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Wenn pflegende Angehörige weiter entfernt leben – Technik eröffnet Chancen für Distance Caregiving, ist aber nicht schon die Lösung

Authors:
  • age-research.net
  • Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg

Abstract and Figures

Zusammenfassung. Aufgrund von demografischen Prozessen, Wertewandel und veränderten Fami-lienstrukturen leben An- und Zugehörige oft räumlich (auch weit) entfernt. Dennoch wird von ihnen häufig erhebliche Unterstützung für zuhause lebende Pflegebedürftige geleistet. Dieses Phänomen des Distance Caregiving ist gesellschaftlich und wissenschaftlich noch wenig thematisiert. Es bezieht sich auf eine große Bandbreite an Unterstützung. Es steht für neuere Typen informeller Unterstützung jenseits der bisher vor-rangigen Figur der hochinvolvierten " Hauptpflegeperson vor Ort ". Das Unterstützungsarrangement berührt wesentlich die Vereinbarkeit von informeller Pflege-und Erwerbstätigkeit, kann durch assistive Technik stark gestützt werden, verlangt aber auch von den Vor-Ort-Fachkräften systematisches Umdenken in Rich-tung Koproduktion in gemischten Sorgesettings.
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Wenn pflegende Angehörige weiter entfernt leben Technik
eröffnet Chancen für Distance Caregiving, ist aber nicht
schon die Lösung
Ulrich Ottoa, Iren Bischofbergera, Anna Hegedüsa, Birgit Kramerb, Karin van Holtena,
Annette Frankeb
a Careum Forschung, Kalaidos Fachhochschule Gesundheit, Zürich
b Evangelische Hochschule Ludwigsburg
Zusammenfassung. Aufgrund von demografischen Prozessen, Wertewandel und veränderten Fami-
lienstrukturen leben An- und Zugehörige oft räumlich (auch weit) entfernt. Dennoch wird von ihnen häufig
erhebliche Unterstützung für zuhause lebende Pflegebedürftige geleistet. Dieses Phänomen des Distance
Caregiving ist gesellschaftlich und wissenschaftlich noch wenig thematisiert. Es bezieht sich auf eine große
Bandbreite an Unterstützung. Es steht für neuere Typen informeller Unterstützung jenseits der bisher vor-
rangigen Figur der hochinvolvierten „Hauptpflegeperson vor Ort“. Das Unterstützungsarrangement berührt
wesentlich die Vereinbarkeit von informeller Pflege- und Erwerbstätigkeit, kann durch assistive Technik
stark gestützt werden, verlangt aber auch von den Vor-Ort-Fachkräften systematisches Umdenken in Rich-
tung Koproduktion in gemischten Sorgesettings.
1 Einleitung
Angehörige12 sind seit jeher maßgebliche Akteure in der häuslichen, aber auch stationären
Gesundheitsversorgung. Aber Angehörige vor Ort, die sich verbindlich um die Pflege und
Hilfe kümmern können, werden im Kontext von Demografie, Wertewandel und verän-
derten Familienstrukturen immer mehr zur knappen Ressource. Vor diesem Hintergrund
sucht die Gesellschaft nach sämtlichen Formen, in denen Menschen bereit sind, private und
zumeist unbezahlte informelle Beiträge zur Sorge- und Pflegearbeit zu leisten auch jen-
seits der bisher vorrangigen Figur der hochinvolvierten „Hauptpflegeperson vor Ort“. Hier
kommen – von der Gesellschaft und den Unternehmen noch weithin unbeachtet – die Bed-
ingungen in den Blick, die u.a. zu Distance Caregiving führen:
Wenn Pflegebedürftige überhaupt nächste Angehörige haben, leben diese immer häufi-
ger weit entfernt, v.a. Kinder (vgl. Engstler & Huxhold, 2010; MAGS 2013; Steffen,
Klein, Abele & Otto, 2015).
Erwerbstätigkeit und räumliche Distanzen erschweren familiäre Pflegeaufgaben – eine
neue Herausforderung für die Gesellschaft, die Angehörigen und deren Arbeitgeber13.
12!Im!vorliegenden!Text!werden!„Angehörige“!nicht!nur!im!verwandtschaftlichen!Sinne!verstanden,!sondern!als!jene!Personen,!
die!von!kranken,!behinderten!oder!älteren!und!hochaltrigen!Personen!als!Nahestehende!wahrgenommen!oder!bezeichnet!
werden.!Dafür!steht!auch!der!Begriff!An-!und!Zugehörige.!„Pflegende!Angehörige“!wird!als!Kurzform!für!begleitende,!be-
treuende!und!pflegende!Angehörige!verwandt.!
13!! Der!vorliegende!Text!bezieht!sich!auf!das!am!uDay!an!der!Fachhochschule!Vorarlberg!in!Dornbirn!(Österreich)!am!
22.06.2017!gezeigte!Poster.!Er!modifiziert!und!erweitert!dessen!Argumentationen!aber!grundlegend.!
Technik für Distance CaregivingOtto et al.
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Zeitliche und räumliche Bedingungen sind sehr wichtige Faktoren: „We do know, that kin
contacts are affected by time constraints and geographic distance, which, in turn, may re-
sult in restrictions in the types and levels of informal care provided“ (Neal, Wagner, Bonn
& Niles-Yokum, 2008, p. 109). Das bedeutet aber nicht, dass Unterstützung und Pflege nur
oder vorrangig von nahelebenden An- und Zugehörigen geleistet wird. Eine große und
größer werdende Zahl unterstützt durchaus erheblich auch aus räumlicher Distanz.
2 Doppelte gesellschaftliche Herausforderung: Versorgung und Ver-
einbarkeit
Solches Distance Caregiving wirft Gestaltungsfragen mit Blick auf zwei große Pole auf. Es!
bezieht!sich!einerseits!auf!die!Versorgungsfrage“!–!also!auf!das!Bündel!von!Aspekten!
bezüglich! der! Betreuungs-! und! Begleitungssituation! rund! um! die! pflegebedürftige!
