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Horst Korn, Harald Dünnfelder und
Rainer Schliep (Hrsg.)
Treffpunkt Biologische Vielfalt XVI
Interdisziplinärer Forschungsaustausch
im Rahmen des Übereinkommens über
die biologische Vielfalt
BfN-Skripten 487
2018
Beiträge zu den Querschnittsthemen der CBD – Invasive Arten
158
3.6 Invasive Arten
Häufigkeit von (sub)tropischen Arten in thermisch-belasteten Gewässern in
Deutschland und Konsequenzen für die lokale Biodiversität
JULIANE LUKAS, DAVID BIERBACH
Einleitung
Viele Arten, die als stark invasiv eingeschätzt werden, haben ihr natürliches Verbreitungsgebiet in den
Tropen oder Subtropen. Unter gegenwärtigen Szenarien zur globalen Erwärmung werden Lebens-
räume, die für wärmeliebende Arten einst zu kalt waren, thermisch erschlossen (Sala et al. 2000, Ra-
hel 2002, Walther et al. 2009, Britton et al. 2010). Einige Ökosysteme erleben bereits jetzt klimawan-
delartige Bedingungen und sind somit repräsentativ für die zukünftige Beeinträchtigung anderer Öko-
systeme (O’Gorman et al. 2014, Mulhollem et al. 2016). Besonders eindrucksvoll lassen sich die Fol-
gen des Klimawandels allerdings an thermisch belasteten Gewässern beobachten. Hier ist die durch-
schnittliche Wassertemperatur ganzjährig durch das Einleiten von Warmwasser aus anthropogenen
oder geothermalen Quellen erhöht. Im Folgenden werden wir aufzeigen, wie häufig thermisch belaste-
te Gewässer in Deutschland sind und anhand konkreter Beispiele mögliche Konsequenzen für die
lokale Biodiversität diskutieren.
Häufigkeit von thermisch-belasteten Gewässern mit etablierten invasiven Arten in Deutschland
Thermische Gewässerbelastung kann durch das Einleiten von Abwasser (z. B. Kondensator- bzw.
Prozesskühlung, Sümpfung im Bergbau) oder das Vorkommen natürlicher Thermalquellen entstehen.
Drei größere Regionen in Deutschland bergen geothermales Potential – die Norddeutsche Tiefebene,
das süddeutsche Molassebecken und der Oberrheingraben – doch auch thermische Kraftwerke sind
trotz des Gesetzes zum Ausbau erneuerbarer Energien (EEG) weiterhin reichlich vorhanden (z. B.
Ruhrgebiet, Saarland oder Harz). Zur Kühlung entnehmen thermische Kraftwerke Wasser aus nahe
gelegenen Gewässern, um es in einem Durchlaufsystem wieder mit erhöhter Temperatur (oft 23-28 °C
nach Einleitung; LAWA 2013) an die Umgebung abzugeben. Trotz des gemäßigten Klimas in
Deutschland bieten thermisch-belastete Gewässer ganzjährig geeignete Bedingungen für
(sub)tropische Neobiota.
