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Promotionsvorhaben: Exposé
28.05.2015
Robert Patz
EXPOSÉ
zum Promotionsvorhaben
Körperwissen und Unschärfe im Dienst der Intuition: multimodale Interaktion und
gestalterische Wissensgenese in technologischen Anwendungen
des Virtual-Reality-Aided Architectural Designs (Arbeitstitel)
Nach 40 Jahren der Entwicklung des Computer-Aided Designs folgt ein nächster technologis-
cher Evolutionsschritt: das Virtual-Reality-Aided Design. Mithilfe neuer Interfaces der Men-
sch-Computer-Interaktion gewinnt der menschliche Körper seine Bedeutung insbesondere
im architektonischen Entwurfsprozess zurück. Sowohl für den Entwerfer als auch den
1
Rezipienten des Entwurfs spielt der Körper in der Virtual Reality (VR) eine größere Rolle.
Die vorgeschlagene Arbeit befasst sich mit Techniken, die diese Interaktion ermöglichen.
Das Ziel ist die Formung eines Werkzeugs, mit dessen Hilfe intuitiv und räumlich Ar-
chitektur am Computer entworfen werden kann.
1. Einleitung
Bei Kreativität handelt es sich um eine Synthese sowohl intuitiver als auch analytischer
Fähigkeiten, die eine Neu- oder Re-Kombination von Wissen erfordert und erregt. Im
2-
plizites und prozessorientiertes Wissen werden in einem schrittweisen Erkenntnisgewinn
durch den Entwerfenden verwoben. Die Wissensverdichtung und -genese dient der Er-
forschung des In-Existenten. Zwei Komponenten sind hierbei meiner Ansicht nach
3
besonders wichtig: (1) Das Körperwissen: Gemeinhin wird Wissen primär als im Gehirn
4
verortet angesehen. Von zunehmender Bedeutung in der Forschung ist jedoch auch das
Wissen des Körpers selbst, dass sich in der Interaktion zwischen Motorik und Kognition
entwickelt. Körperwissen integriert körperliche Wahrnehmungen und Empfindungen, es
kann als habitualisiertes und inkorporiertes Wissen verstanden werden. Im Prozess des
Entwerfens nimmt es eine besondere Rolle ein, denn Architektur wird körperlich erfahren.
Ihr Entwurf erfolgt deswegen idealerweise auf Grundlage eines »körperlichen
Denkprozesses«. (2)!Die Unschärfe: Unschärfe ist in ihrer spezifischen Form eine Qualität
traditioneller Darstellungsmethoden. Geometrische Abstraktion etwa dient dazu, als intu-
itiv verständliches Mittel unscharfes Wissen auszudrücken. Ohne Anspruch auf Voll
5-
ständigkeit erlaubt Mehrdeutigkeit die Offenlassung konkreter Antworten für eine spätere
Isolierung und Bearbeitung von Details. Gerade durch das Auslassen von Informationen
wird eine anhaltende Neu-Interpretation erzwungen, die dem Entwerfer bei der Ideen-
und Konzeptfindung und der Spezifizierung seiner Überlegungen unterstützt.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprach
1-
formen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.
