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1
Title
Die Kolonialpolizei als Instrument kolonialer Herrschafts-
sicherung in Deutsch-Südwestafrika und Togo
Author
Antonio Vera
Table of contents
1 Einleitung
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Kolonialismus
2.2 Koloniale Herrschaft
2.3 Kolonialpolizei
3 Kolonialgeschichtliche Grundlagen
3.1 Das deutsche Kolonialreich und seine Sicherheitsorganisation
3.2 Deutsch-Südwestafrika und seine Kolonialpolizei
3.2 Togo und seine Kolonialpolizei
4 Herrschaftssicherung durch die Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika und Togo
4.1 Despotische Herrschaft
4.2 Intermediäre Herrschaft
4.3 Bürokratische Herrschaft
5 Fazit
aus: A. Vera (Hrsg.): Die Polizei im Fokus von Wissenschaft und Forschung – Polizeiwissen-
schaftliche Studien aus soziologischer, ökonomischer, philosophischer und historischer Per-
spektive, Schriftenreihe der Deutschen Hochschule der Polizei, Münster 2015, S. 219-261
2
1 Einleitung
Auch wenn OSTERHAMMEL und HANSEN der Ansicht sind, dass Kolonialismus „ein Phäno-
men von kolossaler Uneindeutigkeit“
1
ist, so lassen sich bei genauerer Betrachtung doch eini-
ge für koloniale Zusammenhänge typische Merkmale identifizieren, die dieses Konzept ent-
scheidend von anderen abgrenzen und für die Geschichtswissenschaft wertvoll machen. Eine
zentrale Rolle spielt dabei der Begriff der ‚Herrschaft‘. Dies spiegelt sich nicht zuletzt in zahl-
reichen Definitionen von Kolonialismus wider, die von „eine[r] Herrschaftsbeziehung zwi-
schen Kollektiven“
2
, einem „Prozess überregionaler Herrschaftsbildung und Herrschaftsaus-
übung“
3
oder einer „asymmetrischen Herrschaftsbeziehung“
4
sprechen. Die zentrale Rolle des
Herrschaftsbegriffs findet sich aber auch im eng mit dem Kolonialismus zusammenhängenden
Konzept des Imperialismus wieder, wie man an GALTUNGs Verständnis von ‚Imperialismus‘
als einen „spezielle[n] Typ von Herrschaftssystem“
5
erkennen kann. Die vorliegende Studie
beschäftigt sich daher mit ‚Herrschaft‘ als zentralem Definitionsmerkmal von Kolonialismus,
wobei der Fokus weniger auf der Errichtung als auf der Sicherung von kolonialer Herrschaft
liegt.
Beim europäischen Kolonialismus im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging es regel-
mäßig um die Herstellung von formaler, staatlicher Herrschaft in den eroberten Gebieten.
6
Dabei wurde ein Staatsverständnis zu Grunde gelegt, das auf einer zentralisierten Gebietsherr-
schaft mit Gewalt- und Normordnungsmonopol beruhte
7
. Dass die Kolonialpolizei als Exeku-
tivorgan der Kolonialmacht und Trägerin des staatlichen Gewaltmonopols eine wesentliche
Rolle bei der Sicherung der Herrschaft der Kolonialmacht über die Kolonie gespielt haben
dürfte, ist offensichtlich. Die vorliegende Studie untersucht diese Rolle im Kontext von zwei
afrikanischen Kolonien des Deutschen Kaiserreichs, nämlich Deutsch-Südwestafrika und To-
go. Dabei wird insbesondere analysiert, auf welche Art und Weise die polizeilichen Funktio-
nen in diesen beiden Kolonien institutionalisiert waren und wie sie zur kolonialen Herr-
schaftssicherung beitrugen. Durch den Vergleich der beiden Kolonien wird darüber hinaus
versucht, die Auswirkungen der unterschiedlichen Ausgangs- und Rahmenbedingungen in
1
Osterhammel/Hansen (2012), S. 8.
2
Osterhammel/Hansen (2012), S. 20.
3
Von Trotha (2004), S. 50.
4
Wendt (2007), S. 17.
5
Galtung (1972), S. 29.
6
Vgl. Wendt (2007), S. 262 f.; Osterhammel/Hansen (2012), S. 24 f.
7
Vgl. Osterhammel (2009), S. 173 f.; von Trotha (2004), S. 60 f.
3
Deutsch-Südwestafrika und Togo auf die Ausgestaltung der beiden betrachteten Kolonialpoli-
zeien sowie auf ihre Leistungsfähigkeit einzuschätzen.
Dabei wird wie folgt vorgegangen. Im folgenden zweiten Kapitel werden die theoretischen
Grundlagen und dabei insbesondere die Themenkomplexe Kolonialismus, koloniale Herr-
schaft und Kolonialpolizei behandelt. Im dritten Kapitel erfolgt dann eine kurze Darstellung
des kolonialgeschichtlichen Hintergrundes von Deutsch-Südwestafrika und Togo, bei dem
auch die Kolonialpolizei betrachtet wird. Auf der Grundlage dieser Ausführungen wird dann
im vierten Kapitel die Herrschaftssicherung durch die Kolonialpolizei in diesen Kolonien ana-
lysiert, bevor abschließend ein Fazit gezogen wird.
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Kolonialismus
Angesicht der Formenvielfalt
8
und der „Unübersichtlichkeit der kolonialen Arrangements“
9
verwundert es nicht, dass man in der Literatur eine Vielzahl an unterschiedlichen und insbe-
sondere unterschiedlich präzisen Begriffsabgrenzungen für ‚Kolonialismus‘ findet. So wählt
REINHARD eine ziemlich knappe Abgrenzung und definiert Kolonialismus als „die Kontrolle
eines Volkes über ein fremdes unter wirtschaftlicher, politischer und ideologischer Ausnut-
zung der Entwicklungsdifferenz zwischen beiden“
10
. OSTERHAMMELs und HANSENs Definiti-
on als „eine Herrschaftsbeziehung zwischen Kollektiven, bei welcher die fundamentalen Ent-
scheidungen über die Lebensführung der Kolonisierten durch eine kulturell andersartige und
kaum anpassungswillige Minderheit von Kolonialherren unter vorrangiger Berücksichtigung
externer Interessen getroffen und tatsächlich durchgesetzt werden“
11
, die zudem noch auf
sendungsideologische Rechtfertigungsdoktrinen der Kolonialherren verweist, ist schon deut-
lich umfangreicher. Noch umfassender ist schließlich VON TROTHAs sich über 18 Zeilen er-
streckende Abgrenzung, die unter Kolonialismus einen „Prozess überregionaler Herrschafts-
bildung und Herrschaftsausübung“ versteht, bei dem „[a]uf der Grundlage von kriegerischer
Gewalt oder der Drohung mit ihr […] ein Herrschaftsverhältnis von einem Staat oder einer
ihm direkt verbundenen, organisierten Gruppe von Menschen über eine Gesellschaft errichtet
[wird], die in einem Land beheimatet ist, das typischerweise von dem Territorium des imperi-
8
Vgl. von Trotha (2004), S. 51 ff.
9
Osterhammel/Hansen (2012), S. 8.
10
Reinhard (2008), S. 1.
11
Osterhammel/Hansen (2012), S. 20.
4
alen, besitznehmenden Staates durch einen Ozean getrennt ist“
12
, und die zudem noch auf die
Unterschiedlichkeit der sozio-kulturellen und historischen Rahmenbedingungen, den territori-
alen und formellen Charakter des Herrschaftsverhältnisses, die Dominanz der Ziele der Kolo-
nialmacht und den Antagonismus zwischen Kolonialherren und Kolonisierten verweist.
Die letztgenannte Definition verwendet explizit den Begriff ‚imperial‘ und verweist damit auf
eine wichtige Ursache für die Schwierigkeit, den Begriff ‚Kolonialismus‘ trennscharf abzu-
grenzen, nämlich die inhaltliche Überschneidung mit dem Begriff ‚Imperialismus‘.
13
Ange-
sichts der Ähnlichkeit der mit diesen Konzepten üblicherweise verbundenen Phänomene und
der inkonsistenten Verwendung in der Literatur verzichten manche Autoren auf eine genaue
Abgrenzung.
14
Andere weisen hingegen auf Unterschiede zwischen diesen Konzepten hin. So
stellt REINHARD dem eher statischen Kolonialismus einen eher dynamischen, auf die Herstel-
lung von Kolonialismus gerichteten Imperialismus gegenüber
15
, während WENDT den globa-
len, weltpolitischen, auf die Herstellung von transkontinentalen Imperien abzielenden Charak-
ter von Imperialismus betont
16
. GALTUNG betrachtet Kolonialismus hingegen als älteste histo-
rische Phase des Imperialismus, in der die Herrschaft der Kolonialherren bzw. des Zentrums
auf der physischen Okkupation der Kolonie bzw. der Peripherie beruhte.
17
Ähnlich argumen-
tiert auch KOHN, die darauf hinweist, dass Kolonialismus stärker mit Landnahme- und Migra-
tionsprozessen verbunden war und auf politischer Herrschaft beruhte, während bei Imperia-
lismus auch ökonomische und militärische Dominanz eine wichtige Rolle spielten.
18
Für die vorliegende Studie, die sich mit der Sicherung von kolonialer Herrschaft in zwei deut-
schen Kolonien beschäftigt und bei der die dynamische, weltpolitische Dimension keine zent-
rale Rolle spielt, sind diese Abgrenzungsprobleme von untergeordneter Bedeutung. Daher soll
– ähnlich wie bei WENDT – ein breites Begriffsverständnis zu Grunde gelegt werden, das sol-
che Herrschaftsbeziehungen zwischen Ländern, Völkern oder Gesellschaften umfasst, die sich
durch gegenseitige Fremdheit, einer asymmetrischen Machtverteilung zu Gunsten der Koloni-
12
Von Trotha (2004), S. 50.
13
Vgl. Kohn (2013).
14
So z. B. von Trotha in seinem Überblick über die zentralen theoretischen Ansätze zu diesem Themengebiet,
in welchem die Termini synonym verwendet werden und lediglich zwischen klassischen, jüngeren/kritischen
und peripherieorientierten Imperialismus- und Kolonialismustheorien unterschieden wird. Vgl. von Trotha
(1994), S. 9 ff.
15
Vgl. Reinhard (2008), S. 1.
16
Vgl. Wendt (2007), S. 17.
17
Vgl. Galtung (1972), S. 61 ff.
18
Vgl. Kohn (2013).
5
satoren und einem erheblichen politischen, ökonomischen, technologischen, militärischen
sowie kulturellen Entwicklungsrückstand der Kolonisierten auszeichnen.
19
2.2 Koloniale Herrschaft
Wie die bisherigen Ausführungen verdeutlicht haben, spielt der Begriff der ‚Herrschaft‘ eine
zentrale Rolle im Kolonialismus. Gemeint ist damit ein Prozess der Institutionalisierung und
Akkumulation von Macht
20
, der nach Ansicht von POPITZ mit der Errichtung von staatlicher
Herrschaft im Sinne von modernen Industriestaaten eine „Endstufe“
21
erreicht. Bis auf den
Fall von Stützpunktkolonien, bei denen wirtschaftliche Aspekte oder die Demonstration von
militärischer Präsenz im Vordergrund stand
22
, ging es beim Kolonialismus regelmäßig um die
Herstellung eben dieser Form von Herrschaft – d. h. von formaler, staatlicher Herrschaft nach
dem Vorbild der europäischen Mutterländer
23
– in den eroberten „herrenlosen“ Gebieten, die
„im chaotischen Stadium des gesellschaftlichen ‚Urzustandes‘ verblieben war[en]“
24
.
Die sich in fast allen Beherrschungskolonien durchsetzende politische Form bezeichnen OS-
TERHAMMEL und HANSEN als ‚prokonsularische Autokratie‘ und meinen damit ein Herr-
schaftssystem, das sich durch eine starke Machtkonzentration im Amt des Gouverneurs sowie
eine schwach ausgeprägte Trennung von Exekutive, Legislative und Justiz auszeichnete.
