Individuelles und soziales Lernen in der Grundschule: Kindperspektive und pädagogische Konzepte
Abstract
Unser Wissen über die Art und Weise, wie einzelne Kinder in der Grundschule im Umgang mit unterrichtlichen Inhalten und in sozialen Bezügen lernen, ist bisher relativ begrenzt. In diesem Band werden aktuelle Forschungsergebnisse vorgestellt, die subtile einblicke in die Perspektive der Kinder und deren Sozialleben vermitteln sowie vorliegende pädagogische und didaktische Konzepte einer kritisch-konstruktiven Prüfung unterziehen.
Chapters (26)
„Untersuchungen zum individuellen und sozialen Lernen in der Grundschule — Kindperspektive und pädagogische Konzepte“ lautete das Rahmenthema der 9. Jahrestagung Grundschulforschung im Oktober 2000 in Landau. Damit wurde ein Thema vorgegeben, das sehr breit angelegt ist und bedeutsame Gebiete der Grundschulforschung benennt.
Der überwältigende Einfluss Jean Piagets auf die Forschung zur kognitiven Entwicklung im Kindesalter prägte auch die Sicht vom Lernen des Grundschulkindes. Das Grundschulalter fällt nach Piaget in die vorletzte Stufe der Denkentwicklung, also in die konkret-operatorische Stufe. Charakterisiert ist diese Stufe insbesondere durch die Tendenz der Kinder, nur gegebene Information in ihr Denken einzubeziehen. So können konkret operatorische Kinder beispielsweise noch nicht systematisch Hypothesen überprüfen, weil sie noch nicht in der Lage sind, neue, nicht explizit vorgegebene Testbedingungen aktiv herzustellen. Auch das beim deduktiven Denken geforderte sprachlogische Ableiten einer Aussage aus einer anderen bereitet Grundschulkindern noch Schwierigkeiten. Erst im Alter von 10–12 Jahren fangen Kinder an, zusätzlich benötigte Information, auf die sie nicht direkt hingewiesen wurden, zu gewinnen (dazu: Miller, 1993; Montada, 1995). Die Interpretation von Piagets Werk ging jedoch häufig deutlich über diese Unterscheidung zwischen konkretem und formalem Denken hinaus. So wurde beispielsweise häufig angenommen, dass das Denken von Grundschulkindern noch so stark an konkretes oder bildliches Anschauungsmaterial gebunden sei, dass der Umgang mit abstrakten Symbol- und Zeichensystemen noch schwer falle. Einer meiner Prüfungskandidaten in Entwicklungspsychologie leitete aus der Piagetschen Theorie sogar die Behauptung ab, dass es eigentlich erst in der formal-operatorischen Phase sinnvoll sei, den Kindern Lesen und Schreiben beizubringen. Selbst wenn weniger extreme Über- bzw. Fehlinterpretationen von Piagets Werk in die Unterrichtpraxis umgesetzt werden, kann dies zu einer bedenklichen Unterforderung von Grundschulkindern führen.
Die Mathematikdidaktik ist eine vergleichsweise junge Disziplin; es ist gerade einmal 30 Jahre her, dass in Deutschland die ersten Lehrstühle besetzt wurden, dass die ersten großen internationalen Konferenzen stattfanden oder dass Zeitschriften weltweite Verbreitung fanden. Mittlerweile ist der wohl unvermeidliche Prozess der ‚Suche nach Identität‘ (Sierpinska & Kilpatrick 1998) weitgehend abgeschlossen, und die Mathematikdidaktik verfügt über spezifische Forschungsfragen und -methoden, deren Entwicklung zweifelsohne von einem fruchtbaren Austausch mit den Bezugsdisziplinen — wie Mathematik, Pädagogik, Psychologie oder Soziologie — profitiert hat (Wittmann 1995).
