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Kurzfassung zur Bestandsaufnahme - Abwertende Einstellungen und diskriminierende Vorurteile in der deutschen Gesellschaft

Authors:
  • Hans-Böckler-Foundation

Abstract and Figures

Der vorliegende Bericht ist eine Bestandsaufnahme über abwertende Einstellungen und diskriminierende Vorurteile in Deutschland und Europa. Er diskutiert und definiert zentrale Begriffe der Vorurteilsforschung, die für die Entwicklung von Maßnahmen zur Vorurteilsreduktion beitragen. Dazu dokumentiert er unterschiedliche Perspektiven auf diese Phänomene und greift aktuelle Diskurse auf. Im Besonderen werden Verläufe und Ausprägungen von zentralen Facetten des Konzepts der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit berichtet. Fokussiert wird hierbei auf abwertende Einstellungen gegenüber ImmigrantInnen 38, Asylsuchenden und Flüchtlingen, Sinti und Roma, Juden und Jüdinnen und MuslimInnen, Menschen anderer Hautfarbe sowie gegen über Menschen mit einer homosexuellen Orientierung. Diese Elemente sind nach Lage der Forschung besonders relevant, weil sie immer wieder zu vorurteilsbasierten Hasstaten führen. Mit Blick auf diese Elemente lässt sich festhalten: • Die abwertenden Einstellungen gegenüber ImmigrantInnen sind rückläufig. - • Antisemitismus ist leicht rückläufig. • Muslim- und Islamfeindlichkeit schwankt in Abhängigkeit von äußeren Faktoren; ist jedoch auch in der Tendenz eher rückläufig. - • Rassismus ist konstant. • Antiziganismus entwickelt sich rückläufig. • Die Abwertung von Asylsuchenden ist zuletzt ansteigend. • Die Abwertung von homosexuellen Menschen ist kontinuierlich rückläufig. - Wesentlich für die Prävention und Intervention ist es, Maßnahmen zu fördern und zu ergreifen, die die Ursachen der abwertenden Einstellungen und vorurteilsbasierten Diskriminierungen ansprechen. Mit Blick auf die Ursachen zeigt sich, dass insbesondere folgende Gruppen anfällig sind, Ihnen zuzustimmen. - • Derzeit sind vor allem ältere Personen (über 65 Jahre) anfälliger für Vorurteile als jüngere Personen. • Es sind keine größeren Differenzen bezüglich des Geschlechts beim Äußern von Vorurteilen ersichtlich. • Menschen mit geringerer Bildung sind stärker vorurteilsbelastet als Menschen mit höherer Bildung. Zumindest schützt Bildung vor offenen Vorurteilen. - • Einkommensschwache Menschen sind häufiger abwertend, auch wenn teilweise nur etwas häufiger. Gesamtbericht zum freien download auf: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/2017/nap.html
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Nationaler Aktionsplan
gegen Rassismus
Positionen und Maßnahmen zum Umgang mit Ideologien
der Ungleichwertigkeit und den darauf bezogenen Diskriminierungen
Nationaler Aktionsplan
gegen Rassismus
Positionen und Maßnahmen zum Umgang mit Ideologien
der Ungleichwertigkeit und den darauf bezogenen Diskriminierungen
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung 6
2. Methode und Herangehensweise 7
3. Erscheinungsformen von Rassismus und Ideologien der Ungleichwertigkeit 8
3.1 Ausgewählte Phänomene Gruppenbezogener
Menschenfeindlichkeit und darauf bezogene Diskriminierungen 10
3.1.1 Antisemitismus 10
3.1.2 Antiziganismus 10
3.1.3 Islam- und Muslimfeindlichkeit 11
3.1.4 Rassismus gegen Schwarze Menschen 11
3.1.5 Homosexuellen- und Transfeindlichkeit 12
3.1.6 Weitere und übergreifende Phänomenbereiche 12
4. Normative Grundlagen und rechtlicher Rahmen 13
5. Aktivitäten und Handlungsschwerpunkte der Bundesregierung 14
5.1 Menschenrechtspolitik 15
5.2 Schutz vor Diskriminierung und Ahndung von Straftaten 18
5.3 Bildung, Politische Bildung 21
5.4 Gesellschaftliches und politisches Engagement für Demokratie und Gleichwertigkeit 25
5.5 Diversität im Arbeitsleben, Aus- und Fortbildung sowie
Stärkung interkultureller und sozialer Kompetenz im Beruf 30
5.6 Rassismus und Hass im Internet 35
5.7 Forschung 37
6. Planungen, Ziele und Maßnahmen der Bundesregierung 39
7. Literatur 48
Anlagen
Anlage I 50
Maßnahmen und Positionen der Länder in den Handlungsfeldern
des Nationalen Aktionsplans gegen Rassismus (NAP)
Anlage II 88
Menschenrechte schützen, Diskriminierungen beseitigen – Zivilgesellschaftliche A nforderungen an den
Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus, Homophobie und Transfeindlichkeit der Bundesregierung vom
3. Mai 2017 (verfasst in verschiedenen Konsultations- und Abstimmungsprozessen im Rahmen des Netzes
gegen Rassismus und eines Netzwerks von LSBTIQ*-Organisationen, das seit Ende 2015 durch den Lesben-
und Schwulenverband (LSVD), der Bundesvereinigung Trans* (BVT*) und das Jugendnetzwerk Lambda
koordiniert wurde. Das Forum Menschenrechte unterstützt diesen Beitrag).
Anlage III 116
Kurzfassung zur Bestandsaufnahme: Abwertende Einstellungen und diskriminierende Vorurteile in der
deutschen Gesellschaft (Institut für interdisziplinäre Konikt- und Gewaltforschung, IKG 2017). Studie im
Auftrag des Bundesministeriums des Innern.
Redaktionelle Hinweise
Aus pragmatischen Gründen, Gründen der Lesbarkeit und weil die Berichtsteile aus verschiedenen Ressorts stammen,
wird im vorgelegten NAP, soweit eine neutrale Begriffsbezeichnung nicht möglich ist, die binäre Sprachform durch
Nennung der weiblichen und männlichen Form verwendet. Menschen, die sich nicht im binären Spektrum verorten,
sind mit der gewählten Sprachform ebenfalls gemeint. Die Bundesregierung ist sich bewusst, dass weitere Formen der
Geschlechtsidentität existieren und zunehmend inklusive Sprach -und Schriftformen (wie beispielsweise der Gender-Gap)
verwendet werden.
Bei Inhalten und Schlussfolgerungen von im Text erwähnten Gutachten, zu denen sich die Bundesregierung nicht äußert,
kann weder von Zustimmung noch von Ablehnung ausgegangen werden.
Die in den Anhängen enthaltenen Texte stellen unmittelbar Positionen der jeweiligen Urheber dar. Sie geben nicht die
Auffassung der Bundesregierung wieder und werden ausschließlich zu Dokumentationszwecken beigefügt.
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Anlage III
Kurzfassung zur Bestandsaufnahme
Abwertende Einstellungen und diskriminierende Vorurteile
in der deutschen Gesellschaft
Andreas Zick, Daniela Krause & Andreas Hövermann
(Universität Bielefeld)
Juni 2017
Anlage III
Kurzfassung zur Bestandsaufnahme
Abwertende Einstellungen und diskriminierende Vorurteile
in der deutschen Gesellschaft
Andreas Zick, Daniela Krause & Andreas Hövermann
(Universität Bielefeld)
Juni 2017
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Zusammenfassung
Der vorliegende Bericht ist eine Bestandsaufnahme
über abwertende Einstellungen und diskriminierende
Vorurteile in Deutschland und Europa. Er diskutiert und
deniert zentrale Begriffe der Vorurteilsforschung, die
für die Entwicklung von Maßnahmen zur Vorurteilsre
duktion beitragen. Dazu dokumentiert er unterschied
liche Perspektiven auf diese Phänomene und greift
aktuelle Diskurse auf. Im Besonderen werden Verläufe
und Ausprägungen von zentralen Facetten des Konzepts
der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit berich
tet. Fokussiert wird hierbei auf abwertende Einstel
lungen gegenüber ImmigrantInnen 1, Asylsuchenden
und Flüchtlingen, Sinti und Roma, Juden und Jüdinnen
und MuslimInnen, Menschen anderer Hautfarbe sowie
gegenüber Menschen mit einer homosexuellen Orien
tierung. Diese Elemente sind nach Lage der Forschung
besonders relevant, weil sie immer wieder zu vorurteils
basierten Hasstaten führen.
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Mit Blick auf diese Elemente lässt sich festhalten:
Die abwertenden Einstellungen gegenüber Immigran
tInnen sind rückläug.
-
Antisemitismus ist leicht rückläug.
Muslim- und Islamfeindlichkeit schwankt in Abhän
gigkeit von äußeren Faktoren; ist jedoch auch in der
Tendenz eher rückläug.
-
Rassismus ist konstant.
Antiziganismus entwickelt sich rückläug.
Die Abwertung von Asylsuchenden ist zuletzt ansteigend.
Die Abwertung von homosexuellen Menschen ist konti
nuierlich rückläug.
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Wesentlich für die Prävention und Intervention ist es,
Maßnahmen zu fördern und zu ergreifen, die die Ursa
chen der abwertenden Einstellungen und vorurteilsba
sierten Diskriminierungen ansprechen. Mit Blick auf die
Ursachen zeigt sich, dass insbesondere folgende Gruppen
anfällig sind, Ihnen zuzustimmen.
-
-
Derzeit sind vor allem ältere Personen (über 65 Jahre)
anfälliger für Vorurteile als jüngere Personen.
Es sind keine größeren Differenzen bezüglich des
Geschlechts beim Äußern von Vorurteilen ersichtlich.
Menschen mit geringerer Bildung sind stärker vorur
teilsbelastet als Menschen mit höherer Bildung. Zumin
dest schützt Bildung vor offenen Vorurteilen.
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Einkommensschwache Menschen sind häuger abwer
tend, auch wenn teilweise nur etwas häuger.
