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Der Beitrag der Konversationsanalyse zu einem realistischen Hilfeverständnis

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Abstract

Interaktionen zwischen Professionellen und Klient/innen können als eine Art Blaupause des people processing (vgl. Hasenfeld 1972) aufgefasst werden. Aus Sicht der konversationsanalytischen Forschung erweist sich die institutionelle Praxis als ein komplexer Übersetzungs- und Transformationsprozess, der die lebensweltlichen Sachverhalte und Problemstellungen ihrer Adressatinnen und Adressaten in institutionell bearbeitbare Kategorien überführt und in den betreffenden Interaktionen kontinuierlich reproduziert. Indem sich das strukturelle Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle bis tief in die einzelnen Interaktionen des Hilfeprozesses transferiert, sehen sich die Fachkräfte entsprechend vor der Notwendigkeit, mitunter unvereinbare Strukturmuster fachlichen Handelns so zu gestalten, dass die Bereitschaft zur Mitarbeit im Hilfeprozess nicht untergraben und/oder das Engagement der Betroffen damit nicht hinfällig wird.
Hanna Weinbach | Thomas Coelen |
Bernd Dollinger | Chantal Munsch |
Albrecht Rohrmann (Hrsg.)
Folgen sozialer Hilfen
Theoretische und empirische Zugänge
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Dieses Buch ist erhältlich als:
ISBN 978-3-7799-3656-5 Print
ISBN 978-3-7799-4658-8 E-Book (PDF)
1. Auflage 2017
© 2017 Beltz Juventa
in der Verlagsgruppe Beltz · Weinheim Basel
Werderstraße 10, 69469 Weinheim
Alle Rechte vorbehalten
Herstellung: Ulrike Poppel
Satz: Helmut Rohde, Euskirchen
Druck und Bindung: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza
Printed in Germany
Weitere Informationen zu unseren Autoren und Titeln finden Sie unter: www.beltz.de
5
Inhalt
Einführung 7
Implikationen der Erforschung von Folgen sozialer Hilfen
Einführende Anmerkungen
Bernd Dollinger, Hanna Weinbach, Thomas Coelen,
Chantal Munsch & Albrecht Rohrmann 8
AdressatInnen und Folgen sozialer Hilfen
Hans Thiersch im Gespräch mit Hanna Weinbach 18
Methodologisch-methodische Zugänge 33
Folgen Sozialer Arbeit
Perspektiven der Wirkungsforschung
Holger Ziegler 34
Biografisierungen von institutionellen Hilfeleistungen
Überlegungen zu einem biografieanalytischen Zugang zu den Folgen
sozialer Hilfen
Christine Demmer 50
Über gewollte und nicht geplante Folgen von sozialen Hilfen für die
Adressat_innen
Methodische Reflexionen im Rahmen der Adressatenforschung
Gunther Graßhoff 65
Der Beitrag der Konversationsanalyse zu einem realistischen
Hilfeverständnis
Heinz Messmer 79
Zur Relevanz von Interviewkontexten für Positionierungen in
Hilfenarrationen
Vesna Varga & Chantal Munsch 93
6
Empirische Studien 107
„Aber ich kann halt immer noch selbst entscheiden.“
‚Kontrolle‘ der Folgen sozialer Hilfen in Schnittfeldern zwischen
Jugendhilfe und Schule
Jennifer Buchna & Thomas Coelen 108
Positionierungen von Eltern und Fachkräften entlang von Bildungs-
und Fürsorgediskursen in Kindertageseinrichtungen
Miriam Mai & Luisa Abdessadok 124
Soziale Hilfen unter Mediatisierungsbedingungen
Zur Bedeutung von Medienpraktiken im Kontext der Behandlung
von Essstörungen
Dagmar Hoffmann 137
Un/doing disability als Folge sozialer Hilfen
Hanna Weinbach 152
Junge Angeklagte im Kampf mit dem Erziehungsanspruch
des Jugend(straf)rechts
Empirische Erkundungen
Bernd Dollinger, Luzie Gilde, Selina Heppchen & Jenna Vietig 177
Folgen sozialer Hilfen im Querschnitt von Arbeitsfeldern
Erste empirische Befunde
Jennifer Buchna, Luzie Gilde, Selina Heppchen,
Jenna Vietig & Hanna Weinbach 195
Konzeptionelle Perspektiven 213
Transformationaler Umgang: Implikationen für die Offene Jugendarbeit
Andreas Kastenmüller 214
Folgen von Psychotherapie: Ausgewählte Themen der Psychotherapie-
forschung
Tim Klucken 221
Gesetzgebung und Entwicklung sozialer Hilfen am Beispiel der Arbeit
von Betreuungsbehörden
Michael Fischer, Tobias Fröschle & Albrecht Rohrmann 227
Die Autorinnen und Autoren 248
79
Der Beitrag der Konversationsanalyse
zu einem realistischen Hilfeverständnis
Heinz Messmer
Die Konversationsanalyse (conversation analysis – nachfolgend CA) ist eine
Methode, die soziale Wirklichkeiten im Moment ihres Entstehens untersucht.
Damit unterscheidet sie sich von den meisten herkömmlichen Methoden der
empirischen Sozialforschung, welche die zu untersuchenden Sachverhalte für
gewöhnlich erst im Nachhinein, also ex post facto rekonstruieren, beispielsweise
mittels Umfragen, Interviews, Narrationen o. ä. m. Das erinnerte Erleben als
empirisches Datum stimmt jedoch für gewöhnlich nur teilweise mit den zu
erhebenden Sachverhalten sozialer Wirklichkeit überein. Abweichungen resul-
tieren beispielsweise aus Einzigartigkeit eines Standpunkts, der Selektivität von
Wahrnehmung oder der Verträglichkeit einer Wahrnehmung mit dem bereits
bestehenden Wissen.
1
In der empirischen Sozialforschung sind solche grundsätzlichen Unschärfen
jedoch kaum zu vermeiden. Sie lassen sich aber in quantitativen und qualitati-
ven Hinsichten zum Teil kompensieren, etwa durch das Sampling der zu befra-
genden bzw. zu interviewenden Personen, durch die Überprüfung der Verläss-
lichkeit und Qualität ihrer Aussagen oder durch die Generalisierbarkeit und
Theoretisierung der erhobenen Inhalte. Die methodologische Annahme dabei
ist, dass es objektiv zu erkennende (bzw. mehr oder weniger ‚ent-subjekti-
vierte’) Wirklichkeitssachverhalte gibt, die methodisch kontrollierte Zugänge
vorausgesetzt – auch ex post facto untersucht und beschrieben werden können.
