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Debt Equity Swap: konzeptionelle Grundlagen und Anknüpfungspunkte für die Praxis (2016), in: BewertungsPraktiker, 11. Jg., H. 4, S. 114-124.

Authors:

Abstract

The paper discusses conditions for a debt equity swap to be in the interests of debt and equity investors by referring to relevant articles of the German bankruptcy code (Insolvenzordnung) and using a recent case (IVG). The conceptual part is based upon our paper published in Die Betriebswirtschaft.
Beitrag
114 BewertungsPraktiker Nr. 4/2016
I. Einleitung 1
In den letzten Jahren hat der Debt Equity Swap (DES)
als Restrukturierungsinstrument in Deutschland an
Relevanz gewonnen, wie Aktivitäten des Gesetzge-
bers und eine Reihe praktischer Fälle, wie etwa
Centrosolar, Centhrotherm, IVG, Pfleiderer oder
Solarworld, zeigen. Der Gesetzgeber hat mit dem
„Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung
von Unternehmen (ESUG)“, das 2012 in Kraft ge-
treten ist, die Durchführung eines DES erleichtert.
Auch aus steuerlicher Sicht dürfte der DES in Zu-
kunft interessanter werden, wenn – wie im „Entwurf
eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der steuer-
lichen Verlustverrechnung bei Körperschaften“2 vom
14.09.2016 vorgesehen – steuerliche Verlustvorträge
auch nach einem (Mehrheits-)Eigentümerwechsel
unter bestimmten Bedingungen erhalten bleiben.
Im Gegensatz zu außergerichtlichen Sanierungen,
bei denen die Mitwirkung der Eigentümer nicht grds.
geregelt ist
,
ist sie das seit der Einführung des ESUG
im Insolvenzverfahren zumindest teilweise: Sofern
die Anteilsrechte durch den Insolvenzplan verändert
werden sollen, sind die am Schuldner beteiligten
Personen gem. § 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO als eigene
Gruppe im Insolvenzplanverfahren zu berücksichti-
gen. Der DES ist nun in der InsO als mögliche Plan-
maßnahme verankert (§ 225a Abs. 2 InsO) und die
Differenzhaftung der ihre Forderungen über eine
Sacheinlage einlegenden Gläubiger ist bei einer nach
gerichtlicher Bestätigung des Plans festgestellten
Überbewertung der eingetauschten Forderungen
ausgeschlossen (§ 254 Abs. 4 InsO). Vor Durchfüh-
rung eines DES ist zumeist eine vereinfachte Ka-
pitalherabsetzung erforderlich. Deswegen sind die
Eigenkapitalanteile aber nicht zwingend wertlos
.
So
könnten die (Alt-)Eigentümer in Fällen mit guten
Fortführungsaussichten bei Durchführung eines
DES einen Anteil am sanierten Unternehmen (er)
halten. Es wird gezeigt, dass ein DES zwar nicht für
alle Konstellationen sinnvoll ist, jedoch können in
einigen Situationen zwischen den Kapitalgebergrup-
pen auftretende Interessenskonflikte gelöst werden.
1
Die konzeptionellen Grundlagen sind unserem Beitrag „Debt
Equity Swap als Restrukturierungsinstrument: Präferenzen der
Kapitalgeber und Bewertung ihrer Ansprüche“, der in der DBW
2016 S. 353-375 erschienen ist, entnommen. Wir danken dem
Schäffer-Poeschel Verlag für die freundliche Genehmigung.
2
Der Entwurf ist in der Datenbank von DER BETRIEB abrufbar un-
ter XQ1216448. Zum RegE vgl.
Dreßler/Rogall
, DB 2016 S. 2375.
Debt Equity Swap: konzeptionelle Grundlagen und
Anknüpfungspunkte für die Praxis1
Prof. Dr. Andreas Schüler / Dr. Carlo Dirschedl
Univ.-Prof. Dr. Andreas
Schüler ist Inhaber des
Lehrstuhls für Finanzwirt-
schaft & Finanzdienstlei-
stungen an der Universität
der Bundeswehr München.
Neben der Unternehmens-
bewertung gehören zu sei-
nen Forschungsgebieten z.B.
die wertorientierte Steue-
rung und der Bereich In-
solvenz & Sanierung. Er ist
Verfasser zahlreicher Arti-
kel und Autor bzw. Co-Au-
tor der Bücher Finanzma-
nagement mit Excel und
Unternehmensbewertung.
Dr. Carlo Dirschedl studier-
te und promovierte an der
Universität der Bundeswehr
München. Im Anschluss an
sein Studium war er einige
Jahre bei KPMG im Audit tä-
tig. Seit Oktober 2016 ist er
Prokurist im Bereich Audit /
Finance Advisory bei KPMG.
Ein prominentes Beispiel für den Einsatz eines
DES ist der Fall IVG Immobilien AG:3 Nach dem
Scheitern einer außergerichtlichen Restruktu-
rierung der Verbindlichkeiten beantragte das
Unternehmen am 20.08.2013 die Eröffnung eines
Schutzschirmverfahrens aufgrund von Über-
schuldung, dem das AG Bonn am nächsten Tag
statt gab. Die bei erfolgreicher außergerichtlicher
Einigung wohl als positiv eingestufte Fortbeste-
hensprognose konnte nach der Weigerung einiger
Kapitalgeber, dem Konzept zuzustimmen, nicht
aufrecht erhalten werden. Es lag eine negative
Fortbestehensprognose, die üblicherweise als
drohende Zahlungsunfähigkeit interpretiert wird,
gepaart mit einem Vermögen, das bewertet zu Li-
quidationswerten die Schulden um 0,9 Mrd. nicht
mehr deckte, vor. Damit wären die beiden Krite-
rien der Legaldefinition der Überschuldung in §
19 InsO erfüllt. Anfang November 2013 wurde das
Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet.
Der Insolvenzplan wurde am 24.02.2014 nieder-
gelegt. Die im Rahmen des Insolvenzplanverfah-
rens gebildeten Gruppen (acht Gläubigergruppen
und die Aktionäre) stimmten am 20.03.2014 dem
Insolvenzplan zu, der nach Abweisung von Be-
schwerden nachrangiger Gläubiger und Aktionäre
durch das LG Bonn am 11.07.2014 rechtskräftig
wurde. In den folgenden Monaten wurde der
Börsenhandel der Aktien und der Hybridanleihe
eingestellt. Am 15.09.2014 wurde das Insolvenz-
verfahren aufgehoben. Ein wesentlicher Teil des
Insolvenzplans war ein DES, im Rahmen dessen
das Grundkapital auf null herabgesetzt wurde
und einige Gläubigergruppen (sog. SynLoan I,
LBBW-Kredit, Wandelanleihe) durch Teilnahme an
der folgenden Kapitalerhöhung, bei der das Be-
zugsrecht der Altaktionäre ausgeschlossen wurde,
im Tausch gegen Gläubigeransprüche 100% der
neuen Aktien erwerben konnten. Zudem wurde ein
anderer Kredit (sog. SynLoan II) gestundet. Der
Insolvenzplan sah eine Befriedigung der Ansprüche
der nicht-nachrangigen, unbesicherten Gläubiger
3 Hier verwendete Quellen zum Fall IVG Immobilien AG sind
Ad-hoc-Mitteilungen der Gesellschaft aus dem Zeitraum
31.05.2013 bis 30.07.2014, abgefragt auf www.dgap.de,
und der Jahresabschluss für das Rumpfgeschäftsjahr vom
01.11.2013 bis 15.09.2014, veröffentlicht im Bundesanzeiger.