Person:! Wie! lassen! sich! Distance! Caregiving-Beiträge! im! Rahmen! von! Vor-Ort-
Sorgegemeinschaften! systematisch! einbeziehen?! Welche! Auswirkungen! hat! dies!
beispielsweise! auf! die! Beziehungen! zwischen! allen! Beteiligten! insbesondere! im!
Pflegetriangel! (Carers! Trust,! 2016),! d.h.! zwischen! Unterstützten,! den! An-! und!
Zugehörigen!und!den! involvierten! Fachkräften?!Wesentliche! Ziele! bestehen!hier!da-
rin,!vielfältigste! Sorge-! und!Pflegebeiträge! auch! aus!der! Distanz! sichtbar!zu! machen!
und!zu!ermöglichen.!Gleichzeitig!sollen!Gestaltungs-!und!Rahmungsbemühungen!hin-
sichtlich! Distance! Caregiving! sowohl! zu! einer! guten! Unterstützungs-! und! Ver-
sorgungsqualität!im!gesamten!Unterstützungsprozess!beitragen,!aber!auch!möglichst!
zum!Kriterium!der!Lebensqualität!der!Beteiligten.
Zugleich soll die o.g. Vereinbarkeit mit Blick auf das berufliche Umfeld gestärkt wer-
den, um beide Herausforderungen nachhaltig und mit Zufriedenheit zu meistern – so-
wohl aus Perspektive der Beschäftigten als auch der Arbeitgeber (vgl. Bischofberger,
Otto & Franke, 2015; Bischofberger, Franke, Otto & Schnepp, 2017). Das Ziel ist: Mit
besserer Vereinbarkeit von „Erwerbstätigkeit und Pflege auf
Distanz“ soll die Beschäftigungsfähigkeit und Produktivität
der pflegenden und betreuenden Angehörigen möglichst
nachhaltig gestärkt werden. Es handelt sich hier also um ei-
nen Spezialfall des seit einigen Jahren immer stärker gesell-
schaftlich wahrgenommenen allgemeinen Themas der Ver-
einbarkeit von Erwerbstätigkeit mit Familien- und Sorgeauf-
gaben im Lebenslauf, insbesondere im „later life caring“.
Einige Herausforderungen sind im Distanzsetting nicht an-
ders als bei räumlich nahegelegenen Unterstützungsverhält-
nissen. Eine Reihe differenzierter Fragen stellen sich aber
dennoch: „Later life caring presents particular life course challenges in managing fami-
liy and employment work roles. For example, whereas the main carers of young chil-
dren usually are parents who live with them, carers of an older person may be adult
children who have responsibilities to family members in their own households as well
as to elderly family members living at a distance. For the latter group, their caring chal-
lenges may include travel time and running two households in addition to the other de-
mands of care“ (Keating, Dosman, Swindle & Fast, 2008, p. 166).
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Eine Vorbemerkung: Im vorliegenden Aufsatz wird zwar vorrangig auf das Setting des
Gesundheitsstandorts Privathaushalt abgehoben. Aber auch bei An- und Zugehörigen, die
in Einrichtungen der stationären Langzeitversorgung leben, stellt sich sehr häufig das
Thema der Unterstützung und Pflege auf Distanz.
3 Unterstützungsmöglichkeiten auf Distanz
Die meist unter dem Begriff „Pflege“ verstandenen Handreichungen oder körpernahen
Verrichtungen können „Distance Caregivers“ nicht im sonst üblichen Umfang leisten.
Aber gerade im Kontext eines erweiterten Begriffs von Begleitung, Betreuung und Pflege
geht es ja um ein viel größeres Bündel an Aktivitäten. Sie werden im vorliegenden Artikel
zum größten Teil im theoretischen Bezugsrahmen von Social Support / sozialer Unterstüt-
zung in sozialen Netzwerken verortet (vgl. Otto, 2011). Damit gelingt es, sowohl die Ebe-
ne der Aktivitäten in den Blick zu nehmen, als auch die Ebenen der Leistungen, Wirkungen
und Funktionen.
Hier ist eine zweite Vorbemerkung nötig: Distance Caregivers sind zu einem großen Teil
zeitweise auch vor Ort Unterstützende – teils unregelmäßig, teils in regelrechten Pen-
delverhältnissen. Gemäß der vorliegenden Literatur übernehmen auf Distanz Unter-
stützende also häufig auch klassische Pflegeaufgaben,14 nur eben nicht so regelmäßig und
ggf. nicht so umfangreich wie die vor Ort Lebenden (wobei auch „vor-Ort“ in größeren
Städten durchaus Distanzdimensionen umfasst). Die folgenden Bemerkungen beziehen
sich insofern bei ihnen auf den Teil der Unterstützungsleistungen, die sie im Modus Dis-
tance Caregiving beitragen (vgl. Tabelle 1).
Von den sehr vielfältigen Unterstützungsformen können viele sowohl vor Ort als auch
auf Distanz geleistet werden, (vgl. Bledsoe, Moore & Collins, 2010; Kodwo-Nyamea-
zea & Nguyen, 2008; Bevan & Sparks, 2011; Bischofberger, Franke, Otto & Schnepp,
2017).
Es sind nicht nur die „weichen“ Formen des Kommunizierens und der persönlichen
Zuwendung sondern auch ganz „handfeste“ Formen der Unterstützung – im theoreti-
schen Kontext der Unterstützungstheorie also Formen der informatorischen und tangib-
len Unterstützungen.
In dem Maße, in dem aufgrund der Entfernung eine Unterstützung weniger in Form
personeller Aufgaben vor Ort nötig ist, gewinnen vor allem auch koordinative, organi-
satorische und administrative Aufgaben an Gewicht (Bledsoe u.a. 2010; Kodwo-Nya-
meazea & Nguyen 2008). Dabei geht es bspw. um Absprachen für Sach- und Finanz-
mittel, aber auch um das Anstellen und Begleiten zusätzlicher Mitarbeitender im Pri-
vathaushalt.