25
Dabei wurde ein Staatsverständnis zu Grunde gelegt, das auf einer zentralisierten Gebietsherr-
schaft
26
mit Gewalt- und Normordnungsmonopol beruhte.
27
Dies beinhaltete das alleinige
Recht der Kolonialherren, in einem bestimmten, geografisch definierten Gebiet legitimen
physischen Zwang auszuüben sowie Normen – insbesondere Gesetze – zu setzen und ihre
Nichteinhaltung zu sanktionieren. Ausgeübt wurde diese Herrschaft auf der Grundlage eines
bürokratischen Herrschaftsapparates
28
, der i. d. R. von einem Kolonialministerium im Mutter-
land geleitet wurde. Dies stellte oftmals – vor allem in den meisten afrikanischen Gesellschaf-
ten, die in vorkolonialer Zeit keine staatlichen Ordnungen nach europäischem Vorbild kann-
19
Vgl. Wendt (2007), S. 17.
20
Vgl. Popitz (1992), S. 185 ff.; von Trotha (1994), S. 1 ff.
21
Popitz (1992), S. 260.
22
Zu den verschiedenen Formen von Kolonien bzw. von Kolonisation vgl. Osterhammel/Hansen (2012), S. 8
ff.; Reinhard (2008), S. 5 ff.
23
Vgl. Wendt (2007), D. 262 f.; Osterhammel/Hansen (2012), S. 24 f.
24
Zollmann (2010), S. 33.
25
Vgl. Osterhammel/Hansen (2012), S. 67 ff.
26
Vgl. Pesek (2005), S. 15 ff.; Osterhammel (2009), S. 173 f.
27
Vgl. von Trotha (2004), S. 60 f.; Schaper (2012), S. 10 ff.
28
Vgl. Osterhammel (2009), S. 867 ff.
6
ten
29
– eine radikale, konfliktträchtige Umwälzung der bisherigen Machtverhältnisse dar, die
eine tiefe, „unüberbrückbare kulturelle Kluft“
30
zwischen Eroberern und Eroberten entstehen
und langfristig bestehen ließ.
31
Die Kolonialherren blieben nicht nur aus der Perspektive der
kolonisierten Völker, sondern auch ihrem eigenem Selbstverständnis nach fremde Eroberer.
32
Staatliche koloniale Herrschaft entsprach in der Praxis aber keinesfalls einer unangefochte-
nen, unilateralen Machtausübung durch eine omnipotente, monolithische Kolonialmacht, bei
der die einheimische Bevölkerung ausschließlich passiver Empfänger von Weisungen war.
33
Nach VON TROTHA war eine solche Form von Herrschaft vielmehr „Teil von äußerst zerbrech-
lichen Prozessen der Machtbildung“ und daher „höchst problematisch“
34
. Sie fand innerhalb
der komplexen Strukturen und vielfältigen Interaktionsprozesse eines differenzierten Konkur-
renzgeflechts statt, das sowohl europäische wie einheimische Akteure mit jeweils individuel-
len Interessen und Vorstellungen einschloss.
35
Um diese Komplexität für analytische Zwecke
zu reduzieren, bietet es sich an, auf SPITTLERs Typologie staatlicher kolonialer Herrschaft
zurückzugreifen, die drei Formen von kolonialem Verwaltungshandeln als ‚veralltäglichter‘
kolonialer Herrschaft unterscheidet
36
:
(1) despotische Herrschaft, die auf Willkür, Gewalt oder der Drohung mit Gewalt basiert,
(2) intermediäre Herrschaft, die auf den Einsatz von Vermittlern und Maklern – z. B.
Dolmetscher oder einheimische Eliten – beruht, und
(3) bürokratische Herrschaft, bei der abstrakte, schriftlich festgehaltene Regeln und abs-
traktes Herrschaftswissen die Herrschaftsgrundlage bilden.
Diese Typologie wird weiter unten dazu verwendet werden, die Rolle der Kolonialpolizei bei
der Herrschaftssicherung in zwei deutschen Kolonien systematisch zu analysieren. Wichtig ist
dabei der Hinweis, dass es sich um eine abstrakte Differenzierung für analytische Zwecke
handelt und dass diese drei Grundformen staatlichen Verwaltungshandelns in der Praxis eng
ineinandergriffen und nicht sauber trennbar waren.
37
Vielmehr entstand „[s]taatliche Herr-
29
Vgl. von Trotha (1994), S. 13 und S. 225 ff.; Osterhammel (2009), S. 801.
30
Osterhammel/Hansen (2012), S. 70.
31
Vgl. Balandier (1970), S. 119 f.
32
Vgl. von Trotha (2004), S. 61.
33
Vgl. Pesek (2005), S. 22 f.
34
Von Trotha (1994), S. 16.
35
Vgl. von Trotha (2004), S. 53.
36
Vgl. Spittler (1981), S. 21 ff.; von Trotha (1994), S. 335 ff. Dabei ist zu beachten, dass Spittler explizit da-
rauf hinweist, dass seine Typologie unvollständig bzw. nicht abschließend gemeint ist.
37
Vgl. von Trotha (2004), S. 62.
7
schaft […] im Zusammenspiel und Gegeneinander von despotischer, intermediärer und büro-
kratischer Verwaltung“
38
. VON TROTHA vertritt dabei die Ansicht, dass der Despotismus auf-
grund des expansiven Charakters von Willkür und Gewalt die koloniale Herrschaft in beson-
derem Maße prägte.
39
Im Ergebnis habe dies zu der von BALANDIER so bezeichneten, von
einem „grundsätzliche[n] Konfliktcharakter“ geprägten „kolonialen Situation“
40
geführt. In
der Tat scheint „[w]ährend der gesamten Periode des modernen Kolonialismus […] ein ext-
rem hohes Maß von, aber auch eine maßlose Bereitschaft zur Gewalt die Herrschaftspraxis
der sich formierenden, ausgereiften wie niedergehenden Kolonialregime bestimmt zu ha-
ben“
41
. Koloniale Herrschaft würde demzufolge auf einer Ordnung mit geringer Basislegitimi-
tät beruhen, was dazu führen würde, dass der koloniale Staat ein ‚schwacher Staat‘ mit gerin-
ger Reichweite sei
42
, „der durch ein Übermaß an Gewalt sein legitimatorisches Defizit zu
kompensieren versuchte“
43
. Gleichwohl weist VON TROTHA auch auf das sich in der so ge-
nannten ‚Pax colonialis‘ manifestierende, durchaus effektiv durchgesetzte Gewaltmonopol der
Kolonialmächte hin
44
, und auch andere Autoren betonen, dass koloniale Regime zwar nicht
allmächtig waren, aber sicherlich in vielerlei Hinsicht Merkmale aufwiesen, die auf eine be-
trächtliche ‚Stärke‘ kolonialer Herrschaft hindeuteten.
45
Insofern bleibt die Frage, ob der ko-
loniale Staat eher ein ‚starker‘ oder ein ‚schwacher‘ Staat war, ohne eindeutige Antwort.
2.3 Kolonialpolizei
Eine Institution, die eine wesentliche Rolle bei der Beantwortung dieser Frage sowie allge-
mein bei der Sicherung von kolonialer Herrschaft gespielt haben dürfte, war die Polizei in den
Kolonien, d. h. die Kolonialpolizei.
46
Dabei ist zu beachten, dass schon die Abgrenzung des
allgemeinen Polizeibegriffs nicht trivial ist. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann
sich zwar im Deutschen Kaiserreich ein Polizeiverständnis zu etablieren, das den zeitgenössi-
schen Vorstellungen eines Rechtsstaats entsprach, primär den Bürger vor unberechtigten
staatlichen Eingriffen schützen sollte
47
und sich damit deutlich vom vormodernen Policeybe-
griff absetzte, der auf einer paternalistisch-bevormundenden Vorstellung einer ‚Wohlfahrtspo-
38
Von Trotha (1994), S. 443.
39
Vgl. von Trotha (2004), S. 62 f.
40
Balandier (1970), S. 62 f.
41
Mann (2004), S. 116.
42
Vgl. von Trotha (2004), S. 63; Zollmann (2010), S. 9; Müller (1986), S. 177 ff.; Oliver (1985), S. 6 f.
43
Mann (2004), S. 116.
44
Vgl. von Trotha (2004), S. 63.
45
Vgl. Zollmann (2010), S. 9; Stoler/Cooper (2010), S. 33 ff.; van Laak (2004), S. 267 ff.
46
Vgl. Zollmann (2010), S. 20.
47
Vgl. Zollmann (2010), S. 48 ff.
8
lizei‘ basierte.
48
Allerdings stellt VON DER GROEBEN fest, „daß es – jedenfalls bis 1918 – nicht
gelungen ist, darüber einig zu werden, was unter ‚Polizei‘, sei es im weiteren oder engeren
Sinne, verstanden werden soll“
49
. Und auch heutzutage ist eine eindeutige Abgrenzung des
Polizeibegriffs nicht unproblematisch. So ist beispielsweise die häufig verwendete Bezeich-
nung der Polizei als Trägerin des staatlichen Gewaltmonopols bzw. als ‚Organisation mit Ge-
waltlizenz‘ wenig trennscharf und manchmal sogar etwas irreführend, da es sich hierbei stets
um ein unvollständiges, lückenhaftes Monopol und eine sehr begrenzte ‚Lizenz‘ handelt.
50
Eine recht präzise Abgrenzung findet man beispielsweise bei MAWBY, der Polizei definiert als
„agency that can be distinguished in terms of its legitimacy, its structure and its function […].
Legitimacy implies that the police are granted some degree of monopoly within society by
those with the power to so authorise […]. Structure implies that the police are an organised
force, with some degree of specialisation and with a code of practice within which, for exam-
ple, legitimate use of force is specified. […] Finally, function implies that the role of the po-
lice is concentrated on the maintenance of law and order and the prevention and detection of
offences“.
51
Dieses Verständnis von Polizei als staatlichem Exekutivorgan, das öffentliche
Sicherheit und Ordnung gewährleistet und dabei innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedin-
gungen unmittelbaren Zwang und unmittelbare Gewalt ausüben darf, spiegelt sich auch in den
gegenwärtigen deutschen Polizeigesetzen wider.
52
Auch wenn die Polizei eine Vielzahl an
unterschiedlichen Aufgaben erfüllen kann, umfasst ihr Kernaufgabenbereich nach REINER
„regular uniform patrol of public space coupled with post hoc investigation of reported or
discovered crime or disorder“
53
. Wichtig erscheint hier vor allem die Abgrenzung zum Militär
als zweitem, wichtigem Träger des staatlichen Gewaltmonopols. Während die Polizei für die
innere Sicherheit – d. h. innerhalb der Staatsgrenzen – zuständig ist, sorgt das Militär für die
äußere Sicherheit jenseits der Staatsgrenzen.
54
Überträgt man diese Begriffsabgrenzung auf koloniale Zusammenhänge, dann ist die Koloni-
alpolizei diejenige Organisation, die in einer Kolonie als Exekutivorgan der Kolonialmacht
48
Vgl. Iseli (2009), S. 8 ff.
49
Von der Groeben (1984), S. 439.
50
Vgl. Reemtsma (2003), S. 9 ff.; Lepsius (1997), S. 359.
51
Mawby (2008), S. 17 f.
52
Vgl. z. B. § 1 Absatz 1 Satz 1 und 2 des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen: „Die Polizei hat
die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Gefahrenabwehr). Sie hat
im Rahmen dieser Aufgabe Straftaten zu verhüten sowie vorbeugend zu bekämpfen und die erforderlichen
Vorbereitungen für die Hilfeleistung und das Handeln in Gefahrenfällen zu treffen.“
53
Reiner (2010), S. 5.
54
Vgl. Lepsius (1997), S. 360; Reinhard (2000), S. 363.