Vgl. Damásio (2008)
2
Vgl. Krauthausen (2010)
3
Hannah Groninger und Thomas H. Schmitz heben für den Entwurf von Raum drei konstitutive Einflussfaktoren des
4
kreativen Denkens hervor: »Erstens das Körperwissen als die Summe der multisensorischen und gefühlsmäßigen
Erfahrungen [die uns einen] erlebbaren Bezug zur Realität der Materialien, des Raums, der Masse [verschaffen].«
Dieses Körperwissen ist es, was »uns Gewissheit auf der Suche nach dem Neuen [gibt].« An zweiter Stelle benennen
sie »die Kommunikation […] die – als Sprache, Geste, Skizze oder Modell – immer des Körpereinsatzes bedarf.« Und
»drittens die Interaktion von Machen und Denken«, wobei sie vermuten, »dass der Körper gerade bei kreativen
Prozessen eine Schlüsselfunktion zur Entdeckung der (noch) unbewussten Überlegung übernehmen kann.«
Schmitz/Groninger (2012), S. 23–24
Lengyel/Toulouse (2014), S. 138
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Das dem architektonischen Entwurfsprozess inhärente Ziel ist ein dreidimension-
ales, räumliches Produkt. Die digitalen Ein- und Ausgabemedien der Technologie Virtual
Reality (VR) ermöglichen die dreidimensionale Abbildung eines Entwurfs und seines
Entstehungsprozesses ohne den Umweg über abstrakte, zweidimensionale Darstellungs-
formen. Der Entwerfer ist körperlich präsent in einer virtuellen Umgebung. Er steht im
Zentrum einer hypothetischen Architektur, dem Gegenstand seines Entwurfs. Durch kör-
perliche Expression, wie beispielsweise durch manuelle Gesten – so die Idee einer Reihe
wissenschaftlicher Arbeiten, die im Weiteren benannt werden – formt er seine Umgebung,
im Gegensatz zur realen Umwelt ohne physische Hemmnisse. Die VR verspricht, dass sich
mit ihr subjektive, zeitlich-räumliche Erfahrungen besser in projektives Denken, und
dieses Denken besser als in bestehenden computergestützten Entwurfs- und Pla-
nungsmethoden in konkrete Entwürfe umsetzen lässt. Meiner Hypothese nach erfolgt die
Integration unter Einbeziehung körperlicher Expression, wie Gesten und Darstel-
lungsmethoden für Unschärfe. – Wie also lassen sich Körperwissen und Unschärfe in
computergestützte Entwurfsanwendungen integrieren? Die geplante Arbeit bedient sich
transdisziplinärer Erkenntnisse und empirischer Methoden, zum Teil auf Basis eigener
technologischer Experimentalanwendungen, um die Debatte fortzuführen und so der
Beantwortung dieser Fragestellung näher zu kommen.
2. Forschungsthema
Der überwiegende Teil des iterativ verschränkten Entwurfs- und Planungsprozesses von
Architekten findet heute am Computer statt. Damit übernimmt der Computer die Rolle
physischer Repräsentationen von Raum, wobei er die Freiheit der Erkundung von Entwür-
fen mit der Möglichkeit der permanenten Modifikation, ohne wiederholte Neuerstellung
der Entwurfsschritte wie in manuellen Methoden, verbindet. Die VR, mit den aktuell zur
Verfügung stehenden Medien der räumlichen, visuellen und akustischen Ausgabe, ver-
spricht ein wirkungsmächtiges Instrument für die Exploration digital modellierter Ar-
chitektur zu werden.
Betrachtet man die Gesamtheit der Prozesskette architektonischen Entwerfens,
lassen sich zwei Arten von Aktivitäten unterscheiden: zum einen die gestaltende – aktive –
Handlung der Schöpfung und Beurteilung von Ideen und Konzepten, zum anderen die
beschreibende – passivere – Handlung, der vor allem grafischen Kommunikation ent-
standener Informationen zum Zweck der Vermittlung ausformulierter Entwürfe an an-
dere. Die Technologie VR kann bei beiden Arten von Aktivitäten zum Einsatz kommen.
6
Im empirischen Teil meiner im April 2015 vorgelegten Diplomarbeit habe ich für
7
eine Annäherung an die Integration der VR in den architektonischen Entwurfsprozess, die
Validität einer virtuellen Raumrepräsentation anhand von Experimenten untersucht. Dabei
wurde das Explorationsverhalten zweier Gruppen virtueller und real-räumlicher Ex-
ploratoren im realen Raum und seiner virtuellen Kopie, sowie das dabei erzeugte
Raumverständnis miteinander verglichen. Sowohl bei den Zuordnungen eines Grundrisses
zum Erlebten als auch beim Explorationsverhalten der Probanden waren Übereinstim -
mungen zu beobachten, die vermuten lassen, dass der virtuelle und der reale Raum auf
ähnliche Weise wahrgenommen wurden. Beide Probandengruppen sollten während ihrer
Vgl. Okeil (2010), S. 202
6
Patz (2015)
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individuellen Exploration Fotos erstellen. Die Übereinstimmungen beim anschließenden
Vergleich der Fotos im Hinblick auf Motiv und Blickrichtung belegen, dass architektonis-
che Formulierungen und Charakteristika in virtuell und real exploriertem Raum ähnlich
verstanden werden können. Die Ergebnisse haben meine Ausgangshypothese gestärkt,
nach der ein virtueller Raum eine gültige Repräsentation eines Realraum darstellt. Dies gibt
den Hinweis auf die Tauglichkeit der VR als Instrument der Darstellung und Überprüfung
architektonischer Entwurfsaufgaben.