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1 Wir verwenden das Binnen-I zur Betonung der Gleichwertigkeit von
Geschlechtsbezeichnungen, weil es sich nach Studien in der Lesart
als inklusiver gezeig t hat.
Anlage III Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung 121
2. Rassismus oder Menschenfeindlichkeit – Blickwinkel und Konzepte 121
3. Facetten der Abwertung 125
3.1 Fremdenfeindlichkeit 125
3.2 Antisemitismus 126
3.3 Muslim- und Islamfeindlichkeit 126
3.4 Rassismus 126
3.5 Antiziganismus 127
3.6 Abwertung von Asylsuchenden 127
3.7 Abwertung von Menschen mit homosexueller
Orientierung 127
4. Verläufe und Verbreitungen der Abwertungen 127
4.1 Deutschland 127
4.2 Europa 129
4.2.1 Fremdenfeindlichkeit 129
4.2.2 Antisemitismus 133
4.2.3 Muslim- und Islamfeindlichkeit 133
4.2.4 Ethnischer Rassismus 134
4.2.5 Abwertung von Menschen mit homosexueller Orientierung 135
4.2.6 Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit insgesamt 137
4.2.7 Abwertungen im Kontext rechtsextremer Einstellungen 138
| 119
5. Anfällige Gruppen und zentrale Ursachen 139
5.1 Anfällige Gruppen 139
5.1.1 Geschlecht 139
5.1.2 Altersgruppen 139
5.1.3 Bildung 140
5.1.4 Einkommensgruppen 140
5.2 Zentrale Ursachen der Abwertung 141
6. Literatur 142
Anlage III Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus
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Zusammenfassung
Der vorliegende Bericht ist eine Bestandsaufnahme über
abwertende Einstellungen und diskriminierende Vor
urteile in Deutschland und Europa. Er diskutiert und
deniert zentrale Begriffe der Vorurteilsforschung, die
für die Entwicklung von Maßnahmen zur Vorurteilsre
duktion beitragen. Dazu dokumentiert er unterschied
liche Perspektiven auf diese Phänomene und greift
aktuelle Diskurse auf. Im Besonderen werden Verläufe
und Ausprägungen von zentralen Facetten des Konzepts
der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit berich
tet. Fokussiert wird hierbei auf abwertende Einstellun
gen gegenüber ImmigrantInnen 38, Asylsuchenden und
Flüchtlingen, Sinti und Roma, Juden und Jüdinnen und
MuslimInnen, Menschen anderer Hautfarbe sowie gegen
über Menschen mit einer homosexuellen Orientierung.
Diese Elemente sind nach Lage der Forschung besonders
relevant, weil sie immer wieder zu vorurteilsbasierten
Hasstaten führen.
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Mit Blick auf diese Elemente lässt sich festhalten:
Die abwertenden Einstellungen gegenüber ImmigrantIn
nen sind rückläug.
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Antisemitismus ist leicht rückläug.
Muslim- und Islamfeindlichkeit schwankt in Abhän
gigkeit von äußeren Faktoren; ist jedoch auch in der
Tendenz eher rückläug.
-
Rassismus ist konstant.
Antiziganismus entwickelt sich rückläug.
Die Abwertung von Asylsuchenden ist zuletzt ansteigend.
Die Abwertung von homosexuellen Menschen ist konti
nuierlich rückläug.
-
Wesentlich für die Prävention und Intervention ist es,
Maßnahmen zu fördern und zu ergreifen, die die Ursa
chen der abwertenden Einstellungen und vorurteilsba
sierten Diskriminierungen ansprechen. Mit Blick auf die
Ursachen zeigt sich, dass insbesondere folgende Gruppen
anfällig sind, Ihnen zuzustimmen.
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Derzeit sind vor allem ältere Personen (über 65 Jahre)
anfälliger für Vorurteile als jüngere Personen.
Es sind keine größeren Differenzen bezüglich des
Geschlechts beim Äußern von Vorurteilen ersichtlich.
Menschen mit geringerer Bildung sind stärker vorurteils
belastet als Menschen mit höherer Bildung. Zumindest
schützt Bildung vor offenen Vorurteilen.
-
Einkommensschwache Menschen sind häuger abwertend,
auch wenn teilweise nur etwas häuger.
38 Wir verwenden das Binnen-I zur Betonung der Gleichwertigkeit von
Geschlechtsbezeichnungen, weil es sich nach Studien in der Lesart als
inklusiver gezeigt hat.
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1. Einleitung
Der vorliegende Bericht präsentiert eine aktuelle Bestands
aufnahme der Forschung und des öffentlichen wie poli
tischen Diskurses über abwertende Einstellungen und
diskriminierende Vorurteile in der deutschen Gesellschaft.
Es geht um negative soziale Vorurteile und Abwertungen,
die zumeist wiederum auf Vorurteilen beruhen.
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Dabei beruft sich der Bericht vor allem auf empirische
Ergebnisse aus großen Meinungsumfragen. Dazu gehö
ren in Deutschland die Studien zur Gruppenbezogenen
Menschenfeindlichkeit (GMF) sowie die sogenannten
Mitte-Studien, die zunächst von der Friedrich-Ebert-Stif
tung unter Federführung der Kollegen Elmar Brähler und
Oliver Deckert und seit 2014 vom Institut für Interdiszipli
näre Konikt- und Gewaltforschung unter Federführung
von Andreas Zick mit den GMF-Studien zusammenge
führt wurden. Die Konzentration ergibt sich aus dem Inter
esse, möglichst Aussagen über (annähernd) repräsentativ
vertretene Gruppen in Studien zu erhalten. Soweit dazu
sinnvoll, werden auch andere Studien einbezogen.
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Berichtet werden Verläufe und Ausbreitungen von Vor
urteilen und diskriminierenden Einstellungen gegenüber
unterschiedlichen Gruppen. Der Bericht konzentriert
sich insbesondere auf Abwertungen von Gruppen, die im
Rahmen eines Nationalen Aktionsplanes der Bundesre
gierung sinnvollerweise gut adressiert werden können. Im
Vordergrund stehen daher Abwertungen von jüdischen
und muslimischen Menschen, Menschen anderer Haut
farbe, geüchteten und asylsuchenden Menschen, Sinti
und Roma, Menschen mit homosexueller Orientierung
sowie „Fremden“, also Immigranten bzw. Menschen, die
als fremd wahrgenommen und etikettiert werden. Zu die
sen Abwertungen berichten wir ausführlicher, weil sich
auf diese Abwertungen die Prävention, Intervention und
politische „Gegensteuerung“ im Nationalen Aktionsplan
(NAP) richten kann. Mit dem theoretischen und empi
rischen Konzept des Syndroms der Gruppenbezogenen
Menschenfeindlichkeit kann der Blick auf abgewertete
Gruppen auch erweitert werden, indem die erwähnten
Abwertungen in Beziehung gesetzt werden und auch wei
tere Abwertungen, die das gesellschaftliche Klima prägen,
in den Blick geraten.
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Der Bericht fokussiert drei Fragen, deren Beantwortung
für die Gestaltung von Politik, die sich auf empirische
Evidenz berufen möchte, maßgeblich ist:
Wie werden die Abwertungen konzipiert und gemessen?
Wie und wo sind die unterschiedlichen Abwertungsmus
ter derzeit verbreitet?
-
Welche Ursachen erscheinen als besonders wichtig, wenn
„Gegensteuerung“ diese bekämpfen möchte?
2. Rassismus oder Menschenfeindlichkeit –
Blickwinkel und Konzepte
Im Zentrum des Berichts stehen abwertende Einstellungen
und diskriminierende Vorurteile. In der Forschung, wie
auch der öffentlichen und politischen Debatte sind die
Begriffe zur Bezeichnung von feindseligen, abwertenden,
ausgrenzenden Einstellungen, Emotionen, Verhaltenswei
sen usw. gegenüber Gruppen nicht einheitlich und unum
stritten. Eine Begriffsnormierung macht keinen Sinn,
wenn es um Steuerung von Intervention und Prävention
geht. Wesentlich ist, dass hinter der Begriffsverwendung
divergente Perspektiven liegen. Für die Forschung, die
Erkenntnisse einbringen kann, sind folgende Perspektiven
zentral:
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Die empirische Sozialpsychologie ist mit Blick auf die
Abwertung und Diskriminierung auf die Konzepte der
Einstellung und Überzeugungsstruktur (Ideologien, beliefs
etc.) konzentriert. Im Rahmen der Vorurteils- und (eher
US-amerikanisch geprägten) Rassismusforschung bietet sie
ein Verständnis der kognitiven, emotionalen und verhal
tensbasierten Repräsentation und der psychologischen
Ursachen sozialer Vorurteile.
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Soziologie und sozialwissenschaftliche Rassismusforschung
richten den Blick auf kulturelle und gesellschaftliche Bedin
gungen, die Einstellungen und vor allem Formen der struk
turellen und institutionellen Diskriminierung hervorrufen.
Aus der Kritik, Vorurteile als soziale Einstellungen lediglich
auf eine individuelle Anfälligkeit zu reduzieren und die
kritische Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte
und die Herausforderung von Menschenrechten auszublen
den, haben derzeit die Konzepte des Rassismus und der
Fremdenfeindlichkeit eher Konjunktur.
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Die kulturwissenschaftliche Perspektive ist eng mit der
sozialwissenschaftlichen Sicht verbunden. Sie versteht
Abwertungen – soweit sich das generalisieren lässt – als
kulturell geprägte – auch rassistisch motivierte – Ableh
nung, Distanzierung, Differenz und Intoleranz gegenüber
„Fremden“, „Anderen“. Die Sichtweise ist eher geprägt durch
den Versuch, ein qualitatives und tiefes Verständnis von
Abwertungs- und Diskriminierungsmustern zu erreichen
und weniger von der Frage, wie in Ländern Abwertungen
und Diskriminierungen verteilt sind.