9
die Polizeifunktion übernimmt und die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Inneren ge-
währleistet. Ihre zentrale Aufgabe ist dabei „weniger die Errichtung als das Management ei-
nes staatlichen Gewaltmonopols“
55
und umfasst im Wesentlichen den polizeilichen Streifen-
dienst sowie Ermittlungen bei Straftaten und Gefährdungen der öffentlichen Ordnung in einer
Kolonie. Angesichts dieser Aufgabenbeschreibung ist davon auszugehen, dass die Kolonial-
polizei eine wesentliche Rolle bei der Sicherung der Herrschaft der Kolonialmacht über die
Kolonie gespielt haben dürfte. Dementsprechend stellt OSTERHAMMEL fest, dass es „keine
europäische Kolonie gegeben haben [dürfte], in der während des 19. Jahrhunderts nicht ein
Minimum an moderner Polizei europäischen Stils eingeführt worden wäre“
56
.
Da die Kolonien aus der Sicht der Kolonialmacht aber i. d. R. weder eindeutig zum In- noch
zum Ausland gehörten, was sich nicht zuletzt in der Pluralität des Kolonialrechts manifestier-
te
57
, war die Abgrenzung zwischen innerer und äußerer Sicherheit in der Praxis grundsätzlich
nicht eindeutig. Dies dürfte insbesondere für die frühen Phasen von kolonialer Herrschaft ge-
golten haben, in denen diese Herrschaft erst errichtet werden musste. In diesem Sinne stellen
ANDERSON und KILLINGRAY fest: „Especially in the early stages of the establishment of colo-
nial control, or in the process of its extension over outlying territories, in function and form
the colonial police were often indistinguishable from a military garrison“.
58
Ein Beispiel hier-
für waren die Kaiserlich Deutschen Schutztruppen in einigen deutsch-afrikanischen Kolonien,
die zwar reguläre militärische Formationen waren, die aber gleichwohl polizeiliche Funktio-
nen übernahmen.
59
Auch die im kolonialen Kontext oft verwendete Bezeichnung ‚Polizeisol-
dat‘ deutet auf die unscharfe Abgrenzung zwischen innerer und äußerer Sicherheit hin.
60
VON
TROTHA ist sogar der Ansicht, dass „Kolonialherrschaft […] eine Form von militärischer
Herrschaft [ist] – selbst wenn […] die Soldaten […] offiziell ‚Polizisten‘ hießen“
61
. Ange-
sichts der Tatsache, dass das Militär „weder nach seiner Ausbildung noch nach seinen
Kampfmitteln […] geeignet [ist], die innere Sicherheit zu gewährleisten“
62
, ist davon auszu-
gehen, dass dies nicht ohne Folgen für die koloniale Herrschaft geblieben sein dürfte.
55
Osterhammel (2009), S. 890.
56
Osterhammel (2009), S. 887.
57
Vgl. Reinhard (2008), S. 293 ff.; von Trotha (2004), S. 61; Schaper (2012), S. 303 ff.; Kolsky (2012), S. 69
ff. und S. 142 ff.
58
Anderson/Killingray (1991), S. 4.
59
Vgl. Kraus/Müller (2009), S. 130.
60
Vgl. z. B. Schaper (2012), S. 10; von Trotha (1994), S. 43.
61
von Trotha (1994), S. 50.
62
Lepsius (1997), S. 360.
10
Für die vorliegende Studie ergibt sich aus der unscharfen Abgrenzung von Militär und Polizei
die Notwendigkeit, die Kolonialpolizei nicht nur als Institution bzw. Organisation (‚police‘)
zu betrachten, sondern auch als Aufgabenbereich (‚policing‘), der nicht zwangsläufig von
einer eigenständigen Kolonialpolizei bearbeitet wird.
63
Allerdings ist dabei zu beachten, dass
auch der kolonialpolizeiliche Aufgabenbereich kaum trennscharf abgrenzbar ist. So kann z. B.
die Frage, ob die Niederschlagung eines Aufstands von Einheimischen gegen die Kolonial-
herrschaft als polizeiliche Sicherung der öffentlichen Ordnung oder als militärischer Koloni-
alkrieg gewertet wird
64
, nicht eindeutig beantwortet werden. Insofern ist eine gewisse analyti-
sche Unschärfe in der vorliegenden Arbeit leider unvermeidlich.
3 Kolonialgeschichtliche Grundlagen
Die Rolle der Kolonialpolizei bei der kolonialen Herrschaftssicherung wird in der vorliegen-
den Studie im Kontext der deutschen Kolonien Deutsch-Südwestafrika und Togo untersucht.
Daher wird im Folgenden der kolonialgeschichtliche Hintergrund mit besonderer Berücksich-
tigung der Kolonialpolizei dargestellt.
3.1 Das deutsche Kolonialreich und seine Sicherheitsorganisation
Das Deutsche Kaiserreich begann erst 1884 und damit deutlich später als seine europäischen
Nachbarn mit dem Aufbau eines Kolonialreichs. Die Ursachen für die geringen kolonialen
Ambitionen in den ersten Jahren nach der Reichsgründung, aber auch für die koloniale Ex-
pansion seit der Mitte der 1880er-Jahre brauchen an dieser Stelle nicht ausführlich erörtert zu
werden.
65
Allerdings kann GRÜNDER sicherlich zugestimmt werden, wenn er behauptet, dass
Imperialismus bzw. Kolonialismus in dieser Zeit ein globales Phänomen war, so dass es we-
nig schlüssig sei, dass sich „das Deutsche Reich, seit den 1860er-Jahren in der Durchbruchs-
phase der Industriellen Revolution und 1870/71 zum Nationalstaat vereint, diesem epochalem
Expansionsprozess hätte entziehen und innerhalb Europas – auch angesichts der Kolonialpoli-
tik kleinerer Staaten […] – koloniale Abstinenz üben können“
66
.
Trotz seiner nur ca. 30-jährigen Existenz erreichte das deutsche Kolonialreich eine beachtli-
che Größe und umfasste im Jahr 1914 eine Fläche von ca. 2,9 Mio. km2 und eine Bevölkerung
63
Zur Unterscheidung zwischen ‚police‘ und ‚policing‘ vgl. Reiner (2010), S. 4 ff.
64
Vgl. Lindner (2011), S. 190 ff.
65
Vgl. hierzu z. B. Conrad (2008), S. 22 ff.; Gründer (2012), S. 27 ff.; Stoecker (1991a), S. 13 ff.; Koller
(2007), S. 69 ff.
66
Gründer (2012), S. 27.
11
von ca. 12,3 Mio. Menschen.
67
Damit verfügte das Deutsche Kaiserreich zu diesem Zeitpunkt
nach Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden über das viertgrößte europäische Ko-
lonialreich.
68
Wie Abbildung 1 verdeutlicht, lag der regionale Schwerpunkt der deutschen
kolonialen Aktivitäten in Afrika, wo man in den Jahren 1884/85 Deutsch-Südwestafrika, To-
go, Kamerun und Deutsch-Ostafrika erwarb bzw. unter deutsche Schutzherrschaft nahm. Zu-
dem wurden zwischen 1885 und 1898 im Pazifikraum das Teile der melanesischen und mik-
ronesischen Inseln umfassende Deutsch-Neuguinea und das Teile der polynesischen Inseln
umfassende Deutsch-Samoa erworben sowie die Bucht von Kiautschou in China zunächst
besetzt und dann gepachtet.
69
Abbildung 1: Das deutsche Kolonialreich um 1914
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Kolonien_und_Schutzgebiete
(06.03.2015)
Trotz ihres beachtlichen Ausmaßes erwies sich die relativ spät einsetzende koloniale Expansi-
on des Kaiserreichs als wenig erfolgreich. „Die Deutschen kamen spät und hatten keine Er-
fahrung; schwere Fehler waren die Folge […]“
70
. So verwundert es nicht, dass das deutsche
Kolonialreich ökonomisch und politisch weitgehend bedeutungslos blieb, im Ersten Weltkrieg
67
Vgl. Kraus/Müller (2009), S. 30.
68
Vgl. Conrad (2008), S. 22.
69
Vgl. Gründer (2012), S. 121 ff.; Conrad (2008), S. 28 ff.
70
Reinhard (2008), S. 295.
12
definitiv verloren ging und in der Gegenwart nur von geringer Bedeutung für das politisch-
historische Bewusstsein in Deutschland ist.
71
Der rasche Verlust der deutschen Kolonien im Ersten Weltkrieg hing natürlich mit der Orga-
nisation und insbesondere mit der begrenzten militärischen Schlagkraft ihrer Sicherheitskräfte
zusammen.
72
Tabelle 1 enthält einen Überblick über die Personalstärken der Sicherheitskräfte
in den deutschen Kolonien kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges.
Tabelle 1: Personalstärke der Sicherheitskräfte in den deutschen Kolonien (1913/14)
73
Deutsche
Einheimische
Deutsch-Ostafrika
- Schutztruppe
270
2.400
- Polizei
65
2.000
Deutsch-Südwestafrika
- Schutztruppe
2.500
-
- Polizei
500
370
Kamerun
- Schutztruppe
200
1.600
- Polizei
40
1.500
Togo
- Söldner
-
600
- Polizei
10
600
Deutsch-Neuguinea
- Polizei
20
670
Deutsch-Samoa
- Polizei
-
55
Kiautschou
- Marineinfanterie
1.300
-
- Polizei
-
100
Gerade ein Vergleich mit den Kolonialarmeen Großbritanniens und Frankreichs verdeutlicht,
dass das Kaiserreich angesichts der isolierten, verstreuten Lage der Kolonien und der unzu-
reichenden Sicherheit ihrer Seeverbindungen mit Deutschland die Aussichtslosigkeit einer
71
Vgl. Gründer (2012), S. 11 und S. 279 ff.; Conrad (2008), S. 116 ff.
72
Einen Überblick über die Sicherheitsorganisation in den deutschen Kolonien findet man bei Kraus/Müller
(2009), S. 130 ff.
73
Die verwendeten Daten wurden folgenden Quellen entnommen: Zu Deutsch-Ostafrika vgl. Bührer (2011), S.
138 und S. 204 ff.; Kraus/Müller (2009), S. 135 f. Zu Deutsch-Südwestafrika vgl. Zollmann (2010), S. 46;
Zimmerer (2001), S. 116 f.; Schepp (2009), S. 9; Kraus/Müller (2009), S. 155. Zu Kamerun vgl. Hoffmann
(2007), S. 12; Kraus/Müller (2009), S. 135, S. 155 und S. 164; Hausen (1970), S. 94. Zu Togo vgl. Sebald
(2013), S. 67 ff.; Kraus/Müller (2009), S. 166. Zu Deutsch-Neuguinea und Deutsch-Samoa vgl.
Kraus/Müller (2009), S. 166 f. Zu Kiautschou vgl. Gründer (2012), S. 11; Kraus/Müller (2009), S. 172 ff.
13
militärischen Verteidigung erkannt hatte und daher vermutlich bewusst auf eine ambitionier-
tere koloniale Sicherheitspolitik verzichtete.
74
Die stärkste militärische Präsenz verzeichneten noch die drei afrikanischen Kolonien
Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Ostafrika und Kamerun, die über ‚Kaiserlich Deutsche
Schutztruppen‘ als reguläre militärische Formationen verfügten. Gleichwohl waren sie
schwerpunktmäßig für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung unter der afrikanischen
Bevölkerung zuständig, für Kriegseinsätze gegen Europäer oder nach europäischen Standards
ausgebildete Truppen waren sie – allein schon wegen ihrer geringen Personalstärke – eher
ungeeignet.
75
Zudem existierten in diesen Kolonien auch Polizeieinheiten mit ausschließlicher
Zuständigkeit für die innere Sicherheit, die allerdings über eine noch geringere Personalstärke
verfügten als die Schutztruppen. Da auch die Schutztruppen überwiegend mit Aufgaben der
inneren Sicherheit betraut waren, ergaben sich zudem Kompetenzüberschneidungen, die gera-
de vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Ausbildung und Ausrüstung sowie der deutlich
geringeren Kosten der Polizeitruppen problematisch waren.
