Plerem
Nur über die Ausdrucksseite definiert Mugdan (1977) das Morph in seiner
Untersuchung Flexionsmorphologie und Psycholinguistik, wobei diese
Überlegungen dann auch in die Einführung in die Morphologie von
Bergenholtz/Mugdan (1979) eingehen.
PhiN 71/2015: 73
Als Beispiel liefert er die homonymen "Minimalzeichen" /zi: / –
'PersPron+3Pers+Plur' (vgl. sie sagen), /zi: / – 'PersPron+3Pers+Sing+fem' (vgl. sie
geht) und /zi: / – 'SEH+Imp+Sing' (vgl. sieh mal). Diese homonymen
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
Minimalzeichen "bilden (evtl. mit weiteren Zeichen) ein Morph, das durch den
gemeinsamen Ausdruck /zi: / bestimmt ist und als {/zi: /} geschrieben werden soll."
(Mugdan 1977: 30)
Ein Morph ist eine Menge von Minimalzeichen mit bestimmtem Ausdruck und
beliebigem Inhalt. Nicht jede beliebige Kette von Ausdruckssegmenten
definiert aber ein Morph, sondern nur eine solche Kette [...], die als Ausdruck
mindestens eines Minimalzeichens auftritt. (Mugdan 1977: 31, Unterstreichung
im Original)
Gleichzeitig stellt Mugdan aber fest, daß das Morph keine Einheit der Ausdruckseite
der Sprache sei, da ein Morph {A} nur dann ein Morph sei, wenn es die
Ausdrucksseite eines Minimalzeichens sei – so ist z.B. sie- in sieben kein Morph,
weil dieses sie- nicht Ausdruck eines Minimalzeichens sei. Morpheme sind für
Mugdan (1977: 31) durch Gleichheit des Inhalts definiert. Als Beispiel wird fürs
Englische das Morphem {Plural} angeführt:
Im Englischen sind die Minimalzeichen /s/-'Plur', /z/-'Plur' und /iz/-'Plur' (wie
in /kat-s/ […], /dog-z/ […], /hors-iz/) […] synonym. Sie bilden (mit einigen
weiteren Zeichen) ein Morphem, das durch den gemeinsamen Inhalt 'Plur'
bestimmt ist und als {'Plur'} geschrieben werden soll. (Mugdan 1977: 30)
Das Morphem sei aber keine Einheit der Inhaltsseite der Sprache, da das Morphem
nicht ohne ihm zugeordnete Ausdrucksseiten existiert. Das, was gängigerweise als
'Morphem' bezeichnet wird, ein sprachliches 'Minimalzeichen', benennen
Bergenholtz/Mugdan (1979: 56) – in Anlehnung an die Terminologie Hjelmslevs –
als 'Plerem'; unter einem sprachlichen Minimalzeichen oder Plerem verstehen sie die
Verbindung aus einem Ausdruck und einem Inhalt. Konsequenterweise ist für
Bergenholtz und Mugdan z.B. das Pluralmorphem im Deutschen kein sprachliches
Zeichen, da es keine Einheit aus einem Ausdruck und einem Inhalt ist.
(Bergenholtz/Mugdan 1979: 56)
3.1.6 Morphologie ohne Morph
Wie man sieht, wird das Begriffspaar 'Morph – Morphem' in den zahlreichen
Einführungs- und Handbüchern sehr unterschiedlich definiert und gehandhabt,
wobei sich vor allem der Begriff 'Morph' als sperrig erweist. Interessanterweise
verzichten nicht wenige Handbücher ganz darauf, das Morph zu erwähnen. Sie
behandeln in ihren Kapiteln zur Morphologie nur das Morphem (und eventuell das
Allomorph).21
PhiN 71/2015: 74
Auch im Handbuch Französisch herausgegeben von Kolboom/Kotschi/Reichel
(22008) kommt das Morph nicht vor, genausowenig taucht der Begriff des
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
Morphems in den Artikeln zum Wortschatz des Französischen auf und wird
anscheinend zur Beschreibung des Wortschatzes nicht gebraucht. Sogar Nikolaus
Schpak-Dolt verzichtet im Handbuch Französisch in seiner Überblicksdarstellung
Grundprinzipien der französischen Wortbildung ganz auf die Begriffe 'Morph' und
'Morphem' und spricht nur von Präfixen, Suffixen, Wortstämmen und von
lauthistorisch, gelehrt-volkstümlich, phonologisch oder orthographisch bedingter
Alternation (Schpak-Dolt 22008: 228–235).
Keinerlei Rolle spielt das Morph ebenfalls im Französisch-Band des Lexikon der
Romanistischen Linguistik, das bezeichnenderweise kein eigenes Kapitel zur
Morphologie aufweist, sondern Artikel zur Wortbildungslehre, zur Flexionslehre,
zur Lexikologie, zur Syntax und zur Morphosyntax. Der Autor des Morphosyntax-
Artikels, Quirinus Ignatius Maria Mok, definiert Morphosyntax als "l’étude des
caractéristiques systématiques formelles du mot auxquelles correspond, non pas un
aspect sémantique, mais une valeur syntaxique." (Mok 2010: 113)
Schon in dem Kompositum 'Morphosyntax' drückt sich die Sichtweise aus, daß die
Analyse der Morpheme nicht ohne Rückgriff auf ihre syntagmatische Umgebung
und ihre syntaktische Rolle betrieben werden kann. In dieser Herangehensweise
existiert das Morphem nur in einer konkreten Umgebung als eine tatsächliche Form;
das Morph erscheint aus dieser Perspektive logischerweise überflüssig.
3.2 'Morph' und 'Morphem' in rezenteren Strömungen der Sprachwissenschaft
Nach diesem kurzen Streifzug durch die Einführungswerke und Handbücher, die
nicht unwesentlich die herrschende Lehrmeinung widerspiegeln und zur Verbreitung
derselben beitragen, soll nun im Folgenden ergänzend ein Blick auf die
Spezialliteratur zur Morphologie bzw. Morphosyntax geworfen werden. Hierbei
seien exemplarisch nur einige wenige Strömungen der aktuellen Sprachwissenschaft
herausgegriffen, um einen kurzen Einblick in die Behandlung des Morphs (und des
Morphems) im Rahmen dieser Theorien zu liefern.22
3.2.1 Das Morphem in der Construction Grammar
Die Idee eines untrennbaren Kontinuums, die sich in dem Begriff 'Morphosyntax'
spiegelt, ist auch die Sichtweise der zur Zeit viel betriebenen Construction
Grammar, wobei die Morphologie nicht zu den zentralen Beschäftigungen dieser
kognitiv-linguistisch geprägten und in sich uneinheitlichen Strömung steht. Die CxG
setzt sich hauptsächlich mit Argumentstrukturen und Idiomen auseinander.
