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Von der integrierten zur inklusiven Medienbildung
Gudrun Marci-Boehncke
Abstract / Zusammenfassung
„Integrierte Medienerziehung“ (Wermke 1997) als Konzept eines moderneren, an der Lebenswelt
der Schülerinnen und Schüler orientierten Deutschunterrichts leitete in den späten 1990er Jahren
einen Paradigmenwechsel in der Deutschdidaktik ein. Gemeinsam sollten literarisches und
mediales Lernen in der Regelschule ermöglicht werden an Gegenständen, die nicht nur der
Hochliteratur entstammten. Das Buch als Leitmedium wurde infrage gestellt, der Textbegriff
erweitert. Heute kann auf diesem Prinzip aufgebaut werden bei der Konzeption einer aktuellen
Deutschdidaktik – jetzt unter „inklusiven“ Unterrichtsbedingungen. Der Beitrag zeigt in einem
Blick zurück und mit Überlegungen zur aktuellen Medienbildungsforschung, wie die
Entwicklungslinien gesellschaftlich und bildungspolitisch zu erklären sind und will deutlich
machen, welche Potentiale digitale Medien für ein gemeinsames Lernen – vor allem im
Deutschunterricht – bieten und welche Veränderungen auch in der Lehramtsausbildung nötig
sind, um diese Potentiale nutzen zu können.
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Deutschdidaktik und Medien – ein Blick zurück auf die „integrierte“
Medienerziehung
Digitale Medien gehören heute zwar selbstverständlich zur jugendlichen Lebenswelt (vgl.
für Deutschland die regelmäßigen Studien KIM und JIM vom Medienpädagogischen
Forschungsverbund Südwest), jedoch noch keinesfalls zu ihrer schulischen Alltagswelt
(vgl. Schmid et al. 2017a; Thom et al. 2017). Diese Situation ist in Deutschland und in
deutschsprachigen Ländern nicht neu. Mit dem Drucksachen-Lesebuch ab 1973 war in der
BRD von Malte Dahrendorf (vgl. 1973) ein prominenter Versuch unternommen worden,
sich an dem zu orientieren „was Jugendliche tatsächlich lesen: Reportagen, Parodien,
Lexikonartikel, Schlager, technische Gebrauchsanweisungen, mal ein Dichterwort, aber
auch, wie es einer von ihnen ausdrückte, ‚mal Schmutz und Schund’“ (Spiegel 1975, S.
51). Nicht unumstritten, wie man noch heute nachlesen kann. Die Germanistik Jutta
Wermke war es, die 1997 – vierundzwanzig Jahre nach ihrer Dissertation von 1973, in der
sie sich mit der Frage beschäftigt hatte, wozu Comics gut sind – ihr für die
Deutschdidaktik vielleicht wichtigstes Buch herausgab: Integrierte Medienerziehung im
Fachunterricht – Schwerpunkt: Deutsch (Wermke 1997). Dieses Buch war nicht nur die
theoretische Basis zur Gründung der AG Medien im Berufsverband Symposium
Deutschdidaktik, es war auch die Grundlage zu fundamentalen curricularen
Veränderungen und dem Heranwachsen eines Bewusstseins, was man heute wohl mit
Friedrich Krotz als „Mediatisierung“ (Krotz 2001; 2007) bezeichnen würde. Wermke hat
bereits vor den 2000er Jahren erkannt, dass es nicht ausreicht, technische Medien in den
Unterricht einzubeziehen und in Auswahl- und Bewertungskriterien sowie den
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unterrichtlichen Fragestellungen nur am Buch orientiert zu bleiben. Sie forderte eine
Auflösung des leitmedialen Diktums, das das Buch immer als Ausgangs- und normatives
Orientierungsmedium definierte (vgl. Wermke 1997, S. 53). Schreiben und Lesen könne
man in und über andere Medien als das Buch oder Heft, Sprache und Literatur würden
auch in anderen Zeichensystemen als Termini anwendbar als nur im Kontext der Schrift.
Damit war der Boden offensichtlich endlich bereitet für die Etablierung des sogenannten
„erweiterten Textbegriffes“, den Werner Kallmeyer (Kallmeyer et. al. 1974, S. 49)
eigentlich bereits 1974 in die Germanistik eingeführt hatte, der jedoch im Fach bis in die
2000er Jahre gebraucht hat, um sich durchzusetzen.
