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Viele Forschungsaktivitäten ab Mitte
der 1980er Jahre waren geprägt von
Fragestellungen, die sich mit der Re-
naturierung der seit vielen Jahrhunder-
ten stark durch die menschliche Nut-
zung überprägten Flusslandschaften
Mitteleuropas befassten.
Nach der Berufung von Bernd
Gerken als Professor an das Lehrge-
biet Tierökologie der damaligen Uni-
versität-Gesamthochschule Paderborn,
Abteilung Höxter im Jahr 1983 wurden
jährlich Geländepraktika in naturnahen
Flusslandschaften durchgeführt. Diese
meist zehntägigen Exkursionen führten
Studierende der Landespege in einige
der letzten naturnahen Flusslandschaf-
ten Europas, so an die Durance in
Südostfrankreich, an die Theiß in
Ungarn, ab 1995 an den Allier in Mittel-
frankreich (Abb. unten) und seit 2008
unter Leitung von Prof. Dr. Winfried
Türk sowie Prof. Dr. Ulrich Riedl an
den Hérault in Südfrankreich. Das
Kennenlernen zumindest in Teilen un-
berührter Auenökosysteme, die noch
einer naturnahen Dynamik unterliegen,
und der ihnen typischen Panzen- und
Tiergemeinschaften stand und steht
dabei im Vordergrund. Gleichzeitig
werden freilandökologische Methoden
vermittelt.
Ab 1988 rückte zunehmend auch die
Oberweser in den Mittelpunkt der For-
schungsaktivitäten. Der Vergleich na-
naturnaher Auenlandschaften, wie sie
auf den Exkursionen zu erleben waren,
mit der Oberweser ließ unter Lehren-
den und Lernenden immer mehr den
Wunsch keimen, in der unmittelbaren
Umgebung der Hoch-
schule Maßnahmen
und Methoden der
Auenregeneration
zu erproben und zu
entwickeln. Verbun-
den mit den Aktivitäten
der Umweltbewegung
der 1980er Jahre
traten etwa zeitgleich
Fragen nach einer Re-
naturierung von seit
Jahrhunderten stark
veränderter Fließge-
wässer immer stärker
in den Blickpunkt der
Naturschutzaktivitäten
und schließlich auch
der Öffentlichkeit.
Dr. Mathias Lohr
Forschen in und
für Flusslandschaften
Naturnahe Fluss-
landschaften – wie
hier der Allier in
Mittelfrankreich –
dienen als Vorbilder
für das Studium von
Auenökosystemen
und für die Regene-
ration von Fluss-
auen.
Foto: M. Lohr
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Die Veröffentlichung zahlreicher Lehr-
bücher über die Ökologie von Auen
und Flusslandschaften – beispiel-
haft seien NIEMEYER-LÜLLWITZ &
ZUCCHI (1985), GEPP (1986) und
nicht zuletzt GERKEN (1988) ge-
nannt – belegt, dass Auenregenerati-
on und eine nachhaltige Entwicklung
von Flusslandschaften vor allem im
Hinblick auf einen Arten- und Lebens-
raumschutz und einen vorsorgenden
Hochwasserschutz in den Fokus des
Natur- und Umweltschutzes rückte. An
der Abteilung Höxter schlugen sich die
beschriebenen Entwicklungen auch in
zahlreichen Diplomarbeitsthemen
nieder (z.B. BUSCHMANN 1988). Die
meisten der auenökologischen For-
schungsaktivitäten ab Ende der 1980er
Jahre erfolgten in enger Kooperation
zwischen den Lehrgebieten Vegetati-
onskunde, vertreten durch Prof. Hans
Böttcher, und Tierökologie, Prof. Dr.
Bernd Gerken.
Das größte auenökologische For-
schungsvorhaben war das von 1988
bis 2000 laufende Erprobungs- und
Entwicklungsvorhaben mit dem Titel
„Regeneration landschaftstypischer
Auenstandorte in der Oberwesernie-
derung“ (kurz „E+E-Vorhaben Oberwe-
ser“), das mit Mitteln des Bundesum-
weltministeriums maßgeblich durch
das Bundesamt für Naturschutz geför-
dert wurde. Das Vorhaben war ein zen-
trales Projekt im neu gegründeten FSP
Kulturlandschaftspege. Nach einer
zweijährigen Voruntersuchungsphase
wurden zwischen 1991 und 1994 in
sechs Gebieten auf einer Fläche von
insgesamt 62 ha entlang der Ober-
weser zwischen Bad Karlshafen und
Bodenwerder Maßnahmen zur Auen-
regeneration umgesetzt. In einer sich
anschließenden fünfjähren Phase der
Erfolgskontrolle untersuchten sechs
wissenschaftliche Mitarbeiter*innen die
Entwicklungen in den Regenerations-
gebieten. Dabei wurden vegetations-
kundliche und tierökologische Bestand-
serhebungen durchgeführt, aber auch
morphodynamische Veränderungen
dokumentiert. Neben den bei den
Projektleitern Bernd Gerken und Hans
Böttcher arbeiteten in dem zwölf-
jährigen Projekt Frank Böwingloh,
Michael Buschmann, Karsten Dörfer,
Jürgen Funcke, Dirk Leifeld, Christa
Leushacke-Schneider, Mathias Lohr,
Heike Lüty, Peter Rußkamp und Alpha
Robinson.