PhiN 71/2015: 75
In der CxG wird Sprache als ein Geflecht von Konstruktionen gesehen, die sich nur
in ihrer Komplexität unterscheiden. Wortschatz und Grammatik sind laut der CxG
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
im Kopf der Sprecher keine getrennten Module, keine getrennten Bereiche, sondern
bilden ein Kontinuum an constructions, an immer komplexer werdenden
sprachlichen Zeichen. Grammatik wird definiert als "an inventory of form-meaning-
function complexes, in which words are distinguished from grammatical
constructions only with regard to their internal complexity" (Michaelis/Lambrecht
1996: 216, zitiert nach Booij 2013: 255)
Goldberg (2006: 5) bezeichnet das morpheme als kleinste Erscheinungsform einer
construction, also eines form-meaning oder form-function pairings, geht aber an
keiner Stelle genauer auf eine Definition des Morphems ein. Symptomatisch ist
wohl, daß die konstruktionsgrammatische Literatur (zur Morphologie), nicht die
Notwendigkeit des Rückgriffs auf den Begriff des Morphs verspürt. In der CxG
kommt das Morph im Prinzip nicht vor, allein bei Booij (²2007: 31) wird es kurz
definiert ("A morph is a particular phonological form of a morpheme"), allerdings
nicht wie das Morphem unter basic notions (Booij ²2007: 8f.), sondern im Rahmen
der Grundlagen zur morphologischen Analyse, ohne daß es dann jedoch weitere
Anwendung findet.
Es kommt wohl deswegen nicht vor, weil der Unterscheidung Morph vs. Morphem
prinzipiell die auf die Tradition der generativen Grammatik zurückgehende
Auffassung zugrunde liegt, daß es in einer Tiefenstruktur eine abstrakte Basisform
(das Morphem) gibt, von der andere, konkrete Formen (Morphe) abgeleitet sind (cf.
supra, die Formulierung von Gabriel/Meisenburg (2007: 151) über das Morphem als
abstrakte zugrundeliegende Einheit). Dies entspricht mehr oder minder der
Vorstellung, daß Morphe an der Oberfläche erscheinen, nachdem sie phonetische
oder suppletive Transformationsprozesse durchlaufen haben, die sie an die
Oberfläche anpassen. Für die CxG gibt es jedoch keine Transformationsprozesse,
keine abgeleiteten Formen: "A 'what you see is what you get' approach to syntactic
form is adopted: no underlying levels of syntax or any phonologically empty
elements are posited." (Goldberg 2011: 31)
3.2.2 A-morphous Morphology
In seinem Konzept der A-morphous Morphology möchte Anderson (1992) – im
Gefolge von Aronoff (1976, 1994) – Morphologie ohne Morph und Morphem
betreiben. Seiner Meinung nach sind Wörter nicht als Verkettungen von Morphemen
erfassbar. Morphologie solle vielmehr Relationen zwischen Wörtern beschreiben.
[…] 'a-morphous' […] emphasizes the notion of morphology as the study of
relations between words, rather than as the study of discrete minimal signs that
can be combined to form complex words, it is literally a morphological theory
that dispenses with morphemes. It is thus not a theory without form, but rather
one without morphs. (Anderson 1992: 1)
PhiN 71/2015: 76
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
In der Sicht Andersons kann es eine linguistische Einheit wie 'Morphem' nicht
leisten, so unterschiedlichen Prozessen wie Derivation, Komposition, Flexion oder
Klitisierung gerecht zu werden. (Anderson 1992: 399f.)
Der klassische Morphembegriff à la Bloomfield gehe laut Anderson davon aus, daß
man Wörter und sprachliche Äußerungen als lineare Verkettung von Morphemen
analysieren kann. Dies ist aber laut Anderson nicht möglich. So seien folgende
Beispiele nicht erschöpfend als Verkettungen von Morphemen (minimal same of
form and meaning) analysierbar (cf. Anderson 1992: 49–56): Phonästheme
(phonæsthemes): glimmer, glitter, gleam, glow (Annahme eines Morphems gl- ?);
deceive, receive; refer, defer (Bestandteile haben keine konsistenten Inhalt); keine
lineare Verkettung bei Zirkumfixen, Infixen, Subtraktion, Metathese; leere Morphe:
crime, criminal, sense/sensuous; überflüssige Morphe: doucement, strengthen;
Nullmorph (zero morph): deer (Pl.), Portemanteau-Morpheme: au, du; Apophonie
(Umlaut, Ablaut, Alternation): sing, sang, sung, song; woman, women; speak,
speech.
Daher plädiert Anderson für eine relationale Auffassung von Morphologie, die
sprachspezifische Wortbildungsregeln und Beziehungen zwischen Wörtern
beschreibt.
There is no natural way to treat the added element of meaning in the derived
forms as the result of an additional morpheme of the classical sort. […] The
conclusion must be that morphology involves relations between forms, not
simply the concatenation of primitive units of sound and meaning. (Anderson
22006: 201)
Dabei geht er von einer mehrschichtigen Beziehung zwischen den einzelnen
formalen und semantischen Bestandteilen eines Wortes aus (many-to-many relation),
anstatt von der in der traditionellen strukturalistischen Auffassung üblichen Eins-zu-
eins-Relation zwischen Inhalt und Ausdruck. Dies illustriert er an dem isländischen
Verb hafðir '(du) hattest', bei dem die Lautfolge haf- den lexikalischen Kern
('haben') repräsentiert, das a aber gleichzeitig Indikator für den Indikativ ist sowie
mit dem ð und dem i das Präteritum signalisiert. Der Singular wiederum ist durch ir
erkennbar, die zweite Person durch das r. Eine traditionelle lineare Analyse (one-to-
one) muß hier scheitern, wohingegen die wortbasierte Analyse
Mehrfachbeziehungen im Sinne einer morphosyntaktischen Modifizierung eines
lexikalischen Wortstammes (basic stem) zuläßt. (Anderson 22006: 198f.)