Wermke (1997, S. 62-63) begründet ihr Plädoyer mit der Anerkennung einer veränderten
medialen Realität als pädagogisch-didaktische Verpflichtung. Vor allem Film und
Fernsehen hätten die medialen Nutzungsmuster Jugendlicher verändert, selbst Literatur
werde häufig in medialen Adaptionen zugänglich. Das Buch sei erstens nicht länger
Leitmedium, und zweitens erfordere auch die gesellschaftliche Rezeption von Literatur
und ihre Überführung in audiovisuelle Kontexte – nicht nur als Adaptionen, auch über
andere intermediale Verweise (Talk-Shows, Magazine etc.) – eine Auseinandersetzung mit
dem Medienmarkt. Darüber hinaus dürfe der Ausgang nicht mehr nur bei der Hochliteratur
liegen, sondern auch andere, zunächst als audiovisuelle Texte präsentierte Geschichten
würden von den Verlagen in Schrifttexte überführt und vermarktet, als „Buch zum Film“
oder Fanzines und ähnliches. Wermke fordert einerseits Allgemeinbildung als individuell
notwendiges und schulisch zu vermittelndes Hintergrundwissen – Allgemeinbildung, die
angesichts zunehmender Menge und Komplexität des aktuell relevanten Wissens nur noch
über „schnelle“ Rezeptionsmedien wie den Computer oder eben audiovisuelle Medien für
den Einzelnen erwerbbar würde. Andererseits fordert sie Meta-Strategien – wie die der
Informationsauswahl und systematischen Erschließung. Der Kompetenz mit Relevanz für
die Übertragbarkeit wird der Vorrang vor dem kanonischen Expertenwissen eingeräumt.
Wermke (1997, S. 63) erkannte bereits, dass die Computertechnik das Verhältnis von
Produktion und Rezeption verändert hat – was Axel Bruns (2008) dann in den 2000er
Jahren mit dem Begriff der Produsage bezeichnet hat. Mit der Digitalität im Web 2.0 kann
heute jeder flexibel vom Rezipienten zum Produzenten werden. Das Veröffentlichte wird
damit gemeines Gut. Solche mediale Partizipation enthob die traditionellen
Medieninstitutionen ein gutes Stück ihrer Rolle als künstlerische und informationelle
Meinungsmacher. Umso wichtiger wurden schon damals und bleiben auch heute zum
einen handlungsorientierte Arbeitsformen auch für die Schule und zum anderen
medienkritische Kompetenz, um Kriterien gestützt aus der Fülle Angebote auswählen und
beurteilen zu können. Medienintegration bedeutete also zum einen Medien zusätzlich zur
Literatur, die in Büchern und anderen Schrifttexten weiterhin zentrales Thema bleiben
sollte, im Unterricht zu berücksichtigen. Man betrachtete den Film als Thema im
Deutschunterricht, nicht nur – aber auch – zu literarischen Texten, das TV-Programm,
Hörspiele und Comics. Filmsprache wurde Thema auch im Deutschunterricht. Es ging
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Wermke um die Auseinandersetzung mit Formaten, Inhalten und Angeboten aus anderen
als schrifttextgebundenen Medien. Und es ging ihr auch um den – heute in erster Line
ökonomisch verstandenen – Medienverbund, die gegenseitige Stützung von Einzelmedien,
die sie auch in ihrer didaktischen Funktion betrachtet. Sie fokussiert hier besonders auf
Synergien aus Hörfunk-Angeboten zur Leseförderung, die sich heute aber auch auf die
Verbindung von Internet-Angeboten (etwa der Beteiligung an Fanfiction-Foren) und
Lektüren erweitern lassen:
„Aus der Sicht der Schüler bedeutet das, daß [sic!] mit der Attraktivität eines
neuen Mediums für den Reiz des alten geworben wird. (...) Es gehört zu den
Aufgaben der Literaturdidaktik in einer Medienkultur, solche Entwicklungen
einerseits im Rahmen der Rezeptionsforschung zu begleiten und andererseits
im Rahmen der Ausbildung darauf hinzuwirken, daß [sic!] die Beteiligung an
derartigen außerschulischen Aktionen mit Schulklassen als Aufgabe von
Deutschlehrern erkannt wird.“ (Wermke 1997, S. 109-110)
Sie hat bereits 1997 die Erweiterung des Deutschunterrichts um mehr technische Medien
gefordert, sie hat den Unterricht ebenso um neue Zeichensysteme erweitert wie auch um
neue Formate und Inhalte. Auch die Medieninstitutionen sind mitbedacht worden. Und
schließlich weitert sie die Perspektive auch zur Partizipation (vgl. ebd., S. 138-145) –
noch nicht konsequent konvergent, aber das Web 2.0 gab es damals auch noch nicht.
Dennoch hat sie damit die Mediensystematik von Heinz Bonfadelli (2002) bereits
angetönt. Ihr Impuls ging in Richtung einer fundamentalen Curriculumsveränderung. Sie
kippte damit einen bis dahin vermeintlich absoluten Bildungsnormwert und orientierte sich
statt an der Hochliteratur an gesellschaftlicher Medienrealität (vgl. Wermke 1997, S. 111).
Sie berücksichtigte nicht nur Medienangebote, sondern auch diejenigen, an die diese
Angebote gerichtet waren. Und sie ging nicht von einer medialen Einbahnstraße aus,
sondern wollte Schülerinnen und Schüler selbst zu Medienakteuren machen. Ihr Konzept
war also in bestem Sinn integrativ: in Bezug auf die schulisch thematisierten Formate und
Inhalte, in Bezug auf die Handlungspraxen und die Handlungsrichtung.
Vieles sollte heute im Unterricht selbstverständlich sein – ist es aber noch lange nicht.
Weder im Hinblick auf das normative Primat geschriebener und gedruckter Texte als
vermeintlich qualitativ bessere Medien, noch im Hinblick auf den erweiterten Textbegriff.