Im Unterschied dazu geht die CA einen anderen Weg. Ihr Ausgangspunkt
besteht in der Annahme, dass sich jede Form sozialer Wirklichkeit auf die In-
teraktionen (oder genauer: auf die Kommunikationen) wenigstens zweier Ak-
teure gründet – beispielsweise. in Form einer Begrüßung, mit der ein Akteur
die Identität des jeweils anderen anerkennt resp. als Mitglied einer sozialen
1 So auch William James 1890, der das konventionelle Verhältnis von Anschauung und
Gegenstand vom Kopf auf die Füße gestellt und der Phänomenologie damit den Weg ge-
bahnt hat. Im Übrigen standen vergleichbare Probleme (etwa Platons Höhlengleichnis, vgl.
Rufener 2000) schon der Philosophie der Antike deutlich vor Augen.
80
Gruppe bestätigt, oder in Form eines Widerspruchs, durch den die Gültigkeit
einer Aussage über einen Wirklichkeitssachverhalt oder eines Ansinnens in
Frage gestellt wird. Die Konsequenzen, die sich aus dieser Haltung ergeben,
sind überaus vielfältig. Demnach gibt es nicht nur eine soziale Wirklichkeit,
sondern viele, sofern gleichzeitig und unabhängig voneinander massenhaft
weitere Interaktionen prozessieren, die damit ihre je eigenen Wirklichkeiten
generieren. Umgekehrt lässt sich folgern, dass ohne Kommunikation keine
soziale Wirklichkeit Bestand haben kann, sofern sie ansonsten nur als eine für
andere unzugängliche Bewusstseinstatsache existiert.
Wenn Kommunikation der modus operandi sozialer Wirklichkeiten ist, liegt
darin auch der Schlüssel zu ihrem Verständnis begründet. Die Konversations-
analyse ist daher eine Methode, die ausschließlich mit ‚natürlich Daten‘ ope-
riert. Damit sind solche Daten bezeichnet, an deren Herstellung wissenschaftli-
che Akteure nicht beteiligt sind und folglich auch nicht bei den zu generieren-
den Wirklichkeitssachverhalten intervenieren. Befragungen, Interviews u. ä.
scheiden somit von Vornherein aus. Um die Phänomene sozialer Wirklichkei-
ten im Moment ihrer Herstellung unverfälscht und unbeeinflusst untersuchen
zu können, fokussiert die CA vielmehr auf Audio- und Videoaufzeichnungen
verbaler und nonverbaler Kommunikationen als empirisches Datum ihrer Kon-
stitution. Mit ihren Untersuchungen verfolgt sie das Ziel, die elementaren
Strukturen der sozialen Wirklichkeitsproduktion zu erfassen. Ihre Fragestellun-
gen sind leicht zu verstehen, aber nur schwer zu beantworten: Wie wird soziale
Wirklichkeit von Moment-zu-Moment hergestellt? Wie wird sie prozessiert?
Wie beendet?
Das Wirklichkeitsverständnis der CA ist daher vom Augenblick seiner Ent-
stehung – und das wiederum heißt: von den unmittelbar konkreten Aktivitäten
sozialer Akteure geprägt. Insofern handelt es um eine situierte, d. h. an kon-
krete Situationen gebundene Wirklichkeit, die solange Bestand hat, wie die
Aktivitäten dauern, die sie hervorgebracht haben. Aus Sicht der CA lässt sich
soziale Wirklichkeit ausschließlich nur als ‚Vollzugswirklichkeit‘ (vgl. Berg-
mann 1981, S. 12; ders. 2000) angemessen erfassen.
Aufgrund der Tiefen- bzw. Genauigkeitsansprüche konversationsanalyti-
scher Forschung sind deren Analyseeinheiten entsprechend begrenzt. Sie rei-
chen für gewöhnlich von der Untersuchung einer einzelnen Mitteilung (oder
eines turn) bis hin zur Analyse einer ein- bis zweistündigen Interaktionssitua-
tion, selten länger. Im Gegenzug erzeugt diese analytische Orientierung jedoch
regelmäßig Einsichten in die lebensweltlichen und institutionellen Prozesse der
Wirklichkeitsproduktion, für die es in der empirischen Sozialforschung keine
vergleichbaren Vorläufer gibt (für einen Forschungsüberblick in Handlungsfel-
dern der Sozialen Arbeit vgl. Hitzler/Messmer 2008).
81
Methodologische Probleme bei der Feststellung von Hilfefolgen
Eine Untersuchungsmethode, die sich auf der Grundlage ‚natürlicher‘ (Ge-
sprächs-)Daten vorwiegend auf die situativen, sequentiell kleinräumigen und
interaktiven Mechanismen sozialer Wirklichkeitsproduktionen konzentriert,
sieht sich in Bezug auf die in diesem Buch zu verhandelnden Fragen (Hilfefol-
gen) aus leicht nachvollziehbaren Gründen verschiedenen Problemstellungen
gegenüber: Um ‚natürliche‘ Daten über die Hilfefolgen generieren zu können,
müsste ein/e Forscher/in über einen längeren Zeitraum die Interaktionen der
Betroffenen akribisch per Audio oder Video dokumentieren, um herauszufin-
den, was sich im Vergleich zu den zuvor attestierten Problemstellungen verbes-
sert oder verschlechtert hat. Aber auch, wenn man die Frage des Zugangs und
der Anhäufung großer Datenmengen zunächst einmal ignoriert – was wären
dann die für Vergleichszwecke maßgeblichen Indikatoren? Eine verringerte
Konflikthäufigkeit zwischen den Eltern? Ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit
gegenüber den Kindern? Abnehmender Suchtmittelkonsum? Und selbst auch
dann, wenn man über solche Indikatoren verfügte, könnten Veränderungen aus
Sicht der CA nur dann verlässlich festgestellt werden, wenn man wüsste, wie
sich die Situation vor der sozialpädagogischen Intervention präzise dargestellt
hat.