Unzweifelhaft ist die Kritik an der strukturalistischen Analyse von Einzelelementen
insofern berechtigt, als diese die Grenzen einer sinnvollen Aufschlüsselung
überschreiten kann (z.B. glimmer) und gewisse Segmentierungen nicht mehr
schlüssig zu erklären vermag (z.B. refer). Durch die radikale Ablehnung des
Morphems,23 nicht nur des Morphes, gerät Anderson allerdings in Schwierigkeiten,
existierende Einheiten unterhalb der Wortebene zu bestimmen; allein diese als
components zu charakterisieren bleibt zu vage.
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
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3.2.3 Paradigm Function Morphology
Eine weitere jüngere Richtung in der Morphologie ist die Paradigm Function
Morphology (PFM) nach Stump (2001), die zunächst ganz traditionell auf roots,
stems und words als den drei grundlegenden morphologischen Einheiten rekurriert.
Morphological expressions are of three types: roots, stems, and words. A
lexeme's ROOT is its ultimate default form, devoid of any overt inflectional
making and therefore potentially a bound expression. The syntactically free
forms occupying the cells of a lexeme’s paradigm are WORDS. [...] A STEM
is any expression to which inflectional exponents may potentially be added.
Thus, all roots qualify as stems, but not all stems qualify as roots; the perfect
stem dūk-s- of Latin DŪCERE 'lead', for example, is not a root. I assume that
every lexeme has a single root, but may have a multitude of distinct stems.
(Stump 2001: 33)
Anstatt jedoch verschiedene Flexionsendungen bestimmten Morphemen mit einer
definierten grammatischen Funktion zuzuordnen, werden Paradigmen postuliert
(z.B. Numerus, Kasus, Genus) die dann durch eine paradigm function (PF) der
Wurzel eines Lexems attribuiert werden. Diese Paradigmenfunktion wiederum
determiniert die notwendigen formalen Änderungen, und zwar indem im Rahmen
dieser function wiederum spezifische Realisierungsregeln (realization rules)
angewendet werden. Wendet man beispielsweise die Paradigmenfunktion für das
Deutsche auf die Paarung (form/property-set pairing (FPSP))24 Mutter-, {'Dativ',
'Plural'}> an, dann wird durch zwei Realisierungsregeln, nämlich einer, die den
Wortstamm Mütter- selegiert (Plural) und einer, die das Deklinationssuffix -n
selegiert, die adäquate Form Müttern erstellt. (Stump 2001: 32–34)
Bei komplexen Flexionssprachen werden generell meist mehrere realization rules
zur Anwendung kommen. So sind für das frz. chanterions (chant-er-i-ons) drei
aufeinander abgestimmten Regeln nötig, die formal Material aus verschiedenen
Blöcken (blocks) aktivieren (z.B. aus dem Block 'Plural' Formen wie -ez, ons, etc.).
(Stump ²2006: 172)
Die Grundeinheit der Betrachtung ist in dieser Theorie das Wort,25 welches durch
morphological markings ergänzt bzw. modifiziert wird, das Morphem als Einheit
wird zurückgewiesen, das Morph erst gar nicht diskutiert.
Die Idee grammatische Zusammenhänge an bestimmte Paradigmen zu knüpfen,
umgeht die strukturalistische Problematik mehr oder weniger großer lautlicher
Ähnlichkeit und Ersetzungsformen unter ein Konzept zu bringen und Formen wie dt.
Bücher sind entsprechend womöglich widerspruchsfreier zu erklären.
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Allerdings wird dadurch auch, wie (Schwarze 2011: 59) zurecht anmerkt, darauf
verzichtet zu verstehen, was innerhalb der Wortformen passiert, deren
Zusammensetzung auch zur Erklärung von Sprachwandel und den damit
verbundenen formal-funktionalen Änderungen nicht unerheblich ist.
Zudem stellt sich die Frage, ob diese in erster Linie für flektierende Sprachen
konzipierte Art der morphologischen Bestimmung auch außerhalb der flektierenden
Sprachen Anwendung finden könnte.26
4 Kritische Betrachtung des Morphs in Abhängigkeit von Morphem und Wort
Der Überblick über die verschiedenen Definitionen und Konzepte, die mit Hilfe oder
mitunter auch unter Ausschluß des Begriffspaares 'Morph – Morphem' die
morphologische Vielfalt der uns als Wörter entgegentretenden Äußerungseinheiten
zu erklären suchen, zeigen deutlich, wie schwer es ist, eine gleichzeitig linguistisch
systematische und der Sprach- und Sprecherrealität nahekommende Darstellung zu
finden.
Der Ansatzpunkt einer kritischen Hinterfragung des 'Morph'-Begriffs und seines
Verständnisses im Zusammenhang mit einer morphologischen Analyse muß bereits
in dessen Entstehung im Strukturalismus amerikanischer Prägung gesucht werden.
Während Bloomfield (1933) dem Problem der lautlichen-formalen Variation in
letzter Konsequenz noch geschickt ausweicht (alternants, suppletion),27 schlagen
seine Nachfolger (Harris, Nida, Hockett) den zwar verdienstvollen Weg der
weiterführenden Systematisierung ein, werden aber – dessen sie auch mitunter selbst
gewahr werden – in so manchem Beispielfall Opfer ihres eigenen Systemzwanges.
Dies führt im Folgenden dann zu morphologischen Analysen, die eine lineare
Komposition von einzelnen Elementen (Morphen bzw. Allomorphe, Morphemen)
postulieren, die durch keine oder nur eine vage Verankerung im Sprecherbewußtsein
gedeckt sind. Dies ist aus einer die Kognition des Sprachbenutzers ausklammernden,
behaviouristischen Sicht wohl zulässig und konsequent, aber im Zuge einer die
gesamte Sprachrealität erfassenden, sprachwissenschaftlichen Analyse sicherlich
defizitär.
