Eine Reihe neuerer Ansätze in Diagnostik und Therapie verstehen sich als “ganzheitlich” oder “multidimensional”, so auch jener der Verhaltensmedizin. Bei genauerer Analyse stellt sich allerdings heraus, dass dabei zwar mehr oder minder deutlich auf das systemtheoretisch fundierte “biopsychosoziale Modell” (Engel, Weiner u. a.) rekurriert wird, dessen Implikationen für die konkrete Praxis aber
... [Show full abstract] wenig ernst genommen werden. Anhand eines konkreten Arbeitsansatzes (“Simultandiagnostik”) wird gezeigt, wie eine Umsetzung dieses (theoretisch mächtigen) biopsychosozialen Krankheitsverständnisses in der klinischen Praxis aussehen kann. Dabei wird deutlich, dass der konventionelle reduktionistische Ansatz in der Medizin, der die Untersuchung einzelner Prozesse und Strukturen unter vereinfachten Bedingungen in den Mittelpunkt stellt, nicht obsolet wird. Vielmehr ist ein solcher Reduktionismus auch weiterhin unerlässlich, da man die Bausteine kennen muss, um den Aufbau einer jeglichen übergeordneten (komplexeren) Ganzheit erfassen zu können. Aber eine umfassende Erklärung der Phänomene auf diesem reduktionistischen Weg ist nicht erreichbar. So erscheint das biopsychosoziale Krankheitsmodell in seiner Operationalisierung nicht als eine neue Art von Medizin, sondern als ein dimensional deutlich erweiterter Zugang zu diagnostischen und therapeutischen Aufgaben.