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Abstract

A central criticism of economics is that there exists a determinate, relatively monolithic approach: mainstream economics. A representative example is the „German Council of Economic Experts“ (Expert Councilfor the Assessment of the Macroeconomic Development, Sachverständigenrat, SVR) withfour mainstream members plus one dissenter, a „4 :1“ quota with institutionalized minorityrecognition. In this article we ask from a sociological and especially from a performative pointof view whether this quota will be reflected in the annual reports of SVR and whether it canbe found in structures in the scientific field as well, especially in textbooks and in appointmentpractices of its members.
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Institutionelle Verstetigung von paradigmatischer Ausrichtung
Katrin Hir te / Walter Ötsch
Institutionelle Verstetigung von paradigmatischer
Ausrichtung – Das Beispiel Sachverständigenrat
Gerade in Zeiten von Krisen wird verstärkt debattiert, ob und in welchem
Ausmaß der akademischen Wissenschaszun eine Mitverantwortung an den
krisenhaen Zuständen zukommt. Diese Debatten erfolgen dabei mit großer
Spannweite – von der Selbstverteidigung kritisierter Ökonomen, dass sie auf
die Krise keinen Einuss gehabt hätten,1 über den Vorwurf des Irrens2 bis hin
zur Kritik an der aktiven Rolle von Ökonomen in der Ökonomie.3 Auch der
„Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschalichen Entwick-
lung“ Deutschlands (SVR), bestehend aus fünf ÖkonomInnen, zog sich jüngst
wieder mit der Bezeichnung „R at der Ratlosen“ (Hickel 2010) harsche Kritik zu .
Zentraler Punkt i st dabei die seit Jahrzeh nten anhaltende „…marktoptimist ische
Vierermehrheit…“ (ebd. 2010), die auch im jüngsten 27. Gutachten erkennbar
war. Über die Ebene der Gutachten hinaus soll nachstehend die Rolle dieser
Gutachter in der Gesellscha thematisiert werden.
1. Theoretische Grundlegung – Wissenschaftssoziologie
und Performativity
Diese zentrale Kritik an den Wirtschaswissenschaen, über lange Zeiträume
eine relativ monolithische Ausrichtung zu praktizieren, wird vor allem wissen-
schassoziologisch fundiert. Hier geht man von lang bestehenden Paradigmen
1 Z. B. von Hans-Werner Sinn, Leiter des Instituts für Wirtschasforschung in Mün-
chen, laut Financial Times (2009) neben Bert Rürup der einussreichste Ökonom in
Deutschland, der ein Versagen der Ökonomen mit der Begründung abwies, dass es um
einen „anonymen Systemfehler“ ginge. Zudem zog er mit der Aussage „Damals hat es in
Deutschla nd die Juden getroen, heute sind es die Man ager“ (Tagesspiegel 20 08) harsche
Kritik auf sich.
2 Zum Irren der Ökonomen kritisch von Ökonomen selbst siehe z. B. Paul Krugman: „How
Did Economists Get It So Wrong?“ vom 2.9.2007 in der New York Times (Krugman 2009).
3 Z.B. in der Finanzkrise durch die aktive Beteiligung bei der Entstehung der Finanzm-
arktinstrumente – siehe hierzu weiter unten zur Performativity-eorie.
PROKLA. Verlag Westfälisches Dampf boot, He 164, 41. Jg. 2011, Nr. 3, 423 – 446
Institutionelle Verstetigung von paradigmatischer
Ausrichtung
424 Katri n Hirte / Walter Ötsch
innerhalb einer praktizierten „Normalwissenscha“ aus, bevor diese wechseln
(Fleck 1980, Kuhn 1973). Gemeinsame Grundpositionen werden geteilt und
ebenso ein relativ einheitl iches methodisches Hera ngehen praktiziert . So werden
in der Phase der Normalwissenscha auch Anomalien erfolgreich negiert bzw.
integriert. Eine relativ monolithische Positionierung bei der Ergebnisrepräsen-
tation ist ebenso Kennzeichen dieser Phase wie eine breite Ausfächerung des
Wissensgebietes (Kuhn 1973: 34).
Während der Kuhn’sche Ansatz vor allem hinsichtlich der Parad igmenauas-
sung Kritik erfuhr, da mit dieser das Selbstverständnis von „Wahrheit“ im Sinne
von „wissenschalich“ bzw. „gültig“ usw. neu erschüttert wurde (vgl. als Über-
blick: Rose 20 04), wird mit dem neueren A nsatz der Per for mativity weitergehend
auch nach der Teilhabe der Wissenschaler selbst an dem, was gesellschalich
gültig ist bz w. eintritt, gef ragt.4 Insbesondere mit Blick auf die Finan zmärkte wur-
de thematisiert, welchen Einuss Ökonomen auf wirtscha liche Abläufe haben,
hier hinsichtlich der Ausformung dieser Märkte (Callon 1998, 2005, 2007; Ma-
cKenzie/Yuval 2003, MacKenzie 20 06, 2007). Der Ansatz der Performativity of
Economics ist aber über diese innovative Rolle von Ökonomen hinaus (Kreierung
von Finan zmarktprodukten) breiter fu ndiert.5 Denn d ie Wirkungs dimensionen
der Ökonomen beziehen sich letztlich neben dem Wirtschasbereich auch auf
die anderen Gesellschasbereiche: auf den Wissenschasbereich (hier z.B. als
Lehrende), den Bereich der Politik (hier z.B. in institutionalisierten Gremien)
bzw. den der Medien (hier z.B. durch konzertierte Aktionen wie Appelle) (vgl.
Weiterf ührend Hirte 2010: 49). Gleichzeitig wird und muss in d iesen Bereichen
die eigene Reproduktion realisiert werden, denn eine spezische Ausrichtung
muss immer wieder neu fundiert u nd weitergegeben, gefestigt und gesel lschalich
verankert werden, um ihre Gültig keit u nd Wirksamkeit aufrechtzuerhalten. Diese
Schritte: (1) die Fundierung und Weitergabe, inhaltlich wie auch strukturell,
z.B. in Lehrbüchern oder als so genannte „Lehrer-Schüler“-Kontinuitäten, (2)
die Ausgestaltung, z.B. in der Forschung sowie (3) die gesellschaliche Veran-
kerung, z.B. über Medien oder Gremien, haben je nach Wissenschasbereich
ihre spezische Ausprägung.
4 Performativity hier im Sinne von „formen“. Ausgehend von der Bedeutung sprachlicher
Äußerungen wird auf der Basis der Sprechakttheorie von Austin (1979) die generelle
Ausdr ucksdimen sion des Handelns her vorgehoben (Bac hmann-Medic k 2006: 105 -133).
5 Die Bedeutung von Ideen wurde von Ökonomen selbst immer schon hoch ei ngeschätzt,
vgl. Keynes, der meint, es sind „…die Gedanken der Ökonomen und Staatsphilosophen,
sowohl wenn sie im Recht als wenn sie im Unrecht sind, einussreicher, als gemeinhin
angenommen wi rd.“ (Keynes 1952: 33). Und K rugman, au f die Intentionalität von Ideen
insistierend, meint sogar: „… that bad ideas ourish because they are in the interest of
powerful groups.“ (Krugmann 1995: 732).
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Institutionelle Verstetigung von paradigmatischer Ausrichtung
Nachstehend soll erstens auf diese drei Schritte der Paradigmenproduktion
im ökonomietheoretischen Feld kurz eingegangen werden. Anschließend wird
hinterfragt, ob und wie im Sachverständigenrat als institutiona lisierte Form wirt-
schaspolitischer Gremienarbeit diese Paradigmenreproduktion wiederzunden
ist, hier aber nicht in Konzentration auf die für den Sachverständigenrat typische
Form der Wissensproduktion in Gutachten, sondern in Konzentration auf die
Sachverständigen als Teilmenge der Wissenschasvertreter. Dabei stehen die
Fragen der Fundierung und Weitergabe in Lehrbüchern sowie die personelle
Reproduktion im Vordergrund. Abschließend wird gefragt, inwieweit Vertreter im
Sachverständigenrat in Prozesse der gesellschalichen Verankerung involviert sind,
die über die Gutachtenpublikation h inausgehen, z.B. über Appelle, Initiativen usw.
Methodische Herangehensweisen dazu sind d ie statistische Erhebung und in-
haltliche Auswert ung von Ker naussagen (Lehrbuchana lyse) sowie statisti sche Er-
hebungen personenbe zogener Daten und deren Auswertu ng (Netzwerkanaly se).
2. Ökonomie als Normalwissenschaft –
Paradigmatische Entwicklungen
Mit einer Analyse der Paradigmenentwicklung im Bereich Wirtschaswissen-
schaen können nicht nur Spezika d ie ses Bereiche s oengelegt werden, sondern
es wird auch verständlich, warum nach einer Phase des standardisierten und
relativ vereinheitlichten Ablaufs der Ausbildung im Studium (1) im Bereich
der Forschung relativ breit gefächerte Inhaltsbereiche anzutreen sind (2), die
aber im going out [mit einer Position in die Öentlichkeit gehen], wie z.B. im
Hamburger Appell u.a. Verlautbarungen (3), wieder als eine relativ stringente
und einheitliche Position präsentiert werden.