Die Kursdaten stammen aus der Datenbank Thomson Reu-
ters. Die Darstellung des Falls dient nur der Illustration. Es
wird keine Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit der
Daten und Schlussfolgerungen übernommen.
Beitrag
BewertungsPraktiker Nr. 4/2016 115
zu mindestens 60% vor. Die Gläubiger der Hybrid-
anleihe und die Altaktionäre gingen leer aus. Abb. 1
veranschaulicht die Kursverläufe. Zudem wurden
relevante Ad-hoc-Meldungen eingetragen. Der Wert
der Anleihe und der Aktie war bereits vor diesen
Ereignissen rückläufig. Wertlos waren die beiden
Papiere auch zum Zeitpunkt der Ankündigung des
Verfahrenseintritts nicht.
Ein Teil der Alteigentümer hat nach Annahme des
Insolvenzplans durch das Insolvenzgericht Verfas-
sungsbeschwerde eingelegt, weil sie durch den DES
– aus ihrer Sicht zu Unrecht – enteignet wurden.4
In Abschn. II. wird gezeigt, unter welchen Bedin-
gungen ein DES sinnvoll ist. Die modelltheore-
tischen Ausführungen und Erkenntnisse werden,
soweit es uns aufgrund der nur eingeschränkt
öffentlich verfügbaren Informationen möglich ist,
am Fall IVG Immobilien AG veranschaulicht. Dabei
wird deutlich werden, dass der DES in diesem Fall
nicht deswegen nützlich war, weil er Interessens-
konflikte zwischen Gläubigern und Eigentümern
4 Vgl. Börsen-Zeitung 22.10.2014 S. 8.
zumindest abmildern könnte, da die Position der
Eigentümer mit null bewertet wurde. Vielmehr
waren wohl andere Vorzüge, wie das Ersetzen
zustandsunabhängig zu bedienender Zins- und
Tilgungspflichten durch gewinnabhängige Aus-
schüttungen oder die Beseitigung des Insolvenz-
grunds der Überschuldung relevant.
Die Beantwortung der Frage, wie die Kapitalge-
beransprüche zu bewerten sind, erfolgt in der
rechtswissenschaftlichen Literatur insb. hin-
sichtlich der Bewertung der im Rahmen des DES
einzubringenden Forderungen uneinheitlich. Zum
einen wird argumentiert, dass bei der Bewertung
auf den Marktwert abzustellen ist, d.h. auf den
Wert, welchen auch ein fremder Dritter für die
Forderung aufbringen würde.
5
Zum zweiten wird
für die Bewertung der Forderung unter Annahme
5
Vgl.
Heidinger/Benz
, in: Spindler/Stilz (Hrsg.), Sacheinlagen, Sach -
übernahmen, Rückzahlung von Einlagen, 2. Aufl. 2010, § 27 Rn.
38;
Märtens
, in: Fleischer/Goette (Hrsg.), Kapitalaufbringung,
2010, § 5 Rn. 127;
Merten
, Die neue Insolvenzrechtsreform 2012
(ESUG), 2012, S. 78;
Pentz
, in: Goette/Habersack/Kalss (Hrsg.),
Sacheinlagen, Sachübernahmen, 3. Aufl. 2008, § 27 Rn. 29;
Schleusener
, Der Debt-Equity-Swap, 2012, S. 55;
Stadler
, NZG
2003 S. 584;
Staroßom
, Corporate Finance Teil 2, 2013, S. 559.
Abb. 1: Kurs der Aktie und der Hybridanleihe (IVG)
0
10
20
30
40
50
60
70
0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
2,5
3,0
13.08.201213.12.201213.04.201313.08.201313.12.201313.04.201413.08.2014
Anleihekurs in
Aktienkurs Hybridanleihe
31.05.2013
Vorstellung der Eckpunkte des Refinanzierungsplans
12.07.2013
Entwicklung der Refinanzierungsstrategie
19.07.2013
Vorlage Vorschlag wesentlicher Gläubiger
Aktienkurs in
30.07.2013
Vorstand prüft positive Fortbestehensprognose
10.08.2013
Verlustanzeige §92 Abs. 1 S. 1 AktG
20.08.2013
Scheitern der Restrukturierungsverhandlung,
Antrag auf Schutzschirmverfahren
21.08.2013
AG Bonn gibt Antrag auf Schutzschirmverfahren
in Eigenverwaltung statt
01.11.2013
AG Bonn bestätigt Insolvenzverf. in Eigenverwaltung
24.02.2014
Niederlegung des Insolvenzplans durch das AG Bonn
20.03.2014
Gläubiger und Aktionäre
stimmen dem Insolvenzplan zu
Beitrag
116 BewertungsPraktiker Nr. 4/2016
der Liquidation plädiert.
6
Zum dritten befürworten
einzelne Autoren die Einbringung der Forderung
zum Nennwert unabhängig davon, inwieweit die
Forderung werthaltig ist.7 Es werden alle drei
Alter nativen in Abschn. III. diskutiert. Abschn. IV.
fasst die Erkenntnisse zusammen.
II. Kalkül der Kapitalgeber vor
finanzieller Restrukturierung
1. Wert der Kapitalgeberansprüche
bei Fortführung und Liquidation
Ob fortgeführt oder liquidiert werden sollte, wird
zunächst aus Sicht der Gesamtheit der Kapitalge-
ber durch einen Vergleich des Unternehmensge-
samtwerts bei Fortführung mit dem bei Liquidation
beurteilt. Der Wert der Position der Kapitalgeber
wird durch die Rangfolge ihrer Bedienung be-
stimmt. Den erstrangigen Anspruch auf einen Teil
des Unternehmensgesamtwerts bei Liquidation
in t = 0, VLiq,0, halten die gesicherten Gläubiger,
deren vertragliche Ansprüche FKS,0 bei hier un-
terstellter Werthaltigkeit in t = 0 voll befriedigt
werden könnten. Dann werden die vertraglichen
Ansprüche der ungesicherten Gläubiger FKoS,0 be-
dient. Wenn Überschuldung zu Liquidationswerten
vorliegt, werden diese nicht mehr vollständig be-
friedigt. Der Wert des Eigenkapitals ist dann null.
