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Genner, S. (2018). Immer und überall online? Risiken und Chancen
der Hypervernetzung. In: Decker, M., Lindner, R., Lingner, S. &
Sotoudeh, M. (Hrsg.). Grand Challenges meistern. Der Beitrag der
Technikfolgenabschätzung. Reihe Gesellschaft – Technik – Um-
welt. Edition Sigma. Nomos Verlag.
Immer und überall online?
Risiken und Chancen von Hypervernetzung
Genner, Sarah, Dr.: Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und Universität Zürich (UZH),
Pfingstweidstrasse 96, CH-8005 Zürich
Mit Smartphones und Tablets können wir nahezu immer überall online sein. Zumindest in westlichen
Ländern haben die Optionen innerhalb weniger Jahre exponentiell zugenommen, jederzeit auf digitali-
sierte Informationen zuzugreifen und sowohl privat wie auch beruflich ortsunabhängig digital erreichbar
zu sein. Bereits 2008 zählte das Internet der Dinge mehr vernetzte Objekte als Menschen auf der Erde
und 2020 sollen nach Prognosen mehr als 50 Milliarden Objekte am Netz sein (Evans 2011). Online-
Zugang ist in technologisierten Ländern für viele zu einem unverzichtbaren „Sinnesorgan“ des Men-
schen geworden: In einer Befragung gaben 42% von 3.000 Erwerbstätigen in fünfzehn Ländern an,
dass sie eher auf ihren Geruchssinn als auf Internet-Zugang verzichten würden (Connected World Re-
port 2014). Das mobile Internet hat eine beispiellose Mediatisierung des privaten und beruflichen All-
tags mit sich gebracht. Wenn wir uns gerade nicht mit einem mobilen Gerät beschäftigen, sind unsere
smarten Begleiter dennoch nahezu durchgehend mit dem Internet verbunden. Sie senden und emp-
fangen Daten, beeinflussen unseren Schlaf, unsere sozialen Beziehungen und geben so einiges über
uns preis. Wie begegnen wir nun den Herausforderungen durch die unerschöpflichen Möglichkeiten
der Hypervernetzung?
Das Forschungsprojekt „ON/OFF – Risks and Rewards of the Anytime-Anywhere Internet“ (Genner
2017), auf dem dieser Artikel basiert, hat sich mit Risiken und Chancen von Hypervernetzung in Bezug
auf das Individuum beschäftigt. Ausgangspunkt waren u.a. die von der deutschen Bundesregierung
formulierte Grand Challenge der Konsequenzen von Hypervernetzung sowie im Besonderen die zu-
nehmend fließenden Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit und ihre Folgen für die psychische
Gesundheit von Arbeitnehmenden. Vorgeschlagen wurde ein bundesweites „Anti-Stress-Gesetz“, das
auch der Burnout-Prävention dienen sollte (Lehmann/Quadbeck 2014). In Frankreich wurde entspre-
chend im Jahr 2016 das „Right to Disconnect“ verabschiedet (Taylor 2014). Die UNO dagegen formu-
liert als Grand Challenge die größer werdenden digitalen Gräben zwischen hypervernetzten und be-
züglich Internet-Zugang unterversorgten Ländern (ITU 2014). Im westlichen Bildungswesen werden
u.a. Chancen von Medienkompetenzförderung und Risiken wie zunehmende Aufmerksamkeitsstörun-
gen durch Hypervernetzung diskutiert (vgl. Hoffmann et al. 2013; Turkle 2008). Datenschützer befassen
sich mit Privatsphäre und Datensicherheit: So hinterlassen Smartphone-User z. B. fast lückenlose Be-
wegungsprofile. Diese Standortdaten können mit weiteren persönlichen Daten aggregiert werden,
wodurch ein neuartiges „Profiling“ ermöglicht wird, das für personalisiertes Marketing und Überwachung
eingesetzt wird. Dieser Umstand birgt zahlreiche Risiken der Datenweitergabe und des Datenmiss-
brauchs auch für kriminelle Zwecke (vgl. Schneier 2015; Spitz 2014).
ON/OFF befasste sich mit zentralen Aspekten von Hypervernetzung insbesondere mit Blick auf die
individuelle Gesundheit sowie auf Privatsphäre und Datenschutz. Die Ergebnisse berücksichtigten die
unterschiedlichen Ebenen der Entscheidungsträger und bewerteten die Risiken von Hypervernetzung
entsprechend.
