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Erschienen in Report Psychologie, 2018, 43, 200-207
Psychologie der Freundschaft
Franz J. Neyer1 und Cornelia Wrzus2
1Friedrich-Schiller-Universität Jena, 2Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Franz J. Neyer, Institut für Psychologie, Friedrich-Schiller-
Universität Jena, 07743 Jena (E-mail: franz.neyer@uni-jena.de). Wir danken Dr. Elisabeth
Borschel für wertvolles Feedback zu diesem Aufsatz.
Psychologie der Freundschaft
Einleitung
Freundschaft fasziniert seit jeher und wird von den meisten Menschen extrem positiv
bewertet. So erkannte schon Aristoteles Freundschaft als eine Beziehung unter Gleichen, die
auf Wechselseitigkeit und Verbundenheit beruht, und Montaigne betrachtete die Freundschaft
sogar als die höchste Form der menschlichen Beziehung. Auch in der heutigen Zeit haben
Freundschaften einen sehr hohen Stellenwert und erfüllen neben Familien- und
Partnerbeziehungen viele wichtige Funktionen wie soziale und emotionale Unterstützung.
Dabei ändern sich Freundschaften und auch ihre Funktion von der Kindheit über die Jugend
bis ins Erwachsenenalter. Da Menschen ihre Freundschaften auf unterschiedliche Weise
pflegen, drängt sich die Frage auf, wie sich Persönlichkeitsunterschiede in Freundschaften
auswirken und umgekehrt durch diese wieder verändert werden. Offen ist gegenwärtig auch,
wie die neuen Medien Freundschaften und andere soziale Beziehungen in Zukunft verändern
werden.
Die Psychologie der Freundschaft wollen wir in diesem Beitrag aus vier Blickwinkeln
darlegen. Erstens werden wir ganz allgemein die grundlegenden Mechanismen der
Freundschaftsentstehung und der freundschaftlichen Beziehungsgestaltung in Abgrenzung zu
anderen Beziehungsarten erörtern. Zweitens betrachten wir die generelle Entwicklung von
Freundschaften im menschlichen Lebensverlauf. Drittens sollen Freundschaftsbeziehungen
differenziell betrachtet und im Hinblick auf ihre Relevanz für die individuelle
Persönlichkeitsentwicklung diskutiert werden. Viertens gehen wir der Frage nach der
Bedeutung von Freundschaftsbeziehungen in unserer Zeit und in der Zukunft nach.
Entstehung und Dynamik von Freundschaft
Die psychologische Beziehungsforschung versteht Freundschaftsbeziehungen als
freiwillige, informelle Beziehungen mit Personen (meist etwa) gleichen Alters, die auf
Wechselseitigkeit beruhen, eine positive emotionale Qualität besitzen und schließlich (in der
Regel jedenfalls) keine offen gelebte Sexualität beinhalten. Im Gegensatz zu Beziehungen mit
Familienmitgliedern oder Kollegen sind Freundschaften informell, d.h. nicht normativ auf
Verwandtschaft gegründet oder durch soziale Rollen geregelt, und können dadurch freiwillig
eingegangen und beibehalten werden. Wenn sich eine Freundschaft überlebt hat, kann sie
anders als die meisten Beziehungen in der Familie oder am Arbeitsplatz selbstständig gelöst
werden. Somit lassen sich Freundschaftsbeziehungen relativ klar abgrenzen von
Verwandtschafts- und Partnerbeziehungen sowie anderen formalisierten Beziehungen
(Wrzus, Zimmermann, Mund & Neyer, 2017). Zwei der definierenden Merkmale werden in
der Forschung besonders betont: die emotionale Nähe und die Wechselseitigkeit, oder
Reziprozität, von Unterstützung. Emotionale Nähe charakterisiert dabei die gefühlte
„psychische“ Nähe zwischen Freunden, die sich in Vertrautheit, positiven Emotionen
füreinander sowie gegenseitiger Wertschätzung niederschlägt.
Reziprozität kann als generelle Norm der sozialen Beziehungsgestaltung mit dem Ziel
einer Balance zwischen gegebener und erhaltener Unterstützung angesehen werden. Für die
Gestaltung von Freundschaften ist dabei weniger die tatsächliche Reziprozität, sondern primär
die subjektiv wahrgenommene Reziprozität relevant (Neyer, Wrzus, Wagner & Lang, 2011).
Besonders Beziehungen zu weniger engen Freunden oder Bekannten werden meist beendet,
wenn Reziprozität nicht mehr als gegeben erlebt wird (Neyer & Lang, 2013). Für enge
Freundschaften gilt die Reziprozitätsregel hingegen nur eingeschränkt, denn in ihnen wird
mitunter auf ihre strikte Einhaltung verzichtet. Dies dürfte v.a. für langjährige Freundschaften
gelten, in denen nicht jede Unterstützung für den anderen auf die Waagschale gelegt wird.
Zwischen engen Freunden kann es im Gegenteil sogar verletzend wirken, wenn zu rigide auf
die Einhaltung solcher Regeln beharrt wird (Wrzus et al., 2017).
Freundschaften entstehen durch Gelegenheiten für soziale Interaktionen, z. B. wenn
man im Ausbildungskontext, am Arbeitsplatz, in der Freizeit, in der Nachbarschaft oder im
schon vorhandenen Freundes- und Bekanntenkreis mit neuen Personen in Kontakt kommt.
