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e-beratungsjournal.net
Fachzeitschrift für Onlineberatung und
computervermittelte Kommunikation
ISSN 1816 - 7632
13. Jahrgang, Heft 1, Artikel 2
2017
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Einführung in die Onlineberatung per Video
Emily M. Engelhardt & Verena Gerner
Zusammenfassung
Onlineberatung wird in der psychosozialen Beratungslandschaft vor allem als anonyme, textbasierte
Form der Beratung verstanden. Im Coaching- und Supervisionsbereich findet inzwischen die
Beratung immer häufiger per Video statt. Die Videoberatung bietet neue Perspektiven und erreicht
andere Zielgruppen und sollte schon aus diesem Grund in Erwägung gezogen werden. Es werden
mögliche Vor- und Nachteile dieses Beratungssettings vorgestellt sowie der Mehrwert dieses Formats
diskutiert. Wie Videoberatung konkret stattfinden kann, wird anhand eines Praxisbeispiels
vorgestellt. Der Artikel schließt mit einigen kritischen Anmerkungen zur zukünftigen (technischen)
Umsetzung von Videoberatung ab.
Schlüsselwörter
Videoberatung, Videocoaching, Videokonferenz, videogestützte Onlineberatung, Telepräsenz,
Videokommunikation
Abstract
Online counseling is perceived in professional circles primarily as an anonymous, text-based form
of counseling. The use of face-to-face video counseling is growing in the coaching and supervision
areas. Video counseling offers new perspectives and targets different groups, which is why it
should be seriously considered. This article outlines the advantages and disadvantages of this form
of counseling and discusses the format's benefits. A practical example demonstrates how face-to-
face video counseling works. The article closes with a critical evaluation of the (technical)
implementation of video counseling in future.
Keywords
videoconferencing, video counseling, telepresence, video communication, video supported online
counseling
Autorinnen
- Emily M. Engelhardt, M. A.
- Pädagogin, Systemische Beraterin & Supervisorin (SG) und Onlineberaterin (DGOB)
- Geschäftsführerin des Instituts für E-Beratung der Technischen Hochschule Nürnberg
Georg Simon Ohm
- freiberufliche Supervisorin
- Kontakt: Web: www.der-dreh.net
E-Mail: engelhardt@der-dreh.net
- Verena Gerner, M.Sc. Sozialökonomik und B.Sc. Psychologie,
- zertifizierte virtuelle Moderatorin und Live-Online-Trainerin
- wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Ansbach
- freiberuflich tätig als Trainerin und Beraterin
- Kontakt: Web: verena.gerner@gmail.com
E-Mail: www.verena-gerner.de
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1. Einleitung
Wie kann die Onlineberatung am Puls der Zeit bleiben? Verglichen mit anderen
Beratungsformen ist Onlineberatung noch relativ jung. Dennoch unterliegt sie,
stärker als alle anderen Formen einem rasanten Wandel, der in der
(technologischen) Weiterentwicklung der digitalen Medien und Kommunikation
begründet liegt, jedoch nicht flächendeckend in der Beratungslandschaft sichtbar
wird. So hat sich die textgebundene Onlineberatung bereits seit einigen Jahren bei
den großen und auch kleineren Trägern von Beratungsangeboten durchgesetzt.
Auch das Selbstverständnis von Onlineberatung und ihrem Platz in der
Beratungslandschaft hat sich in den letzten Jahren gewandelt (Engelhardt & Reindl,
2016).
Die Nutzung digitaler Medien hat sich in den letzten Jahren vor allem hin zu
mobilen Nutzungsvarianten sowie der Nutzung von Audio und Video entwickelt
(ARD/ZDF Onlinestudie, 2016). So besitzen heute zwei Drittel der Bevölkerung ein
Smartphone (Initiative D21, 2016) und die psychosoziale Onlineberatung ist mit
der Frage konfrontiert, welche Rolle moderne, multimediale Kommunikationstools
für die Beratung haben und wie diese sinnvoll eingesetzt werden können.
