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Zusammenfassung Dieser Artikel zeigt, dass deutsche Nachkriegskohorten sich kaum in ihren Einstellungen unterscheiden, weder in Bezug auf Lebensziele noch in Bezug auf Sorgen oder gesellschaftliches und politisches Engagement. Diese Kohorteneffekte werden unter Kontrolle von Alters- und Periodeneffekten mit bis zu 551.664 Beobachtungen von bis zu 76.161 Individuen des Sozio-oekonomischen Panels berechnet. Die Ergebnisse zeigen, dass von der Literatur postulierte Generationsunterschiede zwischen der sogenannten Generation Y, X, den Babyboomern, den ’68ern sowie der sogenannten Skeptischen Nachkriegsgeneration in Wirklichkeit kaum existieren. Weithin verbreitete Vorstellungen, wie Generationen sich in ihren Einstellungen unterscheiden, finden sich somit empirisch nicht bestätigt. Angesichts dessen sind Umfragen wie die Shell Jugendstudie wenig sinnvoll, ebenso wie eine Managementliteratur, die Ratschläge zum Umgang mit Generationenunterschieden gibt, welche empirisch nicht feststellbar sind.
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BERICHTE UND DISKUSSIONEN
https://doi.org/10.1007/s11577-018-0570-6
Köln Z Soziol (2018) 70:469–494
Der Generationenmythos
Martin Schröder
Online publiziert: 2. Oktober 2018
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018
Zusammenfassung Dieser Artikel zeigt, dass deutsche Nachkriegskohorten sich
kaum in ihren Einstellungen unterscheiden, weder in Bezug auf Lebensziele noch
in Bezug auf Sorgen oder gesellschaftliches und politisches Engagement. Diese Ko-
horteneffekte werden unter Kontrolle von Alters- und Periodeneffekten mit bis zu
551.664 Beobachtungen von bis zu 76.161 Individuen des Sozio-oekonomischen
Panels berechnet. Die Ergebnisse zeigen, dass von der Literatur postulierte Gene-
rationsunterschiede zwischen der sogenannten Generation Y, X, den Babyboomern,
den ’68ern sowie der sogenannten Skeptischen Nachkriegsgeneration in Wirklichkeit
kaum existieren. Weithin verbreitete Vorstellungen, wie Generationen sich in ihren
Einstellungen unterscheiden, finden sich somit empirisch nicht bestätigt. Angesichts
dessen sind Umfragen wie die Shell Jugendstudie wenig sinnvoll, ebenso wie eine
Managementliteratur, die Ratschläge zum Umgang mit Generationenunterschieden
gibt, welche empirisch nicht feststellbar sind.
Schlüsselwörter Alter-Perioden-Kohortenmodelle · Karl Mannheim ·
Generation Y · Generation X · Babyboomer · 68er · Nachkriegsgeneration
The Myth of Generations
Abstract This article shows that cohorts in Germany after the Second World War
hardly differ in what they consider important in life, what worries them and how they
engage in politics and society. These cohort effects are calculated after controlling
Zusatzmaterial online Zusätzliche Informationen sind in der Online-Version dieses Artikels (https://
doi.org/10.1007/s11577-018- 0570-6) enthalten.
M. Schröder ()
Institut für Soziologie, Philipps-Universität Marburg
Ketzerbach 11, 35032 Marburg, Deutschland
E-Mail: martin.schroeder@uni-marburg.de
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for age and period effects using upwards of 500,000 observations from more than
70,000 individuals in the German Socio-Economic Panel study. They show that
differences, which the literature postulates between the so-called generation Y, X, the
baby boomers, the generation of 68, and the so-called skeptical post-war generation
hardly exist. This means that surveys such as the Shell Youth Study make little sense,
as does a management literature that gives advice on how to handle generational
differences that are not empirically identifiable.
Keywords Age-Period-Cohort models · Karl Mannheim · Generation Y ·
Generation X · Babyboomer · Generation of 68 · Post war generation
1 Einleitung
In Abständen von vier bis sechs Jahren berichtet die Shell Jugendstudie über die Ein-
stellungen junger Menschen (Hurrelmann etal. 2002;Albertetal.2006,2010,2015).
Die dahinterstehenden Forscher gehen davon aus, dass der dabei erkennbare Einstel-
lungswandel alle 15 Jahre eine neue Generation hervorbringt, denn gesellschaftliche
Ereignisse während der Jugendzeit einer Geburtskohorte schweißen diese angeblich
mit lebenslang klar abgrenzbaren Einstellungsmustern zusammen (Hurrelmann und
Albrecht 2014, S. 16). Dabei soll die sogenannte Generation Y beispielsweise ge-
prägt worden sein durch 9/11, die Rio-Umweltschutzdeklaration, das Euro-Bargeld,
den Amoklauf von Erfurt, die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland, Laptops,
Emails und Internet, das Mobiltelefon, MP3 und den iPod. Die vorherige Gene-
ration X hingegen sei durch den Fall der Mauer, Tschernobyl, die EU, Aids, die
Fußball-Weltmeisterschaft 1990, den PC, Telefax, Tastentelefone, CDs und Disc-
mans beeinflusst (Klaffke 2014a, S. 15; Hurrelmann und Albrecht 2014, S. 22 ff.).
Selbst der „Untergang der Estonia“ (Klaffke 2014b, S. 60) und die Gründung der
„Piratenpartei“ (Hurrelmann und Albrecht 2014, S. 25) seien generationsprägend
gewesen. Doch wird eine Geburtenkohorte wirklich eine Generation mit lebenslang
abgrenzbaren Einstellungsmustern, weil sie in ihrer Jugend die Rio-Umweltschutz-
deklaration statt Tschernobyl, die Fußballweltmeisterschaft 2006 statt 1990, CDs
statt MP3s und SMS statt WhatsApp erlebt hat?
Dieser Artikel zeigt, inwiefern gerade die klassische Generationentheorie Karl
Mannheims (1928) daran zweifeln lässt. Ein Literaturüberblick stellt dar, wie die
Literatur die sogenannte Generation Y von der Generation X, den Babyboomern,
den 68ern und der sogenannten Skeptischen Nachkriegsgeneration abgrenzt. Alters-,
Perioden- und Kohortenmodelle untersuchen daraufhin mit Daten des Sozio-oekono-
mischen Panels, wie die Einstellungen von im 20. Jahrhundert geborenen Kohorten
sich tatsächlich unterscheiden. Dabei zeigt sich, dass die in der Literatur festgestell-
ten Generationenunterschiede im Wesentlichen nicht existieren. Einstellungen lassen
sich kaum durch die Mitgliedschaft zu einer bestimmten Geburtenkohorte erklären.
Die wenigen und schwachen Effekte, die sich doch zeigen, weisen zudem oft in die
genau gegenteilige Richtung dessen, was die Literatur vermutet.
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Der Generationenmythos 471
1.1 Der Generationenbegriff als theoretisches Konzept
Nach der klassischen Generationentheorie Karl Mannheims kann von einer Genera-
tion „nur insofern gesprochen werden, als und insofern es sich um eine potenzielle
Partizipation an gemeinsam verbindenden Ereignissen und Erlebnisgehalten handelt“
(Mannheim 1928, S. 180). Eine Generation entsteht somit, wenn ein Geburtenjahr-
gang während seiner besonders prägsamen Jugend- und jungen Erwachsenenjahre
von den gleichen gesellschaftlichen Ereignissen beeinflusst wurde und lebenslang
beeinflusst bleibt, ohne dass der Rest der Gesellschaft dadurch ebenfalls beein-
flusst wurde (Mannheim 1928, S. 328; ebenso Ryder 1965, S. 853; Costanza et al.
2012, S. 377).
Die Zwangsläufigkeit, mit der alle 15 Jahre eine neue Generation ausgerufen wird,
widerspricht jedoch diesem Konzept einer „Generationslagerung als Potentialität.“
Denn danach kann eine neue Generation periodisch entstehen, sie muss es aber
nicht. Entsprechend wird bemängelt: „[v]iele der erfundenen Generationenetiket-
ten beziehen sich auf Personen, die letztendlich kaum gemeinsame einschneidende
Erlebnisse [verbinden], und von einem spezifischen gemeinsamen Generationenbe-
wusstsein kann auch nicht die Rede sein. [...] Dies gilt besonders für die Mehrzahl
der propagierten Generationenetiketten, die auf kulturelle Eigenarten abzielt, und
gerade hier handelt es sich um sehr vage Kennzeichnungen“ (Szydlik 2004,S.9).
Es gilt, drei Generationenkonstrukte zu unterscheiden. Erstens, einen theoretisch
genau definierten Generationenbegriff (Mannheim 1928; Kohli und Szydlik 2000;
Szydlik 2004;Struck2004). Auf dessen Basis wäre beispielsweise denkbar, dass
Generationen zunehmend postmaterialistisch werden oder ihre Zuversicht negativ
mit ihrer Kohortengröße einhergeht (Easterlin 1961, S. 899; Inglehart 1977). Zwei-
tens, Studien mit wissenschaftlichem Anspruch, die zwar alle 15 Jahre eine neue
Generation ins Leben rufen, deren tatsächliche Existenz jedoch angesichts eines
anspruchsvollen theoretischen Generationenbegriffs zweifelhaft ist (Schelsky 1957;
Scholz 2014; Hurrelmann und Albrecht 2014;Albertetal.2015;Klaffke2014a;
Schulenburg 2016;Parment2013;Krause2015). Drittens, eine zwar ebenfalls un-
genaue Verwendung des Generationenbegriffs, die jedoch auch nur einen populär-
wissenschaftlichen Anspruch hat, womit sie trotzdem eine potenziell illusorische
öffentliche Wahrnehmung von Generationen bedingt (Illies 2000,2003; Mangels-
dorf 2014). Der folgende Abschnitt verdeutlicht, inwiefern dem eigentlich präzisen
Generationenbegriff der ersten Literatur recht unklar definierte Generationenkon-
strukte durch die zweite und dritte Literatur übergestülpt wurden.