Wie wichtig allein die räumliche Nähe ist, belegen zahlreiche Studien. Beispielsweise zeigten
schon Festinger, Schachter und Back (1950), dass Studenten umso eher miteinander
befreundet waren, je näher ihre Zimmer im Wohnheim lagen. Darüber hinaus fanden Back,
Schmukle und Egloff (2008), dass bereits kurzfristige räumliche Nähe ausreichend ist:
Studienanfänger, die in einer Einführungsveranstaltung zufällig zugeteilt neben einander
saßen, waren später häufiger befreundet als weiter entfernt sitzende. Räumliche Nähe und die
Möglichkeit zum Kontakt sind jedoch nicht die einzig ausschlaggebenden Faktoren für
Freundschaftsschluss.
Freunde sind sich häufig ähnlich hinsichtlich Alter, Geschlecht, Bildung und im etwas
schwächeren Ausmaß in Werthaltungen und Interessen (McPherson, Smith-Lovin, & Cook,
2001). Jedoch spielt nicht nur die tatsächliche, sondern auch die wahrgenommene Ähnlichkeit
in Einstellungen, Werthaltungen und Interessen eine gewisse Rolle. Beispielsweise fanden van
Zalk und Denissen (2015), dass die wahrgenommene, aber nicht die tatsächliche Ähnlichkeit
in Eigenschaften das spätere Eingehen von Freundschaften vorhersagt. Hierbei ist allerdings
zu berücksichtigen, dass sich Gelegenheiten für Interaktionen und Ähnlichkeiten zwischen
potenziellen Freunden gegenseitig bedingen. So lernen sich spätere Freunde z. B. an der
Universität oder im Beruf, vor allem deshalb kennen, weil sie aufgrund ähnlicher Bildung,
Interessen oder Fähigkeiten dasselbe Studienfach oder denselben Beruf gewählt haben.
Dementsprechend finden sich Personen oft in einer Peergroup wieder, in der sie auf Personen
mit ähnlichem Hintergrund treffen und mit diesen Freundschaften schließen können.
Freundschaften unterscheiden sich darin, wie ähnlich sich die Beteiligten tatsächlich
sind oder wie stark sie sich als ähnlich wahrnehmen. Generell gilt, dass die emotionale Nähe
zwischen Freunden umso mehr zunimmt, je ähnlicher sie sich vor allem in Hinblick auf sozial
positiv bewertete Eigenschaften fühlen – wobei die Wirkrichtung zwischen beiden Prozessen
keineswegs klar ist (Wrzus et al., 2017). Es könnte sein, dass sich Freunde ähnlich fühlen,
weil sie sich mögen, oder sie mögen sich, weil sie glauben, einander ähnlich zu sein. An
dieser Stelle wird ein grundsätzliches Problem der psychologischen Freundschaftsforschung
deutlich: Meist beziehen sich Studien auf Querschnittsdaten, Längsschnittstudien wie die
zitierten von Back et al. oder van Zalk und Denissen stellen eher die Ausnahme dar.
Freundschaft im Lebenslauf
Freundschaften verändern sich im Laufe des Lebens, sowohl in der Anzahl als auch
hinsichtlich ihrer Funktion. Längsschnittstudien zeigen, dass die Zahl der Freunde im Jugend-
und jungen Erwachsenenalter deutlich zu- und dann vom mittleren Erwachsenenalter bis zum
höheren Erwachsenenalter wieder kontinuierlich abnimmt (Asendorpf, Banse & Neyer, 2017;
Wrzus et al., 2017). Dies zeigt auch unsere umfassende Metaanalyse über 277 unabhängige
Quer- und Längsschnittstudien mit ca. 180.000 Teilnehmern zur Veränderung der
Netzwerkgröße im Lebensverlauf (Wrzus, Hänel, Wagner & Neyer; 2013): Ganz allgemein
wächst das soziale Netzwerk bis zum jungen Erwachsenenalter stetig an und wird
anschließend wieder langsam kleiner. Weiterhin konnten wir zeigen, dass zwar die Größe
speziell des Familiennetzwerks relativ konstant bleibt, aber die Größe von
Freundschaftsnetzwerken über die Lebensspanne kontinuierlich abnimmt (Abbildung 1).
-Abbildung 1-
Dasselbe Muster an Veränderungen zeigte sich auch für die Häufigkeit des Kontakts in
einer Studie von Sander, Schupp und Richter (2017): Ab dem jungen Erwachsenenalter hatten
Personen immer seltener Kontakt mit Freunden und Bekannten, während der Kontakt mit
Familienmitgliedern generell konstant blieb. Vermutlich ist die relative Konstanz des
Familiennetzwerks der Tatsache geschuldet, dass sich die Zusammensetzung zwar ändern
kann (z. B. durch Heirat, Geburt und Tod), die Funktion im Hinblick auf Nähe und soziale
Unterstützung aber stabil bleibt. Außerdem sind Familienbeziehungen überwiegend durch
Verwandtschaft charakterisiert und werden nur selten freiwillig beendet. Dass die Zahl der
Freunde im Lebenslauf abnimmt, bedeutet aber nicht, dass die Funktion einzelner
Freundschaftsbeziehungen schwächer wird. Vielmehr scheint es so zu sein, dass Freunde mit
zunehmendem Alter stärker selegiert werden. Die Qualität der verbleibenden Freundschaften
könnte dann allein schon deshalb intensiver werden, weil sie länger andauern. Je länger sich
Freunde kennen, umso mehr Erfahrungen teilen sie und umso besser kennen sie sich, was
wiederum ihre Nähe und wahrgenommene Reziprozität stärkt.
