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34 Februar 2017
Report von Marion Venus, Klinische
Luftfahrtpsychologin, Pilotin PPL(A) und
Sicherheits- und Qualitätsmanagerin
nach ISO 19011
Ein psychisch schwer kranker Copilot hatte
sich am 24. März 2015 allein im Cockpit einge-
schlossen und den Germanwings Airbus A320
D-AIPX absichtlich zum Absturz gebracht.
Ihm war klar, dass das wahrscheinlich sein
letzter Flug sein würde: Sein Rückfall in eine
schwere Depression, begleitet von psychoti-
schen Symp tomen, würde ihn seine Linien-
pilotenlizenz kosten. Er würde Job, Karriere
und Einkommen verlieren und nie wieder flie-
gen dürfen. Das war zu viel für ihn. Er nahm
149 unschuldige Passagiere und Besatzungs-
mitglieder mit in den Tod.
Die Task-Force der EASA
Nach diesem dramatischen Ereignis for-
derte die EU-Kommissarin für Transport die
EASA (European Aviation Safety Agency)
auf, schnellstmöglich Massnahmen zu entwi-
ckeln, um eine solche Tragödie in Zukunft zu
verhindern. Flugmediziner (Aeromedical Exa-
miners, AMEs) formierten die erste German-
wings-Task-Force, die EASA startete als So-
fortmassnahme eine Operational Directive.
EASA-Mitarbeitende aus den Bereichen Flug-
medizin und Air Operations sowie zahlrei-
che externe Experten trafen im Rahmen der
EASA- Germanwings-Task-Force mehrmals in
verschiedenen Konstellationen zusammen, um
wirkungsvolle Massnahmen zu entwickeln.
Zentral involviert waren Luftfahrtpsycho-
logen, Flugmediziner, die Pilotenvereinigung
Eurocockpit, nationale Luftaufsichtsbehörden
und Manager von Fluglinien. Folgende Mass-
nahmen wurden von der EASA beschlossen
und betreffen den gesamten kommerziellen
Flugbetrieb (Commercial Air Teansport, CAT)
im Passagier- und Luftfrachtverkehr (Cargo).
Als erste Massnahme wurde schon im Juli
Der Germanwings-Crash und seine Konsequenzen
Lehren aus der Tragödie
Fast zwei Jahre nach dem fatalen Crash berührt der Germanwings-Absturz im-
mer noch viele Menschen: potentielle Passagiere, Fluglinien, Sicherheitsma-
nager, Luftfahrtpsychologen und Flugmediziner. SkyNews.ch zeigt auf, welche
Konsequenzen diese Katastrophe für die Luftfahrt und die Airline-Piloten hat.
2016 das EASA Safety Information Bulletin
(SIB) über die Mindestbelegung des Cockpits
wegen massiver Kritik aufgehoben.
Peer-Support-System für Piloten
Die wichtigste und sinnvollste Massnahme der
Germanwings-Task-Force ist die verpflichten-
de Einführung eines Peer-Support-Systems für
Piloten. Das bedeutet, dass jeder CAT-Opera-
tor seinen Piloten Zugang zu diesem nach-
weislich erfolgreichen Unterstützungsangebot
gewähren muss. Wegen schlechter Erfahrun-
gen in der Vergangenheit bringen viele Be-
rufspiloten den Flugmedizinern und Luftfahrt-
psychologen grosses Misstrauen entgegen,
wie alle Vertreter von Eurocockpit bestätigten.
Immerhin haben beide die Macht, Linienpilo-
ten auf unbestimmte Zeit aus dem Verkehr zu
ziehen und gegebenenfalls auch ihre Laufbahn
als Linienpiloten zu beenden.
Deswegen ist es sinnvoll und effektiv, wenn
Piloten zuerst bei Peers kollegialen Rat suchen
können. Peers melden sich freiwillig, durchlau-
fen eine kurze Ausbildung und stehen ihren
Kollegen mit ähnlicher Berufsausbildung, Ar-
beitsbedingungen (Lang- oder Kurzstrecke,
Type-Rating), soziodemographischem Hinter-
grund (Alter, Geschlecht, Position, Seniorität)
mit Rat und Tat zur Seite. Wichtig sind dabei
Vertrauenswürdigkeit sowie fachliche und so-
ziale Kompetenz der Peer-Kollegen.
Peer-Wahl durch die Kollegen
Die Peers werden von ihren Kollegen direkt ge-
wählt. Deswegen sollte das Management bei-
spielsweise nicht selbst Linienvorgesetzte zu
Peers ernennen. Das Management muss das
Peer Support System für Piloten aktiv unter-
stützen, darf aber keinesfalls in dieses System
eingreifen. Damit wäre das Vertrauen in das
System zerstört.
