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Zwischen Serviette und Bildlandschaft. Visualisierung mit Sketchnotes – Eine Reflexion aus der Planungspraxis [PlanerIn 02/2018]

Authors:
  • Hansestadt Lüneburg

Abstract and Figures

Bilder und Visualisierungen sind allgegenwärtig: als Planzeichen, als Piktogramme auf Hinweisschildern, Symbole der Apps auf Smartphone und Tablet oder als Emojis, die unsere Stimmung in digitalen Chats ausdrücken. Und fast jeder hat schon einmal eine Prezi-Präsentation gesehen (auf der durch eine Bildlandschaft gezoomt wird und daran orientiert Inhalte erklärt werden) oder war schon dabei, als ein Graphic-Recorder eine Veranstaltung live mitgezeichnet hat. Diese Art der Vermittlung von Inhalten weckt Interesse und regt Diskussionen an. Daher fragen wir uns: Was fasziniert uns daran und wie können wir diese Vermittlungswege auch für den beruflichen Kontext nutzen?
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BEITRÄGE . PLANERIN 2_18
Tobias Preising, Sara Reimann
Zwischen Serviette und Bildlandschaft
Visualisierung mit Sketchnotes – Eine Reflexion aus der Planungspraxis
Bilder und Visualisierungen sind allgegenwärtig: als Plan-
zeichen, als Piktogramme auf Hinweisschildern, Symbole
der Apps auf Smartphone und Tablet oder als Emojis, die
unsere Stimmung in digitalen Chats ausdrücken. Und fast
jeder hat schon einmal eine Prezi-Präsentation gesehen
(auf der durch eine Bildlandschaft gezoomt wird und daran
orientiert Inhalte erklärt werden) oder war schon dabei, als
ein Graphic-Recorder eine Veranstaltung live mitgezeichnet
hat. Diese Art der Vermittlung von Inhalten weckt Interesse
und regt Diskussionen an. Daher fragen wir uns: Was faszi-
niert uns daran und wie können wir diese Vermittlungswe-
ge auch für den beruflichen Kontext nutzen?
Einstieg in das Thema „Sketchnotes“
Unser Bezug zur räumlichen Planung besteht aktuell über
ein Projekt zu interkommunalen Kooperationen in der
Daseinsvorsorge und der Erreichbarkeit von entsprechen-
den Einrichtungen (UrbanRural SOLUTIONS). Aus dem
Bedürfnis heraus, Denkprozesse anschaulicher zu machen,
Inhalte anders zu vermitteln und ein gemeinsames Ver-
ständnis komplexer Prozesse herzustellen, haben wir uns
dem Thema Visualisierung genähert. Begonnen hat es mit
dem Versuch, die Entwicklung von regionalen Akteurskon-
stellationen für einen Workshop mittels einer Handzeich-
nung grafisch aufzuarbeiten – wobei plötzlich nicht mehr
die eigentliche Analyse, sondern deren Illustration das Inte-
resse der Teilnehmenden weckte.
Das war Anlass, unsere Fähigkeiten im Eigenstudium
mittels einschlägiger Literatur zu vertiefen und uns Grund-
lagen von Sketchnotes („Notizen aus Bild und Text“) anzu-
eignen. Das Aneignen dieser Fähigkeiten hat bestätigt, was
in der Literatur betont wird: Jeder, der schreiben kann,
kann auch zeichnen und visualisieren. Der Prozess ist wich-
tiger als ein „schönes“ Ergebnis.
Lerntheoretischer Hintergrund
Doch worin liegt die Anziehungskraft dieser „handgemach-
ten“ Zeichnungen? Zum einen ist zu beobachten, dass zu
den inzwischen technisch nahezu perfekten (oder schein-
bar perfekten) Renderings und Animationen ein Gegen-
trend entstanden ist: Handgemachtes ist wieder „in“ und
stellt eine wohltuende Abwechslung dar. Zudem regen
nicht-perfekte Zeichnungen und Skizzen deutlich mehr zu
Diskussionen an als scheinbar fertige und durchdesignte
Computerzeichnungen.
