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Irene Ziehe,
Ulrich Hägele
(Hrsg.)
Eine Fotografie
Über die
transdisziplinären
Möglichkeiten der
Bildforschung
Visuelle Kultur. Studien und Materialien,
Band 12, 2017, 372 Seiten, br.,
mit zahlreichen, teils farbigen Abbildungen,
38,00 €, ISBN 978-3-8309-3664-0
E-Book: 33,99 €,
ISBN 978-3-8309-8664-5
Thomas Tunsch
Intrinsischer Irrtum und
semantische Spurensuche
Dokumentation von Fotografien in Museen
Intrinsischer Irrtum und semantische Spurensuche 245
Thomas Tunsch
Intrinsischer Irrtum und semantische Spurensuche
Dokumentation von Fotografi en in Museen
Eine Fotogra e ohne mitgelieferten Kontext als Forschungsgegenstand stellt
für Kunsthistoriker und Archäologen in Museen keine ungewöhnliche Aufga-
be dar. Vielmehr gibt es für Museumsobjekte aus dem Kunsthandel meist keine
genauen Herkun sangaben, vor allem wenn sie längere Zeit in Privatbesitz wa-
ren. Selbst verwertbare Angaben wie zum Beispiel „aus dem Domschatz xyz“
liefern nur begrenzt Anhaltspunkte für die weitere Forschung, auch wenn bei-
spielsweise ein terminus ante quem für die Eingrenzung von Vergleichsmaterial
durchaus hilfreich sein kann. Weil es sich häu g um Einzelobjekte handelt, sind
solche Herkun sangaben meist schwer nachprü ar und beruhen auf wenigen
Informationsquellen.
Ähnlich gestaltet sich die Situation bei archäologischen Objekten in Museen,
obgleich auf den ersten Blick mit der Funddokumentation wesentlich mehr
Ausgangsmaterial vorliegt. Denn die Fundumstände („Schicht nn“) tre en keine
direkten Aussagen und die Stratigraphie liefert nur relative Altersangaben zu an-
deren Funden der gleichen Grabung. Selbst die Lokalisierung von Einzelfunden
allein bringt zunächst nur begrenzte Ergebnisse (z. B. Grabfund).
In beiden Fällen ermöglichen erst Vergleiche die Einordnung von Museumsobjek-
ten und die Gewinnung komplexerer Informationen wie beispielsweise zu Typo-
logie, Materialvergleichen, relativen Altersbestimmungen und Interpretationen. Je
größer dabei der Aufwand sowohl für das Finden, die Auswahl und die Untersu-
chung der Vergleichsobjekte als auch für die Vergleichsmethoden ist, desto grö-
ßer sind die Erfolgsaussichten auf verwertbare Forschungsergebnisse. Eine wichti-
ge Rolle bei dieser vergleichenden Forschung spielt die Unterscheidung zwischen
intrinsischen und extrinsischen1 Daten.2
1 Axel Ermert/Carlos Saro: Museumsvokabular: Die Situation in Deutschland und die Initi-
ative www.museumsvokabular.de, Mannheim, 2008, http://www.iim. -koeln.de/dtt/DTT-
2008PDFs/Ermert.pdf, Abruf 29. März 2012, S. 11.
2 Vgl. „Informationen im Museum und Elektronische Datenverarbeitung“, omas Tunsch:
Informationswissenscha liche Herausforderungen für kulturelle Gedächtnisorganisati-
onen. In: EVA 2012 Berlin: 7.–9. November 2012 in den Staatlichen Museen zu Berlin
am Kulturforum Potsdamer Platz; Elektronische Medien & Kunst, Kultur, Historie; die
19. Berliner Veranstaltung der Internationalen EVA-Serie Electronic Imaging & the Vi-
sual Arts; Konferenzband Berlin, 2012, http://museums.wikia.com/wiki/Informationswis-
senscha liche_Herausforderungen, S. 168–180.
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246
Intrinsische und extrinsische Daten
Intrinsisch nennt man Daten, die – wie Maße – durch Beobachtung vom Ob-
jekt direkt ablesbar sind. Extrinsische3 Daten werden dagegen dem Objekt hin-
zugefügt und durch Bericht, Beobachtung oder aus verlässlichen Quellen gewon-
nen. Dazu gehören unter anderem Ereignisse oder Umstände im Zusammenhang
mit dem Museumsobjekt, ferner Daten über Zugehörigkeiten, Gebrauch und wei-
tere Angaben. Typische Beispiele für extrinsische Daten sind Beschreibung, Da-
tierung, Funktion, Informationen zu Herstellung und Hersteller. Die Ermittlung
solcher Daten setzt nicht nur Ausgangswissen zum allgemeinen Forschungsge-
biet, sondern auch Kenntnisse über den Forschungskontext und das entsprechen-
de methodische Wissen voraus.
Zuordnung von Objekten
Die Zuordnung von Museumsobjekten zu vorhandenem Wissen im jeweiligen
Fachgebiet geschieht in den meisten Fällen nicht durch bereits vorhandene Her-
kun sangaben. Vielmehr ist sie Ergebnis einer komplexen Forschung, an deren
Anfang extrinsische Daten zu erheben und zu dokumentieren sind, damit Ver-
gleiche mit den extrinsischen Daten anderer Objekte angestellt werden können.
Bei diesen Vergleichen wird der Grad der Übereinstimmung festgestellt und
durch Interpretation der Vergleichsergebnisse eine Entscheidung über die Zuord-
nung getro en. Mit der erfolgreichen Zuordnung entstehen neue extrinsische Da-
ten (z. B. Klassi kationen), die gleichzeitig eine quantitative und ggf. qualitative
– wie die Beschreibung eines neuen Typs – Erweiterung der Vergleichsmöglich-
keiten darstellen. Anders formuliert: „Wissen ist das, was so anfällt, wenn man
wissenscha lich arbeitet.“4
Der intrinsische Irrtum und Metadaten
Die Übertragung dieser informationstheoretisch abstrahierten Erfahrungen aus
der wissenscha lichen Beschä igung mit kunsthistorischen und archäologischen
Museumsobjekten auf Fotogra en bringt uns zu einem Phänomen, das hier als
„intrinsischer Irrtum“ bezeichnet werden soll.
3 Nach Karin Ludewig: Der wissenscha liche Anspruch bei der Museumsdokumentation
– unter besonderer Berücksichtigung aktueller Probleme des Urheberrechts. Mölln 2009,
http://www.iuwis.de/content/der-wissenscha liche-anspruch-bei-der-museumsdokumen-
tation-unter-besonderer-ber%C3%BCcksichtigu-1, S. 2–4.