Im Jugend- und jungen Erwachsenenalter erfüllen Freundschaften wichtige
Sozialisationsfunktionen und unterstützen die Ablösung vom Elternhaus und die Gründung
eigener Familien. Damit leisten sie einen substanziellen Beitrag für die Identitäts- und
Persönlichkeitsentwicklung. Ab dem Jugendalter werden Freunde häufig zu primären
Vertrauten und ersetzen die Eltern zunehmend als soziale und emotionale
Unterstützungspersonen. So können Freundschaften mitunter eine Bindungsqualität erreichen,
wie sie für romantische Partnerschaften typisch ist. Neuere Langzeitstudien aus der
Bindungsforschung zeigen sogar, dass der direkte Einfluss der frühen Eltern-Kind-Bindung
auf die spätere Bindung zum romantischen Partner schwach ist, aber indirekt vermittelt wird
über die Bindung zu Freunden, die sozusagen zum Vorbild für die spätere Bindung zum
Partner werden. Dieser Entwicklungspfad wird im Revisionsmodell der Bindungsentwicklung
nachgezeichnet: Die Qualität der frühen Eltern-Kind-Bindung sagt die Peer-Kompetenz in der
mittleren Kindheit mittelstark vorher, und diese die Bindungsqualität an die besten Freunde
im Jugendalter, die wiederum ein mittelstarker Prädiktor für die Bindung an den späteren
Partner ist. Aber zwischen Eltern-Kind- und späterer Partnerbindung gibt es keinen direkten
Zusammenhang (Asendorpf, 2016; Abbildung 2).
-Abbildung 2-
Je wichtiger jedoch ab dem jungen Erwachsenenalter romantische Partnerschaften
werden und je mehr in die Familiengründung und in den Beruf investiert wird, umso stärker
nehmen Quantität und Qualität freundschaftlicher Beziehungen wieder ab (Mund & Neyer,
2014). Stattdessen gewinnen Beziehungen in der Familie und im Beruf an Bedeutung. Es
kann sogar sein, dass Beziehungen am Arbeitsplatz freundschaftsähnlichen Charakter
gewinnen, ohne dass diese aufgrund ihres formellen Charakters als Freunde im oben
definierten Sinne verstanden werden können. So zeigen Daten des Statistischen Bundesamts
von 2012, dass knapp zwei Drittel der Arbeitnehmer in Deutschland angeben, am Arbeitsplatz
gute Freunde zu haben und von ihnen unterstützt zu werden (zit. nach Asendorpf et al., 2017).
Im weiteren Lebensverlauf fungieren Freundschaften neben anderen Beziehungen aber
immer noch als verlässliche Ressourcen sozialer Unterstützung. Beispielsweise sind gerade
gleichgeschlechtliche Freundschaften oft eine Ergänzung zu der Beziehung zum
(Ehe-)Partner, da gleichgeschlechtliche Freunde meist ähnlichere Interessen und Probleme in
Freizeit, Beruf und Familie vorfinden. In dem Maß, in dem Freunde ähnliche Interessen und
Erfahrungen teilen, können sie einander besser unterstützen. Im höheren Alter legen
Menschen schließlich wieder stärker Wert auf den emotionalen Charakter sozialer
Beziehungen, weshalb bei ihnen auch die Verbundenheit mit Freunden wieder ansteigen kann
(Lang, Wagner, Wrzus & Neyer, 2013). Erklärt werden kann dies damit, dass sich soziale
Ziele im menschlichen Lebenslauf stark verändern: Dominieren im jungen Erwachsenenalter
instrumentelle Ziele (z. B. Informations- und Wissensaustausch), werden mit zunehmendem
Alter emotionale Ziele immer bedeutsamer (z. B. Nähe zu wichtigen Bezugspersonen). Diese
Funktion scheinen Freundschaften im Alter sehr gut übernehmen zu können, insbesondere
dann, wenn Beziehungsverluste zu beklagen sind, z. B. in Partnerschaft und Familie.
Die allgemeinen Charakteristika von Freundschaften und ihre Entwicklung über den
menschlichen Lebenslauf sind relativ gut belegt. Allerdings müssen wir davon ausgehen, dass
zwischen verschiedenen Freundschaften und in deren Entwicklung erhebliche Unterschiede
bestehen und diese mit dem Alter vielleicht deshalb zunehmen, weil sich die individuellen
Lebensumstände immer stärker unterscheiden. Keine Freundschaft ist wie die andere, und
jede spielt im individuellen Beziehungsnetzwerk ihre eigene Rolle.
