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Entwicklung zur Empathie aus Sicht der Personzentrierten Systemtheorie

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Abstract

Die Entwicklung von Empathie kann als komplexer, vernetzter Prozess gesehen werden, dessen Hauptaspekte sich unterschiedlichen Prozessebenen zuordnen lassen. Die Personzentrierte Systemtheorie unterscheidet hier vor allem vier Ebenen: eine organismische, psychische, interpersonelle und kulturelle Prozessebene. Während nun psychische und interpersonelle Prozesse und deren gegenseitige Beziehung typischerweise Gegenstand von Diskursen in Psychotherapie und Entwicklung sind, werden organismische und kulturelle Aspekte meist unterschätzt. Es wird allerdings gezeigt, dass essentielle Fähigkeiten, die als Basis für Empathieentwicklung zu sehen sind, Ergebnisse menschlicher Evolution und daher (als potentielle Leistungen) bereits angeboren sind (das sog. „social brain“). Auf der anderen Seite gilt zu berücksichtigen, dass psychisches und anderes „innere“ Geschehen, dass üblicherweise der 1.-Person-Perspektive als „subjektive“ Erfahrung zugeordnet wird, nur dann dem Subjekt verstehend zugänglich ist, wenn es die Kulturwerkzeuge der 3.-Person-Perspektive auf sich selbst anwendet – insbesondere Sprache mit Begriffen, Metaphern, Erklärungsprinzipien, Narrationen und so weiter. Indem die Mutter (oder eine andere Bindungsperson) symbolisiert oder mentalisiert kann das Baby die angeborenen Potentiale von Selbstempathie und Empathie entfalten. Wenn man nun allerdings die so wichtige Ebene kultureller Prozesse ernst nimmt, lässt sich auch feststellen, dass das Ideal von Kleinkindern, die ihre inneren Gefühle, Wünsche und Zustände ausdrücken, eine typisch westliche Mittelschichts-Ideologie der letzten Jahrzehnte ist. Im Gegensatz dazu lebt der allergrößte Teil der Menschen auf diesem Planet in Gesellschaftsformen, die nach ganz anderen Regeln funktionieren und andere Entwicklungsideale für Kinder haben. Hier sind besonders Kooperation und eine Empathie für die Erfordernisse in der Gruppe bzw. Sozialgemeinschaft wichtig. Die Vor- und Nachteile einer so erweiterten Konzeption von Empathie(entwicklung) werden abschließend diskutiert. Schlüsselwörter Empathie, Personzentrierte Systemtheorie, social brain, Kulturvergleich, mentalisieren The Development of Empathy from the Perspective of the Person-Centered Systems Theory The development of empathy can be seen as a complex, interwoven process in which main aspects can be attributed to different process-levels. The person-centered systems theory focuses on four levels – the organismic, the psychic, the interpersonal and the cultural process level. While the psychic and interpersonal processes, as well as their relationship, are typically subject to discourses concerning psychotherapy and development the contribution from organismic and the cultural processes are widely underestimated. However, it is shown that many essential abilities which are the basis of empathy have developed out of evolutionary processes and are, therefore, (potentially) inborn (the so-called “social brain”). On the other side, to understand psychic and other “inner” processes which are subject of the first-person-perspective, the so- called “subjective” experience, a human being has to applicate cultural instruments of the third-person-perspective – particularly language with its terms, metaphors, principles of explanation, narratives and so on. By symbolizing and metalizing inner processes of the baby by the mother (or another keyperson for attachment) the baby unfolds the self-empathy as well as empathy to others. However, taking the perspective of “culture” seriously, the ideal of toddlers expressing primarily their inner feelings, desires and states is a typical western middle-class ideology of the last decades. In contrast, the far most people on earth are living in societies with other rules and ideals of education. Here, especially cooperation and empathy for the belongings and needs of the social group are important. The advantages and disadvantages of an extended understanding of empathy are finally discussed. Keywords Empathy, person-centered systems theory, social brain, mentalization, comparing cultures
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J. Kriz: Entwicklung zur Empathie aus Sicht der Personzentrierten Systemtheorie
Jürgen Kriz
Entwicklung zur Empathie aus Sicht der
Personzentrierten Systemtheorie
The Development of Empathy from the Perspective of the Person-Centered
Systems Theory
Die Entwicklung von Empathie kann als komplexer, vernetzter Prozess gesehen werden,
dessen Hauptaspekte sich unterschiedlichen Prozessebenen zuordnen lassen. Die Person-
zentrierte Systemtheorie unterscheidet hier vor allem vier Ebenen: eine organismische,
psychische, interpersonelle und kulturelle Prozessebene. Während nun psychische und
interpersonelle Prozesse und deren gegenseitige Beziehung typischerweise Gegenstand
von Diskursen in Psychotherapie und Entwicklung sind, werden organismische und kultu-
relle Aspekte meist unterschätzt. Es wird allerdings gezeigt, dass essentielle Fähigkeiten,
die als Basis für Empathieentwicklung zu sehen sind, Ergebnisse menschlicher Evolution
und daher (als potentielle Leistungen) bereits angeboren sind (das sog. „social brain“).
Auf der anderen Seite gilt zu berücksichtigen, dass psychisches und anderes „innere“
Geschehen, dass üblicherweise der 1.-Person-Perspektive als „subjektive“ Erfahrung
zugeordnet wird, nur dann dem Subjekt verstehend zugänglich ist, wenn es die Kultur-
werkzeuge der 3.-Person-Perspektive auf sich selbst anwendet – insbesondere Sprache
mit Begriffen, Metaphern, Erklärungsprinzipien, Narrationen und so weiter. Indem die
Mutter (oder eine andere Bindungsperson) symbolisiert oder mentalisiert kann das Baby
die angeborenen Potentiale von Selbstempathie und Empathie entfalten.
Wenn man nun allerdings die so wichtige Ebene kultureller Prozesse ernst nimmt,
lässt sich auch feststellen, dass das Ideal von Kleinkindern, die ihre inneren Gefühle,
Wünsche und Zustände ausdrücken, eine typisch westliche Mittelschichts-Ideologie der
letzten Jahrzehnte ist. Im Gegensatz dazu lebt der allergrößte Teil der Menschen auf
diesem Planet in Gesellschaftsformen, die nach ganz anderen Regeln funktionieren und
andere Entwicklungsideale für Kinder haben. Hier sind besonders Kooperation und eine
Empathie für die Erfordernisse in der Gruppe bzw. Sozialgemeinschaft wichtig. Die
Vor- und Nachteile einer so erweiterten Konzeption von Empathie(entwicklung) werden
abschließend diskutiert.
Schlüsselwörter
Empathie, Personzentrierte Systemtheorie, social brain, Kulturvergleich, mentalisieren
The development of empathy can be seen as a complex, interwoven process in which main
aspects can be attributed to different process-levels. The person-centered systems theory
focuses on four levels – the organismic, the psychic, the interpersonal and the cultural
process level. While the psychic and interpersonal processes as well as their relationship
are typically subject to discourses concerning psychotherapy and development the contri-
bution from organismic and the cultural processes are widely underestimated. However,
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Psychotherapie 22. Jahrg. 2017 | Bd 22-2 | © CIP-Medien, München
it is shown that many essential abilities which are the basis of empathy have developed
out of evolutionary processes and are, therefore, (potentially) inborn (the so-called “social
brain”). On the other side, to understand psychic and other “inner” processes which are
subject of the first-person-perspective, the so- called “subjective” experience, a human
being has to applicate cultural instruments of the third-person-perspective – particularly
language with its terms, metaphors, principles of explanation, narratives and so on. By
symbolizing and metalizing inner processes of the baby by the mother (or another key-
person for attachment) the baby unfolds the self-empathy as well as empathy to others.
However, taking the perspective of “culture” seriously, the ideal of toddlers expressing
primarily their inner feelings, desires and states is a typical western middle-class ideo-
logy of the last decades. In contrast, the far most people on earth are living in societies
with other rules and ideals of education. Here, especially cooperation and empathy
for the belongings and needs of the social group are important. The advantages and
disadvantages of an extended understanding of empathy are finally discussed.
Keywords
Empathy, person-centered systems theory, social brain, mentalization, comparing cultures
Einführung in zentrale Aspekte des Themas
„Empathie“, „Beziehungsfähigkeit“ und „Säuglingskompetenzen“ sind miteinander
verwobene Themen und Forschungsbereiche – wozu auch „prosoziales“, „soziales“ und
„kooperatives“ Verhalten, „Bindungsmuster“ gehören – die in den letzten zwei bis drei
Jahrzehnten im Fokus einer bemerkenswerten Konvergenz unterschiedlicher thematischer
Diskurse und Strömungen stehen. Hierbei werden disziplinübergreifend Befunde aus
Gehirnforschung, Evolutionspsychologie, Entwicklungspsychologie und Säuglingsfor-
schung sowie System- und Selbstregulationstheorien miteinander in Beziehung gebracht
und sowohl für Fragen hinsichtlich der therapeutischen Beziehungsgestaltung als auch
für das Verständnis von Alltagsverhalten herangezogen.
