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Italien-Ohnmächtig in die permanente Krise?

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Abstract

This article (in German) is part of an edited volume on the transformation of labour relations and welfare states in the European crisis (Bieling and Buhr 2015). It assesses in a case-study the changes in the Italian growth model that has come under severe pressure during the global economic crisis. I argue that the further liberalization and deregulation of social and labour policies are to be understood as a continuation and partial completion of similar efforts to join the Euro during the 1990s. Stuck in between international pressure and structural rigidities of the political system, it is likely that Italy will experience a continued period of austerity and crisis-induced transformations with an open end. You can find the whole volume here: http://www.campus.de/buecher-campus-verlag/wissenschaft/soziologie/europaeische_welten_in_der_krise-9683.html
Italien – Ohnmächtig in die permanente
Krise?
Milan Babić
Auch Italien gehört spätestens seit dem spekulativen Angriff auf das Land
im Sommer 2011 zu den »Krisenländern« der europäischen Peripherie. Die
Dramatik dieser Wochen, die im Rücktritt Berlusconis bzw. Antritt Mario
Montis als technokratischen Ministerpräsidenten gipfelte, hat sich mittler-
weile gelegt, doch die Krise blieb. Der harte Austeritätskurs Montis und seiner
Nachfolger ließ keinen Raum für soziale und wirtschaftliche Erholung: Das
negative Wachstum setzt sich seit der zweiten Jahreshälfte 2011 ungehindert
fort, die Arbeitslosenquote verdoppelte sich vom Krisenanfang in 2008 bis
Mitte 2014 (allein die Jugendarbeitslosigkeit stieg von 20,7 Prozent vor der
Krise auf 43,3 Prozent Mitte 2014) (Eurostat); die Einkommensungleichheit
wuchs seit 2008 wieder, der Konsum fiel auf den Stand von 1997 zurück;
und die absolute Armut nahm allein bis 2012 um fast fünf Prozent zu
(Petrelli 2013: 3)
1
.
Die Krise scheint somit zu einer permanenten Ausnahmesituation zu
werden, die durch zwei Rahmenbedingungen gekennzeichnet ist: Zum einen
nimmt das Land eine zunehmend periphere Rolle innerhalb der Europäi-
schen Union ein (Becker/Jäger 2012: 181) und befindet sich deshalb, be-
dingt durch die sogenannte Staatsschuldenkrise, als Defizitland in einer eher
defensiven Position, was die weitere Gestaltung des ökonomischen Ent-
wicklungspfades betrifft. Zum anderen katalysiert und verschärft die proble-
matische Situation Italiens bereits vor der Krise – nämlich wenig Wachstum,
kaum Produktivitätszuwächse und eine daraus (mit)entstehende hohe Staats-
verschuldung – diese Krisendynamik zusätzlich. Nachdem diesen Struktur-
problemen in den Jahren vor der Krise durch eine nach unten gerichtete
——————
1
Diese Belege für die sozioökonomische Talfahrt der italienischen Gesellschaft können noch
weiter fortgesetzt werden: Die relative Armut ist seit 2008 um knapp zwei Prozentpunkte
gestiegen, das Sparniveau sank von zwölf auf acht Prozent in 2012, die Zahl der Haushalte
ohne Einkommen hat sich zwischen 2007 und 2012 auf fast eine Million verdoppelt usw.
(Petrelli 2013).
In: Bieling, H.-J. and Buhr, D. (eds.): Europäische Welten in der Krise. Arbeitsbeziehungen und Wohlfahrtsstaaten im
Vergleich. Frankfurt am Main: Campus-Verlag (Labour Studies, 11), pp. 137–164.
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Lohnpolitik und der Ausbreitung atypischer Beschäftigung »begegnet« wor-
den war, spitzte sich die Situation mit der sogenannten Schuldenkrise drama-
tisch zu. Die von der Kommission und EZB forcierte Krisenbewältigung
durch Konvergenz in wichtigen politischen und ökonomischen Bereichen
(Wettbewerbsfähigkeit, gesunde Haushalte, flexible Arbeitsmärkte usw.)
beschleunigte dabei den Prozess neoliberaler Reformen, der in den 1990er
Jahren begonnen worden war. Eine unmittelbare Lösung der permanenten
Krise ist nicht erkennbar: Das Land wird zwischen der eigenen Ohnmacht
und internationalem Druck zerrieben. Welche Folgen dies für die Arbeits-
beziehungen und Sozialsysteme hat, soll im Folgenden diskutiert werden.
1 Das italienische Entwicklungsmodell
1.1 Zentrale Strukturmerkmale
Das italienische Entwicklungsmodells adäquat zu erfassen, ist aufgrund der
geographisch-ökonomischen Zersplitterung des Landes relativ schwierig. Im
strukturschwachen Süden gibt es wenig Industrieproduktion, dafür bleibt er
im europäischen Vergleich noch relativ landwirtschaftlich geprägt. Der indu-
strialisierte Norden hingegen beherbergt die in der fordistischen Moderni-
sierung entstandenen Großbetriebe wie Fiat oder Pirelli. Das »dritte Italien«
hebt sich von dieser Zweiteilung ab, indem hier (in Mittelitalien sowie dem
Nordosten) eine Vielzahl kleiner, spezialisierter Unternehmen das Produk-
tionsmodell prägt (Burroni 2012: 329f.). Während der südliche Teil Italiens
klar zur europäischen Peripherie gerechnet werden kann, hat der Norden weit-
reichende industrielle Verbindungen zu den Kernländern der EU, vor allem
zu Deutschland (Becker/Jäger 2012: 176). Das deutlich hervortretende Nord-
Süd-Gefälle schlägt sich auch in der Sozialstruktur nieder, so dass dieser geo-
graphische Dualismus eine Besonderheit des italienischen Entwicklungs-
modells darstellt.
Dominierend im industriellen Sektor der italienischen Wirtschaft waren
und sind sowohl die fordistischen Massenprodukte wie Automobile, aber
auch von kleinen Unternehmen hergestellte Textilien und Industriemaschi-
nen. Für den Export sind vor allem der Maschinenbau sowie die Chemie-,
Textil-und Elektronikindustrie zentral. Der Anteil des Exports am BIP lag
2012 bei 25 Prozent (Wirtschaftskammer Österreich), wobei das Hauptziel
italienischer Exporte nach wie vor Europa bildet, das 2006 einen Anteil von
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über 70 Prozent vom Gesamtexport ausmachte – allein 11,8 Prozent gingen
nach Frankreich; 13,2 Prozent nach Deutschland (Vasta 2009: 15). Im euro-
päischen Vergleich (sowohl Eurozone als auch EU) sind zwar sowohl die
Export- als auch Importquote unterdurchschnittlich, dennoch bleibt Italien
nominal einer der größten Exporteure der Welt.
Das italienische Finanzsystem ist traditionell bankenzentriert (IMF 2013:
9; Rangone/Solari 2012: 1190), wobei neben wenigen großen Banken vor
allem viele kleine, regionale Banken existieren (De Bonis u.a. 2012: 4f.; Di
Quirico 2010: 6). Bis in die 1990er Jahre hinein befanden sich viele dieser
Banken in Staatseigentum, bevor sie dann zu dieser Zeit privatisiert wurden.
Generell gilt der italienische Finanzsektor im europäischen Vergleich als un-
terdimensioniert (De Bonis u.a. 2012: 2) und weniger stark in das internatio-
nale Finanzsystem eingebunden (ebd.: 10). Daher wurde die italienische
Bankenlandschaft auch nicht so sehr von der zurückliegenden Subprimekri-
se getroffen wie andere, stärker finanzialisierte Volkswirtschaften.
Die institutionelle Ausgestaltung des Wohlfahrtsstaates ist im Wesentli-
chen in der Verfassung angelegt. Artikel 32 hält die Gesundheitsfürsorge
durch den Staat als Grundrecht fest, Artikel 36 das Recht auf einen bezahlten
Jahresurlaub, Artikel 38 das Prinzip der Sozialversicherungen (Unfall-, Kran-
ken-, Arbeitsunfähigkeits-, Renten- und Arbeitslosenversicherung) sowie
den Anspruch auf Sozialhilfe bei Arbeitsunfähigkeit. Diese grobe »Dreitei-
lung« wohlfahrtsstaatlicher Leistungen in Gesundheitsfürsorge, Sozialversi-
cherungen und Sozialhilfe ist bis heute gängig (Sablowksi 1998: 67f.; Natali
2008: 333), wobei sich die Gewichtung der einzelnen Teilbereiche historisch
verschiebt. In der Praxis ist die sozialstaatliche Aktivität »partikularistisch-
klientelar« (Sablowski 1998: 67) geprägt. Dies äußert sich vor allem in dem
höchst unterschiedlichen Maß an Arbeitslosenunterstützung, das sich je
nach Art und Dauer der vorangegangenen Beschäftigung sowie dem Kün-
digungsgrund unterscheidet (Lodovici/Semenza 2008: 167). Auch die mar-
ginalisierte Sozialhilfe unterstreicht diese Disparitäten, indem die fortgesetz-
te Dezentralisierung der Unterstützung dafür sorgt, dass südliche Landestei-
le ein im Vergleich zum Norden extrem geringes Niveau an Leistungen auf-
weisen (Natali 2008: 341). Den »Ausgleich« für die Fragmentierung des So-
zialstaates stellt in Italien traditionell die Familie dar, die als letztes soziales
Auffangnetz fungiert.