76
In Togo sorgten eine Söldner-
truppe sowie ‚Häuptlingspolizisten‘, die beide unter deutscher Leitung standen aber ansonsten
ausschließlich aus Afrikanern bestanden, für die öffentliche Ordnung. In den pazifischen Ko-
lonien Deutsch-Neuguinea und Deutsch-Samoa verzichtete man aufgrund der wenig bedrohli-
chen Gefahrenlage gänzlich auf militärische Präsenz und setze ausschließlich auf Polizeitrup-
pen, die zudem nur geringe Personalstärken aufwiesen. In Kiautschou war ein Bataillon der
Marineinfanterie für die innere und äußere Sicherheit zuständig, das von einer geringen Zahl
an chinesischen Polizeikräften unterstützt wurde.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Sicherheitskräfte der deutschen Kolonien
äußerst heterogen organisiert waren, dass sie aufgrund ihrer begrenzten Personalstärke im
Kriegsfall offensichtlich nicht in der Lage waren, die Kolonien dauerhaft zu verteidigen, und
dass sie selbst in Friedenszeiten angesichts der flächenmäßigen Größe insbesondere der afri-
kanischen Kolonien kaum in der Lage gewesen sein dürften, die innere Sicherheit flächende-
ckend auf einem akzeptablen Niveau zu gewährleisten. Gerade dieser letzte Aspekt wird im
Folgenden für Togo und Deutsch-Südwestafrika genauer untersucht.
74
Vgl. Stoecker (1991b), S. 178 f.; Stoecker (1991c), S. 239 ff.; Bührer (2007), S. 105 ff.
75
Vgl. Kraus/Müller (2009), S. 130.
76
Vgl. Kraus/Müller (2009), S. 165.
14
3.2 Deutsch-Südwestafrika und seine Kolonialpolizei
Deutsch-Südwestafrika, das – wie Abbildung 2 verdeutlicht – territorial in etwa dem heutigen
Namibia entspricht, wurde im Jahr 1884 zum deutschen Schutzgebiet erklärt und damit die
erste Kolonie des Kaiserreichs.
77
Abbildung 2: Deutsch-Südwestafrika um 1914
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsch-Südwestafrika (06.03.2015)
Wegen der für Europäer einigermaßen erträglichen klimatischen Verhältnisse, der Größe des
Territoriums und der äußerst geringen Bevölkerungsdichte
78
wurde Deutsch-Südwestafrika
gezielt zur einzigen deutschen Siedlungskolonie entwickelt. So wurde ca. 70-75% des Territo-
riums erworben oder konfisziert und an europäische Siedler – insbesondere Viehzüchter –
verkauft, was zur Folge hatte, dass kurz vor dem Ersten Weltkrieg neben ca. 140.000 Afrika-
77
Vgl. Conrad (2008), S. 29 f.
78
Bei einer Fläche von ca. 835.100 km2 und einer Bevölkerungszahl von ca. 200.000 Personen im Jahr 1884
ergibt dies ca. 0,24 Einwohnern pro km2; eigene Berechnung, zu den Daten vgl. Kaulich (2001), S. 23 und S.
38. Zum Vergleich: die Bevölkerungsdichte im Deutschen Kaiserreich stieg zwischen 1890 und 1910 von
ca. 90 auf ca. 120 Einwohner pro km2; vgl. Hubert (1998), S. 111.
15
nern
79
auch ca. 14.000 Europäer – davon 12.000 Deutsche – dort lebten.
80
Die deutsche Land-
nahme
81
und die zunehmende Anzahl an europäischen Siedlern waren neben der politischen
und sozialen Diskriminierung der einheimischen Bevölkerung wesentliche Ursachen für die
zunehmenden Konflikte zwischen Kolonialherren und Kolonisierten, die schließlich zwischen
1904 und 1907 in den genozidalen Kriegen gegen die Herero und Nama ihren Höhepunkt
fanden.
82
Es waren nicht zuletzt die hohen Kosten dieser militärischen Einsätze, die Deutsch-
Südwestafrika für den Fiskus zum größten Verlustträger unter den deutschen Kolonien mach-
ten, während private Investoren dort durchaus profitable Aktivitäten entfalteten.
83
Nach 1907
gab es keinen nennenswerten gewaltsamen Widerstand gegen die deutsche Herrschaft, so dass
KAULICHs Einschätzung einer „unangefochtene[n] Herrschaft der Deutschen 1905/07 bis
1914“
84
zutreffend erscheint. Die Diskriminierung der einheimischen Bevölkerung setzte sich
in dieser Periode aber unvermindert fort, so dass die deutsche Kolonialherrschaft in Deutsch-
Südwestafrika, die mit der Kapitulation gegen die zahlenmäßig weit überlegenen südafrikani-
schen Truppen im Jahr 1915 endete
85
, insgesamt als totalitär
86
, brutal und „einzig auf die
Ausbeutung der schwarzen Arbeitskraft [ge]richtete[t]“
87
charakterisiert werden kann.
88
Die Sicherheitsarchitektur Deutsch-Südwestafrikas zeichnete sich in den ersten Jahren der
deutschen Kolonialherrschaft – ganz in Einklang mit BISMARCKs minimalistischen kolonial-
politischen Vorstellungen – durch die Nichtexistenz von staatlichen Sicherheitskräften aus.
89
Aufgrund der zunehmenden gewaltsamen Konflikten zwischen Herero und Nama, in die sich
immer häufiger auch Deutsche involviert sahen, erwies sich dieser Zustand als unhaltbar.
Dementsprechend wurde im Jahr 1894 eine bis dahin existierende, weniger als 200 Söldner
umfassende, privatvertraglich organisierte Freiwilligentruppe in eine Kaiserliche Schutztrup-
pe überführt und zunächst auf über 500 Soldaten sowie bis 1896 sogar auf fast 1.000 Soldaten
– anders als in den anderen deutschen Kolonien in Afrika fast ausschließlich Deutsche
90
–
79
Die ursprüngliche Bevölkerungszahl von ca. 200.000 Afrikanern wurde im Zuge des Herero- und Nama-
Krieges um ca. 55.000-75.000 reduziert; vgl. Gründer (2012), S. 131, S. 134 und S. 138; Conrad (2008), S.
29; Kaulich (2001), S. 266.
80
Vgl. Drechsler (1991a), S. 44 f.; Gründer (2012), S. 129.
81
Vgl. Zimmerer (2001), S. 57 ff.
82
Vgl. Zimmerer (2001), S. 31 ff.; Drechsler (1991a), S. 40 ff.
83
Vgl. Conrad (2008), S. 29 f.
84
Kaulich (2001), S. 267.
85
Vgl. Stoecker (1991c), S. 240 f.; Kaulich (2001), S. 159 ff.
86
Vgl. van Laak (2004), S. 267 f.
87
Gründer (2012), S. 138.
88
Vgl. Drechsler (1991b), S. 121 ff.; Zimmerer (2001), S. 68 ff.
89
Vgl. Kaulich (2001), S. 135 ff.; Zollmann (2010), S. 33 ff.
90
Vgl. Kaulich (2001), S. 138.
16
aufgestockt.
91
Bei der Rekrutierung wurden faktisch niedrigere Anforderungen an die Bewer-
ber als im Heimatheer gestellt, was dazu führte, dass die Schutztruppe sich zu „einem Sam-
melbecken für Landsknechtsnaturen und Abenteurer, denen das sittenstrenge bürgerliche Kor-
sett des wilhelminischen Deutschland zu eng geworden war […]“
92
entwickelte.
Die Schutztruppe in Deutsch-Südwestafrika war von Anfang an organisatorisch unterteilt in
eine stärker militärisch orientierte, für Kampfeinsätze vorgesehene Feldtruppe, die zentral an
einigen größeren Standorten vorgehalten wurde, und eine eher polizeilich orientierte Distrikts-
truppe, deren auch als ‚Polizeisoldaten‘ oder ‚Militärpolizisten‘ bezeichneten Angehörige
dezentral über zahlreiche Standorte verteilt stationiert und zusätzlich der Zivilverwaltung un-
terstellt waren.
93
Die damit einhergehenden „Kompetenzquerelen“ sowie die unzureichenden
personellen und finanziellen Mittel führten dazu, dass Kolonialbeamte wiederholt Privatper-
sonen als „Civilpolizisten“ beschäftigten, was nach Ansicht von ZOLLMANN verdeutlicht,
„wie dringlich Sicherheitsprobleme empfunden wurden und wie schwach das staatliche Ge-
waltmonopol in DSWA [Deutsch-Südwestafrika] um 1900 ausgeprägt war“
94
. Um 1900 wur-
den die Probleme so dringlich, dass die Schaffung einer regulären, vom Militär getrennten
Polizei unerlässlich schien, allerdings führten die schwerfälligen Planungsprozesse sowie die
kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Herero und Nama dazu, dass die Gründung einer
eigenständigen Landespolizei erst 1905 beschlossen und 1907 tatsächlich umgesetzt werden
konnte.
95
Während der Herero- und Nama-Kriege überlagerten militärische Aspekte die poli-
zeilichen Probleme vollständig
96
, was sich auch im Anstieg der Personalstärke der Schutz-
truppe auf über 14.500 Mann widerspiegelt, bevor dann 1907 wieder die Friedenspräsenzstär-
ke von zunächst ca. 3.000 und in den folgenden Jahren von ca. 2.000 Mann erreicht wurde.
97
Die ab 1907 tatsächlich in Funktion getretene Landespolizei war eine paramilitärisch organi-
sierte Abteilung der Zivilverwaltung, deren Aufgabenbereich neben den üblichen polizeili-
chen Aufgaben, d. h. Aufrechterhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung, auch einige
weniger typische Aufgaben umfasste, die von der Durchführung von gesundheits- und veteri-
närpolizeilichen Maßnahmen bis hin zu Post-, Zoll- und gerichtlichen Vollstreckungsdiensten
91
Vgl. Kraus/Müller (2009), S. 152; Schepp (2009), S. 23 f.; Rafalski (1930), S. 33 ff.
92
Kraus/Müller (2009), S. 131.
93
Vgl. Zollmann (2010), S. 34 f.; Schepp (2009), S. 24; Kaulich (2001), S. 152 f.
94
Zollmann (2010), S. 36.
95
Schepp (2009), S. 53 ff., S. 93 ff.; Kaulich (2001), S. 162 f.; Zollmann (2010), S. 37 ff.; Zimmerer (2001), S.
116.
96
Vgl. Rafalski (1930), S. 55 ff.
97
Kaulich (2001), S. 154 ff.; Zollmann (2010), S. 39 ff.; Schepp (2009), S. 53; Gründer (2012), S. 132;
Kraus/Müller (2009), S. 153 ff.
17
reichten.
98
Dabei erfolgte allerdings von Anfang an wegen der begrenzten Personalstärke und
der Größe Deutsch-Südwestafrikas eine geografische Beschränkung der Zuständigkeit auf
eine ‚Polizeizone‘, die über ein Netz von 69 Polizeistationen ein Gebiet von etwa 60% der
Kolonie im Zentrum und im Süden und insbesondere die Eisenbahnstrecke, die größeren Ort-
schaften sowie die Siedlungs- und Minendistrikte umfasste.
99
Trotz dieser regionalen Einschränkung, die durchaus typisch für die kolonialpolizeiliche Auf-
gabenwahrnehmung auch in anderen regionalen Kontexten war
100
, erwies sich die geringe
Personalstärke, die aufgrund eines gravierenden Bewerbermangels noch problematischer
wurde, als zentraler Schwachpunkt der Landespolizei.
101
So konnten zunächst von den für
Deutsche vorgesehenen 720 Planstellen 1907 nur ca. 120 und 1908 nur ca. 160 tatsächlich
besetzt werden, und auch in den folgenden Jahren erhöhten sich die Anzahl der deutschen
Landespolizisten lediglich auf ca. 500, die um ca. 370 einheimische ‚Polizeidiener‘ ergänzt
wurden.