2.1 Fundierung und Weitergabe: Was Standardlehrbücher beinhalten
Im Gegensatz zur immer wieder beteuerten Vielfalt in der Ökonomie beginnen
fast al le ÖkonomIn nen i hre Ausbildung mit dem Kernbereic h des neoklassischen
Paradigmas, der allgemeinen Gleichgewichtstheorie (nach Arrow/ Debreu) bzw.
dem Angebots-Nachfrage-Modell (vgl. Ötsch/Kapeller 2010). Dieser Zugang
ndet sich in allen gä ngigen Lehrbüchern der Mikroökonomie. Sie sind weltweit
standardisiert (Stiglitz 1988, Lee/Keen 2004, Grimes 2009), ihre Inhalte zum
großen Teil deckungsgleich. Neue Textbücher erscheinen wie Klone der bereits
bestehenden (Hill/Myatt 2007: 58).
Ein typisches Lehrbuch begin nt m it der Disk ussion g rundlegender Prinzipien
des „ökonomischen Denkens“ und geht dann zum Angebots-Nachfra ge-Model l
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über. Hier wird erklärt, wie Märkte über einen „Preismechanismus“ „funktio-
nieren“, dargestellt im gängigen Angebots-Nachfrage-Diagramm mit fallender
Nachfrage- und steigender Angebotskurve. Anschließend wird das Modell der
vollkommenen Konkurrenz näher erläutert. Da s Modell ist eine Popularisieru ng
der (neueren) allgemeinen Gleichgewichtstheorie, die in den 50er Jahren des 20.
Jahrhunderts entwickelt worden ist. Der Angebots-Nachfrage-Ansatz ist mit
diesem Modell formal äquivalent, beide können durch das gängige Angebots-
Nachfrage-Diagramm dargestellt werden. D.h., immer wenn das Diag ramm zur
Anwendung kommt, wird implizit das Modell der vollkommenen Konkurrenz
vorausgesetzt – was aber o vergessen wird. Mankiw (2001) z.B. wendet das
Diagramm in seinem populären Lehrbuch der Mikroökonomie auf 850 Seiten
91mal an, diskutiert aber nicht, ob die institutionellen Voraussetzungen für die
jeweilige Anwendung überhaupt gegeben sind.
Die bisher erwähnten Inhalte decken meist die erste Häle der Lehrbücher
ab. In der zweiten Häle werden andere Markttypen diskutiert, wie Monopol
oder Oligopol, dann o d ie Faktormärkte oder die Rolle der Wirtschaspolitik.
In fast a llen Fällen bleibt der Bezug zum Modell der vollkommenen Konkurrenz
erhalten, z.B. als Beurteilungsrahmen für die Qualität wirtschaspolitischer
Maßnahmen. In dieser Hinsicht überrascht es nicht, dass viele Studierende das
Modell der vollkommenen Konkurrenz als synonym mit einer mikroökonomi-
schen Analyse von Märkten ansehen (Hill/Myatt 2007: 60).
Die standardisierten Lehrbücher der Mikroökonomie lenken das Denken
der angehenden ÖkonomInnen systematisch in eine bestimmte Richtung. Die
normierte „Einba hnstraße“ am Anfang scha  die Tendenz zu einem bestimmten
Denkstil. Mit diesem verbunden sind die folgenden Ausprägungen:
a) eine ahistorische Betrachtung der Wirtscha, wodurch eine konservative
Orientierung auf den Status Quo der bestehenden Gesellscha begünstigt
wird, sowie der potentielle Ausschluss pri nzipiel ler Fragen zum Wirtscha s-
system (Colander/McGoldrick 2009: 6),
b) das Suggerieren, in der Wirtscha  (bzw. au f „dem Markt“) w ürden ahistorisch
und kontextfrei „Gesetze“ existieren. Dies korrespondiert mit einer Sicht „des
Marktes“, dem impl izit eine übergeordnete Stellung vor anderen Subsystemen
der Gesellscha eingeräumt wird (Ötsch 2009),
c) vor allem aber: die methodische Fokussierung auf formale Modelle, wobei
der methodische Zugang selbst nicht thematisiert und Alternativen kaum
diskutiert werden.
Die standardisierten Leh rbücher der Mi kroökonomie entfa lten zudem ihre Wir-
kung nicht nur auf ÖkonomInnen, sondern auch auf die (viel größere) Gruppe
von Anwendern, die eine Einführung in das ökonomische Denken in ihrem
Studium erhalten, wie WirtschasjuristInnen, WirtschasinformatikerInnen,
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Institutionelle Verstetigung von paradigmatischer Ausrichtung
JournalistInnen, PolitikerInnen, BetriebswirtInnen usw. Der mikroökonomische
Denkstil präg t auf diese Weise da s Denken einer zukünigen Elite, d ie potentiell
wichtige Positionen in der Gesellscha einnimmt.
2.2 Ausgestaltung – das Prinzip der axiomatischen Variation
Der relativ monolithische Zugang zum Feld der Ökonomie kontrastiert schein-
bar mit einer großen Fülle unterschiedlicher eorieansätze und Richtungen.
Mit dem Verweis auf diese wird von Vertretern des Mainstreams in der Regel
das Vorhandensein eines solchen monolithischen Zugangs abgestritten. Viele
dieser variierten Modelle entstanden jedoch (nur) in Revision und Bezug zur
allgemeinen Gleichgewichtstheorie. Neue Modelle in der Neoklassik entstehen
– vereinfacht gesprochen – indem ein oder mehrere Axiome des Standardmo-
dells modiziert werden. Dabei bleiben stillschweigend die Kernelemente des
methodischen Herangehens enthalten, vor allem jedoch ihre grundlegenden
Kategorien wie die A nnahme eines „Homo oeconomicus“ oder die „des Marktes“.
Analog der Bildung von Hi lfshypothesen im naturwi ssenschalichen Bereich
(Lakatos 1974: 98f.) gilt in der Ökonomie das Prinzip der axiomatischen Varia-
tion (Kapeller 2011: 140.), d.h., ausgehend von den Axiomen6 der allgemeinen
Gleichgewichtstheorie werden einzelne Axiome modiziert, verändert oder
weggelassen. Damit wird erreicht:
a) Man kann die modellmäßigen Implikationen der Variation erkunden, also
– im Kontrast zum Standardmodell – ausndig machen, wie „das Modell
reagiert.
b) Man kann ad hoc, ohne die Integration und den genauen Konnex zum Stan-
dardmodell zu thematisieren, neue reale Phänomene „erklären“.
Das Prinzip der axiomatischen Variation bzw. das Nebeneinander scheinbar
unterschiedlicher Modelle sind daher nicht Ausdruck für einen abnehmenden
oder verschwindenden Mainstream. Sondern scheinbare Heterogenität durch
axiomatische Variation ist mit einem monolithischen Denkstil vereinbar. Dieses
Herangehen verlangt vor allem eine axiomatisch-mathematische Formulierung
der Argumente, d.h. die Methode formaler Modelle, ohne dies prinzipiell zu
problematisieren (Ötsch 1991). Damit wird eine unendliche Zahl von Modellen
innerhalb des Denkstils möglich: durch Variation der Axiome können immer
neue Probleme aufgeworfen und einer „Lösung“ zugeführt werden (vgl. dazu
Stigler 1957: 14).
6 A xiome als bedingende Voraussetzungen – z.B. in: Bucher (1998: 159.)
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Das Variationsprinzip enthält auch einen Vorteil im Diskurs, wenn das neo-
klassische Paradigma selbst kr it isiert wird.7 Denn den Kriti kerInnen wird gesag t,
sie sollten jene Modelle oder Modelltypen beachten, welchen den von ihnen
monierten Kritikpun kten gerecht würden, bzw. den KritikerInnen wird generell
vorgeworfen, sie würden die Fülle der aktuellen Modelle nicht kennen, d.h. über
eine (verkürzte) „Neoklassik“ reden, die es gar nicht (mehr) gäbe. „Anomalien“
werden so zur Stärke des Paradigmas, dieses kann gegen Kritik immunisiert
werden. Auch der Hinweis auf ein oensichtliches Versagen der eorie, aktuell
z.B. der Vorwurf, neoklassische ÖkonomInnen hätten die Krise ab 2007 bzw.
2008 nicht vorhergesehen bzw. nicht für möglich erachtet (vgl. Peukert 2010),
wird mit dem Verweis auf neue Modelle begegnet, die zu entwerfen sind (z.B.
indem man „gefährliche“ Finanzprodukte einbaut).
2.3 Going public: Monolithisches Positionieren
Die axiomatische Variationsbreite neoklassischer Modelle im Rahmen des
vorherrschenden Denkstils erlaubt unterschiedliche Schlussfolgerungen für
wirtschaspolitische Anwendungen. Innerhalb des Denkstils kann ein markt-
radikales und nicht-marktradikales Denken unterschieden werden.
Ein prominentes Beispiel für die zweite Ausrichtung ist Joseph E. Stiglitz.
Innerhalb des vorherrschenden Denkstils hat er die Annahme vollkommener
Information durch die Annahme asymmetrischer Informationen ersetzt. Dem
so geschaenen Set von Modellen schreibt Stiglitz eine Relevanz für den ganzen
Gegenstandsbereich der Ökonomie zu (Grosman/Stiglitz 1980): „Der Markt“
funktioniere auf diese Weise nicht „ezient“, nicht-marktradikale Wirtschas-
politiken sind also angebracht.
Demgegenüber sind viele Ökonomen in ihrem Denken als marktradikal ein-
zustufen. Dieser Begri beinhaltet, dem „Markt“ Priorität vor allen anderen
gesellschalichen Institutionen zuzuschreiben: Vor allem „dem Staat“ sei er
prinzipiell überlegen. Zentral ist vor allem der Bezug zu den im Standardmodell
behaupteten „Gesetzen des Marktes“, die als reale „Kräe“ verstanden werden.
Die weite Verbreitung des marktradikalen Denkens und ihr Konnex zum
neoklassischen Mainstream kann in verschiedenen Formen des going public fest-
gestellt werden. Hinsichtlich dieser Formen können (a) Auorderungen, z.B.