1 Digitale Gräben und Datenschutz
Global aber auch innerhalb digital vernetzter Länder sind größer werdende digitalen Gräben festzustel-
len: Je mehr Menschen ständig verbunden sind und von den Vorteilen der Hypervernetzung profitieren
können, desto eher sind jene – nicht zuletzt ökonomisch – im Hintertreffen, die nach wie vor keinen,
einen zensierten oder technologisch unzuverlässigen Internet-Zugang haben (ITU 2016). Dennoch be-
stehen diese Gräben nicht nur zwischen reichen und armen Ländern, demokratischen und autoritären
Systemen, welche digital zensieren und überwachen, sondern auch innerhalb von hypervernetzten
Ländern. Zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen bestehen technologische Beteiligungsgrä-
ben, die sich vor- oder nachteilhaft auf Bildungsmöglichkeiten, Jobchancen und demokratische Partizi-
pation auswirken können („Participation Divide“). Diese Gräben sind einerseits verursacht durch unter-
schiedliche technische Voraussetzungen (Internetzugang nur über ein Gerät mit kleinem Bildschirm
oder keinen Breitbandanschluss), die Karrierewege beeinflussen können, andererseits durch individuell
verschiedene Kompetenzen, gezielt digitale Informationen aufzufinden, deren Qualität einzuschätzen
und diese sinnvoll zu verarbeiten („Skills Divide“). Diesem Grand Challenge sollen sog. „Digital Inclu-
sion“-Programme entgegenwirken, die vom Bereitstellen technologischer Infrastruktur hin zu Schulun-
gen (z. B. „San Francisco Digital Inclusion Strategy“ oder „CompiSternli“) bis zu geschlechterspezifi-
scher Förderung (z. B. „Girls who code“ oder „Made with code“) reichen. Weitere Nutzungsgräben be-
stehen auch zwischen Generationen, individuellen Persönlichkeiten und kulturellen Gegebenheiten.
Verglichen mit älteren Internet-Usern sind jüngere tendenziell digital vernetzter, technologisch souve-
räner und weniger besorgt bezüglich Datenschutz (DIVSI 2016). Jüngere erleben jedoch durch Hyper-
vernetzung mehr Ablenkung und Abhängigkeit als ältere User und sind daher z. B. nachts signifikant
häufiger online bzw. online erreichbar (vgl. Anderson 2015; Smith 2015; Moser et al. 2013). Das Merk-
mal „Persönlichkeit“ drückt sich im Online-Verhalten auf vielfältige Weise aus: Extrovertierte sind ten-
denziell vernetzter über verschiedene Kontexte hinweg als Introvertierte, Gewissenhafte machen sich
mehr Gedanken über Datenschutz und Privatsphäre sowie über ihre zeitlichen Ressourcen, und poly-
chrone Persönlichkeiten neigen eher zu (digitalem) Multitasking als monochrone (vgl. Genner 2017, S.
36f.).
Ein Smartphone kann auch ein Überwachungstool sein, das für datensammelnde Firmen zahlreiche
Datenpunkte (z. B. Standortdaten und Nutzungsverhalten) zu liefern vermag, und mit entsprechender
Malware ausgestattet eine quasi lückenlose Überwachung durch Geheimdienste, Strafverfolgungsbe-
hörden oder Kriminelle unbemerkt ermöglicht (Schneier 2015). Nach den Snowden-Enthüllungen sieht
sich die Politik gefordert, das Vertrauen in der Bevölkerung bezüglich digitaler Überwachung zurückzu-
gewinnen, um diese für Strafverfolgungszwecke einsetzen zu können. Rechtliche Herausforderungen
bestehen insbesondere hinsichtlich geeigneter Datenschutzregulierungen für den Umgang mit großen
Datensätzen (Big Data), die sich z. B. zu städteplanerischen oder gesundheitlichen Zwecken als nütz-
lich erweisen (Gasser 2015). Regulierungslücken entstehen u.a. durch unabsichtlich geteilte Daten und
Metadaten bei Hypervernetzung (z. B. Standortdaten, Bewegungsprofile durch intensive Smartphone-
Nutzung, Gesundheits-Tracker, Internet der Dinge). Deren Verwendungsrechte sind in aktuellen Da-
tenschutzgesetzen noch nicht geklärt; zumal selbst in „anonymisierten“ Datensätzen oft nur wenige
Datenpunkte ausreichen, um Individuen zu identifizieren (vgl. de Montjoye et al. 2015). Effektiver Da-
tenschutz kann im Zeitalter einer globalen und grenzüberschreitenden Kommunikationsinfrastruktur nur
international koordiniert werden. In Europa und den USA bestehen jedoch kulturell bedingt, unter-
schiedliche Vorstellungen von Persönlichkeitsschutz. Dies hat sich besonders auch in der Debatte über
das „Recht auf Vergessenwerden“ gezeigt. In den USA wird die Zensurfreiheit höher gewichtet als der
Persönlichkeitsschutz (Zittrain 2014). Europäer tendieren dazu, dieses Recht zu unterstützen, damit
veraltete oder persönlichkeitsrechtlich problematische Informationen nicht dauerhaft abrufbar sind. Da
die führenden IT-Anbieter von US-amerikanischer Rechtsauffassung und Kultur geprägt sind, bestehen
aus europäischer Sicht Risiken für den Daten- und Persönlichkeitsschutz (DIVSI/iRights.Lab 2015).
Dieselben US-Technologiefirmen bieten Ländern mit noch unterentwickelter Internet-Infrastruktur ver-
billigte Zugänge über Satelliten, Drohnen oder Ballone an, um von den Daten der Nutzerinnen und
Nutzer zu profitieren (Hern 2015).