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Anlage III Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus
122 |
Die anthropologische wie auch soziobiologische und eth
nologische Sicht auf die Abwertung von Gruppen und ihre
Diskriminierung konzentriert sich auf die Frage, inwieweit
die Fremdenabwehr eine Konstante der Menschheitsge
schichte ist. Diese spezische Sicht trägt weniger zur Ana
lyse der Frage nach Verbreitungen und Verdichtungen von
Abwertungen in Gesellschaften bei. Diese Sicht ist derzeit
weniger einussreich in der Forschung.
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Teilweise taucht diese Sicht auch in einer kriminolo
gischen und politikwissenschaftlichen Sichtweise auf.
Abwertung und Diskriminierung sind relevant, wenn sie
Hasstaten (Hate Crimes) sind und als solche relevante
gesellschaftliche Devianzen darstellen, auf die Gesell
schaft normativ reagiert. Die Sichtweise ist anschlussfähig
an eine Vorurteilsforschung, weil Hasstaten im engeren
Sinne vorurteilsbasiert sind und daher von vorurteilsba
sierten Straftaten die Rede sein sollte.
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Einige spezische Forschungsfelder tragen ebenso durch
die Konzentration auf Phänomene, die mit Abwertungen
verbunden sind, zum Verständnis bei. Hier sind die Inklu
sions- bzw. Intersektionalitätsforschung, die Genderfor
schung, Sexismusforschung, Diskriminierungsforschung
etc. zu nennen, die sich etabliert und eigene Traditionen
ausgebildet haben.
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Nicht zu übersehen ist in der gesellschaftlichen und
politischen Diskussion aber auch, wie nicht-wissen
schaftliche Gruppen und Institutionen Einuss auf die
Konzeptualisierung von Abwertungen und Diskriminie
rungen nehmen. Durch den medialen Diskurs haben sich
Konzepte wie Fremdenfeindlichkeit oder Fremdenangst
durchgesetzt und auch in den Wissenschaften Einuss
gefunden. Nicht zuletzt rahmt auch Politik die Konzeptu
alisierung, indem sie z. B. Förderformate entwickelt und
dabei Konzepte adressiert, die von den Antragstellern
jeweils adaptiert werden. Es ist ein Unterschied, ob ein
Programm zur Prävention und Intervention bei Vorurtei
len als Programm gegen Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz,
Rassismus oder Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
gerahmt wird. Insofern ist die Konzeptualisierung der
zentralen Rahmenbegriffe, der dann wiederum spezische
weitere Konzepte und Phänomene zugeordnet werden
können, wichtig.
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Werden nun die zentralen Konzepte, die Abwertun
gen und Diskriminierungen in den unterschiedlichen
Forschungstraditionen genauer gefasst und noch einmal
rekapituliert, ergeben sich semantische Ähnlichkeiten
zwischen den Konzepten. So basiert das Konzept des
Vorurteils weitgehend auf dem Einstellungskonzept, d.h.
aus der Analyse von Einstellungen hat sich eine spezische
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Vorurteilsforschung entwickelt. Die Konzepte Rassismus
und Fremdenfeindlichkeit betonen die Verhaltensebene
sowie die Ebene struktureller Abwertungen von Gruppen.
Das Konzept Kulturrassismus fokussiert Wertmuster, die
Abwertungen erzeugen. Das Konzept rassistischer Ideologien
versucht, Überzeugungsmuster zu begreifen. Das Konzept
der Fremdenangst und –feindseligkeit fokussiert eher die
emotionale und kulturell überformte Abwehr im Sinne eines
Ethnozentrismus.
Wie auch immer die Konzepte zur Analyse gewählt werden,
es sollte beachtet werden, welche phänomenologische Ebene
das Konzept beschreiben oder analysieren möchte. Abwer
tungen und diskriminierende Vorurteile können als
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individuell – inter-personale Phänomene beschrieben, somit
als Dispositionen, Persönlichkeitsstrukturen, individuelle
Weltsichten oder Beziehungsmuster zwischen Personen
verstanden werden,
kollektive bzw. intergruppale Phänomene beschrieben
werden, d.h. als Abwertungen von Gruppen durch Gruppen
bzw. durch Mitglieder von Gruppen,
strukturelle, institutionelle Phänomene aufgefasst werden,
die unabhängig davon, ob Menschen sie individuell glauben,
aufweisen, vertreten etc., beobachtet werden können,
kulturelle Phänomene verstanden werden, die in den
Wert- und Normmustern von kulturellen Gemeinschaften
repräsentiert sind.
Mit Blick auf die Phänomene sind zusätzlich die unterschied
lichen Erscheinungsformen (Facetten) zu beachten. Hinsicht
lich der etablierten empirischen Vorurteils- und Rassismus
forschung können traditionelle und offene Abwertungen,
d.h. für Gemeinschaften mehr oder minder klar erkennbare
und die soziale Grundnorm verletzende, von modernen und
subtilen Abwertungen unterschieden werden. Während es
zu offenen Abwertungen kommt, weil sie nicht durch soziale
Normen (der Toleranz etc.) gebremst werden, erscheinen
moderne Abwertungen und diskriminierende Vorurteile
nicht direkt als abwertend, weil sie „auf Umwegen“ kommu
niziert werden.
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Werden die diversen, oben angedeuteten Zugänge reektiert,
fällt auf, dass die meisten Ansätze abwertende Einstellungen
als koniktäre Abgrenzungen, im Sinne von feindseligen
Überzeugungen, Emotionen wie auch Verhaltensabsichten
und –weisen von Gruppen gegenüber Gruppen, verstehen.
Es geht darum, die eigene Bezugsgruppe positiv distinkt von
der als fremd, bedrohlich, nicht zugehörig, abweichend etc.
denierten Fremdgruppe darzustellen und wahrzunehmen.
| 123
Abwertende Einstellungen sind demnach negative Beurteilungen und
Zuschreibungen von Gruppen oder Individuen, weil sie sich mit einer
bestimmten Gruppe (Ingroup) identizieren, gegenüber Gruppen, die
als Fremdgruppen (Outgroups) etikettiert oder wahrgenommen werden.
Diskriminierende Vorurteile drängen darauf, die Fremdgruppe durch
Meinungen, Emotionszuschreibungen und vor allem verhaltensorien
tierte Wahrnehmungen so abzuwerten, dass sie als ungleichwertig im
Vergleich zur Bezugsgruppe wahrgenommen wird.
-
Das Konzept der Einstellung ist zur Verwendung
aufgrund seiner Denitionsstärke gut geeignet. Einstel
lungen sind „…die Bewertung eines Objektes, Konzeptes
oder einer Verhaltensweise anhand einer Dimension von
gefallen oder nicht gefallen, gut oder schlecht, mögen oder
ablehnen“ (Ajzen/Fishbein, 2000, S.3). Einstellungen
können positiv wie negativ sein, stabil und resistent oder
instabil und variabel, stark und schwach, oder explizit
oder implizit sein. Sie können durch kognitive, affektive
und konative (also verhaltensbezogene) Dimensionen
gekennzeichnet sein.
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Auf dieser Grundlage können abwertende Einstellun
gen im allgemeinsten Sinne als soziale Vorurteile ver
standen werden, die dazu dienen, Ungleichwertigkeit
von Gruppen in einer Gesellschaft zu markieren und zu
stabilisieren.
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Mit dem Blick auf die Ungleichwertigkeit, die letztendlich
in allen Konzeptualisierungen von Rassismus, Vorurtei
len, Feindseligkeiten usw. wesentlich ist, können unter
schiedlichste Facetten von Abwertungen unterschieden
und in einem gemeinsamen Zusammenhang verstanden
werden. Dazu eignet sich das Konzept des Syndroms der
Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit.
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Anlage III Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus
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Abbildung 1
Das Syndrom der Gruppenbezogenen
Menschenfeindlichkeit nach Heitmeyer (2002)
Quelle: Zick/Küpper/Krause (2016): S. 37
Die Abbildung besagt:
Abwertungen und diskriminierende Vorurteile hän
gen eng miteinander zusammen und sollten auch im
Zusammenhang betrachtet werden. Das bedeutet, dass
Personen, die Vorurteile gegenüber einer Gruppe hegen,
auch eher dazu neigen Vorurteile gegenüber anderen
Gruppen zu äußern;
Abwertungen drängen dazu, die Ungleichwertigkeit von
Gruppen herzustellen, wobei zu prüfen ist, ob neben
Ungleichwertigkeitsideologien auch andere Ideologien
oder Faktoren maßgeblich sind;
die Abwertungen in einer Gesellschaft erfolgen gegen
über neuen und fremden Gruppen, wie auch gegenüber
Gruppen, die in einer Gesellschaft insofern als Min
derheit verstanden werden, als sie vermeintlich von
Normen abweichen; durch Lebensstile, den sozialen
Status oder das Geschlecht sollen sie als „minderwerti
ger“ markiert werden.
Empirisch und theoretisch lassen sich Vorurteile einzeln
und in Bezug auf jeweils andere abgewertete Gruppen
beschreiben. Gemein ist jedoch allen Vorurteilen, dass
sie vor dem Hintergrund einer Gegenüberstellung von
Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit erfolgen. Diese
Kontrastierung entspringt dem psychologischen Phä
nomen der Zuordnung zu Fremd- und Eigengruppen
(Tajfel/Turner, 1979), dem eine soziale Kategorisierung
von Menschen zugrunde liegt. Die Zuordnung erfolgt
dabei von außen, das heißt ob eine Person tatsächlich
einer sozialen Gruppe angehört oder nicht, spielt für den
Vorgang der Kategorisierung keine Rolle. Mit der Zuord
nung zu einer Gruppe ist ein erster Schritt auf dem Weg
zum Vorurteil gelegt, denn soziale Gruppen werden mit
bestimmten Beschreibungen und Eigenschaften belegt.
Diese Stereotype bilden die Grundlage für die Ausbildung
von Vorurteilen.