Susanne Hauser schlägt vor, Entwürfe als komplexe Kommunikationsprozesse zu
rekonstruieren. Die VR eröffnet auch hier – unabhängig der Integration digitaler Kom
8-
munikationsmedien – eine neue Dimension: Die Beobachtungen während meiner Exper-
imente machten es, durch die Möglichkeit der Verfolgung des extern gedoppelten Blickes
der Exploratoren, auf erstaunliche Weise möglich, diesen Blick zu lesen. Ganz egal wie
viel vom körperlosen »Auf-die-Welt-Blicken« durch den Nutzer als »In-der-Welt-sein« in-
terpretiert wird, das Interface kann für einen außenstehenden Beobachter ein »symbolis-
cher Spiegel« sein – ein Spiegel, der den Blick selbst abbildet. Im Verständnis des anderen,
9
seines Blicks auf (oder in) die Welt liegt somit ein Potenzial der VR; die Einbeziehung
dieses Verständnisses in die eigene Arbeit wird möglich.
Ein weiteres Potenzial der VR für Architekturentwürfe sind die im Zuge der tech-
nischen Weiterentwicklung entstehenden Medien der digitalen Eingabe. Die Interfaces
reagieren zum einen auf den Nutzer derartig, dass sie das Gefühl der Präsenz in der
virtuellen Umgebung erzeugen, sie ermöglichen zum anderen die zeitgleiche Interaktion
mit anderen Nutzern und vor allem die unmittelbare Manipulation virtueller Entwurfsob -
jekte. Für den konkreten Eingriff in die virtuelle Umgebung kann abgesehen von
manuellen Eingabegeräten derzeit auch schon ansatzweise Sprache und ein beschränktes
Repertoire von Gesten und Körperbewegungen durch den Computer erfasst und mit
Steuerungsbefehlen verknüpft werden. Weil Eingabemedien wie Gesten und Sprache
einen unmittelbareren Charakter haben als die konventionellen Werkzeuge des Architek-
turentwurfs, postuliere ich dass sie sich einfacher und unmittelbarer zu Umsetzung
kreativer Denkprozesse eignen. Die subjektive, zeitlich-räumliche Wahrnehmung, als en-
twerferisches Wissen wird in eine konkrete, ebenfalls zeitlich-räumliche Kommunikations-
form umstandsloser integriert, als über den Umweg von Maus, Tastatur und der visuellen
Bildschirmmethaphern. Der menschliche Körper gewinnt im Vergleich zu den bestehen-
den Anwendungen des Computer-Aided Architectural Designs (CAAD) an Bedeutung zurück,
vorausgesetzt die Technik ist in der Lage, die Äußerungen des Körpers zu »verstehen«.
Zudem werden nicht subjekt-spezifische Wissensformen von unbegrenztem Umfang ein-
bezogen und vom Nutzer abgerufen. Hierzu zählen, neben aufgaben- und ortsspezifis-
chen Parametern, auch die Simulationen physikalischer (Statik, Bauphysik etc.) und sozialer
Prozesse (z.B. Crowd-Simulations).
10
Die besondere Herausforderung liegt in der Gestaltung der Interfaces als Werkzeug
des Architekturentwurfs. Ihr Design muss den Anspruch verfolgen, den Funktionsumfang
sowohl traditioneller als auch computergestützter Entwurfswerkzeuge zu verbinden. Eine
Hauser (2013), S.376
8
Der symbolische Spiegel wird von Hans Belting im Bezug auf die Versuche Filippo Brunelleschis zur Zentralper
9-
spektive eingeführt. Belting (2008), S.177f.
