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Klangverbesserung von Musikinstrumenten durch Einspielen:
Fakt oder Fiktion?
Gregor Weldert
Zusammenfassung:
Unter kontrollierten experimentellen Bedingungen konnte bisher keine subjektiv empfundene
Klangverbesserung von Musikinstrumenten durch Einspielen nachgewiesen werden. Auch die
bloße Unterscheidbarkeit zwischen viel und wenig gespielten Instrumenten misslang auf
subjektiver Ebene. Spielabhängige Veränderungen in der Frequenzkurve können anscheinend
messbar sein, wurden aber nicht in allen Untersuchungen gefunden. In diesem Artikel werden
empirische Befunde zu natürlichem und künstlichem (maschinellem) Einspielen sowie
verschiedene Erklärungsansätze für einen möglichen Einspieleffekt vorgestellt.
Viele Musiker - aber auch Instrumentenbauer - vertreten die Ansicht, dass Musikinstrumente
erst einmal eingespielt werden müssten, um gut zu klingen. Das Instrument als solches oder
das verwendete Holz müssten sich erst einschwingen, um einen guten Klang zu entwickeln.
Auch längeres Nichtspielen wirke sich negativ auf den Klang aus und das Instrument müsse
nach solch einer Phase wieder durch Spielen klanglich reaktiviert werden. Somit seien alte
und gut eingespielte Instrumente klanglich besser. Prinzipiell sind folgende Faktoren (einzeln
oder in Kombination) als Erklärung dafür denkbar:
• Gewöhnung: nicht das Instrument verändert sich, sondern die Interaktion zwischen
Instrument und Musiker. Dieser lernt im Laufe der Zeit die Schwächen seines
Instrumentes zu überwinden und dessen Stärken besser zu nutzen.
• Selektion: Spitzeninstrumente werden vererbt, während die weniger guten irgendwann
aussortiert werden. Instrumente klingen nicht gut, weil sie viel gespielt werden,
sondern sie werden viel gespielt, weil sie gut klingen.
• Wartungsarbeiten am Instrument: Musiker, die nicht zufrieden mit ihrem Instrument
sind, lassen Veränderungen daran vornehmen. Somit verbessert es sich im Laufe der
Zeit.
• Alterung: klanglich relevante Eigenschaften von Holz oder anderen Materialien (z.B.
Hammerkopf-Filz bei Klavieren) verändern sich im Laufe der Zeit ebenso wie das
gesamte System, z. B. durch zeitabhängigen Spannungsabbau im fertigen Instrument.
• dauerhaftes Spielen: durch das Spielen entstehen Vibrationen, die eine Veränderung
im Werkstoff Holz oder im gesamten schwingenden System hervorrufen. Es findet
also tatsächlich ein klanglich relevantes Einspielen des Instrumentes statt.
Während die Faktoren Gewöhnung, Selektion und Wartung eine Verbesserung des
Klangerlebens implizieren, ist bei den Faktoren Alterung und Spielen zunächst einmal
lediglich von einer Veränderung auszugehen. Ob und warum diese Veränderung jedoch
zwangsläufig als positiv empfunden werden sollte, ist unklar.
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Veränderungen im Werkstoff Holz
Veränderungen durch Alterung
Ein hoher Elastizitätsmodul (und somit hohe Schallgeschwindigkeit) sowie eine geringe
Dämpfung sind für Klangholz erwünschte Eigenschaften, die sich durch Alterung verändern.
So nimmt z. B. der E-Modul von Fichte zu, wobei dieser Effekt durch Tageslicht verstärkt
wird. Die Dämpfung hingegen nimmt unter Tageslicht ab, ohne Licht jedoch zu [1]. Darüber
hinaus reagiert gealtertes Holz weniger stark auf Feuchtigkeitsschwankungen, was zur
mechanischen und akustischen Stabilität beiträgt. Diese alterungsabhängigen Änderungen
sind teilweise umkehrbar, sobald das Holz hoher Feuchtigkeit und anschließend wieder
Trockenheit ausgesetzt wird [2].
