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Gruppe emeritierter Verkehrsprofessoren Deutschlands und Öster-
reichs
Elektromobilität: Macht der Wandel des Fahrzeugantriebs
den Verkehr umweltfreundlich?
Vorwort
Ehemalige Inhaber von Verkehrslehrstühlen und Leiter von Verkehrsinstituten der
deutschsprachigen Technischen Universitäten/Hochschulen treffen sich einmal jähr-
lich zum Fach- und Erfahrungsaustausch in Fulda. Diese Runde hat sich in großer
Mehrheit mit den Entwicklungen zum Einsatz elektrisch angetriebener Straßenfahr-
zeuge in städtischen und regionalen Verkehrssystemen auseinandergesetzt. Sie for-
dern, die technischen Möglichkeiten in großer Verantwortung für Menschen, Städ-
te und Umwelt sowie unter Beachtung der Qualitäten der Städte zu nutzen, die Wir-
kungen aber auch realistisch einzuschätzen (siehe anschließenden Text).
Die Verkehrsprofessoren sehen die langfristigen Chancen der Elektromobilität zur
Verbesserung des Klima- und Umweltschutzes in städtischen und regionalen Ver-
kehrssystemen. Sie verweisen aber auch auf die zwingenden Erfordernisse, diese
technischen Möglichkeiten im gesamten Zusammenhang städtischer und regionaler
Verkehrs- und Siedlungssysteme abgestimmt einzuführen. Sie legen die vielen
derzeit ungeklärten technischen Fragen offen und fordern daher, den nationalen
Strategierahmen „Saubere Energie im Verkehr“ des bmvit inhaltlich entsprechend zu
erweitern. Zur unabhängigen Erfolgskontrolle der Entwicklung der Elektromobilität
soll auch in Österreich eine „Nationale Expertenplattform Elektromobilität“ eingerich-
tet werden, der auch unabhängige Fachleute der Verkehrsplanung angehören. Die
Professoren fordern umfassende Wirkungsanalysen und Abwägungen auch mög-
licher kontraproduktiver Effekte.
Ein verstärkter Einsatz elektrischer Straßenfahrzeuge im Personen- und Güterver-
kehr ist im Rahmen der Verfolgung der Klimaschutzziele sowie der neuen technolo-
gischen Entwicklungen absehbar. Um einen positiven Beitrag zur Lösung der zukünf-
tigen Verkehrs- und Umweltprobleme in Städten und Regionen im Sinne der Gesell-
schaft und gesamtwirtschaftlicher Überlegungen sicher zu stellen, ist es notwendig,
dass die politischen Entscheidungsträger rechtzeitig die notwendigen Rahmenbe-
dingungen schaffen.
Auf diesem Weg sind aber noch vielfältige offene Fragen zu klären. Eine intensivere
Beteiligung der Städte und Regionen, der Zivilgesellschaft, der Politik, der
Verwaltung und Wissenschaft ist zwingend erforderlich.
Berlin/Wien, 14.11.2017
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Für den Inhalt verantwortlich:
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Klaus J. Beckmann Prof. Dr.-Ing. Helmut Holzapfel
KJB.Kom - Prof. Dr. Klaus J. Beckmann Zentrum für Mobilitätskultur Kassel
Kommunalforschung, Beratung, Moderation und Kommunikation Dörnbergstraße 12
Berlin 34119 Kassel
c/o UrbanPlan, Lützowstraße 102-104 , D-10785 Berlin Tel.: +49561 8075859
Tel.: +49 30 78 795 795 Mobil: +49 157 770 160 79 E-Mail: holz@uni-kassel.de
E-Mail: kjbeckmann.kjb@gmail.com
em. o. Univ.-Prof. Dr. Dr. Gerd Sammer
Institut für Verkehrswesen
Departement für Raum, Landschaft und Infrastruktur
Universität für Bodenkultur Wien
Peter Jordanstraße 82, A-1190 Wien
Tel.: +43 1 47 654 85 600 Mobil: +43 664 410 8907
E-Mail: gerd.sammer@boku.ac.at
Stellvertretend für die emeritierten (ehemaligen) Hochschullehrer:
- Prof. Dr. Gerd-Axel Ahrens (TU Dresden)
- Prof. Dr. Klaus J. Beckmann (RWTH Aachen)
- Prof. Dr. Werner Brilon (Universität Bochum)
- Prof. Dr. Carmen Hass-Klau (Bergische Universität Wuppertal)
- Prof. Dr. Helmut Holzapfel (Universität Kassel)
- Prof. Dr. Hartmut Keller (TU München)
- Prof. Dr. Peter Kirchhoff (TU München)
- Prof. Dr. Uwe Köhler (Universität Kassel)
- Prof. Dr. Eckart Kutter ((TU Hamburg-Harburg)
- Prof. Dr. Gerd Sammer (Universität für Bodenkultur, Wien)
- Prof. Dr. Robert Schnüll (Universität Hannover)
- Prof. Dr. Hartmut Topp (TU Kaiserslautern)
- Prof. Dr. Manfred Wermuth (TU Braunschweig)
- Prof. Dr. Heinz Zackor (Universität Kassel)
- Prof. Dr. Dirk Zumkeller (Karlsruher Institute of Technology)
Beilage: „Elektromobilität: Macht der Wandel des Fahrzeugantriebs den Verkehr
umweltfreundlich?“
P.S.: Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte in Deutschland an Herrn Klaus J. Beck-
mann oder Herrn Helmut Holzapfel, in Österreich an Herrn Gerd Sammer.