Vgl. Schodek (2005); Mainzer (2014)
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Bearbeitung bei Verfolgung dieses Anspruches kann daher nur unter Einbeziehung inge -
nieur- wie entwurfswissenschaftlicher Erkenntnisse erfolgen.
3. Stand der Forschung
Die transdisziplinäre Prämisse der geplanten Arbeit verlangt die Auseinandersetzung mit
sehr unterschiedlichen Wissensbereichen. Im Folgenden seien, angefangen bei kulturwis-
senschaftlichen, bis hin zu ingenieurwissenschaftlichen Veröffentlichungen, nur einige
wenige herausgegriffen, die im Vorgriff auf die geplante Arbeit als besonders be-
merkenswert erschienen, weil sie so etwas wie »offene Enden« für die Weiterentwicklung
der Thematik bedeuten:
Eine Vielzahl von Publikationen aus den Bereichen Semiotik, Verhaltensforschung,
Tanz- und Choreographie-Forschung sowie Psychologie und Psycholinguistik beschäftigen
sich mit manuellen Gesten bei der Vermittlung von abstrakten oder/und räumlichen
Zusammenhängen. Die Erkenntnisse, die nach einem verbindenden Repertoire gestisch
11 -
er Metaphern zur Erklärung räumlicher Zusammenhänge suchen, legen nahe, dass Gesten
für Interfaces der Mensch-Computer-Interaktion nutzbar sind. Die semiotisch orientierte
Gestenforscherin Irene Mittelberg beispielsweise definiert gestische Zeichen als multi-
modale Repräsentationsformen. Gesten können als »Vorwärtsentwurf« verstanden werden,
der verinnerlichte, konzeptionelle Bilder und Strukturen wie Bildschemata und metapho-
rische Konzepte in Figuren sichtbar macht, und man könne ihnen – so gibt sie den Aus-
blick – für das Gestalten das Potenzial eines Werkzeugs zuschreiben.
12
Besonders der Vorgang des Skizzierens ist in den letzten Jahren als körperlicher
Denkprozess beschrieben worden. Skizzieren ist eine Technik, die sowohl zur Visual-
isierung, Untersuchung und Überprüfung als auch zur Korrektur und Überarbeitung
taugt. Dank der Möglichkeit einer schnellen Wiederholung des Kreislaufs aus Abbildung
13
und Rückinformation entspricht diese Technik der rekursiven Natur des Entwurfsprozess-
es. Mit der Wiederholung wird das gedankliche Modell stabilisiert. Skizzieren regt den
kreativen Prozess aber auch aufgrund der Verbindung seiner drei Komponenten an: der
visuellen, der mentalen und der psychomotorischen: »Zeichnen beinhaltet einen perma-
nenten Lernprozess durch die aufmerksame Verfolgung von Bewegungen der Hand und
der Reflexion visueller Wahrnehmungen.«
14
Karin Krauthausen schließt das Entwerfen in die wissenschaftlichen und künst-
lerischen Forschungsprozesse ein, die auf der Grundlage von Experimenten stattfinden.
Das Skizzieren wird von ihr als eigenständige Kulturtechnik isoliert. Die Aussage: »[Ihre]
Einrichtung zielt auf die Provokation eines Möglichkeitsraums, dessen Reglementierung
nur grade so weit gehen darf, dass Anschlüsse wahrscheinlich werden, zum Beispiel Rekur-
sionen und Transformationen« charakterisiert auch den inkrementellen Vorgang des
Skizzierens. Dies zeigt die Vorteile des Skizzierens auf, und verweist zugleich auf einen
15
entscheidendes Manko bestehender Anwendungen des CAAD: die Unausweichlichkeit
grafischer Präzision. Die Mehrdeutigkeit einer Skizze ist durch Computer bisher nicht
Goldin-Meadow/Wagner (2005); Heath/Luff (2007); Visser (2006)
11
Mittelberg (2012): S. 191f.