Im Bereich der Gesundheitsfürsorge zeigten sich zuweilen universalis-
tische Züge, die vom berufs- und statusbezogenen Wohlfahrtssystem abwei-
chen wie etwa die Einführung eines nationalen Gesundheitsdienstes 1978
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(Sablowski 1998: 209); allerdings wird die Gesundheitsfürsorge auch durch
klientelistische Praktiken untergraben (Glassmann 2012b: 387), bleibt somit
ebenfalls fragmentiert und variiert stark nach Region
2
. Der italienische
Wohlfahrtsstaat kann zum Sondertyp des »südeuropäischen« Modells ge-
zählt werden, der durch eine fragmentierte, statusabhängige Sozialpolitik mit
bestimmten Schwerpunkten (z.B. den großzügigen Renten), ein universalis-
tisches Gesundheitssystem, einen hohen Anteil nicht-staatlicher Fürsorge
(wie z.B. seitens der Kirche) sowie eine klientelistische Verteilungspolitik ge-
kennzeichnet ist (Ferrera 1996: 17).
Die Arbeitsbeziehungen sind im Wesentlichen von einem Verbandsplu-
ralismus geprägt (Carrieri 2012: 403). Auf Gewerkschaftsseite bestehen ne-
ben der größten Vereinigung Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL)
noch die Confederazione Italiana Sindicati Lavoratori (CISL) und die Unione Itali-
ana del Lavoro (UIL) sowie weitere kleine und branchenspezifische Gewerk-
schaften (wie die traditionell kampfstarke Metallgewerkschaft FIOM). Der
Organisationsgrad liegt mit ca. 35 Prozent (Namuth 2013: 1) deutlich über
dem OECD-Durchschnitt von 17 Prozent.
Die Arbeitgeber werden vor allem durch den Industrieverband Confindus-
tria vertreten. Weiterhin spielten bis zur Privatisierungswelle der 1990er der
Verband der staatlichen Unternehmen (Intersind) sowie die Vertretung der
Agrarwirtschaft (Confagricoltura) in der ersten Republik eine Rolle (Carrieri
2012: 404). Generell können die industriellen Beziehungen in Italien, vor
allem während der ersten Republik bis in die 1980er Jahre, als kaum institu-
tionalisiert, fragmentiert und tendenziell konfliktiv bezeichnet werden (Re-
galia/Regini 1998: 469, 494ff.). Die Gründe hierfür sind vielfältig: so spielt
mit Sicherheit der Ausschluss linker Kräfte in der Entwicklungsphase nach
dem Zweiten Weltkrieg eine Rolle, sodass diese mit dem Erstarken der Ge-
werkschaften in den 1960er Jahren ihren Platz politisch erkämpfen mussten,
der ihnen institutionell nicht zugesichert war. Dieses Muster der Implemen-
tation und Verschiebung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse setzt sich bis
heute fort, so auch während der Berlusconi-Ära, die u.a. stark durch den
Ausschluss der CGIL und soziale Konflikte geprägt war.
——————
2
Zur Fragmentierung trägt nicht zuletzt die Aufteilung der Zuständigkeiten auf verschiedene
Ebenen (staatliche, regionale und lokale) bei (Natali 2008: 347).
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1.2 Historische Veränderungen des Entwicklungsmodells
Das italienische Entwicklungsmodell erfuhr im Laufe der Jahrzehnte meh-
rere einschneidende Veränderungen. Die schnelle Umstellung von einem
noch sehr agrarisch geprägten zu einem industrialisierten Land brachten Ita-
lien innerhalb weniger Jahre auf das Niveau der anderen westlichen Indus-
trienationen. Vor allem die frühe Entscheidung, den Außenhandel zu libe-
ralisieren (Der Beitritt zum GATT erfolgte 1950, zur Montanunion 1951)
sowie der politische Ausschluss der Arbeiterbewegung und ihrer Organisa-
tionen (Bieling 1982: 29) ermöglichten diese rasante Entwicklung, die von
Sablowski (1998: 54) treffend als »ein auf niedrigen Löhnen beruhendes Mo-
dell nachholender kapitalistischer Entwicklung unter Weltmarktbedingungen«
charakterisiert wurde. Entscheidend für die Nachkriegszeit war auch eine
dominante Rolle des italienischen Staates in der Industrie – die Staatsholding
IRI steht hierfür exemplarisch. Aber auch im Finanzsystem überwogen der
staatliche Einfluss und die Kontrolle des Bankensektors (Deeg 2005: 526).
Die lange wirtschaftliche »Boomphase« in der Nachkriegszeit ermöglich-
te eine fortschreitende wirtschaftliche und lohnpolitische Entwicklung, so-
dass eine »nachholende« Etablierung fordistischer Konsumnormen und Ar-
beitsverhältnisse realisiert wurde (Sablowski 1998: 72, 74). Dies bewirkte
eine Neukonfiguration der sozialen Kräfteverhältnisse, bei welcher die neu-
en sozialen Bewegungen (ebd.: 87ff.) ebenso eine Rolle spielten wie die er-
starkten Gewerkschaften. Die sich so ergebenden Spielräume für weitrei-
chende sozial- und lohnpolitische Forderungen schlossen auch eine Neuor-
ganisation der industriellen Beziehungen mit ein; hierzu zählten etwa die
Neuorganisation der Belegschaftsvertretung in den Betrieben sowie die De-
zentralisierung der Tarifverhandlungen (ebd.: 110f.).
Die anschließende Krise des Fordismus, die in den 1970er Jahren ein-
setzte, gipfelte im großen Streik bei Fiat 1980, der durch großflächige Ent-
lassungsankündigungen seitens des Unternehmens provoziert worden war
(Glassmann 2012a: 311). Die Niederlage der Gewerkschaften läutete ein
Jahrzehnt des Beschäftigungsabbaus und eine signifikante Erhöhung der Ar-
beitslosenzahlen ein und kann so zu Recht als »symbolic turning point«
(Rangone/Solari 2012: 1193) für das italienische Entwicklungsmodell gelten.
Im Einklang mit anderen kapitalistischen Industriestaaten (Streeck 2013:
60ff.) galt das Hauptaugenmerk in den 1980er Jahren der Kontrolle der In-
flation, die 1980 den Rekordwert von 21,1 Prozent erreicht hatte, sowie ers-
ten Liberalisierungs- und Flexibilisierungsmaßnahmen, insbesondere auf
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dem Arbeitsmarkt (Sablowski 1998: 184ff.) und den Finanzmärkten (Rango-
ne/Solari 2012: 1193). Mit diesen Maßnahmen zur Überwindung fordisti-
scher Verhältnisse schwand auch die Gewerkschaftsmacht der 1970er Jahre.
Das allgemeine Niveau der Sozialleistungen wurde durch Nicht-Anpassung
an die Inflation abgesenkt (Sablowski 1998: 208f.).
Die zu Beginn der 1990er Jahre einsetzende Transformation und das En-
de des bisherigen Parteiensystems stürzten die Republik in eine ernsthafte
politische Krise. Inmitten dieser Verwerfungen kam die Frage nach der Re-
alisierung des EG- Binnenmarktes 1993 sowie die Aussicht auf den Beitritt
zur Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) auf. Dieser zusätzliche exter-
ne Druck zu weiteren Reformen begünstigte schnelle Entscheidungen: Ab
1992 wurden lange Zeit ökonomisch bedeutende Staatsunternehmen priva-
tisiert (Glassmann 2012a: 319); es folgten weitere Privatisierungswellen und
Liberalisierungen wie z.B. diejenige des Energiesektors im Jahre 1999 (Ran-
gone/Solari 2012: 1195). Sozialpolitisch wurde ebenfalls auf europäischen
Druck hin eine ähnliche Richtung eingeschlagen (Natali 2008: 338): zu kla-
ren Lohneinbußen kamen tripartistisch ausgehandelte Lohnzurückhaltung,
eine Anhebung des Rentenalters (Glassmann 2012b: 390f.) sowie Flexibili-
sierungen auf dem Arbeitsmarkt (Carrieri 2012: 410).