In der jüngsten EU-Verordnung zur ‚Prävention und Kontrolle der Einbringung und Verbreitung invasi-
ver gebietsfremder Arten’ (OJEU 2014) werden unter anderem Aktivitäten wie Fischbesatz, Aquakul-
tur, Schifffahrt, Gewässerkorrektionen oder Freisetzung als Einwanderungsvektoren für aquatische
Arten identifiziert. Während Fischbesatz hauptsächlich zur Verbreitung von gebietsfremden Arten aus
ähnlichen Klimaten beiträgt, ist in den gemäßigten Breiten das Aussetzen von Haustieren als wichtigs-
ter Invasionsweg für tropische Arten anzusehen (Gozlan et al. 2010, Nehring et al. 2010, Chucholl
2013, Maceda-Veiga et al. 2013). Aggressives Verhalten, häufige Fortpflanzung, Größe und Krankheit
erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Tiere freigesetzt werden (Padilla und Williams 2004). Unter
ihnen befinden sich häufig Fische wie der Guppy (Poecilia reticulata) oder verschiedene Buntbarsch-
arten (z. B. Amatitlania nigrofasciata, Oreochromis sp., Pelmatolapia mariae), die mittlerweile global
verbreitet sind (Welcomme 1988, Canonico et al. 2005, Deacon et al. 2011). Guppies beispielsweise
haben ein besonders hohes Fortpflanzungspotential mit früher Geschlechtsreife sowie hoher Wurfzahl
und -folge (Magurran 2005). Zudem können Guppy-Weibchen Spermien über mehrere Wochen spei-
chern, was zur Folge hat, dass einzelne Individuen eine ganze Population gründen können (Deacon et
al. 2011). Guppies wurden zeitweise gezielt zur Eindämmung von Vektorpopulationen infektiöser Ma-
lariamücken angesiedelt, aber auch entwichene oder freigesetzte Tiere aus Zuchtfarmen (v. a. Süd-
ostasien, Florida, Israel) spielten eine große Rolle in der Verbreitung der Art. In den nachfolgend vor-
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gestellten Standorten waren es jedoch tatsächlich Aquarianer, die durch das Aussetzen ihrer Zierfi-
sche in mitteleuropäische Gewässer zu einer Besiedlung mit tropischen Arten beigetragen haben.
Im Jahr 2016 wurden in einem wissenschaftlichen Projekt mit Bürgerbeteiligung (auch: Citizen Sci-
ence) Daten zum Vorkommen freilebender Populationen des Guppys und anderer Zierfische in
Deutschland gesammelt (Lukas et al., in Begutachtung). Bisher war nur eine Guppy-Population in
Deutschland beschrieben, die sich im thermisch-belasteten Gillbach-Erft-Flusssystem in der Nähe von
Köln etabliert hat. Im Laufe des Projekts konnten zwei weitere Systeme mit etablierten (sub)tropischen
Fischen identifiziert und zusätzliche Daten über bereits ausgestorbene Populationen zusammengetra-
gen werden (Abb. 1D).
Abb. 1: Identifizierte Standorte in Deutschland (D), die derzeit verwilderte Populationen von gebietsfrem-
den, (sub)tropischen Fischen (A-C,E-F) beherbergen. Es konnten gegenwärtig vier thermisch-
belastete Gewässer mit rezenten Populationen tropischer Fischarten identifiziert werden (rot).
Ferner sind ausgestorbene Populationen (
✝
) und solche mit derzeit unbekanntem Status (?) auf-
gezeigt. Daten aus Lukas et al. (in Begutachtung).
Beispiel Gillbach (Erft/Rhein)
Gillbach, Erft und Rhein sind stark durch die lokale Braunkohleindustrie geprägt. Der Gillbach, welcher
komplett vom Kühlwasser des Kraftwerks Niederaußem gespeist wird, weist selbst im Winter tropische
Temperaturen um 20 °C auf und bietet somit gute Lebensbedingungen für Fisch- und Pflanzenarten
aus (sub)tropischen Gefilden (s. Tab. 1). Das Vorkommen der meisten Neobiota lässt sich auf Aus-
bzw. Einsetzen von Aquarianern zurückführen, denen die Tiere fürs Aquarium zu groß, zu aggressiv
oder zu vermehrungsfreudig geworden sind (z. B. Marienbuntbarsch (Abb. 1A) und der Zebrabunt-
barsch (Abb.1C)). Gillbach-Guppys (Abb.1E: Weibchen; 1F: Männchen) zeigen ein für den Aquarien-
handel typisches Farbspektrum, was Indiz für ein kontinuierliches Einsetzen neuer Fische ist. Durch
natürliche Selektion werden diese extremen Phänotypen sonst nach wenigen Generationen wieder
eliminiert (Kempkes et al. 2009, Jourdan et al. 2014). Doch auch Nachkömmlinge von Tilapia (Abb.1B)
aus einer stillgelegten Aquakulturanlage wurden im Gillbach nachgewiesen (Lukas et al. 2017). Eine
Ausbreitung über die künstlich beheizten Gewässerabschnitte der Erft hinaus und in den Rhein gilt
jedoch als unwahrscheinlich, da dessen Wintertemperaturen auch trotz thermaler Belastung stark
abfallen können.