Fragt man Grundschulkinder, wie es kommt, dass ein Schiff aus Eisen nicht untergeht, so erhält man unterschiedliche Antworten: Ein Schiff schwimmt, „weil es einen Motor hat“ — „weil es so spitz ist, dann drängt das das Wasser so zur Seite (macht dabei mit den Händen die Schwimmbewegungen vom Brustschwimmen vor)“ — „weil es einen Kapitän hat. Wenn er von Bord geht, dann geht es unter, deshalb geht er auch immer als letztes von Bord.“ — „weil Luft drin ist, die zieht das Schiff hoch.“
Eine grundlegende Aufgabe von Sachunterricht ist, die Problemlösefähigkeit und -haltung von Kindern zu fördern (vgl. Einsiedler 1985/1994). Die damit verbundenen didaktischen Konzepte werden in der Literatur zum Beispiel mit Begriffen wie „problemorientierter Unterricht“, „problemlösendes Lernen“ oder „entdeckendes Lernen“ beschrieben. Neuere pädagogische oder didaktische Untersuchungen zu diesem Themenbereich liegen kaum vor.
Speck-Hamdan (1999) vergleicht die der Primarstufe obliegende Einführung in die Kulturtechniken mit einem Schlüssel, mit dem die kulturelle Umgebung erschlossen werden kann. Eine Veränderung der Welt muss dabei eine Veränderung der Werkzeuge, mit denen der Weltzugang eröffnet wird, nach sich ziehen. Die wachsende Bedeutung der Nutzung von medialen Informationsangeboten in neuen Repräsentationsformen stellt die Primarstufe vor neue Aufgaben.
In dem vorliegenden Aufsatz werfe ich Streiflichter auf meine Dissertation „Schülerkooperation im Rahmen von Wochenplanunterricht — Analyse von Unterrichtsausschnitten aus der Grundschule“ (Naujok 2000b). Dies erfolgt in drei Schritten:
1.
Verortung und Skizze der Untersuchung
2.
Ausgewählte konkrete Ergebnisse: Kooperationshandlungen und -typen
3.
Allgemeinere Beobachtungen und Einblicke.
Der folgende Beitrag ist dem interpretativen Forschungsparadigma zuzuordnen (Krummheuer/Naujok 1999) und knüpft an Forschungsarbeiten von Krummheuer (1992, 1997) an. Aufgrund der Annahme der sozialen bzw. dialogischen Konstitution von Lernprozessen haben wir im DFG-Forschungsprojekt „Argumentationsformate im Mathematikunterricht der Grundschule“ (Krummheuer/Brandt 2000) ein Konzept zur Beschreibung der Partizipationsstrukturen im Unterricht entwickelt. Diese Partizipationsstrukturen emergieren im Interaktionsprozess durch wechselseitige Interpretationen. Durch die individuellen Deutungen der Beteiligten werden so die Bedingungen zur Ermöglichung (fachlichen) Lernens erzeugt. Die individuellen Deutungen der Schülerin Sabrina werden im Folgenden mit dem von uns entwickelten Konzept beschrieben.
In diesem Beitrag geht es um eine Szene aus einem Morgenkreis einer vierten Klasse1 Der beobachteten Klasse gehören zu Beginn der Videoaufzeichnungen 18 Kinder, 8 Jungen und 10 Mädchen, an. Sie sind zwischen 9 und 12 Jahren alt und kommen aus sieben verschiedenen Ländern2. Während der Beobachtungswoche wird ein weiterer Junge Schüler der Klasse. Daniel’, um dessen Aufnahme in die Klasse es hier gehen wird, kommt aus Russland. Er spricht kein Deutsch, genau wie Magda, die ebenfalls erst seit wenigen Monaten in Deutschland lebt.
Ich — Du, sowie Wir — Sie implizieren zwei Gegensatzpaare aus dem Spannungsfeld sozialer Erziehung (Hielscher 1987) ebenso wie aus der Kommunikationstheorie (Rodgers 1952; Trautmann 1997). Für Deutungsversuche stellen sie bestimmte Muster des „Miteinander Umgehens“ dar (Meyer/Dauch 1984).
Die Dissertation (Prote 2000), die hier referiert wird, ist eine Literaturarbeit, und zwar eine Sekundäranalyse, in der problemorientiert grundschulrelevante Teilaspekte ausgewählt, analysiert und zusammengeführt werden. Das geschieht durch die Auswertung bereits vorhandener empirischer Studien der Kindheits- und Schulforschung.