Befragungen, (b) Initiativen (z.B. Appelle) sowie (c) institutionalisierte Formen
(und hier in rein wiss enschaliche bz w. i n übergreifende) unterschieden werden.
7 Zu weiteren Motiven zur Anwendung dieses Prinzips vgl. Tabelle 7.1 in: Kapeller
(2011:157).
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Institutionelle Verstetigung von paradigmatischer Ausrichtung
(a) A ktuelles Beispiel für Auorderungen sind Bef ragungen, z.B . die Internet-
befrag ung unter den Mitgliedern des Vereins f ür Socialpolitik im Som mer 2006.
Deren Ergebnisse wurden zusammenfassend als „Vormarsch der Neoklassik“
kommentiert.8
(b) Bei Appellen, wo sich von vornherein „Gleichgesinnte“ unter eine gemeinsa-
me Ansicht sammeln, zeig t sich ein noch deutlicherer Befund. Appelle entstehen
meist in Reaktionen auf Ereignisse (z.B. die Finanzk rise) oder in Situationen mit
potentiel l neuen Entscheidun gsoptionen, z. B. vor Bundes tagswa hlen. Ein B eispiel
dafü r ist der Hamburger Appell vom Juni 2005, der von Bernd Lucke (Universität
Hamburg) u.a . initiiert wurde, den 253 ÖkonomInnen unterzeichneten und der
dann vor der Bundestagswahl 2005 durch eine Anzeigenkampagne unter dem
Slogan „250 Professoren – 10 esen – 1 Meinung“ verbreitet wurde. Die Kern-
aussagen im Hamburger Appell sind marktradikal und arbeitnehmerfeindlich;
z.B. , Eingrie in die Ges amtnachfrage würden deren Struktu r stören . Not wend ig
sei hingegen eine „nied rige Entlohnung der ohnehin schon Geringverdienenden
(Hamburger Appell 2005). Der Appell empfahl auch, sich L änder wie Irland zum
Vorbild zu nehmen – vier Jahre später machte Irland mit seiner Staatsverschul-
dung Schlagzeilen (siehe hier auch Fricke 2011).
(c) Dauerha institutionalisierte Form für das going public im Bereich Wirt-
schaswissenschaen sind z.B. der Kronberger Kreis (KK) und das „Plenum
der Ökonomen“ (PdÖ). Der 1982 gegrü ndete „ Kronberger Kreis“ ist ein Zusam-
menschluss von Ökonomen, welche sich als marktliberal verstehen, und der in
der Funktion eines wissenschalichen Beirates für die im selben Jahr ins Leben
gerufene „Stiung Marktwirtscha“ tätig ist. Seine Devise lautet „Mehr Mut
zum Markt“ (Stiung Marktwirtscha 2011). Das „Plenum der Ökonomen“
(PdÖ) wurde 2010 im Zuge der Finanzkrise von Bernd Lucke, Professor an der
Universität Hamburg, gegründet und versteht sich für Ökonomen als „elekt-
ronische Vollversammlung“ (Plenum der Ökonomen 2011). Im Februar 2011
unterzeichneten 189 Ökonomen dort eine „Stellungnahme zur europäischen
8 42 % der Befragten ordneten sich der „Neoklassik“ zu, 37% zu „Public Choice/Instituti-
onelle Ökonomik“, 24% zu „Ordo-Liberalismus“, 7% zu „Supply Side Economics“, 5 %
zu „Monetarismus“. Nur 12% nannten sich dem Keynesianismus zugehörig und nur 1 %
dem „Sozialismus/Marxismus“ (12 % machten gar keine Angaben, Mehrfachnennungen
waren möglich). Eindeutiger hingegen el die generelle Einschätzung zur Brauchbarkeit
der Neoklassik aus. Sie erscheint 80% „wichtig zur Lösung der aktuellen wirtschaspoliti-
schen Probleme“ (30 % „stimme stark zu“, 50 % „stimme etwas zu“). Auch auf der Ebene
der Methoden sind die deutschsprachigen Ökonomen von gemeinsamen Überzeugungen
geprägt: Nur 32 % stimmten der Aussag e zu: „Der nutzenma ximierende homo oeconomicus
ist ein Zerrbild der Wirklichkeit und deshalb unbrauchbar“. Die Rücklaufquote bei dieser
Befragung betrug 21 % von 2.674 Mitgliedern. (Frey/Humpert/ Schneider 2006).
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Schuldenkrise“. I n dieser wurden gemeinschaliche K redite im Zuge der geplan-
ten Vergrößerung des EU-Rettungsschirms abgelehnt und staatliche Insolvenz
vorgeschlagen. Kritiker meinten dazu: „In der Stellungnahme … schimmert
ein starker Glaube an die Ezienz der Finanzmärkte durch.“ (Ohanian 2011).
Ein weiteres Beispiel für eine dauerha institutionalisierte Formen des going
public – hier über den Wissenschasbereich hinaus – ist die Initiative Neue
Soziale Marktwirtscha (INSM). Sie wurde im Dezember 1999 durch die Ar-
beitgeberverbände der Metal l- u nd E lektroindustrie gegrü ndet mit dem Aurag ,
eine „…moderne Reforminitiative zur Erneueru ng der Sozialen Marktwirtscha
…“ zu starten (INSM 2011). Die INSM entwickelt eine regelmäßige Medienarbeit
für Zeitungen, Fernsehen und Rundfunk, auch in Medienpartnerschaen zu
großen Zeitungen. Beispiele sind Inserate, das Bereitstellen von Interviewpart-
nerInnen, O-Töne für den Hörfunk bis hin zu fertigen Beiträgen für Print- und
Fernsehmedien, die o ohne Kennzeichnung der Quelle übernommen werden.
Andere Versuche, die öentliche Meinung zu beeinuss en , si nd Veranstaltungen
der „Kinderuniversität“, die jährliche Kür eines „Reformers“ und eines „Blo-
ckierers des Jahres“ sowie die Bewertung deutscher Städte auf „Erfolg“ und
Dynamik“.
3. Der Sachverständigenrat und die Lehrbücher seiner Mitglieder
Der Sachverständigenrat gehört zu den fest insta llierten Einrichtungen für kon-
tinuierliche Verlautbarungen. Juristische Grundlage für seine Bildung war das
1963 verabschiedete „Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates zur
Begutachtung der gesamtwir tschalichen Entwicklung“ (SV RG). Entgegen der
Praxis, dass wissenschaliche Beiräte autonom kooptieren, wurde zum SVR
beschlossen, dass die Berufungen (lt. § 6 SVRG) durch den Bundespräsiden-
ten auf Vorschlag der Bundesregierung erfolgen sollen. Ursprünglich war eine
Zusammensetzung aus drei Wissenschalern und zwei Praktikern vorgesehen.
Unter Bundeswirtschasminister Kurt Schmücker wurde Ende 1963 die Vor-
stellung präzisiert, dass zwei der jeweils Berufenen über „besondere Kontakte
zur Gewerkschas- bzw. Arbeitgeberseite verfügen sollten“ – was bei den ersten
Beruf ungen 196 4 durch die Berufung von Harald Koch und Paul Bi nder rea lisiert
wurde (Tietmeyer 2003: 27-28).
Die Gutachten des SVR bzw. die Aua ssungen darin werden mit (m indestens
3 Stimmen) Mehrheit gefasst (§8, Abs.1 SVRG). Minderheiten haben aber den
gesetzlich verbrieen Anspruch, ihren abweichenden Standpunkt zu einzelnen
Fragen in die Gutachten einzubringen (Minderheitenvotum § 3, Abs. 2 SVRG).
Ob und inwieweit Minderheitenvoten entstehen, hängt von mehreren Umstän-
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Institutionelle Verstetigung von paradigmatischer Ausrichtung
den ab. Die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass dies nicht nur eine Frage der
Zusammensetzung des SVR ist (siehe dazu unten mehr).
Insgesamt wurden in 47 Jahren 37 Personen berufen, davon bisher lediglich
eine Frau (Beatrice Weder di Mauro) und dies seit 2004. Von den Mitgliedern
des SVR haben 22 ein oder mehrere Lehrbücher verfasst (hier sind alle Autoren
Männer). Von den 12 Generalsekretären des SVR waren zwei Autoren (Olaf
Sievert war sowohl Generalsekretär als auch Mitglied des SVR, er ist aber kein
Lehrbuchautor).9 13 der 24 Verfasser haben zwei oder mehrere Lehrbücher ver-
öentlicht. Zehn Bücher wurden mit Koautoren verfasst.
Insgesamt konnten 42 Lehrbücher von Mitgliedern des SVR (plus zwei von
Generalse kretären) identiziert werden. Fast alle Bücher gehören dem Bereich der
Vol kswirtscha slehre an (inkl. Finanz wissenschaen). Daneben ndet sich noch
eine Einfü hrung in die Al lgemeine Betriebswirtscha slehre (Horst Albach) und
zwei weitere betriebswirtscha liche Einführ ungen (Dieter Pohmer). Vier Bücher
beschäigen sich mit dem Gesamtbereich der Volkswirtschaslehre, vier sind
Einfü hrungen in die Mi kro-, vier in die Makroökonomie und vier zu Allg emei ner
Wirtscha spolitik. Die Kategorie Makroökonomie nimmt den größten Platz ein,
hierzu zäh len auch vier Bücher zu den emen Konju nktur und/oder Wachstum,
drei zum ema Außenwirtscha und sechs aus dem Bereich der Geldtheorie
bzw. -politik. Drei Lehrbücher sind Einfü hrungen in die Finanzw issenschaen,
die weiteren sind Spezialthemen wie der Investitionstheorie oder der Geschichte
der Nationalökonomie gewidmet.