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Gruppe emeritierter Verkehrsprofessoren Deutschlands und Öster-
reichs
Elektromobilität: Macht der Wandel des Fahrzeugantriebs den Verkehr umweltfreund-
lich?
1. Jede Form der Energieerzeugung und -nutzung erfordert Aufwand
In der öffentlichen Diskussion wird die Technik des Antriebs von Pkw und Lkw in einen en-
gen Zusammenhang mit den Veränderungen des Weltklimas und der Umwelt gebracht. Es ist
ein weltweit anerkanntes Ziel, die Erderwärmung zu begrenzen. Dabei steht die Begrenzung
der Emissionen von CO2 nach dem Vertrag von Paris im öffentlichen Fokus. Ein weiterer zu
lösender Schwerpunkt liegt derzeit auf den Stickoxyd-Immissionen durch Kraftfahrzeuge
(Kfz) mit Dieselantrieb, woraus sich starke Handlungszwänge ergeben. Aus beiden Zielen
resultieren Veränderungserfordernisse der Verkehrs- und Mobilitätskonzepte vor allem in
Städten im Bereich der Antriebstechnologie.
Der Verkehr hat einen wesentlichen Anteil an den CO2‐Emissionen. Man hat in der vergange-
nen Zeit versucht, die CO2‐Emissionen durch effizientere Technik der Verbrennungsmotoren
zu vermindern. Ein Weg in diese Richtung könnte u.a. der Einsatz von elektrisch angetriebe-
nen Kfz in Verbindung mit moderner Batterietechnik, Brennstoffzellen oder Wasserstoffan-
trieben sein. Insbesondere diese Entwicklung wird von der öffentlichen Hand zunehmend
gefördert, ist in der öffentlichen Diskussion positiv belegt und wird – daraus folgend ‐ von der
beteiligten Industrie weiter entwickelt. Es ist jedoch zu hinterfragen, inwieweit die
E‐Mobilität dem Gesamtziel einer umweltverträglichen Verkehrspolitik dient und mit wel-
chen Nebenwirkungen sie verbunden ist.
Infolge der kaum mehr nachvollziehbaren Diskussionen über Abgaswerte von Dieselmotoren
dreht sich die Debatte um die Zukunft des Verkehrs hauptsächlich um die Fahrzeugantriebs-
techniken, die entweder vorgeschrieben oder quotiert werden sollen. Das gilt insbesondere für
den Elektroantrieb, dessen verpflichtende Einführung zu einem bestimmten Zeitpunkt (z.B.
2030) zu einem Schlagabtausch unter Politikern der verschiedenen Parteien führte. Es ist da-
her notwendig, die Bemühungen um einen effizienteren und umweltfreundlicheren Antrieb
von Kfz und deren Begleitumstände wissenschaftlich umfassend zu bewerten sowie Defizite
der bisherigen Debatte zu thematisieren und Perspektiven aufzuzeigen.