Aber Jutta Wermke hat Schule „in ihrer Zeit“ gedacht und verändert – und war damit ihrer
Zeit weit voraus. Noch heute sind nicht alle ihre Forderungen erfolgreich umgesetzt. Und
doch ist es angesichts heutiger gesellschaftlicher Entwicklungen angesagt, dieses Konzept
nochmals unter die Lupe zu nehmen und weiter zu denken.
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Zum Kontext der Mediatisierung als Metatheorie gesellschaftlichen
Handelns und ihrer Bedeutung für den medienpädagogischen Habitus
von Lehrkräften
Die Veränderungen der Gesellschaft durch Medien, auf denen schon Wermke ihre
Argumentation aufbaut, wurden theoretisch gefasst durch die Mediatisierungsthese des
Bremer Kommunikationswissenschaftlers Friedrich Krotz (Krotz 2001; 2007), den vielen
Arbeiten aus seinem Sonderforschungsbereich (z.B. Hepp 2011) und darüber hinaus (vgl.
Rath 2014). Die theoretische Konzeptualisierung der Mediatisierung als Meta-Prozess
ermöglicht ein Bewusstsein davon, dass sich menschliche Beziehungen und
Handlungspraxen entsprechend der technisch-medialen Bedingungen ihrer Zeit verändern.
Mediatisierung wird beschreibbar – und hier nutzt Krotz das ökosystemische Modell von
Uri Bronfenbrenner (1981) – auf den Ebenen der individuellen Kommunikation, der
institutionellen und der allgemein-gesellschaftlichen Ebene. Schule selbst ist dabei als
Institution auf der Meso-Ebene des Modells zu verorten, die Lehrkräfte können aber im
Unterricht alle Ebenen mit den Schülerinnen und Schüler thematisieren. Hinter konkreten
Umsetzungsideen und Überlegungen zur Arbeit mit den verschiedenen Medientexten
sollte aber idealiter ein Theoriebewusstsein stehen, was die Vermittlung von
Medienkompetenz nicht als exemplarischen Lernbereich versteht, den man abdecken kann
oder auch nicht, sondern als eine Rahmung von gegenwärtigem unterrichtlichen Handeln
per se. Auch wenn Lehrkräfte keine digitale Medienkompetenz vermitteln, handeln sie
damit doch nolens volens im Kontext der digital-mediatisierten Gesellschaft und ihr
Handeln (oder eben das des Nicht-Handelns) hat Folgen für die gesamtgesellschaftliche,
institutionelle und individuelle Orientierung der Schülerinnen und Schüler.
„So wie auch Globalisierung, Ökonomisierung und Individualisierung
Folgen haben für unterrichtliche Inhalte und Handlungspraxen, so legt die
Berücksichtigung der Mediatisierungsthese eben eine Reflexion
gesellschaftlicher Handlungsbedingungen unter den Veränderungen einer
digitalen Gesellschaft nahe.“ (Marci-Boehncke/Bosse 2018, S. 225)
Insbesondere manifestiert sich schon in der Lehramtsausbildung ein medienpädagogischer
Habitus, aufbauend auf den eigenen Mediengewohnheiten und flankierenden
epistemologischen Überzeugungen (Shulman 1986) oder Konzeptionen (Baumert &
Kunter 2006, S. 497). Verstanden wird dieser Habitus als
„ein System von dauerhaften medienbezogenen Dispositionen, die als
Erzeugungs- und Ordnungsgrundlagen für mediale Praktiken und auf Medien
und den Medienumgang bezogene Vorstellungen und Beurteilungen
fungieren“ (Friedrichs-Liesenkötter 2013, S. 3)
Dieser bleibt mit prägend für das Professionsverständnis zukünftiger Lehrkräfte und wird
ggf. durch verstärkende Praxiserfahrungen manifestiert (vgl. Košinár 2014). Angesichts
der für deutschsprachige Länder immer noch sehr konservativen schulischen
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Mediennutzung (vgl. Eickelmann et al. 2013, S. 9) besteht hier langfristig die Gefahr einer
medialen Stagnation. Verstärkt wird ein vorrangig medial-analoges Lehrerverhalten ohne
den Einsatz digitaler Technik, v.a. solcher Technik, bei der die Schülerinnen und Schüler
selbst zu Produzierenden werden. Schuld daran sind sowohl infrastrukturelle Probleme
mangelnder Ausstattung mit Geräten und WLAN in den Kommunen als auch technische
wie didaktische Kompetenzdefizite der Lehrkräfte im unterrichtlichen Umgang. Fehlende
Kooperationspraktiken in den Schulen (vgl. Richter & Pant 2016) verhindern den
kulturellen Austausch zwischen den Lehrkräften. Mangelnde Teilnahme an
Lehrerfortbildungen im digitalen Bereich (vgl. Breiter et al. 2013) vergrößert zum einen
die (technische) Wissenskluft zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schüler, sie
führt aber vor allem dazu, dass sich die Lernkultur innerschulisch und außerschulisch
soweit voneinander weg bewegt, dass Schule nicht mehr für die Gegenwart ausbildet:
„Skills, practices, and dispositions students are encouranged to developed are
filtered through a system designed for an outdated world“ (Jenkins & Kelley
2013, S. 9).