Mit Ausnahme von Hans Karl Schneider und Rüdiger Pohl hatten alle ande-
ren Autoren ihr erstes Lehrbuch vor ihrer (ersten) Bestellung als Mitglied zum
SVR veröentlicht. Im ersten Jahrzehnt des SVR waren nur Fritz W. Meyer
(sein Lehrbuch wurde allerdings schon 1938 veröentlicht), Herbert Giersch
und Wolfgang Stützel Lehrbuchverfasser, während bei den ab 1978 bestellten
Mitgliedern fast alle ein Lehrbuch verfasst haben (19 von 23).
Nachstehend wird sowohl zeitlich als auch positionsbezogen auf die Inhalte
der Lehrbücher eingegangen.
9 Datenbasis für die Erhebung war das Zentralverzeichnis der Deutschen National-Bi-
bliothek Leipzig. In die Erhebung gingen Skripten für Lehrgänge nicht ein (z.B. die
umfan greichen Skripte von Rüdiger Pohl von 1978 – 1984 fü r die Fernuniversität Hagen).
Nicht berücksichtigt wurden auch Handwörterbücher und Sammelbände. Da nicht
alle Lehrbücher im Zentra lverzeichnis der Deutschen National-Bibliothek Leipzig voll-
ständig geführt sind, musste auch ein Abgleich als zusätzliche Recherche erfolgen (über
Verlagsangaben sowie die Angaben auf den Universitätsseiten).
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3.1 Lehrbuchpositionen der Mitglieder des SVR im Zeitverlauf –
von keynesianischen zu marktradikalen Sichtweisen
Die untersuchten Lehrbücher dokumentieren den Wandel der deutschsprachi-
gen Nationalökonomie über eine Zeitspanne von mehr als vier Jahrzehnten.
Die ersten Lehrbücher (Fritz M. Meyer Der Ausgleich der Zahlungsbilanz von
1938 und Dieter Pohmers Grundlagen der betriebswirtschalichen Steuerlehre
von 1958) sind taxonomisch orientiert. Horst Sieberts Einführung in die Volks-
wirtschaslehre zeigt in der 1. Auage (1969), wie dominant das keynesianische
Denken in den 1960er Jahren gewesen ist10, z.B. wird das Domar-Modell noch
positiv dargestellt. Ei n weiteres Beispiel sind die Übungen in Volkswirtschasle hre
(1. Auage 1973) des SVR-Mitglieds Wolfgang Stützel (mit M. Blitz und W.
Cezanne). Die Mikro- und die Makroökonomie – letztere vor allem anhand
der Aggregat-Ströme beschrieben – gelten Anfang der 1970er Jahre allgemein
als zwei gleichwertige Gebiete. Man sieht noch keine Notwendigkeit für einen
vereinheitlichten eorierahmen.
Auch die Lehrbücher von Ernst Helmstädter aus den 1970er Jahren zeigen
Mikro- und Makroökonomie theoretisch gleichberechtigt nebeneinander. Die
Klammer bildet der Gleichgewichtsbegri: er „… erscheint mir wie kein anderer
geeignet, den Sto systematisch zu gliedern“ (Hel mstädter 1979: vii). Helmstäd-
ter will ein problemorientiertes Denken in formalen Modellen vermitteln. Die
mathematische Methode wird aber (in einer knappen methodischen Diskussion)
eingeschrän kt brauc hbar beurteilt. Wirtschaen wird mehrdeutig deniert, zu m
einen (nach der traditionellen Denition von Lionel Robbins) als „rationale
Disposition über knappe Mittel zur Erfüllung gegebener Zwecke“ (Helmstäd-
ter 1979: 2), zum anderen als ein sozialer Prozess, den man aber auch durch
„Robinson-Modelle“ untersuchen könne, „um bei der Erörterung bestimmter
wirtschalicher Fragen vom Einuss der sozialen Umweltbedingungen ganz
absehen zu können“ (Helmstädter 1979: 21).
Ein weiteres Beispiel sind die makroökonomischen Lehrbücher von Jürgen
Kromphardt ab den 1970er Jahren (Wachstum und Konjunktur, 1. Auage 1972,
3. Auage 1993; Arbeitslosigkeit und Ination, 1. Auage 1987, 2 . Auage 1998;
sowie Grundlagen der Makroökonomie, 1. Auage 1998, 3. Auage 2006). In
Arbeitslosigkeit und Ination w ird die tradit ionelle keynesia nisch orientierte G eld-
und Fiskalpolitik einer „neoklassisch-monetar istischen“ gegenübergestellt. Erstere
wird aus theoretischen und empirischen Gründen positiv eingeschätzt: „Die
Erfahrungen […] sprechen dafür, dass von ihr erhebliche Wirkungen ausgehen.
10 Diese Ansicht (eines dama ls dominierenden keynesian ischen Herangehens) wurde später
von Olaf Sievert in einem Rückblick auf den SVR abgelehnt (Sievert 2003: 34.).
433
Institutionelle Verstetigung von paradigmatischer Ausrichtung
Dies macht es umso wichtiger, sie richtig einzusetzen.“ (Kromphardt 1987: 185).
Aber Kromphardt (er wurde 19 99 auf Vorschla g der Gewerkschaen in den S VR
berufen) befa nd sind schon in den 1980er Jahren i n einer Minderheitenposition.11
Andere Lehrbücher aus den 1970er und 1980er Jahren dokumentieren den
sich vollziehenden Paradigmenwechsel. Eine erste Andeutung ndet sich in der
ersten Auage der Einführung in die Grundbegrie der Finanzwissenscha von
Rolf Peekoven (ab April 1991 im SVR) aus dem Jahre 1976. Hier werden die
Kritiker der Angebotsseite nur kurz erwä hnt (Peekoven 1976: 125). Statt Dere-
gul ierung heißt es „sogenannte Entregulieru ng“. Auch die La er-Kurve, d ie später
in der Angebotspolitik unter Reagan eine Rolle spielt, kommt kurz zur Sprache.
Ein Beispiel für eine Zwischenposition ist die Konjunkturpolitik von Wer-
ner Glastetter aus dem Jahre 1987 (Glastetter wurde im August 1979 in den
SVR berufen). Als Kernfrag e for mu liert Glastetter: „Ist eine Konjunkturpolitik
heute noch nötig, ist sie möglich – oder ist sie sogar obsolet?“ (Glastetter 1987:
16). Im ganzen Buch wird diese Frage aber nicht eindeutig beantwortet: „Die
vorliegende Untersuchung kann dem Leser diese (letzte) Entscheidung nicht
abnehmen.“ (Glastetter 1987: 18). Ähnlich sind diese Ausführungen auch in
Außenwirtschaspolitik (1. Auage 1975) sow ie i n seinem Lehrbuch Konjunktur-
und Wachstumspolitik, da s immerhin bereits 1993 ersch ienen ist – jedesmal wird
ein Zwei-Paradigmen-Bild entworfen.
Die Lehrbücher von Otmar Issing, Herbert Giersch und Helmut Hesse
(Erstauagen zwischen 1974 und 1977) künden von einer neuen Zeit. Issing
argumentierte in der ersten Auage seiner Einführung in die Geldtheorie (19 74)
noch ganz im IS-LM-Modell, die meisten Einträge im Namensverzeichnis er-
folgten zu Keynes . Die weiteren Auagen von 1976 bis 2011 werden dann immer
mehr mit neoklassischer Mi kroökonomie gefül lt . Man kann daher dort im Detai l
den Paradigmenwandel nachvollziehen.
Herbert Giersch war einer der einussreichsten Ökonomen in der deutschen
Nachkriegsgeschichte. In jungen Jahren noch Anhänger einer antizyklischen
Konjunkturpolitik nach Keynes, wurde er später zu deren glühenden Gegner
11 In einer Meinungsumfrage unter professionellen Ökonomen Anfang der 1980er Jahre
zu wirt schaspolitis chen Aussagen – wie: „ Zölle und Importquoten verr ingern die wirt-
schaliche Wohlfahrt der Gesellscha“, oder „Ein Minimallohn erhöht die Arbeitslo-
sigkeit unter den jugendlichen und ungelernten Arbeitnehmern“ – ergab laut Frey und
Kirchg ässner, „dass sich in wichtig en Fragen die Ökonomen in d iesen Ländern (nämlich
Deutschla nd, Österreich und Schweiz – A nm. d. V.) weitgehend einig si nd. Der Konsens-
grad […] ist bei Aussagen über die Aussichten von Eingrien in den Preismechanismus
besonders ho ch: Die professionel len Wirtscha swiss enschaler sind sich der schäd lichen
Folgen sehr bew usst, und eine große Mehrheit lehnt sie deshalb ab.“ (Frey/Kirchgässner
199 4: 476).
434 Katri n Hirte / Walter Ötsch
– bis dahin, dass er in den Jahren 1986 bis 1988 Präsident der Mont Pélerin
Society war. Sein Lehrbuch Konjunktur- und Wachstumspolitik in der oenen
Wirtscha, in dem er ohne formale Modelle argumentiert, weist ihn als frühen
Marktradikalen aus:
„Der Markt“ bzw. „der Mechanismus der relativen Preise“ (Giersch 1977:
40) sind die zentralen Kräe der Marktwirtscha, sie besitzen potentiell
optimale Wirkungen.