4 WissensNetz – Digitale Infrastrukturen in den historischen Kulturwissenscha en. In:
Museums, e MuseumsWiki – For museums and cultural heritage 2012, http://muse-
ums.wikia.com/wiki/WissensNetz_%E2%80%93_Digitale_Infrastrukturen_in_den_his-
torischen_Kulturwissenscha en?oldid=6880, Abruf 5. Juni 2012.
Intrinsischer Irrtum und semantische Spurensuche 247
Nicht nur die Rolle von Bildern in der medialen Gegenwart, sondern ebenso
die lange Geschichte der Bilderverehrung in verschiedenen Kulturen sind Quel-
len dieses verbreiteten „intrinsischen Irrtums“: weil der Betrachter das Bild „(er)
kennt“, wird der abgebildete Inhalt als direkt ablesbare Eigenscha des Bildes
missverstanden. In Gedächtnisorganisationen wie Museen zeugen unbeschri ete
und auch anderweitig nicht dokumentarisch au ereitete Fotogra en in den Ar-
chiven davon, dass selbst Forschungseinrichtungen von diesem Irrtum nicht ver-
schont bleiben. Für „Wissende“ genügt ein Blick, um das Bildmotiv zu erkennen.
Dagegen ist die gleiche Fotogra e für diejenigen, die kein vergleichbares „Abbild “
in ihrem Gedächtnis nden, ein unbekanntes Bild. Erst wenn andere Betrachter
feststellen, dass für die Bildbeschreibung ein- oder mehrmals der Begri „unbe-
kannt“ verwendet werden muss, wird o ensichtlich, dass Bildmotive als extrinsi-
sche Daten zu quali zieren sind.
Folglich wird bei unbekannten Bildern genauso wie bei den bereits angeführten
Museumsobjekten durch die Analyse des Bildmotivs die Erhebung extrinsischer
Daten erforderlich. Solche Daten wie zum Beispiel die Beschreibung oder die lo-
kale und zeitliche Zuordnung werden heute meist als Metadaten bezeichnet. Sie
können bei digitalen Fotogra en praktischerweise direkt in der Bilddatei gespei-
chert werden (Exif, IPTC, XMP, …) und sind damit gemeinsam mit dem Foto
verfügbar.
Metadaten sind entscheidend (Beispiel)
Dass gerade bei digitalen Fotogra en die extrinsischen bzw. Metadaten entschei-
dend und daher zu dokumentieren sind, wurde an anderer Stelle ausführlich dar-
gestellt.
5 Daher soll hier nur kurz ein Beispiel dafür angeführt werden, wie auto-
matisch erfasste Metadaten bei der Entschlüsselung von Bildmotiven helfen.
Moderne Kameras mit entsprechender Ausrüstung können neben dem Aufnah-
medatum und der Aufnahmezeit auch die geogra schen Koordinaten zum Zeit-
punkt der Aufnahme (Geodaten) mittels GPS erfassen und in der Bilddatei spei-
chern.
Selbst wenn die als Beispiel gezeigte Fotogra e (Abb. 1) ohne Beschreibung veröf-
fentlicht worden wäre, ließe sich durch Abgleich mit frei verfügbaren Informatio-
nen der Bezug zum Anlass schnell herstellen. Anhand der geogra schen Koordi-
5 „Bildinformation und Metadaten“. In: omas Tunsch: Geschichtsbuch oder Gesichts-
buch? Was Bilder wirklich sagen …. In: EVA Berlin 2014: elektronische Medien & Kunst,
Kultur, Historie; Konferenzband; die 21. Berliner Veranstaltung der Internationalen EVA-
Serie Electronic Media and Visual Arts; 5. bis 7. November 2014, Kunstgewerbemuse-
um am Kulturforum Potsdamer Platz, Berlin / eine Kooperation zwischen den Staatlichen
Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz u. dem Fraunhofer-Institut für Graphische
Datenverarbeitung IGD, Abteilung Digitalisierung von Kulturerbe Berlin, 2014, S. 268–
282, hier S. 270–271.
Thomas Tunsch
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naten kann der Park des ‘Iolani-Palastes in Honolulu als Aufnahmeort bestimmt
werden, und dem Veranstaltungskalender des Palastes ist zu entnehmen, dass
dort jeden Freitag ein Konzert der „Royal Hawaiian Band“ statt ndet. Das hier-
zu passende Aufnahmedatum und weitere Recherchen6 ergeben mit hoher Wahr-
scheinlichkeit außerdem den Namen der abgebildeten Tänzerin.
Identifi zierung von Personen
In der analogen Fotogra e wird das Fehlen wichtiger Metadaten besonders auf-
fällig, wenn es um die Identi zierung von Personen geht. Im Gegensatz zu den
bereits erreichten Erfolgen bei der automatisierten Gesichtserkennung muss hier
mit einem erheblichen Aufwand zur Erlangung von Informationen gerechnet
werden. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen (Abb. 2).
Ohne zusätzliche Informationen könnten zunächst intrinsische Daten erhoben
werden. Eine mögliche Eingrenzung des Entstehungszeitraumes ergibt sich aus
dem Büttenrand, der von etwa 1930 bis 1950 sehr üblich gewesen sein soll. Da
6 Tunsch 2014 (Anm. 5), hier S. 270–271.
Abb. 1: Digitalbild mit automatisch erfassten Daten (http://www.panoramio.com/photo/79469686).
Intrinsischer Irrtum und semantische Spurensuche 249
eine Papieranalyse sehr zeit- und kostenaufwendig wäre, wird wohl in den meis-
ten Fällen darauf verzichtet.
Für die Motivanalyse und damit die Gewinnung extrinsischer Daten bietet sich
die Kleidung an, weil die Varianten bei Uniformen begrenzt sind. Findet man
entsprechende Experten, wäre wohl relativ schnell festzustellen, dass es sich hier
um eine Person in der Uniform des Reichsarbeitsdienstes handelt, der von 1935
bis 1945 bestand. Damit könnten für die weitere Forschung Recherchen in Bild-
archiven für einen bestimmten Zeitraum und mit eingrenzenden Suchbedingun-
gen (mögliches Alter, militärische Archive usw.) folgen. Ganz allgemein hängen
die Erfolgsaussichten für den Gesichtsvergleich – automatisiert oder durch Be-
trachter – vom Vergleichsmaterial, den Möglichkeiten der So ware (bei Bild-
datenbanken) und dem zur Verfügung stehenden Personal ab.
Das Beispiel verdeutlicht den Aufwand, der bereits für eine einzelne Fotogra e
entstehen kann. Schon wenige Zusatzinformationen können diesen aber erheb-
lich vermindern und damit die Aussicht auf weitere Forschungsergebnisse verbes-
sern. Die Fotogra e trägt auf der Rückseite zwei handschri liche Notizen: „zum
Andenken an Deinen Bruder beim RAD 1941–42 (…) gefallen in Rußland am
10.11.1942“.