Viele der auf Distanz möglichen Unterstützungsformen sind abhängig von den techni-
schen Möglichkeiten der involvierten Akteure.
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
14!! Hierzu!liegen!bspw.!amerikanische!Befunde!vor:!Die!US-Studie!des!MetLife-Instituts!(MetLife!&!NAC!2004)!zeigt,!bei!einer!
Erwerbsquote!von!80%!unter!den!Pflegenden,!dass!72%!der!„Distance!Caregivers“!die!pflegebedürftige!Person!bei!instrumen-
tellen!Hilfen!unterstützen!und!sogar!40%!auch!„hands-on!care“!Hilfen!leisten.!
Technik für Distance CaregivingOtto et al.
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Natürlich: im Distance Caregiving sind diejenigen Aktivitäten ausgeschlossen, die in
der Tat das Merkmal der face-to-face-Anwesenheit bzw. der hands-on-Aktivität bedeu-
ten.
Vor diesem Hintergrund zählen zu den auf Distanz möglichen Dimensionen die folgenden.
Sie werden von uns in die beiden hauptsächlichen Bündel der Zuwendung und persönli-
chen (Be-) Stärkung einerseits, des Managements und der tangiblen Hilfen andererseits ge-
clustert:
§Emotionale Unterstützung
§Entscheidungssupport
§Selbstmanagement- und Motivationshilfe
§Informationsaufbereitung
§Finanzielle Unterstützung
§Patientenzentrierung stützen
§Fallmanagement
§Koordination, Organisation, Administration
§Kontrolle und Sicherheit
§Beiträge zur Qualitätssicherung des Gesamtsettings
Abbildung 1. Auf Distanz mögliche Unterstützungsformen und -funtionen
4 Hilfsmittel, um trotz Distanz zu unterstützen
Wo physische Anwesenheit fehlt und auch ein schnelles Aufsuchen nicht möglich ist, er-
lauben heute viele Hilfsmittel aus Ambient Assisted Living (AAL) und IT dennoch wir-
kungsvolles Unterstützen aus der Distanz (vgl. BMG, 2013; Otto, Tarnutzer & Bretten-
hofer, 2015). Mit der folgenden Einordnung der mittlerweile großen Zahl entwickelter
Technologien und Anwendungen wird auf die beiden weiter oben und in Abb. 1 unter-
schiedenen Funktionen Bezug genommen.
Einsatzbereiche
Kognitive Unterstützung
Kommunikationshilfen
Überwachung Vitalwerte und
Aktivitäten, Notfallerkennung
Informationsübermittlung,
Koordination
Abbildung 2. Technische Hilfsmittel für Distance Caregiving
Schon in dieser Darstellung weniger ausgewählter Hilfsmittel und Anwendungen wird
deutlich, dass heute durch die Vielzahl vorhandener Technologien gerade den Herausfor-
derungen des Nicht-Vor-Ort-Seins potenziell viel besser begegnet werden kann – mit Blick
auf alle Bereiche der linken Spalte. Allerdings gilt auch hier wie im gesamten AAL-
Thema dass die Anwendungen für viele potenzielle primäre und sekundäre End-User-
Innen kaum überschaubar sind, dass sie nicht optimal „zu ihnen kommen“, und dass sie im
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Fall der Nutzung nicht optimal unterstützt werden. Damit können die technischen Möglich-
keiten ihr Potenzial nicht annähernd im eigentlich heute möglichen Umfang entfalten. Dass
es für Unterstützende, die nicht vor Ort bei den Pflegebedürftigen leben, nochmals schwie-
riger ist, hier sinnvolle Beratung zu bekommen und Partner für Lieferung, Einbau, Anlei-
tung, Wartung zu finden, macht die Herausforderungen noch größer. Ausgerechnet für
Distance Caregivers, die in so besonders hohem Maße Nutznießer und Anwender vieler
der Technologien sein könnten.
Es wird außerdem deutlich, dass damit vermutlich keineswegs nur das Kriterium erledigter
Aufgaben tangiert wird, sondern dass auch wichtige Dimensionen der Lebensqualität damit
in Zusammenhang stehen, so wie dies im Rahmen der Forschungen zu AAL- Anwendun-
gen immer wieder thematisiert wird (vgl. Siegel, Hochgatterer & Dorner, 2014).
5 Spezifische Herausforderungen der Pflege auf Distanz
Schon die Betreuung und Pflege vor Ort ist vielfach sehr herausfordernd und komplex. Die
entfernt lebenden Angehörigen jedoch sehen sich zusätzlichen Barrieren gegenüber (vgl.
Bevan & Sparks, 2011; Bischofberger, 2011) – während möglicherweise in einigen Di-
mensionen auch geringere Herausforderungen bestehen. Gerade die Gestaltung der Bezie-
hung zur pflegebedürftigen Person sowie der Umgang mit Kooperationspartnern, sozialen
und pflegerischen Diensten und Einschätzungsfragen des Vor-Ort-Situation sind vor allem
durch die fehlende face-to-face-Kommunikation sowie das Nicht-nah-dran-und-nicht-da-
Sein zusätzlich herausgefordert. Die Sachthemen rund um die auf Distanz nochmals zu-
sätzlich herausgeforderte Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Pflege kommen hinzu:
§ Wie eine gute Beziehung gewinnen und/oder aufrechterhalten?
§ Etwaige Konflikte bewältigen
§ Welche Arten der Kommunikation sind möglich/sinnvoll
§ Wie möglichst hohe Selbstbestimmung flankieren
§ Erwerbsarbeit und Distanz-Pflege vereinbaren
§ Den Unterstützungs- und Pflegebedarf auf Distanz einschätzen
§ Informationen zu Therapien/Behandlungen/Hilfen beschaffen
(auch: entspr. Informationen zu assistiven Techniken beschaffen)
§ Die Distanz bzgl. Reisen, Zeitaufwand, Kosten bewältigen
§ Ein verbindliches «koproduktives» Arbeitsbündnis
mit den involvierten Profis finden
§ Für sich selbst Entlastung und für die Pflege Unterstützung
finden und beanspruchen
§ Eigene Unterstützungsintensität nachhaltig steuern und absichern
Abbildung 3. Herausforderungen für Unterstützung aus Distanz
Auch wenn die Forschungsliteratur zum Thema Distance Caregiving noch sehr lückenhaft
ist, ist von folgendem Zusammenhang auszugehen: Werden die o.g. Herausforderungen
nicht gut gemeistert, führt das zu negativen Folgen – sowohl auf Seiten der potenziell Un-
terstützungsleistenden sowie deren Arbeitgebern, der Pflegebedürftigen sowie ggf. auch
auf Seiten der weiteren Unterstützungspersonen rund um die pflegebedürftige Person.