1.2 Die Anwendung des Generationenbegriffs auf Geburtenkohorten: Y, X, 68er,
Babyboomer, Nachkriegsgeneration
Die derzeit meistdiskutierte Geburtenkohorte ist die zwischen 1985 und 2000 gebo-
rene sogenannte Generation Y. Deren Sicherheitsgefühl sei erschüttert, da „Internet,
soziale Netzwerke à la Facebook und die Globalisierung die Gesellschaft gründlich
neu ordnen.“ Zudem sei für Mitglieder der Generation Y „völlig offen“, ob sie „nach
Schule und Ausbildung wirklich einen passablen Job finde[n]“ (Hurrelmann und Al-
brecht 2014, S. 24). Deswegen fragen deren Mitglieder immer, „was das Beste für
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sie sei und [verschwenden] keinen Gedanken daran, die Lage auf dem Arbeitsmarkt
politisch zu verändern. Stattdessen konzentrieren sie sich auf Schule, Studium und
Ausbildung“ (Hurrelmann und Albrecht 2014, S. 33 f.). Entsprechend wird die Ge-
neration Y als „Me Me Me Generation“ beschrieben (Klaffke 2014b, S. 59). Ihr wird
eine hohe „Freiheitsorientierung“ (Schulenburg 2016, S. 16) unterstellt und sogar der
„Aufstieg des Individualismus“ (Parment 2013, S. 32) zugeschrieben. Goebel und
Clermont (1997, S. 11) nennen sie „individualisierte Großstadtegomanen.“ Nimmt
man diese Beschreibungen ernst, müsste sich die Generation Y relativ zu vorherigen
Generationen und besonders zur Generation X insofern signifikant unterscheiden,
als dass ihr
1. Selbstverwirklichung und
2. Berufserfolg besonders wichtig sind; sie müsste
3. eine niedrige Zukunftszuversicht aufweisen,
4. hohe Sorgen um die eigene Arbeitsplatzsicherheit und die
5. eigene wirtschaftliche Situation haben, verbunden mit
6. niedrigem Politikinteresse und
7. niedrigem politischem und gesellschaftlichem Engagement.
8. Aufgrund der Charakteristika vorheriger Generationen sollte sie außerdem den
Wert einer glücklichen Ehe oder Partnerschaft weniger betonen als die sogenannte
skeptische Nachkriegsgeneration, jedoch mehr als die sogenannten 68er.
Ob diese acht Eigenschaften auf die Generation Y zutreffen und sie sich da-
mit von anderen Generationen abhebt, ist als Hypothesen H1bis H8zu prüfen.
Im Folgenden leite ich diese aus der Literatur ab. Dabei sind die entsprechenden
Vermutungen selbst umstritten. Denn oft werden der Generation Y die oben genann-
ten Eigenschaften, gleichzeitig aber auch gegenteilige zugeschrieben. Beispielswei-
se wird der Generation Y im Rahmen hoher Selbstverwirklichung (H1) nicht nur
eine hohe Freiheitsorientierung, sondern auch das Gegenteil, eine „starke Gemein-
schaftsorientierung“ (Schulenburg 2016, S. 13) zugeschrieben. Nach Hurrelmann
und Albrecht (2014, S. 33, 42; vgl. ebenso Albert et al. 2015, S. 16) ordne die
Generation Y zwar alles dem Ziel unter, „in Beruf und Karriere voranzukommen“
(H2), doch gleichzeitig seien ihr, ganz im Gegenteil, „Gestaltungsmöglichkeiten,
gutes Betriebsklima und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weitaus wichtiger
als eine steile Karriere.“ Andere äußern noch weitergehend, man könne den Ein-
druck haben, dass „die Angehörigen der Generation Y gar kein Interesse mehr daran
hätten, Karriere zu machen“, sie „bevorzugen eine Karriere, die eher seitlich ver-
läuft“ (Krause 2015, S. 32). Demgegenüber unterstellt Schulenburg (2016, S. 16) der
Generation Y zwar „hohe Vergütungsansprüche“, doch Mangelsdorf (2014,S.21f.)
vermutet wieder ganz im Gegenteil, für sie sei „Arbeit nur eine Möglichkeit zur
Selbstverwirklichung.“ Hurrelmann und Albrecht (2014, S. 38) meinen, die Gene-
ration hätte Sorge, „den Lebensstandard, den sie von ihren Eltern gewohnt sind,
selbst nicht halten zu können.“ Doch gleichzeitig sei sie „stets umworben [...] durch
Arbeitgeber“ (Schulenburg 2016, S. 15). Einerseits habe sie eine „lauernde Angst
vor dem Absturz“, andererseits sei sie „immun gegen Ungewissheiten“ (Hurrelmann
und Albrecht 2014, S. 24, 41). Einerseits habe sie eine realistische und pragmati-
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Der Generationenmythos 473
sche Weltsicht“, andererseits verliere sie „vorübergehend die Maßstäbe für die reale
Welt“ (Hurrelmann und Albrecht 2014,S.42f.).
Nicht nur wird der Generation Y somit immer wieder eine Einstellung und
gleichzeitig deren Gegenteil zugeschrieben. Auch sind etliche der Zuschreibungen
selbst höchst nebulös. So sei die Generation Y „zwischen pragmatischem Idealismus
und robustem Materialismus“ zu verorten (Albert et al. 2015, S. 34). Mangelsdorf
(2014, S. 35) meint gar, dass sich „Ypsiloner subtile Farben und natürliches Licht
[wünschen]. Farbnuancen in entspannten Aquamarinblau- und Grüntönen sind be-
liebter als grelle, bunte Farben.“ Parment (2013, S. 9, 11) schreibt der Generation Y
zu, „viel Wert auf Emotionen“ zu legen und „die Strategien der Zukunft neu defi-
nieren“ zu wollen.
Um zu diesen Urteilen zu kommen, berufen sich viele Autoren auf die Me-
dienberichterstattung, welche sich wiederum auf diese Autoren beruft (vgl. Par-
ment 2013, S. 113; Buchhorn und Werle 2011;Frick2010;Klaffke2014a, S. 5;
2014b, S. 66). Doch die zum Beleg der vermeintlichen Generation Y herangezo-
genen Untersuchungen vergleichen Einstellungen gar nicht kohortenübergreifend.
So äußert Parment (2013, S. 5), nur 2,8% der Generation Y stimme der Aussa-
ge zu, „lieber keine Wahlmöglichkeiten“ zu wollen. Doch man erfährt nicht, ob
frühere Jugendliche öfter „keine Wahlmöglichkeiten“ wollten. Ebenso unterstellen
Autoren der Generation Y „unterdurchschnittliches“ Vertrauen in Parteien (Albert
et al. 2015, S. 23), ohne dies mit anderen Geburtenkohorten zu kontrastieren. Selbst
großangelegte Untersuchungen wie die Shell Jugendstudie sind dazu nicht in der
Lage, da sie Einstellungen Jugendlicher weder über längere Zeiträume noch mit de-
nen Erwachsener vergleichen. Generationenforscher meinen deswegen, es gebe „ge-
wichtige methodische Kritik an der Generationenforschung.“ Doch diese sei „kaum
diskussionswürdig“, da „die Existenz einer Generation Y nicht zu bezweifeln ist“
(Schulenburg 2016,S.7,S.f.).
Dies mag stimmen, wenn man beschreibt, dass die Generation Y „nach emotio-
naler Bindung und tiefer Befriedigung“ (Mangelsdorf 2014, S. 23) sucht. Aber gab
es jemals eine Geburtenkohorte, die nicht nach „emotionaler Bindung und tiefer
Befriedigung“ suchte? Auch sei die Generation Y auf der „Suche nach einem ge-
sicherten und eigenständigen Platz in der Gesellschaft“ und versuche „sich den
Gegebenheiten so anzupassen, dass sie Chancen, die sich auftun, ergreifen können“,
sie habe eine „Bedürfnis nach Sicherheit“ und „positiven sozialen Beziehungen“
(Albertetal.2015, S. 13). Doch ist überhaupt eine Geburtenkohorte denkbar, die
nicht nach einem gesicherten und eigenständigen Platz in der Gesellschaft sucht,
sich nicht anpasst, um Chancen zu ergreifen und kein Bedürfnis nach Sicherheit und
positiven sozialen Beziehungen hat?
Dabei müsste sich die Generation Y von ihrem Vorgänger abgrenzen, der von
1970 bis 1985 geborenen Generation X. Oertel (2014, S. 48) schreibt, diese sehe
„Arbeit als zentralen Lebensinhalt, Freizeit hingegen als weniger wichtig an.“ Doch
drei Sätze später beschreibt Oertel das genaue Gegenteil: die Generation X habe „ein
ausgesprochenes Interesse an einem ausgewogenen Verhältnis von Arbeit und Privat-
leben.“ Hurrelmann und Albrecht (2014, S. 23) meinen sogar, die Generation X habe
„null Bock auf Arbeit“, sie sei „orientierungslos und hedonistisch.“ Für die schon
angesprochene Hypothese 2 werden hier also ebenfalls sehr unterschiedliche Aus-
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474 M. Schröder
sagen getroffen, wonach der Generation X beruflicher Erfolg wahlweise besonders
wichtig oder unwichtig ist. Ebenso wird der Generation X einerseits angedichtet,
ihren Eltern sehr nahe zu sein (Hurrelmann und Albrecht 2014, S. 23), anderer-
seits habe sie sich „von den Perspektiven und Rollenbildern ihrer Väter und Mütter
emanzipiert“ (Goebel und Clermont 1997, S. 10) und habe eine außergewöhnliche
schlechte Beziehung zu ihren Eltern (Parment 2013, S. 4). Nicht nur scheint die Ge-
neration X damit ähnlich janusköpfig wie die Generation Y. Sie ist zumindest in der
populärwissenschaftlichen Literatur auch sehr wandlungsfähig. So hat sich laut Ilies
(2000) das Lebensgefühl dieser Generation innerhalb von drei Jahren „entscheidend
verändert“ (Illies 2003). Doch wie sinnvoll ist ein Generationenbegriff, der innerhalb
von drei Jahren ganz neue Einstellungsmuster in einer Generation vorfindet? Dies ist
schließlich das Gegenteil des klassischen Generationenverständnisses Mannheims,
welches von lebenslang stabilen Einstellungsmustern einer Generation ausgeht.