Auch wenn dem Verfasser nur diese Informationen zur Verfügung gestanden hät-
ten, wäre daraus relativ leicht und ohne weitere Recherchen zu ermitteln gewesen,
dass es sich um Hans, den jüngsten Bruder seiner Großmutter, handeln muss, da
sie ihn in seiner Kindheit immer wieder auf die Ähnlichkeit mit ihrem Bruder
hingewiesen hatte.
Abb. 2:
Fotografi e einer Person in Uniform
(Hans Hockauf; Privatbesitz des Verfassers).
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Intrinsische Hilfe: Schrift
Doch nicht nur auf der Rückseite von Fotogra en sind schri liche Hinweise hilf-
reich. Gerade bei Postkarten ist nicht selten eine Beschri ung Teil des Motivs.7
Das Beispiel der Postkarte von „St. Georgenthal mit Kreuzberg und Tannenberg“
(Abb. 3) zeigt anschaulich die durch Metadaten ermöglichte Unterscheidung ver-
schiedener Qualitäten von Bildinformationen. Die Vielfalt möglicher Fotogra en
von der gesamten „Welt“ wird durch die Wahl des Ausschnitts auf ein spezi sches
Abbild reduziert. Durch die Hinzufügung von Schri als standardisierter Infor-
mation kann diese Reduktion so weit erfolgen, dass die nähere Bestimmung des
Bildmotivs drastisch vereinfacht wird.
In diesem Beispiel kann durch eine einfache Recherche nach dem deutschen
Ortsnamen die Identität mit einer Gemeinde im Lausitzer Gebirge festgestellt
werden, da hierfür in der deutschen Wikipedia eine automatische Weiterleitung
auf den tschechischen Ortsnamen eingerichtet wurde.8 Die auf der Postkarte er-
wähnten charakteristischen Geländeformen „Kreuzberg“ und „Tannenberg“ las-
sen zugleich ohne weitere aufwendige Untersuchungen die geogra sche Zuord-
7 Auf die Diskussion, ob es sich strenggenommen bei Beschri ungen nicht auch um extrin-
sische Daten handelt, da man sie durch Beobachtung ermittelt und durch Abkürzungen,
veraltete Namensformen u.ä. ggf. eine Interpretation erforderlich wird, soll hier verzich-
tet werden.
8 St. Georgenthal. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie 2005, https://de.wikipedia.org/w/
index.php?title=St._Georgenthal&oldid=6969925, Abruf 23. September 2016.
Abb. 3: St. Georgenthal mit Kreuzberg und Tannenberg (Privatbesitz des Verfassers).
Intrinsischer Irrtum und semantische Spurensuche 251
nung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu und erlauben zeitliche Eingrenzungen (vor
1945). Auf die Notwendigkeit, solche und auch anderweitig identi zierte Bildmo-
tive zu verö entlichen, wird noch einzugehen sein.
Je mehr Vergleiche, desto besser …
Das „World Wide Web“ bietet vor allem für digitale Fotogra en eine ständig
wachsende Zahl von Vergleichsmaterial und damit die Möglichkeit, unbekann-
te Bildmotive zu identi zieren. Ein anschauliches Beispiel für die Unterstützung,
die eine vernetzte Arbeitsgemeinscha leisten kann, ist die Webseite „where-is-
this.com“.9 Gerade beliebte Fotomotive wie der Moraine Lake in Alberta (Ka-
nada) werden immer wieder von Nutzern hochgeladen (Abb. 4), die zwar ein
Foto gefunden haben, das ihnen gefällt, aber die genaue Beschri ung vermissen.
Mit den bereits identi zierten Bildern10 können dann andere Ansichten anhand
charakteristischer Merkmale der Landscha verglichen werden.11
9 Find your place. In: Where is this, http://www.where-is-this.com, Abruf 5. September
2016.
10 Moraine Lake: search. In: Where is this, http://www.where-is-this.com/index/search/Mo-
raine-Lake.html, Abruf 5. September 2016.
11 Vgl. z. B. omas Tunsch: Moraine Lake (a0000482). In: Flickr 2012, https://www. ickr.
com/photos/thtbln/7490927794/in/photostream/, Abruf 26. September 2016 sowie o-
mas Tunsch: Moraine Lake (a0000520). In: Flickr 2012, https://www. ickr.com/pho-
tos/10217134@N04/7490918960, Abruf 26. September 2016.
Abb. 4: Suche nach Moraine Lake (http://www.where-is-this.com/index/search/Moraine-Lake.html).
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Das Windows-10-Bild
Doch auch der umgekehrte Fall ist möglich: ein weitverbreitetes Bild, das trotz-
dem nicht leicht zu lokalisieren ist. Für das Betriebssystem Windows 10 gibt es
ein Hintergrundbild in der Serie „Most Beautiful Places in the World“,12 das den
Verfasser an Hawai‘i erinnerte (Abb. 5 oben). Allerdings war wegen fehlender
Metadaten zunächst nicht festzustellen, wo das Bild aufgenommen wurde.
Da es für Fragen an Microso als Hersteller des Betriebssystems ein spezielles Fo-
rum gibt (answers.microso .com), lag es nahe, dort nach möglichen Antworten
zu suchen. Das Ergebnis war freilich ernüchternd, denn o enbar war keiner der
Experten dort in der Lage, die einfache Frage zu beantworten, was die Fotos zei-
gen:
„Photos provided by Windows 10 (show me more like this)13 (…) how can
I nd out where the pictures were taken (photos of what)?”
„Windows 10 Lock screen & Desktop Backgrounds14 (…) I would like to
know where the lock screen and desktop background photos were taken.”
„Windows 10 lock screen image location (where in the world)15 (…) I am
interested in nding out where the images which appear on my lock screen
were taken and I can’t nd any info out there on the internet.”
„Wh e re c an nd the locations of the photos presented on Windows 10?16
(…) how can I nd out the locations where the various photos were ta-
ken?”
In den Bilddateien selbst fanden sich keine Metadaten mit weiterführenden Infor-
mationen.
12 Quelle: Download HD Windows 10 Wallpapers: Most beautiful places in the world
(Download Free Wallpapers), http://www.beautyscenery.com/2015/08/download-hd-win-
dows-10-wallpapers.html, Abruf 14. Juni 2016.
13 Photos provided by Windows 10 (show me more like this). In: Microso Community,
http://answers.microso .com/en-us/windows/forum/windows_10-start/photos-provid-
ed-by-windows-10-show-me-more-like/5f575d72-daa8-49e9-b4e6-a8e0a402e8f2, Abruf 5.
September 2016.