Tatsächlich hat es im Feld der CA meines Wissens noch keine Studie gege-
ben, die sich aus den erwähnten Gründen mit den Hilfefolgen auseinanderge-
setzt hat, und voraussichtlich wird es – aus denselben Gründen – auch zukünf-
tig keine geben. Eine Möglichkeit, um die Hilfefolgen in den Blick zu bekom-
men, könnte jedoch darin bestehen, diejenigen Kommunikationen zu untersu-
chen, die zeitlich näher am Ende eines Hilfeverlaufs lägen und aufgrund derer
sich die Folgen eines Hilfeverlaufs entsprechend abschätzen ließen. Aber auch
hierzu ist mir im Kontext der CA keine Studie näher bekannt. Lediglich Sarah
Hitzler und ich haben im Zuge unserer Forschungen zu Hilfeplangesprächen
(HPG) untersucht, wie das Ende einer Hilfe im Kontext sog. Beendigungs- oder
Abschlussgespräche von den Fachkräften interaktiv inszeniert und umgesetzt
wird (vgl. Messmer/Hitzler 2008a). Die untersuchungsleitende Annahme dabei
war, dass analog zu den Prozessen der Klientifizierung (vgl. Messmer/Hitzler
2007) die Identität von Klienten/innen zum Ende des Hilfeverlaufs in umge-
kehrter Richtung wieder rückgängig gemacht werden muss. Das lässt sich an
den vorhandenen Daten zu Prozessen der Deklientifizierung auch so belegen.
Denn ebenso, wie potentielle Klienten/innen eine für die Institution bearbeit-
bare Identität benötigen, muss diese gegen Ende der Hilfe wieder aufgehoben
und hinfällig gemacht werden, um anzuzeigen, dass die betreffende Person
nicht mehr länger Adressat/in einer Maßnahme ist. Mit welchen kommunikati-
82
ven Praktiken dies interaktiv in Szene gesetzt wird, haben wir mit den entspre-
chenden Publikationen beschrieben.
Darüber hinaus machen unsere Untersuchungen deutlich, dass die Wirk-
lichkeitsproduktion im HPG das Produkt institutioneller Zuschreibungen sind,
die sich ihrerseits wiederum an den Zielen und Aufgaben der professionellen
Fallbearbeitung ausrichten müssen. Im Rahmen von Deklientifizierungsprozes-
sen führt die lose gekoppelte Verknüpfung von Sachverhalten und darauf auf-
bauenden Zuschreibungen mitunter zu fragwürdigen Konsequenzen. So wer-
den Heranwachsende an der Volljährigkeitsgrenze häufiger auch dann aus der
Hilfe entlassen, wenn sie sich diesem Schritt noch nicht gewachsen fühlen. In
diesem Zusammenhang werden dann mitunter kontrafaktische Wirklichkeiten
produziert. Dieses zwiespältige Resultat hinterlässt schließlich auch in den Be-
funden der sog. care leaver-Forschung deutliche Spuren. Die Bedingungen,
unter denen junge Menschen den Schritt aus der Fürsorge staatlicher Instituti-
onen bewerkstelligen müssen, sind u. a. davon geprägt, dass die Hilfebeendi-
gung oftmals abrupt, schlecht vorbereitet und alternativlos umgesetzt wird, so
dass nicht wenige Betroffene daran scheitern (vgl. Messmer 2014). Was an
dieser Problematik insgesamt deutlich wird, ist, dass die Hilfefolgen nicht un-
abhängig von den ihnen vorausgehenden Hilfeprozessen angemessen begriffen
und eingeschätzt werden können. Diese hängen vielmehr davon ab, unter wel-
chen Voraussetzungen und mit welcher Qualität sich ein Hilfeprozess realisiert.
Der Beitrag der CA zu einem realistischen Hilfeverständnis
Wenn es nun darum geht, die Bedingungen zu beschreiben, unter denen eine
Hilfe zustande kommt und umgesetzt wird, kann die CA auf einen beträchtli-
chen Wissensfundus verweisen insbesondere hinsichtlich der Frage, wie
Fachpersonen mit Klient/innen interagieren und welche Konsequenzen dies
nach sich zieht. Dabei fällt auf, dass sich die untersuchten und beschriebenen
Sachverhalte zum Teil ganz erheblich von den Einsichten herkömmlicher Ana-
lysen unterscheiden. Zunächst einmal werden die selbstverständlichen Annah-
men der herkömmlichen Forschung hinterfragt. Während diese beispielsweise
postuliert, dass es Klient/innen gibt, interessiert sich die CA stattdessen dafür,
wie diese in den situierten Prozessen professioneller Aktivitäten hergestellt
werden. Aber auch hinsichtlich der Umsetzung von Erwartungen an Teilhabe
(Partizipation) und der Gestaltung kooperativer Prozesse geben die Daten An-
lass zu Skepsis. Wie verschiedene Untersuchungen (s. u.) hierzu zeigen, verfü-
gen die Fachkräfte der Sozialen Arbeit über ein reichhaltiges Arsenal an Ein-
flussmöglichkeiten, mittels derer sie die Prozesse der Etablierung einer sozialar-
83
beiterischen Vollzugswirklichkeit prozessual und inhaltlich nahezu uneinge-
schränkt steuern. Dieser Befund kommt zwar keineswegs überraschend, er hat
jedoch weitreichende Folgen in Bezug auf die Art und Weise, wie eine Hilfe
umgesetzt wird und welche Folgen sich daraus ergeben.
Vor diesem Hintergrund möchte ich ausgewählte Befunde aus eigenen und
verschiedenen anderen konversationsanalytischen Forschungen thematisieren,
von denen ich annehme, dass sie auch für die Frage nach den Hilfefolgen (etwa
im Sinne von Wirkvoraussetzungen) aufschlussreich sind.
Kategorisierung als Medium der Konstitution und des Prozessierens
einer Fallwirklichkeit
Die Frage, wie fallbezogene Identitäten in und durch interaktive Prozesse her-
ausgearbeitet und sichtbar gemacht werden, ist ein grundsätzliches Anliegen
konversationsanalytischer Forschung. Diesbezügliche Untersuchungen machen
deutlich, dass ‚Kategorisierung‘ nicht nur die Voraussetzung professioneller
Aktivitäten repräsentiert, sondern eine Kernaktivität sozialarbeiterischen Han-
delns bezeichnet (vgl. u. a. Hall et al. 2003; zusammenfassend: Mäkitalo 2014).
