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„Translanguaging“ in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion: Sprachliche Mittel und Ko-Konstruktion der Interkomprehension zwischen romanischen Sprachen in Chat-Rooms

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(proofs) Dieser Beitrag widmet sich einer soziokonstruktivistischen Perspektive im Rahmen mehrsprachiger Interaktion. Demnach geht es nicht darum, zu erkennen, was produktiv oder rezeptiv in der Kommunikation geschieht, sondern was die Teilnehmer zusammen erreichen (Melo-Pfeifer 2011). In der mehrsprachigen Interaktion bleiben die sprachlichen Codes nicht immer getrennt, auch dann nicht, wenn der Kommunikativvertrag es anleitet (Bono / Melo-Pfeifer 2011). Infolgedessen bedeutet Interkomprehension nicht immer, dass jeder Sprecher eine Sprache „aktiv“ benutzt und die anderen Sprachen versteht. Deshalb ist die Unterscheidung zwischen produktiven und rezeptiven Sprachkompetenzen im Rahmen mehrsprachiger Interaktion nicht befriedigend, da es sich um die Ko-Konstruktion der Interkomprehension handelt.
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Translanguaging“ in der mehrsprachigen
schriftlichen Interaktion: Sprachliche Mittel und
Ko-Konstruktion der Interkomprehension zwischen
romanischen Sprachen in Chat-Rooms1
Sílvia Melo-Pfeifer
Einleitung
Dieser Beitrag widmet sich einer soziokonstruktivistischen Perspektive im Rah-
men mehrsprachiger Interaktion. Demnach geht es nicht darum, zu erkennen,
was produktiv oder rezeptiv in der Kommunikation geschieht, sondern was die
Teilnehmer zusammen erreichen (Melo-Pfeifer 2011). In der mehrsprachigen
Interaktion bleiben die sprachlichen Codes nicht immer getrennt, auch dann
nicht, wenn der Kommunikativvertrag es anleitet (Bono / Melo-Pfeifer 2011).
Infolgedessen bedeutet Interkomprehension nicht immer, dass jeder Sprecher
eine Sprache „aktiv“ benutzt und die anderen Sprachen versteht. Deshalb ist
die Unterscheidung zwischen produktiven und rezeptiven Sprachkompetenzen
im Rahmen mehrsprachiger Interaktion nicht befriedigend, da es sich um die
Ko-Konstruktion der Interkomprehension handelt.
In diesen kommunikativen Situationen, bzw. wenn die Sprachen ähnlich sind,
werden alle sprachlichen Mittel der Teilnehmer zusammengeführt, um ein ge-
meinsames Kommunikationsrepertoire zu erstellen (Bono / Melo-Pfeifer 2012).
Dementsprechend stellen die Sprecher einen „Pool“ von sprachlichen Mitteln,
die in einer konkreten Situation sinnvoll sind, zusammen und benutzen ihn
erforderlichenfalls, um Kommunikationsprobleme zu lösen oder spezische
Kommunikationseekte zu produzieren (z. B. Humor). Diesen Prozess, alle kom-
munikativen Mittel sprachübergreifend zu benutzen bzw. Sprachen und andere
semiotische „sens makers“ grenzüberschreitend anzuwenden, um Bedeutungen
zusammenzufügen, nennen García & Li Wei (2014) „translanguaging. In diesem
Beitrag beschäftigen wir uns mit der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion
(Chats) im Rahmen des Galanets-Projekts (www.galanet.eu, „Plateforme de for-
mation à l’intercompréhension en langues romanes“). Unsere Forschungsfragen,
die durch die Analyse von Chat-Sequenzen beantwortet werden sollen, lauten:
1 Aus dem Portugiesischen übersetzt von Debra Schilling.
386 Sílvia Melo-Pfeifer
Verlieren die Kategorie „Sprache“ bzw. „Code“ ihre Dierenzierungsfunktion
in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion? Wenn „Ja“, inwiefern?
Welche sprachlichen Mittel werden in der mehrsprachigen Interaktion von
Sprechern häuger thematisiert?
Wie wird translanguaging im Rahmen der mehrsprachigen schriftlichen
Interaktion dargestellt?
Zunächst klären wir die Beziehung zwischen Interkomprehension und mehr-
sprachiger Interaktion und behalten dabei unseren interaktionellen Blick auf
Interkomprehension bei und bringen dies schließlich mit dem sich derzeit ent-
wickelnden Konzept des „tranlanguagingin Zusammenhang. In einem weiteren
Schritt erläutern wir das wissenschaftlich-didaktische Szenario der Studie und
den methodologischen Rahmen der empirischen Untersuchung. Anschließend
analysieren wir verschiedene Interventionen und eine interaktionelle mehrspra-
chige Sequenz. Beide liefern auf ihre Weise unterschiedliche Beiträge zur Beant-
wortung der Forschungsfragen sowie zur mehrsprachigen und transsemiotischen
Ko-Konstruktion der Interkomprehension. Die vorliegende Studie schließt mit
einer Synthese der durchgeführten Untersuchungen und mit einer Bekräftigung
der angenommenen theoretischen Position, die um zwei Argumente kreist:
1.
Die Erforschung von Interkomprehension aus einer interaktionellen Per-
spektive birgt wissenschaftliche und epistemologische Vorteile.
2. Der Prozess der mehrsprachigen Interkomprehension lässt sich auf holisti-
schere und komplexere Weise begreifen, sofern ihre Erforschung im Rahmen
der Perspektiven erfolgt, die sich durch das Konzept des „translanguaging
erönen.
1.  Interkomprehension, translanguaging und mehrsprachige
Interaktion
Bislang wurde das Konzept der Interkomprehension in der Mehrheit der Studien
in einem klaren Zusammenhang mit dem Konzept „Textverstehen“ thematisiert,
vorzugsweise im Zusammenhang mit der Fähigkeit zur Sinnerfassung geschrie-
bener Texte in Sprachen derselben Sprachfamilie (Degache / Melo 2008; siehe In-
halt in Referenzwerken wie Doyé / Meißner 2010; Capucho et al. 2007; Meißner
et al. 2011). So lässt sich feststellen, dass der Schwerpunkt der internationalen
Projekte mehrheitlich auf der Entwicklung der oralen oder der schriftlichen Fä-
higkeit zum Verstehen von Texten in Sprachen der germanischen, romanischen
oder slawischen Sprachfamilie liegt, wobei die romanische Sprachfamilie am
häugsten beleuchtet wird.