Besonders im Bereich Supervision und Coaching findet auch im deutschsprachigen
Raum vermehrt Beratung per Video statt. In diesem Beratungsfeld wird unter
Onlineberatung viel häufiger Videoberatung verstanden und die Nutzung
textbasierter Verfahren ist eher unbekannt und weniger verbreitet.
Mit der Frage was Onlineberatung nun eigentlich sei, hat sich bereits 2013 ein
Artikel beschäftigt (Engelhardt & Storch, 2013). Deutlich wird, dass diese Frage
vermutlich niemals eindeutig zu beantworten sein wird. Dies liegt nicht zuletzt an
der Tatsache, dass sich sogenannte Onlinemedien und -kommunikationsformen
dynamisch entwickeln und so immer neue Möglichkeiten, Ausdifferenzierungen
und Beschreibungen von Onlineberatungsformen entstehen.
Während im deutschsprachigen Raum und im psychosozialen Beratungssektor
Onlineberatung nach wie vor überwiegend als textbasierte Beratungsform
verstanden wird (Eichenberg & Kühne, S. 43, 2014), findet man im
englischsprachigen Raum vielfach Definitionen, die die Kommunikation via Video
mit einbeziehen. So ist Zum Beispiel in den Onlineberatungsrichtlinien des
amerikanischen National Board of Certified Counselors (NBCC) auch ein expliziten
Hinweis auf video-gestützte Onlineberatungsverfahren zu finden (Reindl, 2009).
Betrachtet man jedoch die steigende Bedeutung des Mediums Video in der
Internetnutzung (Koch & Frees, 2016), so darf davon ausgegangen werden, dass
sich hieraus auch Implikationen für die Beratung im Netz ergeben. Wie
Onlineberatung per Video konkret aussieht und welchen Mehrwert diese für die
Beratung bietet, möchte der vorliegende Artikel beschreiben und diskutieren.
Hierzu wird zunächst der Versuch einer Definition dieses Formats unternommen.
Es wird dann beispielhaft ein Modell der Videoberatung vorgestellt und anhand
einer Checkliste verdeutlicht, worauf Beratende achten müssen, wenn sie dieses
Angebot bereitstellen möchten. Anschließend wird diskutiert, für welche
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Zielgruppen sich diese Beratungsform eignet und welchen Mehrwert sie generiert.
Abschließend werden zukünftige Einsatzfelder im psychosozialen Bereich
aufgezeigt und beschrieben.
2. Definition Videoberatung
Die psychosoziale Onlineberatung ist nach wie vor von schriftbasierter
Kommunikation geprägt und die sich aus dieser Form der Kommunikation
ergebenden Vorteile (Anonymität, Selbstreflexion, Zeit- und Ortsunabhängigkeit
etc.) sind durchaus signifikant für diese Form der Beratung.
Sucht man nach entsprechenden Begriffsdefinitionen explizit für Videoberatung,
fällt auf, dass in der psychosozialen Beratungsliteratur der Begriff kaum
ausdifferenziert beschrieben wird.
So wird zum Beispiel häufig nicht definiert, was Videoberatung genau ist, sondern
es werden vor allem die Vorteile näher beleuchtet. Es wird hierbei aufgeführt, dass
Videoberatung weitaus komfortabler ist (sofern die Übertragung stabil läuft) als
die Beratung vor Ort, da der Ratsuchende [1] sich nicht extra in die Beratung vor
Ort begeben muss, sondern bequem von Zuhause aus Beratung in Anspruch
nehmen kann (Homepage HypoVereinsbank, o. J.).
Andere Darstellungen (Warschburger, 2009) zielen vor allem darauf ab, welche
Variationen von Videoberatung möglich sind. So wird darauf hingewiesen, dass die
Möglichkeit besteht, dass nur die Beraterin das Videobild aktiviert hat und die
Ratsuchende unsichtbar bleiben kann und lediglich den Audiokanal aktiviert.
Videoberatung wird manchmal als Video-Chat beschrieben und um den
schriftlichen Kanal ergänzt, so dass neben Bild und Audio auch die Übermittlung
von Texten möglich ist oder ein Desktop-Sharing stattfinden kann (CAI, o. J.).