Dieser Gruppenbezug ist somit das gemeinsame Funda
ment aller Vorurteile. Diese Verbindung lässt sich auch
sprachlich ausdrücken, in dem sie als Gruppenbezo-
| 125
gene Menschenfeindlichkeit (GMF) bezeichnet werden
(Heitmeyer, 2002; siehe Abbildung 1). Dieser Begriff
rückt das Wesen der Vorurteile in den Vordergrund,
dass es sich dabei um ein soziales und kein individuelles
Feindschaftsverhältnis handelt, ohne einzelne Abwer
tungsformen stärker oder schwächer zu fokussieren.
Die Bezeichnung der Menschenfeindlichkeit räumt
ausdrücklich ein, dass Menschen als Angehörige von
schwachen sozialen Gruppen feindlich begegnet wird
und sie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimm
ten Gruppe abgewertet werden. Das GMF-Konzept geht
über die begrifiche Annäherung der einzelnen Abwer
tungsformen hinaus, indem empirisch gezeigt werden
kann, dass Vorurteile miteinander verbunden sind (Zick
et al., 2008). Alle empirischen Studien zeigen, dass die
Elemente hoch korrelieren, d.h.: Wenn eine Person auf
der Grundlage ihrer Gruppenzugehörigkeit eine andere
Gruppe abwertet, dann steigt die Wahrscheinlichkeit,
dass sie auch andere Gruppen abwertet. Abwertungen
von bestimmten Gruppen ziehen Abwertungen anderer
Gruppen nach sich. Diese Verbindung untereinander
ergibt sich durch einen gemeinsamen Kern der einzel
nen Vorurteile, der als Ideologie der Ungleichwertigkeit
bezeichnet wird. Demnach bildet die Betrachtung von
Fremdgruppenangehörigen als ungleichwertig das Fun
dament für Feindseligkeit.
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Die Verbindungen untereinander sind jedoch nicht
gleich stark ausgeprägt. Während beispielsweise frem
denfeindliche Vorurteile stark mit der Abwertung von
Asylsuchenden und der Muslimfeindlichkeit einher
gehen, ist der Zusammenhang mit Sexismus schwä
cher (Krause/Zick, 2013a). So lassen sich besonders bei
denjenigen Gruppen hohe Zusammenhänge aufzeigen,
bei denen ähnliche Motive für die Abwertung verant
wortlich sind (vgl. Zick/Hövermann/Krause, 2012;
Hövermann, 2016).
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Selbstverständlich könnten je nach Kontext der Diskus
sion und Analyse auch andere Gruppen Teil – wir bezeich
nen sie als Elemente – des Syndroms sein, allerdings ist
das Konzept auf eine empirische Studie in einem Quer
schnitt der Gesellschaft ausgerichtet und ähnlich wie
politische Steuerungsmaßnahmen auf die Frage fokus
siert, welche Gruppen von einer relativ großen Gruppe so
abgewertet werden, dass sie ungleichwertig erscheinen
oder auch Ungleichwertigkeit objektiv erleben.
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3. Facetten der Abwertung
3.1 Fremdenfeindlichkeit
Fremdenfeindliche Einstellungen sind im Wesentlichen
gekennzeichnet durch ein Gefühl der Bedrohung durch
Zuwanderer. Dieses Bedrohungsempnden basiert auf
vermeintlicher Konkurrenz um begehrte gesellschaft
liche Ressourcen wie z. B. Positionen auf dem Arbeits-,
Bildungs-, Konsum- oder Wohnungsmarkt. Obwohl
zugewanderte Menschen keine homogene gesellschaft
liche Gruppe darstellen, werden sie als eine solche
wahrgenommen. In Deutschland leben Menschen aus
allen Staaten der Welt, wodurch es Zugewanderten
nicht gerecht wird, sie alle als eine Gesamtgruppe zu
betrachten. Die gesellschaftliche Heterogenität äußert
sich jedoch nicht nur in der Staatsangehörigkeit, son
dern auch in religiöser, werteorientierter oder alltäg
licher Lebensweise. Auch diese Heterogenität spielt in
der Betrachtung von Vorurteilen gegenüber Zugewan
derten eine erhebliche Rolle. Neben dem materiellen
Aspekt der vermeintlichen Bedrohung für die autoch
thone Gesellschaft spielt aber ebenso die Wahrneh
mung einer kulturellen Bedrohung eine Rolle. In der
Sozialpsychologie wird an diesem Punkt zwischen rea
listischer und symbolischer Bedrohung unterschieden.
Die Integrierte Bedrohungstheorie (Stephan/Renfro,
2002) geht darauf ein, dass sich die subjektive Bedro
hungswahrnehmung auf realistische Ressourcen wie
Arbeitsplätze beziehen kann oder auf symbolische Res
sourcen wie Werte, Normen oder moralische Vorstel
lungen. Diese Unterscheidung ist für die Einschätzung
der Fremdenfeindlichkeit nicht unerheblich, gehen die
Bedrohungswahrnehmungen doch auf unterschiedli
che Motive der Abwertung zurück. Besonders relevant
bei der Fremdenfeindlichkeit ist das Element der emp
fundenen Fremdheit, sodass bestimmte als besonders
andersartig wahrgenommene Gruppen in der Bevölke
rung zur Zielscheibe der Fremdenfeindlichkeit werden.
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Anlage III Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus
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3.2 Antisemitismus
Antisemitismus bezieht sich auf die Abwertung von
Menschen jüdischen Glaubens, deren kulturelle Praktiken
und Symbole. Als ein sehr altes Vorurteil mit einer langen
Geschichte ist es auf die Feindseligkeit gegenüber Juden
bezogen. Darüber hinaus ist Antisemitismus in seinem
Wesen auch durch die Unterstellung einer V e rschwörung
sowie einer Mitschuld an Verfolgungen von Juden
gekennzeichnet (vgl. z. B. Zick, 2015).
Dementsprechend kann zwischen verschiedenen Facetten
antisemitischer Einstellungen unterschieden werden. In
seiner klassischen Variante bezieht sich der Antisemi
tismus auf die jüdische Religion und schreibt Menschen
jüdischen Glaubens bestimmte Verhaltensweisen und
Charaktermerkmale zu. Hier ist ein Konspirationsmythos
vom weltweiten jüdischen Einuss besonders relevant.
Ausdrücke eines modernen, transformierten Antisemi
tismus sind dagegen weniger klar formuliert und daher
schwerer zu erkennen. Der modernde Antisemitismus
kommuniziert sich auf Umwegen, in dem er Mythen über
Juden und Jüdinnen sowie das Judentum so verändert, dass
eine soziale Ächtung umgangen wird. In seinen aktuellen
Erscheinungsformen sind der sekundäre und israelbe
zogene Antisemitismus dominant. Diese zwei Facetten
gründen sich auf der Vorstellung, Juden und Jüdinnen
würden als ein Kollektiv nach Macht und Herrschaft in
unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen streben. Zu
Grunde liegen dieser Vorstellung Verschwörungstheorien
über ein jüdisches Kollektiv, das entsprechend zugeschrie
bener jüdischer“ Eigenschaften agiert (Wetzel, 2014). Somit
weist auch der Antisemitismus wahrgenommene Bedro
hungskomponenten auf, der sich sowohl auf materielle wie
immaterielle Aspekte bezieht. Weitere wichtige Facetten
umfassen die Zuschreibung einer Mitschuld an der Verfol
gung, dem Vorwurf der Vorteilnahme aus dem Holocaust,
der Unterstellung von Separation und mangelnder Loya-
lität sowie der Forderung nach einem Schlussstrich unter
die Vergangenheit.
-
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-
3.3 Muslim- und Islamfeindlichkeit
Muslimfeindlichkeit bezieht sich auf die Abwertung
von und Angst vor Menschen muslimischen Glaubens
und die Angst vor ihnen. Die Abwertung ist verknüpft
mit einer negativen Einstellung gegenüber der islami
schen Kultur sowie gegenüber gesellschaftspolitischen
und sozialen Aktivitäten von muslimischen Menschen.
Darüber hinaus werden muslimischen Personen Eigen
schaften, Merkmale und Verhaltensweisen zugeschrieben
und im Kontrast bzw. in Inkompatibilität mit denen
-
-
der Mehrheitsgesellschaft gesehen. Die Bedeutung der
religiösen Orientierung wird dementsprechend überhöht
und als diametrales Pendant zur westlichen Demokratie
wahrgenommen und somit als unvereinbar abgebildet.
Die Darstellungen einer stereo typen muslimischen
Lebensweise und kultureller Praktiken unterliegen einer
einseitigen Verengung auf schematische Kategorien,
die im vermeintlichen Gegensatz zu der pluralistischen
und christlichen Lebensweise der Mehrheitsgesellschaft
wahrgenommen werden. Demzufolge drückt sich hier
nicht nur eine Muslim-, sondern auch eine Islamfeind
lichkeit aus, die an ein Bedrohungsempnden gekoppelt
ist (Zick, 2011, 2016).
-
Auf theoretischer Ebene ergeben sich somit Überschnei
dungen zur Fremdenfeindlichkeit, in der eine Bedrohung
der Werte und Normen thematisiert wird. Dennoch
ergeben sich Unterschiede, da Fremdenfeindlichkeit sich
allgemeiner auf Zuwanderer bezieht, während Muslim
feindlichkeit sich zum einen auf Personen muslimischen
Glaubens und zum anderen ebenso auf Deutsche mit
Migrationshintergrund beziehen kann.
-
-
In Bezug auf diskriminierende Vorurteile interessiert an
dieser Stelle stärker die muslimfeindliche als die islam
feindliche Variante. Muslimfeindliche Einstellungen
beziehen sich konkret auf die Menschen dieses Glaubens,
während die islamfeindlichen Einstellungen den Fokus
auf die Religion legen. Diese Unterscheidung ist auch
für die empirische Erforschung notwendig, da nur klar
abgrenzbare und konkrete Instrumente die Erfassung
eines Vorurteils ermöglichen.