Das traditionell sehr fragmentierte System der industriellen Beziehungen
wurde in der ersten Hälfte der 1990er Jahre durch neokorporatistisch ausge-
handelte Sozialpakte überformt, die von technokratischen Regierungen ini-
tiiert worden waren (Ferrera/Gualmini 2004: 142). Dieser Wandel war aber
nur von kurzer Dauer, da sich mit der Erfüllung der Stabilitätskriterien die
Notwendigkeit solcher Arrangements erschöpft hatte. In den darauf folgen-
den Jahren entwickelten sich Spannungen vor allem zwischen der CGIL und
der Berlusconi-Regierung. Trotz verstärkter Konfrontation zwischen den
verschiedenen Kräften stellt sich das von Berlusconi geprägte Jahrzehnt als
eine Phase der Stagnation dar: Bis auf die weitere Deregulierung des Arbeits-
marktes (Schlemmer 2010: 76) und den politischen Ausschluss der CGIL
gelangen keine größeren politischen Projekte (Rangone/Solari 2012: 1198f.).
Zusammenfassend kann das Arbeitsmarktregime im »Berlusconi-Jahrzehnt«
vor der Weltwirtschaftskrise als »Flex-Insecurity« (Meardi 2012: 8) bezeich-
net werden. Der fortgesetzten Deregulierung der Arbeitsverhältnisse auf der
einen Seite stand eine Stagnation der ohnehin schwach ausgebildeten sozia-
len Systeme auf der anderen Seite gegenüber. Somit verstärkten sich die pre-
kären Tendenzen im Wechselspiel von atypischer, unsicherer Beschäftigung
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und dem drohenden Absturz, den nur das starke familiäre Auffangnetz ver-
hindern konnte.
Auch die ökonomische Situation stagnierte in den Jahren bis zur Finanz-
krise 2007. Die italienischen Wachstumsraten lagen deutlich unter denjeni-
gen der Eurozone, und das Verschuldungsniveau konnte nicht wesentlich
gesenkt werden. Die ökonomischen »Erfolge«, so z.B. ein relativ stabiles Ex-
portniveau, wurden in diesen Jahren vor allem durch eine Niedriglohnpolitik
und Arbeitsmarktderegulierung sowie eine daraus entstehende Schwächung
des Binnenmarktes erkauft (Borrioni/Mazzochi 2012: 2). Bezeichnend für
die ökonomische Stagnation seit Mitte der 1990er Jahre ist das im europäi-
schen Vergleich extrem niedrige Produktivitätswachstum (OECD, Euro-
stat), das hauptsächlich auf fehlende Investitionen zurückzuführen ist. Seit-
dem bestand die Strategie von Regierung und Unternehmen somit im We-
sentlichen in der Deregulierung und somit Verbilligung von Arbeit (durch
Lohnzurückhaltung, Schaffung von atypischer Beschäftigung usw.), die zu-
gleich starke Einbußen im Produktivitätsfortschritt zur Folge hatte.
2 Entfaltung der Krisendynamik und das nationale
Krisenmanagement
Die erste Krisenphase (2008 – Ende 2010): Rezession und Fiskaldisziplin
Die erste Phase der Wirtschafts-und Finanzkrise traf Italien fast zeitgleich
mit dem erneuten Antritt Silvio Berlusconis als Ministerpräsident im Mai
2008. Von Oktober desselben Jahres an erließ die Regierung im Einklang
mit den anderen Ländern der Eurozone verschiedene Maßnahmen zur Sta-
bilisierung der in die Krise geratenen Banken, die u.a. Hilfen bei Liquiditäts-
engpässen, Garantien für Spareinlagen und die Rekapitalisierung angeschla-
gener Institute umfassten (IMF 2013: 17f.). In den folgenden Monaten sorg-
te die angespannte ökonomische Situation vor allem für einen Einbruch der
für Italien wichtigen Exporte: 2009 fielen diese um fast 18 Prozent gegen-
über dem Vorjahr (Eurostat). Die Industrieproduktion ging zurück, ebenso
der private Konsum. Die Rezession erreichte ihren Tiefpunkt im ersten
Quartal 2009, als das BIP im Vergleich zum vorherigen Quartal um 3,5 Pro-
zent fiel (Eurostat, vgl. Abb. 1), der Export um 11,7 Prozent, und der Import
um 8,8 Prozent einbrachen (Banca D´Italia 2010a: 19).
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Abb. 1: BIP-Wachstum in Italien und der EU (in Prozent; im Vergleich zum
vorherigen Quartal)
Quelle: Eurostat.
Im Einklang mit den restlichen G-20-Staaten beschloss die Regierung Ber-
lusconi weitere Ausgaben zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage. Aller-
dings verzichtete man hierbei auf große Konjunkturpakete (Cencig 2012:
13). Nach der Vertiefung der Rezession Anfang 2009 wurden im Februar
(Banca D´Italia 2009a: 51) und Juni (Banca D´Italia 2009b: 41f.) im begrenz-
ten Rahmen weitere Steuererleichterungen und Subventionen beschlossen,
um Investitionsanreize zu setzen.
Als Ende 2009 bzw. Anfang 2010 die Exporteinbrüche der ersten Kri-
senphase gestoppt und umgekehrt werden konnten, schien die italienische
Wirtschaft sich langsam zu erholen. Der politische Fokus verschob sich nun
hin zur Frage der fiskalischen Stabilität. So wurde gegen Ende des Jahres
eine Finanzreform (Gesetz Nr. 196/2010) beschlossen, die die Fiskalpolitik
auf allen Ebenen der Verwaltung vereinheitlichen und transparenter machen
sollte. Im Verlauf des Jahres 2010 zeigten sich weiterhin leichte Erholungs-
tendenzen: Das BIP wuchs fast im Gleichschritt mit dem Euroraum (1,7
Prozent bzw. 1,9 Prozent im Euroraum), die Arbeitsproduktivität stieg an,
die Exportsteigerungen lagen leicht über dem EU-Durchschnitt (Eurostat).
Auch in dieser Phase wurden weitere fiskalpolitische Maßnahmen erlassen,
die für die Jahre 2011-2013 Nettoeinsparungen im Umfang von über 60 Mil-
liarden Euro vorsahen (Banca D´Italia 2010b: 34).
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Während der ersten Krisenphase stieg die Arbeitslosigkeit insgesamt weniger
stark als in der gesamten EU, nämlich vom zweiten Quartal 2008 bis zum
zweiten Quartal 2011 um einen Prozentpunkt (EU: 2,6 Prozentpunkte). Zu
diesem Zeitpunkt war noch nicht abzusehen, dass Italien in der zweiten
Krisenphase zu den Hauptkrisenländern der Eurozone gehören würde. Ins-
gesamt gesehen litt das Land weit weniger unter den unmittelbaren Folgen der
Subprimekrise als die weitaus stärker finanzialisierten Staaten der europä-
ischen Peripherie. Andererseits bemühte sich die Regierung Berlusconi, das
business as usual auch in der Krise weiterzuführen: Große Konjunkturpakete
waren angesichts der hohen Schuldenlast ohnehin tabu (Simonazzi 2014: 72);
gleichzeitig wurden aber auch keine einschneidenden Strukturreformen in
Angriff genommen.
Die zweite Krisenphase (Mitte 2011 – Ende 2012): Austerität und ökonomischer
Einbruch
Trotz fehlender zusätzlicher öffentlicher Ausgaben hinterließ das ökonomi-
sche Tief auch in Italien seine Spuren. Die Staatsverschuldung, die vor der
Krise (im ersten Quartal 2008) noch bei ca. 106 Prozent des BIP gelegen
hatte, überschritt Ende 2011 bereits 120 Prozent (Eurostat, vgl. Abb. 2).
Der Druck der Finanzmärkte auf die stark verschuldeten Länder der Eu-
rozone erschütterte Mitte 2011 schließlich auch Italien, das im Sommer
nochmals ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Stabilisierung der Staats-
finanzen erlassen hatte. Bis zum Rücktritt Berlusconis im November 2011
stiegen die Zinsen auf italienische Staatsanleihen auf ein neues Allzeithoch
von über sieben Prozent (ECB Statistical Data Warehouse, vgl. Abb. 3).
Dieser Indikator ist ein Hinweis darauf, dass das fehlende Vertrauen der
Märkte in die »Reformfähigkeit« Berlusconis wohl ausschlaggebend für sein
Scheitern war und nicht unbedingt der schon seit Jahren beklagte desolate
Zustand Italiens. Obwohl mehrere einschneidende Sparmaßnahmen und
fiskalische Disziplin an den Tag gelegt wurden, reichte dies nicht aus, um die
Anleger zu beruhigen. Das Heraufschnellen der Zinsen zwischen August
und November (sowie die anschließende Normalisierung) steht stellvertre-
tend für diesen Umstand.
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Abb.2: Bruttoschuldenstand in Prozent des BIP
Quelle: Eurostat.
Abb. 3: Zinsen (in Prozent) auf italienische Staatsanleihen (10 Jahre)Quelle: ECB
Statistical Data Warehouse.