Es gibt immer nur spezifische und aufgrund komplexer Ketten bei der Produktion und der
Nutzung von Energie schwer vergleichbare
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Vorteile und Nachteile einzelner Energieträger
gegenüber anderen. Je nach Standpunkt in der Debatte um künftige Energieträger werden von
den verschiedenen Interessenten nur bestimmte Vorteile des einen oder anderen Energieträ-
gers betont. Vielfach gewinnt man den Eindruck, dass bei dieser Diskussion die Gesetzmä-
ßigkeiten der Physik außer Acht gelassen werden. So ist bei der Erzeugung, Speicherung und
Nutzung von Energie energetischer Aufwand notwendig, bei dem in der Regel direkt oder
indirekt Schadstoffe emittiert oder nur beschränkt vorhandene Ressourcen verbraucht werden.
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Durchaus wesentlich in der Produktionskette von Energie (inklusive Energiespeicher) sind auch soziale Fak-
toren wie Kinderarbeit, Ölförderung in Naturschutzgebieten etc. Diese werden hier, obwohl durchaus rele-
vant nicht näher behandelt.
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Es ist natürlich grundsätzlich von Vorteil, wenn zumindest ein Teil der Kfz mit erneuerbarer
Energie betrieben wird (Wasserkraft, Wind-, Solarenergie). In der einschlägigen Diskussion
werden jedoch oft Probleme von alternativen Antrieben (Elektrofahrzeuge) nicht beachtet. Im
Folgenden wird der in der aktuellen Debatte als Alternative zum Verbrennungsmotor vorran-
gig behandelte Elektroantrieb auf Batteriebasis hinsichtlich einiger, aber bisher wenig beach-
teter Nachteile analysiert. Andere E-Antriebsformen, wie z.B. der Brennstoffzellenantrieb,
werden hier nicht betrachtet, wenn auch viele der Überlegungen dafür Gültigkeit haben. Da-
bei werden entsprechende Defizite in den Strategien aufgezeigt, die unbedingt behoben wer-
den müssen.
2. Defizite beim Vergleich von Elektroantrieb und anderen Antriebsformen
2.1 Vernachlässigung von Größe und Gewicht der Fahrzeuge
Es ist bekannt, dass jeder technische Fortschritt so genannte „Rebound-Effekte“ auslösen
kann (vgl. etwa Santarius, Tilman, 2012). So wird beispielsweise die Energieeinsparung
durch effizientere Fahrzeugantriebe zumindest teilweise durch eine intensivere Fahrzeugnut-
zung sowie durch Kauf und Nutzung größerer sowie schwererer Fahrzeuge mit größerer Mo-
torleistung bei annähernd gleich bleibenden Betriebskosten kompensiert. Genau dieser
Rebound-Effekt war in den zurückliegenden Jahren an der immer exzessiveren Motorisierung
der Pkw zu beobachten – mit steigenden Fahrzeuggrößen und Leistungskennziffern. Bezüg-
lich der Einführung von Elektrofahrzeugen wird allerdings eine derartige Entwicklung bisher
nicht berücksichtigt.
Obwohl heute schon absehbar ist, dass die Durchsetzungsstrategien der Autofirmen nach dem
Vorbild des Tesla Modells S darauf abzielen, mit großen und schweren Wagen in den Markt
für Elektrofahrzeuge einzusteigen und diese dann als „ökologisch“ zu kategorisieren, werden
die entsprechenden Energieverluste durch schiere Größe
2
und Gewicht weder fachlich noch
politisch thematisiert
3
. Vorschub für diese Strategie leistet die Gesetzgebung, die einerseits
verlangt, vorgegebene Flottendurchschnittswerte beim Verbrauch bzw. CO2-Ausstoß einzu-
halten, andererseits aber die Emissionen aus E-Antrieb zu Null und aus Hybrid-Antrieb in
verfälschender Weise herunter rechnet. Auch ohne die Elektrifizierung von Kfz, aber spätes-
tens damit, besteht ein dringender Anlass, Größe und Gewichte von Personenfahrzeugen zu
begrenzen oder wenigstens zu besteuern.