-
3.4 Rassismus
Rassismus umfasst abwertende Einstellungen und Verhal
tensweisen hinsichtlich einer vermeintlich „natürlichen“
Höherwertigkeit von Menschen mit weißer Hautfarbe.
Hier ist also ein biologischer bzw. ethnisch-kultureller
Rassismus zu verstehen, der ethnische oder phänomeno
logische Kategorien als biologische Differenz kategorisiert.
Ebenso wie der Sexismus stellt Rassismus eine ideolo
gische Feindseligkeit dar, die sich auf körperliche bzw.
biologische Merkmale von Menschen bezieht. Implizit
geht damit eine Akzentuierung einer kulturellen Überle
genheit von weißen Menschen gegenüber Menschen mit
dunkler Hautfarbe einher (Heitmeyer, 2002).
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-
-
Wie eingangs erwähnt, kann der Rassismusbegriff auf
andere Facetten von Menschenfeindlichkeit angewendet
werden, d.h. es gibt – je nach Äußerungsform – einen
antimuslimischen, antiziganistischen, antisemitischen,
| 127
homophoben Rassismus. Es empehlt sich jedoch nicht,
ohne nähere empirische oder theoretische Reexion
den Rassismusbegriff als Catch-all-Term zu verwenden,
solange auch nicht-rassistisch begründete Abwertungen
empirisch vorhanden sind. Zumindest aber sollte bedacht
werden, dass es einen Rassismus ohne Rassismus gibt.
3.5 Antiziganismus
Antiziganistische Vorurteile äußern sich in der Unterstel
lung von abweichendem (z. B. kriminellen) Verhalten, aber
auch von Lebenspraktiken, die vermeintlich in Unver
einbarkeit zu denen der Mehrheitsbevölkerung stehen.
Da Roma aufgrund dieser Zuschreibung eine vermutete
Gefährdung darstellen, geht die Feindseligkeit mit einem
Wunsch nach Distanzierung und der Vermeidung von
Kontakt einher (Zick/Hövermann/Krause, 2012).
-
-
Antiziganismus ist ein Vorurteil mit einer langen euro
päischen Geschichte. Dementsprechend sind stereotype
Überzeugungen über Roma tief und fest im kollektiven
Gedächtnis der Gesellschaft verankert, wodurch sich
Parallelen zum Antisemitismus ergeben. Gesellschaftliche
Konzepte darüber, wie Roma sich verhalten und leben,
verbinden sich mit einer geringschätzenden Betrachtung
über sie und prägen somit den Kontakt und Umgang mit
ihnen. Im Sinne diskriminierender Vorurteile stellt dieser
Aspekt die verhaltensbezogene Komponente des Vorur
teils dar. Insbesondere für den Antiziganismus spielt diese
Dimension eine wesentliche Rolle spielt, da die Vermei
dung sozialer Nähe ein zentrales Element dieser Abwer
tungsform ist.
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-
Im Gegensatz zu den anderen genannten vorurteilsba
sierten Einstellungen handelt es sich bei der Gruppe der
Sinti und Roma um eine ofziell anerkannte, nationale
Minderheit, wodurch den Angehörigen dieser Gruppe eine
besondere Aufmerksamkeit zukommt.3 9
-
39 Neben den Sinti und Roma werden drei weitere Gruppen ofziell als
nationale Minderheiten in Deutschland anerkannt. Dabei handelt es
sich um Sorben, Dänen und Friesen. Diese leben zum größten Teil in
regional begrenzten Gebieten, weshalb keine zuverlässigen und eta
blierten Messinstrumente zur Verfügung stehen. Eine bundesweite
Erfassung der Abwertung erscheint daher nicht möglich. Dement
sprechend liegen hierzu keine Daten vor.
3.6 Abwertung von Asylsuchenden
Die Abwertung von Asylsuchenden bezieht sich auf
Feindseligkeiten gegenüber geüchteten Menschen, die
in Deutschland Sicherheit und Schutz vor Verfolgung
suchen. Bei der Antragstellung von Asylgesuchen wird
-
-
ihnen Illegitimität unterstellt, indem sie bestehende
Gesetze missbrauchen würden. Auf diese Weise wird Asyl
suchenden vorgeworfen, sie verfolgen das Ziel, auf Kosten
der Allgemeinheit zu leben. Hinter dieser Feindseligkeit
sind zum einen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Asylge
setze, aber auch an den Flüchtlingskonventionen zum Tra
gen. Zum anderen verweist die Abwertung asylsuchender
Menschen aber auch auf die Motive der Vorurteilsträger,
in dem das staatliche Gewähren von Asyl eine Bedrohung
für die persönlichen Ressourcen darstellt. Demzufolge
spielen hier zwar materielle Bedrohungswahrnehmun
gen eine Rolle, darüber hinaus aber ebenso immaterielle,
indem eine Gefährdung von Werten und Normen implizit
mitgedacht wird. So zeigt sich demzufolge zwischen der
Abwertung von Asylsuchenden einerseits und muslim-
und fremdenfeindlichen Einstellungen andererseits eine
empirische Nähe (Krause/Zick, 2013b).
-
-
-
-
3.7 Abwertung von Menschen mit homosexueller
Orientierung
Die Abwertung von Menschen mit homosexueller
Orientierung bezieht sich auf feindselige Einstellungen
gegenüber Menschen, die eine sexuelle Ausrichtung
leben, die sich von der als normal wahrgenommenen,
heterosexuellen unterscheidet. Mit ihrer homosexuellen
Orientierung werden Menschen als eine Bedrohung für
die Gesellschaft wahrgenommen, da sie die Vorstel
lungen einer christlich geprägten Lebensweise und die
damit verbundenen Moralvorstellungen in Frage stellen.
Die Andersartigkeit und die Etikettierung als „unnormal“
von Menschen mit einer homosexuellen Orientierung
werden überbetont, in dem diese als ein zentrales und
übergeordnetes Charakteristikum zur Einschätzung von
Menschen verwendet wird (Heitmeyer, 2006).
-
4. Verläufe und Verbreitungen der Abwertungen
4.1 Deutschland
Zentral für die Beobachtungen abwertender Einstel
lungen und diskriminierender Vorurteile sind die
Ergebnisse der Studie Gruppenbezogene Menschen
feindlichkeit. In den sog. GMF-Studien wurden seit 2002
Zufallsstichproben von BundesbürgerInnen, die nach
repräsentativen Kriterien ausgewählt wurden, befragt.
In der Regel wurden ca. 2.000 Personen befragt, wobei
demograsche Verzerrungen weitgehend durch die
Stichprobenziehung kontrolliert werden konnten.
-
-
Anlage III Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus
128 |
Abbild ung 2
Entwicklung verschiedener Vorurteile zwischen 2002 – 2016
Quelle: GMF 2002–2011, FES-Mitte-Studie 2014–2016, eigene Berechnungen, Angaben in Prozent.
Die Studie beobachtet mit Blick auf die zentralen Abwer
tungselemente:
-
Für die Fremdenfeindlichkeit kann eine rückläuge
Entwicklung seit 2002 festgestellt werden, jedoch war
diese nicht gradlinig. Ein konstant hohes Ausmaß konnte
über drei Jahre zwischen 2004 und 2006 beobachtet
werden, gefolgt von drei Jahren des Rückgangs, auf den
wiederum ein leichter Anstieg folgte. Gewisse Parallelen
mit wirtschaftlichen Faktoren können nachgezeichnet
werden, indem sich eine höhere Arbeitslosigkeit und
auch die Folgen der Finanzkrise in der Entwicklung
fremdenfeindlicher Einstellungen widerspiegelt. Vor
allem die Wahrnehmung einer materiellen Bedrohung
scheint hier wirksam zu werden. Bei den letzten beiden
Erhebungen konnten jedoch die mit Abstand niedrigsten
Werte festgestellt werden.
Rassistische Einstellungen hingegen sind in ihrer Ver
breitung und Entwicklung offenbar weniger beeinussbar
von äußeren Faktoren, da ihr Verlauf seit 2002 weniger
starken Schwankungen unterliegt. Über den Zeitraum
von 14 Jahren beträgt die Spannweite lediglich fünf Pro
zentpunkte. Dies zeugt von einer enormen Stabilität und
Konstanz und lässt somit den Schluss zu, dass rassisti
-
-
-
schen Abwertungen tiefe, ideologische Überzeugungs
muster bei den Menschen selbst zugrunde liegen.
-
Ähnliches kann für den Antisemitismus, der hier als
klassischer Antisemitismus abgetragen ist, festgehalten
werden, da auch dieser in der zeitlichen Betrachtung über
lange Zeit nur geringe Schwankungen aufweist. Aller
dings lassen sich drei Phasen in der Entwicklung beob
achten. Die erste Phase des Beobachtungszeitraumes
umfasst die Jahre 2002 bis 2005, in denen antijüdische
Einstellungen ein zweistelliges Ausmaß aufweisen. Ab
2006 ist die Verbreitung durchgängig auf einem niedrige
ren Niveau und schwankt bis 2014 um weniger als zwei
Prozentpunkte. Schließlich ist ein deutlicher Rückgang in
2016 zu beobachten, sodass klassischer Antisemitismus
auf dem bislang niedrigsten Stand ist.
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Die Entwicklung muslimfeindlicher Abwertungen ist
dagegen weniger eindeutig, denn es lassen sich über die
genannten 14 Jahre größere Schwankungen beobachten.
Nach einem Anstieg bis 2006 erfolgte ein dreijähriger
Rückgang, der von einem neuerlichen, sprunghaften
Höhepunkt 2010 abgelöst wurde. Erneut gingen mus
limfeindliche Einstellungen auf unter 20 Prozent in den
Jahren 2014 und 2016 zurück, wodurch auch hier das
-
| 129
niedrigste Ausmaß seit der Ersterhebung 2003 festge
stellt werden kann.