„Der Markt“ bzw. die Marktwirtscha ist ein „oenes System“, in dualen
Gegenüberstellungen zu hierarchischen, „zentralgeleiteten“ bzw. „geschlosse-
nen Systemen“. Alle „Eingrie“, die nicht nur auf „Datenvariation“ abzielen,
sind „Zwangseingrie“ mit schädlichen Wirkungen: „Direkte Kontrollen
beeinträchtigen die Lernfähigkeit.“ (Giersch 1977: 142.)
Marktwirtscha verkörpert Freiheit: „Der fundamentale Grund für die
Überlegenheit der indirekten Verhaltensbeeinussung durch Datenvaria-
tion ist wohl ein psychologischer. Zwar mag es (noch) Menschen geben, die
eine Art Lust zum Gehorchen verspüren, aber in einer Zeit, in der sich die
nicht-autoritäre Erziehung durchsetzt und Verhaltensmuster für spätere Le-
bensjahre bestim mt , muss man bei allen Formen des Zwangs mit zunehmend
größeren Widerständen rechnen.“ (Giersch 1977: 146).
Beschäigung und Wachstum müssen durch „Daten“, d.h. angebotstheore-
tisch, erklärt werden.
Die Grenzproduktivitätstheorie des Lohnes wird als empirisch relevant ver-
standen: der Reallohn bestimmt den Beschäigungsgrad (mit Verweis auf
das Jahresgutachten des SVR von 1967 (Giersch 1977: 63).
Gewerkschaen üben „ Marktmacht auf der Angebotsseite des Arbeitsmark-
tes“ aus (Giersch 1977: 261), ihre Politik sei wirkungslos oder schädlich.
„Dauerha verhindern kann man unfreiwillige Arbeitslosigkeit nur mit
Einkommens- und Marktpolitik.“ (Giersch 1977: 251). Erstere meint keine
zu hohen Löhne, letztere: „Marktpolitik zieht darauf ab, die Transparenz
am Arbeitsmarkt, die Mobilität der Wirtschassubjekte, die Flexibilität der
Preise und Löhne und die sonstigen Funktionsbedingungen der Wettbe-
werbsordnung zu verbessern.“ (Giersch 1977: 257)
Giersch versteht sich als „objektiver Experte“, der andere, vor allem die Politik,
zu erziehen habe:
„Wenn man sagt, eine Maßnahme oder ein Vorschlag sei theoretisch gut, aber politisch
nicht durchsetzba r, so beschreibt das Wort ‘politisch ’ sehr wahrschein lich die Gesamtheit
aller Di nge und Zusammenhä nge, die im relevanten G edankenschema (Parad igma) derer,
die zustimmen müssen, noch keinen richtigen Platz gefunden haben, also noch gelernt
und eingeübt werden müssen. [] Die Wir tschaswissenscha k ann zu dem politischen
435
Institutionelle Verstetigung von paradigmatischer Ausrichtung
Lernprozess ei nen Beitrag leisten, und zwar n icht nu r über Schrien f ür Studierende, die
dann einiges davon später in die Praxis umsetzen, sondern auch für kurze Sicht, sei es in
vertraulic her Beratung, sei es durch Au lärung der Ö entlichkeit.“ (Giersch 1977: 14 0)
Jürgen B. Donges, Vorsitzender des SVR von März 200 0 bis Februar 2002, zeig t
mit seinem Lehrbuch Allgemeine Wirtschaspolitik (1. Auage 2001, 3. Auage
2009) exemplarisch die Arg umentationsmuster moderner marktradikaler Wirt-
schaspoliti k. Nationa le Wirtschaspolitik muss nach Donges im Hinblick auf
die „Ezienz“ „des Marktes“ beurteilt werden. Der „positiven eorie“ kommt
ähnlich wie bei Giersch die Rolle eines objektiven und ideologiefreien Schieds-
richters zu. Kriterium und Bezugspunkt ist der „Marktmechanismus“ nach der
allgemeinen Gleichgewichtstheorie bzw. nach dem Modell der vollkommenen
Konkurrenz. „Er erlaubt, Marktprozesse in Reinheit zu analysieren.“ (Donges
2001: 121). Die Kritik an den unzähl igen Annahmen, die dem Modell zug runde
liegen (zum Überblick vgl. Ötsch 2009) wird erwähnt, aber nicht ernst genom-
men. Auf der Basis dieses Fu nd aments kann die a ktuelle Wirtschaspoliti k dem
strengen Urteil unterzogen werden, ob sie überhaupt zu „wirtschaspolitischen
Reformen“ in der Lage sei. In welche Richtung es dabei gehen muss, wird aus
den einfachen mikroökonomischen Modellen geschlussfolgert. Sie „scheinen
in sehr inexiblen Regulierungen des Arbeitmarktes, vieler Regulierungen von
Produktmärkten sowie einem verhältnismäßig hohen Außenschutz der Volks-
wirtscha zu liegen. […] Ohne wirtschaspolitische Reformen, darunter die
Deregulierung im Inland, eine Marktönung nach außen, die Konsolidierung
der öentlichen Haushalte, eine wachstumsorientierte Steuerreform sowie eine
stabilitätsorientierte Geldordnung wird die Volkswir tscha […] keine Dynami k
entfalten können, die sie auf einen höheren Pfad des wirtscha lichen Wachstums
bei höherer Beschäigung bringen würde.“ (Donges 2001: 214f.).
Donges betont, wie viele marktradikal denkende ÖkonomInnen heute, die
Existenz von „Staatsversagen“. Dieses wird in seinem Lehrbuch direkt aus der
neuen politischen Ökonomie (bzw. Public Choice) abgeleitet. Politik wird in
diesen Ansätz en rigoros der Logi k „des Marktes“ unterworfen. Politik ist so (nur)
eine spezielle Art von Markt. PolitikerInnen sind rationale Akteure, welche die
Maximierung ihres eigenen Nutzens anstreben, d.h. sie sind „politische Unter-
nehmer“ (Donges 2001: 191.). Parteien müssen wie Firmen und Wähler wie
Kunden untersucht werden. „Der Markt“ ist in dieser Sichtweise „der Politik“
immer überlegen, nicht nur vom Diktum her, sondern ebenso auch aus Sicht der
Ezienz. Denn Individuen, die auf individuelle Vorteile aus sind, produzieren
systematisch unterschiedliche Resultate: „Dieses Verhalten führt […] auf dem
politischen Markt zu einem gesamt wirtschal ichen Wohlfahr tsverlust, während
es am privaten Gütermarkt zu Wohlstandssteigerungen beitragen ka nn.“ (Donges
2001: 204). Denselben Standpunkt nimmt Lars P. Feld ein (er wurde im März
436 Katri n Hirte / Walter Ötsch
2011 Mitglied im SVR):12 Feld wird für die geplante 4. Auage des Lehrbuches
Demokratische Wirtschaspolitik eorie und Anwendung von Bruno S. Frey
und Gebhard Kirchgässner neuer Koautor sein.
3.2 Lehrbuchpositionen der Mitglieder des SVR
nach den Berufungs-Polen
Abschließend soll hinterfragt werden, ob auch auf Basis der Lehrbücher ein
Unterschied im Denken der Mitglieder festgestellt werden kann, welche mit
dem „Gewerkschas-Ticket“ in den SVR kamen im Vergleich zu denen mit dem
„Arbeitgeber-Ticket“.
Von den Mitgliedern im SVR, welche mit dem „Gewerkschas-Ticket“ beru-
fen wurden, haben Glastetter, Pohl, Franz, Kromphardt und Bonger ein oder
mehrere Lehrbücher geschrieben.
Das Lehrbuch von Glastetter nahm – wie schon gezeigt – eine Mittelstellung
ein. Rüdiger Pohl präsentiert in Geld und Währung (1993) unterschiedliche
Modelle aus verschiedenen Blickwin keln, ohne marktradikale I nterpretationen.
Seine Positionen sind abwägend, etwa hinsichtlich des Vergleichs der Vor- und
Nachteile exibler und fester Wechselkurse (z.B. Pohl 1993: 110).
Das Lehrbuch von Wolfgang Franz Arbeitsmarktökonomik (1. Auage 1991,
7. Au age 2009) ist institutionenorient ier t. Makroökonomische Modelle werden
nicht behandelt. Das Lehrbuch kommt auch ohne Angebots-Nachfrage-Dia-
gramm aus. Franz führt verschiedene Modelle an, es gebe aber kein „akzeptier-
tes ökonomisches Modell […] welches alle Aspekte der Ursachenanalyse – d.h.
alle Arten von Arbeitslosigkeit – konsistent beschreibt.“ (Franz 1991: 351). Die
Behauptung einer „sozialleistungsinduzierten Arbeitslosigkeit“ wird kritisiert
(Franz 1991: 368; ähnlich in Der Arbeitsmarkt, Franz 1993: 105). In beiden
Lehrbüchern sieht Franz das Konzept einer „inationsstabilen Arbeitslosen-
quote“ als brauchbare Orientierungsgröße. Franz argumentiert pragmatisch und
nicht einseitig, eine eindeutige paradigmatische Zuordnung ist nicht möglich.
Kromphardt und Bonger hinge gen ver treten eindeutig keynesia nische Positi-
onen, was sich auch an ihren regelmäßigen Mi nderheitspositionen im SVR zeigt.
Kromphardts Lehrbücher – sie wurden bereits erwähnt – stehen für einen „a lten“
Keynesianismus, Peter Bongers Lehrbuch Grundzüge der Volkswirtschaslehre
(1. Auage 2003, 3. Auage 2011) für einen modernisierten.