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Die Einsetzung der technokratischen Regierung um Ministerpräsident Ma-
rio Monti sollte die von den Märkten, der Europäischen Kommission und
der EZB formulierten Bedenken gegenüber der Fähigkeit Italiens, das Haus-
haltsdefizit abzubauen und die Strukturprobleme zu lösen, entkräften. Dem
im selben Zeitraum von der EU und dem IWF geforderten und beschlosse-
nen Sparpaket über fast 60 Milliarden Euro folgten im Dezember 2011 und
im Rahmen des Programms Salve Italia (Rette Italien) weitere Sparmaßnah-
men über 100 Milliarden Euro für den Zeitraum 2011 - 2014 (Banca D´Italia
2012a: 34ff.). Die von der Regierung Monti verfolgte Austeritätsagenda war
vor allem durch Rentenkürzungen, Erhöhungen des Renteneintrittsalters
und breit angelegten Steuererhöhungen geprägt (Grassi 2012: 2f.). Im Juli
2012 erfolgten zudem die Ratifikation des europäischen Fiskalpaktes und
somit auch die Implementation einer Schuldenbremse in die Verfassung.
Die bereits im Jahrzehnt vor der Krise geschwächte Kaufkraft und Bin-
nennachfrage wurden durch die Sparmaßnahmen in der zweiten Krisenphase
verstärkt. Die ökonomischen Verhältnisse konnten sich im Jahre 2012 kaum
erholen: Das BIP schrumpfte um 2,5 Prozent, die Arbeitslosigkeit stieg um
über zwei Prozentpunkte auf 11,9 Prozent Anfang 2013 (vgl. Abb. 4). Die
Industrieproduktion ging weiter zurück (Banca D´Italia 2013: 17).
Abb. 4: Arbeitslosigkeit in ausgewählten Krisenländern
Quelle: Eurostat.
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Nach dem Rücktritt von Monti und den Parlamentswahlen Anfang 2013
nahm die neue Regierung unter Enrico Letta im April die Arbeit auf. Der
Versuch Lettas, verstärkt auf Wachstumsimpulse zu setzen, dabei aber die
fiskalpolitischen Auflagen nicht zu brechen, sorgte für mehrere kleine Maß-
nahmen wie etwa die Verschiebung der Erhöhung der Mehrwertsteuer um
wenige Wochen oder weitere Investitionen in öffentliche Bauaufträge
(Grimm 2013: 5). Dennoch zeigte die wirtschaftliche Situation bis Ende des
Jahres kaum Verbesserungen; das BIP fiel weiter, die Arbeitslosigkeit stieg
weiter an und lag Ende 2013 bei klar über zwölf Prozent; die Jugendarbeits-
losigkeit sogar bei weit über 40 Prozent. Gleichzeitig stieg die Staatsverschul-
dung auf 132,6 Prozent des BIP an (Eurostat).
In dieser weiterhin prekären Situation wurde Ende Februar 2014 der Flo-
rentiner Bürgermeister Matteo Renzi vom Parlament zum neuen Minister-
präsidenten gewählt. Getragen von der von Letta übernommenen großen
Koalition kündigte Renzi rasch Steuererleichterungen für Geringverdiener
und die Senkung der Gewerbesteuer an. Das Kernstück der Reformen bildet
aber der Jobs Act, der den Arbeitsmarkt weiter flexibilisieren und deregulieren
soll. Insofern ist nicht zu erwarten, dass Renzi tatsächlich mit dem Kurs sei-
ner Vorgänger bricht. Er scheint deren Liberalisierungsagenda vielmehr un-
ter veränderten Vorzeichen weiterzuführen.
3 Die Krise der Sozialsysteme
3.1 Reformen des Wohlfahrtsstaates in der Krise
Wie gesehen war die erste Reaktion der Regierung auf die Krise zurückhal-
tend und eher von absichernden Maßnahmen als von teuren Konjunkturpa-
keten geprägt. Mit der zweiten Krisenphase verschärften sich die Spar- und
Reformbemühungen drastisch. Was den wohlfahrtsstaatlichen Umbau be-
trifft, können drei Schwerpunkte hervorgehoben werden: harte Einspa-
rungen im öffentlichen Dienst, die Rentenreform sowie die Reform der Ar-
beitslosenunterstützung.
2009 – Mitte 2011: Berlusconi und der Angriff auf den öffentlichen Sektor
Als der Schock der ersten Krisenphase »verdaut« war, konzentrierte sich die
Regierung Berlusconi ab 2009 in ihrem Bemühen um fiskalische Stabilität
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vor allem auf Kürzungen und Einsparungen im öffentlichen Dienst und in
den lokalen Verwaltungen (Borioni/Mazzochi 2012: 6). Auch Universitäten
waren eines der Hauptziele der Sparmaßnahmen (Di Quiricio 2010: 9). Das
erste größere Sparpaket wurde im Mai 2010 verabschiedet. Es sah für das
Jahr 2011 Kürzungen in der Größenordnung von 10,2 Milliarden Euro vor
(Banca D´Italia 2010b: 35), wobei alleine die Hälfte davon von lokalen Ver-
waltungen gestemmt werden sollte (5,2 Milliarden Euro). Dies ist umso ein-
schneidender wenn man bedenkt, dass viele sozialstaatliche Leistungen in
Italien dezentralisiert sind, also in der Verantwortung der lokalen Verwal-
tungen liegen. Weitere Maßnahmen waren die Verschiebung der Rentenzah-
lungen für Renteneinsteiger um zwölf Monate, Budgetkürzungen bei den
Ministerien um zehn Prozent sowie das Einfrieren bzw. Kürzen von Gehäl-
tern im öffentlichen Dienst (ebd.: 35ff.).
Die Sparpolitik Berlusconis wurde zwar keineswegs achselzuckend hin-
genommen; der Widerstand dagegen war aber nur selten einheitlich und
durchschlagend. Im Mai 2010 legte ein großer Teil des Transportpersonals
(geschätzte 300.000 Beschäftigte) die Arbeit nieder; Medienberichten zufol-
ge handelte es sich um den größten italienischen Streik seit über 20 Jahren.
CGIL, CISL und UIL demonstrierten hier noch gemeinsam gegen die von
der Regierung angekündigten Kürzungen im öffentlichen Dienst und wei-
tere Sparpläne der Regierung. Aber schon der nächste Generalstreik im Juni
2010 wurde nur unilateral von der CGIL ausgerufen; er betraf ebenfalls
hauptsächlich das Transportwesen in mehreren großen italienischen Städ-
ten. Während sich hier noch vereinzelt Basisgewerkschaften dem Protest an-
schlossen, enthielten sich die beiden anderen großen Verbände. Von ge-
schlossenen Krisenprotesten seitens der Gewerkschaften kann also, trotz ei-
niger gemeinsamer Aktionen, nicht gesprochen werden.
Das zweite und dritte Sparpaket unter Berlusconi, fast genau ein Jahr
später (2011), bestanden erneut zu 80 Prozent aus Kürzungen der Budgets
von Ministerien, lokalen Verwaltungen und dem Gesundheitssystem (für ei-
nen Überblick: Banca D´Italia 2011a: 37). Gleichzeitig wurde die Mehrwert-
steuer von 20 Prozent auf 21 Prozent erhöht. Ursprünglich geplante Maß-
nahmen wie Steuern auf bestimmte Luxusobjekte wurden wieder zurückge-
nommen. Mehrfache Änderungen des Maßnahmenbündels und das teilwei-
se Verschieben von Kürzungen in die Zukunft rückten die Regierung Ber-
lusconi in ein chaotisches Licht. Doch der Widerstand gegen die Maßnah-
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men blieb auch hier uneinheitlich: Während die CGIL erneut zum General-
streik aufrief, distanzierten sich die anderen beiden Gewerkschaften wiede-
rum deutlich.
Warum die Regierung Berlusconi schwerpunktmäßig bei den öffentlich
Bediensteten und lokalen Verwaltungen sparte, ist durch den Mangel an
Handlungsalternativen erklärbar. Die enorme Staatsverschuldung sowie feh-
lende Steuereinnahmen (Simonazzi 2014: 72), kombiniert mit dem europä-
ischen und internationalen Druck der Troika und der Finanzmärkte, lassen
nur öffentliche Ausgabenkürzungen als vermeintlichen Ausweg übrig. Ein
weiterer Grund liegt sicherlich auch in der Wahlklientel Berlusconis: Öffent-
liche Kampagnen gegen angeblich faule öffentliche Angestellte und ver-
schwenderische Verwaltungen, vor allem im Süden des Landes, konnte sich
die Mitte-Rechts-Koalition durchaus leisten, da unter diesen eher PD-Wäh-
ler als Berlusconi-Anhänger zu finden sind (Di Qurico 2010: 9).