2 Beschleunigung und verwischte Grenzen zwischen Arbeits-
und Freizeit
Gesellschaftliche Beschleunigung wird oft mit schneller und omnipräsenter Informations- und Kommu-
nikationstechnologie (IKT) assoziiert. Tatsächlich sind in der Moderne sozialer Wandel und Technolo-
gie eng verknüpft; Innovationen im IKT-Bereich führen hier nun zu einer weiteren gesellschaftlichen
Beschleunigung oder „Gegenwartsschrumpfung“, jedoch nicht ausschließlich: So sind auch technolo-
gische Innovationen im Bereich Transport und Produktion zentrale Faktoren, getrieben durch das öko-
nomische Prinzip „Zeit ist Geld“. Zusätzlich spielen Aspekte wie Individualisierung und Mobilität (in ge-
ographischer, familiärer, beruflicher, politischer und religiöser Hinsicht) eine wichtige Rolle (vgl. Rosa
2005, 2007, 2012). Hypervernetzung ist Teil dieser Beschleunigung und veränderter Zeitstrukturen in
modernen Volkswirtschaften. Hinzu kommt die rasante globale Verbreitung von mobilen Internet-Zu-
gängen. Innerhalb eines Jahrzehnts sind die Erwartungen an spontane Antworten auf digitale Nach-
richten messbar gestiegen (Lebo 2011, S. 126).
Mobile Technologien führen neben der beschriebenen Beschleunigung nachweislich zur Auflösung von
vormals klaren Grenzen zwischen unterschiedlichen Kontexten („Context Collapse“, boyd 2013), wie
zwischen lokal und global, privat und beruflich, Arbeits- und Freizeit, bewusstem und unbewusstem
Teilen von Daten, Produktivität und Ablenkung, verbundenen Menschen und Dingen, online und offline.
Frühe Cyborg-Experimente zeigten außerdem ein Gefühl der Steigerung menschlicher Fähigkeiten
(„Sense of Self-Enhancement“) und der Multi-Lokalität sozialer Begegnungen – die vernetzten Forscher
waren dabei „sowohl hier, aber auch anderswo“ (Turkle 2011, S. 152). Die meisten Betroffenen fühlen
sich dank der Möglichkeiten der Hypervernetzung ihren Freunden und Familien mehr verbunden.
Gleichzeitig ist es ihnen schwieriger geworden, bestimmten Kontakten auszuweichen und viele erleben
dabei einen erhöhten sozialen Druck.
Mobile Geräte ermöglichen ständige berufliche Erreichbarkeit im Privatleben und umgekehrt. Die Er-
fahrungen zeigen, dass viele Angestellte außerhalb der Arbeitszeiten bzw. im Urlaub beruflich erreich-
bar sind, auch wenn sie niemand explizit darum gebeten hat (Syndicom 2015). Wer eher Segmentierer
ist, d.h. gerne klare Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben zieht, erlebt und managt Hypervernet-
zung anders als Integrierer-Typen, die in dieser Hinsicht verwischte Grenzen sogar bevorzugen. Je
nach Kultur variiert die durchschnittliche Technologieakzeptanz und die Praxis der Grenzziehung: In
Nordamerika ist man technikaffiner und kennt allgemein fließende Grenzen zwischen Berufs- und Pri-
vatleben – anders als in Europa. Dort werden Gesetze zu Prävention von Burnout-Erkrankungen de-
battiert, während in den USA diese Debatte kaum geführt wird. Wie gut einzelne Personen sozialem
Druck standhalten können, beeinflusst auch, wie sie digitale Vernetzung handhaben und erleben. Je
besser sich Nutzerinnen und Nutzer sozial abgrenzen können, desto weniger belastend erleben sie
ständige berufliche und private Erreichbarkeit. Nachgewiesen ist: Kein regelmäßiges Abschalten von
der Arbeit führt zu Erschöpfung, die sich langfristig auf Produktivität und Motivation auswirken kann
(Sonnentag/Bayer 2005).
Als insgesamt positiv erlebt wird das zeitlich und örtlich flexible Arbeiten, das durch den mobilen Inter-
net-Zugang in Kombination mit Smartphones, Tablets und Laptops ermöglicht wird. Hypervernetzung
fördert Optionen, im Home Office oder mobil zeitlich flexibel zu arbeiten sowie dadurch den Berufsver-
kehr vermeiden zu können oder die Vereinbarung von Beruf und Familie zu verbessern (Stiftung Pro-
duktive Schweiz 2011). Viele Firmen nutzen mobil-flexible Arbeitsmodelle auch, um als Arbeitgeber
attraktiv zu bleiben (vgl. „Work Smart Initiative“). In der Kreativwirtschaft entstehen zunehmend „Co-
Working-Spaces“, die das flexible Zusammenarbeiten stark vereinfachen. Die Extremform sind „Co-
Workation“-Angebote, die „digitale Nomaden“ an Urlaubsdestinationen mit stabilem Netz-Zugang lo-
cken.
