Der Europarat: Eine Einführung
Abstract
1949 als ein Zusammenschluss zehn westeuropäischer Staaten gegründet, verbindet der Europarat heute 800 Millionen Menschen aus 47 europäischen Staaten. Die Stellung des Europarats im europäischen Integrationsprozess ist jedoch nicht unumstritten. Gerade die thematische wie geografische Erweiterung der Europäischen Union stellt die Zukunft der traditionsreichen Straßburger Organisation in Frage. Dennoch hat der Europarat auch künftig eine wichtige Rolle im europäischen Integrationsprozess zu spielen. Das gilt vor allem für die europaweite Sicherung bzw. Verwirklichung seiner zentralen Wertetrias aus Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Nach einer Einführung in die historische Entwicklung des Europarats analysiert dieses Buch im Detail die institutionellen Strukturen der Organisation und entwickelt im Ausblick eine „Zukunftsagenda“ für den Europarat.
Chapters (12)
Die Geschichte des Europarats lässt sich in vier Phasen aufteilen: ‚Gründung’ (1946–1949), ‚Westeuropäischer Club’ (1949–1989), ‚Erweiterung’ (1990–1996) sowie ‚Zwischen Konsolidierung und Aufweichung’ (seit 1997) (Abbildung 2).
Das Ministerkomitee (commitee of ministers) ist eines der beiden Hauptorgane des Europarats; das andere Hauptorgan ist die Parlamentarische Versammlung. Wie im vorherigen Kapitel geschildert, wurde der Europarat als ‚klassische’ zwischenstaatliche (intergouvernementale) Organisation geschaffen, in der die Staaten die dominanten Akteure sind. Die parlamentarische Komponente ist demgegenüber nachgeordnet. Entsprechend nimmt das Ministerkomitee, als Vertretungsorgan der Mitgliedstaaten, die zentrale Stellung innerhalb der Organisation ein.
Neben dem Ministerkomitee ist die Parlamentarische Versammlung (parliamentary assembly) das zweite „Organ“ des Europarats (Art. 10 der Europaratssatzung). Als die Versammlung am 10. August 1949 erstmals tagte, tat sie das noch unter einer anderen Bezeichnung. Der ursprüngliche Name lautete ‚Beratende Versammlung’. 1974 benannten die Parlamentarier, ihrem Selbstverständnis folgend, die Institution in Parlamentarische Versammlung um. Zwanzig Jahre später beschloss das Ministerkomitee, in allen Europaratsdokumenten ebenfalls diese Bezeichnung zu verwenden.
Dem Ministerkomitee und der Parlamentarischen Versammlung steht laut Art. 10 der Europaratssatzung „das Sekretariat des Europarats zur Seite.“ Das ‚zur Seite stehen’ verdeutlicht die Funktion des Sekretariats: Es unterstützt die beiden Hauptorgane der Organisation bei ihren Aktivitäten.1 Die Unterstützungsleistungen des Sekretariats betreffen sowohl die Entwicklung von Konzepten wie auch deren Umsetzung. Die verschiedenen Aktivitäten des am Sitz des Europarats in Straßburg ansässigen Sekretariats werden weiter unten noch genauer beschrieben. Zunächst richtet sich der Blick auf die Organisationsstruktur.
Am 4. November 1950, und somit nur achtzehn Monate nach Gründung des Europarats, wurde die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten — besser bekannt als Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) — zur Zeichnung aufgelegt. Angesichts der zeitlichen Nähe zwischen Verabschiedung der Europaratssatzung und Zeichnungsauflegung der Menschenrechtskonvention stellt sich die Frage, weshalb mit der EMRK vergleichbare Bestimmungen nicht gleich Teil der Satzung des Europarats wurden. Laut Klebes war der Grund hierfür, dass sich derlei weit reichende Ansprüche, wie sie in der EMRK zu finden sind, im Zuge der Gründung der Organisation noch nicht durchsetzen ließen.1 Damals stand die grundsätzliche Ausrichtung der europäischen Integration — zwischen-oder überstaatlich — zur Debatte, die mit Gründung des Europarats im Sinne der Befürworter der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit ‚gelöst’ wurde.2
Kommunen und Regionen sind seit Jahrzehnten im Rahmen des Europarats präsent. Die Idee lautete, durch die Einbindung von Kommunen und später auch von Regionen einen Beitrag zur Entwicklung und Festigung demokratischer Strukturen auf der substaatlichen Ebene in den Europaratsstaaten zu leisten. Die Vorläufer des heutigen Kongresses der Gemeinden und Regionen des Europarats (fortan: Kongress) reichen zurück bis in die 1950er Jahre. Im Jahr 1957 kam es zur Gründung der Konferenz der Gemeinden Europas. 1974 wurde die regionale Ebene ebenfalls eingebunden in die dann als Konferenz der Gemeinden und Regionen Europas firmierende Institution. Seit 1982 arbeitete diese unter der Bezeichnung Ständige Konferenz der Gemeinden und Regionen Europas.1