In Bezug auf solche Einstellungen müsste sich die Generation X von den zwi-
schen 1955 und 1970 geborenen Babyboomern abheben. Diese seien „geprägt von
der Urerfahrung der Masse und mussten lernen, ihren beruflichen Weg beziehungs-
weise ihre Karriereambitionen mit hoher sozialer Kompetenz zu verfolgen“ (Klaffke
2014a, S. 12; vgl. dahinterstehend die Konzeption in Easterlin 1961: 899). Doch ihre
später geborenen Mitglieder wuchsen dafür angeblich schon „in der saturiertesten
und langweiligsten Epoche der Bundesrepublik auf: ,Es ging allen gut‘“ (Hurrelmann
und Albrecht 2014: 38). Dies ist nicht nur schwer in Einklang zu bringen mit Unter-
suchungen, die eine Verschlechterung der Arbeitsmarksituation dieser Geburtenko-
horte feststellen (Blossfeld 1986, S. 217; Klein 2003, S. 103; Mayer 2004, S. 202).
Auch gibt es in Bezug auf die Einstellungen der Babyboomer erneut sehr wider-
sprüchliche Aussagen. Parment (2013, S. 8) vermutet, typisch für Babyboomer sei,
„auf ihr Hab und Gut zu achten“, womit eine hohe Orientierung an Berufserfolg
(H2), Sorgen um den Arbeitsplatz (H4) und die eigene wirtschaftliche Situation ver-
bunden sein müsste (H5). Auch Klein (2003, S. 105) sieht eine „geringere Affinität
zu postmaterialistischen Wertorientierungen“, die mit den oben genannten Effekten
für die angesprochenen Hypothesen und einer niedrigen Betonung von Selbstver-
wirklichung (H1) einhergehen müsste. Doch wieder ganz im Gegenteil vermuten
Hurrelmann und Albrecht (2014, S. 23) „postmaterialistische Werte“, was hohe
Selbstverwirklichungswerte bedingen müsste (vgl. ebenfalls Inglehart 1977).
Zumindest besteht Einigkeit, dass die Generationen Y und X sich von den Protes-
ten der von 1940 bis 1955 geborenen 68er Generation distanziert haben, die gegen
Kapitalismus, Machtverhältnisse, Konsum und Wachstum protestierten (Hurrelmann
und Albrecht 2014, S. 19f.; Boltanski und Chiapello 2001, S. 468). Dabei hätten
sie „familiäre und geschlechtliche Leitbilder“ hinterfragt (Herbert 2003, S. 110; vgl.
ebenfalls Boltanski und Chiapello 2001, S. 468f.) und seien eine politisch aktive
Generation gewesen (Lüscher und Liegle 2003, S. 31; Wirth 2001, S. 14). Die 68er
sollten somit eine hohe Neigung zur Selbstverwirklichung aufweisen (H1), Berufser-
folg als weniger wichtig ansehen (H2), ein höheres Politikinteresse aufweisen (H6)
und ein höheres Interesse an entsprechendem politisch-gesellschaftlichem Engage-
ment (H7) haben. Sie sollten außerdem traditionelle Werte und Lebensmodelle, wie
eine glückliche Ehe/Partnerschaft als weniger wichtig einschätzen (H8). Doch auch
diese Charakterisierungen sind umstritten. So äußert Herrmann (2003, S. 161; vgl.
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Der Generationenmythos 475
ebenso Herbert 2003, S. 113), politisches Engagement sei nur „bei kleinen Teil-
gruppen stark ausgeprägt“ gewesen, die Masse habe in „passiver Interessiertheit“
verharrt.
Ein geringes Politikinteresse (H6)und Engagement (H7) sei wiederum typisch
für die Vorgänger der 68er, die von 1925 bis 1940 geborene sogenannte Skeptische
Generation. Denn diese wurde mit der Ideologie des Nationalsozialismus indoktri-
niert, um daraufhin dessen Zusammenbruch zu erleben. Deswegen sollte sie eine
„deutlich hervortretende Politikferne“ aufweisen (Herbert 2003, S. 104). Sie sei
aufgrund ihrer Jugenderfahrung auch „skeptischer, misstrauischer, glaubens- oder
wenigstens illusionsloser als alle Jugendgenerationen vorher“ und werde „nie revo-
lutionär, in flammender kollektiver Leidenschaft auf die Dinge reagieren [und] alles
Kollektive ablehnen, ohne daraus ein Gegenprogramm zu machen [...], damit das
mühselig und glücklich wieder Erreichte, der Wohlstand und das gute Gewissen, die
gebilligte Demokratie und die private Zurückgezogenheit, nicht wieder aufs Spiel
gesetzt werden“ (Schelsky 1957, S. 488f.). Dies suggeriert ein niedriges Politikinter-
esse (H6), eine niedrige Bereitschaft, sich politisch oder gesellschaftlich einzusetzen
(Hypothese H 7) und die hohe Relevanz einer glücklichen Ehe und Partnerschaft
(Hypothese H 8) für diese vermeintliche Generation.
Als Nachfolger der Generation Y wird schon die Generation Z ausgemacht.
Über deren maximal 14-Jährige Mitglieder berichten Hurrelmann und Albrecht
(2014, S. 26), es handele sich um eine „sehr selbstbewusste und wieder politisch
stärker interessierte junge Generation“, die sich „nicht so unter Leistungsdruck setzt
wie die vorangehende.“ Scholz (2014, S. 29 f.) bezieht sein Generationenurteil über
maximal 14-Jährige aus folgenden vier Quellen: einem „Aufsatz aus einer wissen-
schaftlichen Zeitschrift, den zwei Forscher aus Gazibad (einem Vorort von New
Delhi) verfasst haben [...], Zeitungsartikeln [...], Blogs, Foren [und] viertens doku-
mentierte Einzelbeobachtungen.“ Doch wenn Autoren äußern, für die Generation Z
stehen „Bedürfnisse nach Sicherheit, Orientierung und Zugehörigkeit [...] exibel
neben Leistungsorientierung und Ehrgeiz sowie dem Wunsch nach Abwechslung,
individueller Entfaltung und Lebensgenuss“ (Klaffke 2014b, S. 73), so kann man
auch hier fragen, ob jemals eine Geburtenkohorte gegen Sicherheit, Orientierung
und Zugehörigkeit, Abwechslung, individuelle Entfaltung und Lebensgenuss war?
Gegenüber Charakterisierungen, die schon 14-Jährige als neue Generation anse-
hen, gibt es kaum empirische Ergebnisse aus begutachteten Fachzeitschriften, die
durch Einstellungen abgrenzbare Generationen empirisch belegen könnten (vgl. als
einzige Ausnahme Klein 2003). Insofern präsentiert die derzeitige Literatur „a pro-
blematic picture of the empirical evidence for generational differences. The evidence
is at best mixed, with as many studies failing to find differences between genera-
tions as finding them [and] a number of authors finding differences that contradict
the popular stereotypes of Baby Boomers, Generation X and Generation Y“ (Parry
und Urwin 2011, S. 88). Insgesamt gebe es „little evidence supporting the exis-
tence of significant and meaningful differences that are attributable to generation
membership“ (Costanza et al. 2012, S. 288). Kohli und Szydlik (2000,S.7)spre-
chen gar von einer „Generationenetikettierungswut“ und bezweifeln, dass dahinter
reale Einstellungsunterschiede stehen (vgl. ebenso Struck 2004, S. 49; Mommsen
2003, S. 115).
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476 M. Schröder
Jene, die immer wieder neue Generationen identifizieren, äußern zwar, diese
Kritik habe „in Wissenschaftskreisen schon zu Zweifeln geführt, ob [mit dem Ge-
nerationenbegriff] überhaupt gearbeitet werden kann und soll.“ Doch dies wischen
sie beiseite mit dem Argument, der Generationenbegriff gehöre „zur Umgangs-
sprache. Man kann daher annehmen, dass er auf verbreitete Erfahrungen und Vor-
stellungen verweist und zu deren Umschreibung nützlich ist“ (Lüscher und Liegle
2003, S. 33). Doch sollte Wissenschaft sich von der Umgangssprache diktieren
lassen, welche Konzepte sie für geeignet hält oder sollte sie alltagsweltliche Beob-
achtungen vielmehr kritisch auf ihren empirischen Wahrheitsgehalt prüfen? Bisher
stehen entsprechende empirische Studien aus, wie Costanza et al. (2012, S. 379) in
ihrer Metaanalyse feststellen: „Empirical studies using longitudinal designs are rare
and studies that include a conceptualization of the changing nature of generational
differences over time are rarer still.“
2 Daten und Methoden
Das deutsche Sozio-oekonomische Panel (SOEP) enthält 586.422 Beobachtungen
von 80.459 Individuen aus den Geburtenkohorten 1892 bis 1998. Die Tabelle un-
ter Überschrift 2 im Online Anhang („Deskriptive Informationen: Verteilung der
Generationen auf Geburtenjahrgänge“) zeigt, wie diese Beobachtungen sich auf
die Geburtenjahrgänge verteilen. Aus diesen Beobachtungen habe ich acht Ein-
stellungsvariablen genutzt, welche die acht Hypothesen über Generationen testen
können (vergleiche dazu die deskriptiven Darstellungen der acht Variablen unter
Überschrift 2 im Online Anhang „Deskriptive Informationen: Einstellungsvariablen/
abhängige Variablen“). Je nach Einstellungsvariable stehen 110.516 bis 582.132 Be-
obachtungen zur Verfügung. Dabei berücksichtige ich nur Personen, die nach dem
Jahr 1925 geboren wurden, was den Datensatz auf (je nach Variable) 104.792 bis
551.664 Beobachtungen reduziert. Tabelle 1gibt eine Übersicht darüber, welche
Hypothese mit welcher Variable untersucht wird.
Die ersten beiden Variablen wurden so kodiert, dass Befragte mit den Antwort-
möglichkeiten 1) ganz unwichtig, 2) weniger wichtig, 3) wichtig und 4) ganz wichtig
bewerten, für wie essenziell sie es halten, sich selbst zu verwirklichen und Erfolg im
Beruf zu haben. Dies kann Hypothese H1und H2testen. Hypothese H3,dasssich
Tab . 1 Hypothesen und entsprechende Variablen
Hypothese Getestet mit Variable
1 Wichtigkeit: sich selbst verwirklichen
2 Wichtigkeit: Erfolg im Beruf haben
3 Sehe Zukunft zuversichtlich
4 Sorgen Arbeitsplatzsicherheit
5 Sorgen eigene wirtschaftliche Situation
6 Interesse für Politik
7 Wichtigkeit: sich politisch, gesellschaftlich einsetzen
8 Wichtigkeit: glückliche Ehe, Partnerschaft haben
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Der Generationenmythos 477
Generationen in ihrer Zukunftszuversicht unterscheiden, teste ich mit einer Variable,
die Befragte bittet, auf die Aussage „Sehe Zukunft zuversichtlich“, mit den Antwort-
möglichkeiten: 1) gar nicht, 2) eher nicht, 3) eher und 4) ganz und gar zu antworten.