Es gilt allgemein mit FoS,Liq,0 für den Wert des
ungesicherten Fremdkapitals und ELiq,0 für den
Wert des Eigenkapitals, jeweils bei Liquidation:
VLiq,0 = FKS,0 + FoS,Liq,0 + ELiq,0 (1)
Wird fortgeführt, greift die Rangfolge (gesicherte
Gläubiger, ungesicherte Gläubiger, Eigentümer)
ebenfalls, allerdings nicht unmittelbar auf Basis
des Unternehmensgesamtwerts bei Fortführung
in t = 0, VF,0, sondern ausgehend von den erwar-
teten künftigen Free Cashflows (FCF) bei Eigen-
finanzierung.
Die Entscheidung zwischen Fortführung und Li-
quidation wird jedoch nicht vom „Unternehmen
an sich“ getroffen, sondern von den jeweiligen
Kapitalgebern bzw. deren Vertretern, die zu die-
sem Zeitpunkt über die Entscheidungsrechte ver-
fügen. Die Interessen der entscheidungsbefugten
6 Vgl.
Diffring
, Umwandlung von Forderungen zur Sanierung
von Kapitalgesellschaften, 2012, S. 67-68;
Ekkenga
, DB 2012
S. 336;
Römermann/Praß
, Das neue Sanierungsrecht für
Unternehmen, 2012, S. 64-65;
Schilmar/Landry
, in: Reifert
(Hrsg.), Rechtliche Gestaltung von Debt Equity Swaps, 2011,
S. 187.
7 Vgl.
Cahn/Simon/Theiselmann
, CFb 2010 S. 238-250;
Karollus
,
ZIP 1994 S. 589-599;
Meilicke
, DB 1995 S. 1061-1062.
Kapitalgebergruppe(n) müssen sich nicht mit den
Interessen der anderen Kapitalgeber decken. Zur
Modellierung des Entscheidungsprozesses ist also
die Vermögensposition jeder Kapitalgebergruppe
bei Fortführung mit der bei Liquidation zu ver-
gleichen. Dabei sind die für den jeweiligen Fall
relevanten vertraglichen und gesetzlichen Rah-
menbedingungen zur Verteilung und Durchsetz-
barkeit der individuellen Rechte bedeutsam.
Es werden folgende Annahmen gesetzt:
Betrachtet wird ein haftungsbeschränktes
Schuldnerunternehmen.
Unterstellt wird ein einperiodiges Binomialmo-
dell. In t = 0 ist das Unternehmen zahlungsfä-
hig. In
t
= 1 können zwei Zustände eintreten:
Entweder der Up-Zustand
u
, in dem der FCF
bei Eigenfinanzierung FCFu anfällt, oder der
Down-Zustand d mit FCF
d
. Im Down-Zustand
kann der Soll-Kapitaldienst (vor Restruktu-
rierung) nicht vollständig gedeckt werden, im
Up-Zustand übersteigt der FCF diesen Soll-
Kapitaldienst. Da zudem keine Eigenkapitaler-
höhung angenommen wird, ist der Wert des
Eigenkapitals bei Fortführung positiv.
Die zustandsabhängigen FCF bei Eigenfinanzie-
rung hängen nicht von der Kapitalstruktur ab.
Da der Planungshorizont in t = 1 endet, ist in
t = 1 die Rückzahlung des Fremdkapitals fällig.
Der Down-Zustand tritt mit einer Eintrittswahr-
scheinlichkeit von mindestens 0,51 ein. Damit
sei hier drohendende Zahlungsunfähigkeit in
t = 1 unterstellt.
Alle Kapitalgeber verfügen über die gleiche In-
formationsausstattung, die sie zu homogenen
Erwartungen verarbeiten.
Zinsänderungsrisiken, Steuern und Trans-
aktionskosten sowie Insolvenzkosten werden
ausgeblendet.
Aufgrund ihrer vergleichsweise einfachen Hand-
habbarkeit erfolgt die Bewertung mit risikoneu-
tralen Wahrscheinlichkeiten.
8
Als Referenzpunkt
der Bewertung kann z.B. das Marktportfolio die-
nen, das in Periode t = 1 im Up-Zustand einen
Wert von
u
und im Down-Zustand einen Wert von d
liefert.
9
Die risikoneutrale Wahrscheinlichkeit q für
den Eintritt des Up-Zustands und die damit fest-
gelegte Gegenwahrscheinlichkeit 1 – q folgen aus:
8 Vgl.
Cox/Ross/Rubinstein
, JFE 1979 S. 229-263. Für die An-
wendung im Kontext der Unternehmensbewertung bei aus-
fallbedrohtem Fremdkapital vgl. z.B.
Kruschwitz/Lodowicks/
Löffler
, DB 2005 S. 221-236 sowie
Drukarczyk/Schüler
, Unter-
nehmensbewertung, 7. Aufl. 2016, S. 355-386.
9 Es gelte d ≤ 1 + i ≤ u, da ansonsten Arbitrageprozesse am
Kapitalmarkt einsetzen würden. Vgl.
Cox/Ross/Rubinstein
,
JFE 1979 S. 232.
i
bezeichnet den risikolosen Zinssatz.
Beitrag
BewertungsPraktiker Nr. 4/2016 117
q = (1 + i) – d (2)
u – d
Man erhält V
F,0
durch Abzinsung des sicherheits-
äquivalenten Cashflows:
VF,0 = EQ(FCF ) · (1 + i)–1 (3)
= [q · FCFu + (1 – q) · FCFd] · (1 + i)–1
Für jede der drei Kapitalgebergruppen ist der Wert
ihrer Position in t = 0 das mit dem risikolosen
Zinssatz i diskontierte Sicherheitsäquivalent. So
gilt bspw. für den Wert des Eigenkapitals:
EF,0 = [q · max(FCFu,1 – FKS,1 – FKoS,1;0) (4)
+ (1 – q) · max(F CFd,1 – F KS,1
– FKo,S,1;0)] · (1 + i)–1
Es gilt zudem VF,0 = EF,0 + FK S,0 – FoS,F,0. (5)
Der Wert des Eigenkapitals ist ex ante positiv,
wenn es mindestens einen künftigen Umweltzu-
stand gibt, in dem die Eigentümer nach vertrags-
konformer Bedienung der Fremdkapitalgeber
einen positiven Zufluss erhalten und in anderen
Umweltzuständen keine kompensierende Eigen-
kapitaleinlage (negativer Zufluss) erfolgt. Dies be-
deutet auch, dass bei Fortführung ökonomische
Überschuldung vorliegen kann und der Wert des
Eigenkapitals positiv ist. Ein Unternehmen gelte
hier bei Fortführung als ökonomisch überschul-
det, wenn der Unternehmensgesamtwert bei
Fortführung, d.h. der Barwert der FCF vor Be-
dienung der Gläubiger, kleiner ist als der Wert der
Ansprüche der Gläubiger bei vertragskonformer
Bedienung.