Im Professionellen Handeln werden Kategorisierungen nicht nur dort relevant,
wo man sie normalerweise auch vermutet (also beim Falleingang, beim Fallver-
stehen, in der Diagnostik, etc.), sondern überall dort, wo Professionelle mit
Klient/innen interagieren, sich kollegial über einen Fall austauschen oder ent-
sprechende Einschätzungen aktenkundig dokumentieren. Kategorisierungen
sind im fachlichen Handeln von Professionellen ubiquitär und omnipräsent,
was die Soziale Arbeit als eine außerordentlich wirkmächtige Definitionsagen-
tur etabliert. In der direkten Interaktion mit Klient/innen bleiben solche Kate-
gorisierungen aus ethischen Erwägungen zwar oft implizit, jedoch sind sie des-
wegen kaum weniger invasiv (vgl. Messmer 2015). Die Zuschreibung einer
Kategorie wie ‚Außerhäusigkeit‘ auf ein 14jähriges Mädchen reicht beispiels-
weise vollständig aus, um in einem Hilfeplangespräch unter den anwesenden
Fachkräften Konsens über darauf bezugnehmende sozialpädagogische Inter-
ventionen zu erzielen (vgl. Messmer/Hitzler 2007).
Kategorisierungen spielen zudem eine maßgebliche Rolle im Kontext der
Aufrechterhaltung einer Machtasymmetrie. Fachkräfte machen ihre Erwartun-
gen im Hinblick auf ein rollenkonformes Verhalten bei Bedarf explizit. Die
Kategorisierung entlang der normativen Unterscheidung von ‚gut‘ und
‚schlecht‘ (etwa im Hinblick auf die Bewertung eines kooperativen im Unter-
schied zu einem nicht-kooperativen Verhalten seitens der Klientel, vgl. u. a.
Juhila 2003; Urek 2005) bemisst sich dabei an den unhinterfragten Annahmen
einer komplementären Beziehungsgestaltung zwischen Professionellen und
Klient/innen. So werden Schwierigkeiten im Hilfeprozess wie selbstverständlich
84
der klientelen Verantwortung zugeschrieben und auf ihre Widerständigkeit
bzw. Resistenz zurückgeführt (zusammenfassend: Juhila/Caswell/Raitakari
2014).
Die Fachkräfte der Sozialen Arbeit haben das Recht und die Pflicht, die
Klientel hinsichtlich ihrer Persönlichkeit und ihrer persönlichen Lebensum-
stände zu evaluieren und daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Profes-
sionelles Handeln ist insofern immer auch character work (Hall/Sarangi/Slem-
brouck 2006, S. 30), also die Arbeit an der permanenten Kategorisierung von
Klient/innen. Andere Forscher bevorzugen den Begriff moral work (vgl. Hydén
1994) oder charakterisieren die Fachkräfte der Sozialen Arbeit als moral judges
(vgl. White 2003). Angesichts der Einseitigkeit institutioneller Definitionen
sind solche und ähnliche Bezeichnungen durchaus plausibel. Solange ‚Kategori-
sierung‘ im Kontext Sozialer Arbeit zudem auf die Aufdeckung von Defiziten
fokussiert, stellt sich mithin die Frage, welche Alternativen zu den gängigen
Mustern der Kategorisierung überhaupt vorstellbar sind und welche Konse-
quenzen sich möglicherweise für die Folgen erzieherischer Hilfen daraus ergä-
ben.
Entscheidung als Medium der Hilfegestaltung
Hilfeplangespräche in der Kinder- und Jugendhilfe haben zum Ziel, unter Ein-
beziehung der Betroffenen gemeinsam eine Entscheidung über die Art und
Weise der Durchführung eines Hilfeprozesses zu treffen (vgl. § 36 SGB VIII).
Mit der Beteiligungsnorm ist in den Prozess der Entscheidungsfindung gleich-
sam eine Art Symmetriegebot eingebaut, das der Einseitigkeit professioneller
Definitions- und Entscheidungsmacht entgegenwirken und damit sicherstellen
soll, dass die Bedürfnisse und Erwartungen der Betroffenen so weit als möglich
berücksichtigt werden. In unserem HPG-Sample waren die Kinder und Ju-
gendlichen bzw. deren Sorgeberechtigten zum überwiegenden Teil vertreten
und kamen überdies auch zu Wort.
Wenn man sich jedoch die entsprechenden Situationen genauer betrachtet
und analysiert, stellt man fest, dass Professionelle über verschiedene Immuni-
sierungsstrategien verfügen, mittels derer sich der Einfluss der Entscheidungs-
betroffenen auf die Entscheidungsvorgänge nachhaltig steuern und ggfs. auch
neutralisieren lässt. Beispielsweise konnten wir feststellen, dass in den von uns
untersuchten Gesprächen nur ein kleinerer (und meist auch weniger bedeutsa-
mer) Teil an Entscheidungen im Sinne einer Wahl zwischen zwei gleichberech-
tigten Entscheidungsalternativen geöffnet und zur Disposition gestellt wird.
Entscheidungen, bei denen gegenüber den von den Fachkräften bevorzugten
Alternativen mit Widerstand zu rechnen war, blieben tendenziell eher ‚ge-
85
schlossen‘ und wurden entsprechend als ‚alternativlos‘ dargestellt (vgl. Hitzler/
Messmer 2010).
Institutionelle Entscheidungsvorgänge sind bei näherer Betrachtung außer-
ordentlich vielschichtig. Dazu zählen nach Weick (1985) das gestalterische
Einklammern von Teilstücken eines Erlebnisstroms (enactment), die Auswahl
und Interpretation dieser Teilstücke (selection) sowie ihre Sicherung und Spei-
cherung (retention). In den von uns untersuchten Hilfeplangesprächen kommt
diese Aufgabe regelmäßig dem Entwicklungsbericht zu, mit dem eine Fachkraft
(meist aus der betreuenden Einrichtung) über den aktuellen Entwicklungsstand
der betreffenden Kinder und Jugendlichen informiert. Die Auswahl an Themen
für den Entwicklungsbericht (enactment) ist daher oft schon gleichbedeutend
mit der Etablierung eines Entscheidungsbedarfs (selection), insoweit diese auf
relevante Probleme in der Entwicklung der betreffenden Kinder und Jugendli-
chen verweisen (retention).