Translanguaging“ in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion: Sprachliche Mittel und Ko-Konstruktion der Interkomprehension zwischen romanischen Sprachen in Chat-Rooms 387
In diesen sich in der Mehrheit bendenden Studien mit Schwerpunkt auf
dem mehrsprachigen Textverstehen wird augenscheinlich nicht berücksichtigt,
dass Interkomprehension im Sinne der ursprünglichen Konzeptualisierung (im
Einklang mit Hermoso 1998) als die Fähigkeit oder Kompetenz gilt, in Sprach-
kontaktsituationen die eigene Sprache zu sprechen und die Sprache des anderen
zu verstehen. Oder, wie bereits 1991 von Poser erläutert, ist Interkomprehension
eine Interaktion, die sich unter Rückgri auf verschiedene Sprachen entwickelt,
in der die rezeptiven Fähigkeiten im Zusammenspiel mit den interproduktiven
Fähigkeiten eine Ko-Konstruktion des Sinns durch die Gesprächspartner er-
möglicht. Somit bewegt sich die Ursprungsidee dieses Konzepts auf der Ebene
der Interaktion und nicht auschließlich auf der Ebene der Fähigkeit zum Ver-
stehen und sollte somit – wie in vorliegender Arbeit der Fall vorzugsweise
im Zusammenhang mit den Beziehungen während des Dialogs und den inter-
subjektiven Beziehungen betrachtet werden, die Individuen untereinander auf-
bauen (Melo-Pfeifer 2015a).
Gemäß dieser interaktionellen Betrachtung von Interkomprehension ist der
durch die Mobilisierung verschiedener sprachlicher und semiotischer Res-
sourcen ko-konstruierte Sinn translinguistischer und intersubjektiver Natur,
da er sich nicht auf den Sinn beschränken lässt, der sich durch die Neben-
einanderstellung von Sprachen (im Rahmen einer monoglossischen Sichtweise
der mehrsprachigen Interaktion) und Individuen ergibt. Somit ergibt sich der
ko-konstruierte Sinn aus der gegenseitigen Durchdringung der Sprachen und
der konstitutiven Dynamik ihrer gezielten Verwendung (in einem konstitutiven
hic et nunc der Kommunikationssituation, die allmählich aufgebaut und immer
wieder neu verhandelt wird).
Diese translinguistische Betrachtungsweise der Ko-Konstruktion des Sinns
im Rahmen der mehrsprachigen Interaktion erlaubt die Betrachtung anderer
Szenarien der exolingualen Interaktion (d. h. in denen die Individuen unter-
schiedliche Sprachkompetenzen in der Kommunikationssprache aufweisen). In
einer mehrsprachigen Kommunikationssituation ist gemäß den Grundsätzen
der Interkomprehension somit jedes Individuum ein „Experte“ in seiner / seinen
Sprache(n) und weist Teilkompetenzen in der / den Sprache(n) des / der anderen
auf. Sprich, es handelt sich um eine exolinguale und mehrsprachige Situation, in
der jedes Individuum über Stimme (Voice), Macht (Power) und mehrsprachigen
Sprachressourcen verfügt. Da sich die Kommunikationssituation durch die Ko-
Existenz verschiedener Kommunikationssprachen und die Mobilisierung ver-
schiedener semiotischer Ressourcen kennzeichnet, erweist sich das Konzept des
Code-Switching nicht weiter als am besten geeignet für die Berücksichtigung
der beobachteten sprachübergreifenden Phänomene. Unseres Erachtens könnte
sich in diesem Fall das neugeborene Konzept des „translanguaging“ als vorteil-
388 Sílvia Melo-Pfeifer
hafter erweisen, da es den Kommunikationsprozess in seiner Transsemiotizität
beleuchtet und nicht nur die verwendeten Sprachen und da die Betonung stär-
ker auf den Kommunikationsteilnehmern und weniger auf ihren sprachlichen
Ressourcen liegt (sprich die soziokonstruktivistische Betrachtung des mehr-
sprachigen Kontakts nimmt einen höheren Stellenwert ein). Gleichermaßen
wird im Rahmen des Code-Switching-Ansatzes oenkundig davon ausgegangen,
dass es eine zulässige Kommunikationssprache gibt, in die Auszüge aus anderen
Sprachen übertragen werden (unter Befolgung von Strukturen, Standards oder
gar einer Code-Switching-Grammatik, im Rahmen eines vor allem kognitiven
Ansatzes), wohingegen im Rahmen des translanguaging-Ansatzes davon aus-
gegangen wird, dass in Kommunikationssituationen, die sich durch Mehrspra-
chigkeit auszeichnen, alle Sprachen als Kommunikationssprachen akzeptiert
werden (cf. Busch 2013; Creese / Blackledge 2010; García / Li Wei 2014). Busch
weist darauf hin:
In der Beschäftigung mit translanguaging gilt das Interesse weniger der Frage, auf
welche spezischen Codes Sprecher_innen zurückgreifen und auf welche sozialen
oder ethnischen Kategorien diese verweisen, als der Art, wie heterogene kommuni-
kative Ressourcen genutzt und miteinander kombiniert werden, um Bedeutung zu
schaen, und welche Bedeutungen Sprecher_innen selbst diesen Praktiken geben.
(Busch 2013, 58)
García & Li Wei (2014) gehen noch einen Schritt weiter und behaupten, dass es
keinen Sinn mache, die verschiedenen Sprachen überhaupt zu unterscheiden
(aus einem post-strukturalistischen Blick auf Sprachen und Sprache, Mako-
ni / Pennycook 2007).