Die Hypothesen H4und H5zu unterschiedlichen Sorgen der Generationen tes-
te ich mit Variablen, in denen Befragte gebeten wurden anzugeben, ob sie sich 1)
keine Sorgen, 2) einige Sorgen oder 3) große Sorgen um Arbeitsplatzsicherheit und
die eigene wirtschaftliche Situation machen. Hypothese H6, die von unterschiedli-
chem Politikinteresse der Kohorten ausgeht, teste ich mit einer Variable, in der das
Interesse für Politik mit den Kategorien 1) „überhaupt nicht“, 2) „nicht stark“, 3)
„stark“ und 4) „sehr stark“ abgefragt wurde. Zudem messe ich Hypothese H7,wel-
che unterschiedliches politisches und gesellschaftliches Engagement der Kohorten
postuliert, mit Fragen nach der wahrgenommenen Wichtigkeit dieses Engagements.
Hypothese H8, zum Rückzug ins Private einiger Generationen, teste ich mit einer
Variable, welche abfragt, für wie wichtig Befragte eine glückliche Ehe oder Part-
nerschaft halten. Die Kategorien dieser letzten beiden Variablen sind dieselben wie
bei den Variablen zu Hypothese H1und H2.
In jedem Fall sind die dabei berechneten Kohorteneffekte nur bereinigt um Al-
terseffekte aussagekräftig. Denn dass junge Menschen anders als ältere denken, sagt
nichts über eine Generation aus, schließlich kann auch das jeweilige Lebensalter
Einstellungsunterschiede erklären. Um auf Kohorteneffekte und damit Generationen
zu schließen, muss man deswegen Menschen im gleichen Alter vergleichen. Dies
geschieht zuerst deskriptiv, indem ich für jede der Einstellungsvariablen zeige, ob
jede Geburtenkohorte im Alter von 16 bis 25 eine besondere Verteilung auf die Ant-
wortmöglichkeiten aufweist. In einem zweiten Schritt fasse ich Geburtenjahrgänge
zu den in der Literatur postulierten Generationen zusammen. Dabei versuche ich, die
Antworten auf die Einstellungsvariablen mit der Kohortenzugehörigkeit zu erklären,
während ich die Variablen Alter, Alter quadriert und Erhebungsjahr kontrolliere.
Erst unter Kontrolle dieser linearen und nicht-linearen Einflüsse des Lebensalters
und von Periodentrends, die die gesamte Bevölkerung erfassen können, zeigt sich,
ob tatsächlich die Kohortenzugehörigkeit der Befragten deren Antworten beeinflusst.
Ein in der Methodenliteratur vieldiskutiertes Problem ist, dass Alters-, Perioden-
und Kohorteneffekte rein statistisch nicht zu trennen sind (Glenn 1976; Mason und
Wolfinger 2001; Ryder 1965). Denn die Kohortenzugehörigkeit ergibt sich aus dem
Jahr einer Messung minus dem Lebensalter zum Jahr dieser Messung, sodass jeder
Kohorteneffekt durch eine lineare Kombination von Perioden- und Alterseffekten er-
klärbar ist (Mason et al. 1973; Mason und Fienberg 1985). Es ist prinzipiell unmög-
lich, diese lineare Abhängigkeit der drei Zeitvariablen aufzulösen (O’Brien 2011;
Smith 2004, S. 113; Holford 1991;Luo2013). Beispielsweise kann man nicht fest-
stellen, ob ein 20-Jähriger im Jahr 1990 eine Einstellung hatte, weil er 1970 geboren
ist (Kohorteneffekt) oder weil er im Jahr 1990 genau 20 Jahre alt ist (Perioden- plus
Alterseffekt). Denn es gibt keine Vergleichsgruppe, die zwar ebenfalls 1970 geboren
wäre, aber 1990 nicht 20 Jahre alt ist. Dies ist allerdings nur problematisch, wenn
man gleichzeitig Dummyvariablen für Geburtsjahr, Lebensjahr und Kalenderjahr
aufnimmt oder für jede Kohorte spezifische Alters- oder Periodeneffekte zugrunde
legt. Unproblematisch messbar ist dahingegen, ob eine Geburtenkohorte unter Kon-
trolle ihres Lebensalters und des Messzeitpunktes eine andere Einstellung als eine
K
478 M. Schröder
andere Kohorte aufweist, solange man denselben linearen und gegebenenfalls qua-
dratischen Einfluss des Lebensalters und Messzeitpunktes auf die Einstellungen aller
Kohorten unterstellt (Glenn 1976; Rodgers 1982; Holford 1985; Mason und Wolfin-
ger 2001, S. 2190f.). Um sicherzustellen, dass diese Unterstellung unproblematisch
ist, muss man die Ergebnisse der deskriptiven Analysen mit den Ergebnissen durch
Alters-, Perioden- und Kohortenmodelle vergleichen.
Unstrittig ist, dass die Antworten „sehr wichtig“, „wichtig“, „weniger wichtig“
und „ganz unwichtig“ abnehmende Zustimmung implizieren. Unklar ist jedoch, in
welchem Ausmaß die Zustimmung sich von einer Kategorie zur nächsten verrin-
gert. Eine logistische Random Effects-Regression kann nichtsdestotrotz berechnen,
wie die kohortenspezifische Zustimmung sich nach Kontrolle von Alters- und Pe-
riodeneffekten unterscheidet. Denn sie stellt die ordinale Skalierung der Antwort-
möglichkeiten in Rechnung, indem sie zeigt, wie wahrscheinlich es für jede der Ge-
burtenkohorten ist, eine höhere Antwortkategorie zu wählen, beispielsweise „sehr
wichtig“ statt „wichtig.“ Da die meisten Hypothesen über die Generation Y vorlie-
gen, berechne ich, ob die Antworten jeder vorherigen Generation sich von denen
der Generation Y unterscheiden. Ich differenziere dazu die von 1985–2000 geborene
Generation Y 1) von der Skeptischen Generation (Geburt 1925–40), 2) den 68ern
(1940–55), 3) den Babyboomern (1955–70) und der 4) Generation X (1970–85).
Da Signifikanztests bei den hier genutzten sehr hohen Fallzahlen falsche positive
Ergebnisse liefern, ist es erstens sinnvoll, sich auch die substanziellen Effektstär-
ken klar zu machen. Zweitens ist ein Nachteil der Analysemethoden für kategoriale
Daten, dass Effekte in Regressionsmodellen immer relativ zu einer anderen Ge-
neration gezeigt werden müssen (hier zur Generation Y). Ein dritter Nachteil ist,
dass diese Modelle zwar ausrechnen, wie hoch die Chance einer bestimmten Ko-
horte ist, eine höhere Antwortkategorie (und damit stärkere Zustimmung zu einer
Einstellungsfrage) auszuwählen. Die Modelle unterscheiden jedoch nicht, ob eine
bestimmte Kohorte beispielsweise Antwortmöglichkeit 3 statt 2 oder 4 statt 3 wählt.
Um diesen drei Problemen zu begegnen, visualisiere ich alle Effektstärken, indem
ich zeige, wie stark jede der Kohorten jede der Antwortmöglichkeiten mit höhe-
rer Wahrscheinlichkeit wählt, als es der Durchschnitt aller Geburtenkohorten tut,
nachdem Alters- und Periodeneffekte kontrolliert wurden.
Neben diesen Alters- und Periodeneffekten kontrolliere ich, ob Befragte aus West-
oder Ostdeutschland kommen. Dies stellt in Rechnung, dass die deutsche Bevölke-
rung nach 1990 nicht dieselbe ist wie vorher. Die unten präsentierten Effekte habe
ich ebenfalls unter Kontrolle von und jeweils getrennt nach Geschlecht, Ausbil-
dungsniveau, Beschäftigungssituation und deutscher Staatsangehörigkeit berechnet.
Dies verändert die Ergebnisse jedoch kaum. Deswegen, und da die Literatur gera-
de nicht vermutet, dass Kohorten sich erst nach Kontrolle von Bildung, Geschlecht
oder Herkunft unterscheiden, nehme ich keine weiteren Kontrollvariablen in die
Hauptberechnungen auf.
K
Der Generationenmythos 479
3 Resultate
3.1 Deskriptive Datendarstellung
Die Grafiken in Abb. 1zeigen deskriptiv, wie jede Geburtenkohorte im Jugend-
alter von 18 bis 25 auf die acht untersuchten Einstellungsfragen geantwortet hat.
Alle Daten sind gewichtet, um ein repräsentatives Bild der auf Gesamtdeutschland
hochgerechneten (jugendlichen) Bevölkerung zu geben. Wenn es wirklich Genera-
tionen gibt, dann müssten die unterschiedlichen Geburtenkohorten im Jugendalter
unterscheidbare Einstellungen haben.