Technik für Distance CaregivingOtto et al.
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Konkret können dies insbesondere mehr Stress, Erschöpfung oder emotionale Belastun-
gen bei den Betroffenen bedeuten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich teilweise
um jahrelang aufrechterhaltende Unterstützungssettings handelt (Wagner, 1997, p. 16f.).
Im Kontext der Erwerbstätigkeit kann es Krankheits- und Abwesenheitstage sowie eine
verringerte Produktivität im Job bedeuten (vgl. Chou & Yeung, 2001), was sich sowohl
für die Arbeitgeber wie auch für die Erwerbstätigen ungüns-
tig auswirkt.
Außerdem kommt es sehr wahrscheinlich zu einer subopti-
malen Mobilisierung des Distanz-Unterstützungspotenzials.
Schließlich werden dann mit großer Sicherheit auch die po-
sitiven Seiten des auf Distanz Unterstützens zu wenig zum
Tragen kommen. Denn gemäß einigen der insgesamt nur
wenigen existierenden Studien ist distance caregiving ja
„both painful and rewarding“ (Harrigan & Koerin, 2007, p.
13).
6 Schlussbemerkungen: im Distance Caregiving zeigen sich wichtige
Modernisierungsherausforderungen der Angehörigenpflege
Hergebrachte Formen der Angehörigenpflege befinden sich bereits seit einiger Zeit in ei-
nem tiefgreifenden Wandlungsprozess. Gerade die Phänomene des „Distance Caregiving“
scheinen wie in einem Brennglas den Blick für moderne Unterstützungsformen im familia-
len Umfeld zu schärfen – sowohl hinsichtlich schon im Gang befindlicher Veränderungs-
prozesse wie auch hinsichtlich nötiger Umorientierungen. Und damit zusammenhängender
struktureller, technologischer und interventionsbezogener Herausforderungen.
Sie machen klar, dass Angehörige viel mehr leisten als Handreichungen bei Funktions-
einschränkungen.
Sie machen klar, wie vielgestaltig die „Vereinbarkeitsfrage“ von Familien- und Sorge-
arbeit mit Erwerbsarbeit ist. Und wie differenziert sie analysiert werden muss, um zu
entsprechend differenzierten Maßnahmen zu kommen. Dies betrifft Mitarbeitende und
Arbeitgeber gleichermaßen.
„Distance Caregiving“ führt nicht zufällig zu einem Bezug auf aktuelle „Zielgruppen“:
Von Männern in Pflegearrangements (vgl. Hammer, 2012), über die „Babyboomer“
(vgl. Steffen, Klein, Abele & Otto, 2015), Menschen mit erwerbsmobilen Lebensver-
läufen sowie die immer größer werdende Gruppe von Menschen mit verstärkten An-
sprüche auf gemischte Pflegesettings (vgl. BMFSFJ, 2017, S. 31).
Distance Caregivers könnten zu Trendsettern werden beim Einsatz assistiver Techno-
logien. Aber dazu brauchen sie kompetente Ansprechpartner bei den Professionellen
und innerhalb ihrer sozialen Netze. Sie brauchen auch Partner für die komplexe Im-
plementation, den menschlichen „Einbau“ in die Vor-Ort-Situation – wenn Angehörige
dies aufgrund der Distanz nicht oder nicht ausreichend unterstützen können.
In besonderem Maße wird auch das Thema der koproduktiven Zusammenarbeit mit
Vor-Ort-Unterstützenden berührt – seien dies andere An- und Zugehörige, freiwillige
Helferinnen und Helfer oder berufliche Fachkräfte. Wenn die konsequente Idee eines
Teams der Unterstützenden – interprofessionell und informell-beruflich-kombiniert –
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schon heute noch kaum selbstverständlich ist, so ist die selbstverständliche Einbezie-
hung von Distance Caregivers in dieses Team noch ein weiter Weg.
Besonders berührt dies die Zusammenarbeit mit beruflichen Gesundheitsfachpersonen.
Ist es schon für im Pflegehaushalt präsente Angehörige noch immer teilweise gar nicht
einfach, als selbstverständlich Involvierte wahrgenommen zu werden, so potenziert
sich diese Schwierigkeit bei Unterstützung aus räumlicher Distanz. Hier scheinen die
Distance Caregivers in besonderem Maße auf eine entsprechend responsive Haltung
der Fachkräfte (sowie der anderen Vor-Ort-Involvierten) angewiesen zu sein. Und auf
die Mobilisierung und Akzeptanz sämtlicher technischer Ressourcen durch alle Betei-
ligten.
Und ein Sonderthema sind sicher auch hier „Double Duty Caregivers“ (Bischofberger,
Jähnke & Radvanzsky, 2012; vgl. auch Ward-Griffin, 2008)15, d.h. Gesundheitsfach-
personen, die sich neben dem Beruf auch für ihre Angehörigen engagieren
Und schließlich ein regelrechtes Zentralthema: Durch Distance Caregiving kommt der
erhebliche Entwicklungsbedarf beim Thema Fallführung, Koordination und Case Ma-
nagement zum Vorschein. Dies ist umso wichtiger, je komplexer die Pflegesituation ist.
Aus der Ferne können Defizite in diesem zentralen Bereich umso weniger ausgeglichen
werden.