Während Videoberatung meistens als audio-visuelles Kommunikationstool
verstanden wird, das eine quasi-synchrone Gesprächssituation ermöglicht, findet
man auch ein ganz anderes Verständnis von Videoberatung, bei dem das
(gemeinsame) Ansehen und Besprechen eines aufgezeichneten Videos als solches
beschrieben wird (Sirringhaus-Bünder & Bünder, 2005).
Deutlich wird bei allen Beschreibungen, dass es keine eindeutige Definition von
Videoberatung gibt, sondern dass diese immer auch abhängig vom jeweiligen
Einsatzbereich ist. Videoberatung kann als eine bildgestützte, synchrone
Kommunikation von räumlich getrennten Akteuren im Rahmen eines
personenbezogenen Beratungsprozesses verstanden werden. Wenngleich das
Medium Video auch für asynchron stattfindende Kommunikationshandlungen
eingesetzt werden kann (z.B. zum Versenden von aufgezeichneten
Videobotschaften), wird Videokommunikation [2] in Form von Videokonferenzen
(auch “Video-Chat” genannt) den synchronen Kommunikationsformen zugeordnet.
Videoberatung stellt somit neben telefonischer Beratung, E-Mail-Beratung, Chat-
Beratung sowie Beratung über TV/Radio, virtuelle Pinnwände oder Online-
Plattformen eine weitere Form des “distance counseling” dar (Haley 2005, zit. nach
Warschburger, 2009).
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Für die Onlineberatung lässt sich folgende Definition ableiten: Psychosoziale
Videoberatung beschreibt eine Form der Onlineberatung, bei der die
Kommunikation zwischen der beratenden und der ratsuchenden Person synchron
über ein Videoübertragungssystem stattfindet, welches bei Bedarf auch um
textbasierte Kommunikation ergänzt werden kann.
3. Unterschiedliche Arten von Videoberatung
Für das Gestalten synchroner Videokommunikation werden im IT-/Business-
Bereich prinzipiell drei Arten von Videosettings unterschieden (Borghoff &
Schlichter, 2000):
§ Videokonferenzen, die in speziellen Konferenzräumen abgehalten werden
§ Videokonferenzen über Bildtelefone
§ Computergestützte Videokonferenzen bzw. Desktop-Videokonferenzen, die
Echtzeitgespräche basierend auf Audio und Video erlauben
Für die in diesem Artikel dargestellte Videoberatung wird stets die dritte Kategorie,
Desktop-Videokonferenzen, zu Grunde gelegt. Es kann davon ausgegangen
werden, dass Ratsuchende und Beratende mit höherer Wahrscheinlichkeit über
einen internetfähigen PC bzw. Notebook/Tablet/Smartphone mit eingebauter
Webcam verfügen, als über einen speziellen Konferenzraum oder ein Bildtelefon,
welche eher in Unternehmen verbreitet sind.
4. Vor- und Nachteile von Videoberatung
Das audio-visuelle Medium bringt sowohl Vorteile als auch Nachteile mit sich
(Hertel & Konradt, 2007; Kaiser, 2000; Warschburger, 2009). Wie auch in der
textbasierten Onlineberatung ist ein Vorteil offensichtlich: Videoberatung schafft
eine vergleichsweise wenig aufwändige Möglichkeit Beratung in Anspruch zu
nehmen, da die Anreise zu einer Beratungsstelle/dem Coach/der Supervisorin
entfällt. So können Kosten gespart werden und Beratungsprozesse können auch
über eine große Distanz erfolgen. Dies ermöglicht Ratsuchenden wiederum
beispielsweise auch bei Auslandsaufenthalten Beratung im Heimatland in Anspruch
zu nehmen oder aber auf Fachexpertinnen für bestimmte Beratungsthemen
zuzugreifen, die außerhalb ihres näheren Wohnumfeldes verortet sind.
Diese Argumente zeichnen aber noch nicht explizit das Video als Medium aus,
sondern gelten grundsätzlich für alle Formen von „distance counseling“ (Haley,
2005; Warschburger, 2009). Weitaus interessanter ist die Frage, welche Aspekte
die Videoberatung im Speziellen auszeichnet.