3 Gesundheit
Zentrale Chancen im Bereich Gesundheit durchwegs online zu sein, eröffnen die ständige Möglichkeit,
im Notfall z. B. medizinische Hilfe zu rufen sowie Zugang zu zahlreichen Anwendungen zur Unterstüt-
zung laufender Behandlungen von psychischen Erkrankungen zu haben. Digitales Gesundheitstracking
ermöglicht darüber hinaus einerseits eine persönliche Motivationssteigerung, sich zu bewegen, und
andererseits ggf. ein medizinisches Monitoring. Entsprechend aggregierte Daten (z. B. aus Quantified-
Self-Trackern oder Google Trends) dienen zudem als Grundlage für Big-Data-Analysen für die medizi-
nische und psychologische Forschung, wodurch beispielsweise versteckte Korrelationen identifiziert
werden können (siehe Tab. 1).
Verkehrsunfälle können dagegen als fatalstes Gesundheitsrisiko von Hypervernetzung eingestuft wer-
den. Digital-bedingte Ablenkungen im Verkehr haben zu massiv angestiegenen Verkehrsunfällen ge-
führt; sowohl bei Fahrzeuglenkern, wie auch bei Fußgängern und Fahrradfahrern (vgl. Dingus et al.
2016; Nasar/Troyer 2013). Weniger fatal, dafür sehr prävalent sind Schlafstörungen aufgrund von kog-
nitiver und emotionaler Aktivierung bei intensiver Internetnutzung vor dem Schlafen oder weil das Gerät
als Störquelle – da es als Wecker dient – neben dem Bett liegt und gerade von jüngeren Usern oft nicht
ausgeschaltet wird. Insbesondere bestehen Zusammenhänge zwischen einer abendlichen Nutzung
und reduzierter Schlafdauer aufgrund erhöhten blauen Lichtanteils von Bildschirmmedien, der mit dem
Hormon Melatonin interagiert und damit das Einschlafen verzögert (vgl. Lemola et al. 2014; Chang et
al. 2015).
Onlinesucht ist zwar nach wie vor nicht in den gängigen psychiatrischen Manualen als eigene Störung
aufgeführt, aber ein von der Fachwelt anerkanntes Risiko, das gravierende Auswirkungen haben kann.
Wie andere Verhaltenssüchte ist diese im Kontext persönlicher Belastungen anzugehen (vgl. Willemse
2016). Bestimmte Verhaltensweisen werden dabei als suchtgefährdender eingestuft als andere, z. B.
Online-Glücksspielen, Online-Pornografie oder Online-Communities (Genner 2017, S. 108). Erschwe-
rend kommt hinzu, dass verschiedene digitale Produkte aus geschäftsstrategischen Gründen auf Ab-
hängigkeit der Nutzer hin entwickelt werden: Bestimmte Silicon-Valley-Firmen beschäftigen dabei
Psychologen, die Produkte wie Facebook, Twitter oder Candy Crush gezielt suchtgefährdender gestal-
ten sollen (z. B. Dockterman 2013).
Stressrelevante Phänomene wie Informationsüberlastung und Burnout werden regelmäßig mit Hyper-
vernetzung in Verbindung gebracht. Es bestehen jedoch keine empirischen Beweise, dass Burnout
durch Hypervernetzung verursacht wird, aber eine bedeutende Anzahl von Patienten in Burnout-Klini-
ken erleben ständige digitale Erreichbarkeit als Faktor, der zur Erschöpfung beiträgt (Genner 2017, S.
102f.). Wie die Onlinesucht ist Burnout keine Erkrankung, die von klinischen Manualen anerkannt wird,
und lässt sich auf multifaktorielle Ursachen zurückführen (z. B. Rössler et al. 2013). Weitere Gesund-
heitsrisiken durch intensive Nutzung mobiler vernetzter Geräte, die in der Fachliteratur genannt werden,
sind u.a.: Minderung der Sehkraft (Rosenfield 2011), Nacken- und Rückenprobleme (Hansraj 2014),
„Smartphone-Daumen“ (Ortenau Klinikum 2013), Krankheitskeime auf Geräten (Porter 2012) und
Strahlungsexposition (WHO World Health Organization 2014). Zum Bereich der durch die Digitalisie-
rung im Gesundheitssystem veranlassten Risiken kann schließlich auch die Datensicherheit persönli-
cher Gesundheitsinformationen gezählt werden. Zahlreiche Arztpraxen und Kliniken sichern und ver-
schlüsseln Krankenakten unzureichend und gefährden dadurch Arztgeheimnis und Patientenschutz.
Tabelle 1: Übersicht der gesundheitlichen Chancen und Risiken von Hypervernetzung
Chancen
Risiken
Notruf über Telefonfunktion oder Not-
rettungs-Apps mit Ortungsfunktion (z.