12
Vgl. Goldschmidt (1994), S.158f.
13
Hasenhütl (2009), S. 342
14
Krauthausen (2010), S. 10–11
15
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befriedigend darstellbar, obwohl es hierzu bereits Ansätze gibt. Die Leere des weißen
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Blattes, die darauf aufbauende Offenheit des Prozesses, ist bereits durch Umfang und
Aufdringlichkeit des Interfaces verwirkt. Mit der Vermutung, dass digitale Werkzeuge ein
eigenes Formenrepertoire implizieren, lässt sich die Kritik fortsetzten: Orthogonalität ist
in CAAD-Programmen stets privilegiert. Ein rechtwinkliges Raster und die Halbierung in
zwei Winkel von 45!Grad führen zu hierdurch beschreibbare Architektur. Das Werkzeug
hat eine normative Gestaltungskraft, die rückwirkend auch die »Erlebnismodelle« der
Umwelt beeinflusst.
17
Für die Integration des Skizzierens in die VR existieren durchaus Vorschläge: Ellen
Yi-Luen Do beispielsweise stellte 2001 erstmals das VR-Sketchpad vor als virtuelle Frei-
hand-Zeichenunterlage. Auf einfache Weise werden hierbei aus diagrammatischen Skizzen
von räumlichen Aufteilungen Wände, Stützen und Möblierungen generiert. Die Anwen-
dung interpretiert Skizzen selbstständig in dreidimensionale Objekte, die in der VR
angezeigt werden können. Ein anderes Beispiel ist die von Dorta, Perez et al. entwickelte
18
hybride Anwendung der immersive Drafted Virtual Reality (iDVR). Der Vorschlag integriert
eine bisher noch rudimentäre Skizzierfunktion in eine immersive Umgebung.
19
Die zunehmende Rückeroberung des Tastsinns in der digitalisierten Welt zeigt sich
in Tendenzen moderner Interfacegestaltung und beschreibt zugleich den Wunsch körper-
licher Teilhabe. Immer häufiger wird die Steuerung von Objekten auf Bildschirmen mit
Hand und Fingern vorgenommen, der Mensch mit seinen Körperbewegungen wird Teil
des Interfaces. Herbert Marshall McLuhan führte den Begriff der digitalen Taktilität ein.
20
Till Heilmann spricht vom »Wunsch des Menschen, über die Vermittlung von Tasten und
Schaltflächen, über die Ebene der schriftlichen und der grafisch-ikonografischen Vermit-
tlung hinaus die digitalen Dinge selbst in den Griff zu bekommen«.
21
Auf die Erfassung von Körperbewegungen mittels einer Infrarotkamera setzt die
Entwicklung des US-amerikanischen Start-Ups Leap Motion. Der entwickelte Controller
soll die Eingabe durch klassische Interfaces, vor allem der Maus überflüssig machen, in-
dem er die Handbewegungen erfasst und durch komplexe Algorithmen »versteht«. Das
erst seit knapp zwei Jahren erhältliche Produkt lässt sich mit dem Head Mounted Display
Oculus Rift verbinden, wodurch virtuelle Repräsentationen der eigenen Hände und Unter-
arme in der VR sichtbar werden. Erste Demos zeigen den Einsatz für Selektion und räum-
liche Modellierung von virtuellen Objekten und Objektgruppen.