2. Wahl der Kapitalgeber zwischen
Fortführung und Liquidation
Um die hier interessierenden Konstellationen
einzugrenzen, wird im weiteren Verlauf der kon-
zeptionellen Diskussion davon ausgegangen, dass
der Unternehmensgesamtwert bei Fortführung
kleiner ist als der Wert der vertraglichen Ansprü-
che der beiden Gläubigergruppen zusammen,
also FKS,0 + FKoS,0 > VF,0 gilt. Es wurde bereits
angenommen, dass der Wert der Ansprüche der
gesicherten Gläubiger sowohl bei Fortführung
als auch bei Liquidation ihrem Nominalwert ent-
spricht. Dies bedeutet, dass der FCF auch im
Down-Zustand die Ansprüche der gesicherten
Gläubiger deckt. Sie sind also indifferent zwi-
schen den beiden Alternativen, weswegen eine
Obstruktion ausgeschlossen wird; sie sollen die
insgesamt vorteilhafte Lösung nicht verhindern.
Liquidationswerte kleiner FKS,0 sind also hier
nicht von Interesse.
Änderte man in t = 0 die Kapitalstruktur und
führte fort, wäre unter den oben getroffenen
Annahmen eine Änderung der Kapitalstruktur
für den Unternehmensgesamtwert gem.
Mo-
digliani/Miller
10 irrelevant. Die Änderung der
Kapitalstruktur erlangt erst Relevanz, wenn die
institutionellen Rahmenbedingungen die Position
der Kapitalgeber mit unterschiedlichen Rechten
ausstatten und die Nutzung dieser Rechte die
Werthaltigkeit ihrer Ansprüche beeinflusst. Es
wird daher zunächst geklärt, wer in Abhängigkeit
der vorliegenden Konstellation aus Unterneh-
mensgesamtwert bei Fortführung, Unterneh-
mensgesamtwert bei Liquidation und Summe
des nominalen Fremdkapitals die Entscheidung
zwischen Fortführung und Liquidation trifft, wie
diese Entscheidung ausfällt und ob sie i.S.d. Kol-
lektivs der Kapitalgeber ist. Ist letztgenanntes
nicht der Fall, droht aus Sicht des Kollektivs der
Kapitalgeber Wertvernichtung.
Für eine differenzierte Analyse der Verteilung der
Entscheidungsrechte und deren Konsequenzen
wird bei gegebenem Fortführungswert und ge
-
gebenen vertraglichen Gläubigeransprüchen
der Liquidationswert variiert und die Bandbreite
möglicher Liquidationswerte in drei relevante In-
tervalle zerlegt (Abb. 2 auf S. 118):
Bereich 1 (VLiq,0 < VF,0): Aus Sicht der Ge-
samtheit der Kapitalgeber lohnt die Fortfüh-
rung. In diesem Intervall ist wohl auch der
Fall IVG Immobilien AG zu verorten, da wohl
angenommen wurde, dass der Unternehmens-
gesamtwert bei Fortführung, also der Barwert
der Cashflows
vor
Bedienung des Fremdkapi-
tals, den Unternehmensgesamtwert bei Liqui-
dation überstieg, aber unterhalb der Summe
des Fremdkapitals lag.
Bereich 2 (FKS,0 + FKoS,0 > VLiq,0 > VF,0):
Die Liquidation ist mindestens gleichwertig
zur Fortführung; der Liquidationswert ist aber
ebenfalls kleiner als die Nominalansprüche
der Gläubiger.
Bereich 3 (VLiq,0 ≥ FKS,0 + FKoS,0): Der Li-
quidationswert ist mindestens so hoch wie die
Nominalansprüche der Gläubiger.
Bei welcher Kapitalgebergruppe die Entschei-
dungsbefugnis liegt, hängt davon ab, ob (a) in
den Finanzierungsverträgen entsprechende Vor-
kehrungen bspw. als Sanktion beim Bruch eines
10
Modigliani/Miller,
AER 1958 S. 261 ff.
Beitrag
118 BewertungsPraktiker Nr. 4/2016
Covenants verankert worden sind und/oder (b)
ein Insolvenzeröffnungsgrund (§§ 17-19 InsO)
vorliegt. Da der Schuldner in t = 0 annahme-
gemäß zahlungsfähig ist und Anreize für den
Schuldner, wie z.B. die Eigenverwaltung gem.
§§ 270 ff. InsO, bei ggf. in t = 0 drohender Zah-
lungsunfähigkeit das Antragsrecht gem. § 18 InsO
zu nutzen, ausgeblendet werden sollen, inte-
ressiert nur die insolvenzrechtliche Überschul-
dung des § 19 InsO. Dort heißt es in Abs. 2:
„Überschuldung liegt vor, wenn das Vermö-
gen des Schuldners die bestehenden Verbind-
lichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die
Fortführung des Unternehmens ist nach den Um-
ständen überwiegend wahrscheinlich.“ Auf der
ersten Stufe wird die Zahlungsfähigkeit geprüft.
Wenn die Zahlungsfähigkeit – wie auch im hier
unterstellten Fall in t = 1 – nicht überwiegend
wahrscheinlich ist, wird auf der zweiten Stufe
der Liquidationswert des Vermögens den Schul-
den gegenüberstellt. Unterschreitet dieser die
Schulden, liegt Überschuldung im Rechtssinne
vor. Für das hier angenommene Kalkül folgt, dass
in den Bereichen 1 und 2, in denen der Unter-
nehmensgesamtwert bei Liquidation kleiner ist
als der Nominalwert der Gläubigeransprüche, de
lege lata Überschuldung vorliegt. Es wird davon
ausgegangen, dass dann die Entscheidungsbe-
fugnisse auf die Fremdkapitalgeber, d.h. bei den
hier indifferenten gesicherten Gläubigern auf die
ungesicherten Gläubiger bzw. auf einen deren
Interessen vertretenden Insolvenzverwalter,
übergehen. Übersteigt der Liquidationswert die
Schulden, liegt – trotz ökonomischer Überschul-
dung – keine Überschuldung im Rechtssinne vor.
Die Eigentümer entscheiden (Bereich 3), sofern
nicht die Fremdkapitalgeber mit dem Schuldner
Covenants vereinbart haben, die der Schuldner
verletzt hat und daher die Entscheidungsbefugnis
auf die Fremdkapitalgeber übergeht.