Zeigen aktuelle Daten von Kindern (KIM 2016, S. 50-51) und Jugendlichen (JIM 2017, S.
52-58) eine hohe Internetnutzung zur Informationsgewinnung für die Schule, ist der
schulische Einsatz von digitalen Medien im internationalen Vergleich immer noch mehr
als zurückhaltend (vgl. Schmid et al., 2017a; Thom et al. 2017). Lehramtsstudierende
zeigen sich außerdem im Vergleich mit ihren Kommilitonen und Kommilitoninnen
anderer Fächer als wenig medienaffin (Schmid et al. 2017b). Eher einfache präsentative
(Word, Powerpoint) Funktionen werden genutzt, selten medienproduktive, die den
aktuellen Gewohnheiten und Präferenzen Jugendlicher aber eher entsprechen würden. Die
Video-Produktion und die Nutzung sozialer Medien werden schulisch besonders sparsam
eingesetzt, obwohl gerade sie die hauptsächlichen jugendkulturellen Nutzungsmuster
darstellen. Die digitale Recherche ist zu Hause bei Schülerinnen und Schüler gängige
Praxis, allerdings eher über Wikipedia und globale Suchmaschinen wie Google oder
Yahoo als über digitale Bibliothekssuchmaschinen oder -kataloge (DigiBib, Katalog Plus
etc.). Wie die ICILS-Studie zeigt, sehen sich Lehrkräfte selten in der Lage, die digitale
Katalogsuche selbst kompetent zu vermitteln (Eickelmann 2014, S. 208-209). Hier sind
Kooperationen mit dem Bildungspartner Bibliothek sicher für beide Seiten hilfreich (vgl.
Marci-Boehncke 2017, S. 22-23), wobei diese Kooperationen, wie aus den Aussagen zur
Planung von Lehrkräften zu schließen ist, immer noch mehr Zeit für eine fachliche
Implementierung und Planung bedürften (Richter & Pant 2016, S.17). Insgesamt sind es
nicht die technischen Rahmenbedingungen, die eine Orientierung der Lehrkräfte an der
gegenwärtigen Mediatisierung verhindern, sondern eher ein „bürgerlicher“ oder
bestenfalls „hedonistisch-pragmatischer“ Medienhabitus von Lehrkräften (Biermann &
Krommer 2012, S 91). Medienkompetenz, vor allem die Vermittlung digitaler
Medienkompetenz als curriculare Anforderung, scheint zwar Lehrkräften bewusst, aber in
der konkreten Ausgestaltung immer noch ein „nice-to-have“, was abhängig ist von den
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jeweiligen technischen Rahmenbedingungen. Dass man Kontexte zu digitaler
Medienkompetenz zu weiten Teilen auch vermitteln kann, ohne dass man in der Schule
online arbeitet, scheint nicht überall selbstverständlich.
„For us, teaching the new media literacies involves more than simply
teaching kids how to use or even to program digital technologies. The new
media landscape has as much to do with new social structures and cultural
practices as it does with new tools and technologies. And as a consequence,
we may be able to teach participatory mindsets and skills even in the absence
of rich technological environments. Teaching new media literacies means
helping young people to acquire the habits of mind required to fully engage
within a networked public“ (Jenkins & Kelley 2013, S. 10).
Besonders fatal wirkt sich aus, dass die Mediatisierung im Bildungskontext immer noch
vorrangig als ein technisches Problem behandelt wird und dabei ignoriert wird, dass es
vielmehr um Handlungspraxen geht, über die sich für Schulen eine institutionell
wahrnehmbare „digitale Spaltung“ – verglichen mit den Praxen ihres Schülerklientels –
ausbreitet. Was sich für Schülerinnen und Schüler als relevante Gründe erkennen lässt,
warum sie Medienkompetenz besitzen sollten, korrespondiert nicht mit der Wahrnehmung
der Bildungspolitik. Für Kinder und Jugendliche ist es momentan v.a. die permanente
zeitunabhängige weltweite Kommunikation und Informationsmöglichkeit – v.a. zu
Unterhaltungszwecken, einer Teilhabe an jugendkulturellen Communities zur
Identitätsbildung und immer häufiger selbstreflexive Speicher und Auswertungsangebote
für eigene Identitäts-, Persönlichkeits-, oder Körperwerte. Der Blick für die junge
Generation richtet sich damit vorrangig auf die eigene mögliche Entwicklung, der Blick
der Bildungspolitik geht zunächst zurück auf bereits gesichertes Wissen und kulturell als
relevant erkannte Bedeutung. Bildungspolitik reagiert damit immer erst dann, wenn die
eigentlichen Interessen ihres Bildungsklientels sich schon wieder entdeckend neuen
Entwicklungen zugewandt haben. Andererseits soll aber Schule gerade eine Generation
ausbilden, deren Stärke in der Kreativität und Weiterentwicklung liegt. Krotz beschreibt
v.a. die Bedingungen der digitalen Mediatisierung unserer Gegenwart als einen
unabgeschlossenen Prozess:
„Innovationen besitzen mindestens im Fall der digitalen Medien keine
technisch definierbaren, absoluten Vorteile. Stattdessen ist es eher plausibel
zu sagen, dass es für jedes Individuum und jede Gruppe zu jedem Zeitpunkt
kulturell, sozial und medial definierte Pfade gibt, auf denen eine
Ingebrauchnahme eines bestimmten Mediums zu einem bestimmten
Zeitpunkt für bestimmte Zwecke sinnvoll sein mag oder nicht. Denn die
Bedeutung, die eine Innovation für eine Person zu einem bestimmten
Zeitpunkt hat oder haben kann, kann nicht generell definiert werden.“ (Krotz
2007, S. 288)