14 Windows 10 Lock screen & Desktop Backgrounds. In: Microso Community, http://an-
swers.microso .com/en-us/windows/forum/windows_10-start/windows-10-lock-screen-
desktop-backgrounds/f2cc04f6-facf-4677-a511-cdf8fc001 1, Abruf 5. September 2016.
15 Windows 10 lock screen image location (where in the world). In: Microso Community,
http://answers.microso .com/en-us/windows/forum/windows_10-start/windows-10-lock-
screen-image-location-where-in-the/756b3129-63db-4ae4-b250-959bd1dfd5e1, Abruf 5.
September 2016.
16 Where can nd the locations of the photos presented on Windows. In: Microso Com-
munity, http://answers.microso .com/en-us/windows/forum/windows_10-start/where-
can- nd-the-locations-of-the-photos/ba28f55d-7920-45d5-82 -604d1c74bc84, Abruf 5.
September 2016.
Intrinsischer Irrtum und semantische Spurensuche 253
Abb. 5: Hintergrundbild für Windows 10 (oben; http://www.beautyscenery.com/2015/08/download-hd-windows-10-wallpapers.
html) und „Mauna Kea, Mauna Loa, Hualaˉlai, and Haleakalaˉ“ (unten; https://www.fl ickr.com/photos/thtbln/139812
12800/in/album-72157631600570203).
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Erst die Ähnlichkeit der Berge im Hintergrund des Windows-10-Bildes mit einer
Fotogra e17 der Vulkane Mauna Kea, Mauna Loa und Hualālai auf „Big Island“
und davor Haleakalā auf Maui (Abb. 5 unten) ließ die Vermutung au ommen, es
könne sich um einen Blick von der Südseite der Insel Maui handeln.
Es bot sich also an, wieder die Webseite „where-is-this.com“ in Anspruch zu neh-
men und das Windows-10-Bild mit Angabe der vermuteten Lokalisierung hoch-
zuladen. Bereits nach etwa zwei Wochen war die Anfrage beantwortet18 und mit
den entsprechenden Geodaten der südwestliche Rücken des Gipfels Haupa‘akea19
(Maui, Hawaii) als Ort der Aufnahme ziemlich genau genannt. Darüber hinaus
enthielt die Antwort den Link zu einer 3D-Darstellung der Ansicht von Goog-
le Maps,20 die eine zusätzliche visuelle Kontrolle der Übereinstimmung des Blick-
winkels ermöglicht (Abb. 6).
17 omas Tunsch: Mauna Kea, Mauna Loa, Hualālai, and Haleakalā (a0004466). In: Flickr
2012, https://www. ickr.com/photos/thtbln/13981212800/in/album-72157631600570203/,
Abruf 5. September 2016.
18 United States: Maui, Hawaii. In: Where is this, http://www.where-is-this.com/index/
view/5626.html, Abruf 5. September 2016.
19 Haupa‘akea Peak. In: Geographic Names Information System (GNIS), http://geonames.
usgs.gov/apex/f?p=gnispq:3:::NO::P3_FID:359112, Abruf 5. September 2016.
20 Southwest ridge of Haupa‘akea Peak (3D). In: Google Maps, https://goo.gl/maps/25rh18h-
h3AN2, Abruf 26. September 2016.
Abb. 6: Southwest Ridge of Haupa‘akea Peak (3D, Google Maps, https://goo.gl/maps/25rh18hh3AN2).
Intrinsischer Irrtum und semantische Spurensuche 255
Bilddaten, Informationen und Wissen
Die genannten Beispiele zeigen, wie wichtig die informationswissenscha liche
Analyse von Daten und Informationen für die Einordnung von Fotogra en in
umfassende Zusammenhänge und ihre inhaltliche Erschließung ist. Dabei kann
das sogenannte DIK(W)-Modell (Data, Information, Knowledge) gute Dienste
leisten, um die verschiedenen Ebenen zu strukturieren (Abb. 7). Die einzelnen
Daten werden erst durch die Beschreibung ihres Sinns und Zwecks zur Informati-
on. Einige Beschreibungen des Modells gehen davon aus, dass Wissen als nächste
Stufe nur individuellen Personen zugeordnet ist. Durch die Informationen, die ein
Individuum erhält, verändert sich dieses Wissen ständig und wird anderen Perso-
nen nie vollständig zugänglich sein, weil das Individuum wiederum nur Informa-
tionen weitergibt.
Abb. 7: Wissenspyramide und DIKW Pyramide (http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wissenspyramide.svg, http://commons.
wikimedia.org/wiki/File:DIKW_Pyramid.svg, Longlivetheux, CC BY-SA 4.0).
Angewandt auf Daten und Informationen über Fotogra en heißt das, dass ent-
sprechendes „Bildwissen“ (was, wo, wer, wann) als individuelles Wissen die Wei-
tergabe von (verbalen) Informationen an andere oder besser: die ausführliche
Dokumentation erfordert. Die Verbreitung moderner Informations- und Kommu-
nikationstechnik hat dieses Problem noch einmal in aller Deutlichkeit auf die Ta-
gesordnung gesetzt und zeigt die Notwendigkeit der strukturierten, vergleichba-
ren und vernetzten Dokumentation von Bilddaten und -informationen.
Zwei Wege des Bildvergleichs
Davon ausgehend, dass bei fehlenden Angaben zum Bildmotiv allein der Bild-
vergleich zur Gewinnung weiterer extrinsischer Informationen führen kann, sind
grundsätzlich zwei Methoden zu unterscheiden, die aber immer die Benennung
mindestens eines bekannten Bildes voraussetzen.
Thomas Tunsch
256
Zum einen kann der „physikalische“ Bildvergleich durch Messung intrinsischer
Eigenscha en wie zum Beispiel Linien, Flächen, Helligkeit, Farben oder Farbdich-
te ermöglicht werden. Die Messwerte gestatten dann den automatisierten Bildver-
gleich, wofür allerdings sehr komplexe Algorithmen erforderlich sind. Diese Me-
thode wird bei der automatisierten Gesichtserkennung eingesetzt.
Der zweite Weg ist der Bildvergleich durch Beschreibung und Vergleich der dabei
gewonnenen extrinsischen Daten (Abb. 8). Der Betrachter eines „bekannten“ Bil-
des hat dabei dieses so genau beschrieben, dass die Metadaten und -informatio-
nen dieser Beschreibung eine weitere Person in die Lage versetzen, ein ähnliches
Bild zu „erkennen“. In der Praxis wird es vor allem darum gehen, dem Betrach-
ter eines ihm bisher unbekannten Bildes so viele Informationen für den Vergleich
strukturiert zur Verfügung zu stellen, dass der direkte visuelle Abgleich nur noch
mit einer eingeschränkten Menge an Vergleichsmaterial erfolgen muss. Ein Bei-
spiel wären Filterkriterien einer Bilddatenbank, die aus einer möglichst großen
Zahl von bekannten Vergleichsbildern diejenigen heraussuchen, die mit den am
unbekannten Bild durch Beobachtung festgestellten Eigenscha en übereinstim-
men.