Um die Bedingungen identifizieren zu können,
unter denen ein DES zu einer aus Sicht aller Ka-
pitalgeber vorteilhaften Lösung führen kann, sind
die drei Bereiche weiter zu unterteilen. Tab. 1 auf
S. 119 zeigt das Ergebnis, wobei die Präferenzen
der entscheidenden Kapitalgebergruppe durch
farbige Markierung hervorgehoben werden. Es
gibt in jedem der drei Bereiche einen Fall, in de-
nen eine Entscheidung droht, die nicht im Inte-
resse aller Kapitalgeber ist:
Drittes Intervall im Bereich 1: Der Unterneh-
mensgesamtwert bei Liquidation ist kleiner
als der bei Fortführung, aber größer als die
Summe aus dem Nominalwert des Anspruchs
der gesicherten Gläubiger und dem Wert der
Ansprüche der ungesicherten Gläubiger bei
Fortführung (F
oS,F,0
). Aus Gesamtsicht ist die
Fortführung vorteilhaft, die ungesicherten
Gläubiger präferieren aber die Liquidation,
da in diesem Fall der Wert ihrer Ansprüche
bei Liquidation den Wert bei Fortführung
übersteigt. Da das Insolvenzverfahren wegen
insolvenzrechtlicher Überschuldung eröff-
net werden kann, könnten die ungesicherten
Abb. 2: Grafische Veranschaulichung der drei entscheidungsrelevanten Intervalle
FK
S,0
+ FK
oS,0
V
F,0
FK
S,0
V
Liq,0
1
2
3
Fortführung
vorteilhaft
Liquidation
vorteilhaft
Ökonomische
Überschuldung
bei Fortführung
V
Liq,0
V
F,0
, FK
S,0
,
FK
oS,0
Beitrag
BewertungsPraktiker Nr. 4/2016 119
Gläubiger ihre Liquidationspräferenz in einem
Regelverfahren, d.h. ohne Verabschiedung
eines Insolvenzplans gem. §§ 217 ff. InsO, an
dem die Eigentümer gem. § 222 Abs. 1 InsO
zumindest als stimmberechtigte Gruppe teil-
nehmen könnten, zu Lasten der Eigentümer
durchsetzen.
Erstes Intervall im Bereich 2: Eine Abweichung
von der vorteilhaften Lösung tritt zudem dann
auf, wenn der Unternehmensgesamtwert bei
Fortführung und bei Liquidation identisch
ist. Aus Gesamtsicht sind beide Alternativen
gleichwertig. Wenn der Wert des Eigenkapitals
bei Fortführung (E
F,0
) positiv ist, präferieren
die ungesicherten Gläubiger – anders als die
Eigentümer – die Liquidation. Denn nach Be-
dienung der gesicherten Gläubiger erhalten
die Eigentümer bei Fortführung ggf. einen Teil
der Differenz zwischen Unternehmensgesamt-
wert und Nominalanspruch der gesicherten
Gläubiger, bei Liquidation aber nicht.
Erstes Intervall im Bereich 3: Die bis zum
Oktober 2008 geltende Legaldefinition der
Überschuldung sah vor, dass auch bei nicht
drohender Zahlungsunfähigkeit eine Über-
schuldungsprüfung erfolgt. Dabei war den
Schulden das Vermögen bemessen in Fortfüh-
rungswerten gegenüber zu stellen. Interpre-
tierte man Fortführungswerte als Barwerte,
lägen juristische und ökonomische Überschul-
dungsdefinition eng beieinander. Dann wären
die Gläubiger auch besser in der Lage, den
für sie schädlichen Fortführungsdrang des
Schuldners zu bremsen. Im ersten Intervall
des Bereichs 3 hat die Verengung der Legal
-
definition Folgen, da der Liquidationswert
größer ist als der Nominalwert der Forde-
rungen der Fremdkapitalgeber und damit
keine Überschuldung im Rechtssinne vorliegt.
Der Liquidationswert übersteigt zudem den
Fortführungswert. Die Eigentümer werden
aber die Fortführung wählen, wenn diese für
sie vorteilhaft ist. Den ungesicherten Gläu-
bigern schadet diese Entscheidung, da sie bei
Fortführung nicht voll bedient werden.
In den ersten beiden kritischen Fällen könnte
man den ungesicherten Gläubigern einen finan-
ziellen Anreiz bieten, um die Fehlentscheidung
zu verhindern. Dieser könnte aus einer unmit-
telbaren Kompensationsleistung i.H.d. Differenz
zwischen dem Wert ihres Anspruchs bei Liquida-
tion und Fortführung bestehen oder einem Kauf
ihrer Ansprüche bzw. einer Tilgung des ausste-
henden Fremdkapitals. Im Extremfall resultierte
ein rein eigenfinanziertes Unternehmen.11 Offen
bleibt aber, wie die Eigentümer die resultierende
Zahlungsbelastung finanzieren. Bei einer Ent-
schädigungszahlung an die Gläubiger i.V.m. ei-
ner unveränderten Kapitalstruktur blieben die
zustandsunabhängig zu bedienenden Zins- und
Tilgungszahlungen in
t
= 1 bestehen. In der
Folge wenden wir uns daher dem DES zu, der
zur Lösung der Interessenskonflikte beitragen
und der aufgrund der reduzierten unbedingten
Zahlungsansprüche der ungesicherten Gläubiger
die Wahrscheinlichkeit einer späteren Zahlungs-
unfähigkeit verringern kann. Dabei soll unter-
sucht werden, wie der von den ungesicherten
Gläubigern eingetauschte Anspruch zu bewerten
ist und welchen Anteil am Eigenkapital sie minde-
11 Vgl.
Roe
, Columbia Law Review 1983 S. 527-602 sowie
Bebchuk
, Harvard Law Review 1988 S. 775-804.
Überschul-
dung Vorteilhafte Votum
Kapitalgebergruppen Votum Lösung
Bereich Liquidationswert liegt im Intervall… § 19 InsO? Lösung FKoS EK Kollektiv vorteilhaft?
1
VLiq,0 < VF,0
[FKS,0;FKS,0 + FoS,F,0[Ja F F F F ü
FKS,0 + FoS,F,0 Ja F F / Liq F F ü
]FKS,0 + FoS,F,0;VF,0[Ja F Liq F Liq _
2
FKS,0 + FKoS,0 >
VLiq,0 ≥ VF,0
VF,0 Ja F / Liq Liq F F / Liq _
]VF,0;FKS,0 + FKoS,0]Ja Liq Liq F Liq ü
3
VLiq,0
≥ FKS,0 + FKoS,0
[FKS,0 + FKoS,0;FKS,0 + FKoS,0+ EF,0[Nein Liq Liq F F _
FKS,0 + FoS,0 + EF,0 Nein Liq Liq F / Liq Liq ü
]FKS,0 + FKoS,0 + EF,0;∞[ Nein Liq Liq Liq Liq ü
Tab.1: Vorteilhafte und faktische Wahl zwischen Fortführung (F) und Liquidation (Liq) bei
angenommener ökonomischer Überschuldung bei Fortführung
Beitrag
120 BewertungsPraktiker Nr. 4/2016
stens erhalten müssen, damit sie die vorteilhafte
Fortführung wählen. Der dritte Fall, die gläubiger-
schädigende Fortführung durch den Eigentümer,
kann durch einen DES nicht gelöst werden.