Diese Vielfalt einfließender Perspektiven erzeugt bisweilen unzulässige und verwischen-
de Kategorienvermengungen. So fördern Buchtitel wie „Unser empathisches Gehirn“
(Keysers, 2014) die bei HirnforscherInnen nicht selten zu findende problematische
Sprechweise, bei der die „Amygdala denkt“ oder „im Gehirn das Mitgefühl aufleuchtet“
– eine moderne „Weiterentwicklung“ des seit langem kritisierten Mediziner-Jargons,
wonach „auf Zimmer 214 ein Karzinom liegt“. Denn natürlich empfinde ich gegenüber
einem Gehirn – egal ob „in vitro“ oder „in vivo“ – keine Empathie und erwarte auch
nicht, dass ein Gehirn mir gegenüber so etwas empfindet. Vielmehr macht es nur Sinn,
von „Empathie“ zwischen (ganzheitlich betrachteten) Menschen zu sprechen, wie auch
in diesem Beitrag deutlich herausgearbeitet wird. Damit wird auch die Frage, ob wir bei
Prozessen affektiver Koordination zwischen Tieren von „Empathie“ sprechen können,
definitorisch verneint, wenngleich wir gerade auch in diesem Beitrag aus der genaueren
Betrachtung animalischer organismischer Prozesse viel Nützliches zum Verständnis von
„Empathie“ gewinnen können. Aber indem nicht nur die organismische sondern auch die
sozial-kulturelle Eingebundenheit psychischer und interpersoneller Prozesse betont wird,
ist gerade letzteres – eine differentielle, in hohem Maße auch auf Symbolen beruhende
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J. Kriz: Entwicklung zur Empathie aus Sicht der Personzentrierten Systemtheorie
kulturelle Umgebung des Menschen – ein leicht fassbarer Grund für diese Exklusivität
gegenüber anderen Lebensformen.
Die spannendere Frage, als die nach „tierischer Empathie“, ist nicht nur mit unseren
Gefühlen gegenüber Säugetieren, besonders Jungtieren, und sogar gegenüber „süßen“
Stofftieren verbunden. Noch interessanter ist vielmehr das Gefühl, von einem Compu-
terprogramm „empathisch verstanden“ zu werden – wie selbst die unglaublich einfache
Realisierung durch „Eliza“ zeigt, einem bereits vor über einem halben Jahrhundert in der
Anfangszeit der Computer entwickelten, und entsprechend simplen Dialog-Algorithmus
des Informatikers Joseph Weizenbaum, mit dem eine virtuelle „Psychotherapeutin“ auf per
Computertastatur eingetippte Statements reagierte. Viele Testpersonen waren am Ende
ihrer „Therapeutengespräche“ fest davon überzeugt, sich tatsächlich mit einem sensiblen
und verständnisvollen Doktor ausgetauscht zu haben und fühlten sich verstanden. Im
Gegensatz zu Weizenbaum selbst, der dies nur als Demonstration programmtechnischer
Möglichkeiten verstanden wissen wollte, glaubten nicht wenige praktizierende Psychia-
terInnen ernsthaft daran, auf diesem Wege zu einer automatisierten Form der Psycho-
therapie gelangen zu können (vgl. Weizenbaum, 2000). Da Computer- bzw. Internet-
Therapien derzeit stark in Diskussion sind, ist die Frage, wie weit solche Ansätze – über
Selbstmanagement und dem Trainieren bestimmter Skills hinaus – gehen können. Die
Frage, was es bedeutet, wenn jemand den Eindruck hat, vom „Gegenüber“ empathisch
verstanden zu werden (auch wenn sich, objektiv gesehen, dahinter ein Computer verbirgt
oder verbergen könnte), verweist jedenfalls darauf, dass zwischen einer „objektiven“ und
einer „subjektiven“ Sicht unterschieden werden muss.
Wenn betont wird, dass für (eine u. E. sinnvolle Konzeption von) „Empathie“ beachtet
werden muss, dass zu jedem Moment in einer Beziehung zwischen Menschen Einflüsse aus
Prozessen auf der körperlichen, der psychischen, der interpersonellen und der kulturellen
Ebene wirken, und darüber hinaus zwischen intersubjektiv-„objektiven“ Beschreibungen
und „subjektivem“ Erleben unterschieden werden muss, sind damit die zentralen Aspekte
der „Personzentrierten Systemtheorie“ (Kriz, 2017) angesprochen. Üblicherweise fo-
kussieren wir in der Psychotherapie auf die Wechselwirkung zwischen psychischem und
interpersonellem Geschehen und beschreiben diese vorwiegend aus einer „objektiven“,
„3.-Person-Perspektive“. Der wichtigen Einbettung dieses Geschehens in die Dynamik
körperlicher und kultureller Prozesse und deren gegenseitige Vernetzung wird oft weni-
ger Aufmerksamkeit geschenkt. Übersehen wird auch die Relevanz der „Bedeutungszu-
weisung“ des Menschen als Subjekt im Sinne der Biosemiotik (von Uexküll, 1989) bzw.
der Integrierten Medizin (von Uexküll, Geigges, & Plassmann, 2002), im Gegensatz zu
den Beschreibungen aus einer „objektiven“ Außenperspektive. Durch die Perspektive
der „Personzentrierten Systemtheorie“ bei der Erörterung der „Empathie“ sollen diese
vernachlässigten Aspekten stärker berücksichtigt werden.
Die Unterschiedlichkeit in der Erfahrung von Empathie
Die Befunde und Berichte bezüglich „Empathie“ geben einen Einblick in das große
Spektrum realisierter Entwicklungsmöglichkeiten, das von einem erstaunlichen Ausmaß
bereits angeborener empathischer Fähigkeiten einerseits bis hin zu deren weitgehender
Verkümmerung sowie traumatisch-ideologischer Ausblendung andrerseits reicht:
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So zeichnet die Säuglings- und Kleinkindforschung ein zunehmend umfassendes Bild
von elementaren empathischen Fähigkeiten der Säuglinge in der Erkennung emotiona-
ler Befindlichkeiten anderer Personen und deren „Umsetzung“ in Form kooperativen
prosozialen Verhaltens. Beispielsweise haben Forscher am Max-Planck-Instituts für
Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig kürzlich entdeckt, dass schon sieben
Monate alte Säuglinge auf ängstliche Augen reagieren (Jessen & Grossmann, 2014). Die
Autoren resümieren: „Auf direkte und abgewandte ängstliche Blicke sprechen Säuglinge
unterschiedlich an. Schon von frühestem Kindesalter an kann der Mensch demnach die
Gefühlslage anderer wahrnehmen“. Keller (2015, S. 27) beschreibt, dass dreijährige Kinder
„Empathie ausgebildet (haben), das heißt, sie können die Bedürfnisse anderer erkennen
und ihr Handeln darauf abstellen.“ Fällt in einer experimentellen Laborsituation der Arm
des Teddys einer Versuchsleiterin ab und zeigt diese deutliche Trauerreaktionen, so lässt
sich beobachten, dass das Kind versucht, die Versuchsleiterin zu trösten oder den Teddy
für sie zu reparieren. Dies zeigt, „dass es die Situation verstanden hat und die Trauer auf
die Versuchsleiterin attribuiert“ (ebenda). Wir werden später noch auf weitere beachtliche
empathische Fähigkeiten von Neugeborenen und Kleinstkinder zu sprechen kommen.
Auf der anderen Seite lassen sich die Potentiale einer weiteren Empathie-Entwicklung
beispielsweise durch ideologische Deutungen korrumpieren. So wurden in Folge der
Philosophie von René Descartes Trennung von „res extensa“ und „res cogitans“ an der
cartesianischen Schule von Port-Royal Tiere nicht nur mit Maschinen verglichen, son-
dern letztlich als nichts anderes als Maschinen behandelt und daher an ihren vier Pfoten
auf Bretter genagelt, um sie bei lebendigem Leibe zu sezieren. Ihre Schmerzensschreie
verstanden die Forscher lediglich als „Lärm von Federn in Uhrwerken“. Darüber hin-
aus machte man sich auch noch über jene lustig, die „unwissenschaftlich“ den Tieren
Schmerzen unterstellten (Fontaine, 1736). Bedenkt man den Kontrast zu den oben
erwähnten Säuglingen und Kleinkindern, bei denen Gefühlsansteckung eher typisch ist
und die bei Schmerzensschreien, Weinen etc. mit gleichen Gefühlen reagieren, so muss
den erwachsenen WissenschaftlerInnen eine bemerkenswerte Ausblendung und Abwehr
gelungen sein. Dies erinnert in fataler Weise an die Rechtfertigung des Haltens und
Misshandelns von Sklaven durch „fromme“ AmerikanerInnen: Sie erklärten einfach, dass
„NegerInnen“ keine „richtigen“ Menschen wären und das „Liebe Deinen Nächsten“ der
Bibel daher für diese auch nicht zutreffe. Selbst die Ermordung von Millionen Juden in
deutschen Konzentrationslagern erfolgte ja, so die Beschreibungen, teilweise durch „lie-
bevolle Familienväter“. Dies mag ein Hinweis darauf sein, wie sehr kognitive und soziale
Umdeutungen die im Körper angelegten Beziehungspotentiale zur Mitwelt beeinflussen,
sodass daraus nicht nur destruktives und antisoziales Verhalten erwächst, sondern dieses
auch noch selektiv („NegerInnen“, „Juden“) die Realität strukturiert.
