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Führungskompetenzen 2030: Ein delphi-basiertes Kompetenzprofil

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Abstract

Welche Kompetenzen benötigen Führungskräfte im Jahr 2030 und wie gut werden diese erfüllt werden? Diesen beiden Fragen wurde im Rahmen einer zweistufigen Delphi-Studie nachgegangen. Dabei wurden insgesamt 20 Führungskompetenzen von Personalexperten bewertet. Die erwarteten Kompetenzanforderungen und die Kompetenzausprägungen wurden in eine Rangfolge gebracht, um die drängendsten Personalentwicklungsbedarfe aufzudecken.
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Der Erfolg von Unternehmen hängt von verschiedenen en-
dogenen und exogenen Faktoren ab. Unter den endogenen
kommt aus Sicht des Ressource-based View bezie-
hungsweise Competence-based View den organisa-
tionalen Kompetenzen, die wiederum auf individuel-
len Kompetenzen basieren, eine zentrale Rolle zu. Als
Teilmenge dieser wiederum sind die Kompetenzen
der Führungskräfte, die die Geschicke einer Organi-
sation oder Teile derselben steuern, besonders her-
vorzuheben.
Führungskräfte weisen Mitarbeiter an, welche
Aufgaben diese zu erledigen haben. Die Gefolgschaft
der Mitarbeiter ist dabei allerdings bekanntlich nicht
trivial. Fehlende Motivation, Eigeninteressen, Über-
forderung und schlechter Führungsstil sind nur ei-
nige Stichworte, die deutlich machen, dass diese
Koordinationsaufgabe oft eine Herausforderung dar-
stellt und somit besondere Kompetenzen erfordert,
mithin: Führungskompetenzen. Diese stellen eine
Querschnittskompetenz dar und setzen sich aus ver-
schiedenen Einzelkompetenzen zusammen, die nicht
nur für Führungskräfte relevant sind, aber im Allge-
meinen mit steigender hierarchischer Position höher
ausgeprägt sein müssen.
Führungskompetenz-Profile
Um welche Einzelkompetenzen handelt es sich? Mit
dieser Frage haben sich verschiedene Untersuchun-
gen auseinandergesetzt. Als Ausgangsbasis diente
uns vornehmlich das Kompetenzprofil von Heyse
(2012).
Die Anforderungen an zukünftige Führungskräfte
und die damit einhergehenden in der Zukunft verlang-
ten Kompetenzen werden sich wahrscheinlich vom
heutigen Kompetenzprofil unterscheiden. Daher wur-
den in einer weitergehenden Literaturauswertung die
zukünftigen Herausforderungen der Arbeitswelt – wie
kontinuierlicher Wandel, fluide Unternehmensgren-
zen, neue Arbeitsformen, temporäre Projektarbeit,
Einsatz neuer Technologien, virtuelle Zusammen-
arbeit und höhere Diversität sowie Interkulturalität
von Teams – und das zu deren Bewältigung erforder-
liche Set an Kompetenzen erkundet und somit die Lis-
te von Heyse überarbeitet.
Studiendesign
Zur Entwicklung des angestrebten Szenarios wurde
eine Delphi-Studie durchgeführt. Die Ursprünge diese
Methoden reichen auf das Jahr 1953 zurück, als sie
bei der RAND Corporation, einem militärnahen Think-
Tank, entstand. Da der Mensch auf seine zukünftige
Entwicklung Einfluss hat, so die Ausgangsbasis der
Methode, gelten keine naturgesetzlichen Kausalzu-
sammenhänge, sondern soziale Intentionen, Interak-
tionen, Emergenzen und Zufälle, sodass eine exakte
Prognose nicht möglich ist. Daher setzt die Delphi-
Studie auf subjektive Expertenmeinungen. Im Gegen-
satz zur Szenario-Methode, deren Ziel es ist, multiple
Ein delphibasiertes Kompetenzprofil
Führungskompetenzen2030
Welche Kompetenzen benötigen Führungskräfte im Jahr 2030 und wie gut werden diese
erfüllt werden? Diesen beiden Fragen wurde im Rahmen einer zweistufigen Delphi-Studie
nachgegangen. Dabei wurden insgesamt 20 Führungskompetenzen von den Personal-
experten bewertet. Die erwarteten Kompetenzanforderungen und die Kompetenzausprä-
gungen wurden in eine Rangfolge gebracht, um die drängendsten Personalentwicklungs-
bedarfe aufzudecken.
Autoren |
JosephinWolf, M. Sc.