-
Eine abnehmende Entwicklung zeichnet sich ebenso für
die Abwertung homosexuell orientierter Menschen ab,
die im Jahr 2016 ihr niedrigstes Ausmaß aufweisen. Diese
Abwertungsform ist ein geeignetes Beispiel dafür, wie
gesellschaftliche Diskurse auf die Verbreitung von negati
ven Einstellungen Einuss nehmen können. Eine konti
nuierliche Einforderung von Gleichstellung hat mit hoher
Wahrscheinlichkeit dazu beigetragen, dass die Akzeptanz
und Respektierung alternativer partnerschaftlicher Lebens
formen und deren gleichwertige gesellschaftliche Anerken
nung größere Zustimmung in der Bevölkerung erfahren und
somit zu einem Rückgang in der Abwertung führen.
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Die Erforschung von abwertenden Einstellungen gegen
über asylsuchenden Menschen kann nur auf einen kürze
ren Beobachtungszeitraum blicken, sodass lediglich drei
Befragungen zur Verfügung stehen. Nach einem leichten
Rückgang in der Abwertung von 2012 auf 2014, stieg die
Abwertung in 2016 deutlich an. Der Zustimmungsanteil
im Jahr 2016 ist mit knapp 50 Prozent hoch, sodass knapp
die Hälfte der Bevölkerung den abwertenden Einstellun
gen zustimmt. Es ist nicht auszuschließen, dass aufgrund
aktueller Entwicklungen in den Fluchtbewegungen und
in der Anzahl asylsuchender Menschen in Deutschland
eine jetzige Befragung ein anderes Ausmaß feststellen
würde. Wie zu beobachten ist, sind politische und soziale
Einstellungen in der Bevölkerung nicht losgelöst von
gesellschaftlichen Ereignissen und Veränderungen.
-
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Ein zeitlicher Vergleich für antiziganistische Vorurteile
ist ebenfalls nur für 2011, 2014 und 2016 möglich, doch
zeichnet sich ein Rückgang ab. Zuletzt stimmten knapp
ein Viertel der Befragten dieser Abwertungsform zu.
Ähnlich wie beim Antisemitismus können antiziganis
tische Vorurteile auf eine längere Entwicklungsge
schich te in der deutschen Gesellschaft zurückblicken.
Im Unterschied jedoch weisen sie keine so starke gesell
schaftliche Ächtung wie antijüdische Einstellungen auf.
-
-
-
4.2 Europa
In der Studie „Die Abwertung der Anderen wurde erst
malig eine breite und vergleichende Erfassung von ab
wertenden Einstellungen in Europa vorgenommen. In
acht europäischen Ländern wurde 2008 mittels reprä
sentativer Stichproben die Verbreitung verschiedener
Vorurteile untersucht.
-
-
-
4.2.1 Fremdenfeindlichkeit
Fremdenfeindliche Einstellungen als Abwertung von
ZuwanderInnen sind in Europa unterschiedlich stark
verbreitet. Während das Ausmaß in Frankreich und
den Niederlanden verhältnismäßig gering ist, ist es in
Ungarn und Großbritannien besonders hoch. Deutsch
land bendet sich im europäischen Mittelfeld.
-
Abbildung 3
Fremdenfeindlichkeit im europäischen Vergleich 2008
Quelle: Zick/Küpper/Hövermann, 2011, S. 64, Mittelwerte.
Anlage III Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus
130 |
Auch in der sozialwissenschaftlichen europäischen
Studie European Social Survey (ESS) 40 wurde die „Frem
denfeindlichkeit“ untersucht. Da es sich hierbei um eine
Langzeitstudie handelt, kann die Entwicklung fremden
feindlicher Einstellungen beobachtet werden.
-
-
Einstellungen zur Zuwanderung – welchen Gruppen sollte
die Einwanderung verwehrt werden? 41
Abbildung 4 zeigt, dass in den europäischen Ländern
unterschieden wird, ob Zuwanderung von Personen
der gleichen oder aber anderer ethnisch-kultureller
Herkunft erfolgt. Handelt es sich bei den MigrantInnen
um Menschen gleicher ethnischer Herkunft, sind im
Langzeitvergleich durchschnittlich zwischen 20 und 50
Prozent der europäischen Befragten der Ansicht, man
solle nur wenige oder keine von ihnen im eigenen Land
aufnehmen. Wird nach der Aufnahme von MigrantIn
nen anderer bzw. „fremder“ ethnischer Herkunft gefragt,
so ist die Ablehnung im Schnitt mit 35 bis knapp 60 Pro
-
-
-
-
zent größer. Ausreißer nach oben sind Ungarn und Portu
gal und nach unten ist es Schweden, wo die Abwertungs
werte äußerst gering sind. Während sich die Befragten in
Portugal gegen ZuwanderInnen aus dem gleichen eth
nisch-kulturellen Umfeld aussprechen (rund 55 Prozent),
lehnen rund 80 (!) Prozent der ungarischen Befragten des
ESS Menschen mit anderer Herkunft ab. Demgegenüber
lehnen nur rund 10 bzw. 13 Prozent der schwedischen
Befragten MigrantInnen gleicher bzw. anderer ethnisch
kultureller Herkunft ab.
-
-
-
Die Ablehnung der Aufnahme von MigrantInnen gleicher
ethnisch-kultureller Herkunft ist in Deutschland mit
rund 20 Prozent leicht unterdurchschnittlich ausgeprägt.
Lediglich die beiden skandinavischen Länder zeigen hier
noch geringere Werte. Das Ausmaß der Ablehnung der
Aufnahme von MigrantInnen anderer ethnisch-kulturel
ler Herkunft hingegen ist mit rund 40 Prozent als durch
schnittlich einzustufen.
-
-
40 Hier wurden neben einer Reihe von anderen Einstellungen auch
fremdenfeindliche Vorurteile und Abwertungen gegenüber homo
sexuellen Menschen über einen Zeitraum von 12 Jahren in 7 Wellen
von 2002 bis 2014 erhoben.
41 Abgetragen ist die addierte Zustimmung zu den Antwortausprä
gungen „wenigen MigrantInnen bzw. „keinen MigrantInnen auf
die Frage, wie vielen Migranten und Migrantinnen der jeweiligen
Gruppe die Migration erlaubt werden sollte.
Abbildung 4
Ablehnung von Zuwanderern
Quelle: ESS, eigene Berechnungen,
Landesmittelwerte 2002–2014 in Prozent.
| 131
Die Aufnahmebereitschaft der Mehrheitsgesellschaft
von MigrantInnen hat der ESS zusätzlich in Hinblick auf
die geographische Herkunft der Zugewanderten ermit
telt und dabei explizit nach Zuwanderung von Menschen
aus ärmeren außereuropäischen Ländern gefragt. In den
meisten der zehn abgetragenen Ländern gaben durch
schnittlich zwischen 40 und 55 Prozent der Befragten
an, sie würden nur wenige oder keine ZuwanderInnen
aus ärmeren Ländern außerhalb Europas aufnehmen
wollen. Die höchste Ablehnung der Zuwanderung dieser
Migrantengruppe erfolgt eindeutig in Ungarn, wo
knapp 85 Prozent dies ablehnen. Aber auch in Portugal
(63 Prozent), Dänemark (55 Prozent), Großbritannien
(53 Prozent) oder Frankreich (51 Prozent) lehnen über
die Hälfte der Befragten eine größere Zuwanderung
ab. Erneut ist in Schweden eine mit Abstand positivste
Haltung zur Zuwanderung in der Bevölkerung festzu
stellen. In Deutschland liegt der durchschnittliche Wert
bei 43 Prozent, die sich gegen größere Zuwanderung aus
ärmeren außereuropäischen Ländern aussprechen.
-
-
-
Bereicherung durch Zuwanderung?
Im ESS wurde neben der Aufnahmebereitschaft der
EuropäerInnen gegenüber Zugewanderten auch mit
drei weiteren Aussagen ermittelt, ob die Befragten eine
Bereicherung für ihr Land durch MigrantInnen erkennen
oder diese negieren. Dabei wurde mit den drei Fragen
auf verschiedene Bereiche abgezielt: generell besserer/
schlechterer Ort zum Leben, gut/schlecht für die hei
mische Wirtschaft und guter/schlechter Einuss auf die
eigene Kultur.
-
Abbildung 5
Zustimmung zu Aussagen der Verschlechterung
durch Zuwanderung in verschiedenen Bereichen
Quelle: ESS, eigene Berechnungen,
Landesmittelwerte 2002–2014 in Prozent.1
1 Die drei Items wurden jeweils auf einer Skala von 0 „negativer
Einuss“ bis 10 „positiver Einuss“ abgefragt. Abgetragen sind die
addierten Zustimmungen der Antwortausprägungen 0, 1, 2 und 3.
Anlage III Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus
132 |
Betrachten wir zunächst das Ausmaß, inwieweit der gen
erellen Aussage zugestimmt wird, dass Zuwanderer
das eigene Land zu einem schlechteren Ort zum Leben
machen. Knapp jede/r vierte Befragte in Deutschland
stimmt dieser Aussage zu. Am häugsten wird diese Mei
nung in Italien, Portugal und Ungarn vertreten, wo mehr
als 35 Prozent der Befragten zustimmen. Am niedrigsten
ist die Zustimmung in den Niederlanden, Dänemark,
Polen und Schweden.
-
-
Mit Blick auf die von den Befragten vermuteten Auswir
kungen von Zuwanderung auf die heimische Wirtschaft,
äußern vor allem ungarische Befragte mehrheitlich nega
tive Meinungen zur Zuwanderung. Dabei sind es insbe
sondere ökonomische Bedrohungen, die wahrgenommen
werden. Ebenfalls weit verbreitet ist die wahrgenommene
ökonomische Bedrohung in Großbritannien, Portugal,
Frankreich und Italien, wo jeweils rund 30 Prozent der
Befragten dies äußern. Deutlich geringer sind die Befürch
tungen dahingehend in den Niederlanden und erneut in
Schweden.