Der starke Einfluss der Kultur für die Entwicklung von Empathie und Beziehungsgestaltung
lässt sich aber auch auf unsere Vorstellungen darüber beziehen, wann diese Entwicklung
„normal“ verläuft und welche Aspekte für die Entwicklung zu fördern sind. Wobei mit „un-
sere“ nicht nur Vorstellungen in der (westlichen an Mittelschichtsidealen orientierten) All-
tagswelt gemeint sind, sondern auch die von „uns“ WissenschaftlerInnen, TherapeutInnen,
PädagogInnen und ErzieherInnen. Wie sehr nämlich unsere durch die Bindungstheorie
geförderten Vorstellungen von westlichen Mittelschichts-Idealen bestimmt wird, arbeitete
Keller (2015) unter der Perspektive „Die Entwicklung der Generation Ich“ heraus. Sie
bezieht sich dabei auf jahrzehntelange Forschung durch ihre Arbeitsgruppe hinsichtlich der
frühkindlichen Entwicklung in westlichen, independenten Gesellschaften im Vergleich zu
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J. Kriz: Entwicklung zur Empathie aus Sicht der Personzentrierten Systemtheorie
interdependenten Gesellschaften (vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern): Bei
„uns“ ist Erziehung auf Selbstverwirklichung und psychologische Autonomie ausgerichtet.
Kinder werden von früh auf darin unterstützt, selbstbewusst und selbstbestimmt zu sein,
ihre Emotionen zu äußern und über die eigenen Belange selbst zu entscheiden und die El-
tern (bzw. Beziehungspersonen) sollen feinfühlig auf alle kindlichen Signale reagieren. Ein
solches Sozialisationsmuster erfordert, wie Keller betont, eine beträchtliche ökonomische
Absicherung, damit die Exklusivität der Beziehung zwischen Eltern und Kind zelebriert
werden kann – intensive Beschäftigung mit einem Baby, eine hohe formale Bildung, die
elaborierte verbale Kommunikation unterstützt und eine Fokussierung auf die mentale
Welt sowie eine Kernfamilie mit sehr wenigen Kindern.
Diese Entwicklungsnische ist allerdings eher die Ausnahme als die Regel in der Welt-
bevölkerung. Weniger als 5 % der Weltbevölkerung leben unter solchen Bedingungen.
Familien aus dörflichen Lebensgemeinschaften in nicht-westlichen Gesellschaften sind
eher auf hierarchische Relationalität hin orientiert. Die Werte, Einstellungen, Normen
und Verhaltensweisen sind darauf ausgerichtet, dass Kinder ihren Platz in der familiären
Hierarchie schnell kennenlernen und verantwortlich ausfüllen (Keller, 2011; Keller &
Kärtner, 2013). Solche dörflichen Lebensgemeinschaften machen nicht nur in 30 bis 40 %
der Weltbevölkerung aus, sondern, wichtiger noch, 80 bis 90 % der MigrantInnen in
westlichen Ländern.
Wichtig ist dabei zu beachten, dass die uneingeschränkte Betonung der psychologischen
Autonomie auch unter „unseren“ Wertvorstellungen keineswegs nur positive Aspekte hat.
Forschungen zeigen, dass die (euro-)amerikanischen Kinder sehr gut in der Lage sind, ihre
Wünsche und Bedürfnisse zu artikulieren, sich aber erschreckend hilflos bei ganz alltäglichen
Handlungsvollzügen anstellen. Keller kontrastiert daher unser westliches Ideal psychischer
Autonomie mit dem Konzept der Handlungsautonomie: „Schon mit 3 Jahren helfen Kinder
im Haushalt, erledigen kleine Besorgungen, richten Nachrichten aus und versorgen jün-
gere Geschwister. Das tun sie alles autonom, indem sie selbst viele Entscheidungen treffen
müssen, die zur kompetenten Ausführung dieser Handlungen notwendig sind. Wir nennen
diese Form von Autonomie Handlungsautonomie.“ (Keller, 2015, S. 36).
Diese kulturvergleichende Perspektive liefert somit wichtige Hinweise, die im Lichte
westlicher Mittelschichtsdeutungen des Bindungsverhaltens entwickelten (Wert-)Vorstel-
lungen von Empathie und Beziehungsfähigkeit zu sehr als anthropologische Konstanten
zu verallgemeinern. Denn Handlungsautonomie und die Kompetenz zu kooperativen
Beziehungen in Gruppen (und nicht nur in Zweier-Beziehungen) sind selbst in unserer
Kultur nicht weniger wichtig als psychische Autonomie und Selbstbestimmung. Inso-
fern stellt Kellers Kritik an dem westlichen Mittelschichtbias, mit dem gewöhnlich auf
menschliche Entwicklungsprozesse geblickt wird, eine besondere Herausforderung für
die Humanistische(n) Psychotherapie(n) dar, da hier psychische Autonomie und Selbst-
bestimmung einen besonderen Stellenwert haben. Dies ist im westlich-abendländischen
Kultur- und Handlungskontext der Menschen in unserer Gesellschaft auch durchaus
eine wichtige Perspektive. Sie erfährt allerdings ihre Grenzen einerseits bei zu starken
Verallgemeinerungen und andererseits bei Vernachlässigung der Veränderungen hin zu
einer Multi-Kulti-Gesellschaft mit vielen MigrantInnen aus den o. a. sozialkulturellen
Milieus. Da können unterschiedliche Erwartungen zu starken Verwerfungen führen –
besonders auch in Kitas und Schulen.
Diese Relativierung sollte mitbedacht werden, wenn im Folgenden die Darstellung nicht
frei von dem Bias „unserer“ kulturellen Vorstellungen ist. Dies soll am Ende dieses Bei-
trags nochmals aufgegriffen werden.
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Die „Person“ als zentrales Konzept der humanistischen Perspektive
Entwicklung wird im humanistischen Ansatz vor allem unter dem Aspekt der Aktuali-
sierung organismischer Potentiale in einer strukturierten Umgebung betrachtet. Die
organismisch mitgegeben Potentiale des Menschen entfalten sich allerdings nicht einfach
„irgendwie“. Ein oft zitiertes Beispiel von Carl Rogers (1980, S. 188) bezüglich Kartoffeln,
die selbst im Halbdunkel des Kellers ihren Sprossen hin zum Kellerfenster treiben, ist
zwar im Kontext seines dortigen Beitrags korrekt, weil es die klassisch-behavioristische
Sicht kritisiert, der zufolge Ordnung als Reaktion auf entsprechende strukturierte äußere
Reizeinflüsse entsteht. Aus diesem Kontext herausgelöst, hat Rogers Beispiel allerdings
selbst wohl mehr Missverständnisse ausgelöst als zur Klärung der „Aktualisierungsten-
denz“ beigetragen. Anders als Kartoffelsprossen bedürfen die organismischen Potentiale
des Menschen einer Welt (und wie gleich noch deutlicher wird: vor allem einer sozial
strukturierten Welt) als Grundlage der „Ek-sistenz“, als „Gegenüber-Gestelltes“, die
in dieser Entwicklung das „Zustande-Kommen-von-außen-her“ (Schmid, 2011, S. 37)
gewährleistet. Allerdings kommen dabei beim Menschen – anders als in Konditionie-
rungsexperimenten an Ratten – vor allem auch jene Potentiale zur Entfaltung, welche
diese soziale Welt in ihrer Sinnhaftigkeit erfassen.
Doch diese eher abstrakten Grundmuster des Sozialen werden, zunächst zumindest, für
das Neugeborenen durch ein Du in Gestalt einer Bindungsperson – typischerweise die
Mutter in ihrer nährenden Beziehung – real erfahrbar. So gesehen steht die Entwicklung
der „Person“ von Anbeginn im Schnittpunkt organismischer, psychischer, interpersoneller
und sozial-kultureller Prozesse (vier Teilperspektiven, welche vor allem für die Ausarbei-
tung der „Personzentrierten Systemtheorie“ zentral sind – z. B. Kriz, 2017).
Im Personzentrierten Ansatz wird betont (z. B. Rogers, 1961), dass man einem Verständnis
des Menschen nicht gerecht werden kann, wenn man „Person“ lediglich als Ausdruck von
Prozessen versteht, die sich wesentlich innerhalb eines physischen Organismus abspielen.
Als „Person“ wird man nicht geboren, sondern nur mit den Aktualisierungsmöglichkeiten
hierzu: Person wird man erst in sozialisierender Begegnung mit einem (oder mehreren)
signifikanten Anderen, einem „Du“. Bereits im Begriffsursprung des Wortes „Person“ liegt
eine für unser Thema interessante Doppelbedeutung: Einerseits verweist „Person“ auf das
Von–selbst–zu–Stande–Kommen, also Selbst-Ständig-Sein, In–sich–selbst–gegründet–Sein
und damit Unabhängigkeit, Autonomie. Auf der anderen Seite meint „Person“ ein In–Bezie-
hung–Sein, ein Zu-Stande-Kommen von außen her (vgl. Schmid, 1991, 2002, 2011). Beide
Aspekte bilden ein Spannungsfeld, das die ganze westliche Kultur mit ihrer Sozialisation
durchzieht. Lautet hier doch die Botschaft der Elterngeneration an ihre Kinder: „Werde
ganz Du selbst – ein eigenverantwortlicher, autonom handelnder Mensch!“ und gleichzeitig:
„Werde wie wir – teile unsere Werte und Normen!“ – was nicht selten in problematischen
Einseitigkeiten oder weniger geglückten Synthesen zur Symptombildung beiträgt.