2.2 Vernachlässigung der Beschleunigung
Elektrofahrzeuge können aufgrund der Kennlinie ihrer Motoren bei allen Drehzahlen sehr
stark beschleunigen. Das wird in allen einschlägigen Publikationen fast ausnahmslos als gro-
ßer Vorteil gewertet („toller Fahrspaß“ etc.). Dass die mit diesen Fahrzeugen realisierte hohe
Beschleunigung aber auch Energie kostet, wird ab und zu nur am Rande erwähnt. Dass diese
erhöhte Beschleunigung etwa im urbanen Umfeld sehr gefährlich sein kann, da die Fahrzeuge
sich schnell und geräuschlos nähern und somit Fußgängern und Radfahrern oft nicht ausrei-
chend Zeit für Reaktionen zur Vermeidung von Unfällen bleibt, wird kaum angesprochen. Es
wird auch nicht berücksichtigt, dass die höhere Beschleunigung zu einem höheren Verschleiß
2
Der Energieaufwand steigt überproportional mit der Größe der Frontfläche.
3
Daneben sind Effekte wie der Straßenabrieb zu beachten. Die Straßenzerstörung steigt, grob kalkuliert
(„Cambridge Road Formula“), mit der 4. Potenz der Achslast, ein doppelt so schweres Fahrzeug verursacht
danach um einen Faktor 16 mehr Schäden.
5
der Fahrbahn und der Reifen mit erhöhten Feinstaubemissionen führt. Eine – technisch prob-
lemlose – Begrenzung des Beschleunigungsvermögens von Elektrofahrzeugen ist deshalb
dringend erforderlich
4
, aber auch aus Sicherheitsgründen, da das Reaktionsvermögen der Au-
tofahrer einer immer älter werdenden Gesellschaft zukünftig abnehmen wird.
2.3 Benutzung des Terminus „emissionsfrei“ oder „lokal emissionsfrei“ für Automobile
Bisher wurde häufig betont, dass Elektrofahrzeuge an Ihrem Einsatzort (z.B. in Innenstädten)
keine Emissionen verursachen, also „emissionsfrei“ seien. Nach den Gesetzen der Physik ist
ein emissionsfreies Bewegen großer Massen nicht möglich. Der Tatsache, dass der Strom an
einem entfernten Ort produziert wird und dort ggf. „indirekte Emissionen“ entstehen, wird
lediglich insofern Rechnung getragen, als von „lokal emissionsfreien“ Fahrzeugen gesprochen
wird
5
.
Doch auch diese Bezeichnung ist unzutreffend. Tatsache ist, dass die besonders gefährlichen
Emissionen, nämlich Feinstaub, auch beim Betrieb von Elektrofahrzeugen lokal entstehen.
Der aufgrund der aktuellen Debatten um den Dieselmotor sehr gut untersuchte Straßenquer-
schnitt am Neckartor in Stuttgart, wo die Feinstäube bis zurück zur Quelle analysiert wurden,
zeigt z.B., dass mindestens 85% der emittierten Feinstäube der Größe PM 10 nicht aus den
Motoren kommen. Es handelt sich auch hier um eine sehr komplexe Problematik
6
. Entspre-
chende Ergebnisse der Messungen der Landesanstalt für Umwelt- und Naturschutz Baden-
Württemberg (LUBW) finden sich stets aktualisiert auf der Internetseite der Landesanstalt.
Eine gute Zusammenfassung der Erkenntnisse liefert ein Artikel von Christof Vieweg
7
.
2.4 Vernachlässigung des Energieverbrauches von Elektrofahrzeugen oder entspre-
chend der elektrisch zurückgelegten Distanzen von Fahrzeugen mit „Plug in Hybrid“
„Auch für Elektroautos müssen Effizienzstandards eingeführt werden, um zu verhindern,
dass kostbarer Ökostrom verschwendet wird“ fordert völlig zu Recht der für die Deutsche
Umwelthilfe forschende ehemalige Abteilungsleiter des UBA, Axel Friedrich, in einem Inter-
view
8
.
Ökostrom ist weder zeitlich, noch lokal grenzenlos vorhanden. Nachts bei Windstille ist jede
Kilowattstunde besonders wertvoll (dazu später mehr). Dennoch so zu tun, als sei der Ver-
brauchswert letztlich irrelevant –wie es Ausdrücke wie „Null-Emission“ oder „Zero-Energy“
suggerieren - hat schwerwiegende Folgen. Da dies auch in den offiziellen Verbrauchswerten
so übernommen wurde, lohnt es sich natürlich für Hersteller, gerade große und schwere „Ver-
brenner“ mit hohen CO2-Emissionen durch entsprechend große und schwere (oder noch
schwerere) Elektrofahrzeuge zu ersetzen, da sich dann der „Flottenverbrauch“ für die Marke
effizient reduziert.
