Hintergrund und Ziele Mangelernährung ist im Pflegeheimbereich hoch prävalent und negative Folgen können von funktionellen Einschränkungen über eine verminderte Lebensqualität bis hin zu vorzeitigem Versterben reichen. Daher ist eine adäquate Ernährungstherapie wichtig, um das Fortschreiten und negative Folgen zu vermindern oder gar zu vermeiden. Insbesondere auf eine ausreichende Proteinzufuhr ist für die Erhaltung von Muskelmasse zu achten. Da Mangelernährung ein multifaktoriell bedingtes Problem ist und Ernährungsbedürfnisse von Person zu Person sehr unterschiedlich sein können, empfehlen internationale Leitlinien eine Individualisierung der Ernährungstherapie. Jedoch werden individualisierte Ernährungskonzepte im Pflegeheimbereich bisher kaum angewandt. Daher wurde im zugrundeliegenden Projekt dieser Dissertation ein individualisiertes Ernährungsinterventionskonzept für Bewohner*innen mit (Risiko für) Mangelernährung entwickelt. Ziele der Dissertation waren folglich 1) dieses Konzept sowie dessen Anwendung und Akzeptanz zu beschreiben, 2) die Effekte der Intervention auf Nahrungszufuhr, Körpergewicht, Handkraft und Lebensqualität zu untersuchen und 3) die übliche Proteinzufuhr zu beschreiben sowie Auswirkungen der Intervention auf die Proteinzufuhrmenge und -quellen zu analysieren. Methoden In einer Prä-Post-Studie erhielten Pflegeheimbewohner*innen mit (Risiko für) Mangelernährung aus zwei Nürnberger Pflegeheimen sechs Wochen die übliche Versorgung (Phase 1), gefolgt von sechs Wochen individualisierter Intervention (Phase 2). Während der Interventionsphase wurden drei Anreicherungsmodule - ein Protein-Energie-Getränk (250 mL, 220 kcal, 22 g Protein) sowie süße und herzhafte Proteinsahnen (je 40 g, 125 kcal, 10 g Protein) - einzeln oder kombiniert in fünf Anreicherungsstufen (von 0, keine Anreicherung, bis 4‚ alle drei Anreicherungsmodule) angeboten, um individuelle Energie- und Proteindefizite auszugleichen. Bewohner*innen mit Kau- und/oder Schluckstörungen erhielten zusätzlich optisch optimierte, wieder in Form gebrachte texturmodifizierte Kost (TMK). Die Akzeptanz dieses Interventionskonzepts seitens Bewohner*innen wurde durch Compliance und seitens der Mitarbeitenden der Pflegeheime durch eine schriftliche Befragung zur wahrgenommenen Nützlichkeit und Praktikabilität nach Ende der Interventionsphase erfasst. In den Wochen (w) 1, 6, 7 und 12 wurden Energie- und Proteinzufuhr (3-Tage-Wiege¬protokolle), in w1, w6 und w12 Körpergewicht, Handkraft (Martin-Vigorimeter) und Lebensqualität (3 Subskalen und 2 Items des "Quality of Life in Dementia“-Fragebogens) ermittelt. Die Effekte der Intervention wurden mittels Varianzanalyse (ANOVA) mit Messwiederholung analysiert. Für eine Sekundäranalyse wurde die Proteinzufuhr aus w1 und w6 (Phase 1) sowie w7 und w12 (Phase 2) vier Mahlzeiten sowie zwölf Proteinquellen zugeordnet und gemittelt. Unterschiede zwischen Phase 1 und 2 wurden mit dem t-Test für gepaarte Stichproben (Proteinzufuhr-menge) und dem Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test (Proteinzufuhr aus verschiedenen Quellen) getestet. Ergebnisse und Beobachtungen Von 306 gescreenten Bewohner*innen wurden 55 mit einem (Risiko für) Mangelernährung in die Studie einbezogen und 50 schlossen diese ab. Das Durchschnittsalter der 50 Bewohner*innen betrug 84±8 Jahre, 74% waren weiblich und 26% mangelernährt. Zehn Teilnehmer*innen hatten kein Energie- oder Proteindefizit und erhielten somit keine Anreicherung (Anreicherungsstufe 0). Anreicherungsstufe 1 wurde 8%, Stufe 2 28%, Stufe 3 20% und Stufe 4 24% der Bewohner*innen zugewiesen, 32% (n=16) erhielten TMK. Die mediane Verzehrmenge der Anreicherungsmodule (basierend auf dem durchschnittlichen Anteil der konsumierten im Verhältnis zur angebotenen Menge aus drei Erhebungs-tagen) veränderte sich zwischen der ersten und der letzten Woche der Intervention nicht und reichte von 44% (herzhafte Proteinsahne, w6) bis 96% (Protein-Energie-Getränk, w1). Etwa die Hälfte der 36 befragten Mitarbeitenden (47% bei Proteinsahnen, 56% bei Protein-Energie-Getränk, 56% bei TMK) gaben an, die Interventionsmodule gut in ihre tägliche Routine integrieren zu können und 44% würden eine langfristige Implementierung des Konzepts unterstützen. In w1 lag die mittlere Energiezufuhr bei 1505±440 kcal/Tag und die mittlere Proteinzufuhr bei 47±19 g/Tag. Während der Interventionsphase wurden zusätzlich 258±167 kcal/Tag und 23±15 g Protein/Tag angeboten. Bewohner*innen mit TMK erhielten eine leicht höhere Anreicherung als solche mit regulären Mahlzeiten (287±191 kcal/Tag vs. 244±155 kcal/Tag, p=0.09; 26±17 g Protein/Tag vs. 22±14 g Protein/Tag, p=0.11). Die durchschnittliche tägliche Energie- (+207 (95%CI 47-368) kcal, p=0,005) und Proteinzufuhr (+14 (7-21) g, p<0,001) war während der Interventionsphase signifikant höher als in der Phase der üblichen Versorgung (w12 vs. w1), sowohl bei Personen mit TMK als auch bei denen mit regulären Mahlzeiten. Während der Interventionsphase verbesserte sich auch die Lebensqualität in der Subskala „Pflegebeziehung" (+9 (3-15) Punkte, p=0,002, w12 vs. w6). Die Sekundäranalyse bei Personen, die Anreicherungen erhielten (n=40), zeigte, dass bei diesen die Proteinzufuhr (59±11 g/d vs. 41±10 g/d, p<0,001) gesteigert werden konnten, ohne den Verzehr von Protein aus üblichen Lebensmitteln zu beeinflussen (42±11 g/d vs. 41±10 g/d, p=0,434). Hauptprotein-quellen waren Milch/Milchprodukte (29±14%), stärkehaltige Lebensmittel (18±7%) und Fleisch/Fleischprodukte (17±11%). Schlussfolgerungen Das individualisierte, multimodale Interventionskonzept wurde erfolgreich in zwei Nürnberger Pflegeheimen implementiert und zeigte insgesamt eine hohe Akzeptanz seitens der Bewohner*innen. Die modulare Intervention und möglicherweise eine verstärkte Aufmerksamkeit des Pflegeheimpersonals hinsichtlich Ernährungsproblemen konnten die Energie- und Proteinzufuhr sowie die Lebensqualität in der Subskala Pflegebeziehung bei Pflegeheimbewohner*innen mit (Risiko für) Mangelernährung verbessern. Nach-folgend sind Studien mit randomisiert kontrolliertem Design empfehlenswert, um die vor-liegenden Ergebnisse zu verifizieren sowie die Überlegenheit individualisierter Interventionen gegenüber standardisierten Konzepten (z.B. orale Trinknahrung) zu überprüfen.