Die evolutionäre Perspektive der Empathie-Entwicklung
Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat die Relevanz einer evolutionären Perspektive
zum Verständnis zentraler Rahmenbedingungen für diese Entwicklungsprozesse belegt.
Es geht um eine evolutionär erworbene biologische Vorstrukturierungen der Aktualisie-
rungstendenz und ihrer Entfaltungspotentiale:
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J. Kriz: Entwicklung zur Empathie aus Sicht der Personzentrierten Systemtheorie
Diese Vorstrukturierungen werden deutlich, wenn man der Frage der ökologischen
Nische nachgeht, welche für die stammesgeschichtliche Entwicklung des Menschen
von Vorteil war (und ist). Mit „ökologischer Nische“ sind die materiellen und biologi-
schen Eigenschaften einer Umwelt gemeint, an welche sich Pflanzen oder Tiere in ihrer
stammesgeschichtlichen (phylogenetischen) Entwicklung so angepasst haben, dass die
jeweils spezifische lebensgeschichtliche (ontogenetische) Entwicklung des einzelnen
Organismus gute Bedingungen für das Überleben und damit für die Fortpflanzung und
Vermehrung hat.
Anders als für Pflanzen und Tiere ist diese ökologische Nische für den Menschen, an die
er sich im Sinne der Evolutionstheorie im Laufe der Entwicklung angepasst hat, keines-
wegs wesentlich durch die materiellen und biologischen Gegebenheiten einer natürlichen
Umwelt bestimmt. Sondern bedeutsam ist die sozial-kulturelle Um- und Ausgestaltung
einer natürlichen Umwelt durch eine Sozialgemeinschaft. Wohnraum, Kleidung, Fahr-
zeuge, Arbeits- und Freizeit-Werkzeuge, Maschinen, Fabriken, Bücher, Computer usw.
sind funktionell-sinnhafte Um- und Ausgestaltungen materieller Gegebenheiten. Sprache,
Schrift, (Massen)-Kommunikationsmittel, Rollen, Bildungs-, Rechts- oder Wirtschafts-
system, Institutionen und Organisationen usw. sind im Laufe der Soziogenese über viel
Generationen hinweg ausgestaltete Regelwerke sozialer Prozesse, in die jeder Mensch
vom ersten bis zum letzten Atemzug eingebettet ist.
Diese, hier nur kurz skizzierten Aspekte der sozial-kulturellen Umwelt sind keineswegs
nur als recht nützliche Unterstützung für die Entwicklung des individuellen Menschen
durch die Gesellschaft zu sehen. Vielmehr erfordert ein Leben in der sozialen Ökologie
des Menschen bereits auf der rein biologisch-organismischen Ebene andere Potentiale,
als sie z. B. Tieren genetisch mitgegeben sind. Denn deren typische Formen von Anpas-
sung und Lernen über Instinkte, Prägung, Konditionierung, Verstärkung oder Imitation
reichen keineswegs zum Überleben des Menschen aus. Vielmehr kommt ein menschliches
Neugeborenes so unfertig auf die Welt, dass es zumindest das erste Jahr allein gar nicht
überleben könnte. Ein solches Handicap konnte sich die menschliche Art evolutionär nur
leisten, indem diese mangelhafte individuelle Überlebensmöglichkeit durch die soziale
Aktivität fürsorgender Anderer gewährleistet wurde und wird. Ansonsten wäre ein hoch
differenzierter biologischer Organismus, der sich monatelang nicht einmal artspezifisch
hinlänglich fortbewegen und in seiner Umwelt für Nahrung sorgen kann, der sich nicht
selbst vor Kälte und Hitze und vielen anderen Einflüssen zu schützen vermag, etc., dem
Tode geweiht und damit für das Erzeugen von Nachkommen völlig ungeeignet.
Daher ist der Mensch schon evolutionär hinsichtlich seiner wesentlichen Eigenschaften –
wie auch hinsichtlich seiner gesunden wie auch pathologischen Entwicklung – nicht einfach
als eine von vielen Arten in der Klasse der Säugetiere zu verstehen. Sondern wesentlich
ist, dass die bio-physiologische Struktur eines menschlichen Hirns schon bei der Geburt
wie auch in der weiteren Entwicklung auf ein Leben in einer sozialen Gemeinschaft hin
ausgelegt ist. In neueren Diskursen wird der Fokus unter dem Begriff „soziales Gehirn“
(z. B. Dunbar, 1998; Fuchs, 2008; Adolphs, 2009, 2011; Pawelzik, 2013) auf diese not-
wendige evolutionär entwickelte soziale Ausrichtung des menschlichen Gehirns gelegt.
Vieles, was zur genetischen Grundausstattung dieser Hirnentwicklung gehört, hat sich
im Laufe menschlicher Evolution an diese soziokulturellen Anteile der ökologischen
Bedingungen angepasst. Wobei es treffender ist, von Ko-evolution zu sprechen. Denn
die „Anpassungen“ haben ja ihrerseits, in Rückkopplung, diese Bedingungen wiederum
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Psychotherapie 22. Jahrg. 2017 | Bd 22-2 | © CIP-Medien, München
spezifisch verändert. Nicht nur das berühmte „Kindchen-Schema“ zeigt die evolutionäre
Abstimmung, indem es bei den meisten Menschen dazu führt, Säuglinge und Kleinkin-
der „niedlich“ und „beschützenswert“ zu finden (was wir freilich auch auf andere junge
Säugetiere, Teddys, Puppen, Comic-Figuren etc. ausdehnen). Noch wichtiger sind die
Affektäußerungen, mit denen gerade das Neugeborene seine Befindlichkeiten in die Welt
schreit. Sie müssen als angeborene (evolutionär erworbene) Kommunikationsinstrumente
gesehen werden. Denn das Baby richtet sich damit an eine soziale Umwelt in der (evo-
lutionären) Erwartung, dass es in seinen Affekten hinreichend von jemand verstanden
wird der oder die entsprechend darauf eingeht. Andere Menschen, und erst recht die
Eltern, reagieren intensiv auf das Schreien, Wimmern, Gebrabbel oder „Strahlen“ des
Säuglings - bis hin zu oftmals ebenso intensiven Affekten wie Verzweiflung oder Wut,
wenn die Kommunikation nicht klappt und der Säugling mit seinem „durchdringenden“
Schreien nicht aufhört.
Die seit drei bis vier Jahrzehnten international intensiv betriebene Säuglingsforschung
(z. B. Stern, 2005; Trevarthen, 2011) hat darüber hinaus zunehmend erstaunliche Leistun-
gen in der Abstimmung zahlreicher organismischer Prozesse zwischen dem Neugebore-
nem und seiner Mutter belegt (überblicksartige Darstellungen z. B. bereits in Stern, 2005).
Bekanntlich ist das Gehirn bei seiner Geburt strukturell keineswegs so fertig entwickelt,
wie dies bei vielen anderen Organen der Fall ist – oder wie man es bei den Nervensystemen
von z. B. Vögeln, Fischen oder Insekten findet. Die neuronalen Verbindungen, die sich
in hohem Ausmaß in den ersten Lebensjahren des Menschen bilden, folgen nicht einfach
einem genetisch vorgegebenen Bauplan. Wobei die klassische Vorstellung von Genetik als
„Bauplan“ ohnedies durch die Erkenntnisse der Epigenetik und der Genexpression – also
den Vorgängen wie aus einem Genotyp ein konkreter einzelner Phänotyp wird – revidiert
werden musste: Gene können in beträchtlichem Maße abgeschaltet werden, also inaktiv
bleiben, oder aber angeschaltet werden und dann zur Wirksamkeit kommen. Und ent-
scheidend dafür wiederum sind u. a. Einflüsse aus der Umgebung des Organismus. Für
das menschliche Gehirn ist zudem bedeutsam, dass zwar seine Grobstruktur genetisch
vorgegeben, die Feinstruktur allerdings in erheblichem Maße von den Erfahrungen ab-
hängig ist. Auch die Ansicht, dass diese Feinstrukturbildung bei Erwachsenen weitgehend
abgeschlossen ist und sich vor allem keine neuen Nervenzellen bilden können, ist seit
einiger Zeit revidiert: Das Gehirn besitzt zeitlebens eine erstaunliche Plastizität, deren
Ausmaß durch Forschungen der letzten Jahre stets nach oben korrigiert werden musste.
Allerdings ist die Formulierung „Einflüsse aus der Umgebung“ ein viel zu schwacher
Ausdruck für die tatsächliche Vernetzung zwischen neuronalen bzw. psychischen Prozes-
sen mit der ökologischen Umwelt (die eben schon deshalb eher als „Mitwelt“ bezeichnet
werden müsste). Denn wenn man den Fokus wieder auf die evolutionäre Perspektive legt,
wird deutlich, dass auch der Genotyp des Menschen ähnlichen Einflüssen unterworfen
war, wie sie für die eben skizzierte phänotypische Ausdifferenzierung essentiell ist: Der
Mensch war in seiner evolutionären Entwicklung eben nicht nur deswegen besonders
erfolgreich, weil er nur als Neugeborener auf ein (Über)Leben in der Sozialgemeinschaft
hin gut ausgestattet ist, sondern auch deshalb, weil er eine Ontogenese und Soziogenese
hervorgebracht hat, bei der in komplexen, langzeitlichen Rückkopplungsschleifen un-
terschiedliche Entwicklungsbereiche aufeinander abgestimmt sind: Der Mensch lebt in
einer ökologischen Nische, die er sich in hohem Ausmaß selbst gestaltet hat und die vor
allem durch soziale Prozesse und deren Auswirkungen in Form von Kulturgütern und
-werkzeugen strukturiert ist.
