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Prof. Dr. med. André -Michael Beer
Ruhr-Universität Bochum
Prof. Dr. rer. physiol. Dr. med. habil.
Jürgen Kleinschmidt
München
Kurortmedizin
Das kann die Moortherapie
In der Praxis des niedergelassenen Arztes bleiben Kuren auch weiterhin ein Thema. Ein gutes
Beispiel sind Kuren in Moorheilbädern, die vor allem bei rheumatischen und gynäkologischen
Krankheitsbildern vom Hausarzt befürwortet werden müssen. Die Neufassung des Deutschen
Heilmittelkatalogs lässt nämlich eine wohnortnahe Durchführung der Moortherapie mit
Übernahme von 90% der Therapiekosten durch Krankenkassen nicht mehr zu. Umso wesent-
licher ist es, für den Patienten die Wirkungskomponenten der Heiltorftherapie im Rahmen
einer ambulanten Badekur zu ermöglichen.
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In Deutschland gibt es 61 „Moorheil-
bäder“ oder „Orte mit Moorkurbetrieb“.
Moor wird in Europa seit mehr als zwei-
hundert Jahren therapeutisch genutzt.
Als „Moor“ wird das Biotop bezeichnet,
in dem der Torf lagert. Durch entspre-
chende Auereitungstechnologie entste-
hen daraus am Anwendungsort z. B. die
in der Medizin verwendeten Moorpa-
ckungen. Mit geologischer Strenge müss-
te man von „Torfpackungen“ sprechen. Es
hat sich aber umgangssprachlich der Be-
gri „Moortherapie“ eingebürgert, was
auch im Folgenden praktiziert wird [1].
Moor wird in der Medizin bei ver-
schiedenen Erkrankungen eingesetzt, vor
allem bei degenerativen und entzündli-
chen Gelenkerkrankungen (Arthrosen,
rheumatoider Arthritis, Spondylarthriti-
den etc.) und bei Frauenleiden. Die An-
wendung erfolgt in Form der Halbbäder,
Vollbäder, Packungen, Moorkneten, in
Spezialformen auch als Trinkmoor und
mit vaginalen Applikationen.
Zum Heilmittel Moor liegen zahlrei-
che Wirkungs- und Wirksamkeitsunter-
suchungen sowie Ergebnisse aus der
Versorgungsforschung vor, dabei nicht
nur als Fallbeispiele (Evidenzkategoie
IV), sondern meist in Form von Beob-
achtungsstudien nach Evidenzkategorie
III. Es gibt aber auch einzelne Studien
nach Kategorie II oder I [1].
Wirkungen und Wirksamkeit der
Moortherapie
Allgemeine Wirkungen
Die sogenannten „allgemeinen Wirkun-
gen“ einer Kur resultieren aus den natür-
lichen Fähigkeiten des Organismus zur
Regula tion im Sinne der Wirkmechanis-
men der klassischen Naturheilverfahren
[2]. Durch vegetative und hormonelle Re-
aktionen auf entsprechende therapeu-
tisch gesetzte Reize wird seine Fähigkeit
verbessert, höhere Belastungen auszuhal-
ten [3].
Thermophysikalische Wirkungen
Die thermophysikalischen Wirkungen
gelten als die am häugsten untersuch-
ten Moorwirkungen [2]. Entlastung und
Ruhigstellung sind wesentliche Wirkun-
© Kzenon / stock.adobe.com
Schmerzlindernd und
entzündungshemmend – diese Wirkungen
der Moorbreibäder sind gut belegt.
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FORTBILDUNG . Übersicht
gen eines Moorbreibads. Nur Moorbrei-
bäder ermöglichen es, dass die thermo-
physikalischen Vorteile des Moors ge-
nutzt werden, wodurch sich an unter-
schiedlichen Körperstellen der Patienten
verschiedene Kontakttemperaturen ein-
stellen und letztlich die sogenannte
Temperaturverträglichkeit dazu führt,
dass auch Anwendungstemperaturen
über der thermischen Schmerzgrenze
(ca. 42° C) toleriert werden. Moorbrei-
vollbäder müssen in anerkannten Moor-
heilbädern angeboten werden können.
Adstringierende Wirkungen
Gerbstoe, Huminsäuren, dreiwertige
Eisen- und Aluminiumionenverbindun-
gen zeigen adstringierende Wirkungen
auf die Haut. Für den Stoaustausch
zwischen Haut und Moorinhaltsstoen
sind ad-, ab- und resorptive Wirkungen
verantwortlich.
Biologische Wirkungen
Während sich die t hermophysikalischen
Wirkungen zwischen verschiedenen
Moorarten nicht wesentlich unterschei-
den, sind deren biologische Eigenschaf-
ten unterschiedlich. Durch die Humi-
zierung werden die biologischen, physi
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kalischen und chemischen Eigenschaf-
ten des Bademediums verändert, die u.a.
zu einem bakteriostatischen pH-Wert
zwischen 1 und 5 führen. Verschiedene
chemische Moorinhaltsstoe führen zur
Hemmung der Arachidonsäurekaskade
(Prostaglandin- und Leukotrien-Syn-
thesehemmung). Sie haben darüber hi-
naus auch bakteriostatische und allge-
mein schmerzreduzierende Eekte.