12 Feld, wie Donges im Kronberger Kreis aktiv, hat mit diesem und weiteren Autoren eine
Publik ation besonders weitsichtiger Pädago gik herausgebracht: Ei n Pappbilderbuch von
56 Seiten mit dem Titel „Öentl iche Finanzen dauerha s anieren – in Deutschla nd und
Europa“. Zum gezielten Einuss der Ökonomie au f jugendliches Denken siehe d ie Studie
von Möller/Hedtke 2011.
437
Institutionelle Verstetigung von paradigmatischer Ausrichtung
Bonger unterteilt die Volkswirtschaslehre in zwei große gleichberechtigte
Hauptgebiete (Bonger 2003: 26). Er argumentiert eher institutionell. In der
Diskussion konkreter Fragestellungen wi rd das staatl iche Handeln immer positiv
kommentiert. Im Gegensatz zum ma rktradika len Denken ndet sich bei ihm kei-
ne dichotome Gegenüberstellung von Markt und Staat. Staat und Gewerkscha en
(Kap. 9.6) werden weder theoretisch noch exemplarisch negativ kommentiert.
Bongers Lehrbuchdarstellung der Mikroökonomie zeichnet sich durch eine
systematische Relativierung des neoklassischen Standardmodells aus. In Kapitel
2 wird das gängige Marktschema in Bezug auf Keynes illustriert, z.B. zur Frage,
warum die Aktienkurse so stark schwanken (Bonger 2003: 38.). Arbeitslosigkeit
wird von Bonger zwar auch mikroökonomisch diskutiert (ebenso wie Keynes
dies tat). Gleichzeitig wird aber auch die Möglichkeit von „gravierenden Un-
gleichgewichten“ betont, welche makro ökonomische Ursachen hätten (Kap. 9.1).
Die aktuelle Marktwirtscha sieht Bonger von „hoher Ezienz“ geprägt.
Trotz dieser gehe es aber nicht „ohne den Staat“; dieser sei u.a. für die Rechts-
ordnung, für Eigentumsrechte, für die Zahlungsfunktion des Geldes und für
die Wettbewerbspolitik nötig (Kap. 10), ebenso für die sozialen Aufgaben: „Die
Distributionsfunktion des Staates“ sorge für den „sozialen Ausgleich“ in einer
Marktwi rtscha. Dieser wird als notwendig angesehen, denn: „Ohne die Distri-
butionsfunktion würden v iele Menschen überhaupt kein Einkommen erzielen.“
(Kap. 11). Ebenso werden die Elemente des Sozialstaates wie Sozialversicherungs -
systeme positiv kommentiert (Kap. 12f.).
Für Lehrbuchautoren mit „Arbeitgeber-Ticket“ steht stellvertretend Horst Sie-
bert. De ssen Einführung in die Volkswirtschaslehre (1. Auage 1996, 15. Auage
2007) ist der Prototyp eines ma rktradikalen Lehrbuchs, in dem d ie Mikroökono-
mie die Makroökonomie vollends dominiert. Das Angebots-Nachfrage-Modell
auf den Gütermärkten wird von ihm ohne Problematisierung direkt auf den
Arbeitsmarkt angewandt und so die Höhe der Beschäigung erklärt (Kap. 10).
Siebert ist wie fast alle Vertreter eines marktradikalen Denkens einem einfachen
dualen Bild der Wirtscha verhaet: Die „dezentrale Autonomie“ der Marktwirt -
scha wird stereotyp einer zentralen Instanz (wie Planbüro, Staat oder Politik)
gegenübergestellt. Aber was „der Markt“ ist, wird nicht erklärt, insbesondere nicht,
wie die Koordination von Angebot und Nachfrage auf Märkten erfolgt. Siebert
erkennt, dass man dazu im Modell einen ktiven „Superauktionator“ benötigen
würde, welcher die Konsistenz der unzählig en Pläne alle Akteure zu gewährleisten
hätte (vgl. dazu auch Ötsch 2009: 261. – das Modell der vollkommenen Kon-
kurrenz enthält eine zentrale und autoritäre Koordinationsinstanz). Die Existenz
einer solchen Person bzw. einer solchen Behörde wird trotzdem verneint und das,
was hier geschehen soll, wird einfach „dem Markt“ gutgeschrieben: „Der Markt
leistet die Aufgabe des Superkoordinators.(Siebert 2003: 184).
438 Katri n Hirte / Walter Ötsch
Im makroökonomischen Teil des Lehrbuchs zeigt Siebert den Apparat des
„hydraulischen Keynesianismus“ (IS-LM-Diagramm), aber die ursprüngliche
keynesianische Interpretation ndet sich nicht – die „Hauptergebnisse“ liegen
ja auch schon aus der Mikroanalyse vor. Keynes’ „ese von der unzureichenden
Nachfrage“ ist „ohne weiteres nicht zulässig“, da sie die mikroökonomischen
Interdependenzen nicht berücksichtige. „Werden diese Interdependenzen be-
achtet, so lassen sich die Empfehlungen einer rein nachfrageseitig angelegten
Makroökonomie nicht halten.“ (Siebert 2003: 313). Aus diesem Grund muss
Fiskalpolitik ohnmächtig sein (Kap. 22.2).
4. Zur Struktur des SVR
Nachstehend wird auf die Berufungen im SVR eingegangen, auf Schulenaus-
prägungen sowie auf Mitgliedschaen im Prozess des going public seitens der
Mitglieder im SVR (s. Abbildung 1).
4.1 Berufungsdauer und Ausscheiden aus dem SVR
Die durchschnittliche Berufungsdauer im SVR beträgt 6,45 Jahre. Die Ver weil-
dauer umfasst ei ne Spa nne von d rei Ja hren (z. B. Wolfga ng Stützel, Otmar Issing)
bis 15 Jahren (Olaf Sievert). Auäl lig ist die im Durchschnitt kür zere B erufungs-
zeit der „Ticket“-Berufenen: sowohl bei denen mit „Gewerkschas-Ticket“ (4,9
Jahre) als auch bei denen mit „Arbeitgeber-Ticket“ (6,1 Ja hre). Die in den anderen
drei Blöcken Ber ufenen weisen hingegen eine Verweildauer von durchs chnittlich
acht Jahren auf.13 Einerseits kann man diese Tendenz als Bemühungen um zeit-
adäquate Berufungspolitik der „Ticket-Vergeber“ deuten, andererseits als Hang
zur Cliquenbildung innerhalb der Wissenschaskohorte im SVR.
Kurze Berufungszeiten können unterschiedlichste Gründe haben. Für eine
vorzeitige Beendigung der Tätigkeit im SVR kommen prinzipiell in Frage:
1) Tod: Beispiel ist hier Wilhelm Bauer, der am 04. Juli 1974 verstarb.
2) Amtsannahme (SVRG § 1): Laut §1 SVRG schließen sich Mitgliedscha
im SVR und Mitgliedscha in Reg ier ung oder anderen gesetzgebenden Körper-
schaen bzw. Funktionen im öentlichen Dienst des Bundes oder der Länder
(ausgenom men Wissenschasa ngehörige) aus. Otmar Issing wechselte z.B . 1990
in das Direktorium der Bundesbank und schied somit aus dem SVR aus und
13 Hier sind die beiden Letzberufenen (Lars P. Feld, Christoph M. Schmidt) noch nicht
inbegrien.
439
Institutionelle Verstetigung von paradigmatischer Ausrichtung
Abbildung 1: Berufungen im SVR 1964-2011
Bonger, P.
seit 3/04 Schmidt, Ch.
seit 3/09 di Mauro, Ch .
seit 6/04 Feld, J. seit 5/11 Fr an z, W.
seit 2/03
2010 W iegard , W.
3/01 – 5/11
Rürup, B .
3/00 - 2/09
2005
Krompha rdt, J.
3/99 - 2/04 Weber, A.A.
3/02 - 4/04 Siebert, H .
1/91 - 2/03
Donges, J.
4/92 - 2/02 Peekoven, R .
4/91 - 2/01
2000 Hax, H.
3/89 - 2/00
Fr an z, W.
5/94 - 2/99
1995
Pohl, R.
7/86 – 2/94 Schneider, H. K.
7/82 - 2/92 Pohemer, D.
7/84 - 2/91
1990 Issing, O.
4/88 - 9/90
Hesse, H.
3/85 - 11/88 Helmstädter, E .
3/83 - 2/88
Mertens, D.
3/84 - 2/86
1985 Sievert, O.
5/70 - 2/85
Krupp, H.-J.
3/82 - 2/84 Schmidt , K.
8/74 - 5/84 Albach, H.
5/78 - 2/83
Fels, G.
6/76 - 2/82
Glastetter, W.
8/79 - 8/81
1980
Köhler, C.
5/74 - 2/79 Gutowski, A.
12/70 - 2/78
Kloten, N.
6/69 - 4/76
1975
Köhler, C.
12/69 - 2/74 Ba ue r, W.
bis 7/74
1970 Giersch, H.
bis 2/70 Schä fer, M.
3/68 - 7/70
1965 Koc h, M.
bis 5/6 9 Stützel, W.
2/66 - 9/68 Binder, P.
bis 2 /68
Meyer, F.W.
bis 2 /66
1964
„Gewerkschas-
Ticket“ „Arbeitgeber-
Ticket“
Quelle: Nach Glöckner (2003: 111) und neueren Angaben
440 Katri n Hirte / Walter Ötsch
ebenso ist die kurze Berufungszeit von Helmut Hesse begründet – er wechselte
1988 zur Landeszentralbank von Bremen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt.
