Handbuch Jugendkriminalität: Kriminologie und Sozialpädagogik im Dialog
Abstract
Die Lebensphase 'Jugend' wird häufig mit Defiziten, Störungen und riskanten Verhaltensweisen assoziiert. Besondere mediale und politische Aufmerksamkeit erhalten Jugendliche dann, wenn sie mit strafrechtsrelevantem Verhalten in Erscheinung treten. In diesen publizistisch-politischen Kontexten stoßen kriminologische und sozialpädagogische Befunde und Erkenntnisse häufig auf wenig Interesse. Dieses Handbuch thematisiert daher zentrale Felder der aktuellen wissenschaftlichen Auseinandersetzung über Phänomen und Bearbeitung jugendlicher Kriminalität. Es kommen dabei ebenso konsensuelle wie strittige Befunde zur Sprache.
Chapters (1)
Die kriminologische Forschung zu mehrfacher Straffälligkeit hat zahlreiche theoretische Ansätze entwickelt und empirische Befunde hervorgebracht (zusammenfassend u. a. Blumstein et al. 1988; Boers 2007; Farrington 2003, 2005; Piquero et al. 2003, Schumann in diesem Band). Die Beobachtung, dass individuelle Lebensläufe von wiederkehrendem kriminellem Handeln geprägt sind, und die Aussicht, diese Persistenz vor dem Beginn zu prognostizieren oder zumindest sehr früh zu diagnostizieren und darauf aufbauend Möglichkeiten zu erschließen, wiederholtes kriminelles Handeln zu unterbinden, verleihen diesem Zweig der kriminologischen Forschung immer wieder neuen Antrieb. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit wiederholter Straffälligkeit gewinnt durch die unmittelbare Anwendungsorientierung zudem weit reichende kriminalpolitische Bedeutung. Die Instanzen sozialer Kontrolle, wie Polizei, Gericht und Strafvollzug, sind bestrebt, wiederholt auffällige junge Tatverdächtige durch spezielle Maßnahmen davon abzubringen, weitere Straftaten zu begehen. Vor allem die Polizei hat im Umgang mit jungen Intensivtätern spezielle Maßnahmen entwickelt, um dieser Tatverdächtigengruppe die gesetzlichen Normen mit Nachdruck aufzuzeigen und damit zugleich die Position der Polizei als Instanz sozialer Kontrolle zu bestärken.
In diesem Beitrag eröffnen wir sowohl theoretische wie auch empirische Perspektiven auf geschlossene Unterbringung (bzw. freiheitsentziehende Maßnahmen) in der Kinder- und Jugendhilfe sowie auf die Bedeutung der Herkunftsfamilie als Referenzsystem für junge Menschen in freiheitsentziehenden Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe. Diese besondere Intervention für eine spezielle AdressatInnengruppe wird hinsichtlich der rechtlichen Spannungsfelder und ihrer Herausforderungen mit Blick auf die Möglichkeit einer erzieherischen Beeinflussung unter besonderer Berücksichtigung der Herkunftsfamilie betrachtet. Dazu werden zunächst die Merkmale und Ziele freiheitsentziehender Maßnahmen sowie in historischer Perspektive die wechselhafte Konjunktur dieser Maßnahme in der Kinder- und Jugendhilfe dargestellt. Anschließend wird das Spannungsfeld zwischen Eltern, ihren Kindern und der Kinder- und Jugendhilfe eröffnet, welches sich entlang der unterschiedlichen Rechte und Pflichten der Beteiligten aufspannt. Dem folgt die Darstellung der geschlossenen Unterbringung als Forschungsfeld und die Diskussion ausgewählter Erkenntnisse aus dem empirischen Material einer Befragung junger Menschen, die zuvor in freiheitsentziehenden Maßnahmen untergebracht waren.
Die Erforschung von posttraditionalen Gesellungen Jugendlicher (sei es als Subkultur, Jugendkultur oder Szene; vgl. zur Begriffsunterscheidung Böder et al. 2019a; Eisewicht/Pfadenhauer 2015; im Forschungsüberblick JuBri 2018; Böder et al. 2019b) erfreut sich anhaltender Beliebtheit. Die Er- und Beforschung von jugendlichen Gesellungsformen, die sich durch eine vergleichsweise flache Hierarchie, durch vermeintlich leichte Zugänge, eigenwillige Stilisierungen, kreative Praktiken und Umgangsweisen auszeichnen, scheinen prädestinierte Forschungsgegenstände in einer komplementär verfassten – nämlich zunehmend als flüchtig, dynamisch und individualisiert beschriebenen – Gesellschaft. Die sozialen Transformationsprozesse der Globalisierung, Individualisierung, Mediatisierung, welche moderne Gesellschaften transformieren, lassen sich prototypisch an solchen ‚neuen‘ sozialen Phänomenen studieren, die durch diese Prozesse maßgeblich bedingt sind.
Vom „Proletariat“ und den „arbeitenden Klassen“ spricht heute, über 150 Jahre nach Friedrich Engels‘ (1976) klassischer Studie zur Lage der arbeitenden Klasse in England, kein Mensch mehr. Die erwähnte „Armut“ wird mitunter genannt, meist aber als etwas, das es anderswo gibt, nicht hierzulande. Stattdessen wird sie weitgehend geleugnet (vgl. Butterwegge 2009).
„Niemand von uns kann über seine Lebensumstände beliebig verfügen, aber wir sind frei, diese Begrenzungen zu erkennen, um – stets Objekt und Subjekt zugleich – die Subjektanteile zu vermehren und zu erweitern“, schrieb Erhard Meueler in seinem nach wie vor lesenswerten Buch Die Türen des Käfigs, in dem er Wege zum Subjekt in der Erwachsenenbildung beschrieb, die sich auch und gerade im Rahmen der Hochschulausbildung in Studiengängen der Sozialen Arbeit als „begehbar“ erweisen.
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