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LG München: Korrektur der Barabfindung
von Minderheitsaktionären aufgrund einer
Änderung der Marktrisikoprämie
LG München, Beschluss vom 30.5.2018 – 5 HK O 10044/16, Beschwerde
eingelegt
Volltext des Beschlusses:
BB-ONLINE
BBL2018-2098-1
unter www.betriebs-berater.de
LEITSÄTZE
1. Eine Erbengemeinschaft ist im Spruchverfahren beteiligungsfähig.
2. Der Basiszinssatz ist anhand der Zinsstrukturkurve von Zerobonds
quasi ohne Kreditausfallrisiko über eine Referenzperiode von drei Mo-
naten vor der Hauptversammlung zu ermitteln. Dabei ist bei der Rück-
rechnung dieses Zeitraums der Tag der Hauptversammlung nicht ein-
zubeziehen; die Referenzperiode endet somit am Tag vor der Haupt-
versammlung. Eine Rundung des Basiszinssatzes ist zulässig.
3. Eine Reduktion des Basiszinssatzes wegen der Existenz von Credit
Default Swaps muss nicht erfolgen.
AktG § 327, UmwG § 62, ZPO § 287
BB-Kommentar
Relevanz von Kapitalmarktdaten für die angemessene
Barabfindung von Minderheitsaktionären
PROBLEM
Im Zusammenhang mit der Verschmelzung zweier Aktiengesellschaften
soll ein Ausschluss der Minderheitsaktionäre nach § 62 Abs. 1 und Abs. 5
UmwG i.V.m. §§ 327a ff. AktG gegen Gewährung einer angemessenen
Barabfindung erfolgen. Den Verschmelzungsvertrag schließen die Gesell-
schaften am 12.2.2016. Die übernehmende Gesellschaft hält zum Zeit-
punkt des Beschlusses der Hauptversammlung der übertragenden Gesell-
schaft am 30.3.2016 über 90 % des Grundkapitals der übertragenden Ge-
sellschaft. Die Barabfindung entspricht laut Übertragungsbericht dem
Börsenwert je Aktie von 7,11 Euro; dieser übersteigt den Ertragswert je
Aktie von 6,43 Euro. Das LG München I hat über Anträge zur Erhöhung
dieser Abfindung zu entscheiden, da diese laut Antragstellern aufgrund
Korrekturbedarfs u.a. hinsichtlich der Planung, der Kapitalisierungszins-
sätze und der Bestimmung des Börsenwerts unangemessen niedrig sei.
ZUSAMMENFASSUNG
Das Gericht bestätigt die Berechnung des Börsenwerts. Im Zuge der Beur-
teilung der Ertragswertermittlung würdigt es dievon der Unternehmenslei-
tung erstellte Planung getrennt nach Umsatz- und Aufwandsplanung u. a.
unter Berücksichtigung der Finanzierungsannahmen. Sie sei plausibel und
nicht zu korrigieren. Dies schließe die Annahmen zum Zeitraum der ewigen
Rente mit ein. Der Detailplanungszeitraum, dem im ersten Abschnitt eine
Bottom-up erstellte Budgetplanung zugrunde liegt, umfasst zehn Planjah-
re, weil nur so erreicht werden kann, dass am Ende der Detailplanungs-
phase ein Gleichgewichtszustand erreicht ist. Dies ermögliche, das in der
Umstrukturierung steckende Wachstumspotenzial abzubilden. Für die De-
tailplanungsphase werden, u.a. aufgrund aufgelaufener Verlustvorträge,
keine Ausschüttungen eingeplant. Für die Rentenphase wird eine Ausschüt-
tungsquote von 50% unterstellt. Dem CAPM begegnet die erkennende
Kammer reserviert, lehnt es aber nicht ab. Der Handel mit den Aktien der
Gesellschaft wird im Einklang mit der Prüferin als illiquide eingestuft, daher
werden die Betawerte der Peer-Group-Unternehmen herangezogen. Wäh-
rend der Basiszins und der Betawert bestätigt werden, senkt das Gericht die
Marktrisikoprämie von 5,5% auf 5 %, was zu einer Erhöhung der Barabfin-
dung auf 7,78 Euro je Aktie führt. Dies ist der geänderte Ertragswert je Aktie,
der damit den Börsenwert von 7,11 Euro je Aktie übersteigt.