Insbesondere bei
Hochwasser zeigen
die Hochutrinnen
– wie hier im Brück-
feld bei Höxter –
ihre Bedeutung als
Infrastruktur für die
Auendynamik.
Hier werden durch
Erosion, Transport
und Ablagerung
strukturbildende
Prozesse ausge-
löst – sogenannte
morphodynamische
Vorgänge.
Foto: M. Lohr
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Leitgedanke des Vorhabens war es,
durch die Maßnahmen die dynamisch
wirkenden Kräfte des Flusses wieder
zuzulassen. Dazu wurden lediglich In-
itialmaßnahmen durchgeführt, während
die Regeneration der Fluss selbst
leisten soll. Veränderungen am Fluss-
schlauch selbst durften aufgrund was-
serwirtschaftlicher Vorgaben nicht vor-
genommen werden. Hauptaugenmerk
lag daher auf der Reaktivierung von
Hochutrinnen und Seitenarmen, die
ihrerseits als Infrastruktur der Auen-
dynamik die Regeneration der Fluss-
landschaft in der Fläche ermöglichen
(Abb. Seite 35). Maßnahmen zur Re-
generation wurden aber auch in stark
anthropogen überprägten Lebensräu-
men wie Buhnenteichen und Abgra-
bungsgewässern durch Anschluss an
das Hauptgerinne der Weser durch-
geführt. Hierdurch wurden zum da-
maligen Zeitpunkt neue Methoden
zur Auenregeneration erprobt. Einen
Überblick über die wichtigsten im Pro-
jekt vorgenommenen Regenerations-
maßnahmen gibt die unten stehende
Abbildung. Eine zusammenfassende
Darstellung über Projektziele, -inhalte
und -ergebnisse ndet sich in
GERKEN & DÖRFER (2002).
Im Vorhaben wurden Forschung und
Lehre an vielen Stellen sowohl für die
Lehrenden als auch die Lernenden
verknüpft. So wurden
zahlreiche Studierende in
die Erhebungen der wis-
senschaftlichen Erfolgs-
kontrolle eingebunden.
Dies erfolgte nicht nur
durch die Anstellung als
studentische Hilfskräfte,
sondern auch durch die
Bearbeitung von Fra-
gestellungen in zahlrei-
chen Abschlussarbeiten.
Neben diesem auch als
„Weserprojekt“ bekann-
ten Vorhaben wurden
weitere Forschungs-
projekte bearbeitet. So
wurde zwischen 1988
und 1990 im Auftrag des
Ministeriums für Stadt-
entwicklung, Wohnen
und Verkehr NRW ein
„Schutz- und Pegekon-
zept für die nordrhein-
westfälische Weseraue“
erstellt. Bausteine zur
Umsetzung der Was-
serrahmenrichtlinie in
der Region wurden
durch die Mitarbeit am
„Konzept zur hydromor-
phologischen Verbesser-
ungen im Kreis Höxter“ in
Zusammenarbeit mit dem
Umweltinstitut Höxter
erarbeitet. Durch die Er-
stellung einer „AuenMap-
Im E+E-Vorhaben
Oberweser wurden
in sechs Gebieten
auf einer Fläche
von 62 Hektar
Maßnahmen zur
Auenregeneration
durchgeführt (aus
GERKEN et al.
1998).
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pe“ für das NaturForum Bislicher Insel
wurden auenökologische Aspekte für
ein breites Publikum und unterschied-
liche Zielgruppen unter naturpädago-
gischen Gesichtspunkten aufbereitet.
Aus diesen Tätigkeiten heraus grün-
dete sich 2010 das Bildungsnetzwerk
Aue (BNA), ein Zusammenschluss der
in Deutschland in Flusslandschaften
tätigen Umweltbildungseinrichtungen,
dem aktuell 31 Institutionen angehören
und mit dem das Fachgebiet Land-
schaftsökologie und Naturschutz ko-
operiert.
Wie aktuell Forschungsthemen in
Flusslandschaften sind, zeigen auch
die Diskussionen um das „Blaue Band
Deutschland“. In diesem Bundespro-
gramm sollen Wasserstraßen durch
Umsetzung von Regenerationsmaß-
nahmen wieder naturnäher gestaltet
werden. Dabei bieten sich gerade an
der Oberweser, die eine vergleichs-
weise geringe Bedeutung als Schiff-
fahrtsstraße hat, verstärkte Anstren-
gungen zur Auenregeneration auch am
Hauptgerinne des Flusses selbst an.
An der Planung solcher Maßnahmen
ist auch das Fachgebiet Landschafts-
ökologie und Naturschutz beteiligt
(Abb. oben).
Lernende und
Lehrende in ei-
ner naturnahen
Flusslandschaft,
der Hérault-Aue in
Südfrankreich.
Foto: M. Lohr
Initiativkreis Ober-
weser: Organisator
der Flusskonferenz
in Hameln 2016.
Foto: UIH Möhring 2016