Ende 2011: Die Rentenreform Montis
Mario Montis Regierung griff gleich in den ersten Monaten ihrer Amtszeit,
nämlich ab Ende 2011, das »ewige Thema« der italienischen Renten auf. In
der Darlegung seiner Agenda vor dem italienischen Senat im November
2011 wurden drei große Reformbereiche genannt: die Steuerflucht, der Ar-
beitsmarkt und eben die Rentenpolitik (Cencig 2012: 30). Die oft bemühte
Charakterisierung des italienischen Wohlfahrtsstaates als »Rentenstaat« rührt
von dem traditionell hohen Anteil der Rentenausgaben an den Gesamtleis-
tungen des Sozialstaates: Im Jahre 2004 betrug dieser Anteil fast 60 Prozent,
wohingegen der EU-Durchschnitt bei knapp 44 Prozent lag (Natali 2008:
337).
Zunächst wurde das Renteneintrittsalter für Frauen von 62 auf 66 Jahre (in
2018) und für Männer sofort von 65 auf 66 Jahre (auf 67 in 2021) sukzessive
erhöht (Carls 2012: 107). Gleichzeitig konnten nun Arbeitnehmer über das
gesetzliche Rentenalter hinaus bis zum 70. Lebensjahr regulär weiter be-
schäftigt werden. Die bisher unterschiedlichen Eintrittsalter von privat Be-
schäftigen, Beschäftigten im öffentlichen Dienst und Selbstständigen sollen
bis 2021 auf 67 Jahre vereinheitlicht und somit einer der zentralen Dualis-
men im italienischen Rentensystem beseitigt werden.
Mit der Reform wurde die Rente endgültig auf ein beitragsbezogenes
System umgestellt. Das ursprüngliche Verfahren, in welchem die Rentenhö-
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he lohnbezogen war, d.h. vom zuletzt bezogenen Gehalt abhing, wurde be-
reits mit der Dini-Reform von 1995 schrittweise in ein Beitragssystem um-
gewandelt. Die Monti/Fornero-Reform beschleunigte diese Umstellung, so-
dass die Rente ab dem 1. Januar 2012 für alle noch nicht verrenteten Arbeit-
nehmer automatisch auf das beitragsbezogene System umgestellt wurde. Der
ursprüngliche Plan sah diesen Schritt nur für Beschäftigte vor, die bis zum
31. Dezember 1995 noch keine 18 Beitragsjahre erreicht hatten. Diese Be-
schränkung wurde nun komplett fallengelassen. Zusammen mit weiteren Ein-
sparungen wie dem Beschluss, die Renten in 2012 und 2013 nicht an die In-
flationsrate anzupassen (also effektiv zu senken), ergab sich ein Einsparpoten-
tial von 120 Milliarden Euro für die kommenden zehn Jahre (Grasse 2012: 5).
Dass die Reform der Renten aber nicht nur eine Reaktion auf die Krise
ist, wird an der Kontinuität der Maßnahmen deutlich. Die Rentenreform war
bereits ein heftig diskutierter Gegenstand der neoliberalen Umstrukturie-
rung der 1990er Jahre. Der Vorstoß der Monti-Regierung beschleunigte und
vollendete lediglich den von der Dini-Reform initiierten Umstellungsprozess
(Mayr 2013: 25), der im Berlusconi-Jahrzehnt zum Erliegen gekommen war.
Somit nutzte die in einer Notsituation an die Macht gekommene, von einer
breiten parlamentarischen Mehrheit getragene technokratische Regierung
ihren relativ großen Spielraum, um schnell politische Fakten zu schaffen,
was vor allem von der EU-Kommission und EZB mit Wohlwollen begleitet
wurde. Auch der Regierungsstil Montis lässt diese Interpretation zu: Fast 60
Prozent aller bis Juli 2012 verabschiedeten Gesetze waren Gesetzesdekrete,
die in der italienischen Verfassung als Ausnahmeregelungen aufgeführt sind
(Marangoni 2012: 143). Dieser außerordentlich hohe Anteil an Gesetzen, die
von der Regierung direkt erlassen werden, deutet auf einen sehr autoritären
Führungsstil. Dieser Eindruck wird dadurch untermauert, dass beinahe 80
Prozent der Gesetzesvorhaben vom Ministerium für Wirtschaft und Finan-
zen stammen oder mitgetragen wurden – einem Ministerium, das Monti in
Personalunion mit dem Amt des Regierungschef geführt hat (Marangoni
2012: 143f.). Es wird also klar, dass die Rentenreform, die in die erste, autori-
tär geprägte Phase der Regierung Monti fiel, als Schlüsselreform im Umbau
des Wohlfahrtsstaates angesehen werden kann und entsprechend früh uni-
lateral durchgebracht wurde. Die schnelle Entscheidung war auch dem rela-
tiven Zurückhalten der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen geschul-
det: Sie hofften dadurch auf stärkere Zugeständnisse bei der von Monti
angekündigten Arbeitsmarktreform (Namuth 2013: 4).
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Die Reform der Arbeitslosenversicherung
Ein weiterer wichtiger Punkt im Bereich der sozialstaatlichen Reformen war
der Status der Arbeitslosenversicherung. Die sozialpolitischen Dualismen
zwischen Jung und Alt, Festangestellten und atypisch Beschäftigten, Män-
nern und Frauen sowie Nord- und Süditalien finden sich auch hier wieder.
Grundsätzlich existiert bisher eine allgemeine Arbeitslosenversicherung, die
allen Arbeitssuchenden offensteht. Die zwei grundlegenden Probleme dieser
Versicherung sind erstens das relativ geringe Niveau der Leistungen, das mit
der Zeit zudem noch kontinuierlich gesenkt wurde (Natali 2008: 342). Zwei-
tens wurde neben der regulären Versicherung in der ersten Republik die
Lohnersatzkasse CIG eingeführt, die aber nur in bestimmten Sektoren bzw.
Regionen galt. Sie sollte ursprünglich als Instrument zur Überwindung von
Rezessionen dienen und war dementsprechend, als Übergangsmaßnahme
gedacht, finanziell viel höher angesetzt als die normale Versicherung. Da sie
dennoch oft als klientelistisches Instrument eingesetzt wurde (Gohr 2001: 9),
schuf das zweigleisige System auch hier wieder Disparitäten zwischen »gut«
und »schlecht« Beschäftigten.
Die Regierung Monti war nun, neben der geplanten Flexibilisierung (sie-
he nächster Punkt) auch bestrebt, eine zumindest formelle Verbesserung der
Arbeitslosenversicherung durchzusetzen. Diese Strategie ist durchaus nach-
vollziehbar: nach den ersten »Schocks« der neuen Regierung, die im Eiltem-
po Austeritätsmaßnahmen, eine Rentenreform und anschließend auch noch
eine Arbeitsmarktreform durchsetzen wollte, sank die Akzeptanz in der Be-
völkerung rapide. Die Modernisierung dieses höchst fragmentierten, un-
übersichtlichen Bereichs der sozialen Sicherung bekräftigt einerseits das
Auftreten Montis als »Macher« und objektiven Reformator der verkrusteten
italienischen Politik. Andererseits vermittelt die Reform der Arbeitslosen-
versicherung das Bild einer »sozial ausgewogenen« Austeritätspolitik, die
nicht nur an Kürzungen öffentlicher Gelder interessiert ist.
Die künftige, erst in den kommenden Jahren voll implementierte, Ar-
beitslosenunterstützung wird im Programm AspI (assicurazione sociale per l’im-
piego) zusammengefasst (Cencig 2012: 43). Dieses sichert im Allgemeinen
3
für sechs Monate 75 Prozent, die nächsten sechs Monate noch 60 Prozent
und nach einem Jahr noch 45 Prozent des vorherigen Einkommens; dieses
darf allerdings die Summe von knapp 1100 Euro nicht übersteigen. Die ma-
——————
3
Bis 2015 kann die Bezugsdauer des Geldes variieren, danach wird sie vereinheitlicht.
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ximale Bezugsdauer beträgt für Menschen unter 55 Jahren zwölf, für dieje-
nigen über 55 Jahren 18 Monate (ab 2016). Die Vereinheitlichung der Rege-
lung schließt nun auch bisher marginalisierte Gruppen ein, wie beispielswei-
se Künstler oder Auszubildende (ebd.). Inwiefern diese Regelungen neben
der Vereinheitlichung bzw. Vereinfachung auch die Situation der von der
Krise Betroffenen substantiell verbessern, ist fraglich: Es haben nur diejeni-
gen vollen Anspruch auf die Leistungen, die zuvor bereits zwei Jahre be-
schäftigt waren. Somit wäre ein großer Teil der jugendlichen Arbeitslosen
(bei über 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in 2013), die noch nie in einem
Beschäftigungsverhältnis standen, nicht berechtigt; zu dieser Gruppe kön-
nen auch viele Frauen gezählt werden, deren Erwerbsquote in Italien tradi-
tionell unter dem europäischen Durchschnitt liegt. Die für diese Gruppen
weitaus relevantere soziale Grundsicherung bleibt hingegen minimalistisch
und kommunal fragmentiert. Hier gilt immer noch die Familie als letzte
Grundsicherung, selbst wenn diese mit dem Fortdauern der Krise und feh-
lenden Einkommen als soziale Stütze immer weiter wegbricht.