Die deskriptiven Grafiken in Abb. 1zeigen, dass entgegen der Annahme unter-
schiedlicher Generationen, von 1966 bis 1991 geborene Geburtenkohorten im Ju-
gendalter jeweils sehr ähnlich auf die verschiedenen Einstellungsfragen geantwortet
haben. Die von der Literatur diskutierten Unterschiede finden sich kaum. So gibt es
gerade in Bezug auf die Wichtigkeit von Selbstverwirklichung kaum systematische
Unterschiede des Antwortverhaltens verschiedener Geburtenkohorten. Ein leichter
Trend scheint erkennbar zu sein, wonach ab 1972 geborene Kohorten Berufserfolg
als wichtiger ansehen, was Teile der Literatur für die Generation X und Y anneh-
men, andere jedoch nicht. Man könnte auch argumentieren, dass zumindest in den
letzten vier gemessenen Jahrgängen (der Generation Y) die Zukunftszuversicht et-
was niedriger ist. Sorgen um die eigene Arbeitsplatzsicherheit oder wirtschaftliche
Situation scheinen jedoch kaum systematisch mit den verschiedenen Geburtenko-
horten zu schwanken, ebenso wenig das Interesse für Politik. Für die Wichtigkeit,
1955 36
1752 40
0854 38
1851 40
011 52 37
1657 36
210 51 37
1953 37
0854 37
1754 38
2750 41
111 54 34
014 46 40
1955 35
0558 37
1744 49
010 53 38
1758 34
110 49 40
114 52 34
110 57 32
113 51 36
110 55 34
113 51 35
013 52 35
112 50 37
0 20406080100
1991
1990
1989
1988
1987
1986
Y
1984
1983
1982
1981
1980
1979
1978
1977
1976
1975
1974
1973
1972
1971
X
1969
1968
1967
1966
Wichtigkeit: Sich selbst verwirklichen
[1] Ganz unwichtig [2] Weniger wichtig [3] Wichtig [4] Sehr wichtig
Abb. 1 Einstellungsvariablen für 18–25-Jährige, je nach Geburtsjahrgang
K
480 M. Schröder
110 47 41
0650 44
1552 42
0552 43
0550 45
1545 49
4745 44
1558 37
2854 37
1651 42
1846 44
1661 32
1943 48
1551 43
1347 49
2648 44
2445 49
1648 45
3943 45
110 44 45
1850 41
0952 39
210 46 42
110 52 37
0856 36
3854 35
0 20 40 60 80 100
1991
1990
1989
1988
1987
1986
Y
1984
1983
1982
1981
1980
1979
1978
1977
1976
1975
1974
1973
1972
1971
X
1969
1968
1967
1966
Wichtigkeit: Erfolg im Beruf haben
[1] Ganz unwichtig [2] Weniger wichtig [3] Wichtig [4] Sehr wichtig
Abb. 1 (Fortsetzung)
413 57 26
117 60 22
121 55 23
111 56 31
120 64 15
321 59 17
229 57 12
318 57 23
113 66 20
529 52 14
422 53 21
324 52 20
323 55 19
624 51 19
322 56 19
425 56 15
324 57 16
524 55 16
325 51 21
523 55 16
928 47 16
732 45 16
429 53 14
733 45 15
0 20 40 60 80 100
1991
1990
1989
1988
1987
1986
Y
1984
1983
1980
1979
1978
1977
1976
1975
1974
1973
1972
1971
X
1969
1968
1967
1966
Sehe Zukunft zuversichtlich
[1] Gar nicht [2] Eher nicht [3] Eher [4] Ganz u.gar
Abb. 1 (Fortsetzung)
K
Der Generationenmythos 481
57 29 14
48 35 16
49 35 16
54 31 16
41 35 24
40 38 22
38 39 23
47 33 21
41 37 22
36 41 23
39 40 21
41 41 18
44 39 18
46 36 18
42 38 21
44 42 14
41 41 18
44 40 16
42 40 18
54 32 14
55 32 12
51 34 16
52 32 16
56 31 13
53 31 16
53 32 15
020406080100
1991
1990
1989
1988
1987
1986
Y
1984
1983
1982
1981
1980
1979
1978
1977
1976
1975
1974
1973
1972
1971
X
1969
1968
1967
1966
[1] Keine Sorgen [2] Einige Sorgen [3] Grosse Sorgen
Sorgen Arbeitsplatzsicherheit
Abb. 1 (Fortsetzung)
28 52 20
28 50 22
22 56 22
27 49 24
19 55 26
19 54 28
20 52 28
21 53 26
20 52 28
21 50 28
22 52 25
22 51 26
26 49 25
25 54 21
22 54 24
26 51 23
22 57 21
27 52 21
23 54 22
26 54 19
29 52 19
24 54 22
24 55 21
31 51 18
30 52 18
28 53 19
0 20 40 60 80 100
1991
1990
1989
1988
1987
1986
Y
1984
1983
1982
1981
1980
1979
1978
1977
1976
1975
1974
1973
1972
1971
X
1969
1968
1967
1966
Sorgen eigene wirtschaftliche Situation
[1] Keine Sorgen [2] Einige Sorgen [3] Grosse Sorgen
Abb. 1 (Fortsetzung)
K
482 M. Schröder
28 47 20 6
25 48 22 5
24 52 21 3
27 50 18 5
31 51 15 3
29 50 17 4
32 48 16 4
23 52 20 4
25 52 19 4
29 48 18 6
31 48 18 4
27 54 16 4
24 50 22 3
23 57 17 3
26 53 18 3
26 53 18 3
28 54 15 3
24 55 17 4
24 53 19 3
23 56 17 4
25 56 16 3
26 57 15 2
23 52 21 3
22 51 21 6
19 50 24 7
23 50 22 5
020406080100
1991
1990
1989
1988
1987
1986
Y
1984
1983
1982
1981
1980
1979
1978
1977
1976
1975
1974
1973
1972
1971
X
1969
1968
1967
1966
Interesse fuer Politik
[4] Ueberh. nicht [2] Nicht stark [3] Stark [4] Sehr stark
Abb. 1 (Fortsetzung)
17 44 35 4
26 52 20 2
17 57 23 2
21 52 23 3
27 53 18 3
28 53 15 4
33 51 13 3
25 52 21 2
24 56 16 4
23 52 21 3
22 52 25 1
17 60 21 2
18 48 31 3
26 56 16 1
22 62 13 3
31 47 20 3
28 55 15 2
26 51 19 5
24 54 19 3
29 51 17 3
32 52 15 1
31 55 13 1
29 53 16 1
21 56 21 2
21 58 19 2
23 48 26 3
0 20 40 60 80 100
1991
1990
1989
1988
1987
1986
Y
1984
1983
1982
1981
1980
1979
1978
1977
1976
1975
1974
1973
1972
1971
X
1969
1968
1967
1966
Wichtigkeit: Sich politisch, gesellschaftlich einsetzen
[1] Ganz unwichtig [2] Weniger wichtig [3] Wichtig [4] Sehr wichtig
Abb. 1 (Fortsetzung)
K
Der Generationenmythos 483
0729 64
210 33 55
1530 64
1633 60
1735 57
411 32 54
4932 55
2633 59
3936 52
3826 63
0632 62
0630 63
2225 70
3641 50
3738 52
3935 53
4831 58
58 33 54
310 36 51
3529 63
1724 67
2522 72
2626 66
1728 64
2528 66
1327 68
020406080100
1991
1990
1989
1988
1987
1986
Y
1984
1983
1982
1981
1980
1979
1978
1977
1976
1975
1974
1973
1972
1971
X
1969
1968
1967
1966
Wichtigkeit: Glueckliche Ehe, Partnerschaft haben
[1] Ganz unwichtig [2] Weniger wichtig [3] Wichtig [4] Sehr wichtig
Abb. 1 (Fortsetzung)
sich politisch und gesellschaftlich einzusetzen, kann man noch am ehesten erkennen,
dass die zuletzt geborene Geburtskohorte hohe Werte zeigt, was jedoch genau dem
Gegenteil dessen entspricht, was der Generation Y unterstellt wird. Auch der Wert
einer Rückkehr ins Privatleben scheint kaum systematisch zwischen vermeintlichen
Generationen zu schwanken, wenn man sich anschaut, wie stark einzelne Kohorten
die Wichtigkeit einer glücklichen Ehe oder Partnerschaft betonen.
Anhand dieser deskriptiven Daten kann man kaum von nennenswerten Gene-
rationeneffekten sprechen, erst recht nicht von jenen, die die Literatur postuliert.
Doch die deskriptive Analyse hat drei Nachteile. Sie kann zwar die Einstellungen
von Geburtenkohorten im selben (Jugendalter) untersuchen, jedoch nur für den Zeit-
raum, für den wir Daten entsprechender Jugendlicher haben. Sie kann zudem nicht
zeigen, ob Unterschiede statistisch signifikant sind und kann keine Periodeneffekte
herausrechnen. Dies geschieht deswegen im Folgenden.
3.2 Inferenzstatistische Analyse
Alle Effekte der Tab. 2beruhen auf ordinalen Regressionen. In diesen wird die
Chance jeder Generation angegeben, bei der jeweiligen Variablen eine Antwortmög-
lichkeit anzugeben, die einen Punkt über den Antworten der Generation Y liegt. So
bedeutet beispielsweise der erste Effekt von 0,895 in Modell 1, dass die sogenannte
skeptische Generation gegenüber der Generation Y eine um 10,5% (insignifikant)
verringerte Chance hat, Selbstverwirklichung auf der Viererskala für eine Kategorie
wichtiger als die Generation Y zu halten. Die mit den Geburtenkohorten verbunde-
K
484 M. Schröder
Tab . 2 Kohorteneffekte nach Kontrolle von Perioden- und Alterseffekten
(1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8)
Wichtig
Selbst verwirkli-
chen
Wichtig
Erfolg
Beruf
Zuversichtlich
Zukunft
Sorge
Arbeitsplz-
sicher
Sorge
eigen
wirt Sit
Interesse
Politik
Wichtig
pol gesell
einsetzen
Wichtig
glueck Ehe
Partner
Skeptisch 0,895 0,797 0,922 1,084 0,879 0,717 0,763 1,243
1926–40 (–0,79) (–1,54) (–0,59) (0,58) (–1,13) (–1,89) (–1,74) (1,22)
68er 1,109 1,121 0,963 0,948 0,940 1,357* 1,266 0,926
1941–55 (0,95) (1,02) (–0,35) (–0,50) (–0,70) (2,25) (1,95) (–0,55)
Babyboom 0,953 0,969 0,892 1,096 1,271*** 1,111 0,998 0,956
1956–70 (–0,63) (–0,40) (–1,47) (1,23) (3,98) (1,12) (–0,02) (–0,46)
X: 1971–85 0,899* 0,789*** 0,954 1,059 1,298*** 0,837** 0,820*** 1,187**
(–2,09) (–4,60) (–0,86) (1,16) (6,79) (–2,97) (–3,54) (2,73)
Y: 1986–00 1 1 1 1 1 1 1 1
Alter 0,931*** 0,979*** 0,958*** 1,105*** 1,049*** 1,080*** 0,992 1,114***
(–16,64) (–4,48) (–10,14) (20,11) (15,12) (17,74) (–1,68) (19,65)
Alter21,000*** 0,999*** 1,000*** 0,999*** 0,999*** 1,000*** 1,000 0,999***
(3,95) (–11,59) (4,23) (–25,13) (–23,15) (–11,17) (0,53) (–26,38)
Erhebungsjahr 1,005* 0,994* 1,029*** 0,987*** 1,004 0,977*** 1,036*** 0,979***
(2,02) (–2,31) (11,37) (–5,25) (1,92) (–7,58) (12,75) (–6,45)
Ostdeutschland 1,324*** 1,351*** 0,679*** 3,285*** 2,176*** 0,951 0,714*** 0,886***
(12,02) (12,10) (–17,94) (48,83) (38,99) (–1,72) (–12,96) (–3,96)
N_clust 48.147 47.429 35.581 55.894 76.161 75.202 48.172 48.102
Observations 111.112 106.083 104.792 335.796 551.664 541.410 111.203 110.759
Koeffizienten sind Odds Ratios; t-Statistiken in Klammern; *p< 0,05, ** p< 0,01, ***p< 0,001
K
Der Generationenmythos 485
nen Effektstärken zeigen somit, ob eine Kohorte bestimmten Einstellungen stärker
zustimmt als die Generation Y, unabhängig von Lebensalter und Messzeitpunkt.