Beiträge zu den Querschnittsthemen der CBD – Invasive Arten
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Tab 1: Im Gillbach bei Köln nachgewiesene, gebietsfremde Arte. Manche Arten konnten in subsequen-
ten Beprobungen nicht mehr nachgewiesen werden (
✝
).
Art Wiss. Bezeichnung Vorkommen Erstnachweis Gillbach
Zebrabuntbarsch
(Abb. 1C)
Amatitlania nigrofasciata
(Günther, 1867)
Mittelamerika 1998 (Höfer und Staas
1998)
Antennenwels Ancistrus sp. Südamerika 2013 (Jourdan et al.
2014)
Goldfisch Carassius auratus gibelio Aquarienhandel 1998 (Höfer und Staas
1998)
Koi Cyprinus carpio
(Linnaeus, 1758)
Aquarienhandel 2013 (Jourdan et al.
2014)
Blau-Rote-
Ringelhand-Garnele
Macrobrachium dayanum
(Henderson, 1893)
Asien 2012 (Klotz et al. 2013)
Aurora-Buntbarsch
(✝)
Maylandia aurora
(Burgess, 1976)
Afrika 1998 (Höfer und Staas
1998)
Rückenstrichgarnele Neocaridina davidi
(Bouvier, 1904)
Asien 2011 (Klotz et al. 2013)
Tilapia
(Abb. 1B)
Oreochromis sp. Afrika 1998 (Höfer und Staas
1998)
Marienbuntbarsch
(Abb. 1A)
Pelmatolapia mariae
(Boulenger, 1899)
Afrika 2016 (Lukas et al. 2017)
Guppy
(Abb. 1E-F)
Poecilia reticulata
(Peters, 1859)
Südamerika 1970s (Kempkes, Bude
und Rose 2009)
Black Molly Poecilia sphenops
(Valenciennes, 1846)
Mittel-
/Südamerika
2016 (eigene Beobach-
tung)
Blauband-Bärbling
(✝)
Pseudorasbora parva
(Temminck und Schlegel,
1846)
Asien 1998 (Höfer und Staas
1998)
Gewöhnliche Wasser-
schraube
Vallisneria spiralis
(Linnaeus, 1758)
Asien 2003 (Hussner und
Lösch 2005)
Weitere Vorkommen
Seit 2016 sind zwei rezente Guppy-Populationen im Saarland und in Baden-Württemberg bekannt
(Abb. 1D), der Zeitpunkt der Etablierung ist jedoch ungewiss (Lukas et al., in Begutachtung). Bei dem
ersten Gewässer handelt es sich um einen durch gehobenes Grubenwasser erhitzten Wassergarten
auf dem ehemaligen Gelände des Steinkohle-Bergwerks Reden. Neben Guppys konnten hier auch die
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bei Aquarianern beliebten Black Mollys (Poecilia sphenops) beobachtet werden. Eine Population im
baden-württembergischen Bad Saulgau besiedelt einen aus Thermalwasser gespeisten Bach auf dem
Gebiet der dortigen Rehabilitationsklinik. Dieser Standort birgt das Potential für ein langfristiges Über-
leben der Guppys, falls die Thermalquelle nicht versiegt. Industriell erwärmte Gewässer hingegen sind
stets abhängig von der anthropogenen Warmwassereinleitung. Dies konnte in jüngerer Vergangenheit
mehrfach beobachtet werden, als Wärmequellen im Zuge der Stilllegung vieler DDR-Kraftwerke oder
durch Maßnahmen der jüngsten Energiewende versiegten und zum anschließenden Aussterben der
Populationen führten (z. B. Zerkwitzer Kahnfahrt bei Lübbenau oder Wölfersheimer See, s. Abb.1D).