Betriebswirtschaftslehre,
arbeitet aktuell als Ge-
schäftsentwicklerin/
Strategin innerhalb der
Verkehrsbranche. Sie ab-
solvierte ihr Studium der
Betriebswirtschaftslehre
an der Universität Potsdam
mit den Schwerpunkten
Führung, Organisation &
Personal sowie Corporate
& Professional Services.
Dr.Dr. Victor Tiberius,
Universität Potsdam, Wirt-
schafts- und Sozialwissen-
schaftliche Fakultät, Pro-
fessur Betriebswirtschafts-
lehre mit dem Schwerpunkt
Führung, Organisation und
Personal
tiberius@uni- potsdam. de
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alternative Zukunftsentwicklungen zu explorieren,
generiert die Delphi-Methode ein einziges Szenario,
nämlich das mit der höchsten Eintrittswahrschein-
lichkeit. Dieses entsteht, indem die Respondenten
zu ihrer Einschätzung zu vorgelegten Thesen gebeten
werden. Dabei findet eine sequenzielle, iterative Be-
fragung in mehreren (meist zwei) Runden statt:Die
gegebenen Antworten der ersten Befragungsrunde
werden dabei zur zweiten Runde offengelegt. Auf
diese Weise erhofft man sich eine Reduzierung der
Streuung der Antworten und somit eine Konvergenz
der Meinungen.
Für die hiesige Studie wurden interdisziplinäre
Experten als Respondenten rekrutiert. Diese arbei-
ten bereits seit mehreren Jahren in der Unterneh-
mensführung oder im Bereich Personalmanagement,
oder sie haben Veröffentlichungen zur Zukunft der
Arbeit beziehungsweise Forschungsinteressen oder
Arbeitsgruppen auf diesem Gebiet vorzuweisen, oder
aber sie können eine durch Beratung beziehungs-
weise Coaching umfassende Berufserfahrung mit
Führungskräften vorweisen. Die Experten stammen
dabei aus verschiedenen Branchen. In der ersten Be-
fragungsrunde nahmen 280, in der zweiten 59 Per-
sonenteil.
Die in Abbildung 2 genannten Kompetenzen
wurden den Respondenten zur Bewertung der Kom-
petenzanforderung sowie der erwarteten Kompetenz-
ausprägung auf einer achtstufigen Likert-Skala vor-
gelegt.
Aufbau anderer Kompetenzen
Die Ergebnisse der zweiten Befragungsrunde, die im
Vergleich zur ersten Runde keine tektonischen Ver-
schiebungen aufweisen, sind in Abbildung 1 zusam-
mengefasst.
Die fünf von Heyse als wichtigste identifizierten
Kompetenzen sind ergebnisorientiertes Handeln,
zielorientiertes Führen, Glaubwürdigkeit, Entschei-
dungsfähigkeit und Tatkraft. Vier davon (außer Glaub-
würdigkeit) zählen zu den aktivitäts- und handlungs-
bezogenen Kompetenzen. Im Gegensatz dazu zeigt
die Delphi-Studie, dass diese Kompetenzkategorie
zukünftig wahrscheinlich die geringste Relevanz auf-
weisenwird.
Insgesamt ist das alte Kompetenzprofil sehr stark
planungs- und steuerungsorientiert und besonders
auf die Führungskraft selbst bezogen. Im neuen Kom-
petenzprofil liegen die Schwerpunkte eher auf Ver-
änderung (inklusive Anpassung) und sind stärker auf
Kommunikation und Zusammenarbeit bezogen.
Beides zeigt, dass sich das zukünftige Profil doch
recht stark vom heutigen unterscheidet. Um den künf-
tigen Kompetenzanforderungen gerecht zu werden,
besteht mithin Handlungsbedarf. Der Fokus muss auf
den Aufbau anderer Kompetenzen gelegt werden.
Die Respondenten wurden nicht nur befragt, wel-
che Kompetenzen sie in der Zukunft als besonders
entscheidend erachten, sondern auch, wie gut diese
erwartungsgemäß ausgeprägt sein werden. Das Kom-
petenzausprägungsprofil ergibt sich aus Abbildung2.
Insgesamt liegen die Ausprägungserwartungen
alle unterhalb der Anforderungserwartungen, so dass
die Respondenten davon ausgehen, dass ein Kompe-
tenzdefizit besteht.
Abb. 1:Kompetenzanforderungsprofil2030
(Quelle:Eigene Darstellung)
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Handlungsbedarfheute
Die employabilitybezogenen Module in Studiengän-
gen und unternehmensspezifische Personalentwick-
lungsmaßnahmen umzustellen, dauert seine Zeit;
diese als Führungskraft zu durchlaufen, ebenfalls.