Freundschaften bilden nämlich neben anderen Beziehungen nur einen Teil des sozialen
Netzwerks, das vom Einzelnen einerseits aktiv gestaltet, andererseits aber auch Ausdruck
seiner sozialen Gelegenheiten ist (Neyer, 2014; Asendorpf et al., 2017; Neyer & Asendorpf,
2018). So kann es sein, dass jemand kaum Gelegenheiten hat Freunde zu finden oder sein
Familiennetzwerk relativ klein ist, weil nur wenige Geschwister, Cousins oder weitere
Verwandte existieren. In diesen Fällen können sich Freundes- und Familienbeziehungen
wechselseitig kompensieren. Tatsächlich haben wir beobachtet, dass Personen mit kleinen
Familiennetzwerken größere Freundschaftsnetzwerke unterhalten und umgekehrt. Weiterhin
fanden wir, dass Personen, die sich ihrer Familie gegenüber relativ distanziert fühlen, dazu
tendieren, emotional engere Freundschaften einzugehen, was darüber hinaus auch mit höherer
Lebenszufriedenheit einhergeht (Wrzus, Wagner & Neyer, 2012). Man kann aus diesen
Beobachtungen schließen, dass sowohl die Quantität als auch die Qualität anderer
Beziehungen im sozialen Netzwerk erheblich dazu beitragen, dass Menschen ganz
unterschiedliche Freundschaftsbeziehungen führen.
Freundschaft und Persönlichkeit
Menschen gehen Beziehungen ein, gestalten und beenden sie auf eine Weise, die ihrer
Persönlichkeit entspricht. Solche Persönlichkeitseinflüsse auf Beziehungen werden auch
Selektionseffekte genannt. Umgekehrt haben Freundschaften wie andere soziale Beziehungen
auch einen Einfluss darauf, wie sich die Persönlichkeit des Einzelnen entwickelt. Solche
Beziehungseinflüsse auf die Persönlichkeit werden als Sozialisationseffekte in der
Persönlichkeitsentwicklung bezeichnet. Es gibt viele empirische Belege für Selektions- und
Sozialisationseffekte.
Selektionseffekte haben sich als sehr viel häufiger und robuster erwiesen als
Sozialisationseffekte, d. h. die Persönlichkeit eines Menschen hat einen stärkeren Einfluss auf
seine sozialen Beziehungen als umgekehrt. Dies liegt ganz allgemein gesprochen daran, dass
die Persönlichkeit aufgrund von genetischen und konstant auf sie wirkenden Umweltfaktoren
sehr viel stabiler ist als soziale Beziehungen, während soziale Beziehungen stärkeren
Veränderungen unterworfen sind und somit auch eine geringere Chance haben, nachhaltig auf
die Persönlichkeit eines Menschen zu wirken (Asendorpf et al., 2017).
Für Freundschaften lässt sich dies gut illustrieren: Ob zwei Menschen Freunde werden
und wie gut und dauerhaft ihre Freundschaft ist, hängt nicht nur von ihrer Gelegenheit zum
Schließen einer Freundschaft ab, sondern vor allem von ihrer ganz individuellen Bereitschaft
und Fähigkeit, in Freundschaften zu investieren und sie zu pflegen. Letzteres wird maßgeblich
von der Persönlichkeit beider Freunde beeinflusst (Selektionseffekte). Ihre Freundschaft wird
allerdings auch von äußeren Faktoren der individuellen Lebenssituation begrenzt, z. B. ob
einer der beiden in eine andere Region zieht, aufgrund seiner Familiengründung weniger Zeit
für die Freundschaft aufwenden kann oder im Beruf stärker als der andere eingespannt ist.
Sollte ihre Freundschaft all das überstehen und intensiver werden, kann sie natürlich
nachhaltig auf die Persönlichkeit beider Freunde rückwirken. Vielleicht unterstützt der eine
den anderen darin, ein stärkeres Selbstwertgefühl zu erlangen, während der andere ihn im
Hinblick auf seine Interessen für Sport oder Kultur beeinflusst (Sozialisationseffekte). Unterm
Strich jedoch würden wohl beide Freunde zustimmen, dass ihre Freundschaft nicht von allein
die Zeit überdauert hat, sondern dass sie selbst es waren, die mit ihrer Beziehungsarbeit die
Freundschaft vorangebracht haben. Ihre Persönlichkeit hat damit stärker auf ihre Freundschaft
gewirkt als umgekehrt.
In einer empirischen Übersicht haben wir speziell die Auswirkungen der
Persönlichkeit auf die Entwicklung von Freundschaften und die Auswirkungen von
Freundschaften auf die Persönlichkeitsentwicklung über die verschiedenen Phasen der
Lebensspanne hinweg unter die Lupe genommen und diese mit den entsprechenden Effekten
auf bzw. von Familienbeziehungen verglichen (Wrzus & Neyer, 2016; Abbildung 3). Dabei
haben wir ausschließlich Langzeitstudien ausgewertet. Grundsätzlich gingen wir davon aus,
dass im Einklang mit den oben genannten Befunden Persönlichkeitseffekte
(Selektionseffekte) stärker sind als Freundschaftseffekte (Sozialisationseffekte). Insbesondere
nahmen wir an, dass Selektionseffekte im Jugendalter stark zunehmen und erst im höheren
Lebensalter stärker abfallen. Demgegenüber sollten Sozialisationseffekte im Jugendalter
ebenfalls stark zunehmen, aber bereits ab dem jungen Erwachsenenalter schon wieder
abflauen. Dass Selektions- und Sozialisationseffekte in der Kindheit noch vergleichsweise
schwach ausfallen dürften, erklärten wir damit, dass zu dieser Zeit vor allem
Familienbeziehungen relevant sind und Freundschaftsbeziehungen erst ab der späteren
Kindheit bzw. Adoleszenz wichtiger werden, wo sie auch einen entscheidenden Einfluss auf
die Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung nehmen können. Weil bereits Jugendliche
immer stärker Kontrolle über ihre Entwicklung und insbesondere über die Gestaltung ihrer
sozialen Umwelt gewinnen, erwarteten wir ferner, dass ab dem Jugendalter Selektionseffekte
relativ zu Sozialisationseffekten stärker ausfallen. Diese Annahmen stehen im Einklang mit
den oben ausgeführten Überlegungen: Zum einen sind Selektionseffekte generell stärker als
Sozialisationseffekte, und zum anderen nimmt die persönlichkeitspsychologische Relevanz
von Familienbeziehungen im Vergleich zu Freundschaftsbeziehungen vom Jugendalter an ab.