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J. Kriz: Entwicklung zur Empathie aus Sicht der Personzentrierten Systemtheorie
Diese auf die spezifische Sozialgemeinschaft hin abgestimmten Strukturierungen des
Organismus aufgrund evolutionär erworbener genetischer Dispositionen ist eigentlich
nichts Besonderes: Auch andere Säugetiere weisen artspezifische „proto-konversation“
(Bateson, 1975) auf, wie man leicht an Hunden, Katzen etc. beobachten kann. Das
Aufreißen des Schnabels junger Vögel und der passende Fütterinstinkt der Mutter bzw.
Eltern (oder, beim Kuckuck, sogar anderer), der Vogelgesang mit weiteren abgestimmten
Verhaltensweisen für die Paarung, die angeborenen auslösenden Mechanismen für die
Paarungsrituale bei Fischen etc. – all dies sind letztlich ja auch angeborene, artinterne
Interaktionsweisen zur Sicherung des Überlebens. Daher ist eigentlich erstaunlich, wie
lange westliche Medizin, Psychologie, Pädagogik und Philosophie gerade dem mensch-
lichen Neugeborenen unterstellt haben, zunächst nur unspezifisch, undifferenziert, und
wie ein „unbeschriebenes Blatt“ die Welt zu betreten.
Vielleicht aber macht eine solche evolutionsbiologisch-anthropologische Naivität den
Hype verständlich, der um die sogenannten „Spiegelneurone“ gemacht wird, die vor
rund zwei Jahrzehnten zunächst bei Affen entdeckt wurden (und erst seit wenigen Jahren
auch beim Menschen hinreichend als nachgewiesen gelten): Man zeigte, dass dieselben
Neuronen (genauer: Neuronen-Verbände!), die im Affenhirn beim Greifen einer Nuss
feuerten, auch dann aktiv wurden, als das Tier einen anderen Affen nach dem Futter
greifen sah. Diese Erkenntnis ist freilich nicht unbedingt neu und verwunderlich: Denn
bereits 1874 formulierte der englische Arzt W.B. Carpenter als „Ideomotorisches Gesetz“,
dass bereits die Vorstellung einer Bewegung in der entsprechenden Muskulatur eine
minimale Bewegung auslöst. Und unter dem Begriff „Motorische Denktheorie“ wurde
in den 20er und 30er Jahren mit den damals bereits vorhandenen elektrophysiologischen
Möglichkeiten „Potentialveränderungen in den bei der wirklich ausgeführten Bewegung
beteiligten Muskeln festgestellt“. Dass man die neuronalen Korrelate dieser Ideomotorik
irgendwann im ZNS würde nachweisen können, lag auf der Hand.
Die nun aktuellen Entdeckungen vermeintlich neuronaler „Spiegelungen“ von Gefühls-
zuständen, Handlungen, Absichten, etc. beziehen sich statt auf Spiegel-Neuronen in
Wirklichkeit auf immer größere Neuronen-Netzwerke. Somit zeigen die Neurowissen-
schaftlerInnen mit ihren Methoden eigentlich nur noch etwas, was u .a. ganzheitliche und
humanistische Psychologen seit einem Jahrhundert betonten: Der Mensch ist vor allem
ein soziales Wesen; viele Strukturen seines Organismus sind im Laufe der Evolution genau
auf dieser Passung in einer Sozialgemeinschaft hin selegiert und optimiert worden – und
dazu gehört ganz besonders auch die evolutionäre Entwicklung menschlicher Gehirne
in ihren Grundfunktionen und in ihrer Plastizität hinsichtlich weiterer spezifischer Aus-
differenzierung in einer sozialen Ökologie.
Allerdings ist die Frage nach neuronal-somatischen Grundlagen für diese Leistungen
insofern interessant für unser Thema, als sich dabei neuere Diskurse zu evolutionären
und biosemiotischen Befunden verbinden lassen (vgl. Kriz, 2017). Denn wenn von einem
Affen die „Handlungsabsichten“ eines anderen Affen wahrgenommen werden, so han-
delt sich nicht mehr um eine sinnliche Wahrnehmung, wie es z. B. beim Erfassen einer
konkreten Banane durch das visuelle Sinnesorgan der Fall ist. Vielmehr erweitert der
Organismus (vor allem sein Zentralnervensystem) das mit dem Sensorium unmittelbar
sinnlich Erfassbare sowohl durch Integration der Teilprozesse in den einzelnen Sinnes-
systemen als auch durch eine damit verbundene Abstraktion zu Bedeutungskategorien.
Der Organismus kodiert dabei physikalische Zustände der Umgebung für seine biologi-
schen Zwecke in Form von Äquivalenzklassen gleicher Bedeutung – etwa als „Nahrung“
16
Psychotherapie 22. Jahrg. 2017 | Bd 22-2 | © CIP-Medien, München
oder „Schadstoff“, usw. Diese überaus wichtige Leistung der Bedeutungszuweisung hat
schon Jakob von Uexküll vor rund hundert Jahren für die Biologie sowie in Folge davon
sein Sohn Thure und andere für die Biosemiotik und Psychosomatik herausgearbeitet
(von Uexküll, 1920; von Uexküll & Kriszat, 1934/1956; von Uexküll, 1980, 1989; von
Uexküll, Geigges & Plassmann, 2002; Hontschik, 2006; Hontschik, Bertram & Geigges,
2013) – Entwicklungen, die bisher noch allzu wenig in der Psychotherapie Beachtung
gefunden haben (Kriz, 2017).
Für höhere Lebewesen, die sich mit funktional ausdifferenzierten Gehirnen eine komplexe
Umwelt erschlossen haben, ist eine organismische Architektur geradezu notwendig, bei
der Prozesse aus den einzelnen Sinnessystemen integriert werden. Mausfeld (2005) weist
darauf hin, dass es mit diesen Systemen möglich wird, „Aspekte der Außenwelt zu erfassen,
für die es keine sensorischen Rezeptoren gibt, beispielsweise distale Objektkategorien
wie ‚Nahrung‘, ‚Feind‘, ‚Paarungspartner‘ oder verborgene Attribute von Objekten wie
‚essbar‘, ‚gefährlich‘ […] Durch die Entstehung eines Gehirns kann der Organismus also
Dinge und Attribute wahrnehmen, die eigentlich seinem Sinnensystem verborgen sind,
er gewinnt gleichsam übersinnliche Fähigkeiten“ (Mausfeld, 2005, S. 66). In den letzten
Jahrzehnten ist unser Wissen über solche a priori vorhandenen (d. h. evolutionär erworbe-
nen) Bedeutungskategorien, besonders durch die Säuglingsforschung, rasant angewachsen.
Mausfeld referiert umfassende Untersuchungen, welche den Schluss zulassen, dass „Ge-
sicht“, „unbelebte Gegenstände“, „Belebtes“, „Meinesgleichen“, „Artefakte“ (also Gegen-
stände, die zu einem bestimmte Zweck hergestellt wurden, wie Stuhl, Hammer, Haus),
„Körperteile“, „Früchte“, „Gemüse“, „Kausalität“ und „Intentionalität“ (Be-Deutung
der raum-zeitlichen Veränderungen in der Konfiguration von belebten Objekten) solche
Bedeutungskategorien sind, die bereits in der Architektur des menschlichen Organismus
angelegt sind. Dies in Rechnung zu stellen, würde viele unserer gegenwärtigen Diskurse
in der Psychotherapie nicht unerheblich beeinflussen.
Das, was wir mit „Empathie“ bezeichnen, setzt fraglos solche „übersinnliche Fähigkeiten“
voraus. Auf der Ebene (vergleichsweise!) einfacher und natürlicher Handlungsintentionen,
ist dafür (und vermutlich für weit mehr) bereits der oben beschriebene Affe mit seinen
sog. Spiegelneuronen(systemen) fähig. Auch beim Menschen dürfen wir neben den eben
exemplarisch genannten a priori Bedeutungszuweisungen aufgrund seines Social Brains die
intuitive (und damit in der Architektur des Organismus verankerte) Erfassung vieler sozial
relevanter Bedeutungskategorien erwarten, die vor allem mit Mimik, Gestik, Motorik etc.
zu tun haben – auch wenn die Forschung hierzu noch in den Anfängen steckt. Ebenfalls
in der Architektur des Organismus ist die Fähigkeit zur kooperativen Hilfestellung – wie
bereits in den Anfangsszenen illustriert wurde, und was eine komplexe integrative Abstim-
mung von Wahrnehmungen, (intuitivem) Verstehen und Handeln voraussetzt. Tomasello
(2010, 2011) hat hierzu umfassende Forschungen angeleitet und referiert. Er hat zudem
auch die Basis der Herstellung von intersubjektiv geteiltem Wissen herausgearbeitet:
Einjährige Kinder folgen nicht nur Zeigegesten von Bezugspersonen sondern benutzen
auch selbst den Zeigefinger, um ihre Wahrnehmungen und Aufmerksamkeit (mit)-zuteilen
und in einer „triadischen Beziehung“ (selbst, anderer und gemeinsam betrachtetes Objekt
bzw. Szene) intersubjektive Bedeutungserteilung zu fördern.