B. Rega)
Digitales Gesundheitstracking über
Sensoren im Smartphone oder kombi-
niert mit Fitness-Trackern
Big-Data-Analysen in der medizini-
schen und psychologischen For-
schung zur Identifikation versteckter
Korrelationen
Erhöhte Arbeitszufriedenheit durch
Möglichkeit, mobil-flexibel zu arbeiten
Verkehrsunfälle bei Ablenkung durch digitale Endgeräte (im Auto, auf dem
Fahrrad und als Fußgänger)
Schlafstörungen durch ständige Erreichbarkeit und blaue Lichtanteile der
Bildschirmbeleuchtung
Informationsüberlastung und Burnout
Online-Sucht
Sicherheit digitalisierter Gesundheitsdaten
Augenschäden, wie Kurzsichtigkeit
Tech Neck (Belastung von Nacken und Wirbelsäule)
Strahlungsexposition
„Smartphone-Daumen“
Krankheitserregende Keime durch Nutzung von Endgeräten auf der Toi-
lette
Indirektes Risiko durch Klimawandel (CO2-Ausstoß der Internet-Nutzung
und Geräte-Herstellung)
Quelle: Eigene Darstellung
4 Bildung
Die zentrale Herausforderung besteht im Bildungssystem, die großen Chancen des omnipräsenten di-
gitalen Wissenszugangs zu nutzen, digitale Kompetenzen zu fördern und gleichzeitig die massiven
digitalen Ablenkungseffekte einzudämmen. US-Lehrpersonen stufen in Befragungen die Ablenkungs-
gefahren digitaler Medien insgesamt als höher ein als die Vorteile durch zusätzliche Online-Recherchen
(Purcell et al. 2012). Studierende sind auch von solchen webfähigen Geräten abgelenkt, die Mitstudie-
rende neben ihnen während des Unterrichts verwenden (Sana et al. 2013). Das Navigieren innerhalb
der Informationsflut ist zu einer anspruchsvollen Bildungsaufgabe geworden, die auch beinhaltet zu
vermitteln, wie seriöse von unseriösen Online-Quellen unterschieden werden können. Noch strittig ist,
was überhaupt unter „digitaler Kompetenz“ zu verstehen ist: Sind dies lediglich technische Anwen-
dungskompetenzen oder auch Programmier- sowie Robotikkenntnisse? Oder gehört dazu auch Hinter-
grundwissen über Algorithmen, die digitale Wirtschaft und Sozialkompetenzen im Bereich der Online-
Kommunikation und -Kollaboration? Schließlich wären vielleicht Kompetenzen nötig, um sich von digi-
talen Ablenkungen effektiv abzuschirmen und um kreativ und produktiv zu arbeiten. Die Lehrerausbil-
dung hinkt dabei der technologischen Entwicklung hinterher, und die Debatte, wie die Möglichkeit, von
überall her sekundenschnell auf Wissen zugreifen zu können, Bildung im Zuge der Digitalisierung ins-
gesamt verändert, ist im Gange: Die Forderungen reichen von der Abschaffung der Schule, wie wir sie
kennen, um kompetenzbasierte Bildungsprogramme mit Lehrpersonen als Coaches weiterzuentwi-
ckeln, bis hin zu bescheidenen Veränderungen im Bildungsbereich, wie der gezielten Förderung von
Medienkompetenz- und Informatikunterricht (Genner 2017, S. 202f.). Bemerkenswert ist in dem Zu-
sammenhang die Tatsache, dass führende Technologie-Experten in den USA ihre eigenen Kinder in
Waldorf-Schulen schicken, welche als besonders restriktiv im Umgang mit digitalen Technologien gel-
ten (Richtel 2011; Bilton 2014). Es zeigt sich, dass Schulordnungen bezüglich der Online-Nutzung nicht
einheitlich verfasst sind: Die einen verbieten mobile Geräte während des Unterrichts, in jüngeren Al-
tersklassen sogar auf dem Schulareal, andere binden gezielt Tablets in den Unterricht ein oder bilden
sog. Laptopklassen. Web-Filter hingegen werden vor allem installiert, um Schulen aus der allfälligen
Haftung für etwaige illegale Aktivitäten über deren Internetanschluss zu befreien (Genner 2017, S.
137f.).
5 Neudefinition von online und offline: ON/OFF-Skala
Im Rahmen des ON/OFF-Projekts wurde nach einer zeitgemäßen Definition von „online“ und „offline“
gesucht, um Chancen und Risiken der individuellen Vernetzung differenzierter beschreiben zu können.
Resultat ist eine user-zentrierte ON/OFF-Skala (siehe Tab. 2), die den momentanen Zustand von On-
line-/Offline-Sein als Kontinuum versteht (und nicht als Dichotomie). Die Skala integriert die Erkennt-
nisse aus dem Projekt zu technologischen Aspekten (z. B. Internet der Dinge, absichtlicher und unab-
sichtlicher Datenaustausch, digitale Überwachung oder Zensur sowie unterschiedliche Formen der
Mensch-Maschine-Interaktion) und zu Fragen der digitalen Privatsphäre. Die Skala soll damit einer
präziseren Verständigung im Zuge der gesellschaftlichen Debatten um Web-Technologien dienen. Sie
erstreckt sich von OFF (Stufe 0, „unplugged“) bis hin zu ON (Stufe 6, „hyperconnected“) und enthält
differenzierte Abstufungen dazwischen (Stufen 1 bis 5). Aus technologischer Sicht wird dabei deutlich,
dass nur Stufe 0 noch als komplett „offline“ gelten kann.