Das erste Modell zeigt nur einen einzigen signifikanten Kohorteneffekt: Nach
Kontrolle von Alters- und Periodeneffekten hat die sogenannte Generation X eine um
10,1% geringere Chance, Selbstverwirklichung für eine Antwortkategorie wichtiger
zu halten als die Generation Y. Die Hypothese, dass einzelne Generationen, wie die
68er oder die „Ypsiloner“, einen besonders starken Hang zur Selbstverwirklichung
haben, wird also mit Ausnahme eines geringen Hangs zur Selbstverwicklung der
Generation X nicht bestätigt.
Das zweite Modell zeigt wieder nur einen einzigen signifikanten Kohorteneffekt,
nämlich dass die sogenannte Generation X eine um 21,1% geringere Chance als die
Generation Y hat, Berufserfolg für eine Antwortkategorie wichtiger zu halten. Dies
ist erstaunlich, da einige der Generation X nachsagen, „Arbeit als zentralen Lebens-
inhalt“ anzusehen (Oertel 2014, S. 48), wobei eben auch die genau gegenteiligen
Aussagen zu finden sind. Die vermeintliche Generation Y unterscheidet sich in ihrer
Betonung von Berufserfolg nicht signifikant von allen anderen Generationen. Selbst
die sogenannte 68er-Generation bewertet Berufserfolg als (insignifikant) wichtiger
als die Generation Y. Dass gerade für die Generation Y Berufserfolg wichtig sei,
beispielsweise gegenüber der sogenannten 68er-Generation, kann also nicht bestätigt
werden.
Erstaunlich ist ebenfalls, dass Modell 3 zeigt, wie keine einzige der Generatio-
nen signifikant zuversichtlicher oder hoffnungsloser in die Zukunft blickt als die
Generation Y. Die Hypothese, dass die Generation Y eine „lauernde Angst vor dem
Absturz“ und ein „erschüttertes Sicherheitsgefühl“ habe (Hurrelmann und Albrecht
2014, S. 15, 24), kann durch den Vergleich mit anderen Generationen somit ebenfalls
widerlegt werden.
Modell 4 zeigt, dass auch keine der vorherigen vermeintlichen Generationen
sich signifikant mehr oder weniger Arbeitsplatzsorgen als die zuletzt geborene ver-
meintliche Generation Y macht. Damit wiederlegen die Daten die angeblich hohen
Arbeitsplatzsorgen der Generation Y (Hurrelmann und Albrecht 2014, S. 24, 33f.).
Überhaupt zeigt sich, dass Zukunftszuversicht und Sorgen um Arbeitsplatzsicher-
heit keine signifikanten Kohorteneffekte aufweisen und sich insofern nicht zwischen
vermeintlichen Generationen unterscheiden.
Modell 5 zeigt angesichts der Vorhersagen der Literatur ebenfalls überraschen-
de Ergebnisse. Denn gegenüber den letzten Geburtenjahrgängen der sogenannten
Generation Y haben die Babyboomer eine um 27,1% und die Generation X eine
um 29,8 % erhöhte Chance, sich mehr Sorgen um ihre wirtschaftliche Situation zu
machen. Dies widerspricht Hypothese H5, wonach angeblich gerade Mitglieder
der Generation Y besorgt seien, „den Lebensstandard, den sie von ihren Eltern ge-
wohnt sind, selbst nicht halten zu können.“ Die Daten zeigen das genaue Gegenteil:
nicht die Kinder-, sondern die Elternkohorten machen sich Sorgen um die eigene
wirtschaftliche Situation. Dies passt zu empirischen Untersuchungen, die für die-
se Kohorten eine Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation ausmachen (Blossfeld
1986, S. 217; Klein 2003, S. 103; Mayer 2004, S. 202). Es widerspricht allerdings
Studien, die diesen Kohorten postmaterialistische Werte und privilegierte Rahmen-
bedingungen nachsagen (vgl. Hurrelmann und Albrecht 2014, S. 23 f., 38ff.).
K
486 M. Schröder
Modell 6 zeigt, dass die sogenannten 68er eine um 35,7 % erhöhte Chance auf-
weisen, ihr Politikinteresse eine Kategorie höher einzustufen als die Generation Y.
Die Hypothese, dass die 68er ein hohes Politikinteresse haben, wird somit nicht
durch die Daten bestätigt. Allerdings zeigt die sogenannte Generation X ein sig-
nifikant niedrigeres Politikinteresse als die Generation Y. Damit scheinen die 68er
ein hohes Politikinteresse zu haben, die letztgeborene Generation Y jedoch kein
besonderes Desinteresse. Auch die klassische Aussage Schelskys (1957, S. 488f.),
wonach die Nachkriegsgeneration eine „skeptische“ Generation sei, die sich ins Pri-
vatleben zurückziehe und wenig für Politik interessiere, wird durch die Daten nur
insofern bestätigt, als dass sie ein insignifikant niedrigeres Politikinteresse aufweist.
Hypothese H7, wonach die Generation Y politisches Engagement als weniger
wichtig erachtet, wird von den Daten ebenfalls widerlegt. Zwar zeigen die Jahrgänge
der sogenannten 68er-Generation tatsächlich eine (insignifikant) höhere Betonung
politisch-gesellschaftlichen Engagements, wieder in Einklang mit der Literatur, die
sie als politische Generation ansieht (Lüscher und Liegle 2003, S. 31). Doch ins-
gesamt ist den zuletzt geborenen Kohorten politisches Engagement nicht durchweg
wichtiger oder unwichtiger als vorherigen Kohorten. Insbesondere zeigt sich auch
hier wieder keine (signifikant) politikskeptische Nachkriegsgeneration, obschon der
substanzielle Effekt in diese Richtung weist. Dass die Generation Y politisches En-
gagement für genauso wichtig wie vorherige Kohorten hält, ist nicht mit Aussagen
in Einklang zu bringen, wonach die Generation Y angeblich „keinen Gedanken da-
ran“ verschwände, für ihre Probleme politische Lösungen zu suchen (Hurrelmann
und Albrecht 2014,S.33f.).
Die Hypothese H8, wonach gerade die „Skeptische“ Generation sich ins Pri-
vatleben zurückgezogen hat, wird nur insofern bestätigt, als dass Modell 8 zeigt,
wie diese Kohorten die Wichtigkeit einer glücklichen Ehe/Partnerschaft insignifkant
stärker betonen. Erstaunlich ist auch, dass die sogenannten 68er tradierte Lebens-
formen weder stärker noch schwächer als andere befürworten. Insgesamt zeigt sich
damit, dass die Zustimmung zur Wichtigkeit von Ehe und Partnerschaft nur schwach
von der Geburtenkohorte abhängt.
3.3 Visualisierung der Ergebnisse
Die vorherigen Regressionen zeigten, ob Geburtenkohorten bestimmte Einstellun-
gen stärker als die vermeintliche Generation Y haben. Sie können jedoch weder
zeigen, ob die Antworten einzelner Geburtenkohorten über dem Durchschnitt aller
Geburtenkohorten liegen, noch ob bestimmte Kohorten einzelne Antwortmöglich-
keiten öfter als andere wählen. Deswegen visualisieren Abb. 2und 3die Effekte
der obigen Regressionen. Bei starken Kohorteneffekten müsste erkennbar sein, dass
einzelne Kohorten einzelne Antworten auf Fragen signifikant häufiger als andere
wählen. Dies ist der Fall, wenn die Antwortwahrscheinlichkeit einer Geburtenkohor-
te von den Antworten aller Geburtenkohorten (eingezeichnet als horizontale Linie)
signifikant (also inklusive des Konfidenzintervals) abweicht. Inwiefern dies der Fall
ist, zeigen die folgenden Grafiken.
K
Der Generationenmythos 487
0,2 ,4 ,6 ,8
Skeptisch
1925-40
68er
1940-55
Babyboom
1955-70
X
1970-85
Y
1985-00
Wichtigkeit: Sich selbst verwirklichen
0,2 ,4 ,6 ,8
Skeptisch
1925-40
68er
1940-55
Babyboom
1955-70
X
1970-85
Y
1985-00
Wichtigkeit: Erfolg im Beruf haben
0,2 ,4 ,6
Skeptisch
1925-40
68er
1940-55
Babyboom
1955-70
X
1970-85
Y
1985-00
Outcome=1 Outcome=2 Outcome=3 Outcome=4
Sehe Zukunft zuversichtlich
,1 ,2 ,3 ,4 ,5
Skeptisch
1925-40
68er
1940-55
Babyboom
1955-70
X
1970-85
Y
1985-00
Outcome=1 Outcome=2 Outcome=3
Sorgen Arbeitsplatzsicherheit
Outcome=1 Outcome=2 Outcome=3 Outcome=4 Outcome=1 Outcome=2 Outcome=3 Outcome=4
Abb. 2 Visualisierte Kohorteneffekte nach Kontrolle von Perioden- und Alterseffekten
Die ersten vier in den Regressionen ausgewerteten Variablen zeigen, dass kaum
eine der vermeintlichen Generationen mit signifikant höherer oder niedrigerer Wahr-
scheinlichkeit eine Antwortmöglichkeit auswählt als der Durchschnitt aller Genera-
tionen. Schwache Kohorteneffekte sind nur insofern zu erkennen, als dass die soge-
nannten 68er etwas seltener die Antwortmöglichkeit 2 auf die Frage nach Selbstver-
wirklichung ausgewählt haben und dafür etwas öfter die Antwort 4 (höhere Antwort-
K
488 M. Schröder
0,2 ,4 ,6 ,8
Skeptisch
1925-40
68er
1940-55
Babyboom
1955-70
X
1970-85
Y
1985-00
Outcome=1 Outcome=2 Outcome=3
Sorgen eigene wirtschaftliche Situation
0,2 ,4 ,6 ,8
Skeptisch
1925-40
68er
1940-55
Babyboom
1955-70
X
1970-85
Y
1985-00
Interesse fuer Politik
0,2 ,4 ,6 ,8
Skeptisch
1925-40
68er
1940-55
Babyboom
1955-70
X
1970-85
Y
1985-00
Wichtigkeit: Sich politisch, gesellschaftlich einsetzen
0,2 ,4 ,6 ,8
Skeptisch
1925-40
68er
1940-55
Babyboom
1955-70
X
1970-85
Y
1985-00
Wichtigkeit: Glueckliche Ehe, Partnerschaft haben
Outcome=1 Outcome=2 Outcome=3 Outcome=4
Outcome=1 Outcome=2 Outcome=3 Outcome=4Outcome=1 Outcome=2 Outcome=3 Outcome=4
Abb. 3 Visualisierte Kohorteneffekte nach Kontrolle von Perioden- und Alterseffekten-2
K
Der Generationenmythos 489
kategorien bedeuten stärkere Zustimmung). Auch haben die 68er öfter die höchste
Zustimmung (Kategorie) 4 gewählt bei der Frage, wie wichtig Berufserfolg ist und
dafür etwas seltener die Antwortmöglichkeit 2. Ansonsten gibt es in Bezug auf die
ersten vier Variablen keine vermeintliche Generation, die eine der Antwortmöglich-
keiten deutlich öfter oder seltener wählt als der Durchschnitt aller Kohorten. Ein
ähnliches Bild zeigt sich für die nächsten vier untersuchten Variablen.