Das Amt des Menschenrechtskommissars des Europarats (nachfolgend: Menschenrechtskommissar) geht auf einen Beschluss des zweiten Europaratsgipfels von 1997 zurück. Im Aktionsplan des Gipfeltreffens begrüßten
„the Heads of State and Government (...) the proposal to create an office of Commissioner for Human Rights to promote respect for human rights in the member States and instruct the Committee of Ministers to study arrangements for its implementation, while respecting the competences of the single Court [des EGMR; KB].“1
Nach rund zweijährigen Vorarbeiten wurde die Stelle des Menschenrechtskommissars im Mai 1999 im Zuge der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen des Europarats durch eine Resolution des Ministerkomitees geschaffen.2
Der Schutz vor Folter gehört zu den Kernelementen des Menschenrechtsschutzes. Entsprechend prominent findet sich das Verbot von Folter in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Art. 3 EMRK lautet: „Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“ Als Bestandteil der Menschenrechtskonvention fällt die Überwachung der Einhaltung des Folterverbots somit in das Mandat des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR).
Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI)1 geht auf das erste Gipfeltreffen des Europarats aus dem Jahr 1993 zurück. In der Gipfelerklärung beschlossen die Staats- und Regierungschefs, eine Politik zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz zu verfolgen.2 Konkretisiert wurde diese Vorgabe in einer Deklaration und in einem Aktionsplan.3 Einer der im Aktionsplan festgehaltenen Vorschläge lautete, eine zwischenstaatliche Expertengruppe einzurichten.4 Der Grundstein für ECRI war gelegt.
Die Europäische Kommission für Demokratie durch Recht wurde im Mai 1990 etabliert.1 Die gebräuchliche, dem Sitz der Kommission folgende Kurzbezeichnung lautet Venedig- Kommission (Venice Commission). Grundlage für die Einrichtung der Venedig-Kommission war ein Teilabkommen (partial agreement), dem zunächst 18 Europaratsstaaten angehörten.2 Im Jahr 2002 wurde das Teilabkommen zu einem Erweiterten Abkommen (enlarged agreement) ausgeweitet.3 Grund hierfür war das Interesse von Nichtmitgliedern des Europarats, sich an den Arbeiten der Venedig-Kommission zu beteiligen, und zwar nicht nur als Beobachter, sondern als vollwertige Mitglieder.
Das Zusammenspiel zwischen dem Europarat und anderen internationalen Regierungsorganisationen wurde bereits 1949 in der Satzung der Organisation thematisiert. Allerdings sind die diesbezüglichen Bestimmungen sehr vage und zudem negativ formuliert. Art. 1c der Satzung lautet:
„Die Beteiligung der Mitglieder an den Arbeiten des Europarats darf ihre Mitwirkung am Werk der Vereinigten [sic!] Nationen und der anderen internationalen Organisationen oder Vereinigungen, denen sie angehören, nicht beeinflussen.“
Diese wenig präzise Formulierung stellte keine passende Grundlage dar, um Kontakte zu anderen Organisationen herzustellen. Deshalb wurde bereits 1951 eine Entschließung mit Satzungscharakter (statutory resolution) verabschiedet, welche die Satzung des Europarats faktisch ergänzte. Gemäß der Resolution kann das Ministerkomitee innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Europarats mit anderen internationalen Organisationen Abkommen schließen. Die Abkommen sollen insbesondere festhalten, wie der Informationsaustausch zwischen den Organisationen zu regeln ist.1
Grundsätzlich erachtet der Europarat die Beziehungen zu NGOs als einen wichtigen Bestandteil für das Erreichen des in der Satzung der Organisation anvisierten engeren Zusammenschlusses unter den Mitgliedstaaten.1 Relevant sind NGOs, weil sie als Ausdruck der Interessen und Anliegen der europäischen Bürger und der Zivilgesellschaft betrachtet werden. Eine Zusammenarbeit mit ihnen kann folglich den Bezug des Europarats zu den Menschen und zur öffentlichen Meinung sichern sowie eine stärkere Beteiligung der Bürger gewährleisten:
„They [NGOs; KB] became the representative and competent civil society interlocutors for the Council of Europe’s intergovernmental, interparliamentary and local and regional authorities’ cooperation structures.“2
... September 1946. Darin entwarf er eine Idee der «Vereinigten Staaten von Europa»(Brummer, 2008). Laut Churchill galt es, «to recreate the European Family, or as much of it as we can, and to provide it with a structure under which it can dwell in peace, in safety and in freedom. ...