Doch wieso überhaupt Visualisierung? Aus Lerntheorie
und Psychologie (vgl. u.a. Gretsch / Holzäpfel 2016) wissen
wir, dass neue Informationen entweder auditiv (Sprache)
oder visuell (Bilder, Text) aufgenommen werden, wobei
gelesener Text im Gehirn meist nachträglich in „Sprache“
umcodiert wird (wir lesen uns selbst vor). Beide Kanäle
regen unterschiedliche Bereiche des Gehirns an, und Ler-
nen besteht im Wesentlichen in der Verknüpfung der neu
erworbenen Inhalte mit bereits abgespeicherten Informa-
tionen beider Bereiche, also von abstrakten Inhalten und
bildhaftem Wissen (wozu auch weitere Sinneseindrü-
cke und Gefühle gehören). Studien haben gezeigt, dass
die akute Aufnahmefähigkeit des Gehirns für neue Reize
durchaus begrenzt ist und eine geschickte Kombination
von Bild und Sprache den Wissenserwerb unterstützen
kann (vgl. u.a. Gretsch / Holzäpfel 2016).
Anwendung in der räumlichen Planung
Hinzu kommt, dass Menschen es lieben, Geschichten zu
erzählen und erzählt zu bekommen – das Geschichtener-
zählen in Wort und Bild zählt zu den ältesten Kulturtechni-
ken und ist nicht nur unterhaltend, sondern seit jeher eine
wirksame Methode, Informationen zu übermitteln und
Wissen zu teilen: Das Computerspiel oder das Abenteuer
Abb. 1: Gemeinsamer Workshop der Projektgruppe zu Visualisierungen (Foto: ARL)
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vom Piraten oder dem Ritter und der Prinzessin ist einfach
tausendmal spannender als Ablaufdiagramme und kom-
plexe Prozesse. Und genau dies kann mit zeichnerischen
Visualisierungstechniken auch in der Planung gewinn-
bringend genutzt werden. In unserer Projektarbeit haben
wir daher die gemeinsame Erstellung einer Bildlandschaft
genutzt, um Projektplanungsprozesse im Team zu reflek-
tieren, zu verdichten und mittels einer „Expedition Daseins-
vorsorge“ zu veranschaulichen (Abb. 2).
Dieser Prozess hat uns geholfen:
abstrakter und gleichzeitig bildhafter über komplexe Pro-
zesse nachzudenken;
dieses Nachdenken auf übergeordnete Muster zu len-
ken, ohne sich in Details zu verlieren;
Reflexion als Gruppenprozess durchzuführen und eta-
blierte Denkmuster zu überwinden;
über diese kreativen, haptischen Prozesse mit Stift und
Papier größere Potenziale der neuronalen Informations-
verarbeitung zu aktivieren, als dies rein über eine verbale
Diskussion und die Produktion von Texten passiert.
Weitere Anwendungsfelder für Visualisierungstechniken
(vgl. z.B. Haußmann 2017) sind natürlich auch die leben-
dige Vermittlung von Inhalten in Präsentationen aber auch
eine gemeinsame Ideenentwicklung oder Beratung in klei-
nen Teams oder Zweiergesprächen – oder natürlich die
sprichwörtliche Skizze auf der Serviette beim Mittagessen.
In allen Fällen hilft die spontane zeichnerische Darstellung,
verbalisierte Inhalte zu verdeutlichen und reduziert die
Gefahr, trotz gleicher Begriffe aneinander vorbei zu reden.
Umgang mit Kritik
Obwohl sich in der Erprobung klar die Vorteile dieser
Methode(n) gezeigt haben, müssen wir uns auch Vorbe-
halten stellen. Beispielsweise, dass diese „Kinderzeichnun-
gen“ nicht professionell wirken oder dass die vereinfachte
Darstellung wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügt.