Teilhabe oder Nicht-Teilhabe an Entscheidungen wird typischerweise in
den Prozessen generiert, mit denen sich die Beteiligten kommunikativ aufein-
ander beziehen. Der Gebrauch von Sprache verfügt dabei über ein reichhaltiges
Steuerungspotential, durch das die Beteiligten in das laufende Geschehen ent-
weder verstärkt einbezogen oder davon abgehalten werden können. Vor diesem
Hintergrund haben wir ein heuristisches Stufenmodell der Entscheidungsfin-
dung entwickelt, das zeigt, wie sich die Teilhabemöglichkeiten von Entschei-
dungsbetroffenen angesichts der in HPG vorherrschenden kommunikativen
Muster gestalten (Abb. 1).
Abb. 1: Formen und Intensitäten von Berücksichtigung im Gesprächsverlauf (Hitzler/
Messmer 2015, S. 186)
Wie diese Heuristik zeigt, ist die Teilhabe an Entscheidungen das Produkt von
binär codierten bzw. zweiwertigen Steuerungsmöglichkeiten institutioneller
Aktivitäten. In diesem Modell verfügen die Betroffenen in der direkten Ausei-
nandersetzung nur über eine einzige Möglichkeit proaktiver Prozessgestaltung,
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und zwar auf Stufe drei in Form eigeninitiierter Redebeiträge, die in institutio-
nellen Kontexten für gewöhnlich jedoch dispräferiert sind. Demgegenüber
erlaubt die zweiwertige Form von Berücksichtigungschancen den Professionel-
len eine von Moment-zu-Moment äußerst dezidierte Steuerung der Ge-
sprächsführung, mittels derer sie die Berücksichtigung und Bedeutung von
Bedürfnissen, Erwartungen, Interessen und Sichtweisen der Betroffenen beein-
flussen können. Durch den Ein- und Ausschluss (bzw. durch reden mit/reden
über) in das Gespräch, der Zuteilung von Rederechten sowie der Beurteilung
der Relevanz und Wichtigkeit von Redebeiträgen wird eine Fallwirklichkeit
generiert, die sich ggfs. selbst immunisiert und von außen nur schwer zu
durchbrechen ist.
Wissen als Medium für Sprechen und Können
Ein letzter Gesichtspunkt, den ich an dieser Stelle ebenfalls nur in Umrissen
skizzieren kann, betrifft den Wissensgebrauch in Handlungsfeldern der Sozia-
len Arbeit. Zunächst einmal ist bemerkenswert, dass der Wissensgebrauch nur
selten explizit Gegenstand empirischer Forschungen ist, obwohl das Wissen das
fachliche Handeln als solches erst begründet und legitimiert.
2
Weder das
Fallverstehen, noch Entscheidungen über sozialpädagogisch adäquate und
zielführende Intervention wären ohne den Einsatz von Wissen vorstellbar.
Wissen ist vielmehr die Grundlage für Sprechen und Können im Kontext sozi-
aler Aktivitäten überhaupt.
Seit etwa einer Dekade hat sich in der konversationsanalytischen Forschung
der Begriff der epistemics etabliert (vgl. Heritage/Raymond 2005; Heritage
2013). Damit ist unterstellt, dass Sprecher/innen mit ihren Äußerungen jeweils
auch Aussagen darüber machen, wie sich das eigene Wissen zum vermuteten
Wissen des jeweiligen Gegenübers verhält. Wenn ein/e Sprecher/in beispiels-
weise sagt: Schönes Wetter heute’, ist der epistemische Status zwischen den
Beteiligten symmetrisch, da die Beteiligten über einen gleichen Wissenszugang
verfügen. Wenn ein/e Sprecher/in dagegen sagt: ‚Letzte Woche hat es auf Mau-
ritius viel geregnet’, dann ist es eher unwahrscheinlich, dass sich der Adressat/
die Adressatin dieser Mitteilung dazu kompetent äußern kann, sofern er oder
sie nicht zufällig zur gleichen Zeit auf Mauritius waren. In diesem Fall sprechen
2 Als Ausnahmen von der Regel in den deutschsprachigen Diskursen vgl. Hanses 2008; Hohn/
Hanses 2008; als Überblick Gehres 2008; sowie etwas jüngeren Datums: Fellmann 2016 zu
Fragen der Aneignung wissenschaftlichen Wissens von Fachkräften und Messmer 2017 als
ein erster Versuch, Wissen als eine handlungspraktische Kategorie der Sozialen Arbeit zu
problematisieren.
87
wir von einer asymmetrisch strukturieren Wissensverteilung. Symmetrisch
oder asymmetrisch verteilte Zugänge zu Wissen spielen eine maßgebliche Rolle
bezüglich der Frage, wie sich Aussagen über Wirklichkeitssachverhalte im Ver-
hältnis zu anderen möglichen Aussagen präsentieren, zuletzt also auch, inwie-
weit sie bezweifelbar oder angreifbar sind.
Konversationsanalytische (bzw. der Konversationsanalyse methodisch na-
hestehende) Forschungen zum Wissensgebrauch in der Sozialen Arbeit machen
deutlich, dass das kommunizierte Wissen die thematisierten Sachverhalte kei-
neswegs neutral reflektiert, sondern diese vielmehr so präsentiert, dass sie zu
den institutionellen Zielsetzungen passen und damit bearbeitbar werden. In-
stitutionelles Wissen ist daher gleichermaßen Voraussetzung und Produkt einer
Abstimmungsleistung, mit dem eine Fachkraft situiertes und heuristisches Fall-
und Erfahrungswissen mit generalisierten und nomothetischen Wissensbestän-
den relationiert (vgl. dazu näher die verschiedenen Beiträge in Messmer 2017).
Ein Forschungsüberblick über den Wissensgebrauch in der Praxis der Pro-
fessionellen (vgl. Taylor/White 2006) macht beispielsweise. darauf aufmerksam,
dass Fachkräfte der Sozialen Arbeit bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Fall-
bearbeitung zu vergleichsweise unverrückbaren Wirklichkeitsannahmen nei-
gen. Rein hypothetisch werden diese Annahmen zwar unter Vorbehalt expli-
ziert, faktisch jedoch werden die diesen Annahmen widersprechenden Hin-
weise im Verlauf der Fallbearbeitung tendenziell eher ausgeblendet und igno-
riert. Demnach besteht auf Seiten der Fachkräfte die Tendenz, umfassende
Glaubenssysteme (pervasive belief systems, ebd., S. 939) zu entwickeln und diese
in Bezug auf den Fall mittels selektiver Informationsverarbeitung zu Gewiss-
heiten zu verdichten. White und Stancombe (2003) sprechen in diesem Zu-
sammenhang von der Illusion von Gewissheit’, Riemann (2002) von der ‚Illu-
sion der Vertrautheit’. Diese und ähnliche Phänomene lassen sich damit erklä-
ren, dass sich die selektive Aufmerksamkeit von Fachkräften vornehmlich
daran orientiert, wie gut die Informationen zum Fall mit bereits bestehenden
Wissensbeständen harmonieren. Widersprüchliche Informationen hingegen
verursachen Reibungen und Konflikt, was die bewährten Glaubenssysteme
irritiert und mitunter die Entwicklung neuer Heuristiken notwendig macht.