Besonders negativ wirkt sich die Regelung bei „Plug in Hybrid“-Fahrzeugen aus, die im prak-
4
Sicher wird auch außerorts das Reaktionsvermögen der immer älteren Personen am Steuer in vielen Fällen
den möglichen Beschleunigungen nicht gewachsen sein.
5
Ein Vergleich der Emissionen bei der Produktion von Strom mit denen bei der motorischen Verbrennung
wird hier nicht vorgenommen, die Literatur dazu ist so vielschichtig wie die auch hier unterschiedlichen
Sichtweisen.
6
Je nach Partikelgröße können wieder Unterschiede auftreten, die etwa auch aufgeladene Benzinmotoren als
Verursacher in den Fokus bringen.
7
Vieweg, Christof: Feinstaub – Die Motoren sind nicht das Problem, in ZEIT-online (2017).
8
vgl. Friedrich, Axel (2017).
6
tischen Betrieb nur dann niedrige Verbrauchswerte von Verbrennungskraftstoff erreichen,
wenn oft genug „elektrisch“ nachgeladen wird. Selbst der angegebene und im Flottenver-
brauch so gerechnete Benzin-/Dieselverbrauch ist durch Überschätzung der elektrisch gefah-
renen Strecken, die ebenfalls mit „Zero“ einbezogen werden, hoch unrealistisch. Dabei bleibt
die Frage der Erzeugung, Speicherung und Verteilung von Elektrizität und der spezifischen
Verluste ungeklärt. Auch die Verfügbarkeit ausreichender Kapazitäten der Stromnetze für
Ladeinfrastrukturen ist nicht automatisch gegeben.
Dringend erforderlich ist die Einführung einer genormten Menge für die CO2-
Gesamtemissionen.
Ein Effizienzstandard für Elektrofahrzeuge könnte etwa der CO2-Äquivalenzwert
9
der im
RDE-Test verbrauchten Elektroenergie sein. Er wäre auch für „Plug in Hybrid“-Fahrzeuge ein
ausreichender Orientierungswert, weil er damit generell den ungünstigen zusätzlichen Ben-
zinverbrauch aufgrund ihres höheren Gewichtes annähernd wiedergibt. Auch die in der EU-
Gesetzgebung festgesetzten Höchstwerte müssen in dieser Einheit mit realistischer – und
nicht in unerreichbar niedriger - Größenordnung angegeben werden.
3. Irrtümer und Fehleinschätzungen bezüglich der Energiebereitstellung
3.1 Energiebereitstellung für Elektrofahrzeuge kein Problem
Schon oben wurde erwähnt, dass Ökostrom eine wertvolle Energie ist. Die räumlich und zeit-
lich unbegrenzte Verfügbarkeit ökologisch erzeugter Elektrizität in jeder gewünschten Menge
wird auf absehbare Zeit nicht möglich sein. Zudem gibt es andere Nachfrager nach dieser
Energie, etwa im Sektor Raumheizung, wenn das Ziel, CO2-Emissionen bis 2050 völlig zu
vermeiden, eingehalten werden soll. Vor allem der Heizenergiebedarf wird auch direkt, insbe-
sondere in Winternächten – trotz Nachtabsenkung – mit dem Energiebedarf für die Aufladung
von Fahrzeugen konkurrieren. Das Szenario einer Winternacht ohne Wind im Jahr 2050 zeigt
z.B., dass erhebliche Investitionen in Speichereinrichtungen erforderlich sein werden, wenn
durchgehend ökologisch erzeugte Elektrizität verfügbar sein soll - und das auch schon ohne
die Berücksichtigung des Energiebedarfs von Elektroautos. Neben den Speichereinrichtungen
ist allein aufgrund der räumlich vom Verbrauchsort entfernten Produktionsmöglichkeiten von
Ökoenergie ein umfassender Netzausbau notwendig, um die Versorgung zu sichern. Viele
Ortschaften sind aktuell mit zu niedrigen Anschlusswerten ausgestattet. Es fehlen integrierte
Konzepte der Erzeugung, der großräumigen und dezentralen Verteilung, der Speicherung und
der speicher-orientierten Umwandlung (to-liquid / to-gas …).