Ein ausformulierter Ansatz für die Interaktionsgestaltung in der VR kommt
beispielsweise von Dirk!Donath und Holger Regenbrecht an der Bauhaus-Universität
Weimar. Das Ende der neunziger Jahre von ihnen vorgestellte voxDesign-Werkzeug ist eine
Arbeitsumgebung, die sich darauf konzentriert, mithilfe von 3D-Skizzier-werkzeugen
räumliche Strukturen zu erzeugen. Neben voxDesign entstand mit planeDesign ein Werkzeug
für die Konzeptphase des Entwurfs: Durch das Verschieben von Flächen werden hier auf
einfachste Weise räumliche Situationen erzeugt und untersucht. »Der Architekt sollte in die
Lage versetzt werden, Raumdefinitionen und Raumanordnungen im Maßstab 1:1 unmit-
Vgl. Silva Bartolo (2007), Holden et al. (1996)
16
Flusser (1989)
17
Do (2001), S. 161–172
18
Dorta et al. (2008), S. 121–141
19
McLuhan (1967)
20
Heilmann (2010)
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telbar aus seinen Gedanken und Intentionen heraus auszudrücken. Kein Menü, kein Start-
und Endsymbol, keine Angaben von exakten Maßen. Einzig Proportionen, Anordnungen
und Formen in einer Detailgenauigkeit, wie sie dieser ersten Phase des Entwurfes
entspricht: grob, ungefähr, abschätzend, verwerfend, dokumentierend. Nicht mehr, nicht
weniger. Genau dafür reichen solche einfachen Flächen (“planes”) aus.«
22
4. Fragestellung und Methoden
Ziel der geplanten Dissertation ist die Entwicklung multimodaler Interaktionstechniken in
Anwendungen des Virtual-Reality-Aided Architectural Designs (VRAAD). Für die An-
näherung erfolgt (1) eine Analyse der Bedeutung sowohl des Körperwissens als auch (2)
der Unschärfe im Architekturentwurf und (3) der Rückschluss auf technologische Integra-
tionsmöglichkeiten auf der Grundlage von Experimenten. Die Bearbeitung schließt die
Auseinandersetzung mit entwurfs- und medientheoretischen Überlegungen, sowie praktis-
chen Erfahrungen der Ingenieurwissenschaften, Kunst und Architektur ein. Im Zentrum
stehen die Fragen: Wie wird auf Basis der Technologie VR eine künstlerisch-gestalterische
Wissensgenese möglich? Wie wird VR zum Werkzeug des Entwurfs?
Ad 1: Das Körperwissen ist die Summe der multisensorischen und emotionalen Erfahrun-
gen. Sein Entstehen wird aus kognitionswissenschaftlicher Perspektive betrachtet. Die
Arbeit geht der Frage nach, wie aus subjektiven Raumerfahrungen Bedürfnisse und
Vorstellungen architektonischer Formulierungen werden, die sich sich wiederum körper-
lich in Skizze und Geste manifestieren. Die umfangreichen Forschungen zu Gesten im
Kontext der Sprache sind bei der Untersuchung von besonderer Relevanz. Dabei sind
23
ritualisierte Gesten von jenen zu unterscheiden, die situativ und kontrolliert genutzt wer
24 -
den, um das Sprechen zu ergänzen. In der Forschung sind eine Vielzahl von Kate-
gorisierungsversuchen zu finden, in denen Gesten Begriffen und gedanklichen Bildern
zugeordnet werden. Auch im Bezug auf Architektur zeigen Studien, dass Gesten dazu
dienen sprachliche Erklärungsversuche von Raum mithilfe gestischer Metaphern zu
ergänzen. Jene sind besonders vielversprechend für das Interfacedesign der VR, weil sie
25
ein intuitives Verständnis des Mediengebrauchs erwarten lassen. Ein weiterer Teilaspekt ist
die Beschreibung des Verhältnisses zwischen Körperstellung, -bewegung und Raum im
zeitlichen Ablauf der Raumerfahrung. Hier wird die bisher überschaubare Anzahl der
vorhandenen technologischen Notationsverfahren der Choreographie-Forschung betra-
chtet.
26
Ad 2: Unschärfe als Form der Unbestimmtheit und Ungewissheit findet sich im Medium
der Skizze und des Arbeitsmodells im Architekturentwurf wieder. Sie ist äußerst dienlich,
weil sich durch sie das Entwurfsobjekt der Reglementierung so weit entzieht, dass Rekur-
sionen und Transformationen provoziert werden. Iterativ engt sich auf ihrer Basis der
27
unbegrenzte Möglichkeitsraum ein, der am Beginn eines jeden Entwurfsprozesses steht.