Im Vergleich zur ersten Methode sollte dabei ein Trugschluss vermieden wer-
den, den man als „technologische Täuschung“ bezeichnen könnte. Die erreich-
ten Erfolge bei der automatisierten Verarbeitung großer Datenmengen wie in der
Gesichtserkennung können nämlich leicht darüber hinwegtäuschen, dass die in-
Abb. 8: Schema des Bildvergleichs (Thomas Tunsch).
Intrinsischer Irrtum und semantische Spurensuche 257
formationswissenscha lichen Voraussetzungen bei beiden Methoden die glei-
chen bleiben. Alle noch so ausgefeilten technologischen Werkzeuge wie komple-
xe Algorithmen und fein justierbare statistische Kalkulationen beruhen auf dem
Vorhandensein extrinsischer Daten zu mindestens einem bekannten Bildmotiv.
Darüber hinaus müssen weitere informationswissenscha liche Bedingungen er-
füllt sein, von denen hier nur einige genannt seien: So gehören die Verfügbar-
keit, Vergleichbarkeit und Strukturierung extrinsischer Daten und Informationen
von bekannten oder bereits identi zierten Bildmotiven zweifellos dazu. Ange-
sichts steigender Datenmengen bekommt zugleich die Verbindung mit Normda-
ten eine immer größere Bedeutung, da ansonsten bei Verwendung verschiedener
Begri ssysteme die Vergleichbarkeit stark eingeschränkt wäre. Für die erwähnte
Gesichtserkennung bedeutet dies, dass bekannte Gesichter vorhanden21 und die
Informationen über diese Gesichter so verfügbar und standardisiert (vergleich-
bar strukturiert) sein müssen, dass ein automatisierter Vergleich statt nden kann.
Fehlen diese Voraussetzungen, helfen selbst die besten technologischen Werkzeu-
ge nicht weiter.
Die Notwendigkeit von extrinsischen Metadaten zur wissenscha lichen Ar-
beit mit Fotogra en sollte damit hinreichend begründet sein. Zugespitzt formu-
liert wären von einer „reinen“ Bildersammlung, die beispielsweise aus Bilddateien
ohne Beschreibung besteht, nur die „bekannten“ Bilder nutzbar. Anders ausge-
drückt: nur eine individuelle Verwendung durch „wissende“ Personen wäre mög-
lich.
Für die Nutzung von extrinsischen Metadaten zur Identi zierung unbekannter
Bilder, also durch Beschreibung oder Erschließung des Bildmotivs aus anderen
Metadaten und weiteren Vergleichen, sind grundsätzlich zwei Wege vorstellbar,
die sich gegenseitig ergänzen. Einerseits kann versucht werden, die Person zu n-
den, die das Bildmotiv „kennt“. Andererseits können Personen, die Bildmotive
kennen, möglichst viele Metadaten über diese so zur Verfügung stellen, dass sie
für andere als Vergleichsmaterial nutzbar sind. Museen ist dieser zweite Weg ver-
traut, denn die Publikation ihrer Bestände in Katalogen gehört zu ihren Aufga-
ben als Gedächtnisorganisationen. Die Herausforderung besteht hier vor allem in
der Au ereitung dieser Daten und Informationen für das semantische Netz, und
zwar sowohl für die Sammlungsbestände als auch die analogen Fotoarchive und
digitale Fotogra en.
21
Kyle Banerjee/Maija Anderson: Batch metadata assignment to archival photograph collec-
tions using facial recognition so ware. In: e Code4Lib Journal, 21/2013, http://journal.
code4lib.org/articles/8486, Abruf 4. April 2016, S. 3.
Thomas Tunsch
258
Metadaten und semantisches Netz
22
Das „Semantic Web“ beruht unter anderem auf „Linked Open Data“, das heißt
miteinander verknüp en o enen Daten. Diese Daten folgen vereinbarten Stan-
dards, sind strukturiert und deshalb automatisiert zu verarbeiten. Die ‚O enheit‘
ist in der sogenannten „Open De nition“23 beschrieben und erfordert, dass die-
se Daten kostenlos genutzt, wiederverwendet und weiterverteilt werden dürfen
und dass höchstens die Bedingungen der Namensnennung (Attribution) des Ur-
hebers sowie der Weitergabe unter gleichen Bedingungen (ShareAlike) als Ein-
schränkung verlangt werden. Beispiele für „Linked Open Data“ sind DBpedia
und GeoNames. Für die von Museen gelieferten Daten und Metadaten erfüllen
die sogenannten freien Lizenz en24 innerhalb der Creative Commons diese Vor-
aussetzungen: „Nur die Lizenztypen BY und BY-SA sind über alle Interessengrup-
pen und Communities hinweg als ‚frei‘ im Sinne des Begri s ‚freeculture‘ aner-
kannt. Damit ist gemeint, dass nur durch diese beiden Lizenztypen hinsichtlich
der Schutzrechte ausreichende Freiheiten gegeben werden, um eine wirklich freie
Nachnutzbarkeit möglich zu machen.“25
Weitergehende Einschränkungen wie das Verbot der Bearbeitung oder der kom-
merziellen Nutzung verhindern daher die Einbindung in das semantische Netz.
Der erforderliche Datenaustausch mit Hilfe des semantischen Netzes ist der Ge-
genpol zum „inneren“ Bildvergleich, der ohne gesprochene oder geschriebene
Sprache nur „im Kopf “ einer Person möglich ist: „Von meinen fünf Sinnen ist
mir die Gabe des Sehens am wichtigsten. Dabei bemühe ich mich, die Erschei-
nungen mit den in mir lebenden Bildern in Einklang zu bringen.“
26
Der Datenaustausch für den „äußeren“ Bildvergleich dagegen wird umso bessere
Ergebnisse bringen können, je mehr Metadaten für bekannte Bilder strukturiert
als o ene Daten frei zugänglich sind und deshalb größere Chancen für die Ma-
schinenlesbarkeit und den automatisierten Vergleich bieten. Eine ähnliche For-
22 Vgl. „Neue Qualität der Vermittlung“ in Tunsch 2014 (Anm. 5), hier S. 272–277.
23 Open De nition, http://opende nition.org/od/, Abruf 5. September 2014.
24 „Was sind ‚freie‘ Lizenzen?“ in: John H. Weitzmann/Paul Klimpel: Handreichung: Recht-
liche Rahmenbedingungen für Digitalisierungsprojekte von Gedächtnisinstitutionen,
2015, https://doi.org/10.12752/2.0.002.2, Abruf 26. September 2016, S. 35–37.