Im Großen und Ganzen konnten wir unsere Annahmen bestätigen, auch wenn die Datenlage
derzeit auf Grund der nur spärlichen Verfügbarkeit von Längsschnittstudien immer noch
begrenzt ist.
-Abbildung 3-
Warum haben manche Menschen einen großen und andere einen kleinen
Freundeskreis? Solche Selektionseffekte kann man besonders gut in einer Situation
beobachten, in denen alle Personen einer bestimmten Gruppe über dieselben Chancen
verfügen, neue Freunde zu finden. Selfhout, Burk, Branje, Denissen, van Aken und Meeus
(2010) nutzten eine solche Situation und befragten niederländische Studienanfänger mehrfach
über ein Jahr hinweg. Die Studierenden wurden zufällig in verschiedene Einführungsseminare
eingeteilt. Die Freundschaftsnetzwerke stabilisierten sich bereits in den ersten drei Monaten
des Studiums. Extravertiertere Studierende fanden mehr Freunde als ihre introvertierten
Kommilitonen, während verträgliche Studierende mehr als andere von ihren Kommilitonen
als Freunde genannt wurden. Wie erwartet zeigte sich auch, dass Studierende eher Freunde
mit ähnlich ausgeprägter Verträglichkeit, Extraversion und Offenheit für Neues auswählten.
Generell erwiesen sich die Ähnlichkeitseffekte stärker als Effekte der einzelnen
Persönlichkeitsmerkmale. Auf den ersten Blick scheinen diese Ergebnisse wenig spektakulär
und denen der oben zitierten Studie von Back et al. (2008) zu widersprechen, die ja gezeigt
hatten, dass Studienanfänger, die zufällig in einer Einführungsveranstaltung nebeneinander
saßen, dazu tendierten sich anzufreunden. Tatsächlich ergeben beide Befunde aber ein
stimmiges Gesamtbild: Gelegenheiten zum Freundschaftsschluss mögen zumindest teilweise
auf Zufall beruhen. Inwieweit diese Gelegenheiten aber genutzt werden, hängt jedoch
wesentlich von den individuellen Besonderheiten und deren Passung zwischen den Beteiligten
ab.
Persönlichkeitsmerkmale spielen aber nicht nur für das Eingehen, sondern auch für die
Gestaltung von Freundschaften eine Rolle. Mund und Neyer (2014) fanden z. B. bei
repräsentativ ausgewählten jungen Erwachsenen im Alter von etwa Mitte 20, dass die
Konflikthäufigkeit, aber auch die mit Freunden erlebte Nähe oder Sicherheit systematisch mit
Persönlichkeitsmerkmalen zusammenhingen (z.B. mit emotionaler Stabilität, Extraversion
und Gewissenhaftigkeit). Aber auch langfristig wirkten sich Persönlichkeitsmerkmale auf
Freundschaftsbeziehungen aus. Über die nachfolgenden 15 Jahre – einem Zeitraum, der den
Übergang vom jungen ins mittlere Erwachsenenalter umfasst – zeigte sich, dass
extravertiertere Personen im Vergleich mit anderen über einen stärkeren Zuwachs an
Kontakthäufigkeit, emotionaler Nähe und der subjektiv eingeschätzten Wichtigkeit ihrer
Freundschaften berichteten. Außerdem erlebten die emotional stabileren und gewissenhafteren
Personen über die nachfolgenden 15 Jahre, dass ihre subjektiv empfundene Sicherheit
gegenüber Freunden zugenommen hatte.