Ein grundlegendes Problem liegt zweifellos in der strukturalistisch konsequent
gedachten Parallelisierung von 'Phon vs. Phonem' – 'Morph vs. Morphem' in der
ersten Morph-Definition von Hockett (1947: 322 cf. supra). Das Morph als
vorklassifikatorische Einheit (analog zu Phon) ist äußerst fraglich, systematisch
zwar denkbar, aber ohne tatsächlichen Nutzen in der Analyse. Im Gegensatz zum
Phon, welches als noch nicht näher bestimmtes, lautliches Segment einen durchaus
nachvollziehbaren Analyseschritt darstellt (wenn auch nicht unproblematisch, da
ebenfalls bereits im Hinblick auf einen möglichen Phonemstatus als Segment
isoliert), entspricht die in einer morphologischen Analyse angenommenen Einheit
'Morph' (ohne Morphemstatus) keinerlei Realität – weder in der Sprache, noch in der
Analyse. In dem Augenblick, in dem eine Form als ein sprachliches Zeichen (mit
Inhalts- und Ausdrucksseite) bestimmt wird, hat es bereits Morphemstatus; der
Zwischenschritt über das Morph ist dabei ein allein der strukturalistischen
Systematik geschuldeter.
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Indirekt im Zusammenhang mit dem Vergleich zu den Einheiten der Lautlehre steht
die Annahme, daß das Morph etwas Konkretes sei oder mitunter zugespitzt
ausgedrückt der Saussureschen parole-Ebene zuzurechnen sei, das Morphem
hingegen ein abstraktes Element auf der langue-Ebene verkörpere. Im Widerspruch
dazu steht die schon seit Beginn postulierte Annahme, daß die Morphe oder
Alternanten durch Phoneme repräsentiert werden (so z.B. auch in der Notation bei
Schpak-Dolt). Dazu ist zunächst einmal festzuhalten, daß insbesondere die
Zuordnung zur Dichotomie von Saussure problematisch, wenn nicht gar unzulässig
ist, aber auch eine simple Aufteilung in 'konkret' und 'abstrakt' zumindest
fragwürdig. Mugdan weist mit Recht darauf hin, daß die Annahme von
Analyseeinheiten wie Morph oder Phon bereits einen bestimmten Grad an
Abstraktion darstellen und nicht mit der Sprachrealität parallel gesetzt werden
dürfen:
Morphe (und übrigens auch Phone) sind bereits Abstraktionen und als solche
nicht Bestandteile konkreter Sprechakte; sie gehören daher nicht zur parole
und schon gar nicht zur Substanz im Sinne von Saussure […] und Hjelmslev
[…]. (Mugdan 1986: 34)
Die oft nicht näher reflektierte Annahme des Morphs als einer Einheit des konkreten
Sprechaktes, hängt womöglich mit dem doppelten Verständnis des Morphs (wie
auch des Phons) zusammen, welches einerseits in der Analyse als noch nicht
klassifizierte morphologische Einheit gesehen wird und andererseits aus einem
Blickwinkel eines bereits bestimmten Morphems als eine Variante in Form eines
Allomorphs.
Auf der Ebene der konkreten Äußerung jedoch begegnet einem eine chaîne parlée,
eine individuell phonetische Lautkette, die morphologisch in Worteinheiten
untergliedert ist. Der Sprecher denkt und produziert holistische Form- und
Sinneinheiten und keine Wortstämme, Wurzeln und Affixe, die linear kombiniert
werden. Insofern ist die auch meist in der Notation zu findende, phonologische
Transkribierung weder auf Morphem-, noch auf Morph-Ebene notwendig bzw.
sinnvoll, denn die Erfassung eines Wortes oder auch Morphems ist nicht abhängig
von der phonologischen Analyse.28
Die im Prager Strukturalismus (Trubetzkoy, Jakobson) – unter Einfluß des
russischen Formalismus und der Kasaner Schule – entwickelten Analyseverfahren
der Lautlehre, mit ihren streng dichotomischen Konzepten 'Phon' und 'Phonem' nach
dem Minimalpaarprinzip, führten bei der konsequenten Übernahme und Anwendung
der amerikanischen Schule auf den Bereich der Morphologie, unweigerlich zu
Problemen. Die womöglich gewollte Vagheit bei Bloomfield in Bezug auf starke
phonetische Alternation und Suppletion deutet bereits an, daß in der Sprache
offensichtlich Zusammenhänge zwischen bestimmten Wörtern und ihren
Bestandteilen herrschen, diese sich aber nicht ohne weiteres auf eine Allomorphie-
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Konstellation zurückführen lassen (cf. z.B. go-went, speak-speech).29
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Als Konsequenz daraus, daß bereits die Gründungsväter der morphologischen
Analyseverfahren mehr oder weniger direkt auf ungelöste Fragen oder
problematische Fälle aufmerksam gemacht haben, ist es bis heute Praxis – wie ein
Überblick zeigt (cf. Kap. 3.1, 3.2) – die Frage nach der Definition, Funktion und
Anwendung des Morphs auszuklammern (z.B. Haspelmath/Sims ²2010 nur im
Glossar), oft aber inkonsequenterweise unter gleichzeitiger Verwendung des
Begriffes 'Allomorph'. Dabei wird gerade in Einführungs- und Handbüchern oft
jegliche Problematisierung ausgeblendet und die vorgestellte morphologische
Analyse als intuitiv zweifelsfrei richtig dargestellt, was auch im Rahmen einer ersten
Präsentation etwas zu weit geht.
Moderne theoretische Ansätze der Morphosyntax und Morphologie operieren in der
Regel ohne den Begriff des 'Morphs', oft auch des 'Morphems' (cf. z.B.
Konstruktionsgrammatik), was insofern konsequent ist, als beide Termini
strukturalistisch "vorbelastet" sind. In diesem Sinne verweist auch Anderson (1992:
48) folgerichtig auf die Gefahr der unreflektierten Übertragung von Begriffen: "[…]
basic notions were simply taken over unexamined as defining the subject matter."30
Allerdings zeigt die Praxis, daß gerade 'Morphem' (selten 'Morph') auch in der
modernen, poststrukturalistischen Forschung weiter verwendet wird, oft ohne
explizit die strukturalistischen Implikationen mitzuberücksichtigen. So weist
Carstairs-McCarthy (1992: 7) in seiner Überblicksdarstellung zur Current
Morphology eigens darauf hin, daß er in seinem Buch kein "single coherent network
of definitions of terms such as 'morpheme'" zu liefern beabsichtigt, denn "all these
terms are used more or less differently by different linguists."