Dies bedeutet nicht, dass es im Rahmen empirischer Analysen mit emischem
Ansatz keinen Sinn mehr macht, die Kategorien „Sprache X“ und „Sprache Z“
zu verwenden. Ganz im Gegenteil: Wie im Verlauf unserer empirischen Unter-
suchung deutlich wird, unterscheiden die Individuen bei Bedarf weiterhin die
verschiedenen Kommunikationssprachen voneinander und orientieren sich an
Kommunikationsansätzen und -standards, in denen Sprachen als autonome und
unabhängige Einheiten betrachtet werden. Dieser monoglossische Ansatz be-
inhaltet jedoch gleichzeitig einen heteroglossischen Ansatz, unter ständiger
Thematisierung der zwischensprachlichen Annäherung und Entfernung sowie
der Relativierung der Grenzen zwischen den Sprachen (ohne diese Grenzen
jedoch vollständig zu beseitigen). Somit wird die Idee einer monoglossischen
Wurzel und dass „jeder in seiner romanischen Sprache spricht“ und „die roma-
nische Sprache des anderen versteht“ im Verlauf der empirischen Studie mit der
Vorstellung verzahnt, dass Individuen über eine heteroglossische Grundlage
verfügen und jedes Individuum die Gesamtheit seines semiotischen Repertoires
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mobilisiert, um damit unter Berücksichtigung des Kontexts sowie im Rahmen
möglicher Veränderungen und Neuverhandlungen den Sinn zu ko-konstruieren
(cf. Melo-Pfeifer 2015a zu einer Diskussion der monoglossischen Betrachtung
der mehrsprachigen Interaktion in romanischen Sprachen).
In Anbetracht dieser Überlegungen wird im Verlauf dieses Artikels auf den
Ansatz des translanguaging anstelle von code-switching eingegangen, wohl wis-
send, dass diese Diskussion einen noch oenen Ausgang hat und derzeit eine
große Dynamik aufweist. „Translanguaging“ wird dabei wie folgt verstanden:
García schlägt den Begri „Translanguaging“ vor, der auf die multiplen diskursiven
Praxen verweist, in denen mehrsprachige Sprecher den Sinn ihrer Welt erfassen.
Translanguaging (…) geht über Code Switching im Sinne des Wechselns zwischen
Sprachen hinaus, schließt dies aber mit ein. Garcia weist darauf hin, dass Mehrspra-
chige in dieser Weise agieren, um Kommunikation mit anderen zu erleichtern – aber
auch um tieferes Verständnis zu erreichen. Translanguaging schließt ein, und geht
gleichseitig über das hinaus, was als Sprachgebrauch und Sprachkontakt zwischen
Mehrsprachigen bezeichnet wird. Statt auf Sprache selbst zu schauen, soll der Begri
verdeutlichen, dass es keine klaren Abgrenzungen zwischen den Sprachen von zwei-
oder mehrsprachigen Menschen gibt (Creese / Blackledge 2010, 550).
2.  Das Galanet-Projekt
Das im Folgenden dargestellte Interaktionsbeispiel trug sich im Rahmen des
Galanet-Projekts in der zweiten Versuchsrunde zu. Das Galanet-Projekt war ein
von zahlreichen europäischen Universitäten (aus Belgien, Spanien, Frankreich,
Italien und Portugal) entwickeltes Socrates-Projekt mit dem Ziel der Schaung
mehrsprachiger Online-Lernsituationen. Die Galanet-Plattform beinhaltet
Selbstlernbereiche und Bereiche für die mehrsprachige Kommunikation, sprich
Chats, Diskussionsforen und E-Mail-Funktionen. Das Ziel einer Arbeitsrunde
(mit einer Dauer von ca. 4 Monaten) ist eindeutig ko-aktional und mehrspra-
chig: Die Studierenden unterschiedlicher Universitäten sollen gemeinsam, unter
Rückgri auf die unterschiedlichen romanischen Sprachen (Katalanisch, Spa-
nisch, Französisch, Italienisch und Portugiesisch), eine Pressemappe zu einem
zuvor vereinbarten und diskutierten Thema erstellen (Araújo e Sá / Melo 2007).
Abbildung 1 zeigt die Benutzeroberäche von Galanet:
390 Sílvia Melo-Pfeifer
Abb. 1: Startseite der Galanet-Plattform
Der grundlegende Kommunikationsvertrag ist mehrsprachig und alle romani-
schen Sprachen sind Kommunikationssprachen. Die Idee ist, dass jeder in sei-
ner / seinen Sprache(n) sprechen und die Sprache(n) des Gegenübers verstehen
soll. Allerdings ergeben sich in der Praxis einige Verletzungen oder natürliche
Ausweitungen dieses Kommunikationsvertrags (Bono / Melo-Pfeifer 2011):
Die Studierenden leisten Beiträge in nicht-romanischen Sprachen (auf Eng-
lisch oder in anderen Sprachen aus ihrem Repertoire);
Die Studierenden leisten Beiträge in romanischen Sprachen, die sie nicht
beherrschen.
Das Konzept der Interkomprehension wird demnach in einem mehrsprachigen,
interaktionellen und multipartizipativen Kontext getestet, in dem das Verständ-
nis von rezeptiver Interkomprehension erweitert wird (mündlich und schriftlich).
Genauer ausgedrückt, wird das Verstehen von Textproduktion in verwandten
Sprachen mithilfe von Transfermechanismen und Mechanismen der Nutzung
interlinguistischer Aspekte vollzogen. Mit dieser interaktionellen und interkom-
prehensiven Annäherung wird eine besondere Absicht zum Sprachverhalten
der Sprecher, die eine Ko-Konstruktion von Sinn nutzen, verfolgt: Strategien der
Translanguaging“ in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion: Sprachliche Mittel und Ko-Konstruktion der Interkomprehension zwischen romanischen Sprachen in Chat-Rooms 391
Vereinfachung und der Kontrolle des Verstehens durch die Manipulation der
Muttersprache und der genutzten Fremdsprachen, Initiativergreifung und Ri-
sikobereitschaft in der mehrsprachigen Interaktion, Strategien gemeinschaftlich
erarbeiteter Lösungen von Kommunikationsproblemen und diskursive Aktivi-
täten auf metalinguistischer Ebene (Araújo e Sá / De Carlo / Melo-Pfeifer 2011).
3.  Kontext und Methodologie
Für den Zweck dieser Untersuchung wurden mehrsprachige Interaktionen wäh-
rend einer Arbeitsrunde im Rahmen des Galanet-Projekts zwischen Februar und
Mai 2004 ausgewählt. Das Thema der Runde lautete „Ridiamo per le stesse cose? …
Y a-t-il un humour romanophone?“.