In Bezug auf die Variablen, die in den Modellen 5–8 untersucht wurden, zeigt sich,
dass die ersten Geburtenjahrgänge seltener und die mittleren häufiger Sorgen um ihre
eigene wirtschaftliche Situation angeben (Antwortmöglichkeiten 3 oder 2 statt 1).
Auch zeigt sich wieder, dass die 68er öfter ein eher hohes (Antwortmöglichkeit 3
von 4) und die skeptische Generation ein niedriges Politikinteresse angeben. Ebenso
bewerten die 68er die Wichtigkeit politisch-gesellschaftlichen Engagements auf der
Viererskale häufiger mit 3 und seltener mit nur 1 oder 2 Punkten.
Insgesamt zeigt die Visualisierung der Kohorteneffekte insofern nur schwache
Ausschläge, welche die vorherigen Regressionsergebnisse illustrieren. Selbst wenn
man lediglich verlangt, dass beispielsweise eine Kohorte eine bestimmte Antwort-
möglichkeit mit nur 5% höherer Wahrscheinlichkeit als der Durchschnitt aller Ko-
horten auswählt, so findet man keinen entsprechenden Kohorteneffekt. Die wenigen
schwachen Effekte entsprechen zudem kaum den Vorhersagen der Literatur, mit
Ausnahme einer politisch eher interessierten 68er-Generation.
3.4 Alternative Operationalisierungen von Generationenunterschieden
Denkbar ist, dass kaum Einstellungsunterschiede zwischen Geburtenkohorten er-
kennbar sind, weil Einstellungen mit den falschen Variablen operationalisiert wur-
den. Alternativ könnte man aufgrund der Literatur vermuten, dass es der Gene-
ration Y aufgrund ihrer vermeintlichen Selbstbezogenheit weniger wichtig ist, für
andere da zu sein oder sie weniger bei Freunden und Verwandten mithilft, sich we-
niger in Vereinen und Verbänden engagiert oder eine geringere Parteipräferenz hat.
Aufgrund ihrer Verunsicherung könnte sie sich auch weniger Sorgen um die all-
gemeine wirtschaftliche Entwicklung oder die Friedenserhaltung machen. Doch die
Untersuchung dieser sechs weiteren Einstellungen mit deskriptiven Analysen, ordi-
nalen Modellen und visualisierten Effektstärken (vergleiche die Überschriften 3 bis
5 im Online-Anhang) lässt ebenfalls kaum nennenswerte Einstellungsunterschiede
erkennen. Nicht nur die vermeintliche Generation Y ist in Bezug auf diese Ein-
stellungen unauffällig, sondern auch alle anderen vermeintlichen Generationen sind
es.
Wenn sich jedoch (schwache) Effekte zeigen, weisen diese abermals in die genau
gegenteilige Richtung dessen, was die Literatur vermutet. So zeigt sich deskriptiv
und nach Kontrolle von Alters- und Periodeneffekten, dass es gerade für später ge-
borene Kohorten und damit besonders für die sogenannte Generation Y wichtiger
wird, für andere da zu sein. Auch das tatsächliche Mithelfen bei Freunden und Ver-
wandten nimmt etwas zu, ebenso wie das ehrenamtliche Engagement. Auch zeigen
sich zurückgehende Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung und um die Frie-
denserhaltung. Die Generation Y hat sogar eine stärkere Politikpräferenz als die
vorhergehende Generation. All dies passt weder zu einer selbstbezogenen noch zu
K
490 M. Schröder
einer unpolitischen und erst recht nicht zu einer angeblich in ihrem Sicherheitsgefühl
erschütterten Generation Y (Hurrelmann und Albrecht 2014, S. 24). Die Regressio-
nen und die grafischen Visualisierungen der Effektstärken zeigen jedoch auch, dass
die Zugehörigkeit zu einer Geburtenkohorte nur einen substanziell schwachen und
meist insignifikanten Einfluss auf das Antwortverhalten hat.
4 Diskussion
Dass weithin genutzte Generationenetiketten kaum etwas mit realen Einstellungsun-
terschieden zu tun haben, wurde bisher lediglich vermutet, empirisch jedoch nicht
nachgewiesen (vgl. Szydlik 2004,S.9;Struck2004, S. 49). Die oben präsentierten
Daten haben gezeigt, dass Geburtenkohorten sich in ihren Einstellungen tatsächlich
nur geringfügig unterscheiden und wenn doch, dann kaum so, wie Generationenfor-
scher es vermuten.
So wird zwar angenommen, dass die im Nationalsozialismus sozialisierten Ko-
horten nach dessen Zusammenbruch zu einer politisch „skeptischen“ Generation
wurden (Schelsky 1957, S. 488 f.; Herbert 2003, S. 104). De facto halten sie jedoch
politisches Engagement nicht r signifikant unwichtiger als andere Jahrgänge. Am
ehesten lässt sich noch bestätigen, dass die um das Jahr 1968 sozialisierten Gebur-
tenjahrgänge tatsächlich ein höheres Politikinteresse bekunden (Lüscher und Liegle
2003, S. 31; Boltanski und Chiapello 2001, S. 468; Hurrelmann und Albrecht 2014,
S. 19 ff.). Die Literatur argumentiert allerdings, dass die 68er auch tradierte Lebens-
weisen in Frage stellten (Herbert 2003, S. 110) und besonders kapitalismuskritisch
waren (Boltanski und Chiapello 2001, S. 468 f.). Dies zeigen die Daten nicht. So
bewerten die sogenannten 68er die Wichtigkeit von Ehe und Partnerschaft, beruf-
lichem Erfolg und Selbstverwirklichung weder als wichtiger noch als unwichtiger
als andere Generationen. Dass die Generation X Berufserfolg für etwas weniger
wichtig als die Generation Y hält, ist erstaunlich, da über sie geschrieben wurde, sie
sehe „Arbeit als zentralen Lebensinhalt“ (Oertel 2014, S. 48) an, wobei eben auch
das genaue Gegenteil über sie geschrieben wurde (Hurrelmann und Albrecht 2014,
S. 23).
Die Daten zeigen ebenfalls, dass weitverbreitete Analysen über die Generation Y
falsch sind. Ihr wird politisches Desinteresse unterstellt (Hurrelmann und Albrecht
2014, S. 33 f.), doch die Daten können dies nicht zeigen. Ihr wird übertriebene Ich-
Bezogenheit unterstellt (Klaffke 2014b, S. 59; Parment 2013, S. 32; Schulenburg
2016, S. 16). De facto zeigen sich jedoch leicht erhöhte ehrenamtliche Tätigkeiten
in Vereinen und Verbänden sowie kein außergewöhnlicher Hang zur Selbstverwirk-
lichung. Ihr wird ein erschüttertes Sicherheitsgefühl, wirtschaftliche Sorge und Kar-
riereorientierung unterstellt (Hurrelmann und Albrecht 2014, S. 24, 33 f., 38). De
facto zeigen sich eine leicht erhöhte Zukunftszuversicht, keine außergewöhnliche
Bewertung beruflichen Erfolgs sowie leicht verminderte Sorgen um die eigene wirt-
schaftliche Situation und Arbeitsplatzsicherheit. Vielleicht noch relevanter als die
Richtung der Effekte ist, dass die meisten Kohorteneffekte sehr schwach sind. Es
finden sich beispielsweise keine Einstellungsvariablen, bei denen eine vermeintliche
Generation nach Kontrolle von Perioden- und Alterseffekten eine Antwort mit auch
K
Der Generationenmythos 491
nur um 5% höherer Wahrscheinlichkeit als der Durchschnitt aller Geburtenkohorten
auswählt. Eine Ausnahme ist eine politisch interessiertere und engagiertere 68er-Ge-
neration. Das weitgehende Fehlen von Kohorteneffekte auf Einstellungsunterschiede
hat weitreichende Folgen für die Literatur. Autoren wie Bude (2003, S. 145) argu-
mentieren, man könne „Deutschland als das Land der Generationen bezeichnen“
und an ihnen „die politische Kultur eines Landes“ festmachen. Die Daten zeigen,
dass dies kaum sinnvoll ist. Zumindest auf der Basis von Einstellungsunterschieden
kann man zugespitzt sagen: Es gibt in Deutschland keine Generationen.
Dies widerspricht nicht einer generellen Nutzung des Generationenbegriffs. Bei-
spielsweise ist denkbar, dass noch weiter zurückliegende Geburtenkohorten, die ihre
Erfahrungen im Ersten oder Zweiten Weltkrieg gemacht haben, tatsächlich so stark
davon geprägt wurden, dass man von Generationen sprechen kann. Es scheint je-
doch auch prinzipiell einsichtig, dass monumentale Ereignisse wie der Grabenkrieg
und das sinnlose Massensterben des Ersten Weltkriegs Generationen nachhaltiger
prägten als die Gründung der Piratenpartei oder der Untergang einer Fähre, ob-
wohl diese, wie in der Einleitung aufgeführt, als prägende Ereignisse kontemporärer
Generationen genannt werden. Zumindest für Nachkriegskohorten konnten jedoch
keine nennenswerten Einstellungsunterschiede gefunden werden.