Im Handbook of Morphology von Spencer/Zwicky (1998) findet der Morphem-
Begriff zwar eher selten Anwendung, wenn, dann aber auch nicht unbedingt in rein
strukturalistischen Darstellungen, was letztlich insgesamt dafür spricht, daß diesem
Terminus über die Theoriegrenzen hinweg eine gewisse Gültigkeit zukommt.
Anderson (1992, 22006) hingegen ist einer der Vertreter, der mit seiner A-morphous
morphology den traditionellen Morphem-Begriff komplett ablehnt, mit der
Begründung, daß Interaktion zwischen Syntax und Wörtern nur in minimaler
morphosyntaktischer Veränderung besteht, die Grundeinheit auf morphologischer
Ebene aber das Wort bildet. Seine Kritik am Festhalten an der Analyseeinheit des
Morphems und der damit verbundenen Implikationen ist durchaus berechtigt, doch
seine Lösung zwar von Stämmen, Wurzeln und Affixen zu sprechen, gleichzeitig
aber diese Formative nicht weiter zu klassifizieren erscheint vage und in gewisser
Hinsicht inkonsequent.
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Zweifellos wichtig ist aber der Gedanke, dem Wort an sich einen zentraleren Raum
in der morphologischen Betrachtung einzuräumen, da wie oben bereits angedeutet,
in einer sprachwissenschaftlichen Analyse, die auch den Sprecher und dessen
Intuition bzw. kognitiven Prozesse miteinbezieht, das Wort (wie auch immer eine
enge Definition diesbezüglich angelegt sei) der Ausgangspunkt der produzierten
Äußerung ist und sich damit auch als sinnvolle Einheit einer Analyse ergibt.31
Diese Erkenntnis, quasi in einer strukturalistischen Mahnung ante litteram
formuliert, findet sich bereits in einem frühen Beitrag zur Veda- und Avesta-
Forschung:
Die Sprache, oder besser der sprechende operirt ja nicht mit wurzeln und
suffixen, die erst im fall des bedarfs nach gewissen phonetischen regeln
zusammengesetzt, sondern mit fertigen wörtern, die er durch hörensagen
gelernt hat oder vorliegenden mustern unbewusst nachformt. (Bartholomae
1882: 5)
Die Annahme des Wortes als wichtigste Analyseeinheit löst jedoch noch nicht alle
Probleme, denn die Wortbildungsprozesse und die grammatischen wie auch
lexikalischen Zusammenhänge, die der Sprecher intuitiv erfaßt und ggf. reanalysiert,
legen nahe, daß es Elemente der Sprache unterhalb der Worteinheit (als Form- und
Sinneinheit) gibt. Die Modifizierung von Basiseinheiten durch Paradigmen wie es
Stump (2001, 22006) in seiner Paradigm Function Morphology vorgeschlagen hat,
kann einiges adäquat erklären (zumindest bei flektierenden Sprachen). Dennoch
bleibt die fundamentale Frage offen, wie die Einheiten unterhalb der Wortebene, mit
denen letztlich auch in modernen Theorien operiert wird, adäquat zu beschreiben
sind.
5 Fazit
Um schließlich die vorliegende Fragestellung nach der Existenzberechtigung und
einer evtl. Neupositionierung des Morphs und seinem zugrundeliegenden Konzept
wiederaufzugreifen, sei zunächst darauf verwiesen, daß dies – wie hier gezeigt –
kaum möglich ist, ohne das gesamte Verständnis von Morphologie zu tangieren oder
sogar grundsätzliche sprachtheoretische Perspektiven miteinzubeziehen. Dies ist
auch deshalb immer notwendig, da meistens bestimmte Sprachtheorien an ganz
spezifische Sprachen bzw. Sprachtypen gebunden sind und keinesfalls als universal
interpretiert werden dürfen – so ist z.B. die Paradigm Function Morphology ganz
explizit für flektierbare Sprachen konzipiert.
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
PhiN 71/2015: 82
Ein Begriff ist prinzipiell immer auf eine bestimmte Theorie hin konzipiert,
funktioniert also in erster Linie innerhalb dieses Rahmens. Manche Begriffe, und
dazu gehört sicherlich das 'Morphem' (weniger das 'Morph'), werden jedoch
Allgemeingut einer bestimmten Disziplin und müßten dann strenggenommen in
einer konkreten Anwendung wieder neu definiert werden. Je selbstverständlicher ein
Begriff aber in der alltäglichen Wissenschaftspraxis benutzt wird, desto größer ist
auch die Gefahr einer Verwässerung seiner Definition, wie der Überblick über die
Einführungswerke und ihre disparaten Definitionen bzw. Verwendungsweisen
anschaulich belegt (cf. Kap. 3.1). Vor diesem Hintergrund stellt sich einerseits die
Frage, welchen Definitionsbereich und welche Anwendung das 'Morphem' als
Begriff vorstrukturalistischen Ursprungs, strukturalistischer Prägung und
poststrukturalistischer Weiterverwendung hat bzw. haben sollte und andererseits,
hier fokussiert, welche Berechtigung in diesem Kontext der rein strukturalistische
Morph-Begriff noch hat?
Im Zuge einer streng strukturalistischen Betrachtungsweise hat die
Verwendungsweise des Begriffes 'Morph' eine gewisse inhärente Logik und folgt
dem vielzitierten Konzept der Dichotomie, doch im Gegensatz zum 'Phon', welches
auf gewisse Realitäten in der Sprache verweisen kann, bleibt das 'Morph' ein
theoretisches Konstrukt mit wenig Erkenntnisgewinn. Eine mitunter zu
beobachtende Verwendung von 'Allomorph' ohne 'Morph' ist hingegen
unsystematisch und damit abzulehnen.
Eine weniger dem Systemzwang unterliegende Betrachtungsweise wie von
Bloomfield konzipiert (Alternanten, Suppletion), erscheint weniger konsequent, aber
der Sprachrealität wohl näher. Der Begriff 'Morphem' ist als Basiseinheit der
morphologischen Betrachtung im Strukturalismus hingegen weit weniger
problematisch, zumindest was seine Intention betrifft; bezüglich seiner Extension
kollidiert er allerdings mit der Morph-Problematik.