Konsequenzen
Viele der eingeschleppten Arten sind für ihre Robustheit und Anpassungsfähigkeit bekannt. Eine hohe
Anpassungsfähigkeit erhöht die Wahrscheinlichkeit des Überlebens auch außerhalb der thermisch
belasteten Gewässer und ist ein wichtiger Treiber für den Invasionserfolg vieler Arten (Heger und
Trepl 2003). Gillbach-Guppys beispielsweise zeigen schon eine niedrigere kritische Mindesttempera-
tur als ihre wilden Pendants aus Venezuela (Jourdan et al. 2014). Obwohl es momentan unwahr-
scheinlich ist, dass sich (sub)tropische Fischarten in normal temperierte deutsche Gewässer ausbrei-
ten, ist dies für einige ursprünglich aus Zentralasien stammende Garnelenarten dagegen sehr wohl
denkbar (Klotz et al. 2013).
Doch auch die lokal begrenzten tropischen Fischpopulationen bergen hohe Risiken für die heimische
Fauna: sie sind Überträger nicht-heimischer Krankheitserreger und Parasiten. Emde et al. (2016) zeig-
ten, dass Buntbarsche aus dem Gillbach sowohl als Zwischen- als auch als Endwirt für lokale (Kratz-
wurm Acanthocephalus anguillae) und drei eingeschleppte Fischparasiten (Schwimmblasenwurm
Anguillicolloides crassus, Bandwurm Bothriocephalus acheilognathi und Fräskopfwurm Camallanus
cotti) fungieren.
Je länger künstlich aufgeheizte Gewässer wie der Gillbach bestehen, desto mehr nicht-heimische
Arten können sich dauerhaft ansiedeln. Mit jeder neuen Art steigt das Gefährdungspotential für die
ansässige Tier- und Pflanzenwelt. Dieses Phänomen ist bereits von thermisch belasteten Gewässern
in der Süd-Toskana (Piazzini et al. 2010) oder dem Warmbach in Österreich (Petutschnig et al. 2008)
bekannt. Letzterer wurde Anfang 2000 regelmäßigen Beprobungen unterzogen, wobei stetig neu etab-
lierte, gebietsfremde Arten – meist beliebte Zierfische und -krebse – protokolliert wurden (2001-2007:
zwölf neue Neobiota). Dies zeigt, dass in der Bevölkerung das Problembewusstsein fehlt. Das Aus-
setzen gebietsfremder Tiere kann unvorhersehbare Konsequenzen haben und ist laut Tierschutzge-
setz (§3 Abs.3, 4 TierSchG) verboten.
Zusammenfassung und Ausblick
In gemäßigten Breiten führt das Einleiten von thermisch belasteten Abwässern in Flüsse und Bäche
bzw. das Vorkommen von Thermalquellen dazu, dass sich nicht-heimische, (sub)tropische Neobiota
trotz der oftmals harschen Wintertemperaturen dauerhaft ansiedeln können. Bisher sind in Deutsch-
land vier Standorte bekannt, in denen sich (sub)tropische aquatische Arten etabliert haben und fort-
pflanzen.
Nach unserer Einschätzung sind solche thermischen Refugien höchstwahrscheinlich nur lokal be-
grenzte Phänomene, da sie auf die stetige Warmwassereinleitung angewiesen sind. Dennoch fordern
wir eine kontinuierliche Überwachung solcher Systeme, da Neobiota die lokale Biodiversität durch das
Einschleppen und die Verbreitung neuer Pathogene und Parasiten gefährden. Zudem konnten in der
seit 40 Jahren etablierten Guppy-Population des Gillbachs bereits Anpassungen an niedrigere Tempe-
raturen nachgewiesen werden. Biotope wie der Gillbach eignen sich zur detaillierten Untersuchung
von Invasionsprozessen und zur Verbesserung unseres Verständnisses der möglichen Auswirkungen
auf einheimische Arten und Ökosysteme.
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Wir fordern außerdem eine thematische Sensibilisierung der Öffentlichkeit.
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