Insgesamt scheint sich mit der Reform der Arbeitslosenversicherung kei-
ne grundlegende Veränderung der bisherigen Praxis ergeben zu haben. Den-
noch ist sie als Diskursmoment relevant: Wie K. Carls (2012: 105) zu Recht
anmerkt, findet hier eine wichtige Diskursverschiebung statt: An die Stelle
der alleinigen Betonung der Notwendigkeit, Arbeitsmärkte im globalen
Wettbewerb flexibilisieren und deregulieren zu müssen, ohne dabei die sozi-
alen Sicherungsnetze zu thematisieren, greift die Regierung Monti mit dem
Thema der Arbeitslosenversicherung ein Sicherheitsthema auf. Die Verbin-
dung von Flexibilität und Sicherheit (in der Sprache der Europäischen Kom-
mission Flexicurity) suggeriert einen Kompromiss zwischen der ökonomi-
schen »Notwendigkeit« und sozialpolitischer Erneuerung. Mit Blick auf das
von Disparitäten gezeichnete Italien könnte dies eine wirkmächtige Diskurs-
verschiebung werden, da auch der neue Ministerpräsident Renzi eine ähnli-
che Sprache zu sprechen scheint.
3.2 Die Arbeitsmarktpolitik als zentrales Konfliktfeld
Die schon aufgezeigten Disparitäten in der italienischen Wirtschaft und Ge-
sellschaft treten in herausragender Weise in den Arbeitsbeziehungen des
Landes zutage. Der Arbeitsmarkt ist hierbei von zwei übergreifenden Dua-
lismen geprägt (Sacchi 2013: 5f.): Die erste Teilung verläuft zwischen den
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Beschäftigten in den großen, fordistisch geprägten Industriebetrieben wie
Fiat einerseits und denjenigen in den vielen kleinen und kleinsten Unterneh-
men unter 15 Mitarbeitern andererseits. Für die Beschäftigten in den kleinen
Unternehmen gilt ein schwächerer arbeitsrechtlicher Schutz, nicht zuletzt
ein sehr viel lockererer Kündigungsschutz (ebd.: 4).
Der zweite Dualismus bezieht sich auf die Teilung von regulärer und
atypischer Arbeit, die sich mit den Strukturreformen der 1990er Jahre auf
dem italienischen Arbeitsmarkt etablierte (ebd.: 5). Atypische Beschäfti-
gungsformen sind im allgemeinen durch »limited duration, lower separation
costs, and lower social security and welfare fees to alleviate the employers’
cost burden« (Tealdi 2012: 2) charakterisiert. Obwohl der Anteil der atypisch
Beschäftigten an der Gesamtbeschäftigung in Italien im europäischen Ver-
gleich nicht herausragend hoch ist, steigt er seit den 1980er Jahren beachtlich
(nämlich von 4,8 Prozent in 1985 auf 13,3 Prozent in 2008, ebd.: 28). Ebenso
lässt sich hier eine Vielzahl von verschiedenen Verträgen finden, die jeweils
eine eigene Form der atypischen Arbeit regeln (laut Confindustria existieren
48 verschiedene Vertragstypen, Carinci 2012: 306f.).
Seit Beginn der neoliberalen Umstrukturierungen in Italien in den 1990er
Jahren war der Bereich der regulären Beschäftigungsformen regelmäßig das
Ziel von Deregulierungs-und Liberalisierungsversuchen, die jedoch von den
Gewerkschaften entschieden bekämpft wurden
4
. Der Fokus richtete sich
daher vermehrt auf die weniger regulierte, atypische Beschäftigung: Dort er-
folgten seit den 1990er Jahren zahlreiche Reformen, die den Arbeitsmarkt
in der Hoffnung auf makroökonomische Impulse immer weiter fragmen-
tierten. Das Ergebnis war ein auf niedrigen Löhnen basierendes Wachstums-
modell, das in den letzten Jahren vor der Finanzkrise aufgrund fehlender
Investitionen unter schwachem Wachstum und geringen Produktivitätsstei-
gerungen litt. In der aktuellen Finanzkrise avancierte dann europaweit »die
nach unten gerichtete Flexibilität von Löhnen […] zur zentralen Anpas-
sungsvariable der derzeit bestehenden makroökonomischen Ungleichge-
wichte« (Schulten/Müller 2013: 291). Die entsprechenden Instrumente (wie
das europäische Semester etc.) von EZB, Kommission und IWF zielen we-
sentlich auf die Lohn- und Arbeitsmarktpolitik der beteiligten Länder ab.
Die italienische Misere der vergangenen Jahre wird so mit denselben Mitteln
——————
4
Hierfür steht der starke Widerstand der Gewerkschaften im Kampf um die Abschaffung des
Artikels 18 des das Status der Arbeiterrechte (statuto dei lavoratori), der die Kündigung eines
unbefristeten Arbeitsvertrages für die Arbeitgeber aus nichtigen Gründen nur schwer
durchsetzbar machte.
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bekämpft, die sie mit verursacht haben. Die von den jeweiligen Regierungen
oft bemühte Unterscheidung von geschützten, in sicheren Normalarbeits-
verhältnissen befindlichen älteren Insidern und meist jungen, in atypischen
und prekären Beschäftigungsverhältnissen stehenden Outsidern dient dabei
als Leitmotiv für die Reformen.
Die erste Krisenphase (Regierung Berlusconi)
Die Regierung Berlusconi, die 2008 ihre Arbeit aufnahm, setzte im Januar
2009 im Verbund mit den Arbeitgeberverbänden sowie der CSIL und der
UIL eine Reform der kollektiven Tarifverhandlungen durch. Wesentlich
hierbei waren erstens die verstärkte Dezentralisierung der Verhandlungen,
indem die betriebliche Ebene und damit die mögliche Abweichung vom
Branchentarif gestärkt wurde (Busch u.a. 2012: 12). Zweitens wurde die In-
flationsbindung der Löhne geändert bzw. nach unten angepasst (Meardi
2012: 8). Die Vereinbarung unter Ausschluss der CGIL steht dabei in der
Tradition der seit längerem praktizierten Ausschlusspolitik gegenüber dieser
Gewerkschaft (Trivellato 2010: 91). Ob diese erste, aber grundlegende Re-
form tatsächlich von der Krise forciert ist oder nicht vielmehr eine Fortset-
zung der vorangegangenen Politik des Berlusconi-Regimes darstellt, ist
schwierig einzuschätzen. Jedenfalls dürfte die aufkommende Unsicherheit
aufgrund der weltweiten Rezession dem Reformvorhaben zumindest nicht
geschadet haben.
Im Anschluss an die Vereinbarung stand im Jahre 2009 die Stabilisierung
der Banken und ökonomischen Verhältnisse im Vordergrund, sodass ar-
beitsrechtliche und tarifpolitische Entscheidungen in dieser angespannten
Phase nicht auf die Tagesordnung rückten. Nachdem sich die ökonomische
Lage Anfang 2010 vorerst stabilisiert hatte, folgten weitere Auseinanderset-
zungen. Als Fiat im Sommer die Aufkündigung der Kollektivverträge für das
Werk Pomigliano
5
beschloss, wurde die zum Dachverband CGIL gehörige
Metallgewerkschaft FIOM aus dem Verhandlungsprozess ausgeschlossen,
nachdem sie die Zustimmung verweigert hatte (Carls 2012: 99f.). Anstelle
des Kollektivvertrags etablierte Fiat eine speziell auf den Betrieb zugeschnit-
tene Vereinbarung, die neben einer höheren Arbeitszeitflexibilität und wei-
teren Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen auch eine striktere Frie-
——————
5
Die Aufkündigung wurde später auf weitere Werke übertragen.
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denspflicht einführte (ebd.; Meardi 2012: 9). Die Entscheidung Fiats ist des-
wegen so wichtig, da sie als richtungweisend in den italienischen industriellen
Beziehungen gilt. Die bisherige Praxis der Rechtsprechung sanktionierte sol-
che Abweichungen von Branchentarifverträgen meist, sodass eigenständige
betriebliche Vereinbarungen nicht stark nach unten abweichen konnten
(ebd.: 9). Dies wurde mit der Entscheidung Fiats obsolet, da das Unterneh-
men die Vorgehensweise im weiteren Verlauf auf mehrere seiner Werke aus-
dehnte
6
.
Die »Fortsetzung« des Fiat-Falls fand im Juni 2011 statt, als alle drei gro-
ßen Gewerkschaften (inklusive CGIL) mit der Confindustria neue Kriterien
für mögliche Abweichungen von Kollektivverträgen auf der Betriebsebene
beschlossen. Obwohl die Abweichung von Branchentarifen somit unter be-
stimmten Bedingungen im Rahmen der Tarifverhandlungen (und nicht
durch Ausstieg aus diesem Rahmen wie bei Fiat) ermöglicht wird, hat ihr
sogar die beim Fiat-Fall noch opponierende CGIL zugestimmt.