Ziel der vorliegenden Untersuchung war eine kritische Hinterfragung der aktuellen
Verwendungsweisen der Begriffe 'Morph' und 'Morphem' mit dem Fokus auf
ersterem und die Suche nach Anregungen zu weniger problembelasteten
Anwendungen. Dabei sei hier eine grundsätzliche Infragestellung und Diskussion
um terminologische Verwendungsweisen auch ohne die Entwicklung einer neuen
morphologischen Theorie als legitim angesehen, allein um die damit verbundenen
Probleme en detail herauszupräparieren und nachhaltig ins Bewusstsein der
wissenschaftlichen Diskussion zu rücken, verbunden mit dem Desiderat weitere
Reflexionen zu den Grundeinheiten der Morphologie und zur morphologischen
Analyse anstoßen zu können.
In Bezug auf letzteres Anliegen sei deshalb im Zuge einer abschließenden
Überlegung zur morphologischen Analyse der Rückgriff auf die zentrale Stellung
des Wortes auch als Analyseeinheit hervorgehoben (cf. Anderson), da dasselbe auch
den maßgeblichen Ausgangspunkt der Sprachproduktion bildet.
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
PhiN 71/2015: 83
In Erinnerung daran, daß der Begriff 'Morphem'32 einen vorstrukturalistischen
Ursprung hat (cf. Courtenay) und in seiner Grunddefinition insofern nützlich bleibt,
als er eine theoretische, übergreifende Einheit für "Wortteile" wie Affixe, Wurzeln
und Stämme bildet, die zweifellos auch für die Sprecher analysierbare
Spracheinheiten darstellen, mit denen er operiert und tatsächlich neue Wörter in
einer Äußerung produziert, erscheint es nützlich, diesen beizubehalten. Zumal auch
moderne Morphologie-Theorien nicht ohne die Benennung von bestimmten
Einheiten unterhalb der Wortebene auskommen.
Was den Begriff des 'Morphs' anbelangt, so ist zu konstatieren, daß es zwischen den
verschiedenen Subeinheiten der Wörter genauso Zusammenhänge gibt wie zwischen
den Wörtern, die inhaltlich und formal augenfällig sind, doch hier bleibt der
strukturalistisch inspirierte Ansatz problematisch, divergierende Formen wie z.B.
frz. (je) suis – (j')étais als Morphe einem Morphem zuzuordnen, womöglich dann
eine Form als Basisform zu selektieren, nur um der Systematik gerecht zu werden.
Diese Formen sollten viel eher als zwei eigenständige Morpheme aufgefaßt werden,
die einem Paradigma (cf. Stump) zuzuordnen sind. Genauso wäre für das Englische
ein Paradigma 'Plural' anzunehmen, wozu eben verschiedene eigenständige
Morpheme gehören, die dieses ausdrücken können ([-z], [-iz] oder [-s], genauso wie
[-n], [-rn/-rǝn]), unabhängig von deren lautlicher Ähnlichkeit.
Wenn, wie hier postuliert, das Morph weder als vorklassifikatorische Einheit
sinnvoll erscheint, noch als konkrete Realisierungsform eines Morphems und eben
auch nicht in Form eines Allomorphs oder gar Null(allo)morphs,33 dann ist es
sicherlich konsequent, den Terminus nicht weiter zu verwenden und ihn im Rahmen
des strukturalistischen Systems zu belassen.
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Anmerkungen
1 Verbalabstraktum zum Substantiv morph (dt. 'Form') bzw. dem Verb morphόō.
2 Ferdinand de Saussure (1857–1913), der 1879 den eigentlich auf Antoni Dufriche-Desgenettes
(1804–1878) zurückgehenden Terminus 'Phonem' zum ersten Mal verwendete (Saussure 1879: 5) und
maßgeblich für dessen Verbreitung sorgte, stand in engem Briefkontakt mit Baudoin de Courtenay und
wußte um die Arbeit der Kasaner Schule, die ebenfalls ihre Wurzeln in der junggrammatischen
Bewegung hatte. Neben Courtenay selbst war es auch dessen Schüler Mikołaj Kruszewski (russ.
Nikolaij Kruševskij; 1851–1887), der ebenfalls maßgeblich an der Bestimmung der Begriffe 'Phon'
(Kasaner Prägung), 'Phonem' und 'Morphem' beteiligt war (Baudoin de Courtenay 1895: 4f.).
Zur Entstehungsgeschichte des Phonem-Begriffes, seiner ersten Verwendung durch Dufriche-
Desgenettes sowie dem ersten schriftlichen Nachweis in einem anonymen Bericht der Société
Linguistique de Paris (wohl von Louis Havet, 1849–1925) cf. Mugdan (1996: 282f.), zum Einfluß von
Courtenay cf. Bartschat (1996: 46ff.).
3 Fettdruck entspricht hier Sperrdruck im Original.
4 Hjemslev rekurriert hier im Wesentlichen auf die begrifflichen Bestimmungen von 'Morphem' und
'Phonem' des schwedischen Linguisten Adolf Noreen (1854-1925).
5 Die hier angeführten unselbstständigen Morpheme (unique morphemes) cran-, -y und -ing verweisen
auf die zuvor genannten Beispiele cranberry, Johnny/Billy und playing/dancing (Bloomfield 1984:
161).
6 In seinem ersten Einführungswerk verwendete Bloomfield den Terminus 'Morphem' noch nicht,
sondern er rekurriert vermehrt auf das 'Wort' als Grundeinheit (Bloomfield 1914).
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
7 Kernaussagen Bloomfields, wie die folgende, deuten eher auf ein aus heutiger Sicht pragmatisches
Verständnis von Bedeutung (Charles Morris war sein Kollege in Chicago, cf. Wildgen 2010: 83), das
nicht im Widerspruch zu traditionellen Zeicheninterpretation steht: "By uttering a linguistic form, a
speaker prompts his hearers to respond to a situation; this situation and the response to it, are the
linguistic meaning of the form." (Bloomfield 1984: 158)
Dabei interpretiert er das Morphem durchaus als ein aus Ausdruck und Inhalt bestehendes Zeichen: "A
morpheme can be described phonetically, since it consists of one or more phonemes [...]"; "The meaning
of a morpheme is a sememe." (Bloomfield 1984: 161, 162)
PhiN 71/2015: 90
8 Die phonetic modification ist bei Bloomfield (1984: 166ff.) in einem größeren Zusammenhang seiner
Auffassung von grammatischen und lexikalischen Strukturen zu verstehen. So ist beispielsweise die
komplexe Form duchess als ein arrangement der immediate constituents duke (bzw. duch-) und -ess
(mit lautl. Entsprechung) nach vier Kriterien analysierbar: Die (1) selection zeigt die paradigmatische
Zugehörigkeit von duke zu male personal nouns an, die sich mit dem Suffix -ess verbinden können, und
-ess gehört eben zu einer Klasse von Suffixen, die mit Nomen wie duke kombinierbar sind; die (2) order
wiederum bewirkt, daß -ess dem Substantiv duke (bzw. duch-) im arrangement nachfolgt; in Bezug auf
die (3) modulation läßt sich festhalten, daß -ess unbetont ist und der Wortakzent auf duch- liegt; die (4)
phonetic modification schließlich läßt die oben erwähnte lautliche Alternation bei der Aussprache von
duke im Vergleich zu duch- in duchess zu.