Die sorgfältige Thematisierung eines Phänomens wie Distance Caregiving kann so exemp-
larisch dafür stehen, wie der Blick auf betreuende und pflegende An- und Zughörige genau
auf die so vielfältigen Wirklichkeiten und Bedürfnisse gerichtet wird. Und wie er dazu
beiträgt, diesen Bedürfnissen und Bereitschaften möglichst geeignete und einladende
Rahmenbedingungen zu bieten – auf dem Weg zu nachhaltigen Sorgemeinschaften.
Das! folgend! dargestellte!binationale,! interdisziplinäre! F+E-Projekt! „DiCa! –! Distance!
Caregiving“! (Deutschland! –! Schweiz;! 2016-2019)soll! einen! Beitrag! dazu! leisten: Die
gesellschaftliche Relevanz von Pflege und Hilfe auf Distanz steigt. Dennoch wird das
Thema wissenschaftlich, sozialpolitisch und betrieblich noch sehr schwach thematisiert.
Dies ist international ebenso wie in Deutschland und der Schweiz. Es mangelt sowohl an
gesichertem Forschungswissen (vgl. Cagle & Munn, 2012) als auch an systematisch kon-
zipierten Förderstrategien oder auch Einzelinterventionen. An beiden Desideraten setzt das
DiCa-F+E-Projekt an.
F+E-Ziele
Exploration der Herausforderungen und Strategien von „Distance Caregiv-
ers“ aus der Perspektive der (berufstätigen) Angehörigen, der Arbeitgeber,
der Gesundheitseinrichtungen und weiterer sozialpolitischer Akteure
Entwicklung, Umsetzung und Evaluation von innovativen und in-
tersektoralen Lösungsansätzen zusammen mit Praxispartnern
Design
Multimethodisches Konzept mit Fokus auf Partizipation, Übertragbarkeit und
Nachhaltigkeit. Quantitative Sekundäranalysen, Experteninterviews, prob-
lemzentrierte Einzelinterviews; enge Verschränkung von Forschung und
Entwicklung sowie Transfer
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
15 Vgl. auch den Blogbeitrag im Careum-Blog: http://www.careum.ch/workandcare/double-duty-caregiving
Technik für Distance CaregivingOtto et al.
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Praxispartner
Daimler AG, Wüstenrot und Württembergische AG, SAP Walldorf, Evange-
lische Diakonissenanstalt Stuttgart, BruderhausDiakonie Reutlingen, Statis-
tisches Landesamt Baden-Württemberg
Forschung-
spartner
Evangelische Hochschule Ludwigsburg, FB Soziale Arbeit (D):
Prof. Dr. Annette Franke, Dr. Birgit Kramer, Helena Kunz
Careum Forschung, Forschungsinstitut der Kalaidos FH Gesundheit Zürich
(CH): Prof. Dr. Ulrich Otto, Karin van Holten, Prof. Dr. Iren Bischofberger
Laufzeit
36 Monate, 2016-2019
Förderlinie
„Soziale Innovationen für Lebensqualität im Alter“ (SILQUA-FH; BMBF (D)
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... Vor allem beim Überbrücken von räumlicher Distanz zwischen Familienmitgliedern mittels diverser Kommunikationstechnologien ist also der Einsatz von Technik zwar immer ein zentraler Aspekt (Engler, 2020;Bischofberger et al., 2017;Otto et al., 2017). Aber erst in der Verknüpfung mit Netzwerken im Sinne des Pflegemix kann ein tragfähiges Pflegesetting entstehen. ...
Chapter
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Zusammenfassung Seit Frühjahr 2020 hält das Coronavirus Japan und seine alternde Gesellschaft fest im Griff. Das Besondere an der Corona-Pandemie ist, dass sie innerhalb kürzester Zeit die gesamte Welt erfasste und sich global zeitgleich ausbreitete.
... Vor allem beim Überbrücken von räumlicher Distanz zwischen Familienmitgliedern mittels diverser Kommunikationstechnologien ist also der Einsatz von Technik zwar immer ein zentraler Aspekt (Engler, 2020;Bischofberger et al., 2017;Otto et al., 2017). Aber erst in der Verknüpfung mit Netzwerken im Sinne des Pflegemix kann ein tragfähiges Pflegesetting entstehen. ...
Chapter
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Zusammenfassung Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den Herausforderungen und Maßnahmen zur Arbeitskräftesicherung im Bereich der professionellen Pflege in Japan. Dabei wird auch auf die Beteiligung älterer Menschen – den potentiellen Pflegekräften der Zukunft – sowie auf die politische Diskussion rund um den Einsatz ausländischer Arbeitnehmer:innen in der Pflege eingegangen.
... Vor allem beim Überbrücken von räumlicher Distanz zwischen Familienmitgliedern mittels diverser Kommunikationstechnologien ist also der Einsatz von Technik zwar immer ein zentraler Aspekt (Engler, 2020;Bischofberger et al., 2017;Otto et al., 2017). Aber erst in der Verknüpfung mit Netzwerken im Sinne des Pflegemix kann ein tragfähiges Pflegesetting entstehen. ...
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Zusammenfassung In diesem Kapitel analysieren Experten aus Deutschland und Japan die Möglichkeiten des Einsatzes digitaler Technologien bei der Bewältigung des demographischen Wandels. In ihrem Beitrag „Partizipative Technologieentwicklung – Nutzerorientierte Innovationen“ weist Claudia Müller darauf hin, dass es bei Forschungsprojekten unter Beteiligung von Senior:innen zwei zentrale praktisch-methodische Herausforderungen gibt: zum einen die Rekrutierung eines weiteren Personenkreises und zum anderen die räumliche Eingrenzung des Untersuchungsgebietes vor allem im Hinblick auf das Quartierkonzept. Im Projekt Cognitive Village beteiligen sich unterschiedliche Akteure – zwei Dorfverwaltungen, eine Kirchengemeinde, der ansässige Hausarzt, ein Dorfladen und zahlreiche Ehrenamtlichen – an der Entwicklung von Sensortechnologien.
