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Abstract

Problemaufriss Menschen mit schwerer mehrfacher Behinderung kommunizieren häufig auf der präsymbolischen Ebene und verwenden nicht-konventionelle Verhaltensweisen wie beispielsweise bestimmte Körperbewegungen oder Vokalisationen, um ihren Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen. Technische Hilfsmittel zur Unterstützung der Kommunikation zwischen Menschen mit und ohne Behinderung setzen jedoch meist ein Symbolverständnis aufseiten der Nutzer/innen voraus. Diese Formen der Unterstützten Kommunikation können demnach im Kontext schwerer mehrfacher Behinderung in der Regel nicht eingesetzt werden. [...]
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AKTUELLE
FORSCHUNGSPROJEK TE
Vorstellung des
Forschungsprojekts INSENSION
Peter Zentel, Teresa Sansour,
Meike Engelhardt, Torsten Krämer
PH Heidelberg
Problemaufriss
Menschen mit schwerer mehrfacher Behin de-
rung kommunizieren häufig auf der präsym-
bolischen Ebene und verwenden nicht-konven-
tionelle Verhaltensweisen wie beispielsweise
bestimmte Körperbewegungen oder Vokalisa-
tionen, um ihren Bedürfnissen Ausdruck zu ver-
leihen. Technische Hilfsmittel zur Unterstützung
der Kommunikation zwischen Menschen mit und
ohne Behinderung setzen jedoch meist ein Sym-
bolverständnis aufseiten der Nutzer / innen vo-
raus. Diese Formen der Unterstützten Kommu-
nikation können demnach im Kontext schwerer
mehrfacher Behinderung in der Regel nicht ein-
gesetzt werden.
Der Kreis jener Interaktionspartner / innen, die in
der Lage sind, die spezifischen und hoch indivi-
duellen Verhaltenssignale wahrzunehmen und
möglichst genau zu deuten, ist meist stark be-
grenzt. Selbst bei vertrauten Personen ist eine
exakte Vermittlung von Bedürfnissen oft nicht
möglich. Dies schränkt die Teilhabe oder auch die
Entscheidung für eine Beendigung der Teilnahme
an Angeboten unter Umständen ein.
Forschungsziel und Konsortium
Im Zentrum des EU-Forschungsprojekts steht die
Frage, wie Mitarbeiter / innen oder Angehörige
durch den Einsatz technischer Hilfsmittel darin
unterstützt werden können, Signale von Men-
schen mit schwerer mehrfacher Behinderung
besser wahrzunehmen und zu deuten.
Hierdurch soll ein Beitrag geleistet werden, die
Lebensqualität von Menschen mit schwerer mehr-
facher Behinderung zu steigern, ihre Kommu-
nikation zu erleichtern und damit auch Selbst-
bestimmung zu fördern. Umgesetzt werden soll
dies mithilfe einer technologieunterstützten
responsiven Umgebung, die verschiedenste Ver-
haltenssignale Mimik, Gestik, Vokalisationen
oder auch physiologische Parameter – analysiert
und interpretiert. Daraus leitet sich anschlie-
ßend in Abstimmung mit den Situations- und
Kontextfaktoren ein möglicher Handlungs-
bedarf ab, der mithilfe des Systems von der Be-
zugsperson erkannt werden soll. Auf lange Sicht
ist eine ergänzende Unterstützung durch die
zusätzliche Verwendung weiterer Informations-
und Kommunikationstechnologien – beispiels-
weise im Sinne von Ambient Assisted Living –
angedacht.
Das interdisziplinäre Konsortium setzt sich aus
verschiedenen Expert/innen aus Polen, Spanien,
Slowenien und Deutschland zusammen. Die nach-
folgenden drei der sechs Projektpartner sind auf
Technologien zur Erkennung der genannten Ver-
haltenssignale spezialisiert:
n Poznan´ Supercomputing and Networking Cen-
ter (PSNC, Polen)
n Fundación Centro Tecnológico de la Informa-
ción y la Comunicación (CTIC, Spanien)
n Jožef Stefan Institute (JSI, Slowenien).
Des Weiteren sind Partner aus der Sonderpädago-
gik beteiligt, sowohl aus dem praktischen und
wissenschaftlichen als auch aus dem Bereich der
Hilfsmittelversorgung:
n Stowarzyszenie Na Tak (Na Tak, Polen)
n Pädagogische Hochschule Heidelberg (PH Hei-
delberg, Deutschland)
n Harpo Sp. z o. o. (Harpo, Polen).