Welchen nachhaltigen Einfluss haben Freundschaften auf die
Persönlichkeitsentwicklung? Die kontrovers diskutierte Theorie der Gruppensozialisation von
Harris (2000) besagt, dass Eltern im Prinzip keinen nichtgenetischen Einfluss auf die
Persönlichkeitsentwicklung ihrer Kinder nehmen, sondern vielmehr Gleichaltrige und – ab der
späten Kindheit bzw. frühen Adoleszenz – vor allem Freunde wichtige Einflüsse durch die
Vermittlung von Gruppennormen ausüben. Empirisch konnten konkrete Freundschaftseffekte
aber nur teilweise nachgewiesen werden. Z. B. sagen Freundschaften mit positiv beurteilter
Qualität die Abnahme von Depressivität, emotionaler Instabilität und Einsamkeit vorher, und
auch das Selbstwertgefühl steigt meist durch positive Freundschaften. Im jungen
Erwachsenenalter werden vereinzelt Freundschaftseinflüsse auf die Persönlichkeit berichtet,
allerdings mit vergleichsweise geringen Effektgrößen. Wenn man z. B. Freundschafts- und
Partnerschaftseinflüsse auf die Persönlichkeit gegenüberstellt, so erscheint der Einfluss
partnerschaftlicher Erfahrungen weitaus stärker und nachhaltiger. Erklärt wird dies damit,
dass die wichtigen Beziehungsqualitäten emotionale Nähe und Reziprozität in Partnerschaften
sehr viel stärker ausgeprägt sind als in Freundschaften (vgl. Übersicht von Wrzus & Neyer,
2016). Alles in allem erscheint deshalb aus der gegenwärtigen Forschungslage der Einfluss
von Freunden auf die Persönlichkeitsentwicklung lediglich für das Jugendalter und mit
gewissen Einschränkungen auch für das junge Erwachsenenalter relativ gut abgesichert zu
sein. Für die zweite Lebenshälfte ergeben sich kaum replizierbare Einflüsse.
Unsere empirische Übersicht zur Wechselwirkung zwischen Persönlichkeit und
Freundschaftsbeziehungen zeigt damit zum einen, dass Selektionseffekte tatsächlich stärker
als Sozialisationseffekte sind, und illustriert zum anderen, dass diese Effekte sich über die
Lebensspanne ändern. Besonders eindrucksvoll ist ferner, dass Freundschaften nach der
Adoleszenz keinen nachweisbaren Einfluss mehr auf die Persönlichkeitsentwicklung zu haben
scheinen. Wir sind allerdings der Auffassung, dass das letzte Wort in dieser Frage noch nicht
gesprochen ist. In naher Zukunft sind aufwändigere Studien verfügbar, die möglicherweise
ein differenzierteres Bild zeichnen, z. B. indem sie die Sichtweise beider Freunde
berücksichtigen oder konkretes Verhalten und Erleben in alltäglichen Situationen erfassen
oder direkt beobachten. Weiterhin ist über die Wechselwirkung zwischen Freundschaften und
anderen Beziehungssystemen, z. B. in der Familie oder am Arbeitsplatz, noch relativ wenig
bekannt. Es ist anzunehmen, dass solche „Beziehungen zwischen Beziehungen“ die
Persönlichkeit ebenfalls beeinflussen und von ihr beeinflusst werden.
Freundschaft im sozialen Wandel
Wie sich die Bedeutung von Freundschaft mit den Zeitläuften wandelt, zeigt ein Blick
in die Geschichte. Wurde in der mittelalterlichen Literatur Freundschaft kaum von
Verwandtschaft abgegrenzt, aber eindeutig von Feindschaft unterschieden, entwickelte sich
von der frühen Neuzeit bis hin zum 18. Jahrhundert ein emotional geradezu aufgeladener
Freundschaftskult, in dem Freundschaft und romantische Liebe kaum getrennt und
entsprechend idealisiert wurden. Erst im 20. Jahrhundert erschienen Freundschaften als
eigenständige, nämlich als nichtsexuelle, nichtverwandtschaftliche und auch
nichtnachbarschaftliche Beziehungsverhältnisse (vgl. Schmidt, Guichard, Schuster &
Trillmich, 2007). Alltagspsychologisch gelten Freundschaften heute sogar als Alternative zur
Familie, und tatsächlich fragen uns Journalisten regelmäßig, ob Freundschaft die Familie
heute ersetzt. Hinter dieser Frage steht die Vorstellung, Menschen könnten im 20. und 21.
Jahrhundert befreit vom Korsett der Verwandtschaft und Nachbarschaft ihre Beziehungen
nach individuellem Gusto und vor allem unabhängig von Zeit und Raum gestalten. Vermutlich
steckt auch in dieser Annahme ein wahrer Kern derart, dass Menschen ihre Beziehungen
heute stärker im Einklang mit ihrer Persönlichkeit gestalten können und dadurch eine größere
Vielfalt zwischen Beziehungen entstanden ist, die auf die oben diskutierten Selektionseffekte
zurückgeht. Empirisch belegen lässt sich dieser historische Trend aber nicht.
Vielmehr scheint die Annahme gerechtfertigt, dass Freundschaft auch heute noch
deutlich von Familie und Verwandtschaft abgegrenzt wird und die oben erläuterten
Unterschiede zwischen Beziehungssystemen tatsächlich universell sind. Dennoch lassen sich
auch in den letzten Jahrzehnten historische Veränderungen beobachten, und zwar zum einen
die grundsätzliche Verkleinerung von Freundschaftsnetzwerken und zum anderen das
Aufkommen sogenannter sozialer Netzwerke im Internet (Online Social Networks).
In unserer oben dargestellten Metaanalyse über die Veränderungen sozialer Netzwerke
im Lebenslauf (Wrzus et al., 2013; Abb. 1) konnten wir auch einen Trend zur Verringerung
von Freundschaftsnetzwerken in den letzten Jahrzehnten beobachten. Dieser äußerte sich
darin, dass die Größe des Freundschaftsnetzwerks umso kleiner ausfiel, je kürzer das
Publikationsjahr der betrachteten Studie zurücklag. Bemerkenswerterweise fand sich in dieser
Metaanalyse kein historischer Trend zu einer Verringerung von Familiennetzwerken, was im
eklatanten Widerspruch zur weitverbreiteten Rhetorik vom Untergang der Familie in
modernen Gesellschaften steht.