Nachstehende Tabelle liefert eine Übersicht über die Teilnehmerinnen und
Teilnehmer:
Teams Länder Anzahl der
Teilnehmer
Referenz-
sprachen1
„Ziel“-
sprachen2
Lusomaníacos Portugal 17 PT, FR FR, ES, IT
Os Quinas Portugal 17 PT, FR FR, ES, IT
Les Canuts de Lyon Frankreich 9 FR, IT, ES FR, ES, PT
Che, Rio Cuarto. Argentinien 14 ES, FR FR, IT
Le rane di Grenoble Frankreich 19 FR, IT, ES FR, IT, ES
Gli spagnoli di
economia
Italien 15 IT, FR FR, ES
forum2004BCN Spanien 34 ES, FR FR, ES
RA & C° Lyon 2 Frankreich 16 FR, PT, ES PT, ES, FR
“Les Dahuts” di
Monica
Frankreich 18 FR, IT IT, ES, FR
Madrid Spanien 36 ES, FR FR, IT, PT
Cassino-Martine Italien 19 IT, FR FR, IT
Le Dino-saure,
unicas2
Italien 14 IT, FR, ES FR, ES, IT
Les Montois Belgien 8 FR ES, IT, PT
Tab. 1: Liste der Teilnehmerteams
2 Diese Sprachen werden von den Teilnehmern ausgewählt, während sie ihr Teamprol
ausfüllen.
3 Diese Sprachen werden von den Teilnehmern ausgewählt, während sie ihr Teamprol
ausfüllen.
392 Sílvia Melo-Pfeifer
Da eine angemessene Beantwortung der Forschungsfragen (cf. Einleitung) nach
andersartigen Daten verlangt, wurden diese mehrsprachigen schriftlichen Inter-
aktionen aus zweierlei Blickwinkeln analysiert:
Forschungsfragen Methodologie
Welche sprachlichen Mittel
werden in der mehrsprachigen
Interaktion von Sprechern häuger
thematisiert?
Identizierung, Kategorisierung und Zählung
der sprachlichen Mittel, die thematisiert
wurden, weil sie im Verlauf der mehrsprachi-
gen Interaktion Interkomprehensionsprobleme
verursacht haben.
Wie wird „translanguaging“ im
Rahmen mehrsprachiger schriftli-
cher Interaktion dargestellt?
Auswahl und interaktionelle Mikroanalyse
von mehrsprachigen Konversationssequenzen,
die Aufschluss über die Funktionsweise und
die kollaborativen Eigenschaften des Kom-
munikationsphänomens „translanguaging“ im
Chat und über dessen Rolle bei der Lösung von
Kommunikationsproblemen geben.
In Bezug auf die Methodologie zur Herausstellung von Interventionen oder Pro-
blemlösungssituationen im Rahmen der mehrsprachigen Kommunikation sind
einige Erläuterungen erforderlich. Wenngleich solcherlei Situationen aufgrund
der sprachlichen Nähe und des didaktischen Vertrags, der mit der Teilnahme
an einem Hochschulprojekt einhergeht, relativ selten vorkommen, lassen sich
durch sie wunderbar die intensiven mehrsprachigen Bemühungen rund um die
Ko-Konstruktion des Sinns im Rahmen der Interaktion umfassend beleuchten.
Diese Intensität der gemeinsamen Bemühungen in Momenten, in denen die
Kommunikation zu kippen droht, ergibt sich unseres Erachtens aus der po-
sitiven psychologischen Wirkung, die mit dem mehrsprachigen Kommunika-
tionsvertrag in Verbindung gebracht wird: Jedes Individuum ist ein Experte in
seiner / seinen Sprache(n) und der andere verlangt nach seiner Stimme, wodurch
er in der Interaktion eine Stellung einnimmt und Macht bekommt. Diese perma-
nente Ko-Expertise, die durch die Möglichkeiten des „translanguaging“ begüns-
tigt wird, ist somit ein wichtiger Bestandteil der analysierten Interaktionen und
lässt sich am besten in Problemlösungssituationen beobachten.
In der Einführung dieses Beitrags wurde eine weitere Forschungsfrage ge-
nannt: „Verlieren die Kategorie ‚Sprache‘ bzw. ‚Code‘ ihre Dierenzierungsfunk-
tion in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion? Wenn ‚Ja‘, inwiefern?“
Diese Fragestellung nimmt im Vergleich zu den vorhergehenden Fragen eine
übergeordnete Rolle ein und wird in der Schlussfolgerung beantwortet, zumal
Translanguaging“ in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion: Sprachliche Mittel und Ko-Konstruktion der Interkomprehension zwischen romanischen Sprachen in Chat-Rooms 393
die Beantwortung auf der Grundlage der interaktionellen Untersuchungen (Ab-
schnitte 4.1 und 4.2) erfolgt.
4.  Sprachliche Mittel und Ko-Konstruktion der
Interkomprehension
4.1  Thematisierung von Sprachmitteln in der mehrsprachigen
Interaktion: das „dictionnaire de l’Autre“ (Auer 1987)
Im theoretischen Teil dieser Arbeit wurde deutlich, dass Interkomprehension
sehr intersubjektiv, kontextabhängig und zielgerichtet ist. Die Untersuchung
von Situationen, in denen während der mehrsprachigen romanischsprachigen
Interaktion auf das Wissen anderer Kommunikationsteilnehmer zurückgegrif-
fen wird, verdeutlicht unseres Erachtens diesen solidarischen und exiblen Cha-
rakter der Individuen und ihrer Zusammenarbeit.
In Anbetracht der Tatsache, dass diese Thematik sehr umfassend ist (Araújo e
Sá /Melo 2003; Melo 20074), wird hier lediglich auf den interaktionellen Rück-
gri auf das „Wörterbuch des anderen“ in Situationen, in denen die Kommuni-
kation aufgrund lexikalischer Verständnisprobleme unterbrochen ist, eingegan-
gen, sprich, in Worten von Auer, auf die „recherche méthodique interactive
dans le ‚dictionnaire‘ de l’Autre“ (Auer 1987, 72). Dieser Rückgri, wenngleich
mit wie wir es zuvor genannt hatten – monoglossischem Blick auf Inter-
komprehension in romanischen Sprachen (da oftmals verbale Daten in einer
bestimmten Sprache erfragt werden), wird über die Wahl und den Wechsel der
Sprachen zur Kennzeichnung der Hindernisse betrachtet. Das Nachfragen bei
dem anderen als Hilfsmittel führt als Nebenprodukt zu einer mehrsprachigen
Handlung, die sich mit der Verhandlung des Sinns der Aussagen und den daraus
folgenden metasprachlichen und metakommunikativen Reexionen befasst
(Araújo e / Melo 2003; 2007). Dieser Vorgang der Aufdeckung und Lösung
von Problemen wird von zwei voneinander abhängigen Bestrebungen geleitet:
dem Erwerb sprachlicher Daten und der Ko-Konstruktion der Aussagen durch
gemeinsame Anstrengungen zur Erreichung eines diskursiven Fortschritts.