PRAXISFOLGEN
Die ausführliche Würdigung der geplanten Überschüsse einschließlich der
geschäftsfeldspezifischen Informationen, Markterwartungen und Annah-
men unterstreicht die Relevanz einer Begründung der Planung. Bei der
Bemessung der Barabfindung von Minderheitsaktionären gelten auch als
ambitioniert beurteilte Planungen, die wie im vorliegenden Fall z.B. von
einer Ertragswende von (Ist)Verlusten hin zu (Plan)Gewinnen ausgehen,
bei Erfüllen der in der Rechtsprechung etablierten Voraussetzungen nicht
als unplausibel. Zur Plausibilitätskontrolle seien, so das Gericht, Planungs-
unterlagen der Gesellschaft oder die Arbeitspapiere der Bewertungsgut-
achter oder der Abfindungsprüferin hier nicht notwendig. Unabhängig
vom thesaurierungsbedingten Wachstum werden die erwartete (Gesamt)-
Inflation unterschreitende Preissteigerungsraten in der Rechtsprechung
trotz in der Literatur zu findender Bedenken bei einer als dies rechtferti-
gend eingestuften Unternehmenssituation akzeptiert.
Am Bewertungsstichtag und an einer Reihe weiterer Börsentage davor la-
gen die Spot Rates unter der üblicherweise bei der Basiszinsermittlung un-
terstellten Wachstumsrate von 1%. Eine künstliche Verlängerung der Zins-
strukturkurve hilft bei fallendem Verlauf der sich rechnerisch ergebenden
Spot Rates am langen Laufzeitende nicht, das resultierende mathematische
Problem zu vermeiden. Der verbreitete und auch hier erfolgte Rückgriff auf
über eine Referenzperiode von drei Monaten errechnete Durchschnitte, die
wesentlich von vergleichsweise hohen Spot Rates im ersten Teil der Periode
beeinflusst sind, verdeckt das Problem. Dass bei niedrigen Basiszinssätzen
die vom FAUB empfohlene Rundung auf volle 25 Basispunkte besonders zu
spüren ist, zeigt sich hier deutlich, da in der Entscheidung von ungerunde-
ten durchschnittlichen Basiszinssätzen die Rede ist, die an der Grenze zwi-
schen Ab- und Aufrundung liegen. Die wenig später vom FAUB empfohlene
Rundung auf volle zehn Basispunkte mildert, die Verwendung eines unge-
rundeten Basiszinssatzes vermeidet das Problem. Man darf fragen, warum
bei der Ermittlung des durchschnittlichen Basiszinssatzes der Bewertungs-
stichtag, der Tag der Hauptversammlung, unberücksichtigt bleiben sollte.
Anders als bei der Bestimmung des Börsenwerts wird die Bekanntgabe
bzw. der Beschluss der Maßnahme die zu bestimmende Größe, also den Ba-
siszinssatz bzw. die Zinsstrukturkurve, nicht tangieren. Dass das Gericht der
vom FAUB vorgeschlagenen „krisenbedingten“ Anhebung der Marktrisiko-
prämie erneut nicht folgt und die Marktrisikoprämie absenkt, dämpft den
Einfluss des Vorschlags. Schließlich ist eine Folge, dass bei der Einschätzung
der Wesentlichkeit einer Änderung Ausgangs- und Endwert zur Berechnung
der prozentualen Änderung mit der gleichen Methode ermittelt werden
sollten, wenn – wie im Fall – zunächst der Börsenwert je Aktie relevant ist,
nach Änderung aber der Ertragswert je Aktie, also ein Methodenwechsel er-
folgt. So ist – hypothetisch – ein den Börsenwert, der im Ausgangsfall über
dem Ertragswert liegt, um wenige Prozentpunkte übersteigender Ertrags-
wert dann relevant, wenn er wesentlich höher als der ursprüngliche Ertrags-
wert ist.
Prof. Dr. Andreas Schüler ist Inhaber der Professur für
Finanzwirtschaft & Finanzdienstleistungen an der Univer-
sität der Bundeswehr München. Er beschäftigt sich u. a.
mit Theorie und Praxis der Unternehmensbewertung.
2098
Betriebs-Berater | BB 36.2018 | 3.9.2018
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft | Entscheidungen
Schüler | BB-Kommentar zu OLG München · 30.5.2018 – 5 HK O 10044/16
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