Wir vermuten, dass dieser historische Trend zunehmenden Mobilitätsanforderungen
geschuldet ist, und tatsächlich werden soziale Netzwerke nach einem Umzug in eine andere
Region auch kleiner. Allerdings ist auch bekannt, dass Mobilität stets mit einer Aktivierung
des Anschlussmotivs einhergeht, d.h. wenn Menschen erwarten, dass sie in eine andere
Region umziehen (müssen), sind sie bestrebt ihr soziales Netzwerk beizubehalten oder zu
vergrößern. Darüber hinaus wissen wir, dass Mobilität auch eine Kompartmentierung sozialer
Beziehungen, insbesondere von Freundschaften, bewirkt. Mit Kompartmentierung ist
gemeint, dass einzelne Freunde bestimmte soziale Funktionen erfüllen, aber nicht umfassend
zur Verfügung stehen: Mit X treibt man Sport, mit Y bespricht man persönliche Dinge via
Skype, und mit Z spielt man ab und an in einer Band, aber mit niemandem teilt man alles, so
wie das der nostalgische Blick auf Freundschaften in früheren Zeiten suggerieren mag.
Die Verbreitung von Online Social Networks (OSN) hat zweifellos das Sozialverhalten
vieler Menschen und auch das Alltagsverständnis von Freundschaften verändert. Z.B. können
Freundschaften auf Facebook ebenso schnell wieder gelöst werden, wie sie geschlossen
wurden, und persönliche oder öffentliche Mitteilungen lassen sich in Sekundenschnelle
verbreiten. Die einen sehen darin eine große Bereicherung für den Alltag, die anderen
befürchten das Ende von Privatheit und Intimität. Nüchtern betrachtet scheinen OSN wie
Facebook o.ä. vor allem genutzt zu werden, um sich miteinander zu vernetzen, und sind
besonders hilfreich, wenn Freunde sich weit entfernt aufhalten wie beispielsweise nach
Umzügen an einen anderen Ort oder im Rahmen von zeitlich begrenzten
Auslandsaufenthalten.
Können OSN besonders solchen Personen nutzen, die offline Schwierigkeiten haben
Freundschafts- oder Peerbeziehungen zu knüpfen oder aufrechtzuerhalten? Hilfreich könnten
OSN z.B. für Personen mit niedrigem Selbstwertgefühl oder starker sozialer Gehemmtheit
sein, die sich in der Regel schwertun, sich andern gegenüber zu öffnen und ihnen zu
vertrauen. Die bislang vorliegenden Studien ergeben ein gemischtes Bild. Einerseits konnten
van Zalk, van Zalk, Kerr und Stattin (2014) in einer Längsschnittstudie zeigen, dass
schüchterne Jugendliche tatsächlich von OSN profitieren und ihren Selbstwert steigern
können. Andere Studien belegen hingegen, dass OSN kaum kompensatorisch wirken (vgl.
zusammenfassend Asendorpf et al., 2017). So zeigte sich z. B., dass Personen mit niedrigem
Selbstwertgefühl online von anderen als negativer wahrgenommen werden und bei anderen
unbeliebter sind als Personen mit höher ausgeprägtem Selbstwertgefühl. Dies liegt daran, dass
ihre Selbstdarstellung im Internet auch negativer ausfällt. OSN sind vermutlich nicht für jeden
bereichernd und eröffnen nicht immer neue Möglichkeiten der Beziehungsgestaltung. Es ist
unklar, ob dies auch für die Dynamik von Freundschaften im wirklichen Leben, also offline,
zutrifft. Negative Gefühle oder belastende Gedanken mitzuteilen, ist an sich nicht falsch, denn
so wird ja gerade Intimität zwischen Freunden hergestellt.
Überhaupt scheint psychologisch bedeutsam zu sein, wie OSN genutzt werden.
Allgemein ist bekannt, dass ausgiebige OSN-Nutzung eher unzufrieden als zufrieden macht.
Wie lässt sich dies erklären? Wer sich kontinuierlich den Posts anderer und den damit
assoziierten positiven Erfolgsgeschichten seiner Facebook-Freunde aussetzt, sollte eher
negative Emotionen, u.a. Neid, empfinden und mittelfristig Einbußen in seiner Lebensqualität
hinnehmen müssen. Dies konnten Verduyn und Kollegen (2015) in einer Feldstudie
nachweisen. Dafür wurden 89 junge Erwachsene über sechs Tage mehrmals täglich zu ihrer
Facebook-Nutzung, ihren direkten sozialen Interaktionen sowie zu ihrem Wohlbefinden und
ihrem Neid befragt. Interessanterweise nutzten alle Teilnehmer Facebook etwa doppelt so
häufig passiv als aktiv, d.h. sie beobachteten eher die Aktivitäten anderer, als selbst aktiv zu
sein. Der Durchschnitts-Facebook-Nutzer vermiest sich also selbst die Stimmung, indem er
meist passiv ist – was wiederum erklärt, warum Facebook-Nutzung ganz allgemein mit einer
Abnahme des subjektiven Wohlbefindens einhergeht. Neben passiver Facebook-Nutzung hatte
übrigens nur eine einzige weitere Variable Einfluss auf Veränderungen in affektivem
Wohlbefinden: Direkte (offline) soziale Interaktionen mit Freunden steigerten dieses!