Die Untersuchung der Interventionen zeigt, dass die Individuen vor allem
sprachliches Wissen zu lexikalischen Einheiten (66 Okkurrenzen5), gefolgt von
Informationen zu nicht-topikalisierten Problemen (14 Okkurrenzen) abfragen.
Die restlichen Kategorien erreichen wenig bedeutende Werte (insgesamt 4 Ok-
4 In diesem Abschnitt werden einige Untersuchungen und Schlussfolgerungen aus Melo
(2007) wieder aufgegrien.
5 Manchmal wird eine lexikalische Einheit auch von mehr als einem Individuum angefragt.
394 Sílvia Melo-Pfeifer
kurrenzen). In Bezug auf die bedeutendste Kategorie (das Abfragen von Wissen)
ist festzustellen, dass sich die topikalisierten Einheiten vor allem auf Substantive
(27) und Verben (17) beziehen, was ihre Bedeutung für das Verständnis / man-
gelnde Verständnis und dem Zugang zum Sinn widerspiegelt. Ferner ist zu be-
obachten, dass das Spanische (25) und Portugiesische (13) häuger Fragen auf-
zuwerfen scheinen als andere Sprachen (siehe Tabelle 2).
No-
men
Ver-
ben
Ad-
jek-
tive
Inter-
jektio-
nen
Aus-
drü-
cke
Ad-
ver-
bien
unbe-
stimmt
Sum-
me
Katalanisch -2- - - - - 2
Spanisch 13 6 2 2 2 - - 25
Französisch 3 1 1 - - 1-6
Italienisch 1 6 -1- - - 8
Portugie-
sisch
7 2 2 2 - - - 13
Englisch 1- - - - - - 1
andere 2- - - 1-8 11
Summe 27 17 5 5 3 1 8 66
Tab. 2: Verteilung der topikalisierten Einheiten bei der Abfrage semantisch-lexikalischer
Aspekte
Es sei anzumerken, dass zu den am häugsten topikalisierten Substantiven
risoterapia“, „chistes“ und „bromas“ gehörten, in klarer Abhängigkeit vom dis-
kutierten Thema. Sie fungierten als Schlüsselwörter, die das Fortschreiten des
Gesprächs ermöglichten: Diese Substantive bilden mit anderen verwendeten
Begrien Isotopien und somit vereinfachen sie die Ko-Konstruktion der Inter-
komprehension während des Dialogs.
Bezüglich des mit der Abfrage verfolgten Zweckes liegt zweifellos auf der
Hand, dass die Individuen vor allem Probleme im Zusammenhang mit dem Ver-
ständnis lösen möchten (66 Okkurrenzen der Art „que signica maleta en espa-
nol?“), gefolgt von der Intention einer Wissenserweiterung (10 der Art „como se
diz age em espanhol?“) und der Bestätigung / Überprüfung des Verständnisses,
vor allem im Fall von Interferenzen (9 der Art „gilettes? Es cuchillas de afeitar?“),
in Form interlinguistischer Übersetzungen („cibo es comida?“).
Translanguaging“ in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion: Sprachliche Mittel und Ko-Konstruktion der Interkomprehension zwischen romanischen Sprachen in Chat-Rooms 395
Wie es sich anhand dieser Beispiele erahnen lässt, legen die Individuen ihre
Schwierigkeiten zunächst sehr explizit dar, in der Regel gefolgt von einer der
folgenden drei stereotypen Phänomene:
Wiederholung des unbekannten Wortes, gefolgt von Fragezeichen: feitiço?“,
verrette????“, „cachondos??, …;
Einfügung des unbekannten Begris in die Struktur der Sprache, von der die
Frage ausgeht (in der Regel die Referenzsprache): „c’est quoi hablamos?“, O
QUE É UMA PANTALLA ?, …;
direkte Frage nach einem semantischen Äquivalent unter Rückgri auf die
Wiederholung des / der unbekannten Begris / Begrie, gefolgt von einem
Gleichzeichen (=) und einem Fragezeichen zur eindeutigeren Kennzeichnung
der Frage (?) : „horrível = ?“, „chistes contadlos = ?, …
Diese Art der Darstellung ihrer Fragen ist Ausdruck ihrer mehrsprachigen Kom-
petenz sowie ihrer „translanguaging“-Fähigkeiten. Wie bereits im Zusammen-
hang mit der Lösung von Problemen in solcherlei Kommunikationssituationen
erwähnt, lässt sich sagen, dass
l’analyse des moyens de communication utilisés dans ce travail conversationnel pré-
sente encore une fois une certaine complexité et met en évidence la dynamique pluri-
lingue de ces échanges et les compétences de gestion des codes utilisées par les sujets
(Araújo e Sá / Melo 2003, 104).
Bemerkenswert ist zudem, dass in diesen Situationen, in denen um eine Er-
klärung gebeten wird, eine Wissenserweiterung angestrebt wird oder Probleme
dargelegt werden, eine eloquente Nutzung von Fragezeichen und Großbuch-
staben mit paraverbalem Wert (37 Okkurrenzen, teilweise isoliert von sämtli-
chen verbalen Aussagen) sowie der expressiven Zeichen auf der Tastatur, die
am häugsten in solchen Situationen angewendet werden, zu verzeichnen ist.
Dies dient als Mittel zur Kennzeichnung des lokutionären (Lautschrift), des
illokutionären (die der Verwendung zugrundeliegende Intention) und / oder des
perlokutionären Werts (Wirkung, die bei den restlichen Gesprächspartnern er-
zielt wird) ihrer Interventionen. Dadurch wird deutlich, dass die Nutzung dieses
Kommunikationsmittels (dem Chat) die Bevorzugung bestimmter Formen des
Nachfragens beeinusst, die die strategischen Kompetenzen der Individuen im
Rahmen dieser Form der Kommunikation ins Licht rücken.