Ein kritischer Erfolgsfaktor ist, dass Be-
rufspiloten das Peer Support System selbst
aufbauen und tragen. Darüber hinaus muss
Auf dem Flug von Barcelona nach Düsseldorf zerschellte die Germanwings-A320 in den franzö-
sischen Alpen, weil der Copilot den Airbus absichtlich ins Gelände flog.
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SkyFlight
es von allen Seiten, also vom obersten Mana-
gement, Human Resources, Pilotenvertre-
tungen, Piloten, ausgebildete Peers und kli-
nischen Luftfahrtpsychologen getragen, ver-
standen und unterstützt werden. Alle müssen
geschult werden, wie Peer Support Systeme
funktionieren, was sie bringen, und wie sowohl
Piloten als auch der Flugbetrieb davon profitie-
ren können.
Hotline der «Stiftung Mayday»
In Deutschland hat «Stiftung Mayday» ein sehr
erfolgreiches Pilot‘s Peer Support System ent-
wickelt. Diese Stiftung ist ein externer Dienst-
leister, bildet Peers und professionelle Unter-
stützer aus, und unterhält eine 24/7-Hotline.
Die «Stiftung Mayday» agiert selbständig und
unabhängig, bei voller Wahrung der Anonymi-
tät und Verschwiegenheit. Sie wird von allen
CAT-Operators in Deutschland, inklusive Luft-
hansa, finanziert. Linienvorgesetzte und Mana-
gement haben keinen Zugriff auf vertrauliche
Daten, was bei betriebsinternen Peer Support
Systemen problematisch werden kann.
Das Peer Support System muss pro-aktiv,
nicht bestrafend und der «Just Culture» ver-
pflichtet sein. Basis für das Funktionieren ist
tiefes gegenseitiges Vertrauen, absolute Dis-
kretion, sowie Verständnis dafür, warum und
wie dieses Peer Support System für Piloten
funktioniert. Es soll hoch qualifizierten und ge-
forderten Linienpiloten einen «sicheren Hafen»
bieten, wo sie in geschützter Umgebung Rat
und Hilfe suchen können. So etwa nach kriti-
schen Ereignissen im Flugbetrieb, oder wenn
sich im Privatleben schwere Schicksalsschläge
(Life Events) ereignen, welche die Konzentrati-
on und Leistungsfähigkeit massiv beeinträch-
tigen können. Alkohol- und Drogenmissbrauch
sind sehr häufige Themen im Peer Support.
Zusammenfassend ist der Ablauf folgender-
massen: Wenn ein Pilot an sich selbst oder an
einem Kollegen realisiert, dass die psychische
Beeinträchtigung oder Substanzmissbrauch
die «Fitness to Fly» gefährdet, ist es Zeit, sich
an das Peer- Support-System zu wenden.
Unterstützung durch Psychologen
Jederzeit und rund um die Uhr stehen den
betroffenen Piloten ihre Peers zur Verfügung.
Wenn ein Fall «zu heiss» für den Peer-Piloten
ist, kann er seinen Kollegen unmittelbar zu ei-
nem gut ausgebildeten klinischen Luftfahrtpsy-
chologen «überweisen». Dort gibt es profes-
sionelle psychologische Beratung, Kriseninter-
vention und einen strategischen Plan, wie der
Betroffene so schnell und sicher wie möglich
wieder zurück ins Cockpit kann.
Wenn nötig stehen im Peer-Support-Sys-
tem auch Ärzte, Juristen und andere Fachkräf-
te zur Verfügung, um jede mögliche Krise so
schnell und effizient wie möglich zu bewälti-
gen. Bei Bedarf soll auch eine notwendige limi-
tierte Auszeit im Interesse des Piloten und der
Luftfahrtsicherheit ermöglicht werden. Daten-
schutz muss im Pilot‘s Peer Support festgelegt
und ausnahmslos gewährleistet sein, um ein
funktionierendes Peer Unterstützungs-System
zu ermöglichen.
Psychologisches Assesment
Die EU-Regulation 965/2012 sieht vor, dass
jeder CAT-Operator alle möglichen Massnah-
men ergreifen muss, um sicherzustellen, dass
niemand rücksichtslos, vorsätzlich oder nach-
lässig ein Flugzeug oder die Menschen darin
gefährdet. Eine Massnahme dafür ist das psy-
chologische Assessment von Piloten im Rah-
men des Selektionsprozesses, ab 2017 ver-
pflichtend vorgeschrieben für alle CAT-Opera-
tors. Es muss an die Besonderheiten, Kom-
plexität und Herausforderungen des jeweiligen
Operators und seine Flight Ops angepasst
werden. Durchgeführt wird diese psychologi-
sche Begutachtung von Luftfahrtpsychologen.