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Krotz weist darauf hin, dass die digitale Entwicklung im Wechselspiel zwischen den –
marktorientierten – Interessen der Unternehmen und den eben zum Teil noch nicht
voraussehbaren individuellen und gruppendynamischen Interessen der Nutzenden
stattfindet und digitale Spaltungen nicht ausschließlich ein Bildungsphänomen darstellen,
sondern auch durch ökonomische Interessen bedingt sind. Deshalb betont Krotz im
Kontext der Medienkompetenzdiskussion in Bildungsinstitutionen auch nachhaltig den
Aspekt des Marktverständnisses, der in kleinschrittigen Zergliederungen und
Operationalisierungen des Begriffs für Bildungskontexte oft eher verloren geht. Hier kann
es dann nicht nur um eine Kapitalismuskritik gehen, sondern auch um eine ethisch
verantwortliche und gleichzeitig fortschrittskreative Technikfolgenabschätzung (vgl. Rath
2003).
Als Organisationskultur zeigt sich Schule bisher in Deutschland eher veränderungsträge.
Solange systemimmanent die vorhandene Medienkommunikation Vorteile bringt und das
System stabilisiert, vor allem in Bezug auf neue Investitionen von Zeit, Geld und
kulturellem Kapital (Stichwort: Fortbildungen), und solange keine expliziten und
unausweichlichen Anweisungen der Schulbehörden vorliegen (z. B. Prüfungsordungen)
operiert Schule als non-profit Institution ressourcenschonend (vgl. Breiter et al. 2012, S.
130-131). In ihrer Orientierung ist sie eher hierarchisch nach oben ausgerichtet, versteht
sich als Behörde, die Anweisungen ausführt, und nicht als eigenständig
entwicklungsorientiert. Das gesamte System der Lehrkräfteausbildung in den
Universitäten und Zentren für schulpraktische Ausbildungen an der Schnittstelle zur
„Zweiten Phase“ des Referendariats stabilisiert diese Ausrichtung. Nur einzelne, meist
privat finanzierte Schulen können modellhaft neue Formen ausprobieren, sofern sie dazu
den Konsens bei Lehrkräften, Sponsoren, Trägern und Eltern erreichen. Im Endeffekt ist
die Frage der angepassten Mediensituation an Schulen eine der Educational Governance
(vgl. Kruip 2011, S.18). Und diese orientiert sich argumentativ vorrangig im bekannten
Dreieck zwischen Stoff mit Bildungsziel (output), Lehrkraft und Schülerinnen und
Schülern. Sofern der Medienumgang als abgeleitetes Interesse verstanden wird, kann die
Planung scheinbar unter Ausblendung der aktuell kontextualisierenden Mediatisierung
erfolgen.
Genau dieses Missverständnis gilt es aber auszuräumen: Denn Medienbildung ist –
ausgehend vom „erweiterten Textbegriff“ - nicht nur deshalb der Arbeit im
Deutschunterricht inhärent, weil man dort ja konkret mit „Mediengeräten oder -texten“
arbeitet (das wäre ja schon die Argumentation der „integrierten Medienerziehung“ Jutta
Wermkes gewesen), sondern weil die Mediatisierung der Handlungskontext ist, der bei
Schülerinnen und Schülern ebenso wie bei Lehrkräften und der Institution Schule immer
gegeben ist. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kontextualisieren schulisches
Handeln in einem Raum, in dem Medien „inklusiv“ sind. Weil das so ist, sollte dies auch
bei Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern reflexiv eingeholt werden. Schule ist ein
institutioneller Handlungsraum innerhalb der digital-mediatisierten Gesellschaft, in dem
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Individuen auf den Ebenen Mensch-zu-Mensch, Mensch-zu-Maschine und heute auch
bereits Maschine-zu-Mensch agieren. Erfolgt keine proaktive Auseinandersetzung mit der
Medienumgebung bzw. wird der Medienumgang aktiv verhindert, bleibt dies eine
Leerstelle, die jedoch gleichermaßen wirksam ist und Teil der Mediatisierung darstellt. So
erklären sich dann die Daten der ICILS 2013-Studie für Deutschland (Bos et al. 2014) im
internationalen Vergleich. Von „inklusiver Medienbildung“ zu sprechen, meint also
zunächst, Medienbildung in der Schule vor dem Theoriehintergrund der Meta-Theorie der
Mediatisierung wahrzunehmen, einen epistemischen Hintergrund für den Einsatz und die
Thematisierung und Reflexion von Medien(-angeboten) und Medienhandlungen zu
besitzen und einzubringen, der über die konkrete technische, handlungsdidaktische
Gebotenheit im Sinn einer „Mediendidaktik“, die sich mit dem praktischen Medieneinsatz
beschäftigt, weit hinaus geht. Es ist damit auch mehr als der argumentative Dreischritt, den
Mitzlaff (2016, S. 19-20) für den Sachunterricht begründend anführt, obwohl diese
Aspekte alle dazu gehören:
„(1) die Inklusion der Medien und Medienerfahrungen der
Grundschülerinnen und -schüler in den alltäglichen Sachunterricht; (2) die
Inklusion der Mediendidaktik auf der Planungs- und Gestaltungsebene in die
[Sachunterrichts-, GMB]Didaktik und (3) die Inklusion der Aufgabe der
Medienerziehung bzw. der Medienpädagogik“
in diese Fachdidaktik. Neben diesem Verständnis einer Deutschdidaktik als inklusiv, die
auf ihrer epistemologischen Reflexionsebene auf der Meta-Theorie der Mediatisierung
aufbaut und Unterricht plant, bietet sich ein weiteres Verständnis von „inklusiver
Medienbildung“ an. Es ist, wie im Folgenden zu zeigen ist, mehr als eine zufällige
Homonymie.
