Hintergrund und Ziele Das Phänomen »Liebe« in all seinen Facetten beschäftigt seit Jahrzehnten zahlreiche Wissenschaftler in unterschiedlichen Disziplinen. Nachdem in den 70er und 80er-Jahren mit dem Aufschwung der Gender Studies zahlreiche Studien zu Geschlechtsunterschieden in romantischen Beziehungen durch-geführt wurden, stand in den letzten Jahren der Gender-Aspekt der Liebe allerdings oft nur selten im zentralen wissenschaftlichen Mittelpunkt und dann meist lediglich in Form eng umrissener Fragestel-lungen. Ziel dieser Arbeit ist es, einen breit gefächerten und ungefilterten Fokus auf die Liebe von Mann und Frau in unterschiedlichen Beziehungsphasen – ihre Unterschiede, aber auch ihre Gemein-samkeiten – zu werfen. Untersucht wurden die Probanden und Probandinnen in Bezug auf ihren Liebesstil, ihre Ausprägung an Leidenschaft, Beziehungsaspekte, Bindungsverhalten, Persönlichkeit sowie Manie und Depression. Material und Methode An der Romantic Love-Studie (Psychiatrische und Psychotherapeutische Klinik des Universitätsklini-kums Erlangen, Arbeitsgruppe: Prof. Dr. med. J. Kornhuber) nahmen 330 Probanden teil. In die vorliegende Arbeit gingen die Daten von 316 Probandinnen und Probanden ein, darunter unter anderem 105 glücklich Verliebte, 58 unglücklich Verliebte und 95 Langzeit-Verliebte auf verschiedene psycho-metrische Merkmale untersucht. Verwendung fanden das Marburger Einstellungs-Inventar für Liebes-stile (MEIL), die Skala zur Erfassung leidenschaftlicher Liebe (Passionate Love Scale, PLS), das Hamburger Persönlichkeitsinventar (HPI), die Bindungsdiagnostische Skala (Relationship Scales Questionnaire, RSQ), die Manie-Selbstbeurteilungsskala (MSS) und das Beck Depressions-Inventar II (BDI II) sowie der Partnerschaftsfragebogen (PFB). Ergebnisse Insgesamt weisen Mann und Frau innerhalb der Romantic Love-Studie viele Gemeinsamkeiten auf (Depression, Manie, Leidenschaft, Bindungsverhalten u.v.m.). Unterschiede zeigen sich vor allem in den Persönlichkeitseigenschaften Risikobereitschaft für den glücklich verliebten und den frisch ge-trennten Mann sowie Extrovertiertheit für die glücklich verliebte und Neurotizismus für die unglücklich verliebte Frau. Innerhalb der Liebesstile fällt der glücklich verliebte Mann durch signifikant schwächere Ergebnisse in Ludus, die Langzeit verliebte Frau hingegen durch vermehrt Eros und ebenso vermindert Ludus auf. Der Vergleich der einzelnen Geschlechter in ihren eigenen Kohorten ergab, dass auch hier Mann und Frau viele Ähnlichkeiten aufweisen (Kontrolliertheit in den Langzeit-verliebten Kohorten, Bedeutung einer sicheren Bindung für Beziehungszufriedenheit, Nachteil Mania für das Führen einer Beziehung u.v.m.) Unterschiede zeigen sich hingegen vor allem im weiblichen Bindungsverhalten. Die Frau in einer langjährigen Beziehung erweist sich in ihrem Bindungsstil als sicherer als die frisch getrennte Frau, die sich in ihrem Stil als ängstlich-vermeidender präsentiert. Die Ergebnisse der eben genannten Bindungsstile sind Alterseinflüssen unterlegen. Schlussfolgerungen Im direkten Vergleich von Mann und Frau in den einzelnen Beziehungsstadien zeigen sich im Liebesstil und in der Persönlichkeit bedeutsame Differenzen. Dabei fallen erstmals in einem Gendervergleich männliche Probanden durch eine stark signifikante risikobereite Persönlichkeit auf, und hier vor allem unter den