Oder: Die Ergebnisse sind nicht „technisch genug“ – mit
digitalen Verfahren könnte man doch viel mehr und viel
Genaueres erreichen. Hinzu kommt, dass in der Planungs-
ausbildung das grafische Handwerk gegenüber der zwei-
felsohne ebenfalls wichtigen Bedienung von CAD und GIS
ins Hintertreffen geraten zu sein scheint.
Teilweise sind Einwände sicher berechtigt und Hand-
zeichnungen geraten je nach den eigenen Fähigkeiten
früher oder später an ihre Grenzen. Klare Vorteile der
Methode sind für uns jedoch: Der Stil von Sketchnotes ist
einfach und lässt sich über das Zeichnen von Grundfor-
men sehr schnell erlernen. Diese simple Herangehensweise
ermöglicht es, Visualisierungen auch live im Gespräch zur
Unterstützung von Diskussionen zu nutzen – professionelle
Visualisierer sind für interne Zwecke nicht unbedingt nötig
(für grafische Protokolle von offiziellen Terminen und pro-
fessionellen Publikationen aber sicher gut angelegtes Geld).
Abb. 2: Verdichtung der komplexen Projektprozesse zu einer Bild-
landschaft (Skizze: Tobias Preising)
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Alle reden über das Klima – aber wie geht
kommunale Klimapolitik? Wie steht es um
den Klimaschutz vor Ort? Kümmern sich die
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wandel? Und wie passt beides zusammen?
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Fazit
Für uns hat die praktische Anwendung von Sketchnotes
und Bildern/Bildlandschaften bereits unser Denken und
Verstehen regionaler Planungsprozesse stark bereichert.
Allen, die Lust bekommen haben, (wieder) einen Stift in die
Hand zu nehmen, möchten wir folgende Tipps mit auf den
Weg geben:
Vieles lässt sich mit einfachen Grundformen und weni-
gen visuellen Vokabeln schnell darstellen. Letztlich muss
es erkennbar und nicht unbedingt schön oder gar per-
fekt sein.
Nicht alles muss über Bilder ausgedrückt werden – Text
und Bild ergänzen sich immer. Manche Begriffe sind ein-
fach zu komplex, um sie in Bildvokabeln zu übersetzen.
Wichtig ist eine Reduktion auf Kernpunkte und elemen-
tare Zusammenhänge. Ergänzungen, Differenzierungen
und Feinheiten können (wo nötig) mündlich erläutert
werden.
Einfach anfangen! Die Sicherheit kommt durch Übung
und die Kollegen werden auch schon von den ersten, viel-
leicht noch etwas ungelenken, Skizzen begeistert sein.
Weitere Grundlagen und vor allem anwendungsorientierte
Tipps gibt es in zahlreichen Büchern der letzten Jahre und
auch im Internet. Eine kleine Auswahl haben wir in den
Literaturangaben zu diesem Artikel zusammengefasst.
Und statt einer Zusammenfassung gibt es – wie sollte es
anders sein – natürlich ein selbst erstelltes Sketchnote mit
den wichtigsten Aspekten dieses Artikels (siehe Abb. 3).
Tobias Preising, Dr.-Ing., SRL, Region Hannover/Netzwerk Erweiterter Wirt-
schaftsraum Hannover, Mitglied der Redaktion PLANERIN,
tobias.preising@region-hannover.de
Sara Reimann, Akademie für Raumforschung und Landesplanung, rei-
mann@arl-net.de,
Beide Autoren gehören zur Innovationsgruppe des Projekts „UrbanRural
SOLUTIONS – Innovationen im regionalen Daseinsvorsorgemanagement
durch optimierte Unterstützung von Stadt-Land-Kooperationen“
Quellen
Zu Sketchnotes
Haußmann, M. (2017): UZMO – denken mit dem Stift. Visuell präsentieren,
dokumentieren und erkunden: das Praxisbuch zur bikablo Visualisierungs-
technik. München
Nitschke, P. (2017): Bildsprache. Formen und Figuren in Grund- und Auf-
bauwortschatz. Bonn
Roam, D. (2012): Bla Bla Bla. Spannende Geschichten mit Illustrationen
erzählen. München
Tiesenhausen, M. v. (2016): Ad hoc visualisieren. Denken sichtbar machen.