Mögliche Vorteile sind:
§ die Übermittlung nonverbaler Signale (Mimik, Gestik)
§ die Möglichkeit Kontextinformationen, die sich im Aufnahmebereich der
Kamera und des Mikrofons befinden zu übertragen
§ die Schaffung von sozialer Nähe durch Telepräsenz
§ das Wahrnehmen von Pausen in der Kommunikation
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§ die Möglichkeit, Feedback schneller und unmittelbarer zu geben und ggf.
Interpretationsfehler zu reduzieren
§ der geringere Zeitaufwand im Vergleich zum Schreiben längerer
Textnachrichten
Weitere Vorteile in der Praxis, wenngleich diese nicht die Videoübertragung für sich
reklamieren kann, sind die Möglichkeit
§ die gesamten Gespräche aufzuzeichnen und „nachschaubar“ zu machen,
wobei der zeitliche Aufwand sicherlich größer ist als beim nochmaligen Lesen
einer E-Mail.
§ zusätzliche Tools zu nutzen (Bildschirmfreigabe, Text-Chat, Whiteboard),
welche in Videokommunikationslösungen oft vorhanden sind. Hierbei tritt
der Videokanal ggf. in den Hintergrund, da die Wahrnehmung auf die
verwendeten Tools fokussiert wird.
Als Nachteile könnten folgende Faktoren gelten:
§ hohe technische Anforderungen (Bandbreite, Equipment, Bedienung)
§ fehlende Möglichkeit des direkten Augenkontakts
§ Gefahr zusätzlicher Irritationen dadurch, dass die Kameras meist auf oder
unter dem Projektionsmedium stehen, was dazu führt, dass die
Gesprächsteilnehmer aneinander vorbeischauen (müssen)
§ Kognitive Überforderung durch das ständige Fixieren des Bildschirms, das
die Konzentration auf die eigentlichen Kommunikationsinhalte erschwert
und zur Ermüdung führen kann
§ hoher Aufwand für kurzen Nachrichtenaustausch durch organisatorische und
vorbereitende Maßnahmen
Bei Videokonferenzen wirkt sich zudem negativ aus, wenn die auditiven und die
visuellen Ereignisse aufgrund technischer Übertragungsprobleme nicht
synchronisiert sind (Hertel & Konradt, 2007). Für eine flüssige
Videobildübertragung, die auch einen störungsfreien Beratungsprozess ermöglicht,
bedarf es daher einer schnellen und stabilen Internetverbindung. Dies ist auch
heute noch nicht flächendeckend gegeben. Besonders in ländlichen Gegenden, wo
das Angebot an Beratungsmöglichkeiten eher gering ist und der Einsatz von
Videoberatung besonders relevant sein könnte, sind die Netze oft noch nicht
entsprechend ausgebaut. Aber auch in besser ausgestatteten Regionen kann es
Hürden geben z.B. durch die mangelnde Ausstattung und Infrastruktur der
Beratungsinstitution.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Videoberatung - zumindest
ausschnittsweise - einen direkten Einblick in die Lebenswelt/Umgebung der
Ratsuchenden, aber auch in die Beratungsstelle/Praxis der beratenden Person
schafft. Für Menschen mit körperlichen Einschränkungen bietet sie die Möglichkeit
nur so viel von sich zu zeigen, wie sie möchten. Und Menschen mit psychischen
Einschränkungen erhalten die Möglichkeit ein dem face-to-face Kontakt ähnliches
Gespräch zu führen, ohne hierfür direkten face-to-face Kontakt haben zu müssen.
Gleichwohl können die hohen technischen Anforderungen auch Schwierigkeiten mit
sich bringen, die den Beratungsprozess eher behindern statt fördern.
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5. Praxisbeispiel einer Videoberatung
Nachfolgend wird ein Praxisbeispiel aus dem Coaching-Bereich vorgestellt, welches
Impulse für eine Online-Beratung per Video liefert. Das videogestützte Karriere-
Coaching ist in die Phasen „Voraussetzungen und Vorbereitung“, „Durchführung“
und „Nachbereitung“ unterteilt.