-
-
-
-
Im ESS wurde auch der Einuss der Zuwanderung auf die
heimische Kultur erfragt. Insgesamt befürchten im Durch
schnitt weniger Befragte in den Ländern einen negativen
Einuss durch Zuwanderung, da in allen Ländern die
durchschnittlichen Zustimmungsraten unter 30 Prozent
liegen. Am häugsten wurden derartige Befürchtungen in
Großbritannien, Italien und Frankreich mit knapp über 25
Prozent geäußert. In Deutschland beträgt der Wert 16 Pro
zent. Am geringsten sind die Befürchtungen einer negati
ven kulturellen Beeinträchtigung durch Zuwanderung in
den Niederlanden, in Polen und erneut in Schweden.
-
-
-
Anhand der ESS-Studie lässt sich somit zusammenfassen,
dass über den Zeitraum von 2002 bis 2014 fremdenfeindli
che Einstellungen unterschiedlich stark in den einzelnen
Ländern Europas ausgeprägt waren. Dabei zeigt sich, wie
schon in der Querschnittanalyse von Zick et al. (2011), dass
Fremdenfeindlichkeit auch über einen längeren Zeitraum
insbesondere in Ungarn stark verbreitet ist. Bei drei von
sechs fremdenfeindlichen Aussagen sind die ungarischen
Befragten mit Abstand diejenigen mit der stärksten Abwer
tung von MigrantInnen. Auch bei den weiteren Fragen
rangiert Ungarn unter den Ländern mit dem größten An
teil an xenophoben Einstellungen. So lehnten z. B. knapp
80Prozent der Ungarn es ab, MigrantInnen mit anderen
ethnisch-kulturellen Wurzeln bei sich aufzunehmen.
-
-
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Die mit Abstand geringsten fremdenfeindlichen Einstel
lungen lassen sich in Schweden feststellen. Hier liegt bei
den meisten Aussagen die Ablehnung zwischen 10 und
15 Prozent. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland
zumeist im mittleren Bereich, wobei bei allen Items zu
erkennen ist, dass den fremdenfeindlichen Aussagen im
Laufe der Zeit erkennbar weniger zugestimmt wird – im
Gegensatz zu anderen Ländern (bspw. Polen und Frank
reich), in denen fremdenfeindliche Einstellungen zuletzt
wieder zugenommen haben.
-
-
| 133
4.2.2 Antisemitismus
Antisemitische Vorurteile sind in Europa unterschiedlich
stark verteilt. Die insgesamt stärksten Verbreitungen sind
in Ungarn und Polen zu beobachten, die geringsten dage
gen in den Niederlanden und Großbritannien. Deutsch
land bendet sich zusammen mit Frankreich und Italien
im mittleren Bereich.
-
-
Abbildung 6
Antisemitismus im europäischen Vergleich 2008
Quelle: Zick/Küpper/Hövermann, 2011, S. 67, Mittelwerte.
4.2.3 Muslim- und Islamfeindlichkeit
Die Verbreitungsunterschiede hinsichtlich Muslim- und
Islamfeindlichkeit sind eher gering. Bei den acht unter
suchten Ländern lassen sich zwei Gruppen identizie
ren. Die erste hat ein stärkeres, annähernd identisches
Ausmaß an Muslimen- und Islamfeindlichkeit. Hierzu
zählen Italien, Deutschland, Polen und Ungarn. Die zweite
Gruppe dagegen zeichnet sich durch ein schwächeres Aus
maß dieser Abwertung aus (Großbritannien, Frankreich,
Niederlande und Portugal).
-
-
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Anlage III Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus
134 |
-
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Abbild ung 7
Muslimfeindlichkeit im europäischen Vergleich 2008
Quelle: Zick/Küpper/Hövermann, 2011, S. 72, Mittelwerte.
4.2.4 Ethnischer Rassismus
Die vermeintliche Höherwertigkeit von weißen gegen
über schwarzen Menschen ndet insbesondere in Por
tugal, Polen und Ungarn starke Zustimmung. In Italien
und den Niederlanden ist dagegen das geringste Ausmaß
von ethnischem Rassismus zu beobachten. Deutschland,
Frankreich und Großbritannien unterscheiden sich kaum
voneinander. Rassistische Einstellungen nden entspre
chend in Teilen der jeweiligen Bevölkerung Zuspruch.
Abbildung 8
Ethnischer Rassismus im europäischen Vergleich 2008
Quelle: Zick/Küpper/Hövermann, 2011, S. 69, Mittelwerte.
| 135
4.2.5 Abwertung von Menschen
mit homosexueller Orientierung
Bei keiner anderen Abwertungsform ist die Bandbreite des
europäischen Ausmaßes größer als bei der Feindlichkeit
gegenüber homosexuellen Menschen. Die Entwicklung
hin zu einer Gleichberechtigung und –behandlung ver
schiedener Lebensformen ist in Europa unterschiedlich
weit vorangeschritten. Insbesondere Polen und Ungarn
fallen durch starke Abwertung von Menschen mit homo
sexueller Orientierung auf. Die Niederlande dagegen wei
sen das mit Abstand geringste Ausmaß auf, während sich
Deutschland zusammen mit den vier weiteren Ländern
im Mittelfeld bendet.
-
-
-
Abbildung 9
Abwertung von Menschen mit homosexueller Orientierung
im europäischen Vergleich 2008
Quelle: Zick/Küpper/Hövermann, 2011, S. 75, Mittelwerte.
Anlage III Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus
136 |
Auch im ESS ndet sich bezüglich der Abwertung von
Men
schen mit homosexueller Orientierung mit dem
Item Schwule und Lesben sollten so leben dürfen, wie sich
möchten“ eine Aussage. In den ausgewählten Vergleichs
ländern stechen hier zwei Länder bei der Bewertung die
ser Aussage heraus: In Polen (30 Prozent) und Ungarn (28
Prozent) ist hier die mit Abstand höchste und auch zeit-
lich stabilste Ablehnung zu verzeichnen; danach folgen
Italien und Portugal mit rund 15 Prozent und Deutsch
land und Frankreich mit rund 10 Prozent. Hingegen
lehnen nur rund 5 Prozent der Befragten in den Nieder
landen, Dänemark und Schweden es ab, dass Schwule
und Lesben so leben dürfen sollten, wie sie möchten.
-
-
-
-
Abbildung 11
| 137
4.2.6 Gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit insgesamt
Abwertungen und diskriminierende Vorurteile unter
liegen in Europa unterschiedlichen Verbreitungen. Wird
aus sechs Abwertungsformen 42 ein Gesamtausmaß
berechnet, zeigt sich folgendes Bild:
-
Ungarn und Polen fallen durch ein hohes Ausmaß an
Menschenfeindlichkeit auf.
Es gibt ein breites Mittelfeld von Deutschland,
Großbritannien, Frankreich, Italien und Portugal.
Die Niederlande erweist sich als das Land mit dem
deutlich geringsten Ausmaß an Menschenfeindlichkeit.
42
Hierzu zählen: Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus,
Abwertung von homosexuellen Menschen, Muslimfeindlichkeit und
Sexismus.
Abbildung 12
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Europa 2008
Quelle: Zick/Küpper/Hövermann, 2011, S. 84, in Prozent.
Anlage III Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus
138 |
4.2.7 Abwertungen im Kontext
rechtsextremer Einstellungen
In den sog. Mitte-Studien wurden abwertende Einstel
lungen und diskriminierende Einstellungen im Kontext
zentraler rechtsextremer Überzeugungen erfasst. Hierzu
gehören nach Meinung einer Konsens-Arbeitsgruppe der
Antisemitismus und die Ausländerfeindlichkeit. Abbil
dung 13 zeigt die Verläufe der beiden Elemente im Kontext
der anderen Dimensionen rechtsextremer Einstellungen.
-
-
Im Blick auf ein “rechtsextremes Syndrom“ bestätigen sich
Trends, die zuvor berichtet wurden:
Ausländerfeindliche Abwertungen entwickeln sich in der
deutschen Bevölkerung seit 2002 tendenziell rückläug,
auch wenn zuletzt ein leichter Anstieg zu vernehmen ist.
Auch der Antisemitismus ist leicht rückläug.
Das von den Autoren als manifest rechtsextreme
Einstellung genannte Gesamtkonstrukt, das die sechs
dargestellten Dimensionen umfasst, lässt eine stabile,
leicht rückgängige Entwicklung zwischen 2002 und
2012 erkennen. Anschließend kam es in 2014 zu einem
starken Rückgang mit nochmals niedrigeren Werten
zuletzt in 2016.
Abbildung 13
Entwicklung rechtsextremer Einstellungen zwischen 2002 – 2016
Quelle: Decker/Kiess/Brähler 2014; eigene Darstellung, Angaben in Prozent.
| 139
5. Anfällige Gruppen und zentrale Ursachen
5.1 Anfällige Gruppen
Mit Blick auf die Ursachen, aber vor allem Präven
tions- und Interventionsstrategien ist die Frage, wie
Abwertungen demograsch verteilt sind, wichtig. Im
Folgenden berichten wir über abwertende Einstellungen
und diskriminierende Vorurteile in Gruppen, die für den
sozio-ökonomischen Status relevant sind.
-
5.1.1 Geschlecht
Es lässt sich keine pauschale Einschätzung über
Geschlechtsunterschiede bei Vorurteilen treffen, gleich
wohl sich einzelne Differenzen abzeichnen, die sich auch
über mehrere Jahre als stabil erweisen. Hierzu gehören
die Fremdenfeindlichkeit und der Antiziganismus. Seit
erstmaliger Untersuchung im Jahr 2002 erweisen sich
Frauen als fremdenfeindlicher als Männer. In Tabelle
1 sind die Vorurteile nach Geschlecht für die jüngste
Erhebung 2016 abgetragen. Hier ist zu entnehmen, dass
es eher Männer sind, die fremdenfeindlicher sind – wenn
auch nicht statistisch signikant. Deutlicher el dagegen
der Geschlechterunterschied beim Antiziganismus aus.
Zwar liegen hierfür keine Langzeitdaten vor, jedoch e
len Frauen für alle Messzeitpunkte (2011, 2014, 2016) mit
stärkeren antiziganistischen Vorurteilen auf als Männer.