Tabelle 2: ON/OFF-Skala – momentaner Online-/Offline-Zustand einzelner User
ON
OFF
6
5
4
3
2
1
0
Hyper-
vernetzt
Vernetzt
Bewusst
beschränk-
ter Zugang
Einge-
schränkter
Zugang
Entfernte
oder unzu-
verlässige
Verbindung
Offline-
Zugang
Offline und
ohne
Stromver-
sorgung
GERÄT
Eines oder
mehrere ver-
netzte Geräte
in Betrieb.
Zahlreiche
Apps und/o-
der Internet
der Dinge
Gerät für be-
schränkten
Zweck. Klei-
nes oder sehr
langsames
Gerät
Mobiles Gerät
in Betrieb.
Software blo-
ckiert den
Netz-Zugang
zu spezifi-
schen Anwen-
dungen
Mobile Geräte
sind verfüg-
bar, jedoch
mit Ein-
schränkungen
auf Soft- oder
Hardware-
Ebene
Eingeschalte-
tes mobiles
Gerät, aber
keine verläss-
liche Verbin-
dung oder
Gerät wegge-
packt
Gerät im
Flugmodus o-
der ohne
Netzzugang
mit Inhalten,
die über das
Internet bezo-
gen wurden
Kein Gerät.
Oder alle
webfähigen
Geräte ohne
Netzzugang
oder ausge-
schaltet, ohne
Malware oder
ohne Akku
ZUGANG
High-speed
Internet-Zu-
gang
Teilweise be-
schränkter
Netz-Zugang
oder lang-
same Verbin-
dung
Bewusst ein-
geschränkter
Zugang
Internet-Zu-
gang stark
gefiltert
und/oder zen-
suriert
Internet-Zu-
gang tech-
nisch unzu-
verlässig oder
Gerät nicht
sichtbar, Be-
nachrichtigun-
gen per Klin-
geltöne aber
hörbar
Kein Internet-
Zugang oder
Software blo-
ckiert Zugang
vollständig
Kein Zugang
aus geografi-
schen, ökono-
mischen, per-
sönlichen
Gründen, aus
Alters- oder
kulturellen
Gründen
NUTZER/IN
Potenzielles
Online-Mul-
titasking über
verschiedene
Kontexte hin-
weg
Online-Single-
tasking oder
aktives Intera-
gieren, jedoch
eingeschränkt
durch die
technische
Infrastruktur
Könnte ver-
netzte Geräte
unzensiert je-
derzeit nut-
zen, aber be-
wusst limi-
tierte Interak-
tion
Kann ver-
netzte Geräte
nutzen, ist
aber durch
Dritte absicht-
lich stark ein-
geschränkt
beim Abrufen
von webba-
sierten Infor-
mationen
Potenzielles
Hören, Fühlen
oder Sehen
von digitalen
Benachrichti-
gungen, aber
kein aktives
Nutzen von
Geräten
Offline-Nut-
zung von aus
dem Netz her-
untergelade-
nen Inhalten.
Oder kann In-
ternet nicht
nutzen wegen
sozialen oder
regulierten
Einschrän-
kungen
Nicht-Nut-
zer/in, jedoch
potenzielle/r
Proxy-Nut-
zer/in
TRACKING
Datentracking
durch Dritte
ist sehr wahr-
scheinlich und
in vielen Fäl-
len zwingend
nötig oder
auch er-
wünscht
Datentracking
durch Dritte
ist wahr-
scheinlich je
nach techni-
schen Einstel-
lungen oder
Verschlüsse-
lung
Datentracking
durch Dritte
ist wahr-
scheinlich je
nach techni-
schen Einstel-
lungen oder
Verschlüsse-
lung
Datentracking
durch Dritte
ist wahr-
scheinlich,
insbesondere
in Ländern mit
Internet-Zen-
sur und ohne
Meinungsfrei-
heit, je nach
technischen
Einstellungen
oder Ver-
schlüsselung
Datentracking
durch Dritte
ist wahr-
scheinlich,
mindestens
Standortda-
ten, je nach
technischen
Einstellungen
oder Ver-
schlüsselung
Kein Echtzeit-
Tracking, au-
ßer wenn
Malware Da-
ten ausspio-
niert (obwohl
Gerät „offline“
ist oder aus-
geschaltet
aussieht)
Kein Echtzeit-
Tracking
ON
OFF
6
5
4
3
2
1
0
Hyper-
vernetzt
Vernetzt
Bewusst
beschränk-
ter Zugang
Einge-
schränkter
Zugang
Entfernte
oder unzu-
verlässige
Verbindung
Offline-
Zugang
Offline und
ohne
Stromver-
sorgung
BEISPIELE
Nutzer/innen
von einem o-
der mehreren
mobilen und
vernetzten
Geräten in
hoch techno-
logisierten
Ländern. So-
wohl private
wie auch be-
rufliche Nut-
zung. Nut-
zung von In-
ternet-der-
Dinge-Anwen-
dungen. Nut-
zung von
Apps mit akti-
vierten
Standortdaten
Nutzer/innen
von einem
vernetzten
Gerät mit ei-
nem einge-
schränkten
Verwen-
dungszweck
(z. B. Biblio-
thekscompu-
ter, Tablet als
Kasse). Nut-
zer/innen mit
einer sehr
langsamen
Netzverbin-
dung oder
einzig mit ei-
nem Smart-
phone-Zu-
gang (Bild-
schirmgröße
lässt Ausfül-
len von wichti-
gen Doku-
menten nicht
zu)
Nutzer/innen
vernetzter
Geräte mit ak-
tivierter Soft-
ware, die den
Netz-Zugang
bestimmter
Apps blo-
ckiert, meis-
tens aus
Gründen der
Produktivität
oder um mo-
bile Daten zu
sparen (z. B.