... Vor allem beim Überbrücken von räumlicher Distanz zwischen Familienmitgliedern mittels diverser Kommunikationstechnologien ist also der Einsatz von Technik zwar immer ein zentraler Aspekt (Engler, 2020;Bischofberger et al., 2017;Otto et al., 2017). Aber erst in der Verknüpfung mit Netzwerken im Sinne des Pflegemix kann ein tragfähiges Pflegesetting entstehen. ...
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Zusammenfassung In Japan ist die staatliche Unterstützung älterer Menschen bei Pflegebedürftigkeit durch die gesetzliche Pflegeversicherung (GPV) geregelt. Für die operative Umsetzung der GPV sind die kommunalen Gebietskörperschaften, also die Städte und Gemeinden, zuständig, wobei die Leistungen selbst aber nicht von den Kommunen, sondern von zertifizierten Pflegedienstleistern erbracht werden. Der vorliegende Beitrag beleuchtet die Geschichte der Altenhilfe in Japan, die Ausgestaltung der GPV sowie aktuelle Herausforderungen.
... Vor allem beim Überbrücken von räumlicher Distanz zwischen Familienmitgliedern mittels diverser Kommunikationstechnologien ist also der Einsatz von Technik zwar immer ein zentraler Aspekt (Engler, 2020;Bischofberger et al., 2017;Otto et al., 2017). Aber erst in der Verknüpfung mit Netzwerken im Sinne des Pflegemix kann ein tragfähiges Pflegesetting entstehen. ...
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Zusammenfassung Um eine Vision für die alternde Gesellschaft des 21. Jahrhunderts entwickeln zu können, braucht es zunächst eine Prognose über die Veränderungen der beiden wohl wichtigsten Faktoren in den kommenden 20 Jahren, nämlich „Altersstruktur der Bevölkerung“ und „Technologische Innovation“. Die Corona-Pandemie hat seit ihrem Ausbruch im November 2019 in Wuhan den Wandel in beiden Bereichen zusätzlich beschleunigt. Für viele Menschen wurden die Veränderungen damit deutlicher wahrnehmbar. In diesem Beitrag soll basierend Prognosen zur weiteren Entwicklung von Alterung und technischem Fortschritt über die Zukunft von Medizin und Pflege nachgedacht werden. Dabei wird der Einfluss der Corona-Pandemie mit berücksichtigt.
... Vor allem beim Überbrücken von räumlicher Distanz zwischen Familienmitgliedern mittels diverser Kommunikationstechnologien ist also der Einsatz von Technik zwar immer ein zentraler Aspekt (Engler, 2020;Bischofberger et al., 2017;Otto et al., 2017). Aber erst in der Verknüpfung mit Netzwerken im Sinne des Pflegemix kann ein tragfähiges Pflegesetting entstehen. ...
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Zusammenfassung Das Thema „Zivilgesellschaftliches Engagement und Inklusion“ dieser Sektion aufgreifend soll an dieser Stelle ein neues Konzept für eine alternde Gesellschaft – nämlich das einer „Platinum Society“ – vorgestellt werden. Die „Platinum Society“ steht für eine nachhaltige Entwicklung einer Gesellschaft, die durch Alterung nicht an „Glanz“ verliert. Sie ist für alle gesellschaftlichen Gruppen – Zivilgesellschaft, öffentliche Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft – gewinnbringend. Sie beschreibt ein „Rundum-Win–Win-Modell“.
... Vor allem beim Überbrücken von räumlicher Distanz zwischen Familienmitgliedern mittels diverser Kommunikationstechnologien ist also der Einsatz von Technik zwar immer ein zentraler Aspekt (Engler, 2020;Bischofberger et al., 2017;Otto et al., 2017). Aber erst in der Verknüpfung mit Netzwerken im Sinne des Pflegemix kann ein tragfähiges Pflegesetting entstehen. ...
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Zusammenfassung Der demografische Wandel ist ein globaler Trend, der neben dem Klimawandel und der digitalen Transformation die Entwicklung unserer Gesellschaften auf lange Sicht prägen wird. Die ihn treibenden Faktoren, nämlich eine steigende Lebenswartung und eine deutlich unter dem Reproduktionswert liegende Fertilitätsrate, sind grundsätzlich positiv zu bewerten, da ein längeres Leben ebenso wünschenswert ist wie die friedliche Lösung des globalen Problems der Überbevölkerung. Dennoch, und hier liegt das Problem, stellt die demografische Entwicklung für unsere Gesellschaften eine große Herausforderung dar, da sie eine Vielzahl neuer sozialer Problemlagen aufwirft und erhebliche Anpassungen in quasi allen Lebensbereichen erfordert.
... Vor allem beim Überbrücken von räumlicher Distanz zwischen Familienmitgliedern mittels diverser Kommunikationstechnologien ist also der Einsatz von Technik zwar immer ein zentraler Aspekt (Engler, 2020;Bischofberger et al., 2017;Otto et al., 2017). Aber erst in der Verknüpfung mit Netzwerken im Sinne des Pflegemix kann ein tragfähiges Pflegesetting entstehen. ...
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Zusammenfassung In der „Behandlungsrichtlinie Demenz 2017“ der Japanischen Gesellschaft für Neurologie ( Japan Society of Neurology ) werden die Diagnosekriterien für Demenz (DSM-5) wie folgt definiert: „In einer oder mehreren kognitiven Domänen (komplexe Aufmerksamkeit, exekutive Funktionen, Lernen und Gedächtnis, Sprache, perzeptuell-motorische Fähigkeiten, soziale Kognition) tritt im Vergleich zu einem früheren Leistungsniveau ein signifikanter Abfall der kognitiven Fähigkeiten auf, kognitive Defizite beeinträchtigen die Selbständigkeit bei den täglichen Aktivitäten und die Betroffenen benötigen Unterstützung bei komplexen instrumentellen Alltagsaktivitäten (IADL)“. In Japan stößt die Betreuung von Menschen mit Demenz allmählich an ihre Grenzen. Hauptsächlich ist dies auf den Personalmangel im Pflegebereich und einen Mangel an Betreuungseinrichtungen zurückzuführen.