Alterung ist allerdings kein linearer Prozess. Bei Fichte (nicht jedoch bei Zeder oder Ahorn)
findet sich zwar eine Abhängigkeit von E-Modul, Schallgeschwindigkeit, Dämpfung,
Bruchspannung, Härte und Sorption vom Alter des Holzes. Allerdings verlangsamen sich die
Veränderungen der meisten dieser Eigenschaften nach 25 bis 30 Jahren oder es zeigt sich
sogar eine Trendumkehr. Z.B. verringert sich bei Fichte die Eigenspannung über die ersten 30
Jahre, während sie danach wieder ansteigt [3].
Veränderungen durch Vibration
Verschiedene Untersuchungen an einzelnen Holzproben zeigen, dass sich die akustischen
Eigenschaften von Holz verändern, wenn sie kontinuierlichen Vibrationen ausgesetzt werden.
Dabei findet sich stets eine Abnahme der Dämpfung [4, 5, 6, 7], manchmal auch ein Anstieg
des E-Moduls [7]. Außerdem zeigt sich, dass diese Effekte abhängig von der Feuchtigkeit [5,
6, 7] oder sogar durch Feuchtigkeitsschwankungen umkehrbar sind [5]. Allerdings gibt es
auch eine Untersuchung, die trotz 10-wöchiger Vibration keine signifikante Veränderung bei
Fichte fand [8].
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Vibration ebenso wie Alterung anscheinend die
akustischen Eigenschaften von Holz beeinflusst, und zwar in wünschenswerter Weise. Der E-
modul nimmt zu, während die Dämpfung abnimmt. Und ebenso wie alterungsbedingte
Änderungen scheinen vibrationsbedingte Änderungen umkehrbar zu sein, wenn sich die
Feuchtigkeit stark ändert.
Erklärungsansätze für den Einspieleffekt
Verschiedene physikalische Erklärungen wurden für den Einspieleffekt vorgeschlagen,
darunter die Kristallisation von Harz oder Materialermüdung des Holzes oder der
Leimverbindungen, die die Struktur schwächt und damit für größere Bewegung der
vibrierenden Elemente sorgt [9]. Eine Theorie von Holztechnikern geht davon aus, dass die
Materialermüdung das Resultat einer Unterbrechung der Cellulose Molekülketten sowie des
Aufbrechens von Mikrofibrillen ist. Durch Arbeiten (feuchtigkeitsabhängiges Quellen und
Schwinden) des Holzes über einen längeren Zeitraum werden die unter Stress aufgebrochenen
molekularen Bindungen jedoch wieder neu formiert. Dabei ist Cellulose als Rahmensubstanz
die Hauptkomponente von Holz, die jedoch eng mit Lignin und Hemicellulose verbunden ist.
Diese wiederum sind hauptverantwortlich für das Arbeiten des Holzes. Die Erklärung geht
nun dahin, dass die Beschädigung der Zellstrukur für den Einspieleffekt verantwortlich ist und
dass diese Beschädigung durch Vibrationen in Verbindung mit den hohen Belastungen des
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schwingenden Systems (z. B. Saitenspannung) verursacht wird. Das feuchtigkeitsabhängige
Arbeiten des Holzes wiederum hebt den Einspieleffekt wieder auf, da sich die zerstörten
Strukuren neu formieren. Dies würde das Phänomen erklären, dass auch bereits eingespielte
Geigen nach einer längeren Phase des Nichtspielens erst wieder durch erneutes Spielen
reaktiviert werden müssen, weil in dieser Phase das Holz weiter arbeitet [10].