Gegenstand der Studie, die sich als ein Beitrag zur Geschichte der Grundschule versteht, sind drei Aufsätze zur politischen Bildung in der Grundschule, die in den Jahren 1968 – 1971 publiziert wurden. Alle drei Artikel erschienen in der sich damals zur selbständigen Zeitschrift entwickelnden „Grundschule“, die seinerzeit noch „Die Grundschule“ hieß. Andere wichtige Publikationen zur politischen Bildung in der Grundschule aus dieser Zeit — so z.B. Artikel in anderen pädagogischen Zeitschriften und Buchpublikationen, wie beispielsweise die Beiträge von Ackermann (1973) oder von Beck (1972) werden nicht übersehen, können aber im vorgegebenen Rahmen nicht berücksichtigt werden.
Die Termini Kindorientierung und Kindgemäßheit durchziehen die gesamte grundschulpädagogische Literatur. Vom Kind aus soll unterrichtet werden, von kindgemäßem Unterricht, einer kindgemäßen Grundschule ist die Rede. Dennoch handelt es sich um „eine im wesentlichen unhinterfragte pädagogische Kategorie“ (FöllingAlbers 1994, S. 117). Das erscheint folgerichtig, zumal heute unbestritten ist, dass nicht von einer Kindheit ausgegangen werden kann. „Die vereinheitlichende Rede von „der Kindheit“ verliert Plausibilität durch die regionale, Schicht — und geschlechtsspezifische sowie — von wachsender Bedeutung — auch die ethnische Differenzierung der Lebensverhältnisse und Lebenschancen von Kindern in Deutschland“ (Honig 1999, S. 98).
Dieser Beitrag stellt in einer knappen Skizze einige wichtige Annahmen und die Anlage eines Forschungs- und Ausbildungsprojekts vor, das wir 1999 an der Universität-Gesamthochschule Siegen begonnen haben (ausführlicher unter www. uni-siegen. de/~AGPRIM). Studierende schreiben in ihrer Staatsarbeit ein Porträt eines Kindes, mit dem sie über mehrere Wochen hinweg eine Reihe von Aufgaben zu verschiedenen fachlichen und Persönlichkeitsdimensionen durchgeführt, das sie in unterschiedlichen Situationen beobachtet und über das sie mit mehreren Bezugspersonen gesprochen haben.
Im Sommer 1995 begann die biografische Fallstudie, in deren Mittelpunkt das Mädchen Tina steht, welches zu diesem Zeitpunkt eingeschult wurde. Das Forschungsinteresse zielte auf die Frage, wie Grundschulzeit aus der Perspektive eines Kindes wahrgenommen, erfahren und bewertet wird. Dabei richtete sich die Aufmerksamkeit nicht nur auf die Schule, sondern auf alle Bereiche, die für das Kind aus dessen Sicht bedeutsam waren.
An der Universität Potsdam haben Lehramtsstudierende im Rahmen ihrer Ausbildung in Allgemeiner Grundschulpädagogik und -didaktik die Möglichkeit, an einem Projektseminar unter dem Thema „Unterrichten und Lernen in den Klassen 5 und 6“ teilzunehmen und so in diese Problematik einzudringen. Ausgehend vom Projektansatz stehen ihre eigenen Fragestellungen im Mittelpunkt. Da gerade für die Altersstufe der 10- bis 12-jährigen bzw. für die Klassenstufen 5 und 6 nur relativ wenige Studien und Veröffentlichungen existieren, versuchen Studierende, ihr Wissen durch eigene Forschungsstudien zu erweitern.
In jüngerer Literatur zu Methoden der Befragung von Kindern (Heinzel 2000, Honig/Lange/Leu 1999) wird eine wesentliche Differenz von kindlichen und erwachsenen Ausdrucksformen in der Verbalisierungsfähigkeit gesehen. Forscher sollten sich daher von ihrer Fixierung auf Sprache ein Stück weit lösen und „kindgerechte“, z.B. nonverbale Ausdrucksformen nutzen (Heinzel 2000a, S.26f und Fuhs 2000, S.90).