Fachkräfte der Sozialen Arbeit (wie institutionelle Akteure überhaupt, vgl.
Heritage 1997) neigen dazu, ihre Handlungen vor dem Hintergrund wieder-
holter Auseinandersetzungen mit gleichartigen Herausforderungen so zu ge-
stalten, dass diese in den entsprechenden Situationen den geringsten Wider-
stand erzeugen. Dazu verfügen sie über entsprechende Mittel. Indem sie die
anfallenden Fälle nach Maßgabe institutioneller Aufgaben und Ziele generieren,
etablieren sie damit eine Sachverhaltswirklichkeit, die sich vom Erleben der
Betroffenen in zunehmendem Maße entkoppelt und mitunter in Widerspruch
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zu deren Selbstbeschreibungen steht. Sofern das institutionell generierte Fall-
wissen den Entscheidungsprozess über den weiteren Hilfeverlauf prädetermi-
niert, greift es seinen Resultaten in inhaltlich wichtigen Hinsichten vor. Und in
dem Maße, wie das Fallwissen schließlich institutionell eigenständige Wissens-
areale etabliert, macht es sich in gewisser Weise unangreifbar.
Diskussion
Interaktionen zwischen Professionellen und Klient/innen können als eine Art
Blaupause des people processing (vgl. Hasenfeld 1972) aufgefasst werden. Aus
Sicht der konversationsanalytischen Forschung erweist sich die institutionelle
Praxis als ein komplexer Übersetzungs- und Transformationsprozess, der die
lebensweltlichen Sachverhalte und Problemstellungen ihrer Adressatinnen und
Adressaten in institutionell bearbeitbare Kategorien überführt und in den
betreffenden Interaktionen kontinuierlich reproduziert. In diesem Zusammen-
hang vermitteln diese Forschungen nicht selten kritische (und zuweilen auch
verstörende) Einblicke in die fachliche Praxis. Unter anderem machen sie deut-
lich, dass die sozialpädagogische Intervention sich nicht allein an den Bedürf-
nissen und Erwartungen der betroffenen Klientel orientiert, sondern sich zuerst
und vor allem an den institutionellen Anforderungen an das fachliche Handeln
und den damit einhergehenden Beschränkungen ausrichten muss. Gespräche
zwischen Fachkräften und Klient/innen gelten der konversationsanalytischen
Forschung daher als real-life laboratories of social work (Juhila/Mäkitalo/Noor-
degraaf 2014, S. 9 ff.). Die dezidierte Untersuchung und Beschreibung dieser
Gespräche ist insofern immer auch indikatorisch für den Kontext, in dem sich
die Praxis als ‚Vollzugswirklichkeit‘ etabliert.
Im Selbstverständnis der Sozialen Arbeit handelt es sich vorwiegend um
eine helfende Profession. Begriffe wie Kinder- und Jugendhilfe, Hilfe zur Erzie-
hung, Fürsorge, Wohlfahrt oder die Gewährung von Leistungen deuten an, dass
es dabei auch um den Abbau sozialer und gesellschaftlicher Benachteiligungen
(resp. die Stärkung sozialer Teilhabe) geht. Damit kontrastiert jedoch der
(durchaus generalisierbare) Befund aus der Forschung, wonach Professionelle
im direkten Kontakt mit Klientinnen und Klienten stets nach der Aufrechter-
haltung ihrer Vorherrschaft streben. Mit Hinweis auf den Begriff des doppelten
Mandats (vgl. Böhnisch/Lösch 1973), d. h. auf den zweiseitigen Verpflichtungs-
charakter institutioneller Aktivitäten lassen sich die festgestellten Ambivalenzen
der Vollzugswirklichkeit durchaus plausibel erklären. So vermerken beispiels-
weise auch die Kommentare zu § 36 SGB VIII (vgl. etwa Rd. 12, 13, 21, 22 und
33 in Wiesner 2011), dass sich das Machtgefälle zwischen Professionellen und
89
Laien zwar verringern, jedoch nicht grundsätzlich auflösen lässt. Sofern die
einzelne Fachkraft der Dienst- und Fachaufsicht unterliege, verpflichte sie sich
damit zur Einhaltung verbindlicher Regeln und fachlicher Standards. Und nicht
zuletzt bezeichnen ‚Schutz‘ und ‚Eingriff‘ wesentliche Elemente des gesetzlichen
Handlungsauftrags, der ggfs. auch gegen den Willen der Betroffenen umgesetzt
werden muss.
Vor dem Hintergrund dieser Einsichten repräsentiert der Hilfebegriff pri-
mär die normative Seite einer sozialpädagogischen Orientierung, die sich vor-
zugsweise am Unterstützungs- und Problemlösungsbedarf der betroffenen
Klientel orientiert. Dagegen scheint der Begriff der Kontrolle mehr die faktische
Seite einer Vollzugswirklichkeit zu repräsentieren, die – neben der Schutzfunk-
tion für die betreffenden Kinder und Jugendlichen – vor allem auch restriktiven
Umsetzungsmöglichkeiten des jeweiligen Hilfesettings berücksichtigen muss
und die insofern den Eingriffscharakter von Hilfeprozessen verkörpert.
Indem sich das strukturelle Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle bis tief
in die einzelnen Interaktionen des Hilfeprozesses transferiert, sehen sich die
Fachkräfte entsprechend vor der Notwendigkeit, mitunter unvereinbare
Strukturmuster fachlichen Handelns so zu gestalten, dass die Bereitschaft zur
Mitarbeit im Hilfeprozess nicht untergraben und/oder das Engagement der
Betroffen damit nicht hinfällig wird.