Der Europarat ist seit seiner Gründung 1949 ein wichtiger Akteur auf dem Gebiet der Fremdsprachen-Policy. Mittels Resolutionen und Empfehlungen setzte er programmatische Ziele für den schulischen Fremdsprachenunterricht, die für die Mitgliedländer nicht verbindlich waren, aber dennoch über kulturelle Transfers Prozesse einer Neuordnung schulischen Wissens in Gang setzten. Die EDK nahm die Empfehlungen des Europarates auf und formulierte 1975 ein nationales Curriculum für Fremdsprachen. Damit sollten die Landessprachen gefördert und die europäische Kulturpolitik umgesetzt werden. Auf kantonaler Ebene verzögerte sich die Neuordnung des Wissens aus pragmatischen und schulorganisatorischen Gründen.
Die Zugehörigkeit zu Europa und damit als „vollkommen europäisch“ wahrgenommen zu werden, war das fi nale Ziel der Türkei, mit dem sie sich 1959 um eine assoziierte Mitgliedschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) bewarb. Als Mitglied im Europarat seit dem Gründungsjahr 1949 nutzte die Türkei auch dieses Forum, um ihre Relevanz im europäischen Integrationsprozess mit Nachdruck zu bekräftigen. Das zentrale Erkenntnisinteresse dieses Beitrags richtet sich daher auf die Frage, wie die türkischen Vertreter die Türkei bezüglich ihrer Zugehörigkeit zu Europa seit dem Antrag auf EWG-Assoziierung 1959 bis zum Abkommen von Ankara 1963 in der Europarats versammlung präsentierten und mit welchen Argumenten sie ihre Bedeutung für die europäische Gemeinschaft begründeten. Dies gibt nicht zuletzt auch Aufschluss darüber, wie sie zu dieser Zeit das contested concept „Europa“ imaginierten und welche inhaltlichen Bedeutungen sie diesem sozialen Konstrukt zuschrieben. Die historisch-empirische Analyse der Protokolle der Europaratsversammlung offenbart schließlich im Ergebnis eine ambivalente Selbstinszenierung der türkischen Abgeordneten als Teil einer Argumentationsstrategie, die ihren Opponenten durch die Berufung auf das Gemeinschaftsethos jegliche Möglichkeit des Widerspruchs nahm.
Durch Instrumente wie PISA erlangte und erhielt die OECD die Autorität, über Erfolg und Scheitern nationalstaatlicher Bildungspolitiken zu urteilen. Regula Bürgi beleuchtet aus historischer Perspektive die Denkstile und Netzwerke, mittels derer diese internationale – vornehmlich wirtschaftspolitische – Organisation zu einer Bildungsexpertin avancieren konnte. Basierend auf vielfältigem Quellenmaterial dringt die Autorin in das Räderwerk der Organisation vor und identifiziert Schlüsseleigenschaften des OECD-Erfolgs.
Der Beitrag geht der Frage nach, ob bei der Anwendung der weitreichenden Notstandsklausel der Europäischen Menschenrechtskonvention noch eine politisch relevante Begrenzung oder Einhegung staatlicher Ausnahmemaßnahmen gegeben ist. Hierzu wird die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte analysiert. Der Straßburger Gerichtshof gesteht den Mitgliedstaaten des Europarats einen weiten Ermessensspielraum zu, akzeptiert jedoch die Notstandsklausel selbst im Ausnahmezustand nicht als Rechtfertigung für gröbste, unverhältnismäßige Menschenrechtsverstöße durch nationale Behörden.
Der Beitrag untersucht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Vereinbarkeit staatlicher Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung mit den in der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleisteten Menschenrechten und Grundfreiheiten. Beschwerden gegen europäische Staaten wegen Menschenrechtsverletzungen mit Terrorismusbezug haben in den letzten Jahren stark an Bedeutung hinzugewonnen. Im Rahmen einer hypothesengenerierenden Studie werden acht Annahmen herausgearbeitet. Eine kontinuierlich zunehmende Aushöhlung von Grundrechten durch Antiterrormaßnahmen kann im Rahmen der explorativen Analyse nicht festgestellt werden. Der Gerichtshof akzeptiert das Ziel der Terrorismuseindämmung in der Regel als Begründung für Grundrechtsbeschränkungen, untersucht aber im Einzelfall unter Würdigung der jeweiligen Umstände, ob der Eingriff noch angemessen oder bereits unverhältnismäßig ist.
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