5.1 Voraussetzungen und Vorbereitung
Wie auch in anderen Formen der computergestützten Beratung werden an beide
Kommunikationspartner (Coach und Coachee) technische Voraussetzungen
gestellt. Während für die textbasierte Beratung via E-Mail oder Chat ein
internetfähiges Endgerät (z.B. PC, Notebook, Tablet, Smartphone) ausreichend ist,
fordert die Video-Kommunikation zusätzlich eine Webcam sowie einen Audio-
Eingang und -Ausgang. Diese sind in modernen Geräten oft integriert, können aber
auch separat nachgerüstet werden. Weiterhin wird aufgrund der hohen Bandbreite,
die die Videokommunikation ermöglicht bzw. verursacht, eine schnelle und stabile
Internetverbindung benötigt, wobei die Kabelverbindung als verlässlicher und
stabiler gilt als WLAN.
Neben der Hardware wird eine entsprechende Software zur (Audio- und)
Videoübertragung benötigt (siehe auch Marktüberblick Webkonferenz-Software,
2016). Die aktuell am Markt verfügbaren Systeme unterscheiden sich u.a.
hinsichtlich ihres Funktionsumfangs, ihrer Lizenzmodelle und ihres
Serverstandorts. Vielen Systemen ist jedoch gemein, dass sie nicht nur
Videokonferenzen unterstützen, sondern auch weitere Kommunikationswerkzeuge
(z.B. Text-Chat) integrieren und Datenkonferenzen (z.B. Bildschirmfreigabe)
ermöglichen. Daher wird auch oft von Webkonferenzen bzw.
Webkonferenzsystemen gesprochen.
Im vorliegenden Praxisfall wurde das Webkonferenzsystem „Zoom“ gewählt. Es
bietet eine hochauflösende Videobildübertragung und der Coachee kann ohne
Account/Registrierung an den Online-Sitzungen teilnehmen.
Für den ungestörten Ablauf der Videoberatung haben sich folgende vorbereitende
Maßnahmen bewährt:
§ Ein ruhiger Arbeitsplatz, der Hintergrundgeräusche und
„Durchgangsverkehr“ minimal hält.
§ Der von der Kamera erfassbare Hintergrund sollte zudem neutral und
reizarm sein, um Irritationen zu vermeiden.
§ Hilfreich für die Wahrnehmung ist eine gute Ausleuchtung des Gesichts, also
Licht von vorne.
§ Zudem sollte die Kamera so platziert werden, dass die Blickrichtung der
Augen und die Kamera auf einer Linie sind, um den Eindruck eines „Von-
oben-Herabschauens“ bzw. „Von-unten-Hinaufschauens“ zu vermeiden.
§ Neutrale, reizarme Kleidung; auf grelle Rottöne verzichten.
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Diese Maßnahmen werden vor allem den Beratenden als Ausgestaltung des
professionellen Handelns empfohlen. Sie können zur Unterstützung des
Beratungsprozesses auch an den Ratsuchenden weitergegeben werden; deren
Umsetzung kann jedoch weder vorausgesetzt noch erwartet werden.
Wie für synchrone Online-Meetings müssen auch für synchrone Online-
Beratungssitzungen die KommunikationspartnerInnen zum Konferenztermin
eingeladen und vorbereitet werden (Seifert & Kerschbaumer, 2011).
In dem hier vorgestellten Beispiel wurde eine Informationsmail mit folgenden
Informationen an die Ratsuchende versendet:
§ Termin der Videokonferenz (zuvor bereits abgestimmt)
§ Zugangsdaten für die Einwahl in das Videokonferenzsystem
§ benötigte technische Voraussetzungen
§ empfohlene vorbereitende Maßnahmen
§ Verhalten bei technischen Schwierigkeiten
§ telefonische Kontaktdaten der Beraterin
5.2 Durchführung
Im Praxisbeispiel „Karriere-Coaching“ wurden drei synchrone Online-Sitzungen à
60-90 Minuten im Abstand von jeweils etwa vier Wochen durchgeführt. Das erste
Kennenlernen erfolgte in einem klassischen Präsenzsetting, so dass hier von einem
Blended Counseling-Prozess (Weiß & Engelhardt, 2011; Engelhardt & Reindl, 2016)
gesprochen werden kann. Die Termine für die Online-Sitzungen per Video wurden
beim ersten Treffen vor Ort vereinbart.