9 Parallel wäre hier auch der Plural [-rn] bei child vs. children zu sehen, der wohl zur Not der [-n] Form
als phonetic modification hätte zugeordnet werden können, aber beide dann nach wie vor als Suppletion
zu den s-Varianten zu sehen sind – Bloomfield bleibt hier vage.
10 Dieser Verweis bezieht sich auf die von Harris (1942: 169) einleitend dargelegte, bisherige
Auffassung des 'Morphems', die im Wesentlichen auf Bloomfield zurückgeht und dessen Position er
nochmals prägnant zusammenfaßt: "Every sequence of phonemes which has meaning, and which is not
composed of smaller sequences having meaning, is a morpheme. Different sequences of phonemes
constitute different morphemes; occurrences of the same sequence with sufficiently different meanings
constitute homonyms." Über die Frage, was hier sufficiently different meint bzw. wie dies auszulegen
sei, daran knüpfen letztendlich die weiteren Fragestellungen der adäquaten Morphemanalyse an.
11 Zur Einbettung dieser Vorstellungen in Hocketts Theorie von item & arrangement cf. z.B. Hockett
(1954).
12 Die Perspektive soll hier eine vorwiegend romanistische sein; germanistische Darstellungen wurden
deshalb mit hinzugezogen, da einerseits einige von ihnen auch in der Romanistik meist als
Referenzwerke fächerübergreifender Auffassungen mitberücksichtigt werden, andererseits so ein Blick
über die Praxis in einem anderen Fachbereich gegeben ist.
13 Glessgen (2012: 196) führt Beispiele für morphème zéro und für morphe vide an; er verweist dabei
auf die Probleme der Morphemanalyse, die sich aus der "asymétrie morphologique" ergeben und
erwähnt, daß neuere morphologische Strömungen dem Morphem kritisch gegenüberstehen.
14 Ebenso in Schpak-Dolts Einführung in die Morphologie des Spanischen (1999).
15 "Prinzip 1: Die Morphe, die zu einem Morphem zusammengefaßt werden, müssen eine hinreichend
ähnliche Bedeutung bzw. grammatische Funktion haben" [...]
"Prinzip 2: Die Morphe, die zu einem Morphem zusammengefaßt werden, dürfen in keiner einzigen
Umgebung in Kontrast stehen." (Schpak-Dolt 1992: 11–12, Hervorhebungen im Original)
16 Platz-Schliebs/Schmitz/Müller/Merino Claros (2012: 92) versteigen sich sogar dazu, sich in ihrer
Definition nur auf die Graphemebene zu beschränken: "Ein Morph ist die kleinste bedeutungstragende
Buchstabenfolge."
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
17 Lexika geben oft mehrere Definitionen, sofern sie verschiedene Strömungen berücksichtigen, was
einerseits korrekt im Sinne eine wissenschaftsgeschichtlichen Darstellung ist; oft allerdings wenig
hilfreich im Sinne der Erschließung einer evtl. existierenden Tendenz zu einer communis opinio.
18 Die Definition "kleinstes sprachliches Zeichen" findet sich auch bei Lewandowski (51994 II: 726),
neben anderen.
19 Ganz ähnliche Definitionen finden sich bei Wesch (2001: 62), Gaudino Fallegger (1998: 131) und
Pelz (10 2007: 116). Martin Haase gibt in seiner Einführung Italienische Sprachwissenschaft eine
allgemeine vorklassifikatorische Bestimmung: "Die allgemeine Bezeichnung von Formativen
unabhängig von ihrem Morphemstatus ist MORPH. Dieser Terminus wird jedoch selten verwendet".
(Haase 2007: 32)
PhiN 71/2015: 91
20 Platz-Schliebs/Schmitz/Müller/Merino Claros (2012: 92) hingegen blenden die lautliche Ebene aus
und beschränken sich nur auf die graphische (cf. supra).
21 Auf diese Weise wird beispielsweise in folgenden Einführungswerken verfahren:
Gauger/Oesterreicher/Windisch (1981), Einführung in die romanische Sprachwissenschaft;
Geckeler/Kattenbusch (1992), Einführung in die italienische Sprachwissenschaft; Blasco Ferrer (1994),
Handbuch der italienischen Sprachwissenschaft; Pötters/Bollée (71995), Sprachwissenschaftlicher
Grundkurs für Studienanfänger Französisch; Blasco Ferrer (1996), Linguistik für Romanisten;
Berschin/Fernández-Sevilla/Felixberger (3 2005), Die spanische Sprache; Sokol (22007), Französische
Sprachwissenschaft; Dietrich/Geckeler (5 2007), Einführung in die spanische Sprachwissenschaft;
Lüdtke (2007), Romanische Wortbildung; Stein (3 2010), Einführung in die französische
Sprachwissenschaft.
22 Bei diesem kurzen Überblick kann selbstverständlich keine Vollständigkeit in Bezug auf die
Abhandlung oder auch nur Erwähnung moderner Theorien geleistet werden. Es ist vielmehr eine Art
Stichprobe, um einen Eindruck von der Behandlung des Morphs in der poststrukturalistischen
Linguistik anhand von einigen maßgeblichen Strömungen zu gewinnen.