102
Die unzureichende personelle Ausstattung der Landespolizei schränkte ihre Leis-
tungsfähigkeit stark ein, was angesichts der hohen Kosten bereits unmittelbar nach ihrer
Gründung Diskussionen um eine Reorganisation oder eine Zusammenlegung mit der Schutz-
truppe zur Folge hatte, die aber wegen des Beginns des Ersten Weltkrieges dann nicht mehr
umgesetzt wurde.
103
Im Ergebnis blieb die Schutztruppe daher bis zum Ende der deutschen
Kolonialherrschaft unverzichtbar bei der Aufrechterhaltung von ‚Ruhe und Ordnung‘ in
Deutsch-Südwestafrika.
104
Abschließend ist daher festzuhalten, dass es bis 1907 und damit für mehr als 75% der Dauer
der deutschen Kolonialherrschaft keine eigenständige Kolonialpolizei in Deutsch-
Südwestafrika gab und dass auch nach 1907 kolonialpolizeiliche Aufgaben in wesentlichem
Umfang von der Schutztruppe als originär militärischer Institution übernommen wurden. Dies
bestätigt einerseits die bereits aus theoretischen Erwägungen vermuteten Schwierigkeiten,
Militär und Polizei im kolonialen Kontext trennscharf zu unterscheiden, und verdeutlicht an-
dererseits die Notwendigkeit, im Rahmen dieser Studie auch die kolonialpolizeiliche Aufga-
benerfüllung in Deutsch-Südwestafrika durch die Schutztruppe zu berücksichtigen.
98
Vgl. Zollmann (2010), S. 44 ff.; Schepp (2009), S. 81 ff.
99
Vgl. Kaulich (2001), S. 163; Zimmerer (2001), S. 114 ff. Für eine kartografische Darstellung der ‚Polizeizo-
ne‘ vgl. Zollmann (2010), S. 47.
100
Vgl. Anderson/Killingray (1991), S. 6 f.
101
Vgl. Zollmann (2010), S. 46.
102
Vgl. Kaulich (2001), S. 164 f.; Zimmerer (2001), S. 116 f.; Rafalski (1930), S. 71 ff.
103
Vgl. Schepp (2009), S. 475 ff.; Zollmann (2010), S. 48; Zimmerer (2001), S. 117.
104
Vgl. Zollmann (2010), S. 54 ff.
18
3.3 Togo und seine Kolonialpolizei
Das in Abbildung 3 dargestellte und 1884 zum deutschen Schutzgebiet erklärte Togo
105
war in
vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil von Deutsch-Südwestafrika. Togo war die mit Ab-
stand kleinste, aber auch am dichtesten besiedelte deutsche Kolonie in Afrika
106
und wegen
ihres tropischen Klimas keine Siedlungs-, sondern eine Beherrschungskolonie, in der sich
während der deutschen Kolonialzeit nie mehr als 350 Europäer aufhielten.
107
Ihren Ruf als
‚Musterkolonie‘ verdankte sie insbesondere der Tatsache, dass sie zwar zusammen mit
Deutsch-Samoa die wirtschaftlich unbedeutendste Kolonie war, dass sie aber immerhin in
fiskalischer Hinsicht eine ausgeglichene Bilanz aufwies und nahezu ohne Reichszuschüsse
auskam.
108
Zudem ist zu konstatieren, dass während der deutschen Kolonialzeit erhebliche
Investitionen in Infrastruktur und Bildung getätigt wurden, dass es keine großflächigen, ge-
waltsamen Aufstände gab und dass ein erstaunlich hoher Anteil der Wirtschaft in der Hand
von einheimischen Produzenten und Händlern verblieb.
109
Gleichwohl darf dabei nicht außer
Acht gelassen werden, dass die einheimische Bevölkerung weitgehend rechtlos und oftmals
Opfer von Zwang und Gewalt durch die deutschen Kolonialherren war, dass es bis 1900
durchaus eine ganze Reihe von kleineren, lokal begrenzten, gewaltsam niedergeschlagenen
Aufständen gab und dass der Norden Togos für Deutsche kaum zugänglich war.
110
Insofern
erscheint eine Glorifizierung der deutschen Kolonialherrschaft in der ‚Musterkolonie‘ Togo,
die bereits 1914 nach einigen kurzen Gefechten mit zahlenmäßig weit überlegenen britischen
und französischen Kolonialtruppen mit der Kapitulation endete
111
, unangebracht.
112
105
Vgl. Sebald (2013), S. 38.
106
Togos Territorium war mit 82.700 km2 10mal kleiner als dasjenige von Deutsch-Südwestafrika, die Bevöl-
kerungszahl mit ca. 1 Mio. Personen dafür aber 12mal höher; vgl. Gründer (2012), S. 240; Kraus/Müller
(2009), S. 43.
107
Vgl. Conrad (2008), S. 14 und S. 30 f.; Nagel (2011), S. 1.
108
Vgl. Sebald (2013), S. 87 f.; Gründer (2012), S. 143; Conrad (2008), S. 61.
109
Vgl. Gründer (2012), S. 145 ff.; Sebald (2013), S. 111 ff. und S. 149 ff.; Nagel (2011), S. 2.
110
Vgl. Sebald (2013), S. 48 ff.; Sebald (1991a), S. 82 ff.; Conrad (2008), S. 31.
111
Vgl. Stoecker (1991c), S. 240.
112
Vgl. Sebald (1991b), S. 160; Seemann (2012), S. 121 ff.
19
Abbildung 3: Togo um 1914
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Kolonie_Togo (06.03.2015)
Aufgrund der relativ ruhigen Sicherheitslage verzichtete das Kaiserreich in Togo auf die Ein-
richtung einer Schutztruppe und bildete lediglich eine aus Afrikanern bestehende Polizeitrup-
pe, die als Teil der Zivilverwaltung für die Durchsetzung der Vorgaben und Anweisungen der
Kolonialmacht – gegebenenfalls auch mit Gewalt – zuständig war.
113
Ihr Aufgabenbereich
war dabei recht weit gefasst und umfasste neben polizeilichen auch justizielle, militärische
und administrative Aufgaben, so dass VON TROTHA die Polizeisoldaten als „Mädchen für al-
les“
114
bezeichnet. Somit zeigen sich auch hier die aus theoretischen Erwägungen vermuteten
Schwierigkeiten bei der Trennung von Militär und Polizei im kolonialen Kontext. Die koloni-
113
Vgl. Kraus/Müller (2009), S. 166.
114
Von Trotha (1994), S. 54.
20
alpolizeilichen Aufgaben wurden in Togo von bewaffneten Sicherheitskräften erledigt, die
nicht eindeutig der polizeilichen oder militärischen Sphäre zugeordnet werden können.
Bei der Rekrutierung der Polizeisoldaten wurden – wie in den meisten Kolonien
115
– Personen
bevorzugt, die sich in ethnischer und religiöser Hinsicht von der Bevölkerung unterschieden,
damit „der Graben zwischen der Polizeitruppe und der Bevölkerung […] möglichst tief und
breit war“
116
. Die Personalstärke der Polizeitruppe war allerdings recht begrenzt und betrug
im Jahr 1889 noch 35, im Jahr 1900 dann bereits 250 und im Jahr 1913 schließlich sogar 600
afrikanische Söldner, die über ein Netz an Polizeistationen und -posten im ganzen Land ver-
teilt waren.
117
Ergänzend wurden bis 1913 ca. 600 so genannte ‚Häuptlingspolizisten‘ einge-
setzt, die nicht besoldet wurden und repressiv-administrative Funktionen als „Stütze der
Häuptlinge“ sowie als „Handlanger der deutsche Kolonialherren“
118
ausübten. Die geringe
Personalstärke der Polizeitruppe führte zwar zu einer geringen Kontrolldichte, allerdings hatte
sie aufgrund ihrer militärischen Organisation, ihrer überlegenen Bewaffnung und ihrer Bereit-
schaft, diese ohne zu zögern einzusetzen, eine sehr abschreckende und einschüchternde Wir-
kung auf die einheimische Bevölkerung.
119
4 Herrschaftssicherung durch die Kolonialpolizei in Deutsch-
Südwestafrika und Togo
Die nun folgende Analyse der Rolle der Kolonialpolizei bei der Herrschaftssicherung in
Deutsch-Südwestafrika und Togo orientiert sich an SPITTLERs Typologie staatlichen Verwal-
tungshandelns in Kolonien, die drei Formen von kolonialer Herrschaft unterscheidet: despoti-
sche, intermediäre und bürokratische Herrschaft.
120
Da die bisherigen Ausführungen gezeigt
haben, dass eine eindeutige Trennung zwischen Militär und Polizei im kolonialen Kontext
nicht nur aus theoretischen Gründen, sondern auch ganz konkret in den beiden betrachteten
Kolonien kaum möglich ist, wird im Folgenden die kolonialpolizeiliche Aufgabenerfüllung
unabhängig davon, welche Organisation dafür zuständig war, berücksichtigt werden.
115
Vgl. Anderson/Killingray (1991), S. 7 f.
116
Von Trotha (1994), S. 44 f.
117
Vgl. Sebald (2013), S. 68; von Trotha (1994), S. 41.
118
Sebald (2013), S. 69.
119
Vgl. von Trotha (1994), S. 41 f.
120
Vgl. Spittler (1981), S. 21 ff.; von Trotha (1994), S. 335 ff.
21
4.1 Despotische Herrschaft
Das Wesen einer despotischen Herrschaft wurde ausführlich von MONTESQUIEU analysiert
und von ihm als Herrschaftsform definiert, deren Grundlage der Willen bzw. die Willkür einer
Person ist und die daher auf Zwang, Gewalt und Angst basiert.
121
Sie besteht in ad hoc Ent-
scheidungen eines Herrschers, die von einer ständigen Gewaltandrohung begleitet werden.
122
VON TROTHA weist dem Despotismus eine dominante Rolle im Rahmen von kolonialer Herr-
schaft zu, indem er anmerkt, „daß mit veralltäglichtem Despotismus das gesamte Verwal-
tungshandeln im Schatten von Willkür und Gewalt stand“
123
.
Eine besonders wichtige Bedeutung kam despotischer Macht in der Frühphase der Kolonial-
herrschaft – d. h. bei der Herstellung des kolonialen Staates – zu, die zunächst gemäß dem so
genannten ‚Bulldozer-Modell‘ auf der Präsenz und dem Einsatz von mit überlegener bewaff-
neter Macht ausgestatteten Militär- und Polizeieinheiten der Kolonialherren beruhte.
124
In
diesem Sinne stellt VON TROTHA fest: „Am Anfang steht die Unterwerfung“ bzw. „[am] An-
fang war die Gewalt“, um anschließend mit Bezug auf die deutschen Kolonialzeit in Togo
125
auszuführen, dass die Herstellung von Kolonialherrschaft „ein Weg der Menschenmassaker,
der geplünderten und niedergebrannten Dörfer und Hütten, der Erschlagenen, der gefangenen
Frauen und Kinder und der Flüchtlinge“ sei, und dabei explizit auf den „Schrecken der unge-
fesselten kriegerischen, militärischen und der polizeilichen Gewaltanwendung“
126
zu verwei-
sen. Ähnlich spielte sich auch die Herstellung der deutschen Kolonialherrschaft in Deutsch-
Südwestafrika ab, die ebenfalls mit massiver militärischer Gewalt einherging, die sich z. B.
im Massaker von Hoornkrans im April 1893 sowie generell in der „demonstrativ zur Schau
gestellte[n] Bereitschaft zur Anwendung militärischer Gewalt“
127
durch die Schutztruppe ab
1894 und insbesondere während der Nama- und Herero-Kriege zwischen 1904 und 1907 wi-
derspiegelte.