Diese Ergebnisse sind kompatibel mit Sichtweisen, die beispielsweise eine zu-
nehmende Postmaterialität diagnostizieren (Inglehart 1977). Zumindest mittels der
hier getesteten Variablen, stellen sich solch sekuläre Einflüsse jedoch eher als Pe-
riodentrends dar, welche die gesamte Gesellschaft beeinflussen und damit keine
Kohorteneffekte sind, welche nur einzelne Geburtenkohorten betreffen. So zeigt
beispielsweise der in den Regressionen kontrollierte Periodeneffekt, dass mit der
Zeit alle Menschen die Relevanz politischen und gesellschaftlichen Engagements
höher einschätzen, sich tatsächlich auch stärker engagieren, die Zukunft zuversicht-
licher sehen und sich weniger Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen. Dies ist nur
eben kein Einstellungswandel, der einzelne Geburtenkohorten betrifft, sondern der
sich als Periodeneffekt unter allen Deutschen verbreitet.
Die hier zutage geförderten Ergebnisse widersprechen auch nicht Untersuchun-
gen, wonach einzelne Geburtenkohorten unterschiedlich schwierige Berufseinstiege
hatten (Blossfeld 1986; Mayer 2004). Denn durchaus im Einklang mit diesen Vor-
hersagen haben die sogenannten Babyboomer und Generation X unabhängig von
Messzeitpunkt und Alter etwas stärkere Sorgen um ihre eigene wirtschaftliche Si-
tuation. Was sich jedoch nicht zeigt, sind weitverbreitete Einstellungsunterschiede,
obwohl diese von populären Generationenforschern aufgrund von Jugendbefragun-
gen immer wieder konstatiert werden.
Angesichts dessen ist es wenig sinnvoll, Befragungen wie die Shell Jugendstu-
die durchzuführen, um vermeintliche Generationen zu unterscheiden. Denn solche
Befragungen verfolgen zwar Einstellungsveränderungen aufeinanderfolgender Ju-
gendkohorten (Hurrelmann et al. 2002;Albertetal.2006,2010,2015). Doch diese
Einstellungsveränderungen heben sich kaum von denen der Gesamtgesellschaft ab,
sie verschwinden also nach Kontrolle von Periodeneffekten.
Zudem haben die hier gezeigten Ergebnisse Bedeutung für eine Literatur, die
Tipps zum Umgang mit einer vermeintlich „anderen“ Generation Y geben chte
(Schulenburg 2016; vgl. ebenfalls Krause 2015;Parment2013). Da nach Berücksich-
K
492 M. Schröder
tigung von Alters- und Periodeneffekten kaum eine Besonderheit der sogenannten
Generation Y übrigbleibt, kann man zugespitzt formulieren, dass diese Literatur
Lösungen für ein Problem anbietet, das sie selbst herbeischreibt.
Insgesamt legen die hier gezeigten Ergebnisse nahe, dass es wenig Sinn macht,
Nachkriegsgenerationen auf der Basis ihrer Einstellungen zu unterscheiden. Die
empirischen Daten zeigen durchgehend schwache Effekte, die zumeist in die gegen-
teilige Richtung dessen weisen, was die Literatur vermutet. Insofern illustriert das
periodische Ausrufen neuer Generationen mit unterschiedlichen Einstellungsmustern
eher die Konstruktion gesellschaftlicher Mythen als tatsächliche Generationenunter-
schiede.
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Martin Schröder Prof. Dr. für Wirtschaftssoziologie, Philipps-Universität Marburg. Forschungsschwer-
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Warum es uns noch nie so gut ging und wir trotzdem ständig von Krisen reden. Salzburg 2018.
K
... The use of CAE programs in theory classes is also being considered, for example, by visualising stress curves in a strength calculation or flow curves in flow calculations. Because Generation Z is strongly oriented towards visual information collection and progressing as well as learning in general [12], there is potential here to better convey the subject matter and to better understand and retain it. Visualising the results of mechanical calculations can help students learn how to apply theoretical concepts to practical applications. ...
... However, from the authors' point of view, there is nothing to be said against using an FEA program for a repeated strength calculation in the area of design, especially since the analytical verification with the FEA results must always be carried out. First attempts to use FEA in mechanics education in the first classes of the HTL education show quite encouraging results and feedback since the current generation of students is strongly visually influenced [12], and thus the knowledge transfer is positively supported. Analogous to the use of FEA in the field of solid mechanics, an application in the fields of fluid mechanics, thermodynamics and vibration theory is conceivable and reasonable. ...
... For instance, an increase in life expectancy and therefore a reconfiguration of the life course could lead to differences in the uptake of voluntary engagement. Similarly, cohort Voluntas differences in the uptake of voluntary engagement may be period effects in disguise, when singular periodic changes are considered to constitute a unique feature of one or only a few cohorts (e.g., the financial crises; see also Schröder, 2018Schröder, , 2019. ...
... We included cohort and period dummies and implemented age as the only linear variable. This is a common and robust approach to tackle collinearity in this type of analysis (for a technical discussion, see Bell, 2020: 211; for an application, see Schröder, 2018). On top of that, our large sample size should bolster against ineffective estimations. ...
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Prior research has suggested three explanations why levels of voluntary engagement rise and fall over time within societies. A social structural explanation considers individual resources crucial for engagement and argues that a redistribution of those resources may bring about changes in engagement. A cohort-based explanation considers socialisation and experiences in formative years as crucial for the uptake of engagement. Finally, a period-based explanation considers extraordinary events, external shocks, and crises to be crucial for engagement. So far, these explanations have mainly been tested separately and little is known about the relative strength of each of the proposed factors. Using data from a large German household panel survey that assessed engagement almost annually across four decades, we found that most social structural factors (e.g., education, employment, income) maintained their predictive effects for engagement, irrespective of cohort or period. The only notable exception was that the gender gap observed has narrowed substantially across periods and cohorts. Moreover, cohort effects were rendered almost negligible once we factored in periods. Taken together, our results suggest that individual characteristics and extraordinary events are the main factors influencing voluntary engagement rather than shared societal experiences of cohorts.
... While some researchers view these generational categorizations with skepticism (Jandura & Karnowski, 2015) and others even reject the concept (Schröder, 2018), in PR research they are rarely questioned or critically considered. In fact, even when focusing on generational research and differences, the focus stems either from generational bashing and interactional frustrations with one particular group: the millennials (Rosembloom, 2008 cited in Willis, 2020). ...
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This study investigates the perceptions of young PR/Comms professionals in Germany regarding the profession's current and future state, amidst the significant impact of the COVID-19 pandemic on the job market. The research builds on previous studies exploring the future of work and the PR industry, aiming to address gaps in literature regarding generational differences in attitudes and a critical reflective approach. The study used a standardized survey and purposeful and snowball sampling methods to select 160 PR practitioners under the age of 36. The results reveal that the next generation of PR/Communications professionals values intrinsic and idealistic factors when choosing an employer, but those without children pursue a more hedonistic agenda. Respondents perceive themselves as dealing with the ramifications of a VUCA world and consider trust as the most significant challenge within the next five years. The study highlights a significant gap between the societal and internal dimensions of PR/Communications and its actual implementation. The implications of the study suggest a need to address contentious questions surrounding the role and mission of PR/Comms in society, focusing on social impact and social value, and advocating for more collaborative and interdisciplinary approaches in training and learning practices.
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Zusammenfassung Der Beitrag untersucht die Entwicklung der Wählerschaft von Bündnis90/Die Grünen seit der Gründung der Partei. Die Datengrundlage bilden die kumulierten ALLBUS-Erhebungen der Jahre 1980–2018. Über den Untersuchungszeitraum hinweg zeigt sich für Westdeutschland ein steigender Trend in der Unterstützung von Bündnis90/Die Grünen. Mittels einer hierarchischen Alter-Perioden-Kohorten-Analyse mit fixen Kohorteneffekten (HAPK-FC) wird gezeigt, dass die Unterstützung für Bündnis90/Die Grünen in der Generationenfolge zunimmt. Lebenszykluseffekte existieren hingegen nicht. Darüber hinaus lässt sich ein positiver Effekt der Zugehörigkeit zur sozialen und kulturellen Dienstklasse auf die Wahl der Grünen nachweisen. In abgeschwächter Form zeigen sich diese Befunde auch in Ostdeutschland.
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The existence of the present volume can be traced to methodological concerns about cohort analysis, all of which were evident throughout most of the social sciences by the late 1970s. For some social scientists, they became part of a broader discussion concerning the need for new analytical techniques for research based on longitudinal data. In 1976, the Social Science Research Council (SSRC), with funds from the National Institute of Education, established a Committee on the Methodology of Longitudinal Research. (The scholars who comprised this committee are listed at the front of this volume. ) As part of the efforts of this Committee, an interdisciplinary conference on cohort analysis was held in the summer of 1979, in Snowmass, Colorado. Much of the work presented here stems from that conference, the purpose of which was to promote the development of general methodological tools for the study of social change. The conference included five major presentations by (1) William Mason and Herbert Smith, (2) Karl J6reskog and Dag S6rbom, (3) Gregory Markus, (4) John Hobcraft, Jane Menken and Samuel Preston, and (5) Stephen Fienberg and William Mason. The formal presentations were each followed by extensive discussion, which involved as participants: Paul Baltes, William Butz, Philip Converse, Otis Dudley Duncan, David Freedman, William Meredith, John Nesselroade, Daniel Price, Thomas Pullum, Peter Read, Matilda White Riley, Norman Ryder, Warren Sanderson, Warner Schaie, Burton Singer, Nancy Tuma, Harrison White, and Halliman Winsborough.
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This book contends that beneath the frenzied activism of the sixties and the seeming quiescence of the seventies, a "silent revolution" has been occurring that is gradually but fundamentally changing political life throughout the Western world. Ronald Inglehart focuses on two aspects of this revolution: a shift from an overwhelming emphasis on material values and physical security toward greater concern with the quality of life; and an increase in the political skills of Western publics that enables them to play a greater role in making important political decisions.