23 "The most distinctive aspect of this point of view is its rejection of the classical morpheme,
traditionally the cornerstone of morphological analysis." (Anderson 22006: 198)
24 Das form/property-set pairing besteht aus einer form, z.B. Buch-, und einem morphosyntactic
property set, z.B. 'Genitiv, Singular', welches dann die endgültige Form Buches ergibt, notiert als FPSP
<Buch-, {'Genitiv', 'Singular'>. (Stump 2001: 32)
25 So ist die Schlußfolgerung in der Darstellung von Stewart/Stump (2007: 418) in dieser Hinsicht
eindeutig: "[...] the best-motivated theory of the morphology–syntax interface must be word-based
rather than morpheme-based."
26 Die ursprünglich vornehmlich an indogermanischen Sprachen entwickelten Begrifflichkeit der
Sprachwissenschaft im Allgemeinen und der Morphologie im Besonderen sind schon allein deshalb oft
nicht das adäquateste Beschreibungsmittel für andere Sprache aufgrund ihrer divergierenden Struktur.
Umgekehrt wären aber wohl universalistische Denominationen zu allgemein, um sprachspezifische
Erscheinungen übergreifend beschreiben zu können.
27 Aber auch bei Bloomfield (1984: 217) treibt der Zwang zur Systematik bereits seltsame Blüten,
indem er beispielsweise aus formalen Gründen die feminine Form frz. distincte als Basis annimmt aus
der sich die maskuline unter Reduzierung des lautlichen Nexus [-kt] bildet, also frz. distinct. Auch das
Problem des Formensynkretismus bleibt ungelöst.
28 Cf. dazu die Anmerkung von Bierwisch (1973: 60): "Denn die Prozeduren sind nur insoweit
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
unabhängig voneinander, als die Ermittlung der morphologischen Einheiten die phonologischen nicht
unbedingt voraussetzt […]."
29 Zwischen die relativ eindeutigen Suppletionsformen (schwache Suppletion: z.B. dt. gehen-ging;
starke Suppletion: z.B. engl. go-went) und zwei oder mehreren Formen, die noch eine relativ große
lautliche Ähnlichkeit haben (z.B. engl. 'Plural' [-s, -z, ez]) gibt es keine scharfe Grenze, sondern eine
breite Grauzone (z.B. dt. Erde-irden, biegen-Bucht): "Es ist also unmöglich, die Zugehörigkeit einer
Lautform zu einem Morphem in der Zahl der übereinstimmenden oder abweichenden phonologischen
Merkmale zu fassen." (Wurzel 1984: 39)
PhiN 71/2015: 92
30 Bereits Bierwisch (1962: 52) hat darauf aufmerksam gemacht, daß Begriffe wie das Morphem nur
innerhalb einer bestimmten Theorie richtig zu erfassen sind, nicht allein anhand einer Definition: "Das
Morphem muß als Einheit der Sprachtheorie aufgefaßt und innerhalb ihrer bestimmt werden."
31 Das intuitive Sprachverständnis der Sprecher in eine linguistische Analyse der Sprache und ihrer
Einheiten miteinzubeziehen ist zwar per se nicht notwendig, erscheint aber sinnvoll und ergibt
womöglich transparentere und schlüssigere Erklärungsmodelle.
32 Um nicht die strukturalistischen Implikationen und Problemstellungen weiterzutragen, wäre in leicht
veränderten Konzeption ein neutralerer Begriff wie 'Formativ' o.ä. womöglich sinnvoller, würde aber
wieder Fragen der Akzeptanz aufwerfen; insofern scheint 'Morphem' mit leicht veränderter
Anwendungsfunktion hier durchaus akzeptabel.
33 Generell scheinen Begriffe wie 'Nullmorph', 'Nullmorphem', 'Nullallomorph' problematisch (cf.
Bergenholtz/Mugdan 2000), da sie der bilateralen Zeichenstruktur widersprechen und reine Annahmen
einer Systematisierung sind. Elemente zu isolieren, die zwar eine Form haben, aber keinen Inhalt oder
aber keinen Inhalt aber eine Form sind wohl generell problematisch – auch hier drängt sich eher die
Analyse von einem Wort auf, die die Gesamtstruktur berücksichtigt und Modifikationen aus einer
Gesamtperspektive betrachtet.
Roger Schöntag/Corina Petersilka, PhiN 71/2015: 63–92.
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Chapter
The purpose of this paper is to suggest a technique for determining the morphemes of a language, as rigorous as the method used now for finding its phonemes. The proposed technique differs only in details of arrangement from the methods used by linguists today. However, these small differences suffice to simplify the arrangement of grammars.
Book
This book introduces the reader to the basic methods for the study of the internal structure of words, and to the theoretical issues raised by analyses of word structure concerning the organization of the grammars of natural languages. Data from more than sixty languages are used to illustrate these descriptive and theoretical issues. The book is structured into three main parts. In the first part the basic notions of morphology and morphological analysis are introduced, and attention is given to word formation (derivation and compounding), the basics of inflection, and inflectional systems. The second part, reflecting an important characteristic of this book, is the discussion of the interface between morphology and other modules of the grammar such as phonology, syntax, and semantics. It is shown that the formal structure of complex words is not necessarily isomorphic to their phonological or semantic structure. This book is comprehensive since it also deals, in its third part, with the relation between morphology and mind. Facts concerning the processing of complex words are used as a window on the human mind. Language change in the domain of word structure is also approached from that perspective. In a final summarizing chapter, it is shown how the book has taught a theoretically sophisticated notion 'word' and that there are different notions 'word' that should be recognized in a proper linguistic analysis. An index and glossary of terms, exercises (with answers), a language index, and advice for further reading are also provided.
Article
This article provides an overview of Paradigm Function Morphology (PFM). It addresses PFM within the general landscape of current morphological theories, then proceeds to a discussion of its central premises: the need to distinguish between content paradigms and form paradigms, the need for both paradigm functions and realization rules in the definition of a language's morphology, and the centrality of Pān{dot below}ini's principle. The article explains the word-based conception of the morphology-syntax interface afforded by PFM. It also contrasts this conception with the morpheme-based conception postulated by theories such as Distributed Morphology in order to highlight the significant empirical and descriptive advantages of the PFM approach. The most adequate theory of morphology is both inferential and realizational. PFM affords a word-based interface, allowing words to be inserted as units into terminal nodes. It must also clearly be preferred to a number of existing alternatives. © 2007 editorial matter and organization Gillian Ramchand and Charles Reiss the chapters their various authors. All rights reserved.