„Wenn ich ein Millionär wäre und könnte mir die Zukunftsschule bauen“, so schreibt der Bremer Schulreformer Heinrich Scharrelmann (1922) vor rund achtzig Jahren, „ich würde über die Tür schreiben ‚Nichts ist so ordinär als Eile‘.“ Zeitdruck und starres Stundendiktat dominieren wie vielfach den Schulalltag für Kinder und Lehrkräfte. Lernen gelingt jedoch zumeist besser mit einer flexibleren Zeitorganisation. Diesem Umstand tragen Halbtagsgrundschulen, die mit einem erweiterten Zeitrahmen über die stundenplanmäßige Unterrichtszeit hinaus das Schulleben in festen Zeiten für alle Kinder bis mittags gestalten, am ehesten Rechnung. Dies bedeutet eine Fortführung der pädagogischen Grundschulreform zugunsten eines Lern-, Erfahrungs- und Lebensraums und hat vielerorts zumindest die Lernkultur in Primarschulen entwickeln lassen.
Verschiedene Grundschulforscher/innen haben in unterschiedlichen Beiträgen festgestellt, dass es zur Öffnung von Unterricht zwar zahlreiche und anschauliche Erfahrungsberichte und Umsetzungsvorschläge gibt, dass die empirische Forschung allerdings immer noch als lückenhaft zu bezeichnen ist (vgl. z.B. Einsiedler 1997; Hanke 2000; von Saldern 1998). Diese Lückenhaftigkeit mag zum einen darin begründet sein, dass Grundschulforschung noch wenig empirisch ausgerichtet ist (vgl. Valtin 2000); es existieren m.E. jedoch auch methodische Probleme, die durch die Sache selbst begründet sind. Dies wird besonders deutlich, wenn man die Reviews oder Metaanalysen über bereits durchgeführte Studien zu den Auswirkungen ‚offener Unterrichtsformen‘ betrachtet (vgl. Brügelmann 1998; aber auch schon Giaconia & Hedges 1983). Im Folgenden möchte ich einige dieser Probleme kurz aufreißen und darauf basierend Überlegungen zur empirischen Forschung zur Öffnung von Unterricht anstellen.
Seit den Diskussionen um die Lateinische Ausgangsschrift in den 70er Jahren ist es in der deutschen Grundschulforschung um diese Thematik eher ruhig geworden. In Erinnerung ist Grünewalds Kritik an ihren Formen und den dafür notwendigen Bewegungsmustern. Hierzu zählen u.a. fehlende Übereinstimmungen zwischen Haltestellen bei Buchstabenformen und Geschwindigkeitsnullpunkten der Bewegung oder zu häufige Drehrichtungswechsel (vgl. u.a. Grünewald 1970). Auch wenn die empirischen Methoden Grünewalds und daraus gezogene Schlüsse im Zusammenhang mit der Vereinfachten Ausgangsschrift in jüngster Zeit immer wieder kritisiert wurden (Topsch 1996, 1998), so ist doch die zugrunde liegende Idee und die daraus entstandene Vereinfachte Ausgangsschrift als ein erster Schritt in Richtung graphomotorischer Vereinfachungen wertzuschätzen. Zumal zu sehen ist, dass Grünewald als einer der wenigen sich mit der empirischen Überprüfung von Bewegungsaspekten beim Schreiben auseinander gesetzt hat und für die beiden anderen in Deutschland gängigen verbundenen Ausgangsschriften keinerlei empirische Nachweise vorliegen (Richter 1998).