Inklusion und Menschenrecht als Handlungsprinzipien demokratischer
Gesellschaften
Mit der UN-Behindertenrechtskonvention (2006) ist die Teilhabe, Selbstbestimmung und
Gleichstellung für Menschen mit Behinderungen als fester Bestandteil der
Menschenrechte in den besonderen Fokus der Öffentlichkeit geraten. Behinderung wird ab
sofort auch passivisch verstanden und damit in die Verantwortung der Gesellschaft
gestellt: Menschen sind nicht behindert, sie werden behindert. Teilhabe und Gleichstellung
gelten auch in Bildungsinstitutionen (Kruip 2011, S. 11). Sie zu ermöglichen, ist Aufgabe
der Gesellschaft. „Barrierefreiheit – im analogen wie im digitalen Raum – ist deshalb
grundlegende Forderung inklusiver Bildung.“ (Marci-Boehncke/Bosse 2018, S. 226)
Dies gilt zum einen, weil auch die Medienwelt von Jugendlichen mit Behinderungen
digital orientiert ist – als Kennzeichen und Ausdruck von heutiger Jugendkultur per se.
Erste Untersuchungen zur Mediennutzung von Menschen mit Behinderungen (Bosse &
Hasebrink 2016) machen deutlich, dass v.a. Menschen mit dem Förderschwerpunkt
Lernen besonders benachteiligt werden, obwohl – und hier kommt ein weiteres Argument
Preprint: Von der integrierten zur inklusiven Medienbildung (Nicht seitenidentisch mit der Printversion)9
für die Realisierung inklusiver digitaler Medienbildung – gerade sie von den technischen
Möglichkeiten der Digitalgeräte besonders profitieren würden. Schluchter (2015, S. 13-14)
verweist in diesem Zusammenhang auf die Funktion aktiver Medienarbeit als
Empowerment: Medien ermöglichen kulturellen Selbstausdruck, soziale Kommunikation
und damit Teilhabe an gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen. Dazu sind auch
technische-mediale Funktionen hilfreich: Sprachausgabe für Schrifttexte, Wandler für
gesprochene Texte in Schriftsprache, (Internet-)Assistenzprogramme wie etwa Siri
könnten in vielen Lebenslagen erleichternd wirken und die Zugänge technische
ermöglichen. Von einer solchen Flexibilität würden jedoch nicht nur Menschen mit
Lernbehinderung profitieren, sondern alle. Auch im Kontext der Fremd- und
Mehrsprachigkeit können Digitalgeräte mit Netzzugang schnelle Hilfe leisten.
Digitalgeräte können verschiedene Sprachen vorlesen, haben Schriftarten auch von
seltenen Herkunftssprachen. Übersetzungsprogamme werden zunehmend besser und
erleichtern die Kommunikation in alle Richtungen. Ebenfalls können Menschen mit
Hörschäden besser teilhaben, weil auch die sozialen Voraussetzungen einer
kommunikativen Wertschätzung etwa durch Gebärdensprache-Apps für alle Gruppen
leichter ermöglicht werden. Es reicht oft schon, zunächst diese grundsätzliche
Berücksichtigung deutlich zu machen, indem man zeigt, dass man sich auf die
sprachlichen Möglichkeiten und Schwierigkeiten einlässt, um Vertrauen zu erwerben. In
den USA ist man da schon seit Jahrzehnten weiter – Gebärdensprache wird dort bereits in
der Frühen Bildung spielerisch vermittelt. Menschen mit schweren körperlich-motorischen
Einschränkungen erfahren durch verschiedenste digitale technische Anwendungen heute
Partizipationshilfe. Viele Steuerungsfunktionen können heute individuell angepasst
werden, etwa sind Tastenbefehle über individualisierte „Mouse“-Geräte zu erteilen. Mit
3D-Druckern können Halterungen angefertigt werden, die Geräte auf die persönliche
Lebens- und Bewegungssituation zuschneiden können. Mit eingebauten Kameras kann
über die Augenbewegung Kommunikation vermittelt werden.1 Auch die inhaltliche
Komplexität von Internettexten soll in Zukunft individualisiert reduziert werden können
(vgl. Projekt EASY READING o.J.).