Zu Beginn der ersten Online-Sitzung erfolgte eine minimale Einweisung in das
Konferenzsystem und einiger wichtiger Bedienelemente. Für die Videoübertragung
haben Coach und Coachee die „Speaker Ansicht“ gewählt, die es ermöglicht, das
Gegenüber in einem großen Fenster zu sehen, während das eigene Videobild
lediglich in einem kleinen Fenster angezeigt wird und dadurch in den Hintergrund
tritt.
Nach einer kurzen Phase des Smalltalks und Beziehungsaufbaus folgte der
inhaltliche Einstieg in die Beratung. Im ersten Schritt wurde das Anliegen der
Klientin konkretisiert und die Ziele für den Beratungsprozess herausgearbeitet. Aus
diesen Zielen konnten durch entsprechendes Nachfragen des Coachs konkrete
Themen bzw. Arbeitspakete geschnürt werden.
Zur Dokumentation und Visualisierung der identifizierten Themen wurde die
Videokonferenz um die Funktion der Datenkonferenz erweitert. Hierbei wurden die
Notizen in einer Datei festgehalten, welche vom Coach mittels Bildschirmfreigabe
für beide Kommunikationspartnerinnen sichtbar gemacht wurden.[3]
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Die schriftliche Dokumentation sowie die Funktion der Bildschirmfreigabe wurde
im weiteren Verlauf der Sitzung noch häufiger genutzt (zum Beispiel für den
Lebenslauf-Check sowie für das gemeinsame Betrachten und Diskutieren einer
Stellenanzeige im Internet). Für das lösungsorientierte, mündliche Arbeiten an
persönlichen Problemstellungen sowie für das Abschlussfeedback stand wieder die
Videobildübertragung im Vordergrund.
Zum Ende der Sitzung erklärte der Coach, auf welche Weise der Konferenzraum
verlassen werden kann. Die Kommunikationspartner verabschiedeten sich mit
einem Winken in die Kamera.
5.3 Nachbereitung
Im Anschluss an die jeweiligen Online-Sitzungen hat der Coach dem Coachee die
Dokumentation des Besprochenen per E-Mail zugeschickt. Falls es Hausaufgaben
zwischen zwei Terminen gab, wurden auch diese noch einmal in schriftlicher Form
mitgeteilt.
In die Phase der Nachbereitung fallen auch das Identifizieren von
Verbesserungspotenzial sowie das Erforschen technischer Probleme, sofern diese
aufgetreten sind.
6. Der Mehrwert von Videoberatung und zukünftige Einsatzfelder
Die Media-Richness-Theory nach Draft & Lengel besagt, „dass ein Medium umso
effektiver dazu beträgt, die Mehrdeutigkeiten in einer gegebenen
Kommunikationssituation zu bewältigen, desto größer die von ihm gewährleistete
Reichhaltigkeit der übertragbaren Informationen ist“ (Fraas, Meier & Pentzold
2012, S. 95). Im Vergleich mit anderen Formen des „distance counseling“ wird bei
der Videoberatung diese Reichhaltigkeit in vergleichsweise großer Form
geschaffen.