Donath/Regenbrecht (1999), S.6
22
Vgl. Cienki/Müller (2008), Goldin-Meadow/Wagner (2005), Müller et al. (2014)
23
Vgl. Posner (2001)
24
Vgl. Visser (2009)
25
Etwa das von William Forsythe 1999 vorgestellte Programm Improvisation Technologies – A Tool for the Analytical
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Dance Eye. Forsythe (1999)
Vgl. Krauthausen (2010)
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Unschärfe kann demnach als Bedingung der Entwurfsarbeit verstanden werden. Gesucht
werden deshalb Lösungen, jene produktive Unschärfe in computergestützte Entwurfsan-
wendungen zu integrieren. Die Form unscharfer, grafischer Zeichen muss dazu taugen in
einer virtuellen, dreidimensionalen Umgebung räumliche Konzeptionen nur soweit zu
repräsentieren, dass gedankliche Anschlüsse wahrscheinlich werden. Die überschaubare
Anzahl von Ansätzen hierzu soll zusammengetragen und bewertet, sowie eigene Ansätze
entwickelt werden. Die mathematische Theorie der Fuzzylogik, die vor allem zur Model-
lierung von Unsicherheit dient, wurde bereits für die technische Übertragung von Skizzen
in Entwurfsanwendungen genutzt. Ganz ähnlich können auch Gesten erfasst werden.
28 29
Ad 3: Um theoretische Überlegungen zu überprüfen, ihre Ergebnisse zu untermauern und
technische Integrationsmöglichkeiten auszuloten, sind die folgenden, aufeinander auf -
bauenden Experimente geplant:
a) Manuelle Gesten – Die geplanten Experimente überprüfen die Artikulation metapho-
rischer, architektonischer Bilder und Räume in gestischen Figuren. Das Augenmerk liegt
auf Gesten, die hypothetisch dazu dienen können, durch Interfaces der VR erfasst zu
werden. Es geht also in erster Linie um kontrollierte Gesten, die räumliche Zusammen-
hänge erklären. Probandengruppen haben deshalb die Aufgabe dasselbe, bis dato un-
bekannte Gebäude zu erkunden. Es wird eine Architektur gesucht, die möglichst »schwer
in Worte zu fassen« ist. Geeignet wären beispielsweise amorphe, wenig alltägliche Baufor -
men, etwa die des Expressionismus. Im Nachhinein werden die Probanden einem begren-
zten zeitlichen Rahmen zu ihrem Erlebnis befragt. Überprüft wird so vordergründig die
Fähigkeit der Exploration eines mentalen Modells aus der Erinnerung. Die Einrichtung
der Befragung zielt aber vielmehr darauf ab, im Interview nicht die verbalen Äußerungen,
sondern die gestischen Figuren zu filmen und mit einer Videoanalysesoftware (Elan) zu
katalogisieren. Die Katalogisierung erfolgt nach räumlichen, insbesondere geometrischen
Charakteristika (wie Höhe, Breite, Tiefe, Raumaufteilung, Dach- und Gewölbeform, Pfeil-
erstellung usf.). – In einer Variante des Experiments werden die Exploratoren um
Beschreibung in Form von Skizzen nach demselben Fragenkatalog gebeten. Auch hier
besteht ein vordefiniertes Zeitfenster. Von Interesse ist zunächst der Vergleich der ent-
standenen grafischen Äußerungen. Bedeutender für die Arbeit ist jedoch die zeichnerische
Herangehensweise der Probanden an die Aufgabenstellung. Hier werden ebenfalls mittels
Videoaufnahme die manuellen Bewegungen analysiert. Die Katalogisierung erfolgt in gle-
icher Weise wie im ersten Experiment. Ein Vergleich beider Kataloge gibt – so die Er-
wartung – weiteren Aufschluss über die untersuchten Formen körperlicher Expression
anhand jeweils eines Gebäudes. Das Experimentaldesign und die Evaluation erfolgt nach
biostatistischen Standards der Verhaltensforschung. Der Stichprobenumfang wird durch
eine Poweranalyse berechnet. Als Probanden werden Architekturstudierende – wie bereits
im Rahmen meiner Diplomarbeit – rekruriert. Als Erfolg hat sich während meiner Diplo-
marbeit die Zusammenarbeit mit dem Virtual Reality Research Lab der Bauhaus-Universität
Weimar (BUW) herausgestellt, sowohl bei der Implementierung meiner Versuche als auch
bei der Akquisition von Probanden. Gerne würde ich an diese Zusammenarbeit
Vgl. Silva Bartolo (2007)
28
Vgl. Holden et al. (1996)
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anknüpfen. Auch viele meiner Kommilitonen der UdK standen bisher sehr gerne für Ex-
perimente zur Verfügung.