Für die IVG Immobilien AG entfaltet der DES u.E.
keinen Nutzen i.S. einer Überwindung von Inte-
ressenskonflikten zwischen Gläubigern und (Alt)
Eigentümern. Er ist also nicht den eben identifi-
zierten kritischen Fällen zuzuordnen. Denn auch
für den Fall der Fortführung wurde wohl gefol-
gert, dass die Position der Eigentümer wertlos
ist. Sofern eine mehrwertige Planung möglicher
künftiger Entwicklungen des Unternehmens er-
folgte, wäre wohl eine Nullausschüttung an die
Eigentümer in jedem Szenario bzw. eine sich zu
einem Barwert von kleiner gleich null addierende
Abfolge von Kapitalerhöhungen und Dividenden
zu unterstellen gewesen.
12
Vor dem Hintergrund
des hier verwendeten Modells argumentiert,
würde die Position der ungesicherten Gläubiger
im Fortführungsfall nicht durch das andernfalls
werthaltige Eigenkapital geschmälert. Die Po-
sition der ungesicherten Gläubiger wäre nach
Abzug der Ansprüche der gesicherten Gläubiger
bei einem den Liquidationsgesamtwert überstei-
genden Fortführungsgesamtwert bei Fortführung
besser als bei Liquidation. Vielmehr können
andere Eigenschaften eines DES von Relevanz
gewesen sein. Dazu zählen die Entlastung von
zustandsunabhängig zu leistenden Zins- und
Tilgungsverpflichtungen, das Vorhalten üblicher
Eigenkapitalquoten, ggf. die Beseitigung von
ausschüttungsverhindernden Verlustvorträgen
oder die Beseitigung der insolvenzrechtlichen
Überschuldung.
III. Finanzielle Restrukturierung durch
einen DES
1. Bewertung der eingetauschten
Gläubigeransprüche zum Fortführungswert
Zu untersuchen ist, ob ein DES die im dritten In-
tervall des Bereichs 1 sowie im ersten Intervall
des Bereichs 2 auftretende Abweichung von der
vorteilhaften Lösung, also eine unvorteilhafte
Liquidation, verhindern kann. Es wird zunächst
unterstellt, dass die ungesicherten Gläubiger ihre
Ansprüche vollständig in Eigenkapital umwandeln
und die Ansprüche dabei zu Fortführungswerten
bewertet werden. Nach Durchführung des DES
12 Aus den von uns gesichteten Unterlagen geht nicht klar her-
vor, ob eine mehrwertige Planung erfolgte. Die Ad-hoc-Mittei-
lung vom 12.07.2013 spricht von einem vom Vorstand verab-
schiedeten Business Plan Szenario.
verteilen sich die Eigenkapitalanteile auf die neuen
Eigentümer (
α
), d.h. die (vormaligen) ungesicher-
ten Gläubiger, und die Alteigentümer (1 –
α
) wie
folgt:
FoS,F ,0 ENeu,0
α = = (6)
EF,0 + FoS,F,0 EAlt,0 + ENeu,0
EAlt,0
1 – α = (7)
EAlt,0 + ENeu,0
Die zwischen den beiden Eigentümergruppen ent-
sprechend dieser Anteile aufzuteilenden Zuflüsse
und deren Barwert sind:
VF,0 – FKS,0 = [q · FCFu (8)
+ (1 – q) · FCFd – FKS,1] · (1 + i)–1
Alternativ könnte man eine partielle Um-
wandlung der Ansprüche der ungesicherten
Gläubiger unterstellen. Der in
t
= 0 nicht ge-
wandelte Teil würde dann dem mit der risiko-
losen Rendite errechneten Barwert des FCF
nach Bedienung der gesicherten Gläubiger im
Down-Zustand und damit des sicher leistbaren
Kapitaldiensts entsprechen. Für den gewandel-
ten Teil erhalten die ungesicherten Gläubiger
Eigenkapitalanteile. In Summe halten sie wie-
derum eine zu F
oS,F,0
äquivalente Position. Da
sich unsere Schlussfolgerungen dadurch nicht
ändern, wird weiter von einer vollständigen Um-
wandlung ausgegangen.
Ein Beispiel soll unsere Überlegungen begleiten:
Ein Unternehmen hat nominale Verbindlichkeiten
FKS,0 = 60,0 und FKoS,0 = 60,0. In Periode
t
= 1 kann im Up-Zustand ein FCF bei Eigenfi-
nanzierung von 150,0 und im Down-Zustand ein
FCF von 78,0 erzielt werden. Die risikolose Ren-
dite
i
sei 2%, die Marktrendite im Up-Zustand
30% und im Down-Zustand -12%. Die risiko-
neutralen Wahrscheinlichkeiten betragen gem.
Gleichung (2) q = 0,333 und 1 – q = 0,667. Mit
(3) folgt ein Unternehmensgesamtwert von 100,0.
Die nicht von einem Ausfall bedrohten Ansprü-
che der gesicherten Gläubiger sind mit der ri-
sikolosen Rendite i zu verzinsen. Vereinfachend
wird angenommen, dass auch das ungesicherte
Fremdkapital mit i zu verzinsen ist. Dies kann
z.B. daher rühren, dass die Fremdkapitalgeber
bei Ausreichung des Kredits vor t = 0 das Aus-
fallrisiko nicht erkannt haben. Wegen FKS,0 +
FKoS,0 = 120,0 > 100,0 = VF,0 ist das Unter-
nehmen in Periode t = 0 bei Fortführung öko-
nomisch überschuldet. Der Wert der Ansprüche
der ungesicherten Gläubiger bei Fortführung ist
im Beispiel:
Beitrag
BewertungsPraktiker Nr. 4/2016 121
FoS,F,0 = [q · min(FCFu,1 – FKS,1;FKoS,1) (9)
+ (1 – q)· min(FCFd,1
– FKS,1;FKoS,1)] · (1 + i)–1
= [0,333 · 61,2 + 0,667 · (78,0 – 61,2)]
· (1 + 0,02)–1
= 31,0
Der Wert des Eigenkapitals vor dem DES ist dann
ausgehend vom Unternehmensgesamtwert bei
Fortführung und nach Abzug des Werts der Gläu-
bigeransprüche E
F,0
= 100,0 – 60,0 – 31,0 = 9,0.
Bei Eintausch ihres Anspruchs gegen Eigenka-
pital erhalten die ungesicherten Gläubiger ei-
nen Anteil am Eigenkapital von α = 31,0 / (31,0
+ 9,0) = 77,5%. Sie erwarten einen Ausfall bei
Fortführung i.H.v. 60,0 – 31,0 = 29,0. Der erste
Teil von Abb. 3 stellt die Barwerte und die Zu-
flüsse nach diesem DES und der zweite Teil die
resultierende Vermögensänderung im Vergleich
zur Liquidation dar. Es wird ein Liquidationswert
von 95,0, ein Wert aus dem dritten Intervall des
Bereichs 1, unterstellt.