Methodisches Vorgehen
Im Projekt INSENSION werden die theoretischen
Konzepte und die technische Realisierung im
konkreten Umfeld von Na Tak, einem Träger von
Einrichtungen für Menschen mit Behinderung in
Polen, entwickelt und erprobt. Eingesetzt wird
die Technik bei sechs ausgewählten Proband / in-
nen mit schwerer mehrfacher Behinderung – je
zwei Teilnehmende im Vorschul-, Schul- sowie
im Erwachsenenalter. Die Analyse der Lebens-
bereiche erfolgt sowohl qualitativ als auch quan-
titativ.
VHN, 87. Jg., S. 336 –337 (2018) DOI 10.2378/vhn2018.art37d
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Persönliche Kopie. Zugriff am 29.01.2019
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VHN 4 | 2018 337
AKTUELLE
FORSCHUNGSPROJEK TE
Der Untersuchung liegt ein Assessment der Kom-
munikations- und Verhaltensweisen der sechs
Proband/innen zugrunde. Dieses basiert auf
einem Fragebogen, der von Mitarbeiter/innen
der jeweiligen pädagogischen Einrichtung und
Angehörigen des Menschen mit schwerer mehr-
facher Behinderung ausgefüllt wird. Er bein-
haltet Skalen zur Erfassung von vorsprachli-
cher Kommunikation, Verhaltensauffälligkeiten,
Stimmung, Schmerz, (Un-)Zufriedenheit und
allgemeinen Daten der Proband/innen. Im Rah-
men erster Videoaufnahmen wird das Verhalten
der Proband / innen vor dem Hintergrund von
Kommunikation und Gemütszuständen fokus-
siert. Weitere Aufnahmen in ausgewählten Sze-
narien dienen der sukzessiven Verbesserung der
verwendeten Erkennungstechnologien. Sämt-
liche technologisch erhobenen Daten werden
in Verbindung mit den Informationen der Frage-
bögen personenbezogen analysiert und inter-
pretiert.
Aus diesem Datenbestand entsteht für alle Pro-
band / innen jeweils ein mit diesen Informationen
gefüllter individueller sogenannter Electronic
Communication Passport. Die darin gesammel-
ten Erkenntnisse bilden den Ausgangspunkt für
das zu entwickelnde System zur technischen
Analyse und Deutung der Verhaltenssignale.
Die Erfahrungen der Nutzer/innen (z. B. Angehöri-
ge oder pädagogisches Fachpersonal) sowie deren
Akzeptanz des technologiebasierten Settings wer-
den im Rahmen von Fokusgruppen ermittelt und
münden in die Erarbeitung potenzieller Anwen-
dungsmöglichkeiten des Systems. Die hierdurch
gewonnenen Erkenntnisse werden mit weiteren
Expert/innen aus Wissenschaft und Praxis über
ein Online-Portal zu Evaluationszwecken disku-
tiert.
Nach der Erstellung eines ersten, umfänglich
funktionierenden Prototyps der technologie-
unterstützten responsiven Umgebung, welcher
alle einzelnen Module der Erkennungstechnolo-
gien vereint, erfolgt die methodologische Planung
und Durchführung des Pilotversuchs mit an-
schließender Evaluation.
Ausblick
Das erste Projekthalbjahr dient der Auswahl der
Proband/innen sowie theoretischen Vorarbeiten
zu Kommunikations- und Verhaltensweisen der
Zielgruppe und den damit verbundenen Anfor-
derungen an die einzelnen Erkennungstechnolo-
gien, die parallel dazu erprobt werden.
Im nächsten Schritt wird die hierauf aufbauende
Datenerhebung von Verhaltenssignalen der Pro-
band / innen in spezifischen Kontexten eingelei-
tet. Der dafür notwendige Abstimmungsprozess
zwischen den technologischen und pädagogi-
schen Partnern zielt auf deren sukzessive Opti-
mierung ab.
INSENSION wird durch das Rahmenprogramm
der Europäischen Union für Forschung und Inno-
vation Horizont 2020 gefördert.
Projektleitung:
Prof. Dr. Peter Zentel, Dr. Teresa Sansour
Wissenschaftliche Mitarbeiter / innen:
Meike Engelhardt, Torsten Krämer
Weitere Informationen und Literaturangaben
können eingeholt werden bei
engelhardt@ph-heidelberg.de
und kraemer@ph-heidelberg.de
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