Vor diesem Hintergrund entsteht bereits heute ein
Handlungsbedarf.
Auch wenn alle 20 Einzelkompetenzen relevant
sind (die geringste Ausprägung liegt bei 5,9 von 8),
beschränken wir uns aus Platzgründen im Folgenden
auf die drei Kompetenzen mit der höchsten Bedeu-
tung sowie dem höchsten erwarteten Kompetenzdefi-
zit, da bei diesen der Kompetenzentwicklungsbedarf
am stärksten ausgeprägtist.
Zukunftskompetenz Flexibilität
Flexibilität wird als wichtigste zukunftsrelevante Kom-
petenz betrachtet. Die Experten gehen jedoch davon
aus, dass sie unzureichend vorhanden sein wird. Im
Kompetenzprofil von 2012 kam sie nichtvor.
Flexibilität im hier verstandenen Sinne kann als Fä-
higkeit betrachtet werden, auf insbesondere unvor-
hergesehene Veränderungen angemessen und wei-
terhin zielorientiert reagieren zu können. Kompetenz-
entwicklungsmaßnahmen müssen dementsprechend
auf den gezielten Einsatz von Veränderungsmomen-
ten, insbesondere zu unerwarteten Zeitpunkten, set-
zen, um Flexibilität einzuüben. Dies können Ziel- oder
Mitteländerungen sein, die auf halber Strecke der
Projekt- beziehungsweise Aufgabenerledigung vorge-
nommen werden. In Planspielen ändern sich plötzlich
die Umweltbedingungen, was eine Ziel- oder Hand-
lungsanpassung erforderlich macht. In Rollenspielen
ändert ein Partizipierender plötzlich seine Meinung.
In einem Team wechseln die Teamrollen. Solche Maß-
nahmen lösen zunächst Stress aus. Nicht ohne Grund
wird die Flexibilisierung der Arbeitswelt (die allerdings
auf eine flexiblere Abrufbarkeit der Humanressourcen
setzt) insbesondere von der Industriesoziologie kri-
tisch betrachtet. Das Ziel von flexibilitätssteigernden
Entwicklungsmaßnahmen ist dagegen gerade die Er-
höhung der Stressreaktanz der Führungskräfte. Denn
dass ein höheres Maß an Flexibilität schon allein auf-
grund dynamischerer Umweltveränderungen erfor-
derlich ist, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden. In-
sofern ist nicht die Flexibilität zu bekämpfen, sondern
deren negative intrapersonale Auswirkungen.
Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass neuen
Anforderungen nicht allein durch die hier fokussierten
Personalentwicklungsmaßnahmen begegnet werden
kann. Auch Maßnahmen der Organisationsentwicklung
sind dazu geeignet, etwa die organisationale Flexibili-
tät zu erhöhen. Exemplarisch zu nennen sind hier:Er-
höhung des Organizational Slacks, Reduzierung von
starren Regeln und Begünstigung von Regeländerun-
gen, weitere Reduzierung von Hierarchien zugunsten
von Heterarchien und temporären Organisationsfor-
men (insbesondere Projektorganisation), stärkere Zu-
sammenarbeit mit externen, wechselnden Partnern
(zum Beispiel Crowdsourcing), kurzfristigere Planungs-
horizonte und interaktive Planungs- und Steuerungs-
methoden mit größeren Zeitpuffern und anderes.
Kommunikationsfähigkeit neuüben
Ein ähnliches Bild ergibt sich für die Kommunikations-
fähigkeit, die im Anforderungsprofil auf dem zweiten
Abb. 2:Kompetenzausprägungsprofil2030
(Quelle:Eigene Darstellung)
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Literatur |
Freiling, J./Wilkens, U./
Rasche, Ch.:Wirkungs-
beziehungen zwischen
individuellen Fähigkeiten
und kollektiver Kompetenz–
ein einleitender Überblick.
In:Freiling, J./Rasche, Ch./
Wilkens, U.(Hrsg.): Jahrbuch
Strategisches Kompetenz-
Management. München
2008,S. 1–4
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petenzen ausbauen:Kom-
plementäre Fähigkeiten
entwickeln. In:Faix, W.G.
(Hrsg.):Kompetenz. Stutt-
gart 2012, S. 211–233
Schreyögg, G./Eberl, M.:
Organisationale Kompeten-
zen. Grundlagen – Modelle –
Fallbeispiele. Stuttgart2015
Tiberius, V.:Grundzüge
der Zukunftsforschung.
In:Tiberius, V.(Hrsg.):
Zukunftsorientierung in der
Betriebswirtschaftslehre.
Wiesbaden2011
Platz, im Ausprägungsprofil nur auf dem elften Platz
landet.