b) Unschärfe – Die Fragestellung lautet: Gibt es universell verständliche Darstel-
lungskonzepte für Unschärfe, die in dreidimensionalen, virtuellen Entwurfsumgebungen
implementierbar sind? Hierzu gibt es nur wenige Ansätze in der Literatur. Ich plane die
Sammlung skizzenhafter Beschreibungen von immer derselben Architektur, die im Rah-
men des zweiten Experiments entsteht, im Hinblick auf Unschärfe auszuwerten. Die
Skizzen sind individuell, haben aber aufgrund der Aufgabenstellung an die Probanden den
Zweck möglichst eindeutiger Vermittlung, also den Impetus objektiver Beschreibung. Die
Skizzen werden nicht präzise ausgeführt, weil die Zeit begrenzt ist. Für die Gesten gilt,
dass sie ebenso schnell ausgeführt werden in der Hoffnung, dass sie dem Rezipienten zum
Verständnis dienen. Genau hier definiert sich die Prämisse der Entwicklung eines
virtuellen Interface: wider eine Reglementierung, objektiv verständlich und intuitiv. Die
Überlagerungen aus den in den vorangegangenen Experimenten entstandenen, vergle-
ichenden Katalogen erlauben eine versuchsweise Zuordnung von zweidimensionalen zu
dreidimensionalen Äußerungen. Die Idee ist, dass sich mittels dieser Zuordnung eine
Form räumlichen Skizzierens entwickeln lässt, die digital erfasst werden kann und virtuelle
Objekte modifiziert. Es wird in der Folge versucht, diesen Entwurf wissenschaftlich zu
begründen und zu testen. Anhand der Sammlung von Skizzen möchte ich zudem der Be-
griff der Unschärfe im Architekturentwurf vertiefend entwickeln.
c) VRAAD – Für den Machbarkeitsnachweis und für ein technologisches Testverfahren
erfolgt die Umsetzung des in Abschnitt b entstandenen Entwurfs. Sowohl eine Gestener-
fassung als auch ein »unscharfes« räumliches Darstellungskonzept werden hierbei integri-
ert. Für die räumliche Eingabe werden die Infrarot-Controller Leap Motion (Leap Motion)
und Kinect (Microsoft) genutzt. Sie erlauben die Erfassung von Körper- und Handbewegun-
gen auf Grundlage bereits entwickelter Algorithmen. Zur visuellen, stereoskopischen
Ausgabe wird das Head Mounted Display Oculus Rift (Oculus VR) verwendet. Die Pro-
grammierung der Anwendung übernehme ich zum großen Teil selbst in Kooperation mit
Informatikern der BUW. Die Basis für eine räumliche Entwurfsumgebung stellt die offene
CAD-Umgebung Rhinoceros 3D (Robert McNeel & Associates) dar. Die Evaluation der
Demonstrationsanwendungen erfolgt durch eine technologische Nutzerstudie, in der
Probanden mit dem entstandenen Programm konfrontiert werden. Die Bewertungskrite-
rien sind neben der Funktionalität, vor allem Salienz und Joy-of-use. Salienz meint die
Steuerung und Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit des Nutzers, Joy-of-use die frustra-
tionsfreie Benutzung, die auch als spielerische Qualität verstanden werden kann. Das
Ergebnis ist sowohl ein Ausblick auf zukünftige Technologien, als auch der Diskussions-
gegenstand einer Kulturtechnik des computergestützten Entwerfens in virtuellen Umge-
bungen. Damit erfolgt der Anschluss an die entwurfs- und medientheoretische Debatte,
die am Beginn der Arbeit steht.
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