Die Fähigkeit zur Verhandlung von Codes (sprachlicher Art, jedoch nicht
darauf beschränkt), mit kommunikativer und strategischer Zielsetzung sowie
dem Ziel, etwas hinzuzugewinnen, ließe sich – wie in letzter Zeit vermehrt von
uns getan – als „translanguaging“ bezeichnen.
396 Sílvia Melo-Pfeifer
4.2  Darstellungen von „translanguaging“ in der mehrsprachigen
Interaktion zwischen romanischen Sprachen
Die kommunikative Sequenz, die in diesem Abschnitt analysiert wird, umfasst
4 Gesprächspartner und 4 Sprachen: Spanisch, Italienisch und Portugiesisch, als
Bestandteile des Kommunikationsvertrags und Englisch, das als „Vertragsverlet-
zung” auftritt, um ein Kommunikationsproblem zu lösen.
Bei dem Versuch, mit ihrer italienischen Gesprächspartnerin zu kommunizie-
ren und sich mittels einer Sprache an sie anzunähern, die sie nicht beherrscht,
bittet SilviaM um Hilfe bei der Wortndung: „Wie sagt man Flugzeug auf Italie-
nisch?“ Diese Frage verursacht eine Verhandlungswelle und Kommunikations-
strategien:
Originalbeispiel Deutsche Übersetzung
SilviaM Isadora, espera por mim!!!! Vou
apanhar o avião!!!!
Isadora, warte auf mich!!!! Ich werde
das Flugzeug nehmen!!!!
SilviaM Como se diz avião em italiano? Wie sagt man Flugzeug auf Italie-
nisch?
Djose Aereo Aereo
Djose si te reeres a avion Wenn du Flugzeug meinst
Remy Giusto Djosé!!!! Richtig Djosé!!!
SilviaM voglio coger gli aereo! voglio coger gli aereo!
SilviaM Quem corrige a minha
frase?????? Je je je
Wer korrigiert meinen Satz??????
Hahaha
Isadora Cosa vuoi dire con aviao,
Silvia?
Was meinst du mit aviao, Silvia?
Djose voglio prendere l’aereo voglio prendere l’aereo
SilviaM plane! plane!
Djose silvia no inglês Silvia nicht auf Englisch
SilviaM Gracias! Gracie mille! Danke! Tausend Dank!
SilviaM Sorry :(( Sorry :((
Djose Jajjajjajaj Hahahaha
SilviaM ;) ;)
Translanguaging“ in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion: Sprachliche Mittel und Ko-Konstruktion der Interkomprehension zwischen romanischen Sprachen in Chat-Rooms 397
Nachdem sie die Übersetzung für Flugzeug (aereo) kennt, schreibt SilviaM ei-
nen Satz auf Italienisch („voglio coger gli aereo!”), sie misstraut jedoch ihren
Sprachkenntnissen und bittet ihre Online-Kollegen um Hilfe, damit sie ihren
Satz korrigieren („Wer korrigiert meinen Satz??????”). Aus einer rein norma-
tiven Perspektive enthält ihr anfänglicher Satz zwei Fehler: Sie verwendet im
italienischen Satz den spanischen Begri coger“ und den bestimmten Artikel
gli (Plural) anstelle von l’ (Singular, hier in der kontrahierten Form). Beide
Fehler werden von Djose korrigiert, in dem er die falschen Elemente durch
die korrekten Elemente ersetzt („voglio prendere l’aereo“). SilviaM bedankt sich
zweisprachig für die Hilfe und greift auf das Spanische zurück und auf einen
weiteren Versuch, sich auf Italienisch auszudrücken und macht erneut einen
Fehler, dieses Mal in der Rechtschreibung („Gracie milleanstelle von Grazie
mille). Dieser orthographische Fehler wird nicht verhandelt und auch nicht
korrigiert, möglicherweise aus zweierlei Gründen:
Er wird von den Gesprächspartnern in dieser Kommunikationssituation als
unwichtig empfunden, da er das Verständnis und die Fortsetzung der Lösung
der Aufgabe nicht behindert;
dieses Kommunikationsinstrument (Chat) ist sehr durchlässig für das Auf-
treten von sprachlichen Ungenauigkeiten, da sehr schnell kommuniziert wird
und man sich an das Mündliche annähert (Araújo e Sá / Melo 2003).
Ferner ist hervorzuheben, dass diese Situation, bedingt durch den Mangel eines
Wortes im sprachlichen Repertoire eines Gesprächspartners oder einer Ge-
sprächspartnerin („aereo“ auf Italienisch) zu der Entstehung lexikalischer Äqui-
valente in verschiedenen Sprachen führt („avião“, „avion“,aereo“ und „plane“),
wodurch deutlich wird, wie im Rahmen der Interaktion gemeinsam ein mehr-
sprachiger Wortschatz erarbeitet wird und dass der Aufbau einer Bedeutung in
der Verantwortlichkeit aller Teilnehmer liegt (selbst wenn hierfür der ursprüng-
lich ausgehandelte Kommunikationsvertrag verletzt wird).
Allerdings ist eine fortbestehende monoglossische Betrachtung der Inter-
aktion oder zumindest eine Spannung zwischen der durch den Kommunikati-
onsvertrag erlaubten Mehrsprachigkeit und der Art, wie sie verwendet werden
kann, zu verzeichnen. Wie auch aus dieser Sequenz hervorgeht, bedeutet eine
erlaubte mehrsprachige Interaktion nicht, dass sich die Individuen mit dieser
heteroglossischen Weise, die Kommunikation zu betrachten, in der die Sprachen
ihre Grenzen verlieren und frei miteinander kommunizieren, automatisch wohl-
fühlen. In dieser Sequenz führt bei der Gesprächspartnerin SilviaM das schlechte
Gewissen darüber, dass sie bei der Annäherung ans Italienische zwei Sprachen
verwendet, dazu, dass sie um die Korrektur der zweisprachigen Aussage („voglio
coger gli aereo!“) bittet, die sogleich von einem anderen anwesenden Gesprächs-
398 Sílvia Melo-Pfeifer
partner „monolingualisiert“ wird („voglio prendere l’aereo“). Es ließe sich somit
schlussfolgern, dass das Motto „jeder spricht seine Sprache und versteht die des
anderen“, zur Entstehung eines monoglossischen schlechten Gewissens und
zur Verringerung der translanguaging“-Äußerungen mit transglossischerem
Charakter beiträgt.