Eine recht ähnliche Theorie hält die Entspannung von Trocknungsstress für eine plausible
Erklärung des Einspieleffekts [2]. Wenn grünes Holz trocknet, schwinden amorphe
hydrophile Polymere wie Lignin und Hemicellulose, während die kristalline Cellulose
unverändert bleibt. Da kristalline Cellulose steifer als die amorphen Polymere ist, wird deren
Schwinden durch die Cellulose behindert, was zu internem Stress in der Zellwand führt.
Dieser Stress kann jedoch teilweise durch Alterung oder auch durch Vibration abgebaut
werden, was zu verbesserten akustischen Eigenschaften führt.
Eine andere Theorie [5] erklärt den Einspieleffekt durch eine langsame Verlagerung von
Wassermolekülen weg von Stellen hoher Belastung hin zu Stellen mit niedriger Belastung.
Eine ähnliche Erklärung geht ebenfalls von molekularer Neuanordnung aus [11].
Möglicherweise liefern Vibrationen genügend Energie um die Verbindungen zwischen
Wassermolekülen aufzubrechen, was zu geringerer interner Reibung führt [6]. Allerdings ist
unklar, ob am fertigen Instrument die bestimmenden Materialkenngrößen des Holzes eine
begünstigende Veränderung erfahren, oder ob nicht eher die "Compositstellen" am Instrument
(Leimungen, Riemchen etc.) beeinflussbar sind [12].
Überprüfung des Einspieleffekts
Wie kann man überprüfen, ob sich ein Musikinstrument durch Einspielen klanglich
verbessert? Grundsätzlich bieten sich dafür zwei verschiedene Herangehensweisen an:
einerseits physikalisch akustische Messungen, andererseits subjektive Bewertungen durch
Spieler oder Zuhörer. Was zunächst einfach klingt, ist jedoch alles andere als trivial.
Akustische Messungen können lediglich einen physikalischen Unterschied zwischen den
Zuständen vor und nach dem Einspielen feststellen, nicht jedoch, ob dieser Unterschied von
Musikern oder Zuhörern überhaupt wahrgenommen wird, geschweige denn, ob ein
wahrgenommener Unterschied positiv oder gar negativ bewertet wird. Hinzu kommt, dass bei
festgestellten Veränderungen nicht ohne weiteres zwischen einem Effekt durch Einspielen
einerseits und durch Alterung andererseits differenziert werden kann. Hierzu ist eine
Kontrollgruppe zwingend erforderlich. Bei subjektiver Bewertung durch menschliche
Versuchspersonen ist zusätzlich eine sogenannte Doppelverblindung erforderlich: um den
Einfluss von Erwartungshaltungen auszuschließen, sollten weder die Versuchsperson noch
der Versuchsleiter wissen, ob das zu beurteilende Instrument eingespielt wurde oder nicht.
Auf physikalischer Ebene wird häufig die Frequenzkurve ermittelt oder gar eine komplette
Modalanalyse durchgeführt. Für die Modalanalyse findet sich eine anschauliche Einführung
bei Schleske [13]. Details zur Frequenzkurvenmesstechnik finden sich bei Ziegenhals [14],
der die Beziehung zwischen subjektiver und objektiver Beurteilung von Musikinstrumenten
untersucht hat. Seine Ergebnisse zeigen, dass sich grundsätzlich aus der Frequenzkurve
Merkmale ableiten lassen, mit denen ein gut-Trend definiert werden kann und die eine
hinreichende Korrelation zu Musikerurteilen aufweisen. Es lässt sich dadurch eine Rangfolge
von Instrumenten verschiedener Güte aufstellen, die sich der entsprechenden Bewertung
durch Musiker annähert. Allerdings gibt es auch Fälle, in denen die Frequenzkurvenanalyse
keine ausreichende Differenzierung zwischen Instrumenten liefert, obwohl Musiker
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Unterschiede anmerken. Daher ist eine Beurteilung auch anhand von realen Musikeranspielen
anzustreben, zumal sich die Qualität eines Musikinstrumentes erst in der durch den Spieler
generierten Musik realisiert. Außerdem ist bei physikalischen Messungen zu berücksichtigen,
dass die Messsituation praxisrelevant sein sollte, da der Musiker durch bewusste oder
unbewusste Eingriffe die akustischen Eigenschaften des Instrumentes z.T. erheblich
verändert. Eine Gitarre z.B. klingt anders, wenn sie von einem Spieler gehalten wird als wenn
sie auf einem Labortisch liegt.