Betrachtet man nur die Fortführungsalternative,
hat sich der Wert der Ansprüche der beteiligten
Kapitalgeber nach dem DES nicht geändert. Für
den im Beispiel unterstellten Liquidationswert von
95,0 unterschreitet der Unternehmensgesamt-
wert bei Liquidation die Ansprüche der Gläubi-
ger. Der FCF im Down-Zustand (78,0) deckt nicht
die gesamten Ansprüche der Fremdkapitalgeber
(120,0 · 1,02 = 122,4), Zahlungsunfähigkeit droht.
Das Unternehmen ist überschuldet i.S.d. § 19 InsO,
da beide Bedingungen erfüllt sind. Es wird davon
ausgegangen, dass ein Insolvenzverfahren eröffnet
wird und nun die Gläubiger bzw. ein ihre Interes
-
sen vertretender Insolvenzverwalter zwischen Li-
quidation und Fortführung zu entscheiden hat. Die
Folgen einer Fortführung nach einem DES zeigt
der zweite Teil von Abb. 3: Die gesicherten Gläu-
biger sind indifferent, die ungesicherten Gläubiger
erleiden einen Nachteil von 4,0 und die Eigentümer
profitieren i.H.v. 9,0. Bei dem betrachteten Liqui-
dationswert (95,0) plädieren die ungesicherten
Gläubiger für die Liquidation, obwohl die Fort-
führung (100,0) für das Kollektiv vorteilhaft wäre.
Im Beispiel ist die Kapitalstruktur für den Unter-
nehmensgesamtwert bei Fortführung irrelevant,
da der so gestaltete DES den Unternehmenswert
bei Fortführung nicht ändert. Er ändert auch nichts
Zustand u Zustand d Barwert
Gesicherte Gläubiger 61,2 61,2 60,0
Neueigentümer 68,8 13,0 31,0
Alteigentümer 20,0 3,8 9,0
Gesamt 150,0 78,0 100,0
Debt Equity Swap
100,0
9,0
60,0
31,0
-40,0
-20,0
0,0
20,0
40,0
60,0
80,0
100,0
120,0
VF F (1st) F (2nd) E
VF,0 FS,F,0 ENeu,0 EAlt,0
95,0
0,0 9,0
5,0 60,0
0,0 35,0
-4,0
0,0
20,0
40,0
60,0
80,0
100,0
120,0
VLiq,0 VF,0 FS,Liq,0 FS,F,0 FoS,Liq,0 FoS,F,0 ELiq,0
EF,0
- V Liq,0 - FS,Liq,0
- FoS,Liq,0
- ELiq,0
Erwarteter
Ausfall = 29,0
Abb. 3: Kapitalgeberansprüche nach einem DES bei Bewertung der Ansprüche der
ungesicherten Gläubiger zum Fortführungswert
Beitrag
122 BewertungsPraktiker Nr. 4/2016
am Entscheidungsverhalten der ungesicherten
Gläubiger, die weiterhin für Liquidation plädieren,
da sie im Beispiel bei Fortführung einen Nachteil
von 4,0 hinnehmen müssten. Mit der Bewertung
ihrer einzutauschenden ungesicherten Fremdkapi-
talansprüche zum (niedrigeren) Fortführungswert
lassen sich die ungesicherten Gläubiger nicht um
-
stimmen. Anders formuliert, der Marktwert ihrer
Ansprüche bei vorteilhafter Verwendung entspricht
hier ihrem Liquidationswert. Der Wert ihrer An-
sprüche ist allgemein
max
(FoS,F,0;FoS,Liq,0).
Auch für den Fall eines Liquidationswerts, der
dem Fortführungswert entspricht (erster Fall im
Bereich 2), würde eine Bewertung der Ansprü-
che der ungesicherten Gläubiger zum Fortfüh-
rungswert bei einem DES deren Votum für die
Liquidation nicht ändern. Denn die ungesicherten
Gläubiger wären weiter bei Liquidation besser-
gestellt.
2. Bewertung der eingetauschten Gläubiger-
ansprüche zum Liquidationswert
Bewertet man die Ansprüche der ungesicher-
ten Gläubiger zum Liquidationswert, muss
deren Eigenkapitalanteil mindestens so hoch
sein, dass der Wert ihrer Position bei Liquida-
tion erreicht wird, sofern dieser den Wert bei
Fortführung übersteigt. Dies lässt sich zu einer
verallgemeinerten Definition der Quote α
*
zu-
sammenfassen:
max(FoS,Liq,0;FoS,F,0) (10)
= α* · [q · max(FCFu,1 – FKS,1;0)
+ (1 – q) · max(FCFd,1 – FKS,1;0)]
· (1 + i)–1
max(FoS,Liq,0;FoS,F,0) = α* · (VF,0 – FKS,0)
max(FoS,Liq,0;FoS,F,0)
α* =
VF,0 – FKS,0
Im Beispiel müssten die ungesicherten Gläubiger
für die Aufgabe ihrer Ansprüche bei einem Liqui-
dationswert von 95,0 mit mindestens 87,5% der
Eigenkapitalanteile kompensiert werden:
max(35,0;31,0)
α* = = 35,0 = 0,875 (11)
100,0 – 60,0
40,0
Die resultierenden kapitalgeberspezifischen Zu-
flüsse und deren Barwerte zeigt Abb. 4.
Die ungesicherten Gläubiger präferieren die Fort-
führung bei einer Beteiligung
über
87,5%, bei ei-
Zustand u Zustand d Barwert
61,2 61,2 60,0
77,7 14,7 35,0
11,1 2,1 5,0
150,0 78,0 100,0
Debt Equity Swap
100,0
5,0
60,0
35,0
-40,0
-20,0
0,0
20,0
40,0
60,0
80,0
100,0
120,0
VF F (1st) F (2nd) E
V
F,0
F
S,F,0
E
Neu,0
E
Alt,0
95,0
0,0
5,0
5,0
60,0
0,0
35,0
0,0
0,0
20,0
40,0
60,0
80,0
100,0
120,0
VLiq,0 VF,0 FS,Liq,0 FS,F,0 FoS,Liq,0 FoS,F,0 ELiq,0 EF,0
- V
Liq,0
- F
S,Liq,0
- F
oS,Liq,0
- E
Liq,0
Erwarteter
Ausfall = 25,0
Gesicherte Gläubiger
Neueigentümer
Alteigentümer
Gesamt
Abb. 4: Kapitalgeberansprüche nach einem DES bei Bewertung der Ansprüche der
ungesicherten Gläubiger zum Liquidationswert
Beitrag
BewertungsPraktiker Nr. 4/2016 123
ner Quote von 87,5% sind sie wie die gesicherten
Gläubiger indifferent. Die Alteigentümer sind bei
einem Eigenkapitalanteil von 12,5%, der 5,0 Geld-
einheiten wert ist, bessergestellt als bei Liqui-
dation. Damit bietet sich ein Einigungsbereich.