25 Weitzmann/Klimpel 2015 (Anm. 24), hier S. 36.
26 Herbert List: List über List (1973). In: Herbert List: Die Monographie. Herausgegeben
von Max Scheler. (Schirmer & Mosel) München 2000, S. 323.
Intrinsischer Irrtum und semantische Spurensuche 259
derung hinsichtlich der Forschungsdaten (Rohdaten) wurde übrigens in der Ar-
chäologie27 bereits erhoben.
Neben den intrinsischen (z. B. Altersanalyse) sind vor allem die extrinsischen Da-
ten für den Bildvergleich und damit die Forschung von großer Bedeutung. Dabei
kann zum einen das Bildmotiv selbst für den direkten Vergleich genutzt werden,
was die Umsetzung der Bildinformationen in strukturierte Sprache voraussetzt.
Hierfür sind visuelle Informationen durch Beschreibung und Interpretation in se-
mantische (Bedeutungs-) Einheiten zu übersetzen und dadurch in semantische
Modelle umzuwandeln.
Stehen für das Bildmotiv keine Vergleichsmöglichkeiten zur Verfügung, ist zum
anderen der indirekte Vergleich nach der Auswertung weiterer extrinsischer Da-
ten möglich, wie am Beispiel der Identi zierung eines Bildmotivs durch Geodaten
und Zeitstempel erläutert.
Sowohl der direkte als auch der indirekte Vergleich erfolgen in mehreren Schrit-
ten, bei denen zunächst die dokumentierten Metadaten strukturiert und anschlie-
ßend mittels des Abgleichs mit Normdaten au ereitet werden. Je besser dies ge-
lingt, desto größer sind die Chancen für einen erfolgreichen Vergleich und die
Auswertung der übereinstimmenden Merkmale. Zu erinnern ist hier an die Ver-
meidung der „technologischen Täuschung“, denn für den „physikalischen“ Bild-
vergleich durch Messungen wird ebenso mindestens ein bekanntes Bild für die
Bestätigung der Gleichheit oder Ähnlichkeit benötigt.
Bei allen Vergleichen sind die Faktoren Quantität und Qualität zu berücksichti-
gen. Je mehr Daten und Informationen einerseits zum Vergleich verfügbar sind,
desto größer werden die Vergleichsmöglichkeiten und damit die Erfolgsaussichten
sein. Andererseits hängt es vom Grad der Strukturierung und Standardisierung
dieser Informationen ab, wie gut eine automatisierte Verarbeitung erfolgen und
damit der Aufwand reduziert werden kann.
Beispiele
Zwei ausgewählte Beispiele zum Umgang mit Metadaten aus dem Museumsleben,
die sich gleichermaßen auf die Dokumentation von Fotogra en anwenden lassen,
sollen die getro enen Aussagen verdeutlichen.
27 „In general, it is necessary to implement the approaches of the GeoArchaeology Web 2.0
project from the very beginning into the ongoing discussion about the permanent storage
and the open acces to raw data within archaeology.“ Torsten Prinz/Stephanie Walter/An-
dré Wieghardt/Tim Karberg/Torben Schreiber: GeoArchaeology Web 2.0: Geospatial In-
formation Services Facilitate New Concepts of Web-Based Data Visualization Strategies in
Archaeology – Two Case Studies from Surveys in Sudan (Wadi) and Turkey (Doliche). In:
Archaeological Discovery 2/4, 2014, S. 91–106, hier S. 104.
Thomas Tunsch
260
Die Objektdatenbank des Museums für Kommunikation28 ermöglicht es, neben
der Suche nach Freitext auch eine einfache Stichwortliste, einen eigenen esau-
rus (Sammlungsgebiete) und einen fachspezi schen Normvokabular- esaurus
(Michel-Nummer) zur Eingrenzung von Suchergebnissen zu verwenden (Abb. 9).
Daran ist der Grad der Strukturierung von Informationen über die Bestände die-
ses Museums gut erkennbar und die kontrollierte Filterung von Suchergebnissen
wird ermöglicht. Für die automatisierte Verarbeitung im semantischen Netz wäre
allerdings nur der Normvokabular- esaurus geeignet, sofern dessen Daten als
„Linked Open Data“ zur Verfügung stehen.
Die Archivdatenbank der Akademie der Künste29 in Berlin ist hier einen wesent-
lichen Schritt weiter, denn sie ermöglicht nicht nur die Recherche nach Personen
und Institutionen, die in der von der Deutschen Nationalbibliothek als „Linked
Open Data“ bereitgestellten30 gemeinsamen Normdatei (GND) enthalten sind
(Abb. 10). Sie verlinkt zusätzlich automatisiert über die GND zu Wikipedia-Ar-
tikeln über diese Personen und Institutionen und ist so bereits mit dem seman-
tischen Netz verbunden. Die Nutzung dieser Normdaten erlaubt es zum Beispiel,
28 Objektdatenbank des Museums für Kommunikation. In: Museumssti ung Post und Tele-
kommunikation (MSPT), http://sammlungen.museumssti ung.de/kategorie/objektdaten-
bank/, Abruf 22. September 2016.
29 Archivdatenbank der Akademie der Künste. In: Akademie der Künste Berlin, https://ar-
chiv.adk.de, Abruf 22. September 2016.
30 Linked Data Service. In: Deutsche Nationalbibliothek, http://www.dnb.de/DE/Service/Di-
gitaleDienste/LinkedData/linkeddata_node.html, Abruf 30. September 2016.
Abb. 9: Normvokabular-Thesaurus mit Michel-Nummer (http://sammlungen.museumsstiftung.de/kategorie/objektdatenbank/).
Intrinsischer Irrtum und semantische Spurensuche 261
Personen bei der Suche auch dann zu nden, wenn nach anderen Namensfor-
men gesucht wird oder wenn im Titel eines Sammlungsobjekts ein abweichender
Name steht. So trägt das Bildnis des ersten Hawaiiers in Preußen, Harry Maitey,
der von Schadow gezeichnet wurde, zwar den Titel: „Harry von den Sandwich-
Inseln“,31 wird aber über die Suche mit Normdaten problemlos gefunden.
Die Inhalte beider Datenbanken dürfen allerdings laut Impressum nur mit spezi-
eller Genehmigung wiederverwendet werden, so dass die Einbindung in das se-
mantische Netz derzeit nicht möglich ist und diese Daten für eine automatisierte
Verarbeitung nicht zur Verfügung stehen.