Bisher durchgeführte empirische Untersuchungen zum Einspieleffekt
Natürliches langfristiges Einspielen
Das Tokyo String Quartet gab 1994 ein Konzert auf unterschiedlichen Instrumenten-Sets.
Einerseits spielten sie auf ihren eigenen alten (gut eingespielten) italienischen Instrumenten,
andererseits spielten sie drei andere Sets von Instrumenten zeitgenössischer Geigenbauer, mit
denen sie nie zuvor geprobt hatten. Anschließend wurde das Publikum befragt, ob es das Set
der alten italienischen Instrumente identifizieren konnte, was tatsächlich der Fall war.
Allerdings konnte das Publikum sowohl die Instrumente als auch die Musiker und deren
Reaktion auf die Instrumente sehen [15]. Später wurden Aufnahmen des Konzerts einem
Dutzend erfahrener Musiker mit der gleichen Aufgabenstellung vorgespielt. Keiner von ihnen
konnte konsistent zwischen den alten und den neuen Instrumenten unterscheiden [16].
Weitere Experimente, in denen der angeblich bessere Klang alter italienischer Geigen im
Vergleich zu zeitgenössischen Geigen untersucht wurde, kamen zu ähnlichen Ergebnissen. 21
erfahrene Geiger verglichen drei alte mit drei neuen Instrumenten. Bei den alten Geigen
handelte es sich um von Stradivari und Guarneri gebaute Instrumente, die neuen Geigen
waren Spitzeninstrumente in der Bauart von Stradivari bzw. Guarneri. Diese
Vergleichsinstrumente waren zwischen einigen Tagen und einigen Jahren alt. Unter
Doppelblind-Bedingungen stellte sich heraus, dass die Spieler dazu tendierten, die neuen
Geigen zu bevorzugen. Darüber hinaus waren sie auch nicht in der Lage, zwischen den alten
und den neuen Instrumenten zu unterscheiden [17]. In einer Erweiterung dieses Experiments
wurden auch die Urteile von erfahrenen Zuhörern mit einbezogen. Auch die Zuhörer
bevorzugten die neuen Instrumente und konnten nicht zuverlässig zwischen den alten und den
neuen Instrumenten unterscheiden [18].
Hutchins [19] ermittelte die Frequenzkurven mehrerer Streichinstrumente, die unterschiedlich
lange gespielt wurden. Der Pegel vieler Hohlraumresonanzen war angestiegen, insbesondere
nach konsistent langem Spielen und bei Resonanzen oberhalb von 1 kHz. Allerdings zeigte
sich eine Veränderung der Frequenzkurve auch bei einem Instrument, das sehr wenig gespielt
wurde.
Für ein recht aufwendiges Experiment ließen Forscher zwei baugleiche Geigen aus 80 Jahre
abgelagertem Holz herstellen, maßen die Frequenzkurven und führten Hör- und Spieltests mit
erfahrenen Musikern durch [20]. Die Frequenzverläufe waren sehr ähnlich und unterschieden
sich nur in Details und auch in den subjektiven Bewertungen unterschieden sich die Geigen
nicht signifikant. Dann wurde eine Geige drei Jahre lang in einem Museum gelagert, während
die andere in der Zeit von einem Berufsmusiker intensiv gespielt wurde. Drei Jahre später
wurden die Instrumente erneut getestet, wobei sich wieder das gleiche Ergebnis fand: weder
in der Frequenzkurve noch bezüglich der Hör- und Spieltests unter Verblindung unterschieden
sich die beiden Geigen signifikant. Sieben Jahre später, anlässlich des 10-jährigen Jubiläums
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des Projekts, trafen die beiden Geigen erneut aufeinander. Leider handelte es sich dabei nur
um ein informellen Vergleich, bei dem keine erneuten Messungen durchgeführt wurden.