frisch getrennten und frisch verliebten Studienteilnehmern, nicht jedoch unter den Lang-zeit-Verliebten. Dies deutet auf einen ambivalenten Nutzen der Risikobereitschaft für das Führen einer Beziehung hin. So vermag es der Initiation einer solchen dienen, auf Dauer jedoch einer stabilen Paarbeziehung schaden. Während ubiquitär dem Mann ein spielerischer und promiskuitiver Umgang mit der Liebe bescheinigt wird, weist der frisch verliebte Mann der Romantic Love Studie dazu einen verminderten Hang auf. Dies ist möglicherweise ein Hinweis darauf, dass die junge Liebe seine spiele-rische Seite mildert oder aber, dass Männer mit niedrigen Ludus-Werten für das andere Geschlecht in Bezug auf Partnersuche einen besonderen Reiz ausstrahlen. Die weiblichen Probanden neigen hingegen in ihrer Persönlichkeit vor allem unter den frisch Verlieb-ten vermehrt zu Extrovertiertheit. Äquivalent zur Risikobereitschaft bei den Männern dieser Kohorte könnte diese Persönlichkeitsausprägung den Beginn einer Beziehung erleichtern oder aber die junge Liebe fördert die Extraversion-Anteile in den verliebten Frauen. Und während die Männer zu Beginn einer Beziehung wenig Ludus besitzen, ist dies bei den Frauen in langjährigen Partnerschaften der Fall. Für die Frau scheint in dieser Beziehungsphase entweder die Partnerschaft einen dämpfenden Effekt auf ihre spielerische Seite zu besitzen, oder aber ein Mangel an Ludus stellt einen Vorteil für das Führen einer langjährigen stabilen Partnerschaft dar. Ganz klar unterscheidet sich allerdings die Frau dieser Kohorte vom Mann dadurch, dass sie in ihrer Liebe romantischer ist. Während zuvor meist dem Mann mehr Eros zugeschrieben wird, ist es hier erstmals die Frau, welche sich als die Romantikerin in einer langjährigen Beziehung erweist. In Bestätigung früherer Studien, welche Neurotizismus mit beziehungsschädigenden Eigenschaften sowie einer Frauenwendigkeit verbinden, weist die frisch getrennte Frau im Vergleich zum Mann ein verstärktes Maß an Neurotizismus auf. Insgesamt zeichnen sich die Frauen in ihrer Gesamtheit als manischer und neurotischer aus als die Männer. Hier zeigt sich allerdings, dass mit dem Alter diese Aus-prägungen sinken, ein Hinweis darauf, dass die Beziehungsfähigkeiten der Frau mit dem Alter steigen könnten. Im Vergleich der einzelnen Geschlechter zwischen den einzelnen Kohorten deutet darauf hin, dass vor allem die kontrollierte Persönlichkeit – unabhängig ob bei Mann oder Frau – einen positiven Einfluss auf die Stabilität, nicht jedoch die Zufriedenheit einer Beziehung besitzt. Unterschiede zwischen den Geschlechtern zeigen sich jedoch im Bindungsverhalten und in der Bedeutung der Leidenschaft in den unterschiedlichen Phasen der Beziehungen. So erweist sich die Frau in einer langjährigen Partner-schaft als zärtlicher als die frisch verliebte Frau und verbindet auch mehr Leidenschaft mit Beziehungs-zufriedenheit als diese. Bei den Männern ist genau das Gegenteil der Fall. Eine mögliche Erklärung hierfür könnte darin liegen, dass sich die Frauen der Romantic Love Studie umso sicherer in ihrer Beziehung fühlen, desto länger diese andauert. Insgesamt zeigte sich jedoch, dass – entgegen der gemeinhin propagierten Unterschiede – zwischen Mann und Frau in Aspekten der Liebe beide Geschlechter in der Romantic Love Studie verhältnismäßig wenig signifikante Differenzen aufweisen.