Fremdsprachenlernen in der Grundschule ist in aller Munde und wird national und international zunehmend institutionalisiert. Trotz einer Flut an Publikationen zu diesem Bereich ist ein Mangel an qualitativen Untersuchungen zu verzeichnen; vor allem Unterrichtsforschung ist kaum vorhanden, die Perspektive der Lernenden wird selten einbezogen (vgl. zum Forschungsstand u.a. Blondin et al 1998). Diese Defizite erstaunen umso mehr, als dass man bislang von einem ‚Königsweg‘ frühen Fremdsprachenlernens weit entfernt ist, ein übergreifendes didaktisches Modell noch aussteht. Zu den unzureichend geklärten Fragen für den Bereich Schriftlichkeit zählen z.B.: Welche Rolle kann Schrift im grundschulischen Fremdsprachenunterricht spielen? Welche Lernprozesse finden beim Lesen und Schreiben in der Fremdsprache bei Grundschulkindern statt? In der fachdidaktischen Diskussion um den Einbezug von Schrift wird oft von unhinterfragten und unbewiesenen Annahmen — ich spreche von ‚fachdidaktischen Gewissheiten‘ — ausgegangen. Diese werden als Gründe für die sekundäre Rolle angeführt, die Schrift im Fremdsprachenunterricht spielen soll. So wird der vorsichtige Einbezug von Schrift u.a. mit Interferenzgefahren, dem Argument der Überforderung und mangelnden Voraussetzungen der Lernenden begründet (vgl. u.a. Kierepka 1999). Aus einer kritischen Perspektive heraus lässt sich der empfohlene Schrifteinbezug folgendermaßen charakterisieren:1
die schriftbezogenen Vorerfahrungen der Lernenden werden nicht einbezogen bzw. zur Kenntnis genommen
Schrift wird bloße Stütz- und Übungsfunktion und keine kommunikative Funktion zuerkannt
Schrift wird auch keine Funktion im Sinne eines Erkenntnisinstrumentes zugewiesen
der Einbezug von Schrift erfolgt nach strengen Prinzipien: ‚Nichts darf gelesen werden, was nicht vorher gesprochen wurde, nichts darf geschrieben werden, was nicht vorher gelesen wurde‘
Schrift wird in ihrer Komplexität reduziert, d. h es werden mündlich bekannte, einfach strukturierte, meist einzelne Wörter im Schriftbild angeboten
der Zugriff auf Schrift verbleibt in der Hand des Lehrenden und wird von diesem gesteuert
Deutlich wird, dass der in der Fachdidaktik empfohlene Umgang mit Schrift sich durch ein Bemühen auszeichnet, den Lernenden vor Überforderung zu schützen sowie Fehler möglichst von vornherein zu vermeiden. Des Weiteren kann eine starke Außensteuerung des Lernens konstatiert werden, die vor allem über eine Reduzierung, Vereinfachung und Stufung des Lernangebotes erfolgt. Der Lernende wird reduziert auf seine Rolle als Anfänger in der Fremdsprache. Schriftsprachbezogenes Lernen wird nicht im Sinne eines aktiven, problemlösenden Konstruktionsprozesses des Lernenden verstanden. Der Blick auf die Grundschulpädagogik kann hier zu einer erweiterten Perspektive beitragen — Erkenntnisse grundschul-pädagogischer Forschung werden in der Fachdidaktik aber bislang leider kaum zur Kenntnis genommen.
Die Grundschule hat heute Aufgaben zu bewältigen, die ein verändertes Selbstverständnis und ein besonderes Qualifikationsprofil von Lehrkräften erfordern.
Was sagen Lehrkräfte über ihre Aufgaben im 1. und 2. Schuljahr? Sehen sie die Vermittlung der Kulturtechniken im Vordergrund? Stellen sie die Lernbereiche Deutsch und Mathematik mit zusätzlichen Stunden in die Mitte des Grundschulunterrichts? Oder arbeiten sie ausgehend von der Situation der Klasse und der Kinder vorwiegend an Sachthemen, in die sie die kulturtechnischen Lehrgänge einbinden? Stimmen überhaupt Wunschvorstellungen und Praxis überein?
Schon lange werden Forderungen an die Lehrerausbildung gestellt, Methoden zu finden, die Unsicherheiten auf der Sach- und Beziehungsebene im Schulalltag (Floden/Clark, 1991) schon im Vorfeld während der Lehrerausbildung abbauen. Eine Lösung ist, bereits Studierende mit Realsituationen zu konfrontieren, die über das Unterrichten und Vermitteln von Inhalten hinausgehen und sie für besonders belastende Beziehungskonflikte durch Supervision zu sensibilisieren und zu öffnen. Für Lehrer ist Supervision, wie Linden (1994) und Garz (1996) zeigen, eine Hilfe, um Probleme, die sich aus dem pädagogischen Dreiecksverhältnis Lehrer-Schüler-Lerninhalt ergeben, besser zu verstehen und um die eigene Arbeit und ihre Wirkung auf andere zu hinterfragen.