5.  Synthesen und Perspektiven
Mehrsprachige Sprecher haben eine große Bandbreite von Ausdrucksmöglich-
keiten erlangt, die man nicht zu „einer Sprache”, aus einer traditionellen und
„monoglossichen“ linguistischen Perspektive, zuordnen kann. In einigen der
beobachteten Situationen erfolgt die Klärung von lexikalischen Verständnis-
problemen, ohne dass es erforderlich ist, klarzustellen, dass sich die betreen-
den Sprachen im Kontakt benden. Um also die Frage „Verlieren die Kategorie
‚Sprache‘ bzw. ‚Code‘ ihre Dierenzierungsfunktion in der mehrsprachigen
schriftlichen Interaktion? Wenn ‚Ja‘, inwiefern?” zu beantworten, ließe sich
sagen, dass sich die Orientierung, die größtenteils weiterhin auf sprachlicher
Ebene erfolgt, nicht auf die verbalen Elemente beschränkt, sondern vielmehr das
beleuchtet, was gesagt / geschrieben wird und weniger in welcher Sprache etwas
gesagt / geschrieben wird. Wie aus den Antworten hervorgeht, tritt die Frage
nach der Sprache fast ausschließlich im Rahmen einer Wissenserweiterung auf,
und zwar in Form der typischen Frage „Wie sagt man X in der Sprache Y?“.
Während der Untersuchung von Interaktionen und von mehrsprachigen
romanischsprachigen Chatsequenzen ließ sich die Entstehung von Synergien
zwischen den verschiedenen Chatteilnehmern, ihrem Gefühlsrepertoire sowie
ihrem kognitiven, sprachlichen und kommunikativen Repertoire beobachten,
die als „topisch angewandte“, punktuelle und strategische Elemente auftreten
und wesentlicher Bestandteil der Interkomprehensionsbemühungen sind. In
Abschnitt 4.1 wurde deutlich, dass die Individuen ihre Verständnisprobleme
nach außen tragen, um weiter an der mehrsprachigen Interaktion teilzuneh-
men und weniger um den Kommunikationsvertrag neu zu verhandeln und die
bestehende Mehrsprachigkeit zu reduzieren. Dieser Abschnitt beleuchtet nur
eines der Elemente, die eine Antwort auf die Forschungsfrage „Welche sprach-
lichen Mittel werden in der mehrsprachigen Interaktion von Sprechern häuger
thematisiert?“ liefern können, sprich die Thematisierung verbaler Elemente, die
zu Verständnisproblemen führen und daher angesprochen werden. Die Ergeb-
nisse ließen sich durch andere Untersuchungen ergänzen, wie beispielsweise
durch eine Identizierung und Zählung der verbalen Elemente, die aus anderen
Gründen ausgewählt und beleuchtet werden (z. B. orthographische Elemente
Translanguaging“ in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion: Sprachliche Mittel und Ko-Konstruktion der Interkomprehension zwischen romanischen Sprachen in Chat-Rooms 399
wie „hechizo? Se escribe así?”). Allerdings treten diese Phänomene in Interaktio-
nen dieser Art eher selten auf, da der Rechtschreibung in der hier untersuchten
Situation keine große Bedeutung zukommt, sprich für die Gesprächspartner von
Unterhaltungen in Chat-Rooms nicht relevant ist.
In Abschnitt 4.2 ließ sich beobachten, dass die mehrsprachigen Gesprächs-
partner mit einer doppelten Zielsetzung translanguaging betreiben: Sie le-
gen den Schwerpunkt auf die Form und auf den interaktionellen Inhalt. Diese
doppelte Schwerpunktsetzung (Melo-Pfeifer 2015b) macht deutlich, dass die
Verwendung verschiedener Sprachen im Verlauf der Interaktion zum einen
Lernpotenzial („translanguaging to learn“) und zum anderen kommunikatives
Potenzial („learning to translangue“) bietet und beide ihren Ursprung im Wunsch
nach einer Beteiligung an der Ko-Konstruktion des Sinns haben. Die Verwen-
dung der Sprachen der anderen ist somit ein Zeichen für den Wunsch nach
Beteiligung. Die Entscheidung für die Untersuchung einer Sequenz, in der es
zu einer gemeinschaftlichen Lösung eines interaktionellen Problems kommt,
ist dadurch gerechtfertigt, dass der Äußerung des Problems eine Vielzahl von
Interventionen folgen, die verdeutlichen, dass „translanguaging
1. die Kommunikation vereinfacht und Möglichkeiten für mehrsprachiges Ler-
nen schat;
2. der Ursprung für die Ko-Konstruktion von detaillierteren Bedeutungen ist;
3. und das Hinterfragen des mehrsprachigen Kommunikationsvertrags ermög-
licht.
All diese Vorteile eines Rückgris auf das translanguaging“ im Verlauf des
Chats lassen sich unseres Erachtens mit einem Nutzen auf verschiedenen Ebe-
nen in den Klassenraum für Fremdsprachunterricht übertragen und können
zum Beispiel dabei helfen, den parti pris“ der einsprachigen Interaktion im
Klassenraum und in der Gesellschaft zu hinterfragen.
Die in beiden Abschnitten erfolgte Analyse macht deutlich, dass die Zusam-
menarbeit bei der Ko-Konstruktion des Sinns in der mehrsprachigen Interaktion
im Chat nicht nur auf der diskursiven Handhabung verbaler Daten basiert, son-
dern auch auf der Mobilisierung von Kenntnissen bezüglich der Nutzung non-
verbaler und paraverbaler Kommunikationscodes (wie in der monolingualen
Interaktion von Angesicht zu Angesicht). Somit wird die Interkomprehension
in den romanischen Sprachen auf transsemiotische und multimodale Weise
ko-konstruiert. Vor diesem Hinblick ermöglicht die Untersuchung der Ko-
Konstruktion der Interkomprehension (im Rahmen einer Sprachfamilie in der
elektronischen Kommunikation) unter Rückgri auf das Konzept des „trans-
languaging“ eine Umgehung der „glossischen Hegemonie“ (die das Thema fast
ausschließlich aus linguistischer Perspektive betrachtet). Translanguaging“ be-
400 Sílvia Melo-Pfeifer
tonnt die Artikulation und die Interdependenz der mobilisierten semiotischen
Ressourcen während der Ko-Konstruktion des Sinns.