Offtime,
SelfControl,
StayFocused,
Roaming
Control)
Nutzer/innen
mit zensier-
tem Internet-
Zugang in au-
toritären Regi-
men oder teil-
weise blo-
ckierter Zu-
gang in Fir-
men und Or-
ganisationen.
Nutzer/innen
mit stark gefil-
terten oder
Jugend-
schutz-Ein-
stellungen.
Nutzer/innen
ohne zuver-
lässige Inter-
net-Verbin-
dung (Ent-
wicklungslän-
der, Konflikt-
zonen, Natur,
U-Bahn). Po-
tenzielles Hö-
ren oder Se-
hen oder Füh-
len (per Vibra-
tion) von Be-
nachrichtigun-
gen, aber kein
aktives Nut-
zen von Gerä-
ten (z. B.
während des
Unterrichts,
während Ge-
sprächen, Es-
sen, Beerdi-
gung oder
klassischen
Konzerten)
Mobiles Gerät
im Flugmodus
oder ein nicht
vernetztes
Gerät für Off-
line-Content
nutzen, der
ursprünglich
aus dem In-
ternet bezo-
gen wurde (z.
B. E-Reader
oder das
„Paquete Se-
manal“ in
Kuba). Spezi-
alfall: verbun-
denes Gerät
in einem Fa-
raday-Käfig
(z. B. Spezial-
tasche oder
Kühlschrank)
Die Mehrheit
der globalen
Bevölkerung
sind Nicht-
Nutzer/innen.
Einige sind in
vernetzten In-
dustrieländern
ganz offline
aus ökonomi-
schen oder
Altersgrün-
den. Oder
Proxy-User:
jemand an-
ders nutzt für
sie das Netz.
Spezialfall:
die meisten
Amischen und
viele Menno-
niten haben
aus kulturel-
len Gründen
keinen Zu-
gang
Quelle: Eigene Darstellung
6 Implikationen für Entscheidungsträger und Ausblick
Wer ist nun verantwortlich, die zahlreichen Chancen von Hypervernetzung möglichst vielen Menschen
zur Verfügung zu stellen und die Risiken für einzelne zu minimieren? In allen Befragungen von ON/OFF
wurde dem Individuum am meisten Verantwortung zugeschrieben. Gleichzeitig gehen viele mit der
Aussage einig, dass das Bildungssystem und auch Arbeitgeber Verantwortung tragen; manche sehen
zusätzlich die Verantwortung in der Politik. Im Folgenden werden Implikationen der ON/OFF-Analyse
für Entscheidungsträger auf unterschiedlichen Ebenen dargestellt.
Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen Ländern mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen
und kaum vorhandenem Internet-Zugang. Politischen Entscheidungsträgern mit globalen Einflussmög-
lichkeiten steht es daher gut an, sich dafür einzusetzen, die globalen digitalen Gräben zwischen hyper-
vernetzten Industrieländern und digital unterernährten Entwicklungsländern zu beseitigen. Die massive
Datenschutzproblematik, die durch Hypervernetzung und Big-Data-Datensätze entsteht, sowie die un-
wünschbaren Möglichkeiten, über Smartphones und weitere vernetzte Geräte Menschen und Organi-
sationen grenzüberschreitend auszuspähen, sollten auf der politischen Agenda eine hohe Priorität ha-
ben. Eher auf nationaler Ebene, gilt es für die Politik, das Thema Public Health und Hypervernetzung
anzugehen: Hierzu zählen einschlägige Regulierungen und Regeln für eine maßvolle Nutzung mobiler
Geräte, um die Verkehrssicherheit zu gewährleisten und um Gesundheitsprävention im Bereich Online-
Sucht, Burnout sowie Schlafqualität zu unterstützen.