3
Das wiederum erklärt die der Profession
eigentümliche Neigung, manifeste Konflikte in der direkten Interaktion so weit
als möglich zu meiden (vgl. Hitzler 2012; Messmer 2015). Soziale Arbeit ist
insofern eine hochgradig moralische Profession. Während auf der Vorder-
bühne fachlichen Handelns ethische und moralische Prinzipien die Ge-
sprächsführung auffällig stark dominieren (vgl. Messmer 2017, i. E.), bleiben
auf der Hinterbühne Fragen der Teilhabe und Partizipation tendenziell eher
intransparent und hinter ihrem normativen Verpflichtungscharakter zurück. In
den real-life laboratories of social work scheinen daher (nicht ganz unerwartet)
auch die restriktiven Rahmenbedingungen der sozialpädagogischen Interven-
tion das fachliche Handeln zu dominieren.
Diesen Einsichten gemäß ist die Praxis der Sozialen Arbeit wesentlich pro-
zessual und interaktiv strukturiert. Die Aufgabe, den Hilfeprozess mit den Be-
troffenen gemeinsam zu realisieren, konfrontiert die Professionellen mit der
Notwendigkeit, die zum Teil sehr heterogenen und mitunter unvereinbaren
3 Es gilt also, den Fall bearbeitbar zu halten. Diese Formulierung zielt bewusst auf die inhaltli-
che Nähe zu Gesprächsanalysen in Jobcentern mit jungen Menschen, wo es an zentraler
Stelle ebenfalls um die Frage geht, die Interaktionen auf der Grundlage widerstreitender in-
centives (fördern und fordern) so zu gestalten, damit das Arbeitsbündnis zwischen Fach-
kräften und Klient/innen sichergestellt werden kann (vgl. Böhringer et al. 2012).
90
Anforderungen an die fachliche Praxis in Form von (ethisch) überzeugenden
Maximen und Handlungsprinzipien interaktiv zu vermitteln. Die konversati-
onsanalytische Forschung kann demnach zwar keine Langzeiteffekte der Leis-
tungsgewährung evaluieren; sie kann jedoch zwischen den gut gemeinten Ab-
sichten und den praktischen Konsequenzen fachlichen Handelns sehr genau
unterscheiden. In paradigmatischer Umkehrung einer evidence-based practice
generiert sie stattdessen die Vorstellung einer Vollzugswirklichkeit, die auf den
realen, dissoziativen und unscharf definierten Strukturen fachlichen Handelns
aufruht und die Fachkräfte dazu zwingt, das fachliche Handeln so zu gestalten,
dass es gerechtfertigt und plausibel erscheint. Die konversationsanalytische
Forschung ist insofern zuerst und vor allem practice-based evidence (vgl. Mess-
mer/Hitzler 2008b in Anlehnung an Webb 2002).
Der Beitrag konversationsanalytischer Forschung in Bezug auf die Frage,
welche Folgen das fachliche Handeln für die Betroffenen hat, liegt entsprechend
darin begründet, dass die Annahme einer monokausalen, unhinterfragten oder
standardisierbaren Ursache-/Wirkungsbeziehung in Bezug auf den outcome
von Hilfen höchst zweifelhaft ist. Ihren Einsichten zufolge sehen sich die Fach-
kräfte in ihren alltäglichen Praxisroutinen vielmehr kontinuierlich mit komple-
xen und teilweise inkonsistenten Anforderungen und Programmen konfron-
tiert, die sich nicht einfach ignorieren oder beiseiteschieben lassen, sondern die
das praktische Handeln in zentralen Hinsichten präjudizieren. Entsprechend
verortet sich die scheinbare Irrationalität dieses Handelns auch nicht an der
Peripherie eines institutionell komplexen Gesamtarrangements (etwa im Sinne
eines zufälligen oder auf die Unzulänglichkeiten einzelner Fachkräfte zurück-
führbaren Nebeneffekts), sondern bildet vielmehr das Zentrum institutioneller
Aktivitäten, das von den Fachkräften der Sozialen Arbeit so bearbeitet werden
muss, dass es die Handlungsfähigkeit der Profession nicht gefährdet.
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248
Die Autorinnen und Autoren
Luisa Abdessadok, M. A., Dozentin im Fach Pädagogik in der Fachschule für Sozial-
pädagogik, Ludwig-Schlaich-Akademie Waiblingen, Doktorandin Päd. Hochschule
Schwäbisch Gmünd
Jennifer Buchna, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät II Bildung-Archi-
tektur-Künste der Universität Siegen, Department Erziehungswissenschaft und Psycho-
logie
Thomas Coelen, Dr., Professor für Erziehungswissenschaft mit den Schwerpunkten
Sozialisation, Jugendbildung und Lebenslaufforschung an der Fakultät II Bildung-Ar-
chitektur-Künste der Universität Siegen
Christine Demmer, Dr., Juniorprofessorin für Erziehungswissenschaft an der Univer-
sität Bielefeld, AG 9 – Medienpädagogik, Forschungsmethoden und Jugendforschung
Bernd Dollinger, Dr., Professor für Sozialpädagogik an der Fakultät II Bildung-Archi-
tektur-Künste der Universität Siegen, Department Erziehungswissenschaft und Psycho-
logie
Michael Fischer, M.A., Dipl.-Soz. Arb., wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät
III im Bereich Familienrecht/Familienverfahrensrecht/Kinder- und Jugendhilfe an der
Universität Siegen
Tobias Fröschle, Dr., Professor für Bürgerliches Recht mit dem Schwerpunkt Familien-
recht einschließlich freiwillige Gerichtsbarkeit und Kinder- und Jugendhilferecht an der
Fakultät III der Universität Siegen
Luzie Gilde, M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät II Bildung-Archi-
tektur-Künste der Universität Siegen, Department Erziehungswissenschaft und Psycho-
logie
Gunther Graßhoff, Dr., Professor für Sozialpädagogik am Institut für Sozial- und
Organisationspädagogik der Stiftung Universität Hildesheim
Selina Heppchen, M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät II Bildung-
Architektur-Künste der Universität Siegen, Department Erziehungswissenschaft und
Psychologie
Dagmar Hoffmann, Dr., Professorin für Medien und Kommunikation an der Philoso-
phischen Fakultät der Universität Siegen
Andreas Kastenmüller, Dr., Professor für Sozialpsychologie an der Fakultät II Bil-
dung-Architektur-Künste der Universität Siegen, Department Erziehungswissenschaft
und Psychologie
249
Tim Klucken, Dr., Professor für Klinische Psychologie an der Fakultät II Bildung-Ar-
chitektur-Künste der Universität Siegen, Department Erziehungswissenschaft und Psy-
chologie
Miriam Mai, Dipl.-Päd., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswis-
senschaften an der Europa-Universität Flensburg, Abteilung Erziehungswissenschaft,
DFG-Forschungsprojekt „Bildung im Elementarbereich“
Heinz Messmer, Dr., Professor an der Hochschule für Soziale Arbeit/FHNW, Institut
Kinder- und Jugendhilfe, Basel
Chantal Munsch, Dr., Professorin für Sozialpädagogik an der Fakultät II Bildung-
Architektur-Künste der Universität Siegen, Department Erziehungswissenschaft und
Psychologie
Albrecht Rohrmann, Dr., Professor für Sozialpädagogik an der Fakultät II Bildung-
Architektur-Künste der Universität Siegen, Department Erziehungswissenschaft und
Psychologie
Hans Thiersch, Dr. Dr. h.c. mult., Professor em. für Erziehungswissenschaft und Sozi-