Der Alleingang von Fiat hat gezeigt, dass ein Kräftemessen zwischen ei-
nem einflussreichen Industriebetrieb und einer gespaltenen Arbeitnehmer-
vertretung im Zweifelsfall mit einer herben Niederlage für die Gewerkschaf-
ten enden kann. Von daher war die Perspektive einer offiziellen Regelung
mit den anderen Tarifpartnern wohl das geringere Übel für die CGIL, v.a.
weil dadurch die dezentralisierten Tarifverhandlungen wenigstens einen
mehr oder weniger verbindlichen Rahmen bekommen (Pedersini/Regini
2013: 22). Auch der Industrieverband Confindustria befindet sich in einer ähn-
lichen Situation: Da Fiat den Verband offiziell verließ, um nicht an die Re-
gelungen des Verbandes mit den Gewerkschaften gebunden zu sein, profi-
tierte auch sie nicht von Fiats Alleingang.
Nur wenige Wochen nach der Übereinkunft der Tarifpartner legte die
Regierung Berlusconi ein eigenes Gesetz mit weitreichenden Liberalisie-
rungsschritten vor. Mit dem im August beschlossenen Sparpaket gingen so-
wohl der Vorschlag für eine in der Verfassung verankerte Schuldenbremse
als auch Arbeitsmarktreformen
7
einher (Meardi 2012: 10). Die neue Rege-
——————
6
Im November desselben Jahres folgten mit dem Gesetz Nr. 184/2010 (collegato lavoro) weitere
Liberalisierungen im Arbeitsschutz: Klagerechte für die Beschäftigten wurden einge-
schränkt und zeitlich begrenzt (Carls 2012: 102f.).
7
Ende September kam ein ursprünglich geheimer Brief des ehemaligen und des aktuellen
EZB-Chefs Trichet bzw. Draghi an die Öffentlichkeit, der genau diese Maßnahmenpakete
von der italienischen Regierung forderte. Siehe hierzu FAZ online vom 30.09.2011.
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lung erlaubt nicht nur die Abweichung von Kollektivverträgen, sondern be-
trifft »all aspects of labour organisation and production« (Clauwaert/Schö-
mann 2012: 21), d.h. auch die Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern
(ebd.). Dieser Schritt stellte einen direkten Angriff auf den Artikel 18 des
Arbeiterstatuts dar und konnte insbesondere von der CGIL nicht toleriert
werden (Meardi 2012: 10). Hierin wird auch der Unterschied zur Linie der
Tarifpartner deutlich: Während die Regierung einen Weg einer »dis-organi-
zed' decentralization« (Pedersini/Regini 2013: 22) ging und gezielt die Dere-
gulierung von Arbeitsverhältnissen im Blick hatte, war der Schritt zu einer
sozialpartnerschaftlichen Einigung seitens der Gewerkschaften von einer
Eindämmung und Verregelung der Dezentralisierung motiviert.
Die zweite Krisenphase (Regierung Monti)
Die nachfolgende Regierung Monti fokussierte sich, neben rigiden Einspa-
rungen und der schnell durchgebrachten Rentenreform, ab Januar 2012 be-
sonders auf die groß angekündigte Arbeitsmarktreform. Obwohl die Regie-
rung zunächst verkündete, die Sozialpartner mit in eine geschlossen auftre-
tende Krisenpolitik einzubeziehen, kann von einem Tripartismus auf Au-
genhöhe keine Rede sein: Die Reform würde im Zweifelsfall auch unilateral
durchgesetzt werden (Sacchi 2013: 15).
Das Ziel der Reform bestand darin, den abgesicherten Teil des Arbeits-
marktes zu flexibilisieren. Mit der Lockerung des Kündigungsschutzes auf
der einen Seite und der Einschränkung des Missbrauchs befristeter Verträge
auf der anderen Seite sollte, so die offizielle Linie, die Fragmentierung des
Arbeitsmarktes reduziert werden (Pedersini/Regini 2013: 18). Zentral für
das Verständnis dieser Politik ist, dass es sich hierbei stets um eine Aufhe-
bung der Fragmentierung durch Angleichung nach unten handelt, d.h. die
stärker geschützten Bereiche sollten zugunsten einer Vereinheitlichung ab-
gewertet werden, um mehr Flexibilität zu schaffen.
Während nun die Idee der Aufhebung dualistischer Verhältnisse auf dem
Arbeitsmarkt auch bei den Gewerkschaften Zustimmung fand, ergab sich
ein längerer Streit über die Reform des Kündigungsschutzes, also des Artikel
18. Im ursprünglichen Regierungsentwurf war vorgesehen, dass eine (im
Nachhinein) als ungerechtfertigt festgestellte Entlassung mit Ersatzzah-
lungen kompensiert werden kann und eine Wiedereinstellung nicht zwin-
gend sei (Cencig 2012: 44). Nach heftigem Widerstand gegen die Reform
wurde die später im Parlament verabschiedete Version etwas abgeschwächt
158 M
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(ebd.) wobei unter dem Strich dennoch eine weitere Aufweichung des Kün-
digungsschutzes durchgesetzt wurde
8
(Carinci 2012: 315), der vom Wider-
stand gegen die Reform nur graduell abgemildert werden konnte. Zu ver-
zeichnen war jedoch, dass trotz der quasi oppositionslosen Regierungsfüh-
rung dennoch außerparlamentarische Gegenstandpunkte artikuliert wurden.
Das von vielen Beobachtern vermutete »Durchregieren« oder »Aufräumen«
der Monti-Regierung kann, zumindest auf dem Feld der Arbeits- und Tarif-
politik nicht konstatiert werden.
Ein weiterer Vorstoß inmitten der Krise kam im September 2012 von
Seiten der Industrievertreter sowie der Gewerkschaften CISL und UIL: Der
Pakt zur Steigerung von Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit enthielt
Vorschläge für die Überwindung der italienischen Produktivitätskrise. Auch
hier war der Fokus wiederum auf die Notwendigkeit einer Anpassung von
Kollektivverträgen auf Unternehmensebene gelegt, insofern diese zu Pro-
duktivitätssteigerungen führen können (Pedersini/Regini 2013: 23). Wäh-
rend die Regierung Monti die Einigung begrüßte, verweigerte sich die CGIL
wiederum einer Unterzeichnung und übte, vor allem aus Reihen der FIOM,
harsche Kritik am Übereinkommen.
Als im April 2013 Enrico Letta die Nachfolge von Monti antrat, befand
sich das Land nach einer langwierigen Regierungsfindung in einer politi-
schen Krise. Der Übergang zu einer »politischen« Praxis nach dem techno-
kratischen Regime Montis gestaltete sich sehr schwierig, was z.B. an den vie-
len Differenzen zwischen den Regierungspartnern PD und PdL (die Partei
Berlusconis) festgemacht werden konnte. Der von Kritikern konstatierte
Aufschub von Reformen war dann auch das zentrale Motiv, mit dem Matteo
Renzi zu Beginn des Jahres 2014 nach der Macht griff. Es bleibt abzuwarten,
wie sich die Dinge um den groß angekündigten Jobs Act, der bisherige Ge-
ringverdiener durch Steuersenkungen unterstützen soll, entwickeln und wie
sich die Tarifpartner in der neuen Situation positionieren.
——————
8
Mit anderen Worten, nur noch diskriminierende Entlassungen verpflichten zur Wiederein-
stellung (Pedersini/Regini 2013: 19).
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4 Perspektiven: Auf dem Weg in die permanente Krise?
Was bleibt von der Krise und ihren politischen Konfliktlinien? Zunächst
lässt sich erkennen, dass die Transformation von Wohlfahrtsstaatlichkeit
und Arbeitsmarktpolitik kein genuines Krisenthema ist, sondern bereits in
den Umbrüchen der 1990er Jahre eine große Rolle gespielt hat. Insbesonde-
re die schwache Lohnentwicklung und die Etablierung eines stark deregu-
lierten Sektors atypischer Beschäftigungsformen sind seit Mitte des vorletz-
ten Jahrzehnts ein zentrales Merkmal der italienischen Entwicklung gewe-
sen. Die in diesem Kontext verabschiedeten Liberalisierungen auf dem Ar-
beitsmarkt von 1997 und 2003 finden in den Reformen Montis von 2012
und Renzis Jobs Act ihre Fortsetzung. Dennoch sind die Versuche, eine sozi-
al- und arbeitsmarktpolitische Konvergenz unter europäischen Vorgaben
durchzusetzen, durch die Krise erst virulent und in ihrer Tragweite womög-
lich auch erst möglich geworden. Es stellt sich angesichts dieser Kontinuität
die Frage, ob die Antwort auf die Krise in weiterer Flexibilisierung und De-
regulierung bestehen kann oder ob nicht vielmehr gerade diese Politik be-
reits die Produktivitätskrise der 1990er Jahre begleitet hat und somit als Kri-
senlösung fragwürdig erscheint.