... Vor allem beim Überbrücken von räumlicher Distanz zwischen Familienmitgliedern mittels diverser Kommunikationstechnologien ist also der Einsatz von Technik zwar immer ein zentraler Aspekt (Engler, 2020;Bischofberger et al., 2017;Otto et al., 2017). Aber erst in der Verknüpfung mit Netzwerken im Sinne des Pflegemix kann ein tragfähiges Pflegesetting entstehen. ...
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Zusammenfassung Unter dem Begriff der Kommune werden in Deutschland die Gemeinden und die Landkreise verstanden. Mehrere Kommunen bilden einen Landkreis. Auch Städte können Gemeinden sein.
... Vor allem beim Überbrücken von räumlicher Distanz zwischen Familienmitgliedern mittels diverser Kommunikationstechnologien ist also der Einsatz von Technik zwar immer ein zentraler Aspekt (Engler, 2020;Bischofberger et al., 2017;Otto et al., 2017). Aber erst in der Verknüpfung mit Netzwerken im Sinne des Pflegemix kann ein tragfähiges Pflegesetting entstehen. ...
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Zusammenfassung Dieser Beitrag fokussiert die häusliche Pflege in Deutschland. Diese wiederum ist auf das Engste eingebunden in unterschiedliche soziale Kontexte vor Ort. Der Blick auf die kommunale Ebene erlaubt dabei eine genauere und ganzheitlichere Betrachtung der damit verbundenen vielfältigen privaten, zivilgesellschaftlichen, wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen Zusammenhänge. Dem entspricht fachwissenschaftlich ein Verständnis von Pflegebedürftigkeit als mehr als nur die begriffliche Fassung einer gesundheitlichen Versorgungssituation, sondern als eine einzelfallbezogene, komplexe und multidimensionale Behandlungs-, Pflege- und Unterstützungslage, wie sie auch die große Reform des Pflegebedürftigkeitskonzepts durch das Pflegestärkungsgesetz I (2015) adressiert.
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Der Nutzen von Telemedizinanwendungen für Ältere ist daran zu messen, inwieweit sie erhöhte Potenziale für eine selbstständige Lebensführung bei guter Lebensqualität ermöglichen können. Idealerweise ist dieser Nutzen am „Gesundheitsstandort Privathaushalt“ abrufbar, eingebettet in einem bedarfs- und bedürfnis gerechten Gesundheitssystem, in welchem sämtliche medizinischen und pflegerischen Prozesse integrativ miteinander vernetzt sind. Ergänzt werden muss dieses System durch verstärkte Koproduktion mit den PatientInnen selbst und deren Angehörigen. Um sich diesen Zielen zu nähern, braucht es ein Umdenken und die Bereitschaft aller AkteurInnen zu tiefgehenden Veränderungen. Medizinische Institutionen müssen sich als lernende Organisationen stärker an den PatientInnen und deren individuellen Bedarfen sowie an intersektoraler und interdisziplinärer Kooperation orientieren. In der Gesundheitspolitik ist es nötig, Verteilungs- und Gerechtigkeitsaspekte stärker zu gewichten. Dabei gilt es besonders, bildungsferneren Schichten und in ländlichen Regionen den Zugang zur Nutzung von Technologien zu erleichtern, um digital divide-Phänomene zu vermeiden. Der Einsatz neuer Gesundheitstechnologien muss deshalb durch flankierende Vorbereitungen und Begleitung durch schnell erreichbare AnsprechpartnerInnen beim Einsatz unterstützt werden. Hinzu kommen Anforderungen an Finanzierungsmodelle und erweiterte Krankenkassenleistungen.
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Background Because of the demographic change in industrial countries new technical solutions for the independent living of elderly will become important in the next years. Ambient Assisted Living seeks to address the upcoming challenges by providing technical aids for elderly and care givers. Therefore it is crucial to understand how those socio-technical solutions can address their needs and quality of life (QOL). The aim of this study was to analyse the main needs of dependent elderly and to investigate how different solutions can contribute to health and quality of life. Methods A qualitative study design consisting of interviews with 11 professionals of geriatric care organisations was chosen. The data analysis was done by applying the qualitative content analysis by Philipp Mayring. The analysis was based on the basic principle of the bio-psycho-social model of health Results Ambient Assisted Living solutions and assistive technologies can have positive impacts on different dimensions of health and quality of life. The needs and problems of elderly can be addressed by applying appropriate solutions which influence the physical, mental and social dimensions of quality of life. There are also benefits for social care providers, their staff and caring relatives of impaired elderly. Ambient Assisted Living solutions can also be used as a facilitator for operational optimization of care services. Conclusions Solutions for telemedicine and telecare which are connected to Ambient Assisted Living solutions will have the biggest positive impact on care giving services. Also simple technical aids can be beneficial for elderly to enhance QOL by enabling autonomy in their familiar surroundings.