Jedoch waren sich alle Anwesenden einig, dass beide Instrumente immer noch sehr ähnlich
klangen. Die Museumsgeige wurde etwas offener im Klang empfunden, während die gespielte
Geige etwas dunkler im Ton war. Allerdings befanden sich auf der gespielten Geige ältere
Saiten, während die Museumsgeige recht neue Saiten hatte [21].
Künstliches "Einspielen" durch aufgezwungene Vibrationen
Hutchins & Rodgers [10] beeinflussten mittels Vibrationen die Differenz zwischen zwei
bestimmten Resonanzen bei Geigen. Dabei handelte es sich um die Hohlraumresonanz A1
(ca. 450 - 490 Hz) und die Korpusresonanz B1 (ca. 480 - 560 Hz). Diese Differenz stellt für
die Autoren ein wesentliches Qualitätsmerkmal von Geigen dar. Mit einem Holzstab
verbanden sie einen Lautsprecher mit dem Geigensteg und ließen einen Klassik Radiosender
1.500 Stunden lang über den Lautsprecher abspielen, so dass die Geige über den Steg in
Vibrationen versetzt wurde. Bei den zwölf so vibrierten Geigen verringerte sich die Differenz
zwischen A1 und B1 um durchschnittlich 22 Hz, wobei sich nur die Korpusresonanz, nicht
jedoch die Hohlraumresonanz änderte. Zwei nicht behandelte Geigen dienten zur Kontrolle.
Deren Korpusresonanz B1 verringerte sich durch Feuchtigkeitsschwankungen lediglich um 5
Hz. Spieler, die die Geigen unmittelbar vor und nach der Vibrationsbehandlung testeten,
nahmen bei den behandelten Instrumente eine leichtere Ansprache und einen weniger
scharfen Ton wahr als vor der Behandlung. Genauere Angaben zu den Testbedingungen der
Anspieltests oder bezüglich einer Verblindung oder zur Anzahl der Spieler werden von den
Autoren nicht gemacht. Nach mehreren Monaten des Nichtspielens war die B1 Frequenz der
behandelten Geigen wieder um durchschnittlich 15 Hz nach oben gewandert.
Mit einer sehr ähnlichen Methode wurden in einem Experiment drei Geigen und eine Bratsche
für 500 Stunden einer Vibrationsbehandlung unterzogen, ebenfalls mittels eines Radiosenders
[16]. Unmittelbar vor und nach der Behandlung wurden die Instrumente durch fünf
kompetente Spieler angespielt und Audioaufnahmen für Hörbeurteilungen gemacht, so dass
für jedes Instrument sowohl Spiel- als auch Hörbewertungen durchgeführt werden konnten.
Alle Teilnehmer waren sicher, dass sich die Instrumente verändert hatten und die meisten
empfanden eine positive Veränderung. Eine statistische Auswertung wurde nicht
durchgeführt. Unklar ist, ob die Teilnehmer um die Vibrationsbehandlung wussten und ob das
Experiment unter Blind- oder gar Doppelblind-Bedingungen durchgeführt wurde.