3) Diskrepanzen: Seit Bestehen des SVR e xistiert das Problem des Umgangs mit
dierenzierten Anschauungen innerhalb des SVR. Austritte aus Diskrepanzen
heraus sind Ausdruck dieser Problemkonstellation. Dabei traten bisher zwei
Austrittsarten auf:
a) Eigene Erklärung : Hierunter zählt Wol fgang Stützel, der 1968 aus dem SVR
ausschied. Er war mit seiner Position gegenüber den Aufwertungsbefürwortern
in Minderheit und als er erfahren hatte, dass die anderen vier Mitglieder, ohne
ihn inform iert zu haben am Gutachtentext arbeiteten, erklärte er seinen Austritt.
Ebenfal ls im Zuge der Wech selkursdebatten Ende der 1960er Jahre verließ Harald
Koch den SVR (Schanetzk y 2006: 107 u. 109). 1981 trat Wolfg ang Glastetter aus
dem SVR aus . Er war der erste als oener Kritiker geltende Berufene in den SV R
und die Diskrepanzen, die zu seinem Austritt führten, waren auch von grund-
sätzlichem ordnungspolitischen Charakter (Schanetzky 2006: 205 u. 211).14
b) Nichtwiederberufung: Für die Nichtwiederberufung steht das Beispiel
Wol fgang Franz aus dem Jahr 1999. Nach dessen Berufu ng 1994 folg ten Gutach-
ten mit relativ einheitlicher Ausrichtung: „Nur bessere Angebotsbedingungen
für die Wirt scha können im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit helfen.“ (S chmid
1998) Daher hatten die Gewerkschaen für Nicht-Wiederberufung plädiert.
c) Abberufung: Neben dem Austritt gibt es auch noch die Möglichkeit der
Abberufung. Sie trat das erste Mal 1988 auf. Hier wurde Ernst Helmstädter
trotz seiner Bereitscha zur Wiederwahl abberufen, weil sonst im Falle seiner
Wiederberufung z wei andere Mitglieder des SV R zurücktreten würden15 (Hel m-
städter 1988, 34).
Insgesamt gab e s in den 47 Ja hren der Existenz des SV R 30 Jahre ohne Austritt,
Nichtwiederberufung oder Abberufung eines Mitglieds. Zwei Phasen waren
somit relativ frei von derartigen Vorkommnissen: die Phase 1968 (Ausscheiden
14 Glastetter f orderte im Zuge der zweiten Ölk rise eine aktive G esamtnachfra gepolitik. Für
Schanetzky markiert diese Zeit, in der Glastetter den SVR verließ, auch die endgültige
angebotstheoretische Wende innerhalb des SVR (Schanetzky 2006: 211).
15 Nach den A ngaben von Helmstädter w aren das Hans Ka rl Schneider und Helmut Hesse.
Unmittelbare inhaltliche Dierenzen gingen dem nicht voraus, sondern Helmstädter
vermutete eine Retourkutsche in Reaktion auf seinen Austritt aus dem Forschungsku-
ratorium des RWI Essen, dessen Institutspräsident damals Schneider war und der ihm
dies verübelt hät te, da sich Helmstädter mit der Di agnose verabschiedete , er „wol le nicht
mitverantwor tlich gemacht werden für die vom Präsidenten Sch neider nicht gemeisterte,
vor 7 Jahren schon vom Wissensc hasrat gerüg te Führu ngsmisere diese s Instituts.“ (Helm-
städter 1988: 34).
441
Institutionelle Verstetigung von paradigmatischer Ausrichtung
von Wolfgang Stützel) bis 1979 (Eintritt von Werner Glastetter) und die Phase
1999 (Ausscheiden von Wolfgang Franz) bis heute.
4.2. Zur „4 + 1“-Konstellation
Im SVR gab es ab Anfang der 1970er Jahre oene Minderheitsvoten, als Claus
Köhler mit der Mehrheit des Rates hinsichtlich der skalischen Fragen nicht
mehr mitging und eine abweichende Vorstellung dokumentierte (Schanetzky
2006, 203). Ab Ende der 70er Jahre, als der keynesianische Konsens unter den
Ratsmitgliedern endgültig aufgebrochen war und 1979 Werner Glastetter, der
vorher u.a. als Referent am Wirtschas- und Sozialwissenschalichen Institut
(WSI) der Hans-Böckler-Stiung gearbeitet hatte, in den SVR berufen wurde,
war die „4 + 1“-Konstellation entlang der Angebots-/Nachfrage-Debatte ausge-
richtet. Nur seit dem Wirken von Wolfgang Franz trat bis 1999 eine fünährige
„Pause“ ein. Nach dessen Sicht war eine „längst überfällige Integration beider
Aspekte“ fäll ig (Schm id 1998). Ab 2003 war Franz über das „ Arbeitgeber-Ticket
wieder im SV R. Auf dem „Gewerkschasticket“ folgten 1999 Jürgen Kromphardt
und 2004 Peter Bonger.
Einerseits wird die „4 + 1“-Konstellation als negativ bewertet, da die „Unei-
nigkeit zwischen den Ratsmitgliedern nicht die Schlagkra der Argumente des
SVR“ (Franz 2008, 7) fördern würde. Zudem wird das „4 zu 1-Ergebnis“ von
ihm (2008) geringgeschätzt:
„Tröstlich kommt für die übrigen Ratsmitglieder hinzu, dass die seit einigen Jahren er-
scheinenden penetranten Minderheitsvoten immer nur ein und desselben Ratsmitglieds
sich mit der Zeit ziemlich abnutzen.“ (Franz 2008: 7)
Umgekehrt wird diese Konstellation wertgeschätzt, hier von dem Ökonomen
Rudolf Hickel, der zu den nachfrageorientierten Ökonomen gerechnet wird:
„Insgesamt steht die Nominierung der Sachverständigen unter starkem Konsenszwang
des Rats . Immerhin sind gegenüber der Vierer-Mehrheit wertvolle M inderheitengutachten
eingefügt worden.“ (Hickel 2003: 1)
Dem „Mehrheitsrat“ bescheinigt Hickel allerdings seit den 1970er Jahren „kon-
zeptionelle Redundanz“ und fordert daher eine Berufungspraxis, bei der unter-
schiedliche Denkströmungen und Disziplinen zu Wort kämen (Hickel 2008:
198), denn mit der verfestig ten „4+1“-Konstellation ab den 1970er Jahren wurde
der SVR , das Gremium, in dem vom Aurag her „unabhängig e Sachverständige“
tätig sein sollten, immer mehr selbst zum Bestandteil politischer Auseinander-
setzungen (Schanetzky 2006: 205) entlang der Scheidelinie angebots- versus
nachfrageorientiert bzw. arbeitgeber- versus arbeitnehmerfreundlich. Nachste-
hend soll hinterfragt werden, ob sich dieser Dualismus auch hinsichtlich der so
genannten „Lehrer-Schüler“-Verhältnisse widerspiegelt.
442 Katri n Hirte / Walter Ötsch
4.3 Schulenausprägungen im SVR
Hinsichtlich der Lehrer-Schüler-Verhältnisse wurde hier der Indikator Promo-
tion/Habilitation/Assistenz benutzt. Berück sichtig t man neben den Mitgliedern
(als „Schüler“) nur die Nichtmitglieder (als „Lehrer“), die mehr als einen „ Schüler
hervorbrachten,, erhält man nachstehende Aufstellung (s. Abbildung 2).
Deutlich erkennbar ist hier die Herausbildung einer Reproduktionsstruktur
um die Personen Gustav Walther Homann, Erwin von Beckerath, Erich Gu-
tenberg und Günter Schmölders als Nichtmitglieder des SVR. Hinzu kommt
hier Herbert Giersch als Mitglied des SV R, bei dem Olaf Sievert, Jürgen Donges
und Gerhard Fels promoviert hatten, die später auch Mitglieder im S VR wurden.
Auällig dagegen ist die fehlende Reproduktionsstruktur bei denen, die mit
dem „Gewerkschas-Ticket“ berufen worden sind (vgl. Abb. 1). Hier gibt es
nur zwischen Claus Köhler und Rüdiger Pohl eine Verbindung – Pohl hatte bei
Köhler promoviert und habilitiert.
Die geographischen universitären Zentren der genannten Akteu re sind: Tübin-
gen (Erwin von Beckerath, Paul Binder, Norbert Kloten), Kiel (Gustav Walther
Homann, Herbert Giersch), Saarbrücken (Herbert Giersch, Olaf Sievert), Köln
(Günter Schmölders, Erich Gutenberg, Gerhard Fels, Jürgen Donges), Mainz
(Kurt Schmidt, Rolf Peekoven).
4.4 Mitglieder des SVR in weiteren Institutionen und
Initiativen des going public
Die Mitglieder des SVR (unter Einschluss der Generalsekretäre) haben an fol-
genden going public-Aktionen teilgenommen, die über ihre Mitgliedscha im
SVR hinausgehen und als Förderung marktradikaler Ansichten interpretiert
werden können:
a) Mitgliedscha im Kronberger Kreis: Stützel, Franz, Sievert, Issing, Fels und
Donges.
b) Kuratoren und Botschaer bei der Initiative Neue Soziale Marktwirtscha
(INSM): Feld, Hüther, van Suntum und Peekoven.
c) Unterzeichner des Hamburger Appells: Feld, Hüther, und van Suntum.
d) Unterzeichner des Plenums der Ökonomen: Feld und van Suntum.
Auf den ersten Blick sehen diese Zahlen klein aus. Bedenkt man jedoch, dass
der Kronberger Kreis 1982 und die INSM 2000 gegründet und der Hamburger
Appell 2005 u nd das Plenum der Ökonomen 2010 verfasst wurde, dann sind die
Anteile der Mitglieder des S VR eher als hoch einzuschätzen . Unter den Vertretern
der letzten beiden Generationen sind hier allein vier vertreten: Jürgen Donges,
Wolfgang Franz, Rolf Peekoven und Lars P. Feld.