Unternehmens- und Führungskultur erweisen sich ebenfalls als zentral im Umgang mit Risiken der
Hypervernetzung: Entscheidungsträger in der Arbeitswelt sollten daher den Einsatz vernetzter Techno-
logie in Arbeitsprozessen grundsätzlich gut überdenken – auch angesichts des „Produktivitätspara-
doxons der Informationstechnologie“. ON/OFF-Experten betonen die Verantwortung des Managements
bezüglich impliziter Erwartungen, falls digitale Kontaktaufnahmen außerhalb regulärer Arbeitszeiten
stattfinden. Insbesondere, wenn mobile Geräte von Firmen abgegeben werden, suggeriert dies bei den
Besitzern eine größere Erwartung an digitaler Erreichbarkeit. Mehrere, insbesondere deutsche Firmen
haben zur Gesundheitsprävention technische Barrieren eingebaut, um Emails abends und an Wochen-
enden auf mobilen Geräten zu blockieren oder bieten ihren Mitarbeitenden die technische Möglichkeit
an, Emails während des Urlaubs löschen zu lassen. Aufgrund unterschiedlicher Persönlichkeitstypen
und Präferenzen, Arbeitswelt und Privatleben zu integrieren oder zu separieren, gibt es trotz der ent-
sprechenden Anstrengungen einzelner Firmen keine einheitliche Lösung, um alle Angestellten mit einer
brauchbaren Regulierung zum Umgang mit digitaler Erreichbarkeit zufriedenzustellen. Der Trend zu
mehr individueller Achtsamkeit hat die westliche Arbeitswelt erreicht und wird auch im Umgang mit
Hypervernetzung als Hilfe zur besseren Selbststeuerung angesehen.
Muss darüber hinaus das Bildungssystem grundsätzlich umgebaut werden, um der Digitalisierung und
Hypervernetzung Rechnung zu tragen, oder braucht die Schule lediglich ein „digitales Update“? In dem
Zusammenhang sind auch folgende Fragen zu klären: Was sind überhaupt die relevanten digitalen
Kompetenzen und beschränken sich diese hauptsächlich auf den technisch kompetenten Umgang mit
vernetzten Geräten? Braucht es mehr digital gestützten Unterricht, „MOOCs“ (kostenlose Onlinekurse
mit großen Teilnehmerzahlen) und „Blended Learning“ (Kombination von Präsenzveranstaltungen und
E-Learning) – oder gerade eben nicht, um Face-to-Face-Austausch, soziale Kompetenzen, Konzentra-
tion und Kreativität zu fördern? Entsprechende Debatten und Bildungsreformen sind bereits im Gange
und bringen teils große weltanschauliche Differenzen ans Licht.
Ein Großteil möglicher Risiken und Chancen sind auch auf individueller Ebene und als familiäre Erzie-
hungsaufgabe anzugehen, wie beispielsweise das Problem digital-bedingter Ablenkungen im Verkehr.
Grenzziehungen zwischen Beruf und Privatleben müssen auch individuell aktiv angegangen werden,
um mögliche Erschöpfungszustände durch Informationsüberlastung zu vermeiden. Schlafstörungen
durch ständige digitale Erreichbarkeit, oder Körperhaltungs- und Augenschäden durch übermäßige Me-
diennutzung können nur durch individuelle Disziplin reduziert werden. Individuelle Strategien, wie be-
wusstes Singletasking statt Multitasking, das durch Hypervernetzung gefördert wird, verbessert die
Konzentration nachweislich; handschriftliche Notizen bleiben im Langzeitgedächtnis länger erhalten.
Je nach persönlichen Umständen sind individuell abgestimmte Nutzungszeiten im Internet einzuhalten,
um Suchterscheinungen vorzubeugen.
Analog zu den Freuden des Autofahrens, des Tabak- und Alkoholgenusses ist zu erwarten, dass es
mehrere Jahrzehnte dauern wird, bis gesellschaftliche Konventionen und politische Maßnahmen etab-
liert sind, um die Vorteile der Hypervernetzung optimal zu nutzen und die Risiken so gut wie möglich
zu minimieren. Noch ist offen, wie die digitalen Äquivalente von Autosicherheitsgurten, Verkehrsampeln
und Jugendschutzgesetzen im Bereich des mobilen Internets aussehen werden.
Dieser Artikel basiert auf dem 2017 erschienen Buch der Autorin „ON/OFF – Risks and Rewards of the
Anytime-Anywhere Internet“ (vdf University Press at ETH Zurich). Es handelt sich dabei um eine Tech-
nologiefolgenabschätzung von Hypervernetzung, deren Kernresultate an der NTA-Tagung in Bonn im
November 2016 vorgestellt wurden. Methodisch basiert die ON/OFF-Studie auf 26 Experteninterviews
(Fachpersonen aus den Bereichen Medizin, Psychologie, IT-Branche, Bildungssektor, Datensicher-
heit), drei schriftlichen Befragungen (N=320) und einer breit angelegten und interdisziplinären Litera-
turrecherche.
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