Für den Fall, dass die Unternehmensgesamtwerte
bei Fortführung und Liquidation identisch sind
(erster Fall im Bereich 2), müssten den ungesi-
cherten Gläubigern 100% der Eigenkapitalanteile
übergeben werden
max(40,0;31,0)
α* = = 40,0 = 1,0 (12)
100,0 – 60,0
40,0
Sofern nicht andere, über die hier verwendeten
Annahmen und Modellierung des Problems hi-
nausgehende Erwägungen relevant werden, wie
z.B. für die Fortführung unverzichtbares Know-
how der Alteigentümer oder ihr exklusiver Zugang
zu Kunden, würden die Alteigentümer vollständig
verdrängt werden und hätten damit auch keinen
Anreiz, durch die in ihrem Sinne handelnden
Manager selbst einen Antrag auf Verfahrenser-
öffnung zu stellen.
3. Bewertung der eingetauschten
Gläubigeransprüche zum Nominalwert
In der rechtswissenschaftlichen Literatur, die in
Fn. 7 angeführt wurde, wird zum Teil die Position
vertreten, die im Rahmen eines Insolvenzverfah-
rens ggf. gegen Eigenkapital einzutauschenden
Forderungen seien zum Nominalwert zu bewer-
ten. Da sich bei ökonomischer Überschuldung
keine Investoren finden lassen, die den unge-
sicherten Gläubigern ihren Anspruch in voller
nominaler Höhe abkaufen bzw. da der Barwert
der erwarteten Zins- und Tilgungszahlungen den
Nominalwert nicht erreicht, widerspricht diese
Position ökonomischen Grundprinzipien.
13
Dass
eine Bewertung zum Nominalwert bei weder im
Fortführungs- noch Liquidationsfall werthaltigem
Fremdkapital nicht sinnvoll ist, zeigt eine Abwand-
lung von Formel (10):
max(FoS,0;FoS,Liq,0 ;FoS,F,0) (13)
= α* · [q · max(FCFu,1 – FKS,1;0)
+ (1 – q) · max(FCFd,1 – FKS,1;0)]
· (1 + i)–1
13 Vgl.
Priester
, DB 2010 S. 1445-1450;
Schäfer/Wüstemann
, ZIP
2014 S. 1757-1768;
Drukarczyk
, NZI 2015 S. 110-118.
FoS,0 = α* · (VF,0 – FKS,0)
FKoS,0
α* =
VF,0 + FKS,0
Da in den hier interessierenden Fällen der Wert
der Ansprüche der ungesicherten Gläubiger – der
Nenner in der letzten Zeile von (13) – den No-
minalwert nicht erreicht, wäre eine nicht mög-
liche Beteiligung von über 100% notwendig. Die
Alteigentümer würden aus dem Unternehmen
gedrängt. Dass die Fortführung aus Sicht der ehe-
maligen Gläubiger und jetzigen Alleineigentümer
nun lohnt, kann die verdrängten Alteigentümer
nicht trösten.
IV. Ergebnisse
Für ein Unternehmen, dessen Gesamtwert bei
Fortführung den Wert der vertraglichen Ansprüche
der Gläubiger unterschreitet, das also bei Fortfüh-
rung ökonomisch überschuldet ist, stellt sich die
Frage, ob fortgeführt oder liquidiert werden soll.
Die Kapitalgeber treffen die Fortführungsentschei-
dung nicht einmütig. Vielmehr können die Kapi-
talgebergruppen differierende Präferenzen haben,
wie auch das Scheitern des außergerichtlichen
Sanierungsversuchs bei der IVG Immobilien AG
zeigt. Es hängt vom gesetzlichen und vertraglichen
Rahmen ab, welche Gruppe entscheidet. Die aus
Gesamtsicht vorteilhafte Alternative wird gewählt,
wenn sie auch für die Kapitalgeber, die darüber
entscheiden, vorteilhaft ist.
Es lassen sich Fälle identifizieren, in denen
ungesicherte Gläubiger innerhalb eines In
-
solvenzverfahrens eine insgesamt nachteilige
Liquidation zu Lasten der Alteigentümer durch-
setzen können. Der Debt Equity Swap, dem seit
Einführung des ESUG im Jahr 2012 auch für eine
Restrukturierung im deutschen Rechtsrahmen
stärkere Bedeutung zukommt, ist dann geeig-
net, die Interessen der ungesicherten Gläubiger
und der Eigentümer zu harmonisieren. Auch von
daher sind die Ergebnisse der hier vorgestell-
ten Analyse von praktischem Interesse. In der
rechtswissenschaftlichen Literatur wurde die
Frage nach der Bewertung der eingetausch
-
ten Gläubigeransprüche bislang uneinheitlich
beantwortet. Diese Untersuchung zeigt, dass
bei der Kapitalerhöhung durch Sacheinlage die
eingebrachte bzw. aufgegebene Forderung der
ungesicherten Gläubiger zum Maximum aus dem
Wert ihrer Ansprüche bei Fortführung und Li
-
quidation bewertet werden muss.
Beitrag
In Konstellationen bei angenommener ökono-
mischer Überschuldung, die nicht zu den hier
identifizierten kritischen Fällen zählen und in de-
nen der Liquidationswert den Wert der nominalen
Gläubigeransprüche unterschreitet, bietet ein
Debt Equity Swap grds. keinen Vorteil i.S. einer
verhinderten Fehlentscheidung. Denn dann wird
die Fortführungsentscheidung von den jeweils
entscheidenden Kapitalgebern ohnehin i.S.d.
Gesamtheit der Kapitalgeber getroffen. Andere
Gründe, wie der Tausch von zustandsunabhängig
zu leistenden Kapitaldiensten gegen gewinnab-
hängige Ausschüttungen oder die Aufhebung der
insolvenzrechtlich definierten Überschuldung,
können dennoch für einen Debt Equity Swap
sprechen.
Wenn der Liquidationswert den Nominalwert der
Gläubigeransprüche übersteigt – insolvenzrecht-
liche Überschuldung liegt demnach nicht vor,
ökonomische Überschuldung bei Fortführung
annahmegemäß schon und die Summe aus
nominalen Gläubigeransprüchen zuzüglich dem
Wert der Eigentümerposition bei Fortführung
unterschreitet, wählen die Eigentümer bzw.
die in ihrem Interesse handelnden Manager
die Fortführung zu Lasten der ungesicherten
Gläubiger. Einem Debt Equity Swap bzw. der
damit verbundenen Kapitalerhöhung gegen
Sacheinlagen würden die Eigentümer nicht zu-
stimmen, da sie befürchten müssten, dass die
Liquidationsentscheidung gegen ihren Willen
getroffen wird, wenn die eintauschenden Gläu-
biger nach dem Debt Equity Swap die Mehrheit
der Stimmrechte halten. Abhilfe könnten aus
Sicht der ungesicherten Gläubiger vertraglich
vereinbarte Covenants schaffen, die das Vorlie-
gen ökonomischer Überschuldung mit Sankti-
onen zu Gunsten der ungesicherten Gläubiger
verknüpfen und so auch die Folgen der 2008
erfolgten Einschränkung des Legaldefinition der
Überschuldung begrenzen.
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