Trotz dieser beachtlichen Leistungen hinsichtlich Empathie und Sozialität bereits auf rein
organismischer Ebene erwarten wir von einem Menschen, dem wir das Attribut „empa-
thisch“ zusprechen, mehr als ein organismisch-intuitives Einfühlen in die Zustände und
mehr oder minder intentionalen Veränderungen des anderen Organismus. Sondern wir
17
J. Kriz: Entwicklung zur Empathie aus Sicht der Personzentrierten Systemtheorie
erwarten die (zumindest partielle) Erfassung der Erfahrungswelt der anderen Person(en)
und des inneren Bezugsrahmens ihrer Äußerungen. Personen sind – wie die „Personzent-
rierte Systemtheorie“ (Kriz, 2017) betont – Entitäten, deren Leben und Erleben in jedem
Moment mit Prozessen auf biosomatisch-körperlicher, psychischer, interpersoneller und
kultureller Ebene zusammenhängen. Wenn aber das Erleben eines Subjekts auch von der
Einbettung in symbolisch gespeichertes Wissens abhängt, das generationenübergreifend
in einer Kultur zur Verfügung gestellt und das im Lichte neuer Erfahrungen revidiert
und erweitert wird, so bedeutet „empathisches Verstehen“ auch, auf diese Aspekte kul-
turellen „Weltwissens“ des erlebenden Anderen in einer bestimmten Situation Bezug
nehmen zu können.
Menschen verfügen in ihrer jeweiligen Umwelt nicht nur im Sinne der oben angeführten
Biosemiotik über natürliche Zeichen, sondern zusätzlich und vor allem über ein Netzwerk
aus Symbolen, deren Bedeutung kulturell geschaffen und jeweils intersubjektiv vorgege-
ben ist – wie nicht zuletzt Cassirer (1960) mit seinem Konzept des Menschen als „animal
symbolicum“ betont hat (vgl. auch Kriz, 2017). Und indem Empathie die Bedeutungsas-
pekte des menschlichen Gegenüber, welche auf kulturell begründeten Zeichen beruhen,
nicht völlig ausblenden darf, kommt der Kultur ein wichtiger Stellenwert für Empathie
zu. Dies soll im nächsten Abschnitt noch genauer untersucht werden.
Subjektivität und Kulturwerkzeuge
Wie wird denn nun jenes Potential des „sozialen Gehirns“ aktualisiert, welches im Fokus
dieses Beitrags steht: die Empathie? Dies ist eine zentrale Frage, denn die empathische
Verstehensleistung z. B. zwischen Mutter und Kind oder TherapeutIn und PatientIn dient
ja auch dazu, die Selbstempathie zu entwickeln und zu fördern.
Gewöhnlich wird in den Diskursen zu diesem Thema – besonders wenn sie von humanis-
tischen PsychologenInnen und PsychotherapeutenInnen geführt werden – die subjektive
(oder 1.-Person-) Perspektive scharf gegenüber einer objektiven (oder 3.-Person-) Per-
spektive abgegrenzt. Meine gefühlten Zahn- oder Magenschmerzen, meine Traurigkeit
oder Sehnsucht unterscheidet sich in der Tat prinzipiell von den Beobachtungen und
Beschreibungen anderer über meine inneren Zustände, oder gar von physiologischen
oder medizinischen Parametern (oder Ergebnissen von sog. Gehirn-Scans!).
Als Subjekt steht im Zentrum also zunächst intensives Spüren und Erleben. Doch wie
mache ich mir als Subjekt dieses, mein Spüren und Erleben, überhaupt zugänglich und
verständlich? Gehen wir dieser Frage nach, so wird deutlich, dass unsere Gefühle von
Traurigkeit, von Stolz , von Sinnlosigkeit oder Einsamkeit, zwar auf unser ureigenstes
Erleben verweisen – und daher, nochmals betont, durch keine Beschreibung, Beobachtung
oder gar Messung ersetzt werden können. Gleichwohl beruht aber die Symbolisierung,
also das verstehende Einordnen unseres Spürens und Erlebens, auf der Verwendung von
Wörtern, Begriffen, Kategorien, Bildern, Metaphern, Verstehensprinzipien etc., die aus
unserer Kultur stammen. Kurz: eine verstehende Aneignung seines eigenen subjektiven
Erlebens ist für das Individuum nur möglich, wenn es dabei die kognitiven Werkzeuge
seiner Kultur verwendet.
Damit sind bereits auf elementarer Ebene die 1.-Person-Perspektive mit der 3.-Person-
Perspektive und den kulturellen Strukturen, die diese repräsentieren, miteinander ver-
woben. Natürlich gibt es beim Menschen auch rein organismisches Erleben so wie auch
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Psychotherapie 22. Jahrg. 2017 | Bd 22-2 | © CIP-Medien, München
beim Tier – das ja auch seine Umwelt sowie innere Prozesse wahrnimmt, darauf bewertend
reagiert (z. B. mit Flucht, Erstarren, Bellen etc.) und komplexe, situationsadäquate Re-
aktionssteuerung kann. Aber um dieses organismische Erleben selbst zu verstehen – und
erst recht, um sich damit anderen verständlich zu machen – bedarf es der Anwendung von
Kulturwerkzeugen. Und diese beschränken sich keineswegs auf deiktische Lautverwei-
sungen mit denen Dinge oder Befindlichkeiten angezeigt werden. Sie beschränken sich
auch nicht auf den Bedeutungsgehalt von Wörtern. Sondern sie transportieren z. B. über
die spezifische Grammatik der indoeuropäischen Sprachen kognitive Einladungen zur
Verdinglichung. Damit ist gemeint, dass Prozesse wie z. B. psychische Krankheiten oder
Persönlichkeitseigenschaften wegen der Substantivierung eher als Dinge gesehen werden
und man entsprechend damit umgeht. Kulturwerkzeuge transportieren ferner Metaphern,
Vorstellungen und Verstehensprinzipien, die in unterschiedlichen Gesellschaften und
Gruppen (z. B. in Familien) ebenso unterschiedlich wie hoch bedeutsam sein können.
Und sie transportieren über Familiengeschichten sowie über kulturelle Narrationen, die
gleichzeitig mit der historischen Geschichte der jeweiligen Gesellschaft verwoben sind,
weitere Bilder, Prinzipien, Werte usw. Diese vermitteln Wahrnehmungs-, Interpreta-
tions-, Denk-, Fühl- und Handlungsprozesse dahingehend , wie man leben und was man
fürchten soll, wie man mit Krisen umgeht, oder wofür es sich zu kämpfen lohnt bzw. wann
Flucht, Erstarren oder Resignation angesagt ist. Gerade unsere Kultur in Mitteleuropa,
die durch zwei Weltkriege mit Millionen Toten, Zerstörungen und Vertreibungen, ein
Naziregime und Holocaust usw. innerhalb nur eines Jahrhunderts mit geprägt wurde, ist
übervoll von solchen Leit- und Leidgeschichten. Deren Bewältigungsprinzipien geistern
u. a. als implizite Verstehensbilder „der Welt“ und „der Anderen“ durch die Familien – und
sind damit wiederum Basis für die Kulturwerkzeuge, mit denen sich das Neugeborene
langsam ein Verstehen seines individuellen eigenen Erlebens aneignet – d. h. letztlich ein
Verstehen von sich selbst.
Es ist daher zwar gut für die Entwicklung des Neugeborenen, wenn die Mutter (oder eine
andere Bindungsperson) das Kind in seinen Affektäußerungen und Bedürfnissen „lesen“
und adäquat darauf eingehen kann. Für die Entwicklung einer „Person“ würde das aller-
dings nicht ausreichen. Sondern dafür ist es notwendig, dass das „Du“ im obigen Sinne, mit
seinen empathischen Rückmeldungen an das Baby eine sinnverstehende Symbolisierung
der wahrzunehmenden Welt, der eigenen Gefühle und Verhaltensweisen heranträgt. Das
heißt, die Beziehungspersonen sind auch dafür zuständig, dass die inneren, subjektiven,
„individuellen“ Prozesse mit den äußeren, objektiven, interpersonellen Prozessen und
ihren geronnenen Kulturwerkzeugen zusammengebracht werden. Nur so kann der sich
entwickelnde Mensch seine „Weisen in der Welt zu sein“ selbst-reflexiv verstehen und
sprachlich sich selbst und anderen verständlich machen. Wo eine solche Symbolisierung
partiell misslingt – wo also Teile oder Aspekte des eigenen Geschehens nicht verstanden
werden – wird beispielsweise im personzentrierten Ansatz und anderen Richtungen der
Humanistischen Psychotherapie, die sich darauf beziehen, von „Inkongruenz“ gesprochen.