Die Konflikte um Schuldenabbau, Sparmaßnahmen und Flexibilisie-
rungen haben die Frage aufgeworfen, wie weit der wohlfahrtsstaatliche und
sozialpolitische Umbau in Italien gehen wird. Der in manchen Momenten
entschiedene zivilgesellschaftliche (und gewerkschaftliche) Widerstand, wie
z.B. bei der Frage nach Artikel 18 des Arbeiterstatuts, haben gezeigt, dass
dieser Konflikt nicht beliebig und vor allem nicht beliebig schnell entschie-
den werden kann. Inwiefern diese Widerstände den europäischen Vorgaben
zu grundlegenden Reformen und zur Konvergenz tatsächlich schaden, kann
erst aus einer ex-post-Perspektive beurteilt werden, für die es noch zu früh ist.
Wer die Akteure eines alternativen politischen Projektes sein sollen, ist
eine weitere Problematik. Das Fehlen einer echten Opposition zur Krisen-
politik hat sich bereits während der Regierungszeit Montis gezeigt und setzt
sich bis heute fort: Es finden sich im Parlament kaum Stimmen – Rechtspo-
pulisten ausgeklammert – die sich inhaltlich substantiell gegen die Austeri-
tätspolitik stellen. Angesichts des breiten Konsenses in Bezug auf den »ein-
zig gangbaren« Weg der Reformen kann echte Opposition derzeit nur außer-
parlamentarisch artikuliert werden. Dort gibt es in Italien zwar traditionell
starke Gewerkschaften, die aber mehrmals in den letzten Jahren bewiesen
haben, dass sie einen Krisenkorporatismus dem politischen Widerstand
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vorziehen. Lediglich die CGIL verweigerte sich, oftmals durch die
Mitgliederlogik bestimmt, einem Kurs der nationalen Einheit in der Krise.
Angesichts der umfassenden Sparmaßnahmen und geplanten Strukturreformen
blieb es aber in vielen Fällen, wie z.B. der Arbeitsmarktreform, nur bei
Teilerfolgen (Carls 2012: 110).
Im Gegensatz zu den Dachverbänden, die mit ihrem Verhalten auch an Ein-
fluss auf künftige politische Entscheidungen verlieren können, sind die Ba-
sisgewerkschaften eher gewillt, sich kritisch mit der Regierungspolitik ausei-
nanderzusetzen (ebd.: 110f.), wenn gleichzeitig ihr Einfluss auch auf Arbeits-
kämpfe beschränkt bleibt. Im Bereich des zivilgesellschaftlichen Widerstan-
des sind bis dato keine größeren Protestbewegungen auszumachen. Verein-
zelte Initiativen wie San Precario, die sich auf die Prekarisierung der Arbeit
fokussieren (ebd.: 115ff.) sind zwar vernehmbar, aber marginal. Die zentrale
Frage lautet denn, ob die seit Jahren virulente Krise nicht längst zur alltägli-
chen Routine geworden ist und somit überhaupt noch genügend Mobilisie-
rungspotential bereithält. Es ist vorstellbar, dass ein andauernder Zustand
der Austerität eventuell vorhandenen politischen Gegenbewegungen zumin-
dest nicht förderlich ist; zudem droht die Gefahr einer Gewöhnung an die
politische Ohnmacht angesichts verkrusteter politischer Verhältnisse, euro-
päischer Reformvorgaben und internationalen Wettbewerbsdrucks.
Ob diese Ohnmacht zu einem permanenten Zustand wird, hängt nicht
zuletzt vom Fortgang der gesamteuropäischen Krise ab. Obwohl die neoli-
berale Entwicklung der EU, in die die asymmetrischen Verhältnisse zwi-
schen den Kern- und Peripherieländern eingeschrieben sind, starke Legiti-
mationsverluste erlitten hat, ist ein Kurswechsel nicht absehbar. Für Italien
wie auch die restlichen südeuropäischen EU-Staaten bedeutet dies im Mo-
ment eine Fortsetzung der krisenbedingten Austerität und Transformation
mit offenem Ende.
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— (2009b), Economic Bulletin No. 53.
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— (2011), Economic Bulletin No. 61.
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Chapter
Chapter 6 goes into the details of the crisis emerged in 2007/2008 as the immediate context of the conflict over the 2012 labour market reform. Building on a discussion of issues of crisis and crisis management at European level, the chapter investigates these dynamics in the Italian case with a particular focus on the possible emergence of a crisis of crisis management. Among the key legacies for the observed conflict, the analysis points out the relevance of Berlusconi’s attempt to construct a new dominant social bloc involving also precarious classes as well as the assessment of Monti’s crisis management strategy not only as a reaction to external pressures but as a deliberate political project aimed at the construction of a ‘bloc bourgeois’.
Chapter
Chapter 7 continues to focus on the immediate context of the conflict over the 2012 labour market reform by investigating widespread interventions in the function of social reproduction—especially labour market reforms—as some among the key crisis management measures adopted both Europe-wide and in the specific Italian case. Main legacies for the observed conflict concern the extension of short-time work and the deregulation of collective bargaining as the key priorities in Berlusconi’s crisis management as well as the impact of Monti’s Save Italy decree on Italy’s function of social reproduction. Eventually, the analysis sheds light on key evidence supporting the initial assumption of an Italian crisis of crisis management as the overarching proximate scenario against which to approach the following actor-process analysis.
Article
Full-text available
Global crisis in Italy has impacted on a system that had deteriorated after twenty years of political instability and economic decline. Since 2000 coalitions of both the Right and Left have been in office in Italy and neither has proved capable of solving Italy’s problems. When the global economic crisis hit the country, Berlusconi’s government confronted it in two main ways: supporting banks and big firms, and cutting public expenditure. This policy had also been recognised as the correct one by the Opposition but the way in which the Government put it into practice was contested – mainly on grounds of a lack of transparency, inefficiency and inequity. The global crisis has also shaped the political balance in Italy. The Lega Nord’s predominance in the Government and the evident shift in Government policy towards the Lega’s aims, have created political space for internal and external opposition to Berlusconi’s coalition.
Article
Full-text available
The paper focuses on the evolution of the capacity of Italian goods to reach international markets from the Unification (1861) up to now. In so doing we provide a wide range of new series on the topic. On one hand we present the general trends of macroeconomic data related to trade, on the other hand we provide the evolution of Italian foreign trade focusing, in particular, on the characteristics of export flows. The paper illustrates the Italian tortuous path to keep the position amongst the most advanced countries in spite of its peculiar specialisation
Article
Full-text available
Atypical work refers to employment relationships, which do not conform to the standard model of full-time job of unlimited duration with a single employer. They differ from the typical contract in terms of legal regulations as well as requirements and benefits the worker is entitled to. This paper presents a detailed description of the scope, the characteristics and the evolution of typical and atypical contracts in Italy. In addition, this paper provides a review of the main findings of empirical and theo- retical studies on atypical contracts to understand their effects on the Italian labour market.
Article
The whole pattern of European integration is in crisis and important institutional transformations can be observed. It is argued that traditional comparative approaches, such as the Varieties of Capitalism literature, fall short in providing an adequate analytical framework to deal with the European crisis. We propose applying a theoretical framework which allows us to focus on the specific and asymmetric linkages between national economies in combination with a systematic analysis of institutions at different spatial levels. This is provided by a modified and expanded regulation approach. We provide an empirical overview of the different regimes of accumulation and their interaction, and our analysis of the asymmetric interaction helps us to explain the crisis and its dynamics. In addition, we analyse the reactions to the crisis and the consequences in terms of institutional transformations at different spatial levels. Finally, conclusions regarding the dynamics of future political-economic developments in Europe are drawn.
Article
Before the 1980s Italy had the typical institutional configuration of Southern European capitalism: an important role for the state in controlling production activities and markets; limited social security; and high employment protection. In the last 30 years, Italian capitalism underwent a process of institutional change moving away from this configuration. The deepest reforms occurred in the 1990s and aimed to achieve a more market-oriented economy to cope with European market integration. Reforms, however, did not succeed in moving the economy towards a ‘liberal market economy’: they simply increased laissez-faire without achieving better co-ordination through markets, leaving Italy with an inefficient model.
Article
This article addresses the issue of how to explain institutional change in national political economies. Within an actor-centred institutionalist theoretical framework, it explores the utility of a coalitional explanation for changes in the financial and corporate governance systems of Italy. Finance and corporate governance are useful foci for understanding change and the evolutionary direction of national political economies as a whole because, first, national and European reformers have focused a great deal of their energy on transforming financial market structures and corporate governance and, second, the regulation of finance and corporate governance is increasingly important as a means for states to exert influence over their economies. The paper finds considerable change in Italian capitalism as a result of successful elite reformers, party system changes, and the emergence of a reform coalition. However, change is limited and Italy retains a distinctive model of capitalism.