Göttingen
Tschudin, A. (2016): Lebendige Strichmännchen zeichnen. Vorlagen und
Anleitungen. Igling
Wehr, T. (2016): Die Sketchnote Starthilfe. Über 200 Strich-für-Strich-Anlei-
tungen und Schriften zum Nachzeichnen. Frechen
Wehr, T. (2018): Die Sketchnote Starthilfe – Neue Bilderwelten. Neue Bild-
sprache-Symbole für Sketchnotes, Flipcharts und Visualisierungen jeder Art.
Frechen 2018
Zur Lerntheorie
Gretsch, P.; Holzäpfel, L. (2016): Lernen mit Visualisierungen. Erkenntnisse
aus der Forschung und deren Implikationen für die Fachdidaktik. Münster,
New York
Spitzer, M. (2014): Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens.
Heidelberg
Projekt-Internetauftritt:
www.vsl.tu-harburg.de/urbanruralsolutions
Abb 3: Sketchnote zu Visualisierung in der Planung (Tobias Preising)
Chapter
Full-text available
Der Beitrag stellt eine Übersicht über Möglichkeiten zusammen, sich der Analyse und aktiven Gestaltung sozialer Prozesse (Kommunikation, Umgang mit Konflikten etc.) in transdisziplinären Gruppen zu nähern. Dazu werden zunächst verschiedene Perspektiven auf Transdisziplinarität (TD) vorgestellt und mittels Diagrammen visualisiert (Prozess-, Akteurs- und Gruppen-/Teamperspektive). Der Stellenwert sozialer Prozesse im komplexen Aufbau von TD-Projekten wird anhand eines Schichtenmodells eingeordnet. Es werden Faktoren aufgezeigt, die diese Prozesse prägen sowie beispielhaft Methoden präsentiert, um sie aktiv zu gestalten, mit besonderen Hinweisen für die Leitung von TD-Projekten.
Chapter
Der Beitrag stellt den Methodenmix der visuellen Kommunikation eines konkreten Beteiligungsprozesses in der Regionalentwicklung vor. Auf der einen Seite wurden auf Grundlage komplexer Datensätze mithilfe eines Geografischen Informationssystems (GIS) digitale Analysekarten erstellt, auf der anderen Seite handgemalte Infozeichnungen in Form von Skizzen und Symbolen. Der Beitrag beruht auf den Erfahrungen der Mitwirkenden mit diesen Visualisierungstechniken. In einem Rückblick reflektieren wir das Vorgehen und geben daraus abgeleitete Anleitungen für Projekte im Kontext von Regionalentwicklung und -planung weiter. Der Beitrag hilft bei der Abwägung, welche dieser Techniken in welchen Situationen mit welchem Nutzen adäquat einzusetzen sind und welcher Aufwand dabei in Kauf zu nehmen ist. Die Techniken werden in einer systematischen Übersicht dargestellt, um dann ihre jeweiligen Eigenschaften in einer Gegenüberstellung zusammenzufassen. Zudem werden sie in den Kontext anderer Kommunikationstechniken, wie beispielsweise Moderation, eingeordnet. Der Beitrag zeigt auf, wie beide Visualisierungstechniken – GIS-Analysekarten und Infozeichnungen – sinnvoll miteinander kombiniert werden können. Er schließt mit der Empfehlung, die Balance zwischen Technik und Kommunikation jeweils den Anforderungen der realen Situation der Beteiligung (Zeit, Gruppengröße etc.) genau anzupassen.
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