Zuletzt ins 2016 war diese Differenz jedoch geringer und
nicht mehr signikant. Auch bezüglich der Abwertung
asylsuchender Menschen äußern Frauen zuletzt etwas
häuger Vorurteile als Männer. Jedoch ist dieser Befund
nicht statistisch signikant. Männer wiederum erweisen
sich hinsichtlich der Abwertung von homosexuellen
Menschen als feindseliger. Dieser Befund ist zeitlich sehr
stabil. Auch bezüglich des klassischen Antisemitismus
lassen sich zuletzt statistisch signikant höhere Abwer
tungen bei Männern aufzeigen. Hinsichtlich des Rassis
mus und der Muslimfeindlichkeit zeigen sich dagegen
keine klaren Geschlechtsdifferenzen.
-
-
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Tabelle 1: Vorurteile bei Männer und Frauen 2016
Männer Frauen
Fremdenfeindlichkeit 20,1 18,1
klassischer Antisemitismus** 7,7 4,1
Muslimfeindlichkeit 18,9 17,7
Rassismus 9,9 7,7
Antiziganismus 24,1 25,7
Abwertung von asylsuchenden Menschen 48,6 50,4
Abwertung von Menschen mit homose
xueller Orientierung**
-11,9 7,8
Quelle : Zick/Küpper/Kr ause, 2016, Angaben in Prozent ,
* p ≤ .05, ** p ≤ .01, *** p < .001.
5.1.2 Altersgruppen
Die für diesen Bericht relevanten Abwertungsformen in
der Tendenz ein einheitliches Muster in den Altersgrup
pen auf, das sich auch zeitlich als äußerst stabil erweist.
Je älter die Befragten, desto häuger stimmen sie den
Abwertungen zu. Für alle Elemente (mit Ausnahme
der Muslimfeindlichkeit und des Antiziganismus) gilt,
dass in der Gruppe der Ältesten (ab 61 Jahre) die stärks
ten Feindseligkeiten beobachtet werden können (siehe
Tabelle 2). Hingegen lassen sich für die Gruppe der jüngs
ten Befragten (16–30 Jahre) für alle Elemente die nied-
rigsten Ausprägungen beobachten. Einzige Ausnahme ist
hier der Rassismus, wenn auch nicht statistisch signi
kant. Es lassen sich für kein Element signikant stärkere
Vorurteile in einer jüngeren Altersgruppe aufzeigen.
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Anlage III Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus
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Tabelle 2: Vorurteile in unterschiedlichen
Altersgruppen 2016
16 – 30
Jahre
31 – 60
Jahre
Ab 61
Jahre
Fremdenfeindlichkeit** 12,1 19,1 22,3
klassischer Antisemitismus* 4,1 5,1 8,0
Muslimfeindlichkeit** 11,2 19,9 19,5
Rassismus** 8,0 6,8 12,4
Antiziganismus** 17, 1 2 7,7 25,7
Abwertung von asylsuchen
den Menschen***
-33,5 52,7 53,4
Abwertung von Menschen
mit homosexueller Orientie
rung***
-3,7 7,6 16,3
Quelle : Zick/Küpper/Kr ause, 2016, in P rozent,
* p ≤ .05, * * p ≤ .01, *** p < .001 .
5.1.3 Bildung
Hinsichtlich der Verbreitung abwertender Einstellun
gen in verschiedenen Bildungsgruppen zeichnet sich
ein klares und eindeutiges Muster ab, das sich auch als
zeitlich hochgradig stabil erweist. Personen mit einer
hohen Bildung (Hochschulreife) weisen das mit Abstand
geringste Ausmaß an Vorurteilen auf (siehe Tabelle 3).43
In der Regel ist darüber hinaus ein linearer Anstieg von
niedriger, über mittlere hin zu hoher Bildung zu beob
achten. Einzige kleine Ausnahme dieser Regel stellt hier
der Antiziganismus dar, bei dem Befragte mit mittlerem
Bildungsniveau leicht höhere Abwertungen als Befragte
mit niedrigem Bildungsniveau äußern.
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-
43 Die Unterteilung in die drei Bildungsniveaus erfolgte wie folgt:
niedrige Bildung = keinen oder Hauptschulabschluss, mittlere Bil
dung = mittlere Reife, hohe Bildung = Fachhochschulreife/Abitur.
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Tabelle 3: Vorurteile nach Bildungsniveau 2016
Niedrig Mittel Hoch
Fremdenfeindlichkeit*** 26,9 19,8 6,9
klassischer Antisemitismus*** 8,7 6,1 1,8
Muslimfeindlichkeit*** 24,4 20,4 7, 7
Rassismus*** 14,5 8,1 2,0
Antiziganismus*** 26,5 29,1 18,6
Abwertung von asylsuchen
den Menschen***
-57, 8 51,5 36,3
Abwertung von Menschen
mit homosexueller Orientie
rung***
-15,6 7,7 3,7
Quelle : Zick/Küpper/Kr ause, 2016, in P rozent,
* p ≤ .05, * * p ≤ .01, *** p < .001 .
Auch wenn gebildete Personen im Vergleich mit Perso
nen mit geringerer Bildung ein geringeres Ausmaß an
Vorurteilen aufweisen, sind sie dennoch nicht gänz
lich frei von Vorurteilen. Es kann lediglich festgestellt
werden, dass der Anteil derjenigen, die offen feindseli
gen Aussagen zustimmen, bei jenen mit hoher Bildung
geringer ausfällt als bei jenen mit einem geringeren
Bildungsniveau. Somit stellt das Bildungsniveau einen
hochrelevanten und äußerst stabilen Erklärungsfaktor
für die Zustimmung zu Vorurteilen dar.
-
-
-
5.1.4 Einkommensgruppen
Nahezu analog zu den Unterschieden zwischen Bil
dungsgruppen, lässt sich dasselbe lineare Muster ebenso
bei Personen mit unterschiedlichem Einkommen wie
dernden. Das stärkste Ausmaß der hier relevanten Vor
urteile ndet sich bei einkommensschwachen Personen,
gefolgt von Personen mit einem mittleren Einkommen.
Dementsprechend ist das geringste Ausmaß bei einkom
mensstarken Personen zu beobachten. Allerdings sind
auch hier einzelne Abweichungen von diesem Muster zu
nden. So unterscheiden sich Personen mit niedrigem
und mittlerem Einkommen hinsichtlich der Abwertung
von Menschen mit homosexueller Orientierung und
der Abwertung von Asylsuchenden nicht signikant
voneinander. Bezüglich des letzteren Elements ist die
Abwertung in der mittleren Einkommensgruppe sogar
am größten.
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Tabelle 4: Vorurteile in verschiedenen
Einkommensgruppen 2016
einkom
mens
schwach
-
-
mittleres
Einkom
men
-
einkom
mens
stark
-
-
Fremden-
feindlichkeit*** 29,1 20,8 9,4
klassischer
Antisemitismus*** 7,5 6,5 3,6
Muslim
feindlichkeit***
- 29,7 18,0 10,3
Rassismus** 12,1 9,9 4,4
Antiziganismus* 30,9 24,9 22,1
Abwertung von asyl
suchenden Menschen
-49,8 48,9 42,1
Abwertung von Men
schen mit homosexu
eller Orientierung***
-
-41,9 42,6 26,5
Quelle : Z ick/Küpper/Kr ause, 2016, in Pr ozent,
* p ≤ .05, * * p ≤ .01, *** p < .001 .
Bemerkenswert erscheint in den Verbreitungen jedoch,
dass das Ausmaß des Zusammenhangs stark variiert.
Während für die Fremdenfeindlichkeit oder die Mus
limfeindlichkeit die Differenzen zwischen den Einkom
mensgruppen sehr groß sind (ca. 30 Prozent Einkom
mensschwache vs. ca. 10 Prozent Einkommensstarke), ist
diese Differenz beim Antiziganismus und der Abwertung
von asylsuchenden Menschen deutlich geringer. Bei
letzterem Element ist zwar ebenso der beschriebene line
are Effekt zu beobachten, jedoch zeigen sich die Unter
schiede hier nicht auf statistisch signikantem Niveau.
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5.2 Zentrale Ursachen der Abwertung
Moderne Erklärungsansätze der Vorurteilsforschung
fokussieren eine multiperspektivische und interdiszi
plinäre Ausrichtung. Indem Theorien verschiedener
wissenschaftlicher Disziplinen und auch unterschiedli
che Analyseebenen berücksichtigt werden, kann sich so
der Komplexität des Vorurteilsphänomens angemessen
genähert werden. Diese Herangehensweise ermöglicht
somit nicht nur ein tieferes Verständnis für die Heraus
bildung und Beibehaltung abwertender Einstellungen,
sondern auch die Ausarbeitung breiterer Präventions-
und Interventionsansätze. Folglich ist der Blick auf meh
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rere Ebenen zu richten, da Einstellungen allgemein und
damit auch feindselige Abwertungen nicht monokausal,
sondern ganz gegenteilig multikausal sind.
Einerseits sind strukturelle Faktoren relevant, die die
Lebensbedingungen und Teilhabemöglichkeiten der
Menschen bestimmen. So kann eine gefühlte wirtschaft
liche Schlechterstellung und misslingende Partizipation
vorurteilsfördernd sein. Weiterhin spielen Einbindungen
in soziale Netzwerke und auch Kontaktmöglichkeiten mit
unterschiedlichsten Menschen und Gruppen eine Rolle,
da sie Vertrauen, Anerkennung und Offenheit fördern und
somit Vorurteile unterbinden oder hemmen können. Des
Weiteren erweisen sich bestimmte individuelle Ideologien
und Perspektiven auf das gesellschaftliche Zusammenle
ben als negativ. So tragen die Befürwortung von Domi
nanz und Hierarchie sowie Autoritarismus zu Vorurteilen
und diskriminierenden Einstellungen bei.
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Anlage III Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus
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