Hilfl ose Hilfsmittel oder die „hierarchische Falle“
Ein wesentlicher Faktor, der die Möglichkeiten und Grenzen der Nutzung von
Bilddaten in Museen beein usst, ist die Stellung von Fotosammlungen im Ver-
hältnis zu anderen Sammlungsgegenständen. Die hierarchische Betrachtungs-
31 Johann Gottfried Schadow: Harry von den Sandwich-Inseln, en face und im Pro l nach
links, 1824, https://archiv.adk.de/objekt/2787631, Abruf 30. September 2016.
Abb. 10: Schadow, Harry von den Sandwich-Inseln (https://archiv.adk.de/objekt/2787631).
Thomas Tunsch
262
weise, die die Fotogra e als bloßes Hilfsmittel ansieht und sie den „eigentlichen“
Sammlungsobjekten unterordnet, verhindert die umfassende Nutzung der Fotoar-
chive für die Forschung und andere Museumsaufgaben.
Generell wird in Museen, die in dieser „hierarchischen Falle“ stecken, quantita-
tiv und qualitativ weniger Dokumentationsmaterial zur Verfügung stehen. Dies
äußert sich häu g in fehlenden extrinsischen Daten zum Bild wie Beschreibung
oder Datum. Gerade das Datum aber wäre für die Restaurierung von großer Be-
deutung, um Veränderungen des Museumsobjekts über einen bestimmten Zeit-
raum nachweisen zu können. Auch Angaben dazu, warum fotogra ert wurde,
wären wichtige Hinweise für die Geschichte eines bestimmten Objekts innerhalb
der Sammlung. Im schlimmsten Falle kommt es zu Informationsverlusten, zum
Beispiel wenn alte Fotos von nicht restaurierten Bucheinbänden weder auf dem
Bild noch in der Beschri ung des Fotos eine Inventarnummer enthalten und da-
durch die Zuordnung von bei der Restaurierung vertauschten Einbandteilen nur
vermutet werden kann oder bei Verlust gar nicht möglich ist.
Sieht man dagegen alle Informationsquellen als gleichrangig an und betrach-
tet die Fotogra e als Sammlungsobjekt, so ist ein veränderter Blickwinkel erfor-
derlich. Dokumentationsstandards ermöglichen dann die e ziente Erfassung al-
ler Daten und die Vernetzung von Informationen und bilden die Grundlage für
komplexe Abfragen und Modelle. Damit wird gleichzeitig der Übergang von hier-
archisch begrenztem zu objektorientiertem Datenmanagement notwendig.
Für die Ertüchtigung der „hil osen Hilfsmittel“ lässt sich eine Reihe von kon-
kreten Maßnahmen beschreiben, die mit dem Sammeln aller Fakten und Hin-
weise zu den fotogra schen Sammlungsobjekten beginnen. Für die Strukturie-
rung dieser Daten bietet sich das „CIDOC Conceptual Reference Model“ an, das
hierfür ebenso klare wie umfassende Klassi zierungen wie beispielsweise Ereig-
nis, Person, Dokument, Ort oder Zeitspanne bereitstellt. Die kontinuierliche Er-
gänzung der Dokumentation, die für viele Museumsobjekte inzwischen selbstver-
ständlich ist, muss auch für Fotogra en zur guten Praxis werden. Dazu gehören
unter anderem Ereignisse und handelnde Personen wie Vorbesitzer, Erwerbsda-
ten oder Informationen zur Herkun . Bei Konvoluten sind vor allem Hinweise
und Vermutungen zu den Sammlungszusammenhängen wichtig, denn Informati-
onen, warum bestimmte Fotogra en gesammelt wurden, können Aufschluss über
zunächst unbekannte Bildmotive geben. Schließlich ist ferner die Standort- und
Forschungsgeschichte von Fotogra en im Museum genauso zu dokumentieren
wie die anderer Sammlungsobjekte.
In die „hierarchischen Falle“ geraten übrigens nicht nur Fotoarchive. In demsel-
ben Maße sind „untergeordnete“ Museumsobjekte wie Nachbildungen oder Ko-
pien durchaus gefährdet. Das Museum für Islamische Kunst besitzt beispielsweise
Intrinsischer Irrtum und semantische Spurensuche 263
eine Bleisti kopie32 der arabischen Inschri auf dem Krönungsmantel des Hei-
ligen Römischen Reiches, der in der Weltlichen Schatzkammer der Ho urg in
Wien au ewahrt wird. Obwohl dieses Sammlungsobjekt nach Meinung man-
cher Wissenscha ler weder für die islamische Kunstgeschichte noch für die Er-
forschung des prächtigen „Originals“ in Wien von Bedeutung sein könnte, ist es
doch aus kulturgeschichtlicher und wissenscha shistorischer Sicht wesentlich für
die Rezeptions- und Forschungsgeschichte und sollte deshalb dem semantischen
Netz zur Verfügung stehen.
Schlussfolgerungen
Für die Dokumentation von Fotogra en in Museen lässt sich daraus ableiten:
1. Metadaten sind strukturiert zu erfassen, wobei den Geodaten und Zeitanga-
ben eine besondere Bedeutung zukommt.
2. Die Nutzung von Normvokabularen stellt die Verbindung zu Informationen
über bekannte Bilder und Bildvorlagen (Motive) her und kann die Suche nach
Vergleichsmaterial erheblich abkürzen.
3. Werden nicht nur Forschungsergebnisse verö entlicht, sondern auch For-
schungsdaten, so vergrößert dies die Vergleichsmöglichkeiten für die Su-
che nach bekannten Bildmotiven und verbessert die Forschungsinfrastruktur.
Hierzu müssen die Daten standardisiert, semantisch au ereitet und frei ver-
fügbar (Open Access) sein.
Vor allem die ständig neu entstehenden digitalen Fotogra en sollten diese Bedin-
gungen erfüllen, damit die aufgezeigten Informationslücken und -verluste vermie-
den werden können, die für ihre analogen „Vorfahren“ hier beschrieben wurden.
Bild- und Kontextanalyse
Für die Bild- und Kontextanalyse33 bedeutet dies, dass nicht nur mehr und kom-
plexere Daten entstehen, sondern gleichzeitig eine neue Forschungs- und Doku-
mentationsqualität erreicht wird. Die digitalen Geisteswissenscha en (Digital Hu-
manities) stellen hierfür die Werkzeuge und Methoden zur Verfügung, die im
Rahmen kollaborativer Forschung angewandt werden. Die so entstehende Infra-
struktur moderner Forschung ist gekennzeichnet durch Standardisierung auf der
Basis des „CIDOC Conceptual Reference Model“, die Nutzung und den Ausbau
32 Inventarnummer: I. 1308.
33 Vgl. „Standardisierte Datenstruktur: CIDOC-CRM und Semantisches Netz“ in Tunsch
2014 (Anm. 5), hier S. 271–272.