In der „Person“ sind somit immer schon die drei o. a. Perspektiven miteinander ver-
schränkt: die des Ich-Subjekts (1.-Person-Perspektive), die der objektiven und objekt-
haften Außensicht (3.-Person-Perspektive) und ein begegnendes und sozialisierendes
„Du“ (2.-Person-Perspektive), das eben diese Verbindung gewährleistet. Vor diesem
Verständnis fungieren PsychotherapeutInnen als ein „Du“, welches inkongruente Muster
zwischen 1.- und 3.-Person am realen Erleben der PatientInnen empathisch symboli-
sieren helfen. Dazu ist „Begegnung“ im Sinne der Humanistischen Therapie nötig, die
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J. Kriz: Entwicklung zur Empathie aus Sicht der Personzentrierten Systemtheorie
weder eine konfluierende Überstülpung der Erlebensperspektiven noch eine distanzierte
Welterklärung anbietet, sondern sich selbst als Person einbringt, und dabei – wie oben
betont wurde – nicht durch exzessiven Verstehensanspruch die Authentizität des anderen
verhindert oder untergräbt.
Wesentlich für die Entwicklung von Empathie ist nicht nur, die eigenen inneren Pro-
zesse quasi von außen mit den Kulturwerkzeugen zu sehen, verstehen und zur Sprache
zu bringen und damit zu symbolisieren. Es ist genauso wichtig, die inneren Prozesse
der anderen quasi von innen (mit)-sehen zu können. Dies wird mit dem Konzept des
„Mentalisierens“ (Allen, Fonagy & Bateman, 2008; Asen & Fonagy, 2014) besser ge-
fasst, weil „Symbolisieren“ oft zu eng verstanden wird – nämlich primär auf die eigenen
Gefühle gerichtet. Neben dem oben erwähnten unmittelbaren Erfassen der inneren
Zustände anderer aufgrund evolutionär-intuitiver Kompetenzen, geht es hier eher um
eine notwendig unexakte, mit partiell fremd bleibenden Aspekten versehene gemein-
same Interpretation. „Die Entwicklung eines genauen Bildes vom seelischen Zustand
anderer bedarf einer ständigen sozialen Verifizierung. Mentalisierung entwickelt sich,
wird zunehmend komplexer und wird nur schrittweise erreicht“, schreiben Asen und
Fonagy, und betonen die „Haltung, mit der man aufrichtiges Interesse daran zeigt, was
andere denken und fühlen und die die Sichtweise des anderen respektiert. Diese Haltung
schließt die Zurückhaltung ein, Vermutungen anzustellen oder vorschnell zu urteilen
darüber, was andere denken oder fühlen“.
Es ist aber wohl deutlich, dass mit diesen Vorstellungen weit stärker die oben relativierten
Entwicklungskonzepte westlich-independenter psychischer Autonomie und der kommu-
nikativen Thematisierung innerer Zustände verbunden sind, hingegen die Förderung
von Handlungsautonomie, die in interdependenter Kulturen eine zentrale Rolle spielt,
zu wenig berücksichtigt ist.
Empathie und Beziehungsfähigkeit gegenüber sozialen Strukturen
Dehnt man das Konzept der Empathie – mit deren kommunikativer Realisierung in
Form von Symbolisieren und Mentalisieren – von der „übersinnlichen“ (vgl. 1. Abschnitt)
Erfassung innerer Vorgänge eines Gegenüber auf die „übersinnliche“ Erfassung von
Erfordernissen in sozialen Strukturen aus, so finden wir auch hier zunächst Hinweise auf
die evolutionären Potentiale im prosozialen Verhalten des „Helfens“. So geht Michael To-
masello (2010, 2014) vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig
aufgrund langjähriger Forschung davon aus, dass Kinder von Geburt an kooperativ und
hilfsbereit sind, da er regelmäßig in den Studien spontane Gesten der Hilfsbereitschaft
beobachten konnte. Durch differenzierte Versuchsanordnungen konnte er zeigen, dass
frühkindliche Hilfsbereitschaft und die Neigung zur Kooperation nicht nur eine Reaktion
auf die Erwartungshaltung der Eltern – also nicht nur angelernt – sondern auch angeboren
sind. Tomasello betont auch, dass schon Säuglinge bereitwillig teilen.
Solche Konzepte von erweiterter Empathie auf die strukturellen Belange der sozialen
Gruppe – also auch eine „Beziehungsfähigkeit“, die sich nicht nur auf ein Gegenüber
sondern auf sozialstrukturelle Erfordernisse bezieht – durchzieht diverse Ansätze seit
langem. In Alfred Adlers „Gemeinschaftssinn“, in dem „Aufforderungscharakter“ und der
„Gruppendynamik“ von Kurt Lewins „Feldtheorie“, in der „Szene“ von Jacob L. Morenos
„Psychodrama“ (Hutter, 2009; Kriz, 2014), in den „Systemischen Strukturaufstellungen“
20
Psychotherapie 22. Jahrg. 2017 | Bd 22-2 | © CIP-Medien, München
von Sparrer und Varga von Kibed (2000) oder in Albert Pessos „Holes in Roles“ (Pesso,
1999, Pesso & Perquin, 2007) finden sich solche Vorstellungen: Feldkräfte in sozialen
Strukturen werden intuitiv vor dem Hintergrund prozeduralen und wohl zumindest
teilweise evolutionär erworbenen Wissens ganzheitlich erfasst – insbesondere Spannun-
gen durch Leerstellen (z. B. Tod oder Scheidung von Vater oder Mutter, Verlust eines
Geschwisters etc.) oder „unnatürliche“ Machtverhältnisse und Koalitionen.
Die Möglichkeit evolutionärer Prästrukturierungen für soziale Muster mag zwar recht
spekulativ erscheinen. Aber im Schwarm- und Herdenverhalten von Vögeln, Fischen
und anderen Tieren finden wir (auf visueller Ebene) einfache Realisationen. Auch die
Bindungstheorie geht ja von angeborenen Suchstrategien hinsichtlich der sozialen Un-
terstützung in Stresssituationen aus (auch wenn dies wiederum eher auf eine Bindungs-
person bezogen zu sein scheint – wogegen allerdings spricht, dass es interdependente
Kulturen gibt, in denen Babys im ersten Lebensjahr jeden Tag von 30 Personen getragen
werden). Auch die von der Gestaltpsychologie bereits in den 1940er Jahren erforschte
Wahrnehmung „sozialer Gradienten“ (Heider, 1944) – wobei bewegte Figuren als spezi-
fisches soziales Verhalten erfahren werden – sind als Hinweise zu sehen. Die Vielfalt der
Konzepte, welche empathische Wahrnehmung und Beziehungsgestaltung in Bezug auf
soziale Strukturen berühren, zeigt zwar einerseits die Bedeutsamkeit der damit verbun-
denen Phänomene für viele im therapeutischen Bereich Tätige. Andererseits handelt es
sich um einen noch weitgehend unerforschten Bereich.
Die Perspektive von Empathie und Beziehungsfähigkeit zur Gruppe führt nochmals auf
die oben referierte Kritik an der „Generation Ich“ in unserer westlichen Mittelschichtser-
ziehung zurück (Keller, 2015) und hin zur Frage, wie die Beziehungsfähigkeit zur Gruppe
in der Entwicklung gefördert und unterstützt werden kann.
Familien aus diesen soziokulturellen Milieus sind eher auf hierarchische Relationalität
hin orientiert. Das bedeutet, die Werte, Einstellungen, Normen und Verhaltensweisen
sind darauf ausgerichtet, dass Kinder ihren Platz in der familiären Hierarchie schnell
kennenlernen und verantwortlich ausfüllen. Keller (2015) berichtet von Untersuchungen
bei westafrikanischen Nso-Bauern, deren Interaktionen mit den Babys nicht vorrangig
responsiv/reaktiv auf kindliche Signale entsprechend eines alternierenden „Turn-Takings“
aufgebaut sind, sondern stärker von den Müttern strukturiert werden. Sie sind zudem
weniger verbal organisiert, sondern zeichnen sich durch stark rhythmische Lautmalerei
und Sprechgesang, einhergehend mit entsprechenden rhythmischen Bewegungen, aus. Es
kommen kaum Erzählaufforderungen und so gut wie keine Referenzen zu biographischen
Erlebnissen des Kindes vor.
Die Mutter greift nicht das innere Erleben des Kindes, sondern seine äußere Erscheinung auf.
Es wird offensichtlich sehr viel weniger Wert auf die Entwicklung einer reichen inneren,
selbstbezogenen Identität gelegt, als auf die Entwicklung eines verhaltensnahen Selbst-
bildes. Kindliche Trotzreaktionen und heftige und lautstarke Unmutsäußerungen sind in
vielen anderen Kulturen völlig unbekannt. Familien verfolgen dort andere Erziehungsziele,
wie z. B. die Einordnung in die Gemeinschaft, was mit Respekt und Selbstverantwortung
einhergeht und für die Äußerung negativer Emotionen keinen Raum lässt.