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Article
Full-text available
This paper is situated in interaction on the Internet and presents an analysis of chat conversations in Romance languages – French, Italian, Portuguese and Spanish – between students from several universities. The Internet is currently a fertile setting for intercultural and plurilingual encounters, and interaction, virtual or real, is seen as a central field of meaning negotiation and mediation. Our aim is to highlight how these communicative situations, particularly when communicative problems have to be collaboratively solved, can raise a chat participant's language awareness (LA). The data analysis allows us to observe how LA is an essential domain in the development of plurilingual and intercultural communicative competences, particularly when considering political and critical linguistic education.
Chapter
Les approches plurilingues sont souvent confrontées à des conceptions très prégnantes, issues d’autres traditions épistémologiques, sur ce qui constitue la compétence et sur les processus qui mènent à sa construction. Dans le cadre d’un paysage didactologique mondialisé et profondément affecté par les effets de la mobilité et par les nouveaux profils des apprenants, il importe d’interroger la pertinence de ces modèles pour une didactique des langues et du plurilinguisme. La tradition cognitiviste, notamment, invite à regarder la compétence comme étant attachée aux habiletés et aux capacités individuelles de chaque apprenant. Or cette approche ne peut rendre compte de l’interdépendance et du besoin de coordination des sujets dans l’accomplissement d’une tâche. Ce besoin, présent dans toute situation communicative, devient particulièrement pressant lorsqu’il s’agit de construire le sens d’une interaction plurilingue. Depuis l’introduction de la notion de compétence plurilingue dans les années quatre-vingt-dix (Coste, Moore & Zarate, 1997), de très nombreux travaux ont repris, commenté et validé sa nature partielle, évolutive et déséquilibrée. Au-delà de ces aspects désormais consensuels, cet article cherche à explorer sa condition située, co-construite et partagée. En effet, si la compétence plurilingue est souvent conceptualisée à l’intérieur d’un terrain de circulation individuel et définie comme une ressource individuelle, presque privée, dans le contact intrinsèque langues/cultures, l’étude des interactions plurilingues montre que les ressources de chacun sont transformées, mutualisées et maximisées afin de parvenir à des épisodes heureux de communication interculturelle et plurilingue. À travers une analyse de ces interactions, nous tâcherons de montrer que la compétence des apprenants plurilingues gagne à être appréhendée selon un paradigme épistémologique de la connaissance du type socio-constructiviste. Cette perspective vient enrichir l’approche actionnelle prônée par le Cadre Européen Commun de Référence, qui envisage les apprenants comme des acteurs sociaux ayant à accomplir des tâches (qui ne sont pas seulement langagières) à l’intérieur d’un domaine d’action qui leur donne leur pleine signification.
Chapter
In this contribution, intercomprehension between Romance Languages (RL) will be analyzed as a particular setting of multilingual interaction in the globalized and digital world. Intercomprehension is a multilingual practice where interlocutors collaboratively achieve meaning through the use of typologically related languages and other semiotic resources, exploiting the similarities existing across languages and the opportunities of transfer they offer. The communicative contract underlying this particular typology of multilingual interaction stresses that each interlocutor should master at least one RL and use it productively and, at the same time, try to understand the RL of the other speakers. Through the analysis of multilingual exchanges in chat-rooms of the platform Galanet, the need to take a more open stance towards the communicative contract will be evinced. Particularly, three behaviors related to the breakdown of the communicative contract - and respective consequences - will be critically analyzed: the use of a taboo language (English), the use of other linguistic resources not included in the contract and the production of utterances in target languages. These communicative behaviors will justify the need to enrich the understanding of intercomprehension by adopting a translingual lens and, thus, by abandoning a still prevalent monoglossic orientation in research dealing with this multilingual communicative context.
Chapter
As the first chapter in Part II, this chapter turns its attention to education. Focusing on the growing multilingualism in schools, the chapter reviews traditional definitions and types of bilingual education. It frames foreign/second language education, as well as bilingual education, as ways of enacting parallel monolingualisms, and then reviews ways in which this is resisted in classrooms all over the world. It also presents ways in which educators are promoting flexible languaging in teaching, transgressing the strict structures of dual language bilingual classrooms, as well as going beyond the traditional view of separate languages literacies.
Article
The present study focuses on the negotiation of the languages of communication in language-learning activities involving multilingual learners. Its overall purpose is to throw light on the conditions that surround the creation and the maintenance of multilingual communicative spaces, as well as on the tensions and forces (both communicative and acquisitional) that influence language management in those spaces. Two different corpora, multilingual chats in Romance languages and informal conversations in Spanish L3, are analysed in order to identify the pragmatic functions accomplished by a language switch. Findings suggest that languages which are not part of the learning/communication contract can play mediation and remediation roles, and that the negotiation sequences that lead to their temporary inclusion (and the subsequent modification of the contract) or to their exclusion from the communicative situation can have a significant influence on the development of learners’ multilingual competence, understood as the ability to use two or more languages for the purposes of communication and to take part in intercultural interaction, regardless of their proficiency in the languages involved.
La Intercompreensión: una revolución en el arte de entenderse
  • Alfredo Hermoso
Hermoso, Alfredo. 1998. "La Intercompreensión: una revolución en el arte de entenderse", in: Cuadernos Cervantes de la Lengua Española, 21, 41 -47.
Intercomprehension: Learning, Teaching, Research / Apprentissage, Enseignement
  • Franz-Joseph Meißner
Meißner, Franz-Joseph et al. (ed.) 2011. Intercomprehension: Learning, Teaching, Research / Apprentissage, Enseignement, Recherche / Lernen, Lehren, Forschung. Tübingen: Narr.
Zur Theorie und Praxis des Sprachunterrichts an Hochschulen
  • Fremdsprachen Lehren Und Lernen
Fremdsprachen Lehren und Lernen. Zur Theorie und Praxis des Sprachunterrichts an Hochschulen, 44 / 2, 100-113.