Allein die Erzeugung der Gesamtmenge an Energie für Elektrofahrzeuge ist nicht unproble-
matisch
10
, wenn man unterstellt, dass der bisher verbrauchte fossile Treibstoff vollständig
durch Elektroenergie substituiert werden soll. Dennoch sollte es hier mit entsprechenden An-
strengungen – die allerdings sofort beginnen müssten – Möglichkeiten geben, zumal das Sze-
nario „Alle haben ein Elektroauto“ so schnell nicht Realität werden wird.
3.2 Vernachlässigung lokaler und zeitlicher Spitzen der Energienachfrage für E-Mobile
9
Nach dem jeweils aktuellen Energiemix, damit generell auch ein Impuls für den Ausbau ökologischer Ener-
gieproduktion entsteht.
10
Vgl. die sicher durchaus in den Einzelheiten diskutierbare, aber in der Schilderung der Problematik völlig
korrekte Darlegung des Physikers Vince Ebert (2017) in „Spektrum der Wissenschaft“, der auch auf die zu
erwartenden Spitzenbelastungen hinweist.
7
Die gegenwärtige Diskussion um E-Mobile und E-Mobilität wird vorwiegend von Betriebs-
wirten und Autotechnikern geführt und kaum von Verkehrsplanern, die seit Jahrzehnten die
Zusammenhänge zwischen Siedlungsstruktur und der Verkehrsnachfrage mit ihren Verände-
rungen im
tages-, wochen- und jahreszeitlichen Ablauf mit ihren besonders problematischen räumlichen
und zeitlichen Spitzen zum Forschungsgegenstand haben. Gäbe es diese Spitzen im Verkehrs-
aufkommen nicht, kämen wir mit viel weniger Straßen- und Verkehrsraum aus. Die Bewälti-
gung der räumlichen und zeitlichen Spitzen in der Verkehrsnachfrage stellt ein besonderes
Problem dar, und das schon ohne geplante Abschaltung aller Kohle-, Gas- und Atomkraft-
werke. Dazu fehlen tragfähige Konzepte mit umfassenden Betriebs- wie auch Entwicklungs-
strategien.
Den Bemühungen, die Spitzenstunden zu nivellieren, sind - der Alltag zeigt es - enge Grenzen
gesetzt. Maßnahmen, wie zeitabhängige Gebühren für die Nutzung von Straßenraum oder
Ladeelektrostrom haben immer auch soziale Folgen: Vermögende Menschen können fahren
oder laden, wann immer sie wollen, während das für Haushalte mit geringem Einkommen
nicht gilt. Ein gleichberechtigter Zugang zur Infrastruktur ist jedoch Teil der Daseinsvorsorge
und der sozialen Teilhabe. Daher sind preisliche Maßnahmen nur unter Beachtung sowie
Kompensation ihrer sozialen Auswirkungen vertretbar.
Nicht nur saisonal an bestimmten Tagen im Urlaubsreiseverkehr und im Freizeitverkehr an
bestimmten Wochenenden, sondern auch zu bestimmten Stunden im täglichen Berufsverkehr
treten räumlich und zeitlich extreme Spitzen im Verkehrsaufkommen und somit auch in der
Nachfrage nach Elektroenergie für Automobile auf, die in Zukunft nicht einfach abgedeckt
werden kann. Ansätze, die vor allem die nächtlichen Ladevorgänge entlasten („Charge at
Work“) und im Stromnetz bereits gut versorgte Standorte nutzen, sind in Entwicklung. Für
diese Maßnahmen und die Infrastrukturentwicklung sind jedoch hohe Kosten zu erwarten.
Da der Ladestrom also keineswegs originär „aus der Steckdose“ kommt, werden alle Maß-
nahmen, die das Verkehrsverhalten betreffen, Automobile in der Nutzung sparsamer oder ihre
Nutzung sogar entbehrlich zu machen, durch den Prozess der Elektrifizierung in ihrer Bedeu-
tung noch wichtiger als heute schon. Nicht außer Acht zu lassen ist die europäische und inter-
national zu erwartende Entwicklung und Nachfrage nach motorisierten Verkehrsmitteln, die
noch weit von einer Sättigung entfernt ist.