Keller berichtet aus Untersuchungen in deutschen Kitas und wie dort der Bias einer
Entwicklungsförderung von individualistisch-ichbezogenen Zweijährigen zum Tragen
kommt: „Obwohl die Kita ja per definitionem eine Gruppensituation darstellt, wird doch
viel Wert auf dyadische Interaktionssituationen gelegt. … die ... Kinder befanden sich
knapp 50 % des Tages in dyadischen Interaktionen mit jeweils einer ErzieherIn“ (Keller,
21
J. Kriz: Entwicklung zur Empathie aus Sicht der Personzentrierten Systemtheorie
2015, S. 20). In der anderen Zeit findet vorwiegend „das gelobte freie Spiel“ statt, „in
dem das Kind sich selbst und seine Wünsche entdecken soll. Die Kinder hocken dann
nebeneinander und puzzeln vor sich hin. In der Gruppe machen sie in dieser Altersgruppe
von alleine nicht viel.“ Die Vermittlung von Wir-Gefühl, Zugehörigkeit, Respekt und die
Beachtung von Grenzen, die der Umgang miteinander setzt, kommen in diesen Settings
typischerweise zu kurz.
Nach Keller aber ließe sich die einseitige Konzentration auf das einzelne Kind leicht
verändern, indem stärker das „wir“ angesprochen wird und nicht nur das „du“. Statt
jedes einzelne Kind ein Bild malen zu lassen und es individuell dafür zu loben könnten
die Kinder ein Bild gemeinsam malen. Und es wäre wichtig, Gesprächssituationen anzu-
regen, in denen es nicht um das einzelne Kind geht, sondern auch um die anderen – etwa,
indem gefragt wird, mit wem es gestern gespielt (statt nur, was es gemacht) habe, oder
indem gefragt wird, wer alles zur Familie gehört, statt nur danach, etwas von sich selbst
zu erzählen. Die Kinder sollten somit mehr darin unterstützt werden, Aufmerksamkeit
und Interesse auf andere zu richten und soziale Verantwortung zu übernehmen, als nur
auf ihre eigene Befindlichkeit.
Dieses „als nur“ ist durchaus ernst zu nehmen, denn es soll keineswegs für eine Rückkehr
in autoritäre Strukturen plädiert werden, welche die inneren Befindlichkeiten des Ein-
zelnen weitgehend ignoriert oder gar für „Völkisches“ missbraucht. Davon hatten wir,
gerade auch in Deutschland, allzu viel.
Resümee
Die Perspektive der Personzentrierten Systemtheorie ist dadurch gekennzeichnet, dass
die Wechselwirkungen zwischen organismischen, psychischen, interpersonellen und
kulturellen Prozessen im Zentrum stehen und dabei sowohl die „objektiv“/intersub-
jektiven Bedeutungen und Erklärungen (also wie „die Welt“ beschrieben wird) als auch
die subjektive Bedeutungszuweisungen im Sinne der Biosemiotik (also wie „die Welt“
erlebt wird) berücksichtigt werden (vgl. Kriz, 2017). Unter dieser Perspektive bedarf
die Entwicklung von Empathie (und deren Förderung) nicht nur einer Verbindung
organismisch-evolutionärer Potentiale mit den Kulturwerkzeugen (vor allem Sprache
mit ihren Metaphern, Erklärungsprinzipien, Narrationen usw.) – vermittelt über in-
terpersonelle und psychische Prozesse – um das eigene innere Geschehen zur erfassen
und zu verstehen (symbolisieren) sowie das Innenleben des Gegenüber (mentalisieren).
Sondern die hohe Bedeutung der Kultur bei diesen Entwicklungsprozessen lässt auch die
problematische Verengung in unserer westlichen Mittelschichtskultur auf independente
Sozialisationsideale um die Bedingungen und Ziele interdependenter Kulturen als Korrek-
tiv und Relativierung erweitern (was allerdings auch vice versa gilt!). Dies wäre nicht nur
im Hinblick auf die Realität unserer zunehmenden Multi-Kulti-Gesellschaft mit hohen
Migrantenanteilen wichtig, um allzu starke Verwerfungen und Konflikte in gemeinsamen
Erziehungsräumen (Kita, Grundschule, …) zu vermeiden oder zumindest abzumildern.
Sondern die Analyse von Heidi Keller (2015) zeigt auf, wie die in den letzten Jahrzehnten
zugenommene Einseitigkeit unseres Verständnisses von Empathie, Entwicklungzielen und
-werten letztlich „Ichlinge“ hervorbringt deren psychische Autonomie zu sehr auf Kosten
von Handlungsautonomie gefördert wurde. Zumal Keller zuzustimmen ist, dass diese
vermeintliche Autonomie allzu oft mit Abhängigkeiten und Unsicherheiten verbunden ist
22
Psychotherapie 22. Jahrg. 2017 | Bd 22-2 | © CIP-Medien, München
– Kinder, deren „Du sollst gucken!“, durch Kitas und Spielplätze hallt und die, wie oben
gesagt wurde, sehr gut in der Lage sind, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu artikulieren, sich
aber erschreckend hilflos bei ganz alltäglichen Handlungsvollzügen anstellen.
Empathie und Beziehungsfähigkeit wären daher nicht nur in Bezug zum Einzelnen zu
fördern, sondern auch für die Belange der (engeren und weiteren) Sozialgemeinschaft
– zumal Tomasello von angeborener Hilfsbereitschaft und Kooperation ausgeht. Diese
müssten also – im wahrsten Sinne des Wortes – nur besser kultiviert werden.
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Korrespondenzadresse
Univ.-Prof. em. Dr. Jürgen Kriz
Institut für Psychologie FB 8 | Seminarstrasse 20 | Poststelle
D- 49074 Osnabrück | Germany | www.jkriz.de
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Rezension des Buches "Subjekt und Lebenswelt. Personzentrierte Systemtheorie..." (Jürgen Kriz, 2017) in dem umfassend 4 Prozessebenen (körperlich, psychisch, interpersonell, kulturell/gesellschaftlich) und deren Zusammenwirken in der Komplementarität von subjektiven und objektiven Perspektiven dargestellt wird
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Human eyes serve two key functions in face-to-face social interactions: they provide cues about a person’s emotional state and attentional focus (gaze direction). Both functions critically rely on the morphologically unique human sclera and have been shown to operate even in the absence of conscious awareness in adults. However, it is not known whether the ability to respond to social cues from scleral information without conscious awareness exists early in human ontogeny and can therefore be considered a foundational feature of human social functioning. In the current study, we used event-related brain potentials (ERPs) to show that 7-mo-old infants discriminate between fearful and nonfearful eyes (experiment 1) and between direct and averted gaze (experiment 2), even when presented below the perceptual threshold. These effects were specific to the human sclera and not seen in response to polarityinverted eyes. Our results suggest that early in ontogeny the human brain detects social cues from scleral information even in the absence of conscious awareness. The current findings support the view that the human eye with its prominent sclera serves critical communicative functions during human social interactions.
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Ausgehend von der öffentlichen Diskussion um die ichbezogene Generation und die individuellen und gesellschaftlichen Konsequenzen analysiert Heidi Keller das frühe Erziehungs- und Sozialisationsumfeld von Kindern. Vom ersten Tag an orientiert sich elterliches Verhalten an psychologischer Autonomie. Die Einzigartigkeit, Individualität und insbesondere die innere Welt der Wünsche, Bedürfnisse und Vorlieben stehen zu Hause wie auch in der Kita im Mittelpunkt. Westliche Mittelschichtkinder wachsen daher in einem konsistenten Sozialisationsmilieu auf. Bisher wenig beachtete Konsequenzen dieser Erziehung werden anhand von Beispielen aufgezeigt, wie etwa dem Trotzverhalten, der Abhängigkeit von der ungeteilten Aufmerksamkeit der Eltern und der Verminderung sozialer Kompetenzen. Der Inhalt • Das Bild des Kindes in der westlichen Welt • Die Säulen der Sozialisation zur psychologischen Autonomie • Die Kita als Spiegelbild der Mittelschichterziehung • Konsequenzen der Sozialisation zu psychologischer Autonomie • Die Kehrseite psychologischer Autonomie Die Zielgruppen • Studierende und Dozierende der Psychologie, Anthropologie, Pädagogik und Erziehungswissenschaften • Psychologen, Sozialpädagogen, Kinderärzte, Erzieher sowie am Thema interessierte Laien Die Autorin Prof. Dr. Heidi Keller ist Professorin im Ruhestand an der Universität Osnabrück sowie Kodirektorin von Nevet an der Paul Baerwald School of Social Work and Social Welfare, The Hebrew University of Jerusalem, Mount Scopus, Jerusalem.
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Die von Rogers 1957 als notwendig und hinreichend postulierten Bedingungen für Persönlichkeitsentwicklung bilden das Fundament eines anthropologischen und therapietheoretischen wie -praktischen Paradigmenwechsels in der Psychotherapie. Die Basis dafür stellt eine ethische Position dar, die den Menschen als Person, d. h. in der unüberholbaren Dialektik von Selbstständigkeit und Beziehungs-angewiesenheit, versteht. Psychotherapie bedeutet demnach das Ergreifen der Verantwortlichkeit aus dem Angesprochenwerden von einem prinzipiell Anderen und dem in der jeweiligen Gegenwart daraus erwachsenden kairotischen Anspruch, die Aktualisierung des vorhandenen Potentials durch personale Begegnung zu fördern.
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Conventional wisdom over the past 160 years in the cognitive and neurosciences has assumed that brains evolved to process factual information about the world. Most attention has therefore been focused on such features as pattern recognition, color vision, and speech perception. By extension, it was assumed that brains evolved to deal with essentially ecological problem-solving tasks. 1.