Mittlerweile sind auf dem Markt kommerzielle Einschwingapparaturen erhältlich. In einem
Experiment wurde die Wirksamkeit eines solchen Gerätes getestet, das die Saiten von
Gitarren und somit über den Steg auch die ganze Gitarre in Vibrationen versetzt [9]. Drei
Paare (gleicher Hersteller, Modell, Baujahr) von neuen Gitarren unterschiedlicher Qualität
wurden getestet. Jeweils ein Exemplar eines Paares wurde 348 Stunden lang der
Vibrationsbehandlung unterzogen, das andere Exemplar diente als Kontrolle. Sowohl die
Frequenzkurven als auch die subjektiven Einschätzungen von neun erfahrenen Spielern nach
Anspieltests unter Doppelblind-Bedingungen wurden jeweils vor und nach der Behandlung
gemessen. Dabei zeigte sich kein Einfluss der Behandlung, weder in den Frequenzkurven
noch in den subjektiven Bewertungen. Die Teilnehmer konnten auch nicht konsistent
unterscheiden, welche Gitarre einer Behandlung unterzogen wurde und welche nicht. Die
Autoren sehen aufgrund ihrer Daten eher Suggestion und Marketing bzw. fehlende
kontrollgruppenbasierte Testung unter Doppelblind-Bedingungen als Gründe für die immer
wieder anektdotisch vorgebrachte Wirksamkeit dieser Vibrationsbehandlung. Allerdings
weisen sie darauf hin, dass die durch diese Einschwingapparatur in die Gitarre eingebrachte
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Energie wesentlich geringer ist als die Energie, die bei normalem Spiel mit einem Plektrum
eingebracht wird.
Wesentlich mehr Energie (und somit eine größere Schwingungsamplitude) wird bei einer
Prozedur eingebracht, die als Vibrationsentdämpfung bekannt ist. Entwickelt wurde diese von
Gerhard von Reumont, der sich dieses Verfahren patentieren ließ [22]. Dabei wird ein
Unwuchtmotor am Steg von Streich- oder Zupfinstrumenten angebracht, die dadurch sehr
starken Vibrationen ausgesetzt werden. Dadurch sollen Verspannungen im Instrument gelöst
werden. Die Wirkung des Vibrationsentdämpfens soll auf einem Relaxationsvorgang beruhen,
der durch sehr häufiges Overstressing, also Überdehnen, ausgelöst wird. Dies soll zu einem
besseren und ausgeglichenerem Klang, einer leichteren Ansprache sowie längeren
Ausklingzeiten führen. Als Maß für die Dämpfungsabnahme gilt für von Reumont die
gemessene Abnahme der Leistungsaufnahme des Unwuchtmotors, weil dieser mit
abnehmender Dämpfung auch weniger leisten muss. Die Physikalisch Technische
Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig bestätigte in einem Gutachten die Wirksamkeit dieser
Methode auf Grundlage einer Frequenzkurvenmessung. Zollner [23] merkt dazu an, dass sich
diese Methode nicht für solid body E-Gitarren eignet, da deren Korpus nicht schwingen soll.
Er kritisiert auch, dass aufgrund von Messungenauigkeiten die Leistungsaufnahme des Motors
kein geeignetes Maß für die Dämpfungsabnahme ist. Auch die am PTB durchgeführte
Messung kritisiert er, da die in das Instrument eingebrachte Leistung nicht gemessen wurde.
Allerdings wurden in der Folgezeit auch noch weitere physikalische Messungen an
vibrationsentdämpften Instrumenten veröffentlicht. Dabei zeigten sich bei Gitarren
Veränderungen im Frequenzkurvenverlauf sowie eine Verlängerung der Ausklingzeiten [24].
Für zwei Celli wurde die Frequenzkurvenmessung sowie eine komplette Modalanalyse
dokumentiert [12, 25]. Dabei zeigte sich eine erhöhte Gesamtzahl an Resonanzen, eine
Erhöhung der Eigenfrequenzen der Moden, eine generelle Abnahme der Dämpfung (jedoch
eine erwünschte Zunahme der sogenannten Strahlungsdämpfung im Bereich der tiefsten
Körperschwingung) sowie geringere Niveauunterschiede der Biegewellenamplituden.