Was heißt dies für die Beratung im Allgemeinen und für die Onlineberatung im
Besonderen? Wenn davon ausgegangen wird, dass Beratung ein komplexer
Kommunikationsprozess ist, bei dem es wichtig ist, Ambiguität zu reduzieren und
zu einer gemeinsamen Deutung einer Situation zu gelangen, dann müsste
anzunehmen sein, dass dieser Prozess am effektivsten durch ein synchrones,
reichhaltiges Medium wie dem Videokanal, unterstützt würde. Bei der
Videoberatung werden viele Kontext-Informationen automatisch mitübertragen,
ohne dass diese explizit formuliert werden müssen (wie es dagegen beispielsweise
bei der Mailberatung der Fall ist). Dadurch können die Vorteile der verbalen und
nonverbalen Kommunikation (Zeitersparnis, Spontaneität, schnelles Nachfragen,
etc.), welche auch oftmals gewohnter und vertrauter ist, genutzt werden. Offen
bleibt, ob diese Reichhaltigkeit der Signalübertragung zu einer qualitativen
Verbesserung des Beratungsgesprächs beiträgt. Trotz einer gewissen Nähe zur
Face-to-Face-Situation muss den Beratenden bewusst sein, dass ihnen nur ein
Ausschnitt übermittelt wird und gegebenenfalls wichtige Kontextinformationen
(z.B. verkrampfte Hände, unruhiges Fußwippen) nicht wahrgenommen werden
können. Zudem kann es für Ratsuchende – je nach Anlass und Zielsetzung der
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Beratung – besonders hilfreich oder aber extrem unangenehm sein, ihr eigenes
Videobild übertragen und den Übertragungsausschnitt selbst ansehen zu müssen.
Die Vielfalt onlinefähiger (Beratungs-)Medien ermöglicht es, immer passgenauere
und zielgruppenspezifischere Angebote zu entwickeln. Die Medienwahl der
KlientInnen erfolgt in diesem Zusammenhang sehr individuell und anlassbezogen
(Reindl, 2009). So ist es inzwischen keine neue Erkenntnis mehr, dass bestimmte
Personenkreise die klassische Beratung vor Ort niemals in Anspruch nehmen
würden und die Onlineberatung für sie sogar den einzigen Zugang zu einer
Beratung darstellt (Wenzel 2013). Gleichwohl müssen sich auch Onlineberatende
darüber bewusst sein, dass Onlineberatungsangebote, die textbasiert stattfinden,
ebenfalls viele Zielgruppen per se ausschließen. Personen, die Schwierigkeiten
haben, sich schriftlich auszudrücken (aufgrund kognitiver oder sprachlicher
Barrieren), werden eine textbasierte Onlineberatung kaum nutzen.
Vor der Entwicklung von Videoberatungsangeboten ist daher zunächst zu klären,
ob das Angebot überhaupt geeignet ist, um die Zielgruppe zu erreichen und wie
dieses gestaltet sein muss, um einen Nutzen für die Beratung zu generieren.
Der Einsatz von softwaretechnischen Lösungen, die es vor allem den Beratenden,
die der Verschwiegenheitspflicht nach § 203 StGB unterliegen, ermöglichen,
Onlineberatung per Video auf einem (rechtlich) sicheren Weg anzubieten ist eine
wesentliche Voraussetzung für die Umsetzung eines solchen Angebots. Derzeit
wird in der Praxis jedoch noch häufig auf datenunsichere (und kostenlose)
Videokommunikationstools wie Skype u. ä. zurückgegriffen. Diese sind für
vertrauliche Beratungsinhalte nicht geeignet und bringen ggf. strafrechtliche
Konsequenzen mit sich, was einigen Beratenden nicht bewusst zu sein scheint.
Abseits dieser technischen und datenschutzrechtlichen Diskussion bietet die
Videoberatung unterschiedlichen Zielgruppen einen inhaltlichen Mehrwert. So ist
auch der Einsatz von Videoübertragung im Rahmen von Gruppenangeboten
denkbar. Hierbei könnten die Ratsuchenden weiterhin anonym bleiben und ihre
Fragen schreiben, während die Beratenden per Video und Ton (mündlich)
antworten können. Dies bietet den Ratsuchenden die Möglichkeit die beratende
Person quasi-live kennen zu lernen und könnte die Entscheidung, die Beratung vor
Ort aufzusuchen, erleichtern. Auch für die eigene Qualitätssicherung bietet die
Videoberatung Vorteile, da Beratungssequenzen leicht aufgezeichnet und
anschließend ausgewertet werden können.