128
Koloniale Herrschaft als staatliche Herrschaft setzt allerdings voraus, dass solche Demonstra-
tionen von militärischer Macht das Gewaltmonopol der Kolonialmacht nicht nur im unmittel-
121
Vgl. Boesche (1990), S. 743.
122
Vgl. Spittler (1981), S. 22 f.
123
Von Trotha (2004), S. 62.
124
Vgl. von Trotha (1987), S. 115 ff.
125
Vgl. Sebald (1988), S. 167 ff. und S. 277 ff.
126
Von Trotha (1994), S. 32 f.
127
Zimmerer (2001), S. 25.
128
Vgl. Drechsler (1991a), S. 41 ff.; Zimmerer (2001), S. 20 f. und S. 31 ff.; Schepp (2009), S. 23 f. und S. 44
ff.; Kaulich (2001), S. 217 ff. und S. 247 ff.
22
baren zeitlichen Zusammenhang mit den jeweiligen Militäreinsätzen, sondern dauerhaft si-
cherstellen. Da nach POPITZ die Tötungsmacht das „Definitivum aller Gewalt“ ist, liefert sie
auch „die zuverlässigste aller Bestandsgarantien“
129
, so dass es nicht verwundert, dass exzes-
sive, oftmals tödliche Gewalt gegen die einheimische Bevölkerung ein charakteristisches
Merkmal nicht nur der Herstellung, sondern auch der Sicherung von Kolonialherrschaft
war.
130
Und es liegt auf der Hand, dass die Kolonialpolizei als Inhaber des Gewaltmonopols
in einer Kolonie eine wesentliche Rolle dabei gespielt haben dürfte.
An der Tatsache, dass dies für die deutsche Kolonialherrschaft in Togo zutraf, lässt VON
TROTHA keinen Zweifel, indem er zur Rolle der Kolonialpolizei zunächst feststellt, dass „[d]ie
‚Polizeitruppe‘ […] Werkzeug der Eroberung, Pazifizierung und später der despotischen
Verwaltung“ war, um anschließend auszuführen: „Die ‚Truppe‘ […] säte Gewalt und Willkür.
Die Geburtsstunde des Gewaltmonopols ist auch die Geburtsstunde der despotischen Verwal-
tung, in deren Mittelpunkt Soldaten stehen“.
131
Dies lässt sich mit zahlreichen Beispielen be-
legen, die die gewaltsame und willkürliche Machtausübung durch Polizeisoldaten veranschau-
lichen. Auf der kollektiven Ebene der Polizeitruppe sind dies insbesondere die von den deut-
schen Befehlshabern oftmals provozierten ‚Eingeborenenaufstände‘, die dann gewaltsam von
der Polizeitruppe niedergeschlagen wurden und die mit Massakern und dem Niederbrennen
ganzer Dörfer – d. h. „gezielten Terror“ – einhergingen.
132
Auf der Ebene der einzelnen Poli-
zeisoldaten ist vor allem auf häufige und exzessive Prügelstrafen, Missbrauch der Schusswaf-
fen bis hin zur willkürlichen Tötung von Grenzgängern und Gefangenen, Sippenhaft, Erpres-
sung, Unterschlagung und Raub zu verweisen.
133
Diese Gewaltexzesse und die ihnen innewohnende Willkür wurden zwar in manchen, beson-
ders gravierenden Fällen von den deutschen Bezirks- oder Stationsleitern als Vorgesetzten der
Polizeitruppe kritisiert und sanktioniert, allerdings geschah dies relativ selten, da der despoti-
sche Charakter der polizeilichen Aufgabenerfüllung innerhalb gewisser Grenzen angesichts
der bescheidenen personellen Ausstattung der Polizeitruppen und ihrer begrenzten geografi-
schen Reichweite durchaus als zweckdienlich für die dauerhafte Ausrechterhaltung von kolo-
nialer Herrschaft gesehen und somit von der Kolonialverwaltung auch erwartet wurde.
134
Im
Ergebnis führte dies in Togo zu einem paradoxen kolonialen Herrschaftssystem, das zwar
129
Popitz (1992), S. 52 und S. 54.
130
Vgl. Mann (2004), S. 118 ff.
131
Von Trotha (1994), S. 44.
132
Vgl. Sebald (2013), S. 51 ff. und S. 58 ff. (Zitat: S. 59).
133
Vgl. Sebald (2013), S. 70 ff.; von Trotha (1994), S. 51 f.
134
Vgl. von Trotha (1994), S. 55 ff.; Sebald (1988), S. 281; Sebald (2013), S. 70.
23
einerseits defizitär und mangelbehaftet war, das aber andererseits auch die Option vernichten-
der Gewalt durch die Polizeitruppe enthielt und damit äußerst wirkungsvoll war. VON
TROTHA beschreibt dies sehr anschaulich, wenn er feststellt: „Die Gewalt sollte so fürchterlich
sein, wie die Ohnmacht der Eroberer groß war […]“
135
.
In Bezug auf den despotischen Charakter der Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika ergibt
sich ein weniger eindeutiges Bild. Zwar finden sich auch hier einige Belege für drastische,
mehr oder weniger willkürliche Gewaltexzesse, z. B. das bereits oben erwähnte Massaker von
Hoornkrans im Jahr 1893 sowie die genozidale Kriegsführung während der Nama- und Here-
ro-Aufstände zwischen 1904 und 1907.
136
Gleichwohl muss aber gerade in Bezug auf die
Nama- und Herero-Konflikte wohl relativ eindeutig von kriegerischen und daher eher militä-
risch als polizeilich geprägten Auseinandersetzungen ausgegangen werden. Im eher alltägli-
chen Polizeidienst waren Gewalt und Willkür in Form von Körperverletzung bzw. Prügel,
Korruption, Vergewaltigung, Schusswaffenmissbrauch bis hin zur Tötung von Einheimischen
offenbar ebenfalls nicht selten.
137
Allerdings scheinen solche gewaltsamen Übergriffe gegen-
über Einheimischen deutlich häufiger von deutschen Siedlern ausgegangen zu sein, wobei der
Kolonialpolizei dann oftmals die Aufgabe zukam, diese Übergriffe zu unterbinden.
138
Dabei
galt es grundsätzlich eine Vielzahl an deutschen zivil-, straf- und prozessrechtlichen Bestim-
mungen zu beachten, die auch in Deutsch-Südwestafrika galten.
139
Allerdings war die Rechts-
ordnung in den Kolonien „[n]icht so sehr auf die Begrenzung öffentlicher Gewalt als auf die
‚Optimierung ihrer Ausübung‘ […] ausgerichtet“
140
.
In der Regel führten die eindeutig auf eine Bevorzugung der Deutschen ausgerichtete Rechts-
ordnung sowie die unklare Abgrenzung von Justiz und Verwaltung zu einer äußerst milden
oder gar keiner Bestrafung deutscher Delinquenten, insbesondere wenn es Beamte waren, die
im starken Gegensatz zu den harten Strafen stand, mit denen die faktisch nahezu rechtlosen
Einheimischen selbst bei geringfügigen Vergehen rechnen mussten.
141
So gab es z. B. zwar
eine grundsätzliche Beschwerdemöglichkeit gegen kolonialpolizeiliches Handeln, allerdings
war „eine neutrale Abwägung […] für einen Beschwerdeführer kaum zu erwarten“
142
. Inso-
135
Von Trotha (1994), S. 42.
136
Vgl. Zimmerer (2001), S. 20 f. und S. 31 ff.; Schepp (2009), S. 23 f. und S. 44 ff.; Kaulich (2001), S. 247 ff.
137
Vgl. Zollmann (2010), S. 107 ff., S. 163 ff. und S. 206 ff.; Drechsler (1991b), S. 123 f.
138
Vgl. Zollmann (2010), S. 270 ff.; Kaulich (2001), S. 276.
139
Vgl. Zollmann (2010), S. 48 ff.
140
Zollmann (2010), S. 51.
141
Vgl. Zimmerer (2001), S. 29 f.; Stoecker (1991b), S. 185 ff.; Zollmann (2010), S. 95 ff.; Drechsler (1991a),
S. 49.
142
Zollmann (2010), S. 51.
24
fern erscheint RAFALSKIs zeitgenössische Behauptung, „dass die deutsche Schutzgebietsver-
waltung, entgegen der Kolonialschuldlüge, die Rechte der farbigen Bevölkerung achtete und
schützte“
143
, wenig glaubhaft.
Insgesamt ist davon auszugehen, dass die deutsche Kolonialverwaltung Deutsch-Südwest-
afrikas insofern einen despotischen Charakter hatte, als sie auf die Beherrschung und Besied-
lung der Kolonie durch Deutsche bei gleichzeitiger „Verdrängung und Unterjochung der indi-
genen Bevölkerung“
144
abzielte, was sich nicht zuletzt in der kontinuierlichen Konfiskation
einheimischen Landbesitzes und Durchsetzung eines die gesamte einheimische Bevölkerung
umfassenden Systems der Zwangsarbeit widerspiegelte.
145
Da die Kolonialpolizei nicht nur
ein elementarer Bestandteil der Kolonialverwaltung, sondern zudem ein zentrales Instrument
bei der Umsetzung ihrer Ziele war, muss zwangsläufig auch ihr ein despotischer Charakter
attestiert werden, auch wenn dieser weniger eindeutig erscheint als im Fall von Togo.
Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass die Kolonialpolizei sowohl in Togo als
auch in Deutsch-Südwestafrika eine wesentliche Rolle im Rahmen einer despotisch geprägten
kolonialen Herrschaftssicherung spielte. Dieser despotische Charakter, der sich erheblich von
der Rolle und der Funktion der Polizei in der deutschen Heimat unterschied
146
, war allerdings
keinesfalls eine Besonderheit des deutschen Kolonialismus, sondern durchaus auch für die
Kolonien anderer europäischer Kolonialmächte typisch.
147
4.2 Intermediäre Herrschaft
Intermediäre Herrschaft basiert auf dem Einsatz von Mittlern oder Maklern, die zwischen die
Kolonialherren und die Kolonisierten treten und einerseits die Komplexität der Austauschbe-
ziehungen zwischen diesen reduzieren, andererseits aber auch einen zusätzlichen, eigenstän-
digen, potenziell konfliktträchtigen Machtfaktor darstellen.
148
In kolonialen Kontexten unter-
scheidet man zwischen Binnenintermediarität, die sich innerhalb der Sphäre der Kolonialher-
ren abspielt und vor allem die Autonomie der lokalen Verwaltungsbeamten zum Gegenstand
hat, und Außenintermediarität, die in die Sphäre der Kolonisierten eindringt und vor allem auf
die Rolle von einheimischen Eliten mit einem besonderem, für die Kolonialherren wertvollen
143
Rafalski (1930), S. 11.
144
Zimmerer (2001), S. 282.
145
Vgl. Kaulich (2001), S. 267 ff. und S. 343; Zimmerer (2001), S. 126 ff.
146
Vgl. Osterhammel (2009), S. 885 ff.
147
Vgl. Anderson/Killingray (1991), S. 9 ff.; Mawby (2008), S. 24.
148
Vgl. Spittler (1981), S. 24 f.
25
Zugang zu den lokalen Verhältnissen abstellt.
149
Im Kern geht es dabei um die schon im Im-
perialismuskonzept thematisierte Nutzung von Interessenkonflikten innerhalb der Peripherie
(Kolonie) zur Durchsetzung der Herrschaft des Zentrums (Kolonialmacht)
150
, die aber gleich-
zeitig einheimischen Akteuren eine aktive und bedeutsame Funktion innerhalb des kolonialen
Machtgefüges zuweist, was mit der traditionellen „manichäischen[n] Welt des Hochkolonia-
lismus“
151
und ihrer strikten Unterscheidung zwischen aktiven, mächtigen Kolonialherren als
Tätern und passiven, machtlosen Kolonisierten als Opfern kaum in Einklang zu bringen ist.