Inklusion ist – wie auch die Mediatisierung – ein gesellschaftlicher Anspruch und Kontext.
Dahinter steht nicht nur eine „Verordnung“, sondern ein auch theoretisch, ethisch und
juristisch begründbares Konzept. Inklusion basiert auf der Menschenwürde – bei uns in
Deutschland Artikel 1 des Grundgesetzes – und der Individualisierung moderner
Gesellschaften im Nachgang zur Aufklärung. Sicher kann man auch die Individualisierung
als Machttechnik verstehen, wie Foucault dies tut – und hier ergeben sich Bezüge zur
Kapitalismuskritik, wie sie auch im Kontext der Mediatisierungsthese anfangs kurz
angerissen wurden –, aber diese dilemmatische Situation gilt für viele Entwicklungen,
1 Ein eindrucksvolles Beispiel ist „Louisa, die mit den Augen redet“:
https://www.youtube.com/watch?v=dborleSy9Y4 Stand von 24-05-2018) von Louisa Székely.
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etwa auch die Ökonomisierung und Globalisierung. Was hier an dieser Stelle interessiert,
ist jedoch der Anspruch hinter diesen Begriffen. Sie basieren auf epistemologischen
Diskursen, sind Ergebnis und Gegenstand erkenntnistheoretischer Überlegungen.
Von der integrierten zur inklusiven Medienbildung: Ein vorläufiges Fazit
Wenn wir heute im Bildungswesen für eine „inklusive Medienbildung“ werben und
ausbilden, versteht sich dieser Begriff also auf mehreren Ebenen, er tangiert mehrere
Theoriekontexte. Zum einen geht es um die Mediatisierung als Meta-Theorie der
Gesellschaft. Aus der Betrachtung sozialer Handlungs- und Erfahrungsräume von
Heranwachsenden bietet sie Erklärungen und Begründungen für eine Berücksichtigung
auch aktueller Medienumgebungen. Dabei umfasst der Medienbegriff die technische,
semiotische und institutionelle Ebene ebenso wie produktive, distributive und rezeptive
Handlungsformen. Mediatisierung ist mit anderen Meta-Theorien wie die der
Ökonomisierung und Individualisierung und Globalisierung verbunden, wie am Beispiel
der Inklusion (als Teil der Individualisierungsthese) oben ansatzweise gezeigt wurde.
Inklusive Medienbildung fordert und fördert damit den Bezug zur mediatisiert zu
verstehenden Welt auf der Ebene der Motivation (alle Medien und alle Menschen sollen
einbezogen und berücksichtigt werden), auf der Ebene des Zugangs (alle Medien sollen
von allen Menschen rezipiert werden können) und auf der Ebene des Ausdrucks (alle
Medien sollen von allen Menschen produktiv handelnd genutzt werden können).
Damit entspricht ein Konzept der „inklusiven Medienbildung“ dem „Universal Design for
Learning“ (Wember 2013): Es konzipiert den Zugang zum Lernen technisch, semiotisch,
institutionell, individuell und kollektiv, rezeptiv, distributiv und produktiv.
Inklusive Medienbildung als Ordnungsrahmen für Bildungshandeln allgemein erweitert
damit das Modell des Technological-Pedagogical-Content-Knowledge TPACK (Shulman
1986; Koehler & Mishra 2008) um eine doppelte „Meta-Ebene“ (vgl. Abb. 1): Wenn
TPACK auf der Ebene von konkreten Unterrichtsdesignprinzipien einen
Orientierungsrahmen vorgibt, der Wissen und Können der Lehrpersonen betrifft, dann
greift eine inklusive Medienbildung im Verbund mit TPACK den epistemologischen
Hintergrund zum pädagogischen Handeln auf. Es geht um ein „zeitentsprechendes
Weltverständnis“ als „Haltung/Einstellung“ und vor allem als Reflexionskontext für
pädagogisches Handeln. Erkennnistheoretisch versucht eine Medienbildung, die mit
Inklusion und Mediatisierung argumentiert, im Hegel’schen Sinn philosophisch „ihre Zeit
in Gedanken“ zu erfassen, zu verstehen und zu reflektieren (vgl. Rath 2014, S. 84-85).