7. Ausblick und Fazit
Im Kontext von Beratung geht es zunächst immer um Kommunikation. Und diese
Kommunikation möglichst optimal zu gestalten ist Aufgabe der Beraterin. Insofern
ist es hilfreich, sich unterschiedlicher Medien für die Gestaltung der
Kommunikation zu bedienen. Hierbei können folgende Fragen hilfreich
unterstützen:
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§ Was ist das Ziel der Kommunikations- und Beratungssituation?
§ Um welche Aufgaben und Kommunikationsinhalte handelt es sich?
§ Wie sind die Rahmenbedingungen? (organisatorisch, technisch, zeitlich,
etc.)
§ Wer soll erreicht werden? (besteht z. B. der Bedarf nach Anonymität -
ja/nein?)
Bei der Frage, wo Videoberatung künftig eingesetzt werden kann, sollte vor allem
im Vordergrund stehen, wo sie einen Nutzen stiften kann. Erste Beispiele wurden
hierfür bereits genannt.
Es ist zum Beispiel davon auszugehen, dass gerade im Rahmen von Blended
Counseling Prozessen (Weiß & Engelhardt, 2011; Engelhardt & Reindl, 2016) die
Beratung per Video künftig eine Rolle spielen wird, da diese Beratungsform von
der Nutzung vielfältiger Medienkanäle und Settings profitiert.
Abseits der Beratung kann das Medium Video auch für andere Zwecke eingesetzt
werden: Für Öffentlichkeitsarbeits- und Informationszwecke können (asynchrone)
Videobotschaften genutzt werden. Vorstellungsvideos auf der Webseite der
Beratungseinrichtung können eine erste Orientierung über das bieten, was
Ratsuchende dann vor Ort erwartet. Ebenso können aufgezeichnete
Erfahrungsberichte oder kleine Tutorials zu bestimmten beratungsrelevanten
Themen eine sinnvolle Ergänzung darstellen.
Zu klären und zu prüfen bleibt künftig, welche Methoden, die aus der Face-to-
Face-Beratung, aber auch aus der textbasierten Onlineberatung bekannt sind, auf
die Videoberatung übertragen werden können. Ebenso wird es darum gehen, neue
Interventionen zu entwickeln, die den Besonderheiten des Video-Settings gerecht
werden. Zudem wird die Akzeptanz und Wirksamkeit von Videoberatung und der
im Rahmen dieser verwendeten Methoden und Interventionen zu evaluieren sein.
Wesentlich ist wie immer: Nur weil (fast) alles möglich ist, muss man nicht alles
tun. Die Videoberatung sollte als ein weiterer Baustein einer sich medial
ausdifferenzierenden Beratungslandschaft verstanden werden. Dort, wo sie
nutzbringend eingesetzt werden kann und vor allen Dingen die notwendigen
Rahmenbedingungen vorhanden sind, kann sie auch als eine neue, kreative
methodische Intervention einen Beitrag leisten.
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Anmerkungen
[1] Die abwechselnd gewählte männliche bzw. weibliche Form steht jeweils pars pro toto, wechselt
je nach Kontext und stellt keine Bewertung des jeweils anderen Geschlechts dar.
[2] Bei der Videokommunikation wird die Audio-Übertragung implizit mit eingeschlossen -
korrekterweise müsste es Audio-Video-Kommunikation bzw. Audio-Video-Konferenz heißen.
[3] Die lokale Speicherung von Beratungsinhalten auf dem PC des Beraters sollte ohne
personenbezogene Daten des Klienten erfolgen. Im hier beschriebenen Beispiel wurden lediglich die
Beratungsthemen stichwortartig aufgenommen. Wünschenswert wäre eine softwaretechnische
Lösung, die es ermöglicht auch umfangreichere Dokumentationen webbasiert zu erstellen und zu
speichern. Bislang ermöglicht die auf dem Markt befindliche Onlineberatungssoftware in der Regel
nur das geschützte Versenden von Dateianhängen. Die Erstellung dieser Dateianhänge erfolgt in der
Regel aber noch immer auf dem Rechner des Beraters bzw. der Klientin und wird dort lokal
gespeichert.
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Wenzel, J. (2013). Wandel der Beratung durch Neue Medien. Göttingen: V&R
unipress.