443
Institutionelle Verstetigung von paradigmatischer Ausrichtung
Abbildung 2: Betreuer/Promovenden/Habilitanden–Verhältnisse im SVR,
nur Mehrfachbeziehungen
Quelle: Eigene Darstel lung
von Beckerath, E. à Bi nde r, P.
à Kloten, N.
à Schmidt, K. à Peekoven, R.
Gutenberg, E. à Albach, H.
à Hax, H.
Schmölders, G. à Rürup, H.-A.
à Scherhorn, G.
Homann, W.-G. à Giersch, H. à Sievert, O.
à Donges, J.
à Fels, G.
à Kromphardt, J.
à Hesse, H.
Stützel, W. à Bonger, P.
Schneider, H.-K. à Siebert, H.
Köhler, K. à Pohl, R.
Im Kronberger Kreis – unter den Mitgliedern das am meisten aufgesuchte Gre-
mium – waren bzw. sind allein 20% der mög lichen Mitglieder16 des SV R vertreten,
in der Initiative Neue Soziale Marktwirtscha 14%. Den Hamburger Appell
haben 10% der möglichen Mitglieder unterschrieben und immerhin noch 8 %
wirken auch im Plenum der Ökonomen mit.
5. Schluss
Ziel des Beitrags war zu a nalysieren, inwieweit sich ein „4 zu 1“-Verhältnis im SVR
neben den Positionen in den Gutachten auch wissenschasseitig widerspiegelt,
insbesondere im Bereich Lehrbücher, Berufungspraktiken und going public. Wie
gezeigt werden konnte, ist diese Konstellation in allen drei Bereichen deutlich
ablesbar: Die jeweiligen Mitglieder des SVR vertreten in den Lehrbüchern ent-
sprechende Positionen; im Bereich Berufungspraktiken sind Reproduktions-
muster – wenn auch nicht durchgängig – deutlich erkennbar und ebenso sind
die Mitglieder des SVR in den typischen Gremien des going public, in denen
16 D.h. die Mitglieder, die mindestens bis 1982 zum Gründungszeitpunkt des Kronberger
Kreises noch gelebt haben.
444 Katri n Hirte / Walter Ötsch
marktradikale Positionen vertreten werden, zu nden. Besonders deutlich ist
die Zunahme dort in den letzten Jahren abzulesen.
Beachtet man diese Ergebnisse zudem im eingangs angeführten Kontext des
gesamten Wirkungsspektrums von Ökonomen, unterstreichen diese ebenso die
Bedeutung der Mitglieder des Sachverständigenrates als in die Gesellscha Hi-
neinwirkende. Als „Rat der fünf Weisen“ o karikiert bzw. gloriziert oder als
„Rat der R atlosen“ kritisiert , zeigen die Ergebnisse, dass da s Wirken der Ratsmit-
glieder über ihre Gutachtertätig keit hinausgeht. Jahrzehnte üben bzw. übten sie
mit entsprechenden Positionen als Lehrende Einuss aus und die Konstanz der
Strukturbildungen zur eigenen „schulischen“ Herkun belegt die Stetigkeit und
Relevanz dieses Wirkens und der Ausrichtung. Bedenk lich ist dabei, dass die auf
Marktradikalität ausgerichteten Ökonomen innerhalb des Sachverständigenra-
tes gerade in den letzten Jahren zugenommen haben – in Zeiten zunehmender
ökonomisch gravierender Probleme werden dort ebenso zunehmend „radikale“
Antworten favorisiert.
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Finanzkrise;art130,2645880 (Stand 10.02.2010)
Article
The German Council of Economic Experts (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, SVR) is the most prominent institution of economically based policy advice in Germany. In their comprehensive annual report, the five experts critically assess current economic policy. Since 1999, the ECB has also had to face this criticism. The five experts argue fairly and constructively, but also critically. This critical argumentation results from the Council‘s stability-oriented and ordoliberal basic stance. In contrast to the ECB, the SVR sees inflation risks rather than deflation risks, argues not on a case-by-case basis but on the basis of monetary policy rules, and repeatedly points to the interdependence of the sub-regimes of the economic order, for example when it warns of fiscal or financial dominance of monetary policy. These findings can contribute to the scholarly debate on how the traditionally critical attitude of the German public towards the ECB and its policies comes to be.
Article
We scale theoretical/ideological positions of economic research institutes over debates. Using only parts of German research institutes’ business cycle reports that deal with economic policy commentary and advice as an example, we extract sections from these reports dealing with monetary and fiscal policy issues from 1999 to 2020. To these corpora we apply methods of unsupervised text scaling (Slapin and Proksch, 2008; Lauderdale and Herzog, 2016), namely Wordfish and Wordshoal. Roughly, results are in line with the common sense in the public policy discourse. For monetary policy texts, we observe a strong, but short-lived consensus in debate-specific positions at the height of the financial crisis in 2008 and a larger polarization thereafter compared to the sample period before. For the fiscal policy textual corpus, the polarization was similarly high before and after the crisis and decreases somewhat during the COVID-19 pandemic. For both policy areas, the German Institute of Economic Research (DIW), Berlin, and the Institute for World Economics (IfW), Kiel, tend to be the most diverse institutes within the spectrum of latent ideological positions. We argue that text-mining techniques might be useful to scale underlying ideological positions in policy-related publications.
Article
Full-text available
While the current financial crisis had an overwhelming impact on the global economy, its effect on economics as an academic discipline has been negligible. This paper explores the relationship between the financial crisis, mainstream economic theory and the education of economists. In a nutshell it shows that (a) current economic education leaves students illiterate with respect to events like the financial crisis, (b) mainstream economic theory is unable to systemically explain the financial crisis and (c) this situation will be unaffected by the recent events. On the contrary economic education will stay pretty much the same, since it incorporates a set of ideas, perceived as influential, well-established and important by the economic community.
Book
Dieses Buch bietet eine Volkswirtschaft zum Anfassen. Anhand von lebensnahen Beispielen wird gezeigt, wie Märkte im Großen und Kleinen funktionieren. Die Simulationen auf der begleitenden Website ermöglichen es, Marktprozesse aktiv nachzuvollziehen. In 30 Kapiteln wird ein umfassender Überblick über die moderne Volkswirtschaft geboten. Schaubilder und Tabellen geben Informationen über aktuelle Daten und historische Entwicklungen. Die 4. Auflage bietet neben einer umfassenden inhaltlichen Aktualisierung eine intensive Auseinandersetzung mit der Finanzkrise. In zwei neuen Kapiteln wird die Rolle der Banken als Intermediäre, aber auch als Originatoren von Geld- und Kreditzyklen beschrieben. Neben der globalen Finanzkrise wird die Eurokrise intensiv erörtert. Die unkonventionalle Geldpolitik der großen Notenbanken wird ebenfalls in der Neuauflage diskutiert. Der wachsenden Krtik an den Standardmodellen der VWL wird mit einer kritischen Analyse des AS/AD-Modells, des Standardmodells der Banken und des Geldschöpfungsmultiplikators Rechnung getragen. Die Diskussion über Mindestlöhne wird in der Neuauflage ebenfalls intensiver dargestellt. Das im Buch vermittelte volkswirtschaftliche Denken ist nicht nur für Studenten der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre von Bedeutung. Es hilft Menschen, die sich für Wirtschaftspolitik interessieren, die Diskussionen über volkswirtschaftliche Fragen zu verstehen und sich ein eigenes Urteil zu bilden.
Chapter
Jahrhundertelang verstand man unter Wissen bewiesenes Wissen-bewiesen entweder durch die Kraft der Vernunft oder durch die Evidenz der Sinne. Es galt als ein Gebot der Weisheit und der intellektuellen Redlichkeit, sich unbewiesener Behauptungen zu enthalten und die Kluft zwischen bloßer Spekulation und begründetem Wissen, sogar im Denken, auf ein Mindestmaß zu beschränken. Wohl wurde die beweisende Kraft des Verstandes und der Sinne schon vor mehr als zwei Jahrtausenden von den Skeptikern in Frage gestellt, aber sie wurden durch den Triumphzug der Newtonschen Physik mit Verwirrung geschlagen. Einsteins Ergebnisse haben die Situation dann wieder auf den Kopf gestellt, und heute gibt es nur noch wenig Philosophen und Wissenschaftler, die der Ansicht wären, wissenschaftliche Erkenntnis sei oder könnte bewiesenes Wissen sein. Aber fast niemand sieht ein, daß damit auch das ganze klassische Gebäude intellektueller Werte zusammenbricht und durch etwas Neues ersetzt werden muß: Man kann das Ideal bewiesener Wahrheit nicht einfach verdünnen -etwa zum Ideal ‘wahrscheinlicher Wahrheit’2), wie es einige logische Empiristen tun, oder zur ‘Wahrheit aufgrund [wechselnder] Übereinstimmung’3), die wir bei einigen Wissenssoziologen finden.
Article
This analysis of the history of the Chicago Board Options Exchange explores the performativity of economics, a theme in economic sociology recently developed by Callon. Economics was crucial to the creation of financial derivatives exchanges: it helped remedy the drastic loss of legitimacy suffered by derivatives in the first half of the 20th century. Option pricing theory-a "crown jewel" of neoclassical economics-succeeded empirically not because it discovered preexisting price patterns but because markets changed in ways that made its assumptions more accurate and because the theory was used in arbitrage. The performativity of economics, however, has limits, and an emphasis on it needs to be combined with classic themes in economic sociology, such as Granovetterian embedding and the way in which exchanges can be cultures and moral communities in which collective action problems can be solved.