Es gibt jedoch auch Untersuchungen, die keine wesentlichen Auswirkungen dieser Methode
fanden. Meinel & Holz [26] überprüften die Wirksamkeit des Verfahrens, wobei sie jedoch
mit geringerer Energieeinspeisung als vom Erfinder vorgesehen arbeiteten. Sie kommen zu
dem Schluss, dass eine Verbesserung der akustischen Qualität zwar grundsätzlich möglich ist,
aber es traten nicht bei allen behandelten Instrumenten nachweisliche Qualitätsgewinne auf.
Insgesamt waren die Auswirkungen auf die Frequenzkurve nur unwesentlich. Im Gegensatz
zu oben angeführten Ergebnissen [12, 25] fanden sie eine Frequenzabnahme (und nicht
Zunahme) der Resonanzen. Weiterhin zeigten sich Pegelgewinnne, aber auch Pegelverluste
und Vertiefung von Resonanzlücken. Auch Leonhardt [27] fand keine dauerhafte
Verbesserung bei zwei untersuchten Geigen. Nach sechs Monaten Dauerbehandlung durch
Vibration fand er zwar durchaus mess- und hörbare Veränderungen, jedoch waren diese nicht
nur positiv, sondern auch negativ. Nach weiteren drei Jahren des Nichtspielens waren
insgesamt keine Verbesserungen festzustellen. Er kommt zu dem Schluss, dass scheinbare
Vorteile gleichzeitig auch Nachteile mit sich bringen.
Zusammenfassung und Schlussfolgerung
Die vorliegenden Daten hinsichtlich eines objektiv messbaren Effekts durch natürliches
Einspielen sind uneinheitlich. Eine Untersuchung fand kaum Auswirkungen auf die
Frequenzkurve [20], eine andere hingegen schon, wobei sich allerdings auch Veränderungen
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bei einem sehr wenig gespielten Instrument zeigten [19]. Eine subjektiv empfundene
Klangverbesserung zeigte sich unter kontrollierten Bedingungen nicht [20]. Selbst eine bloße
Unterscheidbarkeit von viel gegenüber wenig gespielten Instrumenten konnte nicht
nachgewiesen werden [16, 17, 18, 20]. Auch ohne Nachweis scheint es zwar zunächst
plausibel, dass Instrumente sich zeit- oder spielabhängig klanglich verändern, aber warum
sollte dies immer positiv sein?
Künstliches "Einspielen" durch Vibrationsbehandlung kann objektiv messbare Auswirkungen
haben, die jedoch nicht in jedem Fall nachgewiesen wurden [9]. Eine mögliche Erklärung
hierfür könnte das unterschiedliche Energieniveau sein, das je nach Methode dem Instrument
zugeführt wird. Für das hoch energetische Verfahren der Vibrationsentdämpfung nach von
Reumont liegen bisher in erster Linie objektiv gemessene Auswirkungen vor [22, 24, 25].
Subjektive Bewertungen hierfür wurden bisher nur informell gemacht [27] oder existieren
lediglich in Form von anekdotischen Einzelfallschilderungen von zufriedenen Kunden
kommerzieller Anbieter dieses Verfahrens. Auch wenn diese zahlreich vorgebracht wurden,
bleiben sie jedoch genau das: anekdotische Einzelfallschilderungen. Solche
Kundenmeinungen könnten theoretisch auch psychologisch erklärt werden. Ein Nachweis
durch kontrollgruppenbasierte Testungen unter Doppelblind-Bedingungen wurde bisher noch
nicht erbracht. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Verfahren keine hörbaren Veränderungen
bewirkt. Ein klarer Beleg dafür steht allerdings noch aus, ebenso für die Frage, ob die
Veränderungen überwiegend als positiv empfunden werden.
Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift Europiano:
Weldert, G. (2017): Klanverbesserung von Musikinstrumenten durch Einspielen: Fakt oder
Fiktion? Europiano 3/2017, 37-40.
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