Spezifische Wirkungen auf
Rezeptorebene
In neueren Veröentlichungen wurden
spezische Wirkungen biologisch akti-
ver Substanzen aus dem Moor auf die
Adreno-2-, die Dopamin-2- und die His-
tamin-1-Rezeptoren beschrieben [1, 4].
Veröentlichungen dazu zeigen, dass
wasserlösliche organische und biolo-
gisch aktive Moorsubstanzen durch die
menschliche Haut permeieren [5].
In einer aktuellen klinischen Studie
[6] konnte zudem gezeigt werden, dass
die physikalische Komplextherapie mit
seriellen Heiltorädern bei degenera-
tiven Veränderungen der Knie- und
Hügelenke zu einer signikanten
Schmerzlinderung und zu deutlichen
Verbesserungen von Parametern der
funktionalen und funktionellen Ge-
sundheit führen. Es konnten ein Abfall
des proinammatorischen Zytokins IL-
1β und eine Erhöhung des antiinam-
matorischen Zytokins IL-10 beobachtet
werden. Die Veränderungen der Zytoki-
ne deuten auf eine Modulation i. S. einer
Knorpel- und Knochenprotektion hin.
In einer weiteren Arbeit [7] ergab sich,
dass serielle Moorbäder in Kombination
mit einer physikalischen Komplexthera-
pie im multimodalen erapiekonzept
eine signikante Verbesserung von
Parametern der funktionalen und funk-
tionellen Gesundheit sowie auf moleku-
larer Zytokinebene eine Modulation i. S.
einer anti-inammatorischen Verände-
rung bewirken.
Verordnungspraxis
Die ambulante Naturmoortherapie am
Kurort ist ein Beispiel für bewährte e-
rapieformen, die nach der Neufassung
des Deutschen Heilmittelkatalogs [8, 9]
in der täglichen Praxis von Kassenärz-
ten nicht mehr verschrieben und am
Wohnort eingesetzt werden können.
Dort wird statt Moortherapie in der
Heilmittelrichtlinie § 24 lediglich er-
motherapie angeführt: Wärmetherapie
mittels Warmpackung mit Peloiden (z. B.
Fango, Paran-Peloid-Gemische, Voll-
und Teilbäder mit Peloiden/Paran).
Hierbei darf aber eine rein thermophysi-
kalisch wirkende Moorpara n-Packung
nicht mit einer kurörtlichen Naturmoor-
packung verwechselt werden, durch die
auch noch hydrodynamische u nd andere
Wirkungsmechanismen zur Geltung
kommen können. Nicht umsonst zählen
Vollbäder im Moorbrei zu den kostspie-
ligsten Kuranwendungen am Kurort.
Zur ermotherapie werden in den
Heilmittelrichtlinien allgemein etliche
orthopädische Indikationen angeführt:
Wirbelsäulenerkrankungen, Verletzun-
gen, Erkrankungen der Extremitäten
und des Beckens, auch postoperativ
(Operationen von Miss- und Fehlbildun-
gen, Strukturschäden der Stütz- und Be-
wegungsorgane). Bei diesen Indikatio-
nen wird die Wärmetherapie (Moorbä
-
der) ausdrücklich aufgeführt.
Zudem werden u. a. das chroni zierte
Schmerzsyndrom sowie periphere Ner-
venläsionen (Moorkneten) aufgeführt.
Auch in den Vergütungsrichtlinien wer-
den unter der Rubrik „Wärmetherapie“
Bäder mit einem Moorvollbad (Positions
-
nummern X1532, X1533) und die Moor-
therapie ausdrücklich genannt, was aber
nicht die Erwartung wecken darf, mit
Moorparanpackungen oder mit Zusät-
zen von Moorextrakten in Wasserbä-
dern die kurörtliche Moortherapie
gleich wertig ersetzen zu können. In der
Ver gütungsliste des Leistungs- und Ge-
bührenverzeichnisses für den Bereich der
Krankengymnastik bzw. Physikalischen
erapie (unfallrelevante A-Position),
gültig ab 01. Mai 2012, wird die ermo-
therapie unter Gruppe 2 genannt.
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Ȗ Literatur: springermedizin.de/mmw
Ȗ Title and keywords: What can
peat therapy achieve?
Rehabilitative measures / outpatient spa
treatments / peloide / peat
Ȗ Für die Verfasser
Prof. Dr. med. André-Michael Beer
Lehrbereich Naturheilkunde, Ruhr-Univer-
sität Bochum (Abt. Allgemeinmedizin);
Im Vogelsang 5–11, D-45527 Hattingen
E-Mail: a.beer@klinikum-Bochum.de
FAZIT FÜR DIE PRAXIS
1. In Deutschland gibt es 61 auf
Moortherapie spezialisierte und an-
erkannte Heilbäder bzw. Kurorte.
2. Eine kassenärztlich empfohlene
Moortherapie ist praktisch nur dort
möglich.
3. Die wohnortnahe Verschreibung
von Moorparaffinpackungen kann
eine kurortliche Moortherapie kei-
nesfalls ersetzen.
4. Evidenzbasierte Wirkungen hat die
Moortherapie bei verschiedenen
rheumatischen und gynäkologi-
schen Erkrankungen. Sie hat antiin-
flammatorische, schmerzlindernde
und bakteriostatische Effekte.
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