Führungskräfte sollten im Rahmen von Perso-
nalentwicklungsmaßnahmen über herkömmliche
Rhetorik- und Körperspracheseminare hinaus üben,
Kommunikationswege und -routinen einzuhalten
(Verlässlichkeit), Mitarbeiter stärker an der Entschei-
dungsfindung partizipieren zu lassen und die Sinn-
haftigkeit von Entscheidungen zu erklären (nicht nur
Was“, sondern auch „Warum“). Auch wenn die Di-
versitäten-Sensibilität und -Integration nur im Mittel-
feld der Wichtigkeit landet, ist hier insbesondere an
interkulturelle Kommunikation und nach wie vor an
das Thema Fremdsprachen zu denken. Wenn man die
Beziehungs- (Platz 6), Kooperations- (Platz 10) und
Konfliktlösungsfähigkeit (Platz 14)mit der Kommu-
nikationsfähigkeit in einen Zusammenhang bringt,
wird deutlich, dass nicht nur der Inhalts-, sondern vor
allem der Beziehungsaspekt zwischen Sender und
Empfänger verstärkter Aufmerksamkeit bedarf.
Bei Lernbereitschaft und Projektmanagement-
Kompetenz sind die Diskrepanzen nicht so erheblich,
so dass wir hierauf nicht eingehen. Dies bedeutet
gleichwohl nicht, dass sie unwichtig wären. Die gerin-
gen Diskrepanzen deuten darauf hin, dass die Kompe-
tenzen bereits heute recht gut ausgeprägt sind. Da die
Arbeit in Projekten für heutige Führungskräfte eher
die Regel als die Ausnahme darstellt, sind entspre-
chende Fähigkeiten entsprechend gut eingeübt. Das
organisationale Lernen beziehungsweise die lernende
Organisation sind seit gut 30 Jahren Trendthemen, so
dass auch hier davon ausgegangen werden kann, dass
sie mittlerweile gut in der Praxis angekommensind.
Innovationsfähigkeit steigern
Wenn es um die Zukunft geht, verwundert nicht, dass
Innovationsfähigkeit weit oben, hier auf Platz fünf des
Anforderungsprofils, landet. Bei den Ausprägungser-
wartungen schneidet sie hingegen nicht gutab.
Wenn es um Personalentwicklungsmaßnahmen
geht, die die individuelle Innovationsfähigkeit stei-
gern, sind die Begriffe und Konzepte ebenfalls nicht
neu. Sie müssen nur künftig noch konsequenter
umgesetzt werden und dürfen nicht nur von einem
kleinen Prozent- oder Promilleanteil der Mitarbeiter
praktiziert werden. Im Vordergrund steht auf der
individuellen Ebene die Steigerung der Kreativität.
Viele Unternehmen halten Brainstorming immer
noch für eine geeignete Kreativitätsmethode. Oft-
mals ist sie gar die einzige bekannte. In den meisten
Fällen geht es darum, zwei bestehende Ideen aus
verschiedenen Domänen in sinnvoller Weise mitei-
nander zu verknüpfen, wofür es zahlreiche andere
und vor allem bessere Methoden als Brainstorming
gibt. In Workshops können Führungskräfte diver-
gentes und konvergentes Denken, die beiden dazu
erforderlichen Prozessschritte, einüben. Zukunfts-
werkstätten und Zukunftskonferenzen eignen sich
sehr gut, sich gedanklich vom Hier-und-Jetzt erst
zu entfernen, um danach wieder zurückzukehren.
Schließlich stellt das Intrapreneurship einen sehr
attraktiven, innovationsrelevanten Ansatz dar, von
dem viel gesprochen, der aber noch zu wenig einge-
setzt wird. Nur wenige Führungskräfte kommen mit
der Entwicklung von Geschäftsmodellen tatsächlich
in Berührung.
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Chapter
Um die Zukunftsorientierung der Betriebswirtschaftslehre und insbesondere ihren konzeptionell und methodisch anspruchsvollen Umgang mit „Zukunft“ zu fördern, liegt es auf der Hand, diejenige Disziplin näher in den Blick zu nehmen, die sich wie keine andere „Zukunft“ zum Thema gemacht hat. Das Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, vor diesem Hintergrund ein kurzes Portrait der Zukunftsforschung zu zeichnen.
Führungskompetenzen ausbauen: Komplementäre Fähigkeiten entwickeln
  • V Heyse
Heyse, V.: Führungskompetenzen ausbauen: Komplementäre Fähigkeiten entwickeln. In: Faix, W. G. (Hrsg.): Kompetenz. Stuttgart 2012, S. 211-233