Ansätze in der neueren Wissenspsychologie (vgl. Gerstenmaier/Mandl 1995; Reinmann-Rothmeier/Mandl 1999) gehen davon aus, dass Unterrichten („Lehren“) nicht mit „Unterweisen“ gleichzusetzen ist. Lernen geschieht nicht etwa durch die Übertragung des Lehrerwissens auf SchülerInnen im Sinne einer „direct transmission“, sondern in einem aktiven, konstruktiven, kooperativen, situierten und weitgehend selbstgesteuerten Prozess, in dem SchülerInnen — auch im Gespräch untereinander — Vorstellungen aufbauen und überprüfen. In der Grundschuldidaktik wurden diese Ansätze inzwischen vielfach aufgegriffen (vgl. Möller 2001).
Bislang ist stillschweigend davon ausgegangen worden, dass Reformschulen auf das Regelschulwesen positiv wirken. Ob und in welchem Umfang die positive Wirkung geschieht, ist bislang empirisch nicht systematisch untersucht worden (Drerup 1989). Daraus ergibt sich das Anliegen, dieses Problem erstmals mit den Möglichkeiten empirischer Sozialforschung exemplarisch zu bearbeiten — und zwar am Beispiel der Bielefelder Laborschule und ihrer Möglichkeiten zur Verbreitung ihrer Ideen und Reformkonzepte in das Regelschulwesen. Die Fragestellung lautet also: „Wie sind die Möglichkeiten zur Rezeption von Konzepten und Ideen der Bielefelder Laborschule (als Beispiel für eine Reformschule) durch das Regelschulwesen im Primarstufenbereich beschaffen?“
... Die spezifischen Bedürfnisse der einzelnen Kinder müssen diagnostiziert werden, um die Motivation und das Interesse der Kinder zu nutzen und angemessen zu fördern. Je nach Inhalt und Angebot werden soziales wie auch individuelles Lernen angeregt (Petillon, 2002). ...
Obwohl traditionell große Unterschiede zwischen Kita und Grundschule bestehen und bei Erzieherinnen und Erziehern (im Folgenden: pädagogischen Fachkräften) und Grundschul-lehrpersonen ein grundlegend verschiedenes Verständnis der eigenen Profession vermutet werden kann, ist das Zusammendenken der beiden Institutionen vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Ansprüche notwendig. Werden aktuelle Forschungsergebnisse hinzugezogen und Begrifflichkeiten auf ihre Gemeinsamkeiten hin untersucht, zeigt sich, dass sich erforderliche professionelle Kompetenzen der beiden Berufsgruppen und Qua-litätsmerkmale der unterschiedlichen Institutionen nur marginal unterscheiden: Der An-spruch an Qualität ist nicht nur sowohl in Grundschule als auch Kita hoch, er ist auch in sei-ner Ausdifferenzierung durchaus vergleichbar. Allerdings ist, um diese Qualitätsmerkmale auch im gemeinsamen Diskurs stärker zu verbinden, ein grundlegendes Modell erforderlich, mit welchem die angestrebten Lernprozesse und die damit verbundenen Potenziale zusam-mengedacht werden können. In diesem Text wird dazu das Cognitive-Apprenticeship-Modell als Reflexionshintergrund hinzugezogen, um Möglichkeiten der Anregung von Lerngelegenheiten und der Unterstüt-zung bei ihrer Bearbeitung in Kita und Grundschule zu untersuchen. Darauf aufbauend wird eine Organisationsform des Lernens und seiner Anregung vorgeschlagen: Die drei Phasen Einführung, Exploration und Reflexion bilden das einfachste Ablaufmodell, mit dem so-wohl pädagogische Fachkräfte als auch Lehrpersonen angestrebte Lernprozesse planen und reflektieren können.