alpädagogik an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Vesna Varga, Dipl.-Soz. Päd., Dipl.-Päd., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fa-
kultät II Bildung-Architektur-Künste der Universität Siegen, Department Erziehungs-
wissenschaft und Psychologie
Jenna Vietig, Dipl.-Päd., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät II Bildung-
Architektur-Künste der Universität Siegen, Department Erziehungswissenschaft und
Psychologie
Hanna Weinbach, Dr., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät II Bildung-
Architektur-Künste der Universität Siegen, Department Erziehungswissenschaft und
Psychologie
Holger Ziegler, Dr., Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Bielefeld,
AG 8 – Soziale Arbeit
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... Hiervon zu unterscheiden sind Positionen, die konsistent auch die (Thomas'schen) ,consequences' als performative Praxis verstehen, die von den Beteiligten an Interaktionen reflektiert und bewertet werden. So kann etwa vor oder zu Beginn einer sozialpädagogischen Maßnahme die Selbst-und Fremd-Kategorisierung einer Adressat*in mit entsprechenden Prozessen am Ende oder nach der Maßnahme verglichen werden (Dollinger und Fröschle 2017;Messmer 2017). Zu beiden Zeitpunkten werden die Daten als kontextabhängige, kommunikative Praxen konzipiert 12 . ...
Article
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Zusammenfassung Der Beitrag diskutiert grundlegende Möglichkeiten, Wirkungen sozialer Maßnahmen zu erforschen und kausaltheoretisch zu erschließen. Dazu werden drei Paradigmen der Wirkungsforschung unterschieden: die Evidenzbasierung, die realistische Evaluation und die performative Folgenforschung. Sie stehen mit distinkten Ontologien, Methodologien und Begriffen von Wirkungen in Verbindung. Da es sich um wissenschaftstheoretisch unterschiedliche Arten handelt, soziale Wirklichkeit zu bestimmen und zu repräsentieren, würde es wenig Sinn machen, von in sich ,besseren‘ oder ,schlechteren‘ Positionen zu sprechen. Allerdings ist zu fragen, welche Affinitäten oder Diskrepanzen sich zu Kernpunkten sozialpädagogischen Wissens und Handelns ergeben. Im Ergebnis wird dafür plädiert, Vorgaben evidenzbasierter Forschung in ihrem Anliegen, dekontextualisierte Formen sequentieller Kausalität zu bestimmen, in ihrer Relevanz für die sozialpädagogische Praxis zu hinterfragen (obwohl durch sie in der Forschung durchaus relevante Befunde generiert werden können). Aussagekräftiger für die Realisierung sozialer Maßnahmen sind demgegenüber Studien, die auf generative oder performative Kausalitäten abstellen, mithin realistische und performative Ansätze.
Article
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Within the general framework of agreement on a state of affairs, the matter of the terms of agreement can remain: determining whose view is the more significant or more authoritative with respect to the matter at hand. In this paper we focus on this issue as it is played out in assessment sequences. We examine four practices through which a second speaker can index the independence of an agreeing assessment from that of a first speaker, and in this way can qualify the agreement. We argue that these practices reduce the responsiveness of the second assessment to the first; in this way they resist any claim to epistemic authority that may be indexed by the first speaker in “going first” in assessing some state of affairs.
Book
Analysis of language and discourse in social sciences has become increasingly popular over the past thirty years. Only very recently has it been applied to the study of social work, despite the fact that communication and language are central to social work practice. This book looks at how social workers, their clients and other professionals categorise and manage the problems of social work in ways which are rendered understandable, accountable and which justify professional intervention. Features include: •studies of key practice areas in social work, such as interviews, case conferences, home visits •analysis of the language and construction used in typical case studies of everyday social work practice •exploration of the ways in which professionals can examine their own practice and uncover the discursive, narrative and rhetorical methods that they use. The purpose of this engaging study is to increase awareness of language and discourse in order to help develop better practice in social work. It is essential reading for professionals in social work, child welfare and the human services and will be a valuable contribution to the study of professional language and communication.
Article
This paper sets forth a framework for analyzing the role of organization-environment relations in defining the classification-disposition functions of people-processing organizations. People processing organizations are defined as attempting to achieve changes in their clients not by altering basic personal attributes, but by conferring on them a public status and relocating them in a new set of social circumstances. The paper's basic proposition is that people-processing organizations employ classification-disposition systems that reflect, in part, organizational adaptations to the constraints of their exchange relations with various market units receiving the processed clients. Using a power-dependence paradigm, variables which increase or decrease the organization's dependence on its market units are identified. The consequences of these exchange relations on the organization's classification-disposition system are then explored.
Article
• Summary: This article on evidence-based practice and decision analysis develops an implementation model for social work. Thus far no detailed attempt has been made to formulate a systematic implementation framework for evidence-based practice in social work. • Findings: The social and cultural, the professional and practice-based, and the educational and training contexts are highlighted. The emergence of evidence-based practice is placed within the context of risk society and the development of new expert systems that contribute to a radical re-shaping of social work practice. In the inevitable shift towards an actuarial practice, direct and therapeutic involvement with service users becomes less significant for social work. Following the work of Trinder (2000) two key approaches to evidence-based practice are discussed: the experimental and pragmatic perspectives. • Application: By drawing on the latter, a systems approach is developed via nine key related structures which constitute an implementation framework for evidence-based practice.