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Abb. 1: ITPACK: Um Mediatisierung und Inklusion erweitertes TPACK-Konzept (eigene Darstellung)
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Solche epistemischen Hintergründe sind – so sie denn überhaupt Teil der
Lehramtsausbildung werden – gerade in geisteswissenschaftlichen Fächern selten mit
konkreten didaktischen Orientierungen verknüpft. Bei den beiden hier untersuchten
Theorien stehen ggf. auch ideologische Barrieren im Weg, denn sowohl „gemeinsamer
Unterricht“ als auch „digitale Mediennutzung“ sind im Bildungskontext ambivalent
diskutiert (vgl. Marci-Boehncke 2018) – letzteres offensichtlicher (vgl. Kerlen 2005) als
der Anspruch auf Teilhabe als Menschenrecht im Fall der Inklusion, den man kaum
sozialverträglich abwehren kann. So argumentieren in Bezug auf die Inklusion Kritiker
auch nur mit der Machbarkeit und betonen die Vorteile einer Separierung im Unterricht
mit letztlich der gleichen Zielorientierung wie die Befürworter: einer besseren und
gerechteren individuellen Förderung. Theo Hugs (2003) Überlegungen zur
medienpädagogischen Forschung sind somit eigentlich nicht exemplarisch zu verstehen –
er führt sie „beispielhaft“ an der Frage nach dem Weltwissen globaler Mediengenerationen
aus. Diese Frage ist vielmehr epistemisch-konstitutiv – und so argumentiert Hug letztlich
auch. Weltwissen ist immer nur medial erfassbar und begründet sich in der
Mediatisierung. Insofern kommt er schon 2003 mit Bezug auf Schmidt (2002, S. 92) zu
der – wenn auch noch verhalten vorgebrachten, im Kern jedoch vermutlich rhetorischen
Frage, ob eine „Medienkompetenz“ ein neues Konzept von Bildung darstellen könnte:
“(…) denn im Anschluss an die Beobachtungen, die zur Rede von der Medi-
atisierung der Lebenswelt geführt haben, zeichnet sich ein paradigmatischer
Wandel in der Medientheorie ab. Medialität ist keine optionale Dimension,
die zur Bestimmung von Erziehung, Bildung, Sozialisation, Kommunikation,
Gesellschaft und Kultur quasi hinzukommen kann oder auch nicht, sie
bezeichnet vielmehr die unausweichliche Verfasstheit dieser Bereiche.“
(Hug, 2017, S. 24)
Da Mediatisierung demokratisch im Grunde nur inklusiv gedacht werden kann, um allen
alles zugänglich zu machen, versteht sich „inklusive Medienbildung“ als der epistemische
Kontext einer aktuellen Bildung. Sie ist überall fachspezifisch auszuformen, im Bereich
der Sprachen ist sie jedoch in besonderer Weise selbst mit Gegenstand der
wissenschaftlichen Forschung, weil jede Sprache selbst medial ist und damit in Inhalt,
Form, Technik und Nutzungsweise Reflexionsanlass für die Forschung darstellen sollte.
Betrachtet man nun die Lehramtsausbildung in der Germanistik – und da hat dieser
Beitrag seinen Ausgang genommen und soll auch dorthin zurückführen – dann ist dort
eine paradigmatische Weiterentwicklung gefordert von der „integrierten“ zur „inklusiven“
Medienbildung. Jutta Wermkes Plädoyer für eine Integration von Medien auf der Basis
eines erweiterten Textbegriffes muss heute ergänzt werden um einen erweiterten Kontext
an Handelnden und in konvergenter, digitaler Medienumgebung durch alle
gesellschaftlichen Kulturen und Handlungsebenen. Dieser Begründungszusammenhang
auf Theorieebene – nicht nur auf pädagogischer Ebene – kann Lehrkräften helfen ihr
eigenes medienerzieherisches Handeln immer neu zu überprüfen, zu begründen und zu
Preprint: Von der integrierten zur inklusiven Medienbildung (Nicht seitenidentisch mit der Printversion)13
aktualisieren. Und der Theoriehintergrund muss gleichfalls zum Wissen im Kontext der
Educational Governance gehören, damit hier von politischer Seite (also auf der
Makroebene) und von institutioneller Seite (auf der Mesoebene, vertreten durch die
Schulleitung) Lernkultur begründet und reflektiert gestaltet wird.
„In pädagogischen Einrichtungen kommt den Strukturen und Institutionen
noch eine besondere Bedeutung zu. Denn Personen, die sich in Einrichtungen
bilden, lernen nicht nur im Unterricht, sondern auch durch offene oder
verdeckte Normen dieser Einrichtungen, durch deren Kultur, durch die dort
vorherrschenden Kommunikationsformen etc. Diese sind pädagogisch
durchaus relevanter ‚heimlicher Lehrplan’. Nicht nur die
Lehrerpersönlichkeit ist für den pädagogischen Prozess wichtig, sondern
auch – wie die Organisationspädagogik lehrt – die ‚Persönlichkeit’ der
Einrichtung, in der gelehrt wird.“ (Kruip 2011, S. 20)
Eine inklusive Medienbildung sollte dieses Dach jeder Bildungsinstitution sein. Es ist
nicht nur aus diesem Grund nötig, die normativen Hintergründe – in der internationalen
Forschung heute als Beliefs diskutiert – von Lehrkräften und Entscheidungstragenden in
der Bildungsverantwortung wieder neu in den Blick zu nehmen und als solche sowohl
individuell-reflektierend als auch über epistemische Fundierung kollektiv stärkend mit in
die Ausbildung einzubeziehen.
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