3.3 Elektroautos benötigen keine zusätzlichen Energiespeicher im Netz, da sie selber
Energiespeicher sind und als solche genutzt werden können
Eindrucksvoll wird immer wieder dargelegt, die Batterien der Elektroautos seien in einem
intelligent gesteuerten Elektronetz („smart grid“) doch selbst als Speicher nutzbar. Daher sei-
en große Fahrzeuge mit großen Batterien eher die Lösung als das Problem. Dabei wird über-
sehen, dass der zeitliche Verlauf des Energiebedarfs für Kraftfahrzeuge mit hoher Wahr-
scheinlichkeit dies nicht erlaubt: Morgens soll das Elektroauto vollgeladen sein, daher kann es
nachts nicht Energie für Licht und - vor allem im Winter - für Heizung und Warmwasser ab-
geben. Wenn morgens nicht die volle Reichweite zur Verfügung steht, kann möglicherweise
das gesamte Tagesprogramm nicht umgesetzt werden.
Die Spitzen der Elektroenergieerzeugung in bestimmten Räumen, etwa die Überschüsse der
Windenergie in Norddeutschland, können heute bei weitem noch nicht im Netz in andere
Räume, beispielsweise nach Süddeutschland, weitergeleitet werden. Alle Computer eines
„smart-grid“ können die Energie einer vollen Batterie eines Fahrzeuges in Kiel nicht nach
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München schicken, wenn das die Kapazitätsgrenzen des Stromnetzes nicht erlauben. Deshalb
muss ein umfassendes Optimierungskonzept, das die zeitliche und räumliche Verteilung der
Energieerzeugung, des Energietransportes über Netze und der Energiespeicherung mit der
Nachfrage nach Energieverbrauch für Verkehr, Raumheizung, Industrie etc. systemwirksam
auf europäischer Ebene erstellt, finanziert und umsetzt.
4. Konsequenzen
Jede Form von Kraftfahrzeugantrieb verursacht Probleme, das gilt auch für den Elektronan-
trieb. Erhebliche Anstrengungen müssen national, europäisch und international so bald wie
möglich eingeleitet werden, wenn der E-Antrieb eine konkurrenzfähige sowie ökologisch und
sozial verträgliche Mobilität gewährleisten und die Zukunft des E-Antriebes gesichert werden
soll. Diese Probleme resultieren insbesondere aus den Ansprüchen hinsichtlich Gewicht, Ge-
schwindigkeit und Beschleunigung der Fahrzeuge einerseits und dem tatsächlichen Energie-
verbrauch sowie Verkehrsverhalten andererseits.
Einen weiteren Problembereich stellen fraglos die Aufwendungen für Herstellung und Erhalt
der Infrastruktur sowie der Energieverbrauch bei der Produktion und Entsorgung von Fahr-
zeugen und Batterien dar.
Eine Zukunft ohne CO2-Emissionen des Kfz-Verkehrs lässt sich definitiv nicht erreichen,
wenn von einem Motorisierungsgrad und einer Kilometerleistung in der heute in westlichen
Industrieländern bestehenden Größenordnung ausgegangen wird, möglicherweise sogar noch
mit Fahrzeugen mit höherem Gewicht und höherer Beschleunigung. Wenn wir den heutigen
Motorisierungsgrad in westlichen Industrieländern nur zur Hälfte auf die ganze Welt übertra-
gen, würde die Anzahl der Fahrzeuge auf dem Planeten schon bald von der eben erst erreich-
ten einen Milliarde auf zwei Milliarden Fahrzeuge steigen. Bei Übertragung des vollen Moto-
risierungsgrades wären es bereits heute mehr als vier Milliarden Autos, eine Anzahl, die alle
Vorstellungen einer ökologischen Verträglichkeit sprengt.
Das Ziel der Umstellung des Kfz-Verkehrs auf Antriebe ohne CO2-Emissionen ist mittel- und
langfristig für den Schutz des Weltklimas und der Umwelt notwendig. Dabei sollten aber die
bisherigen Fehleinschätzungen bezüglich des Elektroantriebes vermieden werden. Ohne eine
verkehrsreduzierende Siedlungs- und Verkehrsinfrastrukturplanung ist jede zukünftige denk-
bare automobile Fortbewegung - auch die elektrische
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- mit einer global untragbaren Belas-
tung verbunden. Eine Debatte über eine andere Siedlungs- und Verkehrsinfrastrukturplanung,
insbesondere auch mit verbesserten Konzepten für den nicht-motorisierten und den öffentli-
chen Verkehr, aber auch das Problem der nicht vorhandenen Kostenwahrheit für den Ver-
kehrsnutzer, ist daher unbedingt im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung notwendig, ge-
nauso wie eine Debatte über Antriebstechniken der Fahrzeuge. Dies ist unpopulär und daher
ein verkehrspolitisches Tabu-Thema.