Freundschaften sind und bleiben wichtige Beziehungen, die im Lauf des Lebens
unterschiedliche Funktionen erfüllen und auch für die Persönlichkeitsentwicklung relevant
sind. Keine Freunde zu haben, ist vermutlich ein ernsthaftes Risiko für die Gesundheit.
Freundschaften sind aus diesen Gründen ein zentrales Anliegen vieler Bereiche der
Psychologie und sollten deswegen sowohl in Forschung und Lehre als auch in der
psychologischen Praxis stärker beachtet werden.
Zusammenfassung
Freundschaften sind freiwillige, informelle, wechselseitige, zumeist positive Beziehungen
vorwiegend ohne offene Sexualität. Damit unterscheiden sich Freundschaften von Familien-,
Partner- und Arbeitsbeziehungen. Sowohl in ihrer Anzahl als auch ihrer Funktion verändern
sich Freundschaften über die gesamte Lebensspanne. Im Durchschnitt nimmt die Zahl der
Freunde im Jugendalter deutlich zu, und verringert sich dann wieder. Ebenfalls sinkt die
Kontakthäufigkeit vom jungen Erwachsenenalter bis ins hohe Alter. Da häufig besonders enge
Freundschaften erhalten bleiben, muss die generelle Verringerung in der Anzahl und dem
Kontakt mit Freunden keine nachteiligen Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit und das
Wohlbefinden haben. Außerdem unterscheiden sich Menschen stark darin, wie sie
Freundschaften unterhalten und diese Unterschiede lassen sich z.T. auf Kontextfaktoren aber
auch auf Persönlichkeitseigenschaften zurückführen. Gleichzeitig können sich Menschen in
ihren Eigenschaften in einem gewissen Maß auch durch die Erfahrungen ändern, die sie in
Freundschaften machen. Auch auf gesellschaftlicher Ebene lassen sich, wie in den vorherigen
Jahrhunderten, Veränderungen beobachten, die jedoch nur die Flexibilität dieser
Beziehungsform und der Menschen, die sie unterhalten, verdeutlichen.
Abstract
Friendships are voluntary, informal, reciprocal, generally positive relationships mainly
without open sexuality. In these aspects, friendships differ from relationships with relatives,
romantic partners, or colleagues. Friendships change across the entire lifespan both in number
and in their functions. On average, the number of friends increases during adolescence, and
then decreases throughout further adulthood. Contact frequency also decreases from young
adulthood to old age. Such changes may not be necessarily detrimental for well-being and life
satisfaction since mainly close friendships are maintained. Furthermore, people differ in how
they develop and maintain their friendships. Some of these differences relate to contextual
factors and also personality characteristics. At the same time, personality characteristics can
also change to a certain extent through the experiences people have with their friends. In
addition, changes can be observed on the societal level as well. However, friendships have
changed throughout the last centuries, which highlights the flexibility of this relationship and
of the involved people.
Angaben zu den Verfassern
Franz J. Neyer ist seit 2009 Professor für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische
Diagnostik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er promovierte 1994 an der Ludwig-
Maximilians-Universität München und habilitierte sich 2002 an der Humboldt-Universität zu
Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Persönlichkeit und sozialen
Beziehungen. Er ist beteiligt am Deutschen Familien- und Beziehungspanel pairfam
(www.pairfam.de), das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft seit 2008 gefördert wird.
Cornelia Wrzus ist seit 2013 Juniorprofessorin für Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik
an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie hat 2008 an der Universität Potsdam
promoviert und dann am MPI für Bildungsforschung in Berlin gearbeitet. Ihre Forschung
fokussiert auf Prozesse der Persönlichkeitsentwicklung, Persönlichkeit und Soziale
Beziehungen im Lebensverlauf, Altersfaire Diagnostik sowie Neurotizismus und
Stressreaktionen im Alltag.
Literatur
Asendorpf, J. B. (2016). Bindung im Erwachsenenalter. In H.-W. Bierhoff & D. Frey (Eds.),
Soziale Motive und soziale Einstellungen (Enzyklopädie der Psychologie. Serie
Sozialpsychologie, Band 2) (pp. 323-352). Göttingen: Hogrefe Verlag.
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Abb. 1. Mittlere Netzwerkgröße für das Gesamtnetzwerk (A), Familiennetzwerk (B) und
Freundschaftsnetzwerk (C) in Abhängigkeit vom Lebensalter (Regressionsgrade mit 95%
Konfidenzintervall) nach einer Metaanalyse von Wrzus et al. (2013; Copyright American
Psychological Association)
Abb. 2. Revisionsmodell der Bindungsentwicklung (nach Asendorpf, 2016).
Abb. 3: (a) Veränderungen von Persönlichkeitseinflüssen auf Beziehungen (Selektionseffekte)
und (b) Veränderungen von Beziehungseinflüssen auf Persönlichkeitsunterschiede
(Sozialisationseffekte) nach Wrzus und Neyer (2016)