In der deutschen Kolonie Togo spielte die Polizeitruppe eine wichtige Rolle sowohl in Bezug
auf die Binnen- wie auf die Außenintermediarität. Die Polizeisoldaten trugen zum einen als
wichtigstes Machtinstrument der Lokalverwaltung zu dessen Binnenintermediarität bei und
festigten so die Rolle der Bezirks- oder Stationsleiter als „den eigentlichen Machthabern“
152
,
„wahren Herrschern“ oder sogar „Alleinherrschern“
153
in der Kolonie. Ohne die Polizeitruppe
„hätte der Bezirkschef allein mit seinem deutschen Unteroffizier und einem Assistenten nicht
einen einzigen Tag lang Zehn- oder Hunderttausende von Menschen beherrschen können“
154
.
Zum anderen waren die Angehörigen der Polizeitruppe aber auch Außenintermediäre, die als
Polizisten, Steuereintreiber, Grenzwächter oder Dolmetscher zwischen die Lokalverwaltung
und die einheimische Bevölkerung traten und als Makler die vielfältigen Austauschbeziehun-
gen und den Informationsfluss zwischen Kolonialherren und Kolonisierten gewährleisteten.
Dabei kam es „hin und wieder“ vor, dass sich Polizeisoldaten in gewissen Grenzen verselb-
ständigten und tendenziell zu Mittlern oder Patronen in einem Klientelsystem entwickelten,
die neben den Interessen der Lokalverwaltung auch diejenigen ihrer einheimischen Klienten
sowie ihre eigenen durchzusetzen versuchten.
155
Aus der Sicht der Kolonialherren war dies
nicht ungefährlich, da die Interessen solcher Polizeisoldaten oftmals „mit den Aufgaben und
Zielsetzungen der Bezirksleiter und der deutschen Verwaltung insgesamt nicht zu vereinbaren
waren und selbst den Grundlagen der despotischen Ordnung widersprachen“
156
.
Eine wichtige außenintermediäre Rolle spielten in Togo aber auch die ‚Häuptlingspolizisten‘
als „Scharniere zwischen Häuptling und Stationsleiter, zwischen Häuptling und den Men-
149
Vgl. von Trotha (2004), S. 63 f.
150
Vgl. Galtung (1972), S. 35 ff.
151
Stoler/Cooper (2010), S. 37.
152
Sebald (2013), S. 66.
153
Von Trotha (1994), S. 86 und S. 112.
154
Sebald (2013), S. 67.
155
Vgl. von Trotha (1994), S. 54 ff. (Zitat: S. 54).
156
Von Trotha (1994), S. 54.
26
schen, für die der Häuptling verantwortlich war“
157
. Sie steigerten als bewaffnete „Stütze der
Häuptlinge“
158
das Ansehen und die Macht der von den Kolonialherren bestätigten lokalen
Machthaber
159
, die ihrerseits ebenfalls eine intermediäre Funktion hatten. Darüber hinaus
dürften die ‚Häuptlingspolizisten‘ aufgrund ihrer zahlreichen Aufgaben, die neben der Ge-
währleistung von Ruhe, Ordnung und ‚Reinlichkeit‘ z. B. die Eintreibung von Steuern oder
Zwangsarbeit, Gefangenentransporte, gerichtliche Vorladungen und Botengänge im Verkehr
mit der Bezirksleitung umfassten, auch selber eine intermediäre Funktion „als letztes Glied
der Kette, mit der sich die Zentralgewalt lokal verankert und behauptet“, ausgeübt haben.
160
In Deutsch-Südwestafrika spielte die Kolonialpolizei ebenfalls eine wichtige Rolle im Zu-
sammenhang mit intermediärer Herrschaft, die sich aber deutlich von derjenigen der Polizei-
truppe in Togo unterschied. Kein wesentlicher Unterschied lässt sich in Bezug auf die Bin-
nenintermediarität der Lokalverwaltung feststellen, da auch hier die Kernaufgabe der Landes-
polizei und eine wichtige Aufgabe der Schutztruppe die Unterstützung der Lokalverwaltung
bei der Ausübung und Sicherung der deutschen Kolonialherrschaft war
161
, so dass sie zwangs-
läufig die Machtposition der Bezirksamtsmänner und Distriktchefs festigten. In Bezug auf die
Außenintermediarität lassen sich aber gravierende Unterschiede zu Togo feststellen. Diese
liegen zum einen darin begründet, dass die Schutztruppe und die Landespolizei fast aus-
schließlich Deutsche beschäftigten
162
, so dass sie aufgrund der mangelnden Sprachkenntnisse
und der fehlenden Nähe zu den Einheimischen kaum als Mittler oder Makler zwischen Kolo-
nialherren und Kolonisierten fungieren konnten. Zum anderen führte die relativ hohe Zahl an
deutschen Siedlern dazu, dass die Kolonialpolizei in erheblichem Ausmaß polizeiliche Auf-
gaben unter der deutschen Bevölkerung wahrnehmen musste, was zu Lasten der Kontrolle der
einheimischen Bevölkerung und damit auch ihrer intermediären Funktion ging.
163
Dieser mangelnden Intermediarität und der damit einher gehenden Schwierigkeiten bei der
kolonialpolizeilichen Aufgabenerfüllung in Deutsch-Südwestafrika ließ sich nur durch die
Rekrutierung von einheimischem Personal entgegenwirken. ZOLLMANN drückt dies sehr tref-
fend aus, indem er anmerkt: „Ohne sie ging nichts. Ohne die Unterstützung des afrikanischen
157
Von Trotha (1994), S. 321.
158
Sebald (2013), S. 69.
159
Vgl. Nagel (2011), S. 4 f.
160
Vgl. von Trotha (1994), S. 316 ff. (Zitat: S. 319); Sebald (2013), S. 67 ff.
161
Vgl. Zimmerer (2001), S. 112 ff.
162
Vgl. Kaulich (2001), S. 138; Kraus/Müller (2009), S. 152 und S. 155.
163
Vgl. Zimmerer (2001), S. 117.
27
Personals war Polizeiarbeit in der Kolonie unmöglich“
164
. Dies führte dazu, dass die Schutz-
truppe sich frühzeitig mit einer erheblichen Zahl an einheimischen Hilfskräften – z. B. Kund-
schafter, Wagenführer oder Viehwächter – verstärkte und mit einigen einheimischen Volks-
gruppen militärische Kooperationsvereinbarungen schloss, die nach Ansicht von KAULICH
„eine der Voraussetzungen dafür [waren], daß die Deutschen in den neunziger Jahren und zu
Beginn der 20. Jahrhunderts ihre Herrschaftsansprüche in Deutsch-Südwestafrika endgültig
durchsetzen und etablieren konnten“
165
. Hinzu kam eine nicht unerhebliche Anzahl an ‚einge-
borenen Polizisten‘
166
, die eine Vielzahl an kolonialpolizeilichen Aufgaben erledigten, wobei
ihre Kompetenzen sich allerdings ausschließlich auf die einheimische Bevölkerung und kei-
nesfalls auf Europäer erstreckten.
167
Nach der Gründung der Landespolizei im Jahr 1907 wurden die ‚eingeborenen Polizisten‘ nun
zwar etwas herabwürdigend als ‚Polizeidiener‘ bezeichnet, an ihrer „Unentbehrlichkeit“ bei
der Erledigung kolonialpolizeilicher Tätigkeiten änderte dies aber nichts.
168
Im Gegensatz zu
anderen europäischen Kolonialmächten, die gemäß dem Grundsatz ‚strangers policing
strangers‘ fast ausschließlich ortsfremde Afrikaner als Kolonialpolizisten beschäftigten
169
,
wurden die Polizeidiener in Deutsch-Südwestafrika lokal rekrutiert, da „[d]ie Verbesserung
der Kommunikation mit Afrikanern […] eine der Hauptaufgaben der Polizeidiener“ war, was
ihre intermediäre Funktion unterstreicht.
170
Sie verfügten über Landes-, Sprach- und Men-
schenkenntnisse, die sich bei der kolonialpolizeilichen Aufgabenerfüllung als nützlich erwie-
sen und über die die deutschen Polizeikräfte nicht verfügten, so dass die Polizeidiener nicht
nur zu „Mittlern zwischen den Kulturen“ wurden, sondern innerhalb der afrikanischen Gesell-
schaften einen hohen sozialen Status und damit auch Macht erlangten.
171
Insofern ist davon
auszugehen, dass die Polizeidiener eine ganz wesentliche intermediäre Funktion im Rahmen
der kolonialen Herrschaftssicherung spielten, die ZOLLMANN sehr anschaulich beschreibt,
indem er feststellt: „In der Mittlerfigur des afrikanischen Polizisten in deutscher Uniform lö-
sen sich die Trennlinien zwischen deutscher Polizei und afrikanischen Polizierten“
172
.
164
Zollmann (2010), S. 57.
165
Kaulich (2001), S. 153 f.
166
Vgl. Kaulich (2001), S. 165.
167
Vgl. Zollmann (2010), S. 58 ff. und S. 79 f.; Rafalski (1930), S. 99 ff.
168
Vgl. Zollmann (2010), S. 68 ff. und S. 82 ff. (Zitat: S. 82)
169
Vgl. Killingray (1997), S. 171.
170
Vgl. Zollmann (2010), S. 70 ff. (Zitat: S. 71).
171
Vgl. Zollmann (2010), S. 85 ff. (Zitat: S. 87).
172
Zollmann (2010), S. 57.
28
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Kolonialpolizei sowohl in Togo als auch in
Deutsch-Südwestafrika eine wichtige intermediäre Funktion im Rahmen der kolonialen Herr-
schaftssicherung spielte, wobei dies der ausschließlich mit deutschem Personal ausgestatteten
Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika aber nur gelang, indem sie auf einheimische Hilfs-
kräfte und Polizeidiener zurückgriff.
4.3 Bürokratische Herrschaft
Die von WEBER als „reinste[r] Typus der legalen Herrschaft“
173
bezeichnete bürokratische
Herrschaft beruht im Wesentlichen auf abstrakten, schriftlich festgehaltenen Regeln – z. B.
Erlassen oder Verordnungen – sowie auf abstraktem Herrschaftswissen – z. B. kartografi-
schem Material und Statistiken.
174
Dabei wird davon ausgegangen, dass die Beherrschten die
Regeln freiwillig einhalten und bei mangelnder Akzeptanz versuchen, diese zu ändern anstatt
sich ihnen direkt zu widersetzen.
175
VON TROTHA ist zwar der Ansicht, dass in der Praxis ko-
lonialer Herrschaft despotischem Handeln stets eine übergeordnete Bedeutung zukam
176
, al-
lerdings stimmt er mit SPITTLER darin überein, dass man insofern von einem Vorrang büro-
kratischen Handelns auch im kolonialem Kontext ausgehen muss
177
, als „[d]as Vorhandensein
von bürokratischem Handeln […] die Grundlage des Staates“ ist und „[d]ie Institutionalisie-
rung staatlicher Herrschaft […] ein Prozess [ist], in dem die Voraussetzungen bürokratischen
Handelns institutionalisiert werden“
178
. Zudem hat bürokratische Herrschaft einen normativen
Zukunftsbezug und ist daher – stärker als despotische und intermediäre Herrschaft – auf Dau-
er angelegt.
179
Gleichwohl waren die Voraussetzungen für bürokratische Herrschaft in Kolo-
nien – insbesondere ein bürokratischer Verwaltungsapparat, Schriftlichkeit
180
und das für die
Durchsetzung von abstrakten Regeln erforderliche abstrakte Wissen – regelmäßig nicht gege-
ben
181
, so dass man eher von einer „Utopie von staatlicher Bürokratie“
182
ausgehen sollte.
Dass bürokratische Herrschaft in Kolonien ohne Kolonialpolizei kaum möglich war, verdeut-
licht schon die Feststellung des letzten Inspekteurs der Landespolizei in Deutsch-Südwest-
afrika BETHE, dass „[s]eit Uebernahme des Schutzgebiets Südwestafrika in deutsche Verwal-
173
Weber (1922), § 4 Satz 1.