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A comprehensive and evaluative review of empirical research published between 2000 and 2010 specific to long distance caregiving is provided to identify what is known about this subgroup of caregivers and to identify gaps in knowledge. We searched peer-reviewed journals included in the following databases: Academic Search Premier (EBSCO), PROQuest Direct, Social Work Abstracts, CINAHL, MEDLINE, and PsychInfo. Searches were restricted to English language publications between 2000 and 2010. Search terms included: ‘review + caregiving + dementia’, ‘meta-analyses + caregiving + dementia,’ ‘caregiving + dementia + not institutional,’ ‘informal + caregiving,’ ‘family + caregiving’, ‘caregiving + technology’. Any searches including the term ‘dementia’ were repeated without that term. These same searches were repeated with the term ‘distance’ added to each. Empirical research specific to long distance caregiving is reviewed in detail. A brief review is provided of other closely related research. Long distance caregivers report being heavily involved in the care of their family member, regardless of distance and surprisingly, are often the only or primary caregiver. The specific needs for future research to inform best practice that goes beyond description of this important subgroup of caregivers is discussed. KeywordsLong distance caregiving-Review-Dementia-Older persons-Methodological issues
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Die Ergebnisse unserer Analysen zeigen, dass die gängige alterssoziologische Interpretation des Zusammenhangs zwischen Wohnentfernung und Kontakthäufigkeit der Eltern zu ihren erwachsenen Kindern als Effekt unterschiedlicher räumlicher Gelegenheitsstrukturen nicht die ganze Wahrheit erzählt. Zwar beeinflusst die räumliche Nähe zweifellos die Häufigkeit des Kontakts der beiden Generationen und ihre Verbundenheit. Der negative Zusammenhang zwischen Wohnentfernung, Kontakthäufigkeit und Beziehungsenge erklärt sich jedoch zu einem nicht unerheblichen Anteil auch aus der Struktur und Qualität der intergenerationalen Beziehung. Kontakthäufigkeit und Beziehungsenge bestimmen mit darüber, wie weit Eltern und erwachsene Kinder voneinander entfernt wohnen. Die Generationenbeziehung beeinflusst die Wahl des Wohnstandorts. Je häufiger die Kontakte und je enger die Beziehung, desto größer ist das Bestreben der Eltern und Kinder, nahe beieinander zu wohnen. Häufiger Kontakt und sehr eng empfundene Beziehungen erhöhen daher die Neigung der Beibehaltung oder Wiedererlangung räumlicher Nähe. Seltener Kontakt und weniger enge Beziehungen wirken umgekehrt. Größere räumliche Distanz ist nicht nur Ergebnis exogener Einflüsse (z.B. des Arbeits- und Wohnungsmarkts) sondern auch beziehungsabhängiger Faktoren. Insgesamt konnte die Annahme der Koexistenz der beiden Effekte bestätigt werden, die in einer Wechselbeziehung zueinander stehen: (a) dem Wohndistanzeffekt auf die Generationenbeziehung, und (b) dem Beziehungseffekt auf die Wohndistanz zwischen den Generationen. Im Vergleich der beiden Beziehungsaspekte Kontakthäufigkeit und Beziehungsenge hat die Kontakthäufigkeit den stärkeren Einfluss auf die Entwicklung der Wohnentfernung. Ob Eltern und erwachsene Kinder die räumliche Nähe suchen oder meiden, hängt zwar auch von der empfundenen Beziehungsenge ab, mehr aber noch von der alltäglichen Pflege dieser Beziehung durch Kommunikation und persönlichen Austausch. Die Beziehungsenge beeinflusst die Wohnentfernung mehr indirekt über ihren Einfluss auf die Kontakthäufigkeit. Enge Beziehungen führen zu häufigeren Kontakten, häufige Kontakte festigen die Beziehung und beeinflussen Umzugsentscheidungen. Auch konnte gezeigt werden, dass bei im Lebensverlauf steigender Wohnentfernung die Kontakthäufigkeit weniger stark abnimmt, wenn die Beziehung zwischen Eltern und Kindern sehr eng ist. Beziehungsenge moderiert demnach den Opportunitätsstruktureffekt der Wohndistanz. Enge Beziehungen mildern die Auswirkungen steigender Wohndistanz auf die Kontakthäufigkeit der Generationen.
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This article analyzes cross-sectional data collected from a representative community sample of 1509 informal caregivers in the 1996 Family Caregiver Survey, which was conducted in the United States by the National Alliance for Caregiving and the American Association of Retired Persons. We examine the role of proximity between caregivers and their elders in different aspects of caregiving experiences including caring involvement, caregiving strain, work-related strain, and formal service utilization. It was found that caregivers sharing the same household with elderly care recipients reported higher levels of physical, emotional, and financial strain than other caregivers. Moreover, it was found that caregivers who lived within 20 minutes of travelling time, but not co-residing with the elderly care recipients, reported lower levels of work strain than other caregivers (including those who lived with care recipients). This differential impact remained even after controlling demographic characteristics of caregivers and caregiving involvement. The effect of proximity had no impact in the total number for formal service utilization.
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There are an estimated 5-7 million long-distance caregivers (LDCs) in the United States, but little is known about this growing population. This study reviewed the literature on LDCs and examined 16 identified studies. Although studies defined LDCs differently, a composite description of who LDCs are and what they do is presented. LDCs make substantial contributions in terms of physical, financial, and social support. Distance complicates communication about care recipients' health and care needs, as well as the types of care that can be provided. Related to this, geographic separation can exacerbate care-related stressors. Implications for future research were also identified.
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In this paper we explored the rationales and the processes among five Ghanaian immigrants residing in two cities in the Mid-Atlantic region of the USA for providing care and support to their older adult relatives in Ghana. Although some of our participants indicated that elder care duties could sometimes be overwhelming, all expressed their willingness and desire to continue to provide care for their older adult relatives. Provision of elder care was viewed as a way to show family solidarity, and a means to demonstrate respect and appreciation to one’s older adult relatives and others who had provided support in the past. Our findings suggest older adults in Ghana can still rely on their family members who have migrated for care and support.
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Understanding how geographic distance impacts how individuals communicatively negotiate family caregiving is important for a number of reasons. Though long-distance caregiving (LDC) is a growing phenomenon with serious relational and health implications, this topic has yet to be approached from a communication perspective. In this review, LDC is thus considered as a communication context to offer caregiving scholars practical applications for contributing to this emerging research area. Review of the literature from 1999 to 2009 that studied aspects of distance caregiving communication obtained through searching Academic Search Premier, EBSCO, Communication and Mass Media Complete, PsycArticles, PsycInfo, PubMed/Medline, and Health Source: Nursing/Academic Edition online databases. Eight published original research studies were included in the review. The extent to which LDC communication is studied by caregiving researchers has the potential to provide helpful guidance for distant caregivers and care recipients to achieve successful health and relational outcomes. Upon reviewing distance caregiving communication research findings, four applications are discussed: (1) defining distance as a subjective experience; (2) encouraging the use of mediated communication in LDC; and examining (3) interpersonal conflict and (4) topic avoidance processes in the LDC context.