... Die spezifischen Bedürfnisse der einzelnen Kinder müssen diagnostiziert werden, um die Motivation und das Interesse der Kinder zu nutzen und angemessen zu fördern. Je nach Inhalt und Angebot werden soziales wie auch individuelles Lernen angeregt (Petillon, 2002). ...
Obwohl traditionell große Unterschiede zwischen Kita und Grundschule bestehen und bei Erzieherinnen und Erziehern (im Folgenden: pädagogischen Fachkräften) und Grundschul-lehrpersonen ein grundlegend verschiedenes Verständnis der eigenen Profession vermutet werden kann, ist das Zusammendenken der beiden Institutionen vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Ansprüche notwendig. Werden aktuelle Forschungsergebnisse hinzugezogen und Begrifflichkeiten auf ihre Gemeinsamkeiten hin untersucht, zeigt sich, dass sich erforderliche professionelle Kompetenzen der beiden Berufsgruppen und Qua-litätsmerkmale der unterschiedlichen Institutionen nur marginal unterscheiden: Der An-spruch an Qualität ist nicht nur sowohl in Grundschule als auch Kita hoch, er ist auch in sei-ner Ausdifferenzierung durchaus vergleichbar. Allerdings ist, um diese Qualitätsmerkmale auch im gemeinsamen Diskurs stärker zu verbinden, ein grundlegendes Modell erforderlich, mit welchem die angestrebten Lernprozesse und die damit verbundenen Potenziale zusam-mengedacht werden können. In diesem Text wird dazu das Cognitive-Apprenticeship-Modell als Reflexionshintergrund hinzugezogen, um Möglichkeiten der Anregung von Lerngelegenheiten und der Unterstüt-zung bei ihrer Bearbeitung in Kita und Grundschule zu untersuchen. Darauf aufbauend wird eine Organisationsform des Lernens und seiner Anregung vorgeschlagen: Die drei Phasen Einführung, Exploration und Reflexion bilden das einfachste Ablaufmodell, mit dem so-wohl pädagogische Fachkräfte als auch Lehrpersonen angestrebte Lernprozesse planen und reflektieren können.
Im Folgenden ordnen wir das Jahrbuch konzeptionell ein, indem wir die inhaltlichen Schwerpunkte der Siegener Tagung kurz erläutern und über bisherige „Begegnungen“, ausgewählte Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Grundschul- und Kindheitsforschung referieren.
Kindheitsforschung und Grundschulforschung haben sich in zwei unterschiedlichen Theorie- und Empirie-Traditionen entwickelt. Diese These möchten wir im Folgenden erläutern, indem wir die unterschiedliche Herkunft der beiden Forschungstraditionen zusammenfassend referieren (1). Auch wenn eine solche Gegenüberstellung in der Kürze der Darstellung zur Stereotypisierung (ver-)führt, ist sie doch hilfreich, weil sie grundlegende Differenzen in den beiden Mainstreams sichtbar und damit auch Schwierigkeiten ihrer Verknüpfung verständlich macht.
Der Kindergarten ist als eine anerkannte sozialpädagogische Institution frühkindlicher Erziehung, Bildung und Betreuung aus
der hiesigen Bildungslandschaft nicht wegzudenken. Ab einem bestimmten Lebensalter sei er zur kulturellen Selbstverständlichkeit
geworden, heißt es im 10. Kinder- und Jugendbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Jahres
1998. Ebenso wenig ist Kinderleben ohne Schulbesuch denkbar. Jedes Kind im schulpfl ichtigen Alter hat eine öffentliche oder
private Schule unter staatlicher Kontrolle zu besuchen, wobei die vierjährige Grund- oder Primarstufe (Grundschule) die notwendig
zu durchlaufende Basis für den weiteren, sich anschließenden Besuch einer Sekundarschule bildet. Anders als im vorschulischen
Bereich, in dem das Prinzip der Freiwilligkeit traditionell verankert ist, stellt Schule seit der Einführung der gesetzlichen
Schulpfl icht zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Leben der Heranwachsenden ein Obligatorium dar. Darüber hinaus ist der Schulbesuch
kostenfrei, für den Kindergartenbesuch hingegen werden den Familien Gebühren in Rechnung gestellt.
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