Flugmediziner (AMEs) müssen ab 2017 bei
der ersten und den wiederkehrenden Unter-
suchungen für das Medical Class 1 die psy-
chische Gesundheit von Piloten untersuchen
(Full Mental Fitness Examination). Auch die
eventuelle psychiatrische Krankengeschich-
te und Symptome, welche die Flugsicherheit
gefährden könnten, müssen erhoben werden.
Es ist dem AME überlassen, bei Bedarf Psy-
chologen oder Psychiater zur Beurteilung der
psychischen Gesundheit eines Piloten hinzu-
zuziehen.
Mediziner als Psychologen?
Dazu muss man wissen, dass Flugmediziner
in ihrer ursprünglichen Ausbildung meistens
Allgemeinmediziner oder Fachärzte für innere
Medizin sind. Die Basis-Ausbildung der AMEs
beträgt 60 Stunden Theorie und Praxis in 25
verschiedenen Fächern, nur zwei davon sind
Psychologie und Psychiatrie. Auch in den Fort-
bildungen soll die Psychologie verstärkt vor-
kommen. Darüber hinaus soll die Gründung
von AME Netzwerken und AME-Peer-Support
unterstützt und gefördert werden. Ziel ist, in
schwierigen Fällen fachliche kollegiale Unter-
stützung verfügbar zu machen.
Man darf sich jedoch fragen, ob die Aus-
und Weiterbildung der Flugmediziner mit fünf
Jahren Psychologie-Studium und einem wei-
teren Jahr fachspezifischer Weiterbildung in
Klinischer Psychologie in Theorie und Praxis
gleichgesetzt werden kann. Zum Erwerb des
Titels Luftfahrtpsychologe muss zusätzlich
fundierte Ausbildung und Berufserfahrung im
Bereich Luftfahrt nachgewiesen werden.
Der Europäische Verband der Luftfahrt-
psychologen empfiehlt für die psychologische
Evaluierung ein diagnostisches Tiefen-Inter-
view, durchgeführt durch klinische Luftfahrt-
psychologen, die im besten Fall auch eine
Pilotenlizenz besitzen. Dieser Gold-Standard
wurde von der EASA nicht aufgenommen, mit
der Begründung, es gebe extrem wenige Ex-
perten mit dieser Qualifikation. Auch das BAZL
hat nicht vor, Experten mit diesen speziellen
Qualifikationen einzubeziehen, obwohl sie in
der Schweiz vorhanden sind.
Verhindern von «Doctor-Shopping»
Nach dem Germanwings-Crash stellte sich he-
raus, dass der Copilot insgesamt 60 verschie-
dene Ärzte aufgesucht hatte. Mehrere Krank-
schreibungen und andere sicherheitsrelevan-
te Informationen wurden jedoch nicht an den
Arbeitgeber und das zuständige Aero Medical
Center der Lufthansa weitergeleitet. Die EASA
entwickelt derzeit eine Datenbank, die einer-
seits mit den Datenschutz-Bestimmungen der
Mitgliedsstaaten übereinstimmt, andererseits
anonym auf Basis der Piloten-Lizenz-Nummer
ein Tracking bezüglich der Medical Class 1 von
Linienpiloten erlaubt.
Um das Vertrauen wiederherzustellen, wer-
den ab 2017 zufällige Alkohol-Tests im Rah-
men von Ramp-Checks, also zwischen Flug-
vorbereitung und dem Betreten des Cockpits,
verpflichtend eingeführt. Auch CAT-Operator
müssen zu definierten Zeitpunkten Alkohol-
und Drogentests entsprechend dem nationa-
len Recht durchführen.
EASA-Änderungen
Folgende Regelwerke wurden Ende 2016
geändert: Air OPS Regulation incl. Annex
I, II, IV, Acceptable Means of Compliance
(AMC) and Guidance Material (GM) Part-
ARO, Part-CAT Air OPS,
Part-MED
Neue Definition in der Regulation (EU) No
965/2012: (78a) ‘Misuse of substances’
means the use of one or more psychoactive
substances by aviation personnel in a way
that it constitutes a direct hazard to the
user or endangers the lives, health or
welfare of others; or causes or worsens
an occupational, social, mental or physical
problem or disorder.
FACTS