Thomas Tunsch
264
des semantischen Netzes sowie frei verfügbare Forschungsdaten und -informatio-
nen (Open Access).
Standardisierte Datenstruktur: CIDOC-CRM
Das „CIDOC Conceptual Reference Model“ als internationaler Standard für Da-
ten und Informationen über das Kulturerbe ist gleichfalls die Voraussetzung für
eine standardisierte Datenstruktur,34 die Daten und Metadaten über Museumsob-
jekte, Bilder von diesen Objekten und Bilder zu Kontext, Interpretation und Ver-
gleich von Objekten miteinander verknüp . Mit der Einbindung in das seman-
tische Netz kann diese standardisierte Datenstruktur nicht nur die E zienz der
geisteswissenscha lichen Forschung erhöhen, sondern auch die Anbindung an
die naturwissenscha liche Forschung verbessern.
Chancen nutzen
„Digitale Informationen können (müssen) automatisiert bearbeitet und ausgewer-
tet werden (können).“35 Abschließend seien beispielha einige Chancen genannt,
die sich für den Umgang mit den in Museen vorhandenen fotogra schen Samm-
lungen hieraus ergeben.
Das „CIDOC Conceptual Reference Model“ ermöglicht vergleichbare Struktu-
ren und damit die automatisierte Au ereitung von Daten und Informationen, die
wiederum im semantischen Netz automatisiert vernetzbar sind. Dadurch wird die
Informationsdichte und -qualität erhöht, was der Forschung neue Perspektiven
erö net. Da der freie Zugang zu Forschungsdaten (Open Access)36 die Vorausset-
zung für „Linked Open Data“ und damit das semantische Netz ist, werden diese
Chancen erst dann nutzbar, wenn die Bereitscha zu enger und o ener Kollabo-
ration steigt.
Was bedeutet das für die wissenscha liche Praxis?
1. Die Einbeziehung von Bearbeitungs- und Forschungsdaten (wer, wann, was)
und die Transformation vom „Kopfwissen“ der Forscher zu „Maschinendaten
und -informationen“ erweitern den Forschungshorizont.
34 Vgl. omas Tunsch: Vernetzte Forschungsumgebung in der SPK, Berlin, 2015, http://
museums.wikia.com/wiki/Vernetzte_Forschungsumgebung_in_der_SPK, Abruf 30. Sep-
tember 2016.
35 orsten Koch: Strategie (digitale), Berlin, Zuse Institute, 2016, https://www.servicestelle-
digitalisierung.de/wp-content/uploads/2016/09/2016-09-13-Koch-Berlin-digiS-Strategie.
pdf, Abruf 26. September 2016, S. 38.
36 Vgl. Helene Hahn: Kooperativ in die digitale Zeit – wie ö entliche Kulturinstitutionen
Cultural Commons fördern: Eine Einführung in o ene Kulturdaten, Hrsg. v.digiS – Ser-
vicestelle Digitalisierung Berlin, 2016, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0297-zib-59131,
Abruf 15. September 2016.
Intrinsischer Irrtum und semantische Spurensuche 265
2. Informationen müssen mehr vernetzt statt wie bisher hierarchisiert werden,
das heißt die Bindung an einzelne Forschungszwecke und die damit verbun-
dene Klassi zierung (wichtig/unwichtig) sind zu vermeiden. So wären bei-
spielsweise Fotos immer mit Rand und Rückseite zu digitalisieren. Das gleiche
gilt für die Gewichtung von Informationen (mehr/weniger wichtig), da diese
gleichfalls von den Forschungszielen abhängt. Die umfassende und standardi-
sierte Dokumentation sowie die Anbindung an Normvokabulare und seman-
tische Systeme unterstützen die Flexibilität der dadurch entstehenden neuen
Infrastruktur ebenso wie die dynamische Datenerfassung und Informations-
verarbeitung, die „abgeschlossene“ (statische) Informationseinheiten ablösen
muss.
Will man die Fotogra e ohne Kontext in der Zukun vermeiden, so kann heu-
te in den Museen etwas dafür getan werden. Die Dokumentation aller Ereignisse
nach der Herstellung oder dem Erwerb eines Fotos (wer, wann, was, wo, weshalb)
ermöglicht den „Kennern“ von Bildmotiven die Kontaktaufnahme – vorausge-
setzt, diese Daten sind ö entlich verfügbar. Auch Hypothesen zur Herkun von
Fotogra en und ihren Bildmotiven können eine Grundlage für die gezielte Suche
im semantischen Netz sein und Forschungsdaten, die für das Ergebnis eines Pro-
jekts unwichtig sind, könnten von anderen dringend benötigt werden.
Antwort: Fotografi e und Kommunikation
Die Frage, ob eine Fotogra e ohne mitgelieferten Kontext wissenscha lich ver-
wertbar ist, lässt sich mit einem klaren „ja“ beantworten. Entscheidend für den
Aufwand, der für die Forschung am einzelnen Foto entsteht, ist eine Infrastruk-
tur, die es vernetzten Arbeitsgemeinscha en (collaborative communities)37 er-
möglicht, schnell und e zient auf die Daten und Informationen über bekannte
Bilder zuzugreifen und sie ständig zu ergänzen.
Herbert List bezeichnete die Anfertigung einer Fotogra e als Kommunikation
und meinte wohl die Übermittlung von Daten über das Bildmotiv im Moment
der Aufnahme und ihre Speicherung im fotogra schen Medium. Diese Informa-
tionen sind im digitalen Foto ebenso vorhanden wie im analogen. Ihre Entschlüs-
selung erfordert wiederum eine umfassende und vernetzte Kommunikation mög-
lichst vieler Rezipienten.
37 Vgl. u. a. „Wissensorganisation“ in omas Tunsch: Kommunikation für Experten: Kultu-
relle Gedächtnisorganisationen und vernetzte Arbeitsgemeinscha en. In: EVA 2011 Ber-
lin: 9.-11. November 2011 in den Staatlichen Museen zu Berlin am Kulturforum Potsda-
mer Platz; Elektronische Medien & Kunst, Kultur, Historie; die 18. Berliner Veranstaltung
der Internationalen EVA-Serie Electronic Imaging & the Visual Arts; Konferenzband Ber-
lin, 2011, http://museums.wikia.com/wiki/Kommunikation_fuer_Experten, S. 23–42, hier
S. 29.
Thomas Tunsch
266
„Ob ich noch photographiere? – Ja, sicherlich. Noch immer wähle ich sorgfältig
Ausschnitt, Komposition und Harmonie der Farben: dann knipse ich, aber ohne
Apparat, nur so mit den Augen. Kein Negativ, kein Positiv, also keine Möglichkeit
der Kommunikation.“38
Online
https://bit.ly/intrinsischer_irrtum
38
List 1973 (Anm. 26), S. 323.