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Einige Publikationen, die die Abschaffung des Verbrennungsmotors stattdessen in den Mittelpunkt der Ar-
gumentation stellen, sind daher hoch zweifelhaft. Ein genaues Lesen, etwa der Studie des Wuppertal-
Institutes für Greenpeace (Rudolph. F. et al, 2017), in der die Abschaffung der Verbrennungsmotoren gefor-
dert wird, offenbart, dass als Voraussetzung für diese Abschaffung für 2035 weniger als die Hälfte der heu-
tigen Motorisierung, leichtere Autos, ein gewaltiger Zuwachs des ÖV und eine Verkürzung der Wege ange-
nommen werden. Das genau sind aber die schwierigen Punkte, die in der Studie höchst unzureichend prob-
lematisiert werden. Desgleichen zeigt eine gesamtwirtschaftliche Bewertung der Elektromobilität eine Reihe
von nicht außer Acht zulassenden Fragen auf (Raich u. et al, 2012).
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Insgesamt gesehen bedarf es einer Einbindung der Entwicklung von Antriebstechnologien in
integrierte Verkehrskonzepte, die nicht nur auf technologischen Innovationen beruhen dürfen,
sondern auch Nachfrage- und Verhaltensänderungen sowie eine verkehrspolitische Steuerung
zur Erreichung der definierten Ziele (z. B. CO2- und NOx-Reduktion) berücksichtigen müs-
sen. Dabei müssen Handlungsansätze zur Reduktion des Verkehrsaufwandes („Suffizienz“)
die Handlungsstrategien der Verbesserung der „Effizienz“ und der modalen Verlagerung
(„Konsistenz“) ergänzen. Auch eine Elektrifizierung von Zweirädern, Lieferfahrzeu-
gen/Lastkraftwagen sowie von derzeit fossil angetriebenen öffentlichen Verkehrsmitteln ist zu
integrieren.
Quellen
Ebert, Vince Was wäre, wenn wir alle elektrisch fahren würden? Spektrum der Wissen-
schaft, 19.03.2017, im Internet: http://www.spektrum.de/kolumne/was-waere-wenn-wir-alle-
elektrisch-fahren-wuerden/1441400 am 05.09.2017 um12:05.
Friedrich, Axel „Das ist nicht machbar“ Interview mit Joachim Wille in der Frankfurter
Rundschau 17.08.2015, im Internet: http://www.fr.de/wirtschaft/dieselskandal-das-ist-nicht-
machbar-a-1332659 am 05.09.2017 um 13:30.
Rudolph, Frederic et al. Verkehrswende für Deutschland - Der Weg zu CO2-freier Mobilität
bis 2035. Studie des Wuppertal-Institut für Greenpeace, Wuppertal, 2017, im Internet:
https://www.greenpeace.de/presse/publikationen/verkehrswende-fuer-deutschland am 07.09.
13:13.
Raich, U.; Sammer, G.; Stark, J. (2012): Gesamtwirtschaftliche Bewertung von Elektromobi-
lität. e & i Elektrotechnik und Informationstechnik, 3.2012, 162-166; ISSN 0932-383X.
Santarius, Tilman Der Rebound-Effekt. Über die unerwünschten Folgen der erwünschten
Energieeffzienz; Impulse (Hrsg. Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH) Nr. 5,
Wuppertal, 2012, im Internet: http://www.santarius.de/967/wachstum-energieeffizienz-
rebound-effekt/ am 05.09. 2017 um 14:05.
Vieweg, Christof Feinstaub - Die Motoren sind nicht das Problem, in ZEIT-online,
17.02.2017, im Internet: http://www.zeit.de/mobilitaet/2017-02/feinstaub-motoren-
luftverschmutzung-reifen-abrieb-bremsen am 05.09. 2017 um 13:05.