174
Vgl. von Trotha (1994), S. 335 ff. und S. 373 ff.; Heé (2012), S. 51 ff.; Eming/Nagel (2010), S. 109 ff.
175
Vgl. Spittler (1981), S. 21 f.
176
Vgl. von Trotha (1994), S. 337 f.
177
Vgl. Spittler (1981), S. 25 f.
178
Von Trotha (1994), S. 338 und S. 339.
179
Vgl. von Trotha (1994), S. 340.
180
Vgl. von Trotha (1994), S. 166 ff. und S. 378 ff.
181
Vgl. Spittler (1981), S. 22 und S. 26; Spittler (1980), S. 574 ff.
182
Von Trotha (1994), S. 338.
29
tung […] zur Durchführung von Verwaltungsmaßnahmen zwangsläufig eine gewisse polizei-
liche Tätigkeit eingesetzt“
183
hatte. Allerdings spielte die Kolonialpolizei hierbei im Vergleich
zur despotischen und intermediären Herrschaftsausübung eine weniger bedeutsame Rolle, die
sich aus den besonderen Merkmalen bürokratischer Herrschaft ergibt. So beruht bürokratische
Herrschaft im Wesentlichen auf administrativen und gesetzlichen Normen und Regeln, die
von der Verwaltung oder dem Gesetzgeber erlassen werden und die von der Polizei als be-
waffnetem Exekutivorgan zwar in vielen Fällen um- und durchgesetzt werden, die aber im
Regelfall eigenständig und freiwillig befolgt werden, so dass eine Beteiligung der Polizei in
der Regel nicht erforderlich ist. Dies galt auch für die deutschen Kolonien in Afrika.
So waren in Togo die Polizeisoldaten als „Boten und Vertreter der Verwaltung“
184
z. B. für
die Einhaltung von steuerlichen Pflichten der einheimischen Bevölkerung, Grenzkontrollen,
die Überbringung von behördlichen Anweisungen sowie für allgemeine Verwaltungstätigkei-
ten in den jeweiligen Bezirksämtern zuständig, so dass man zweifelsohne davon ausgehen
kann, dass das kolonialpolizeiliche Aufgabenfeld zahlreiche bürokratische Elemente ent-
hielt.
185
Und auch für Deutsch-Südwestafrika gilt, dass die zentrale Aufgabe insbesondere der
Landespolizei, mit Einschränkungen aber auch der Schutztruppe, darin bestand, als „Mädchen
für Alles […] auf dem Büro des Bezirksamtes und in der Kasse, auf der Gerichtskanzlei und
in der Proviantverwaltung […]“
186
zu fungieren und dabei „das Verwaltungshandeln sowohl
des Gouvernements als auch der Bezirks- und Distriktsämter umzusetzen“
187
.
Im Vordergrund standen dabei Maßnahmen wie z. B. die Ahndung von Verstößen gegen die
für Einheimische geltenden Passbestimmungen, die Durchsetzung des faktisch bestehenden
Zwangsarbeitssystems
188
oder gerichtliche Pfändungen
189
. Hierbei ging es um die zwangswei-
se Durchsetzung von bürokratischen Regeln, die von der afrikanischen oder europäischen
Bevölkerung nicht freiwillig eingehalten wurden und die dadurch zu Verstößen gegen die
öffentliche Ordnung wurden, die ein polizeiliches Einschreiten erforderlich machten.
190
Dar-
über hinaus trug die Kolonialpolizei auch zur Generierung von abstraktem Herrschaftswissen
bei, das eine wichtige Voraussetzung für bürokratische Herrschaft ist. Dies betraf nicht nur
183
Rafalski (1930), S. 9 (Vorwort).
184
Von Trotha (1994), S. 50.
185
Vgl. Sebald (1988), S. 277 ff.; Knoll (1978), S. 54 ff.
186
Rafalski (1930), S. 30/32.
187
Zimmerer (2001), S. 115.
188
Vgl. Kaulich (2001), S. 270 ff.
189
Vgl. Zimmerer (2001), S. 117.
190
Vgl. Zollmann (2010), S. 52.
30
die fortwährende Unterstützung der Verwaltung z. B. bei der Erstellung von Melde- und Per-
sonenstandslisten, sondern auch meteorologische Beobachtungen, die Beschaffung von toxi-
kologischen und bakteriologischen Untersuchungsobjekten sowie die Erschließung und Erfor-
schung der noch weitgehend unerforschten Kolonien im Rahmen von zahlreichen Expeditio-
nen und Vermessungsarbeiten.
191
Insgesamt gilt aber dennoch, dass bürokratisches Handeln üblicherweise kein polizeiliches
Einschreiten erfordert und dass deswegen auch die Rolle der Kolonialpolizei in Deutsch-
Südwestafrika und Togo bei der Ausübung von bürokratischer Herrschaft begrenzt war.
5 Fazit
Der Ausgangspunkt der vorliegenden Studie war die Frage, welche Rolle die Kolonialpolizei
bei der Sicherung kolonialer Herrschaft in Deutsch-Südwestafrika und Togo spielte. Die bis-
herigen Ausführungen haben diesbezüglich erhebliche Unterschiede zwischen den beiden
betrachteten Kolonien aufgezeigt, aber auch eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten.
Ein wesentlicher Unterschied war die personelle und organisatorische Struktur der Kolonial-
polizei. Während im vergleichsweise kleinen, ruhigen, eine geringe deutsche Präsenz aufwei-
senden Togo eine ausschließlich mit Afrikanern besetzte Söldnertruppe für die kolonialpoli-
zeilichen Aufgaben zuständig war, trat in der wesentlich größeren und konfliktreicheren Sied-
lungskolonie Deutsch-Südwestafrika neben eine militärisch geprägte, fast ausschließlich mit
Deutschen besetzte Schutztruppe noch eine im zivilen Bereich angesiedelte, im Grundsatz
ebenfalls nur deutsches Personal beschäftigende Landespolizei. Dass diese Unterschiede nicht
ohne Folgen für die kolonialpolizeiliche Aufgabenerfüllung und die koloniale Herrschaftssi-
cherung bleiben konnten, ist wenig verwunderlich. Wie die vorliegende Arbeit gezeigt hat,
trifft dies vor allem auf das despotische und intermediäre Handeln der Kolonialpolizei zu.
So hatte der kolonialpolizeiliche Alltag in beiden Kolonien einen ausgeprägten despotischen
Charakter, der sich in willkürlicher, gewaltsamer Herrschaft über die Einheimischen manifes-
tierte, allerdings war dieser in Togo wohl etwas eindeutiger ausgeprägt als in Deutsch-Süd-
westafrika. Ursächlich dürften hierfür vor allem die relativ hohe Zahl an deutschen Siedlern in
Deutsch-Südwestafrika, die damit einhergehende mediale Beachtung in deutschen Mutter-
land
192
sowie die ausschließlich Deutsche umfassenden Sicherheitskräfte gewesen sein, die
191
Vgl. Rafalski (1930), S. 28 f.; Kaulich (2001), S. 139.
192
Vgl. Zollmann (2010), S. 60 ff.
31
einen ‚zivilisierenden’ Einfluss auf die kolonialpolizeiliche Aufgabenerfüllung gehabt haben
dürften. Gleichwohl stellt in beiden betrachteten Kolonien despotisches Handeln ein integra-
les Wesensmerkmal der kolonialen Herrschaftssicherung durch die Kolonialpolizei dar. „Oh-
ne Despotismus war koloniale Herrschaft weder zu etablieren noch aufrechtzuerhalten – aber
eben auch nicht ohne Intermediarität“
193
, stellt NAGEL fest und verweist damit auf die hohe
Bedeutung von intermediärer Herrschaft in diesem Zusammenhang. Diesbezüglich hat die
vorliegende Studie gezeigt, dass die Kolonialpolizei in beiden Kolonien in hohem Maße so-
wohl auf binnen- wie auf außenintermediärer Ebene zur kolonialen Herrschaftssicherung bei-
trug. Dabei profitierte die Kolonialpolizei in Togo davon, dass sie nahezu ausschließlich afri-
kanisches Personal beschäftigte, während die Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika die-
ses Defizit nur ausgleichen konnte, indem sie auf einheimische Hilfskräfte und Polizeidiener
zurückgriff, die als Mittler zwischen Kolonialherren und Kolonisierten fungierten.
In Bezug auf bürokratische Herrschaft ist hingegen festzuhalten, dass die Kolonialpolizei in
beiden Kolonien hierbei nur eine untergeordnete Rolle spielte, da bürokratisches Handeln
üblicherweise kein polizeiliches Einschreiten erfordert. Zu vermuten ist, dass dies auch mit
dem Entwicklungsstand der kolonialen Herrschaft in Togo und Deutsch-Südwestafrika zu-
sammenhing. So wird in der Literatur oftmals eine evolutionistische Perspektive auf die Her-
ausbildung von kolonialer Herrschaft gewählt, die davon ausgeht, dass despotische Herrschaft
typisch für frühe Phasen kolonialer Staatlichkeit war, die im Laufe der Zeit zunächst von in-
termediärer und dann von bürokratischer Herrschaft abgelöst wurde.
194
Folgt man dieser Lo-
gik, dann würde dies für eine zunehmende Bedeutung von bürokratischer Herrschaft in den
deutschen Kolonien sprechen, die sich aber angesichts der kurzen Dauer des deutschen Kolo-
nialreichs nicht entfalten konnte. VON TROTHA scheint dies in Bezug auf die deutsche Koloni-
alherrschaft in Togo zu glauben, wenn er feststellt: „Die deutschen kolonialen Machthaber
[…] hatten keine Pläne für Prachtbauten, um wie der Despot in der Lust zu schwelgen […].
Ihre Praxis war despotisch. Ihr Geist […] war bürokratisch.“
195
Abschließend sollen noch zwei Gemeinsamkeiten der Kolonialpolizei in Togo und Deutsch-
Südwestafrika hervorgehoben werden, die eine wichtige Rolle bei der kolonialen Herrschafts-
sicherung spielten: ihre geringe Personalstärke und die fehlende Trennung zwischen Militär
und Polizei. So war die personelle Ausstattung der Kolonialpolizei in beiden betrachteten Ko-
193
Nagel (2011), S. 5.
194
Vgl. von Trotha (1994), S. 44; Heé (2012), S. 65 ff.; Pesek (2005), S. 23.
195
Von Trotha (1994), S. 378.
32
lonien so niedrig, dass in Deutsch-Südwestafrika ca. 40% des Territoriums als „unpolizierba-
re[n] Regionen“
196
galten und dass VON TROTHA auch in Bezug auf die deutsche Kolonial-
herrschaft in Togo sarkastisch von einer „reichlich unvollkommene[n] Unterwerfung“
197
der
Einheimischen spricht. ANDERSON und KILLINGRAY sprechen angesichts solch niedriger Per-
sonalstärken, die auch für das britische Kolonialreich galten, und der unweigerlich damit ver-
bundenen Einschränkung von kolonialer Herrschaft von der Kolonialpolizei als „a conjuring
trick of enormous proportions“
198
. Wenn man zudem noch berücksichtigt, dass man weder in
Togo noch in Deutsch-Südwestafrika von einer auch nur annähernd klaren Trennung von Po-
lizei und Militär sprechen konnte und dass gerade „[d]as Fehlen einer leistungsfähigen staatli-
chen Polizei und die Notwendigkeit, statt dessen zur Repression im Inneren Militär einzuset-
zen“, nach Ansicht von REINHARD „in Geschichte und Gegenwart als Kennzeichen einer
schwachen Staatsgewalt“
199
gilt, dann spricht diese Arbeit in Bezug auf die im theoretischen
Teil gestellte Frage, ob der koloniale Staat eher eine ‚starker‘ oder ein ‚schwacher‘ Staat war,
zumindest für die beiden betrachteten Kolonien tendenziell für einen ‚schwachen‘ Staat mit
geringer Reichweite.
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